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Full text of "Beschreibende darstellung der älteren bau- und kunstdenkmäler der provinz sachsen und angrenzender gebeite. Neue Folge"

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Beschreibende  Darstellung 

der  älteren 

Bau-  und  Kunstdenkmäler 

der 

Provinz  Sachsen 

und  angrenzender  Gebiete. 


Herausgegeben 


von  der 


Historischen  Commission  der  Provinz  Sachsen. 


Neue  Folge.  Erster  Band. 

Die  Stadt  Halle  und  der  Saalkreis. 

. Mit  32  Tafeln  und  gegen  400  in  den  Text  gedruckten  Abbildungen. 


Halle  a.  d.  S. 

Druck  mul  Verlag  von  Otto  Hendel. 
1886. 


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Beschreibende  Darstellung 

der  älteren 

Bau-  und  Kunstdenkmäler 

der 

Stadt  Halle  und  des  Saalkreises. 


Bearbeitet 


von 


Gustav  Sehönermark, 

Architekt. 


Halle  a.  d.  S. 

Druck  und  Verlag  von  Otto  Hendel. 
1886. 


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f 


-Als  es  die  Historische  Commission  der  Provinz  Sachsen  vor 
nunmehr  sechs  Jahren  unternahm  eine  beschreibende  Darstellung  der 
älteren  Bau-  und  Kunstdenkmäler  des  Heimatlandes  herauszugeben, 
konnte  sie  sich  nicht  entschliessen  einer  oder  der  andern  der  aus 
Nachbarprovinzen  bereits  vorliegenden  ähnlichen  Arbeiten  als  Muster 
unbedingt  zu  folgen,  sondern  zog  cs  vor  ihre  eigenen  Wege  zu  gehen. 
Ohne  diesen  Beschluss  bereuen  zu  müssen  und  ohne  das  bisher  Ge- 
leistete verwerfen  zu  dürfen,  haben  der  Commission  die  inzwischen 
gemachten  Erfahrungen  doch  einige  Aenderungen  in  der  Form  des 
Werkes  wünschenswerth  erscheinen  lassen.  Noch  dürfte  es  an  der  Zeit 
sein  diesen  Bedürfnissen  Rechnung  zu  tragen.  An  erster  Stelle  schien 
es  angezeigt  im  Intrcssc  der  Abnehmer  eine  Veröffentlichung  des 
Werkes  in  Lieferungen  zu  veranstalten;  dieselben  werden  in  kürzeren 
Zwischenräumen  regelmässig  einander  folgen,  während  die  Hefte  bisher, 
je  nachdem  sie  einen  an  Denkmälern  reicheren  oder  ärmeren  Kreis  be- 
handelten, nur  in  höchst  ungleichen,  oft  überlangen  Pausen  erscheinen 
mussten.  Die  erschienenen  Lieferungen  werden  sich  nach  wie  vor  in  I lefte 
zusammenfassen  lassen.  Zugleich  glaubte  die  Commission  bei  der  Be- 
arbeitung eines  Kreises  wie  Halle,  der  einen  hervorragenden  Schatz 
an  bemerkenswerthen  mittelalterlichen  Denkmälern  besitzt,  von  der  mehr 
statistischen  zu  einer  nahezu  monographischen  Behandlungsform  über- 
gehen und  eine  ähnliche  mehr  oder  minder  erschöpfende  Darstellung 
bei  gleich  hervorragenden  Kreisen  auch  für  den  weiteren  Fortgang 
des  Unternehmens  ins  Auge  fassen  zu  sollen. 

So  schien  es  denn  gerathen  mit  dem  die  Stadt  1 lalle  behandelnden 
Abschnitte  des  Werkes  eine  „Neue  Folge“  zu  beginnen.  Den  Besitzern 
der  älteren  Abtheilung  wird  hieraus  kein  Nachtheil  erwachsen;  sollte 
später  ein  oder  das  andere  der  bereits  ausgegebenen  Hefte  in  der 
„Neuen  Folge“  eine  umgestaltete  Ausgabe  erfahren,  so  wird  der  Herr 


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Verleger  dieselbe  gegen  Einlieferung  der  älteren  verabfolgen.  Ausser- 
dem wird  ihnen  auf  Wunsch  auch  ein  in  der  ursprünglichen  Form 
eingerichtetes  Doppeltitelblatt  nebst  Umschlag  geliefert  werden. 

Inzwischen  ist  die  Beschreibung  der  Baudenkmäler  der  Stahlt 
Halle  mit  einer  grösseren  Zahl  von  Abbildungen  ausgestattet  worden, 
als  selbst  dem  angenommenen  erweiterten  Masstabe  entsprochen  hätte; 
es  wurde  dies  dadurch  möglich,  dass  sich  der  Magistrat  der  Stadt 
Halle  freundlichst  bereit  finden  Hess,  einen  sehr  schätzbaren  Beitrag 
zu  den  Herstellungskosten  zu  gewähren,  und  wir  verfehlen  daher  nicht, 
für  die  gewordene  Beihülfe  hier  unserem  lebhaftesten  Danke  gebührenden 
Ausdruck  zu  geben. 

Möchte  sich  das  Werk  auch  in  der  neuen  Gestalt  der  lebhaften 
Thcilnahme  in  engeren  und  weiteren  Kreisen  wie  das  bisher  Gelieferte 
erfreuen;  möchte  es  ferner  dazu  dienen  die  Bekanntschaft  der  jüngeren 
Geschlechter  mit  den  künstlerischen  Leistungen  der  Vorältcrn  zu 
fördern,  die  Achtung  vor  denselben  und  die  Liebe  zur  Heimat  zu 
bewahren. 


Die  Historische  Commission 


der  Provinz  Sachsen. 


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Inhalt  des  ersten  Bandes. 

1.  nie  Stadt  Halle. 

A.  Kirchliche  Bau-  umi  Kunstwerke. 


Gefchichtliche  Einleitung  mit  Nachtrag 

Seite 

( 

Kunftwerke  der  St.  Ulrichskirche  . . 

185 

6 

218 

Hallefcbes  Wahrzeichen  an  der 

Kunftwerke  der  Domkirche  .... 

2f6 

Marktkirche 

24 

Predigerhäuser  am  Dom 

260 

Leipzigerftrasse  Nr.  107  . . . . 

26 

Kunftwerke  der  Neumarktkirche  . . 

264 

Kunftwerke  der  Markikirche  .... 

so 

T)ie  Glauchaische  Kirche 

273 

Die  St.  Moritzkirche  

»5 

Kunftwerke  der  Glauchaischen  Kirche 

274 

Holzfäulen  a.  d.  Herrenftrasse  Nr.  12 

_L2£i 

Der  rothe  Thurm 

277 

Kunftwerke  der  St.  Moritzkirche  . . 

HO 

Die  Betsäule 

294 

168 

B.  Profane 

Bau- 

und  Kunstwerke. 

Die  Moritzburg 

299 

Haus  der  Ecke  Marktplatz* Klein- 

Die  Stadtmauern,  Thore  u.  s.  w.  . . 

327 

fchmieden 

aoaT" 

Das  Rathhaus 

337 

Wagegebäude 

Andere  Profanbautcn  

345 

Die  Neumühle 

404  - - ' 

Holshäuser 

146 

Das  Thal  haus 

40S 

Steinbauten 

3 so 

Die  Schäme 

417 

Portalentwicklung 

3^5 

Portal  Leipzigerftrasse  Nr.  S 

418 

Einzelne  Rauwerke: 

Marienbibliothek 

420 

Kühler  Brunnen 

?8: 

Haus  Grosse  Ulrichftrasse  Nr.  ^ 

421 

Residenz  

388 

Stadt  - Gottesacker 

422 

Haus  Brüderftrasse  Nr.  8 .... 

321  . 

Kunftgefchichtliche  Ueberficht  . . 

•Ui 

LL_ 

Der  Saalkreis. 

Einleitung  

443 

Gönnern  .... 

465 

Ammendorf 

446 

Dachritz 

473 

Bcbitz 

447 

Dalena 

473 

Bccsedau  

447 

Dammendorf 

474 

Beesen  

447 

Deutleben  

Beesenlaublingen 

449 

Diemitz 

Böllberg 

454 

Dieskau 

476 

Brachftedt  

457 

Dobis 

477 

Brachwitz 

460 

Döblitz  

479 

Brafchwitz  

461 

Döllnitz 

482 

Büfchdorf  

462 

DöfTcl 

48  t 

Cancna  

425 

Domnitz  . 

4ä3 

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Inhalt. 


VIII 


SoiU»  | 

- 

Seite 

Donüt/ 

. . 4»4  i 

Pcifscn • . . . 

>>* 

Eismannsdorf 

. ■ 4*4 

Petersberg  . 

vvi 

Garsena  . . 

. . 484 

Plöfsnitz 

Giebichenftein 

. . a86  1 

Poplitz. 

>6> 

Gimritz  ......... 

. . 494  1 

Priester 

566 

Görbitz 

. . 405 

Radewell  

>66 

Grofxkugel 

. . 496 

Reideburg 

>68 

Gutenberß 

. . 497 

Rothenburg  

>70 

Hohenedlau 

■ • 409 

Schiepzig 

57» 

Hohenthurm 

Schlettau . 

573 

Kaltenmark 

. . 502 

Schwerz 

>74 

Kirchcdlau 

• • üo: 

Seeben  

S7S 

Krofigk 

Senne witz * . . 

Lebendoif 

. . ;io 

Sieglitz 

577 

Lettewitz 

• . SM 

Spickcndorf 

Lettin 

. . 

Sylbitz  

580 

Lieskau  

Teicha 

584 

Lochau  

Trebitz 

>88 

Löbejün 

• • 517 

Trebnitz 

>88 

Löbnitz  a.  <1.  Linde 

>90 

Merbitz 

UnterraaGchwitz 

590 

Mitteledlair 

. . 525 

Unterpeifsen 

5« 

Mötzlich 

Wallwin  . : : : ; : • ; . ■ 

. so* 

Morl 

>93 

Mücheln 

600 

Nauendorf  am  Petersberge 

. . «8 

600 

• Ncutz 

Cot 

' Niemberg 

Kunftgcfchichtliche  Ueberficht  zum 

Nietlebcn 

Saalkreifc 

. 604 

Oppin  

■ • sto 

Nachtrag  zuin  I.  Bande 

• <-'7 

Osmünde 549 


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/HARVARD^ 

UNIVERSITYl 

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üCT  / 1952 J 


Ais  es  die  Historische  Commission  der  Provinz  Sachsen  vor 
nunmehr  sechs  Jahren  unternahm  eine  beschreibende  Darstellung'  der 
älteren  Bau-  und  Kunstdenkmäler  des  Heimatlandes  herauszugeben, 
konnte  sie  sich  nicht  entschliessen  einer  oder  der  andern  der  aus 
Nachbarprovinzen  bereits  vorliegenden  ähnlichen  Arbeiten  als  Muster 
unbedingt  zu  folgen,  sondern  zog  es  vor  ihre  eigenen  Wege  zu  gehen. 
Ohne  diesen  Beschluss  bereuen  zu  müssen  und  ohne  das  bisher  Ge- 
leistete verwerfen  zu  dürfen,  haben  der  Commission  die  inzwischen 
gemachten  Erfahrungen  doch  einige  Aenderungen  in  der  Form  des 
Werkes  wünschenswert!]  erscheinen  lassen.  Noch  dürfte  es  an  der  Zeit 
sein  diesen  Bedürfnissen  Rechnung  zu  tragen.  An  erster  Stelle  schien 
es  angezeigt  im  Interesse  der  Abnehmer  eine  Veröffentlichung  des 
Werkes  in  Liefeningen  zu  veranlassen;  dieselben  werden  in  kürzeren 
Zwischenräumen  regelmässig  einander  folgen,  während  bisher  die  Hefte, 
je  nachdem  sie  einen  an  Denkmälern  reicheren  oder  ärmeren  Kreis  l>e- 
handelten,  nur  in  höchst  ungleichen,  oft  überlangen  Pausen  erscheinen 
mussten.  Die  erschienenen  I .ieferungen  werden  sich  nach  wie  vor  in  1 lefte  zu- 
sammenfassen  lassen.  Zugleich  glaubt  die  Commission  bei  der  Bearbeitung 
eines  Kreises  wie  Halle,  der  einen  hervorragenden  Schatz  an  bemerkens- 
werthen  mittelalterlichen  Denkmälern  besitzt,  die  Behandlungsform  ge- 
funden zu  haben,  die  am  meisten  dem  diesseits  vorschwebenden  Ziele  nahe 
kommt;  noch  haften  ja  den  bisher  erschienenen  Heften  mehr  oder 
weniger  Spuren  der  in  anderen  Provinzen  beliebten  kahleren  statistischen 
Bearbeitungsart  an.  So  schien  es  denn  gerathen  mit  dem  die  Stadt 
Halle  behandelnden  Abschnitte  des  Werkes  eine  „Neue  Folge“  zu  be- 
ginnen. Den  Besitzern  der  älteren  Abtheilung  wird  hieraus  kein  Nach- 


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theil  erwachsen;  sollte  später  ein  oder  das  andere  der  bereits  ausge 
gebenen  Hefte  in  der  „Neuen  Folge“  eine  umgestaltete  Ausgabe 
erfahren,  so  wird  der  Herr  Verleger  dieselbe  gegen  Einlieferung  der 
älteren  verabfolgen. 

Möchte  sich  das  Werk  auch  in  dieser  Gestalt  der  lebhaften  Theil  - 
nähme  in  engeren  und  weiteren  Kreisen  wie  das  bisher  Gelieferte 
erfreuen;  möchte  es  ferner  dazu  dienen  die  Bekanntschaft  der  jüngeren 
Geschlechter  mit  den  künstlerischen  Leistungen  der  Yorältern  zu 
fördern,  die  Achtung  vor  denselben  und  die  Liebe  zur  Heimat  zu  be- 
wahren. 

Die  Historische  Commission  der  Provinz  Sachsen. 


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I. 


Die  Stadt  Halle. 


A.  Kirchliche  Bau-  und  Kunstwerke. 


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Gefchichtliche  Einleitung. 


Es  find  die  am  rechten  Ufer  der  Saale  gelegenen  Salzquellen,  welche 
das  Entliehen  der  Stadt  Halle  veranlafst  und  dem  Orte  den  Namen 
gegeben  haben  Tollen:  aiX?  izo;  Salz,  Halla,  Hall,  Halle.  Allerdings  i(l 
nicht  diefer,  fondem  der  Name  Dobregora  oder  Dobrefol,1  welcher,  fo  lange 
die  Sorbenherrfchaft  in  diefer  Gegend  ungebrochen  war,  alfo  bis  zum  An- 
fang des  9.  Jahrhunderts,  gebraucht  wurde,  der  ältelle.  Um  diefe  Zeit  kommt 
der  Name  Halla  wohl  einmal  und  zwar  zum  erilen  Male  vor,  aber  nicht 
für  den  Salz  bereitenden  Ort,  fondem  für  eine  Burg  (castel/um,  civi/asj,  die 
So6  von  König  Karl,  dem  Sohne  Karls  des  Grofsen,  in  diefer  Gegend  ge- 
gründet wurde.  Erll  zu  Anfang  des  1 1.  Jahrhunderts,  nachdem  lieh  der 
Ort  zu  einer  anfehnlichen  Stadt  entwickelt  hatte,  ill  der  Name  Halle  lür 
die  Salzlladt  gebräuchlich  geworden. 

Die  Kämpfe  zwifchen  den  Sorben  und  Deutfchen.  die  bis  in  die  Mitte 
des  io.  Jahrhunderts  fortdauerten,  verhinderten  das  Autblühen  des  Ortes 
wefentlich.  Namentlich  verhängnifsvoll  mufste  ihm  die  Burg  Halla  werden, 
wenn  diefelbe  wirklich  jenes  schwarze  Schlofs  ill,  das  bis  zur  Erbauung 
der  Moritzburg  an  deren  Stelle  lag,*  weil  um  lie  der  Kampf  gewifs  haupt- 
lachlich  und  belländig  getobt  haben  wird.  Wie  unbedeutend  Halle  noch 
in  der  zweiten  Hälfte  des  io.  Jahrhunderts  gewesen  sein  mufs,  erhellt  daraus, 
dafs  961  bei  Gelegenheit  der  Schenkung  des  Gaues  Nelitici  (Saalkreifes)  an  die 
Moritzkirche  des  alsbald  zu  creirenden  F.rzbisthums  Magdeburg  zwar  die 
salzigen  GewälTer  erwähnt  werden,  aber  der  Name  des  Ortes  noch  nicht. 
973  kommt  in  einer  Bellätigungsurkunde  diefer  Schenkung  der  flavische 
Name  vor.  Unerwiefen  ill  zwar  die  überlieferte  Annahme,  dafs  der  Ort  qti i 
von  Otto  II.  das  Stadtrecht  bekommen  habe,  allein  es  ill  möglich,  dafs  er  um 
diefe  Zeit  durch  eine  Ringmauer  zu  einem  Ilädtifchen  Gemeinwefen  zufammen- 
gefafst  ill,  da  fchon  im  frühen  Mittelalter  ein  kleineres  Stadtgebiet  als  das 
jetzt  noch  an  feinen  fpätmittelalterlichen  Mauerrellen  erkennbare  vorhanden 
gewefen  fein  mufs;  fchon  im  15.  Jahrhundert  ill  von  einem  alten  Markte  mit 
einem  alten  Rathhaufe  und  dem  älteflen  Heiligthume  der  Stadt  der  S.  Mi- 
chaeliskapelle, die  Rede.  Das  „Thal,“  der  Salzquellen  oder  die  „Halle," 
welllieh  von  der  Saale  begrenzt,  wird  naturgemäfs  der  Mittelpunkt  diefer 
erilen  Häufer  gewefen  fein,  den  lie  auf  den  drei  andern  Seiten  hufeifen- 

1 Diefes  wendifche  Wort  soll  gutes  Salz  bedeuten. 

* Und  da*  ift  aus  flrategilchen  und  anderen  Gründen  fehr  wahrfcheinlich  (fiehe  vom 
Hagen,  1.54). 

B.  D.  d.  Bau-  u.  Kunstd.  N.  F.  I.  I 


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2 DIE  STADT  HAI.I.E  u.  d.  SAALKKKIS. 

förmig  umzogen.  Allein  während  (ich  nördlich  vom  Thale  die  Frankenfeite 
Halla  erhob,  befanden  fich  die  Wohnhäufer  Dobrefols,  wie  man  mit 
Rücklicht  auf  die  Lage  des  alten  Marktes  anzunehmen  genöthigt  id,  in  ihrer 
HauptmalTe  füdlich  von  den  Quellen,  vielleicht  eben  wegen  der  verhafsten 
Burg.  Das  Bild  der  Stadt  zu  ver  voll  Händigen  müden  wir  noch  der  Warten 
gedenken,  jener  Ritterfitze  der  angefiedelten  Sachfen,  die  zur  Nieder- 
haltung der  alten  Bevölkerung  hierorts  Ländereien  und  Antheil  an  ilen 
Soolgütern  bekommen  hatten.  Zu  Anfang  des  12.  Jahrhunderts  ift  der 
Ort  zu  einer  lebhaften  Stadt  des  Handels  zwifchen  den  deutfchen  und 
flavifchen  Ländern  erblüht  und  fein  Gebiet  fcheint  fchon  jetzt  durch  die 
Linie  der  noch  heute  in  den  Reden  erkennbaren,  fpätmittelalterlichen 
Ringmauer  umgrenzt  gewefen  zu  fein. 

Ueber  die  Eintheilung  der  Bürger  und  übe#  die  dädtifche  Verfalfung 
Halles  im  Mittelalter  fei  Folgendes  bemerkt:  Die  Herrfchalt  in  der  Stadt 
führten  die  „ Gefchlechter,“  jene  aus  den  fächfifchen  Adelsfamilien  ent- 
dandenen  Kaufmannsaridokraten , die  „Pfänner“  oder  „Salzjunker''  genannt 
wurden.  Ihnen  immer  ergeben  waren  die  „Halloren“,  das  Volk  der  Salz- 
lieder, das  noch  bis  jetzt  feine  Sondertracht  behalten  hat  und  wendifcher 
Abkunft  zu  fein  behauptet,  wiewohl  neuere  Forfcher  in  ihm  die  Rede  der 
fränkifchen  Colonie  fehen  wollen.  Nach  den  Pfännern  kamen  die  Innungen, 
1162  bedätigt,  feitdem  aber  fehr  gewachfen  an  Zahl  und  Macht.  Alle  übrigen 
Einwohner  gehörten  der  gemeinen  Bürgerfchaft  an.  (Jeber  die  Verladung 
wäre  zu  Tagen,  das  obenan  der  alljährlich  wechfelnde  Rath  dand,  welcher 
von  Pfännern  mit  zwei  Rathsmeidern  an  der  Spitze  gebildet  wurde.  Nach 
mancherlei  Kämpfen  find  auch  die  Innungen  und  die  gemeine  Bürger- 
fchaft  feit  dem  15.  Jahrhundert  im  Rathe  vertreten,  ja  verdrängen  die  Ge- 
fchlechter fchliefslich  fogar  fall  ganz  aus  den  Rathsdellen.  Mit  der  Aus- 
übung der  weltlichen  Gerichtsbarkeit  wurde  vom  Erzbifchhof  ein  Burggraf 
beliehen,  welcher  dann  aus  den  hallefchen  Patriciern  einen  Schultheifsen  an 
feine  Stelle  wählte.  Die  Criminalproceffe  fanden  vor  dem  Rolande  datt. 
Aulser  diefem  Gerichte,  welches  das  „Berggericht“  hiefs,  gab  es  noch  ein 
zweites  in  der  Stadt,  das  ..Thalgericht;“  vor  ihm  wurde  Recht  gefprochen 
über  die,  welche  zu  dem  Thale  gehörten.  Sind  die  Streitigkeiten  der  Par- 
teien um  die  Verfafiung  bez.  um  die  Herrfchaft  von  Einflufs  auf  die  bau- 
liche Entwickelung  der  Stadt  geworden,  fo  hat  auf  folche  die  Kirche  wie 
anderwärts  auch  hier  wohl  einen  noch  gröfseren  Einflufs  gehabt,  und  der- 
felbe  ill  namentlich  von  dem  Kloder  zum  Neuen  Werke  (1116  gegründet), 
delfen  Probft  in  dem  Bannus  Ilallcnsis,  dem  Gebiete  zwifchen  Saale,  Elster 
und  Fuhne,  die  geidliche  Infpection  und  Jurisdiction  hatte,  ausgegangen. 
Zumeid  aber  haben  zwei  grofse  Brände  die  Phyfiognomie  der  Stadt  bedimmt  : 
1136  wurden  fad  alle  Häufer  in  Afche  gelegt  und  den  28.  September  1312 
zum  andern  Male ; man  habe  vom  Marktplatze  zu  allen  Thoren  hinausfehen 
können,  wird  berichtet,  ja  bis  1542  id  zur  Erinnerung  an  diefen  Unglücks- 
tag jährlich  eine  kirchliche  Feier  gehalten  worden.  Trotz  fo  fchwerer  Schick- 
falfchläge  entwickelten  fich  Handel  und  Gewerbe  in  der  Stadt  fort.  Gegen 
Ende  des  14.  Jahrhunderts  mufs  die  Stadt  überaus  mächtig  und  blühend 


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GESCHICHTLICHE  F.INLRITfftG.  3 


gewefen  fein;  der  Höhepunkt  der  Gefchlechterherrfchaft  war  gekommen, 
fie  artet  zu  Anfang  des  15.  Jahrhunderts  aus,  und  die  Vertreter  der  anderen 
Volksklafien  beginnen  fich  gegen  fie  aufzulehnen.  Es  hatte  fich  eine 
Ariftokratenpartei  und  eine  Demokratenpartei  gebildet,  und  letzterer,  von 
Demagogen  wie  Henning  Strobart  und  dem  Schulter  Weifsack  geleitet, 
gelang  es,  die  Herrfchatt  der  Gefchlechter  zu  vernichten,  zugleich  aber 
fcheute  man  fich  nicht  die  Selbftändigkeit  der  Stadt  preiszugeben.  Am 
;o.  September  1478  drangen  die  Kriegsleute  des  Erzbi  fc  hofs  Er n ft  in  das 
Ulrichsthor  und  überwanden  näch  kurzem  Kampfe  die  Bürger;  der  Erzhifchof 
aber  erbaute  1484 — 1503  die  Moritzburg,  die  Stadt  Itändig  in  Gehorfam  zu 
erhalten.  Die  Regierungszeit  des  Cardinais  Albrecht,  die  nun  folgt  und 
gewifleimaafsen  das  Zwifchenglied  zwifchen  dem  Mittelalter  und  der  Neu- 
zeit bildet,  ilt  für  die  bauliche  Entwickelung  Halles  wohl  die  allermerk  - 
würdiglle  geworden,  einestheils  in  Folge  der  grofsartigen  Bauthätigkeit 
diefes  Kirchenfürften , anderntheils  eben  wegen  der  Geburt  der  Neuzeit, 
die  gerade  in  diefe  Zeit  fällt.  Die  Nachfolger  des  Cardinais  Albrecht,  feit 
1568  protellantifch  und  Adminiftratoren  des  Erzftiftes  genannt,  haben 
keinen  befonderen  Einflufs  auf  die  bildende  Kunft  geübt;  es  ilt  jedoch 
nicht  wahr,  dafs  aus  diefem  Grunde  die  Kunfithätigkeit  Halles  bereits  im 
10.  Jahrhundert  weniger  lebhaft  geworden  fei;  diefelbe  ilt  beltändig,  namentlich 
aber  gegen  den  Schlufs  des  Jahrhunderts  fehr  regfam,  aber  fie  fchafft  nicht 
mehr  grofse,  monumentale  Kirchenbauten,  fondem  bringt  jetzt  zahlreiche 
Bürgerhäufer  monumentalen  Charakters  hervor,  bis  der  dreifsigjährige 
Krieg  ihr  wie  allen  friedlichen  Befchäftigungen  ein  Ende  bereitete.  Als 
wieder  geordnete  Zultände  eintraten,  war  die  Stadt  fehr  verwültet  und 
die  Bürger  waren  fo  arm,  dafs  von  einer  Bauthätigkeit  kaum  noch  die  Rede 
fein  konnte.  1680  wurde  das  Erzftift  Magdeburg  ein  Herzogthum  des 
Haufes  Hohenzollern-Brandenburg  und  Halle  verlor  dadurch  auch 
den  Charakter  einer  Refidenz.  Indeffen,  als  zu  diefer  Zeit  der  alten  Be- 
völkerung ganz  neue  Elemente  hinzugefügt  wurden,  nämlich  Familien  der 
nach  Aufhebung  des  Edicts  von  Nantes  fliehenden  franzöfifeben  Pro- 
teftanten  und  jener  reformirten  Pfälzer,  die  vor  den  Verwüftungen  Ludwigs 
XIV.  flohen,  da  entftand  zwar  eine  barocke  Nachblüthe  der  Kunftentfaltung 
hundert  Jahre  ^uvor,  aber  weder  an  Zahl  noch  an  Gediegenheit  wurden  die 
I-eilfungen  von  früher  erreicht.  In  der  letzten  Hälfte  des  18.,  und  in  der 
erden  unferes  Jahrhunderts  entwickelte  die  Stadt  nur  fehr  wenig  Leben; 
erd  in  den  letzten  Jahrzehnten  hat  fie  fich  in  ungewohnter  Weife  ausgedehnt, 
weit  über  ihre  alten  Grenzen  hinaus. 

Vororte  allerdings  hat  die  Stadt  fchon  in  alter  Zeit  gehabt.  Unter 
ihnen  wird  Glaucha,  im  Süden  vom  Steinwege  bis  zur  Saale  gelegen,  zuerfi 
genannt ; namentlich  der  Ritterfitz  derer  von  Glouch,  das  Dorf  Kli  tfchen- 
dorf  und  Bellendorf  haben  ihn  gebildet,  1121  hat  er  fchon  eine  Pfarrkirche. 

Einige  Ritterfitze  nördlich  von  der  Stadt  und  wahrfcheinlich  auch  die 
Wohnungen  der  Werkleute  des  Klolters  zum  Neuen  Werke  haben  die 
F.ntdehung  Neumarkts  veranlafst.  Schon  im  4.  Jahrzehnt  des  12.  Jahr- 
hunderts mufs  die  Pfarrkirche  diefes  Vorortes  gegründet  fein.  In  die  älteften 


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4 


DIE  *TAI1T  HAI. LE  u.  d.  SAALKREIS. 


Zeiten  läfst  fich  auch  die  Entftehung  des  1493  aufgehobenen  Juden- 
dorfes  auf  dem  Terrain  nördlich  um  das  fchwarze  Schlofs  (fpäter  Moritz- 
burg) fetzen;  bereits  1013  werden  die  Hallefchen  Juden  genannt.  Die  Dörfer 
Petersberg  und  Ringleben  zwifchen  dem  Stein-  und  Ulrichsthore  werden 
fchon  1213  genannt. 

Auf  dem  linken  Saalufer  und  den  Saalinfeln  liegt  der  Stroh;- 
hof,  deffen  Name  von  den  ehedem  hier  befindlichen  Strohfcheunen 
der  Salzfieder  hergekommen  ift.  Der  Ort  wird  fchon  früh  entftanden 
fein,  aber  erft  1539  erhalten  die  Bewohner  Ortsftatuten.  Die  eigent- 
lich zu  ihm  gehörige  Klausthorvorlladt  ift  erft  im  18.  Jahrhundert  mit 
dauerhaften  Häufern  bebaut  worden.  Häufer  vor  dem  Stein-  und  Leipziger 
(Galg-)  Thore  werden  im  Mittelalter  noch  nicht  genannt.  Im  16.  und 
17.  Jahrhundert  find  jedoch  fchon  eine  nicht  unbeträchtliche  Zahl  vor 
jedem  Thore  vorhanden  gewefen. 

N achtrag. 

In  Halle  find  folgende  Klöfter  vorhanden  gewefen;  das  Moritz- 
klofter,  1184  geweiht,  lag  an  der  Südfeite  der  Moritzkirche.  1200  wurde 
an  dem  weltlichen  Saalarm  vor  dem  Klausthore  von  den  Deutfchherren  die 
Komthurei  St.  Kunigunde  angelegt  und  im  it>.  Jahrhundert  wieder 
befeitigt.  127t  foll  das  Dominikanerklofter  St.  Pauli  zum  h.  Kreuz 
nördlich  von  dem  fpäter  gebauten  Dome  gegründet  fein.  Wo  jetzt  das 
Univerfitätsgebäude  lieht  wurde  von  Bettelmönchen  das  Barfüfserklofter 
ebenfalls  noch  im  13.  Jahrhundert  gegründet.  Seit  1306  wohnten  die  Marjen- 
knechte  vor  dem  Galgthore.  feit  1339  in  der  Galgftrafse  (jetzt  Leipziger- 
ftrafse).  Als  einziges  Nonnenklofter  von  baulicher  Bedeutung  ift  das  der 
Cifterzienfernonnen  „ Marien  - K amm er“  anzuführen.  Es  wurde 
1231  bei  der  Kirche  St.  Georgii  in  Glaucha  angelegt. 

Kapellen  gab  es  in  Halle  folgende;  Die  angeblich  ältefte  aller  ift 
die  Michaeliskapelle,  im  16.  Jahrhundert  zu  einem  Bürgerhaufe  ausge- 
baut ; was  fich  von  ihrem  Thurme  noch  erkennen  läfst,  verweil!  allerdings 
ihre  Entftehung  erft  in  die  fpätgothifche  Zeit,  selbft  die  Fundamente 
fcheinen  nicht  älter  zu  fein.  tu8,  wahrfcheinlicher  fchon  1117  wurde  von 
* dem  Markgrafen  Wigbert  II.  von  Groitfch  die  St.  Jacobik apelle 
an  der  Ecke  des  kleinen  und  grofsen  Sandberges  geftiftet. 

Die  zwifchen  grofser  und  kleiner  Klausftrasse  gelegene  Kapelle 
St.  Nicolai  dürfte  in  Hinficht  auf  die  Angabe  der  Chroniften,  dafs  ihr  Alter 
noch  hinter  das  der  St.  Gertrudenkirche  zurückgehe,  ein  romanifcher 
Bau  gewefen  fein.  Die  Kapelle  St.  Lamperti  am  Kornmarkte  lag  auf 
dem  Häuferblock  Markt,  Kleinfchmieden,  Schlamm,  Kühler  Brunnen.  Sie 
wird  1 12 1 genannt. 

In  eben  dem  Jahre  wird  die  Kapelle  St.  Pauli  an  der  Südfeite  der 
Brüderftrafse  erwähnt.  Von  der  auch  1121  genannten  Kapelle  St.  Aegidii 
willen  wir  die  Lage  nicht  mehr.  Die  Capelle  St.  Matthiae  und  der 
10000  Ritter  war  auf  dem  Ritterhofe  derer  von  Grafshoff  erbaut.  1310 


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GESCHICHTLICH!-:  EINLEITUNG. 


s 


wird  fie  zuerft  erwähnt.  1326  wird  als  neu  erbaut  die  Capelle  St.  Sepulchri, 
im  Thale  gerade  vor  der  Gaffe  des  Moritzkirchhofes  gelegen,  erwähnt.  1327 
gefchieht  der  in  das  Rathhaus  verbauten  Kapelle  St.  Crucis  zucrlt  Erwäh- 
nung. Wo  die  Kapelle  St.  Nicolai  bei  der  Marienkirche  gellanden  hat, 
weifs  man  nicht:  146g  wird  iie  erwähnt. 

1472  ift  die  füdlich  an  die  Vorhalle  der  Moritzkirche  ftofsende 
St.  Eli  fabethkapelle  geweiht  worden. 

Ueber  die  St.  Wolf gangskapelle  läfst  lieh  nach  dem  von  ihr 
herrührenden  Dachreiter  auf  der  Wellecke  der  jetzigen  Ulrichskirche  ver- 
muthen.  dafs  fie  kaum  in  das  14.  Jahrhundert  zu  fetzen  ift. 

Die  Kapelle  Trium  Regum  foll  auf  dem  Trödel  gleich  an  der  Halle 
geftanden  haben.  Eine  Kapelle  St.  Annae  ftand  hinter  dem  Rathhaufe, 
wahrfcheinlich  hinter  d.  h.  öftlich  von  dem  jetzt  in  die  Wage  verbauten  Thurme. 
Sie  wird  die  bei  Olearius  als  „an  der  Wage“  benannte  Kapelle  sein. 

Aufserhalb  der  Ringmauern  gelegen  und  zu  den  Hospitälern  gehörig 
find  folgende  Kapellen:  die  St.  Petri  auf  dem  jetzigen  Theaterbauplatze. 
Siebeftand  fchon  1213. 

Die  Martinskapelle  auf  dem  im  16.  Jahrhundert  angelegten  Gottes- 
acker, wahrfcheinlich  ein  romanifcher  Bau,  1547  abgebrochen.  Vor  dem 
Klausthore  lag  die  Kapelle  St.  Alexandri. 

Auf  dem  Platze  der  Ziegelfcheunen  erbaute  1476  der  hallefche  Zinn- 
giefsermeifter  Nicolaus  Schiedeberg  die  Kapelle  SSt.  Mariae  Magda- 
lenae,  Wenzeslai  et  Wolfgangi. 

Auf  dem  Ritterfitze  derer  von  Dieskau  auf  dem  Neumarkte,  etwa 
an  der  Ecke  der  Breiten-  und  Geiftftrafse , lag  die  Kapelle  St.  Andreae; 
1400  wird  fie  erwähnt. 

i In  dem  Deutfchherrenklofter  vor  dem  Klausthore  lag  die  Kapelle  St. 
Kunigunde,  um  1200  genannt. 

In  dem  zum  Moritzklofter  gehörigen  Hospitale,  welches  am  Waller 
nördlich  der  Moritzkirche  lag,  befand  (ich  die  Kapelle  St.  Johannis,  1220 
gegründet. 

In  dem  Hospitale  St.  Antonii,  welches  öftlich  von  der  jetzigen  Geift- 
llrafse  lag.  befand  (ich  die  Kapelle  St.  Spiritus.  Das  Hospital  wurde 
1241  zuerft  genannt. 

1341  war  vom  Rathe  der  Stadt  das  Hospital  St.  Cyriaci  und  1343 
eine  diefem  Heiligen  geweihte  Kapelle  in  ihm  angelegt;  es  lag  auf  dem 
Platze  der  jetzigen  Refidenz. 

Die  Kapelle  Omnium  Sanctorum  wird  die  1537  in  den  Nordflüge] 
der  Refidenz  eingebaute  sein. 

Endlich  fei  noch  das  von  dem  Erzbifchof  Adelgotus  nördlich  von 
der  Stadt  am  rechten  Saalufer  1116 — 1121  erbaute  Klofter  zum  Neuen 
Werke  genannt,  in  deffen  Kreuzgange  die  Kapelle  St.  Johannis  (1317?) 
und  auf  deffen  Friedhofe  die  Kapelle  SSt.  Michaelis,  Catharinae  et 
Georgii  (1397  ?)  lag. 


\ 


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Die  Kirche  zu  U.  L.  Frauen. 


Einleitung. 


Geschichte. 


Lase. 


Bauherr. 


\l  Tas  fich  uns  im  Wefentlichen  durch  das  Baudenkmal  der  Kirche  zu 
'y  Unfer  Lieben  Frauen,  gegenwärtig'  fall  nur  noch  nach  ihrer 
Lage  fchlechtweg  „Marktkirche"  genannt,  fichtbar  darlegt,  ill  wie 
im  Dome  die  Kntllehung  der  KenailTance,  das  Losringen  der  modernen  Lebens- 
zulländg  von  den  mittelalterlichen  Hinrichtungen  und  Anfchauungen.  An 
keinem  zweiten  Bauwerke  in  Halle  läfst  fich  die  Art  und  Weife  des  Hervor- 
gehens, der  eigentliche  Geburtsact  von  den  erlien  Wehen  an  in  feinen  ver- 
fchiedenen  Stadien  fo  fehr  in  das  Einzelne  verfolgen,  wie  an  den  Formen,  die  hier 
während  des  Kirchenbaues  gemacht  worden  find.  Klarer  denn  je  liegen  auch 
die  Urfachen  zutage,  welche  das  Kunllformale  als  unmittelbare  Wirkung  zur 
Folge  hatten,  fodafs  leicht  erkannt  werden  mag,  warum  eine  wefentliche 
V erfchiedtnheit  zwifchen  den  Erftlingswerken  der  Renaiflance  im  Dom  und 
denen  der  Marktkirche  fein  mufs.  Aus  dielen  Gründen  wird  die  Betrach- 
tung der  Marktkirche  von  Intereffe  sein,  mag  unfer  Auge  den  Mangel  des 
Baues  an  Einheitlichkeit,  an  guten  Verhältniffen  und  an  dem,  was  sonll 
unumgänglich  zur  Schönheit  gehört,  noch  fo  unangenehm  empfinden. 

Die  fonderbare  Entllehungsgefchiclue  desjenigen  Kirchengebäudes, 
welches  wir  heute  fehen,  ill  folgende:  Von  den  vier  Pfarrkirchen,  die  es  in 
Halle  bis  zur  Reformation  oder  vielmehr  bis  zu  den  Zeiten  des  Cardinais 
Albrecht  gab,  Händen  zwei  dicht  hinter  einander  auf  dem  jetzigen  Markt- 
platze. Es  waren  die  Marienkirche  und  die  Gertrudenkirche.  Sie  lagen, 
wie  die  Regel  es  will,  mit  ihren  Thürmen  in  Wellen  und  fall  in  einer  Linie  . 
fo  hinter  einander,  dafs  zwifchen  den  Thürmen  der  Marienkirche  und  dem 
Chore  der  Gertrudenkirche  nur  ein  Raum  verblieb,  eben  grofs  genug,  dafs 
man  die  Kirchen  in  Procefiion  umfehreiten  konnte.  Es  ill  hieraus  fchon 
erlichtlich,  dafs  die  Marienkirche  öftlich  von  der  Gertrudenkirche  lag.  und 
es  erübrigt  noch  hinzuzufügen,  dafs  beide,  umgeben  von  ihren  Friedhöfen, 
den  welllichen  Theil  des  jetzigen  Marktplatzes  einnahmen,  während  ölllich 
von  ihnen  die  Budenreihen  der  Kaufleute  aufgefchlagen  waren;  die  Rath- 
hausfront fchlofs  wie  heute  den  Platz  dort  ab. 

Der  Cardinal  Albrecht  ill  es,  der  in  diefem  Zuftande  der  Oert- 
lichkeiten  und  Verhältniffe  eine  völlige  Umwandlung  hervorrief.  Er  liefs 
i.szt)  die  Marienkirche  bis  auf  ihre  Thürme  abbrechen  und  ebenfo  die  Ger- 
trudenkirche und  verband  beide  Thurmpaare  durch  ein  neues  Langhaus. 
So  entftand  das  Gebäude  der  heutigen  Marktkirche  mit  ihren  Hausmanns^ 
thürmen  in  Ollen,  den  Ueberrellen  der  Marienkirche,  und  mit  ihren  blauen 
Thürmen  in  Wellen,  den  letzten  Stücken  der  Gertrudenkirche.  Demgemäfs 
änderte  der  Cardinal  auch  die  Kirchfpiele,  fodass  nach  Befeitigung  des 


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DIE  KIRCHE  7.1'  V L.  FRAUEN.  7 

der  Marienkirche,  welches  wie  das  Gotteshaus  mit  der  Gertrudenkirche 
vereinigt  wurde,  nur  noch  drei  in  der  Stadt  waren.  Die  neue  Kirche  aber 
erhielt  den  Namen  lieatae  Mariae  oder  Unfer  Lieben  Frauen  Kirche.  Mit 
der  Zeit  wurde  fie  ihrer  Lage  wegen  kurz  als  Marktkirche  bezeichnet  und 
diefe  Benennung  ift  auch  heute  die  gebräuchlichlle. 

Warum  kam  der  Cardinal  auf  folchen  Plan,  der  das  Jahrhunderte  lang  Bauvcranlassung 
Begehende  in  radikal  Iler  Weife  befeitigte,  ohne  erfichtlichen  Zwang  und 
ohne  wefentlich  BeiTeres  dafür  zu  bieten?  Die  Chroniken  führen  mehrere, 

»ach  fehr  plaufibele  Gründe  auf,  die  zur  Entfernung  der  Marienkirche  Anlafs 
worden.  Der  ,.K  ühleBrunnen“  und  die  zugehörigen  Häufer am  Markte  (an 
Stelle  der  Lampertikapelle  eben  neu  erbaut)  waren  von  Hans  Schönitz  durch 
des  Cardinals  Mittel  zu  einem  Abfteigequartier  für  den  letzteren  pomp- 
haft eingerichtet,  aber  die  Marienkirche  mit  ihrem  Friedhöfe  und  Beinhäufern 
bot  keinen  angenehmen  Anblick  und  hinderte  die  Ausficht  auf  den  verkehrs- 
reichen Marktplatz;  auch  mochte  fie  denVerkehr  vor  diefen Schönitz'fchen 
Haufem  beeinträchtigen.  Es  wird  dann  von  einem  Geldlchatze  mit  Briefen 
über  die  Freiheit  der  Stadt  Halle  gemeldet,  welcher  zwifchen  den  Haus- 
mannsthürmen verborgen  gewefen  und  nachher  aufgefunden  fei;  fchliefslich 
Men  auch  Rückfichten  auf  Gelderfparung  für  die  Unterhaltung  der  Geitl- 
iichen  an  einer  ftatt  an  zwei  Kirchen  mitgewirkt  haben,  um  den  Cardinal 
zu  Verhandlungen  mit  dem  Rathe  der  Stadt  zu  bringen. 

Hs  möge  dahingeftellt  sein,  wie  viel  von  dem  wahr  ift,  was  er  vorgab, 
als  er  1529  den  Rath  der  Stadt  mit  feinem  Vorhaben  Bekannt  machte,  ficher 
fcheint,  dafs  der  wahre  Grund  auch  diefes  mal  kein  anderer  gewefen  ift, 
als  der,  welcher  ihm  bereits  eine  Anzahl  anderer  schöner  kirchlicher  Ge- 
bäude überflüffig  und  zum  Abbruch  geeignet  gemacht  hatte,  und  der  lediglich  in 
feinen  ftändigen  Geldnöthen  zu  fuchen  ist.  Ohne  Frage  war  Albrecht  auch 
«n  kunftliebender  Mann  und  llets  voll  grofsartiger  Baupläne,  allein  be- 
I züglich  der  letztem  war  er  nicht  ohne  Nebenabfichten.  Seine  Baupläne 
1 durchzuführen  verfchaffte  er  lieh  die  Gelder  auf  eine  zu  barbarifche  Art, 
und  die  Ausführung  blieb  meil’tentheils  zu  fehr  hinter  den  vollklingenden 
Verfprechungen  zurück,  um  nicht  erkennen  zu  lalten,  dafs  es  bei  dem  Ab- 
bruch fchöner  und  feiler  Bauten  (ich  nicht  lediglich  um  die  Gewinnung 
des  Baumaterials  und  bei  der  Umänderung,  Einziehung  und  Aufhebung  der 
Pfarreien,  der  Kirchenfchätze  und  Kloftergüter  fich  nicht  allein  um  den 
Nutzen  der  Kirche  und  der  Religion  überhaupt  gehandelt  habe.  Die  Neben- 
abficht  Albrechts  oder  wohl  feine  geheime  Hauptabficht  war  es,  auf  diefe 
Weife  feine  leeren  Tafchen  wieder  etwas  füllen  zu  können,  trab  es  auch 
Verftändige,  die  fein  Treiben  durchfchauten,  fo  machte  ihn  doch  feine 
fieberhafte  Bauthätigkeit , die  Vielen  Arbeit  gab,  beliebt,  und,  indem  fo  das 
allgemeine  Leben  zu  grofsen  Wellen  aufgeregt  wurde,  fifchte  er  im  Trüben. 

"er  konnte,  ja  wer  durfte  nachfehen,  wo  fchliefslich  all  das  Geld  blieb, 
welches  für  die  Neubauten  bellimmt  und  dem  Namen  nach  auch  ausge- 
geben worden  war.  , 

Sein  Vorfchlag  über  den  Abbruch  und  die  Vereinigung  der  beiden  BjuanUng. 
Kirchen  tand  wenig  Zuftimmung  bei  dem  Rathe  und  den  Bürgern,  nichts 


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Beschreibung  des 

(ri  umiriffirs. 


Orienliruny. 


Die  Hausmann*- 
thürme. 


Die 

blauen  l hürmc. 


8 DIE  STADT  HALLE  u.  d SAALKREIS. 


defto  weniger  wufste  er  es  durch  einige  ihm  ergebene  Rathsherren  dahin 
zu  bringen,  dafs  die  Angelegenheit  trotzdem  in  F'lufs  kam  und  152g  am 
27.  Mai  die  Vereinigung  beider  Gemeinden  wirklich  gefchah.  Bald  darauf 
begann  man  dann  auch  mit  dem  Abbruch  der  Marienkirche,  und  zu  Anfang 
des  folgenden  Jahres  wurde,  nachdem  fich  die  Mauern  der  Gertrudenkirche 
zur  Benutzung  untauglich  erwiefen  hatten,  die  neue  Kirche  fundamentirt. 

Wie  lieh  der  Bau  dann  fortentwickelte,  werden  wir  weiter  unten  fehen, 
wenn  wir  über  den  Grundrifs  orientirt  find.  Ein  Blick  auf  Figur  1 zeigt 
die  drei  Theile,  aus  denen  die  Kirche  zufammenge fetzt  ift,  ganz  deutlich. 
Das  zwifchen  die  beiden  Thurmpaare  erbaute  Langhaus  schliefst  fich  nur 
den  blauen  Thürmen  regelrecht  an,  während  es  zu  den  Hausmannsthürmen 
fchiefwinklig  und  unfymmetrifch  lieht  dadurch,  dafs  es  in  Norden  zu  weit 
vorfpringt.  Man  fieht  hieraus,  dafs  diu  Richtung  der  beiden  alten  Kirchen 
nicht  genau  übereinftimmte,  wie  denn  überhaupt  in  alter  Zeit  die  Orien- 
tirung  der  Gotteshäufer  in  der  Linie  von  Ollen  nach  Wellen  nur  nach 
ungefährer  Annahme  ausgeführt  wurde  und  auf  Genauigkeit  nicht  immer 
Anfpruch  hat. 

Eine  reguläre  Choranlage  tehlt  natürlich  unter  diefen  Umftänden: 
an  deren  Stelle  find  die  Hausmannsthürme  getreten.  Der  Raum  zwifchen 
beiden  Thürmen  enthält  unten  die  Sakrillei,  der  füdliche  Thurm,  von  hier 
aus  zugängig,  bildet  einen  Aufbewahrungsraum,  und  der  nördliche  den  Trep- 
penaufgang zu  der  llausmannswohnung  in  den  oberen  GefchofTen.  Man 
fieht,  dafs  auch  von  dem  Kircheninnern  ein  Zugang  zu  diefem  Treppenraume 
llattfindet;  da  die  Wendeltreppe  aber  doppelt  und  fo  conftruirt  ift,  dafs 
die  beiden  gewundenen  Treppenläufe  eine  gemeinfame  Spindel  haben,  so 
kann  man  von  einem  zum  andern  Laufe,  defien  Unterfeite  man  beftändig 
fieht,  dennoch  nicht  kommen.  Man  gelangt  hier  nur  zu  dem  erden  Ober- 
geschofs  der  Thürme.  Die  tiefe  Mauernifche  feitlich  des  letztbefprochenen 
Einganges  läfst  nicht  erfehen,  wozu  fie  gedient  haben  könne,  wohl  möglich, 
dafs  hier  die  Thurmtreppe  der  älteften  Zeit  lag,  aber  Refte  find  davon 
nicht  mehr  vorhanden.  Die  Hausmannsthürme  haben,  obwohl  noch  in 
mehren  Gefchofsen  zu  einem  Oblongum  — oben  mit  abgedumpften  Ecken 
— durch  Verbindungsmauern  refp.  Bögen  zufammengefafst,  von  unten  auf 
jeder  eine  selbftändige , quadratifche  F'orm,  die  fich  fpäter  in  ein  Achteck 
überfetzt.  Die  Mauerftärke  ift  da,  wo  ehemals  die  Kirche  angebaut  war, 
geringer  als  da,  wo  die  Thürme  vordem  ganz  frei  Händen:  das  kann  man 
wenigftens  an  dem  füdlichen  Thürme  noch  fehen,  der  nördliche  läfst  durch 
die  Treppe  aus  fpäterer  Zeit  das  nicht  mehr  gleich  erkennen.  Als  nun  fpäter 
die  Kirche  fortgenommen  war,  die  öftliche  fchwächere  Mauer  des  ftützen- 
den  Schiffes  enbehrte  und  ein  Aufbau  die  Lall  vergröfserte,  wurden  die  kräftigen 
Strebepfeiler  in  Often  nöthig,  ebenfo  entftanden  um  diele  Zeit  die  fchwachen 
(Juermauern  unter  den  Verbindungsbögen  der  Thürme.  Die  beiden  kleinen 
Pfeiler  find  eine  Zuthat  unferes  Jahrhunderts;  wir  kommen  darauf  zurück. 

Zeitlich  folgen  nun  die  blauen  Thürme;  ihr  Grundrifs  bietet  kein  er- 
hebliches Intereffe.  weil  fie  zu  Ende  des  15.  Jahrhunderts  recht  fchmucklos 
gemacht  lind.  Das  Oblongum  ihrer  Umfassungsmauern  wird  durch 


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DIE  KIRCHE  ZU  U.  I..  FRAUEN.  1} 

zwei  fchwache  Wände,  über  denen  hoch  oben  auf  Bögen  viel  ftärkere 
Thurmmauem  liehen , in  drei  Räume  getheilt.  Vier  Strebepfeiler  ver- 
stärken die  Weftfront,  in  deren  Mitte  ein  Portal  liegt.  Es  führt  in 
den  mittleren  Raum;  er  dient  jetzt  als  Taufkapelle  und  öffnet  fich  in 
weiter,  fehr  hoher  Oeffnung  gegen  das  Mittelfchiff.  Die  beiden  andern 
Räume  unter  den  eigentlichen  Thürmen  dienen  zum  Aufbewahren  von 
allerlei  Gegenftänden.  In  der  füdölllichen  Ecke  des  füdlichen  bemerkt 
man  eine  Mauernifche;  es  fcheint  unzweifelhaft  hier  früher  eine  Verbindung 
mit  der  Treppe,  welche  jetzt  erft  im  Obergefchofs  beginnt  und  durch  das 
aufsen  angebaute  Fachwerksthürmchen  zugängig  ift,  ftattgefunden  zu  haben. 

Das  Langhaus  zw’ifchen  den  beiden  Thurmpaaren  ist  eine  dreifchiffige  Da*  Schiff. 
Hallenkirche  von  io  Jochen.  Ein  prächtiges  Xetzgewölbe  über  dem  ganzen 
weiten  Raume  ruht  auf  Pfeilern  von  regelmäfsiger  achteckiger  Grundform  mit 
flachconcaven  Seiten  ohne  jede  Gliederung  durch  Dienlle.  Die  entfprechen- 
den  Strebepfeiler  haben  mit  dem  Wölbefyflem  nichts  mehr  zu  fchaffen ; 
fie  verllärken  nur  die  Aufsenwände  im  Allgemeinen.  Diefer  Verzicht  aber 
auf  das  conftructive  Princip  kennzeichnet  sofort  im  Grundrifs  die  aller- 
fpäteste  Zeit  gothifcher  Bauweife.  Die  Seitenfchiffe  find  noch  einmal  ge- 
theilt durch  eingebaute,  lleinerne  Emporen,  die  auf  Pfeilern  von  der  Grund- 
form der  grofsen  zwifchen  den  Schiffen  ruhen  und  auch  netzartige  Gewölbe 
haben.  Auch  an  der  Oll  - und  Wellfeite  ziehen  fich  die  Emporen  in  etwas 
höherer  I-age  durch.  In  den  beiden  weltlichen  Ecken  der  Seitenfchiffe 
fpringen  Wendeltreppen,  die  Aufgänge  zu  den  Emporen,  in  das  Kirchen- 
innere vor;  ebenfo  dient  die  Treppe  in  dem  nordölllich  angebauten  Thürm- 
chen  als  Emporenaufgang.  Im  Ollen  bei  den  I lausmannsthürmen  lieht 
der  Altar  auf  einer  4 Stufen  hohen  Erhebung  des  Bodens.  Letztere  erllreckt 
fich  über  zwei  Joche;  fie  hat  aber  nur  in  ihren  beiden  unterllen  Stufen 
urfprünglich  bellanden,  und  ihre  feitlichen  Fortfetzungen  unter  den  Em- 
poren find  auch  zweillufig  geblieben;  erd  vor  einigen  Jahrzehnten  hat 
Schinkel  in  nicht  gerade  lobenswerther  Weife  noch  zwei  hinzugefügt,  damit 
der  Pfarrer  belfer  zu  fehen  fei.  An  feinem  füdlichen  1 lauptpfeiler  liegt  die 
Kanzel  in  der  Mitte  der  Kirche,  wenn  man  den  Altarplatz  abrechnet.  Aus 
dem  Grundrilfe  läfst  fich  noch  erfehen,  dafs  vier  1 laupteingänge  in  das 
Schiff  führen,  von  denen  je  zwei  einander  gegenüberliegen;  eine  kleinere  Thür 
jederfeits  im  Westen  macht  die  Wendeltreppen  zu  den  Emporen  von  aufsen 
zugängig.  Eine  bei  der  Marktkirche  wohl  erhaltene  und  fehr  merkwürdige 
Einrichtung,  zumeift  der  Barockzeit  entftammend.  ift  im  Grundrifse  mit  an- 
gegeben worden,  nämlich  die  Stübchen,  welche  den  Raum  zwifchen  allen  * 

Strebepfeilern  einnehmen  und  durch  eine  Mauerdurchbrechung  in  die  Kirche 
Einblick  geftatten.  Die  Portale  hat  man  dann  aufsen  ebenfo  überdacht, 
auch  der  Uebereinftimmung  wegen  verbaut  und  fie  dadurch  zwar  dem  An- 
blicke für  gewöhnlich  entzogen,  jedoch  trefflich  erhalten.  , 

Da  die  Kirche  aus  drei  urfprünglich  weder  zufammengehörigen,  noch  Da»  Acufsere. 
der  Zeit  und  alfo  dem  Stile  nach  zu  einander  paffenden  Theilen  befteht.  fc 
kann  ihr  Aeufseres  auch  keinen  einheitlichen  Gefammteindruck  machen. 

Der  religiösen  Ueberschwenglichkeit  im  15.  Jahrhundert,  die  in  üppigen 


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* 


10 


!>1K  STADT  HALLE  u.  d.  SA.U.KRF.IS. 


Dip  Hausmanns* 
thiirmc  ; 
der  romanifphe 
Thril. 


decorativen  Formen  zum  Ausdruck  gekommen  war,  folgte  in  der  erften  Zeit 
des  16.  Jahrhunderts  natürlich  eine  Ernüchterung.  Die  religiöfe  Zerfahren- 
heit, die  alfo  entlland,  weil  einer feits  die  bisherige  Lehre  nicht  mehr  genügte, 
and’ererfeits  dafür  noch  kein  neuer,  großartiger  und  zielbevvufster  (jedanke 
fich  völlig  durchgekämpft  hatte,  rief  eine  ebenfo  zerfahrene  und  nüchterne 
Baukunll  hervor.  Hier  find  die  Belege.  Das  Schiff  der  Marktkirche,  das 
ohne  Chor  ift  und  durch  je  zwei  hohe  Thürme  eine  Fagade  in  Wellen  und 
eine  in  Offen  hat,  widerfpricht  dem  Grundgedanken  des  kirchlichen  Bau- 
programmes, wie  es  feither  feftftand,  und  der  ganzen  nur  nach  Nützlichkeits- 
gründen zufammengeflickten  Anlage  fehlt  andererfeits  doch  auch  noch 
jeder  klar  zu  erkennende  Gedanke,  der  eine  entwickelungsfähige  Form 
annehmen  könnte.  Die  Marktkirche  fpräche  alfo  — das  Gotteshaus  iff 
immer  das  Stein  gewordene  Loblied  auf  die  Gottheit  — das  religiöfe  Be- 
wufstfein  ihrer  Iintftehungszeit  fichtbar  aus.  Wird  fich  das  im  Einzelnen 
beftätigen  ? 

Es  find  die  Hausmannsthürme , an  denen  die  alterten  Bauformen  auf- 
treten.  lieber  dem  Boden  erhebt  fich  auf  einem  Sockel  mit  Sims  zunächst 
ein  oblonges,  rechtwinkliches  Gefchofs  bis  zu  der  Höhe,  welche  die  Lang- 
hausmauern der  alten  Marienkirche  gehabt  haben  werden , und  geht  hier 
durch  Abfchrägung  der  Ecken  in  ein  zweites  Gefchofs  von  langer,  acht- 
feitiger  Gertalt  über.  Sieht  man  von  den  fpätern  Zuthaten  an  der  Oftwand 
ab,  von  den  zwei  grofsen  und  zwei  kleinen  Strebepfeilern  und  der  Fenfterwand 
zwifchen  letzteren,  l'o  ill  die  Wandgliederung  durch  Bogenfriefezwifchen  Lifenen 
im  unteren  (F'ig.  3 u.  4)  und  zwifchen  Säulchen  im  anderen  GefchofTe  bewirkt. 


IlausrnannMhürmc:  Lisenen  und  Rügen  frics  im  Ertlgcschofs. 


Auch  die  Bogenfriefe  find  verfchieden,  der  untere  führt  um  das  reiche  Lifenen* 
profil  herum  und  ift  zumeift  rundbogig,  der  obere  dagegen  hat  ein  einfaches 
Hohlkehlenprofil  und  ill  durchweg  fpitzbogig.  Erwähnt  mag  noch  werden,  dafs 
fich  an  der  Weftfeite  des  nördlichen  Thurmes  — jetzt  im  Innern  der  Kirche 
von  der  nördlichen  Empore  aus  zu  fehen  — ein  längliches  rechteckiges 
Fenfterchen  mit  romanifch  profilirtem  Gewände  an  alter  Stelle  erhalten  hat. 
Es  ergiebt  fich  aus  alle  dem,  dafs  die  Hausmannsthürme  in  dielen  Theilen 
der  Zeit  des  Uebergangsftiles  angehören.  Die  Urkunden  geben  von  der 
Gründung  der  alten  Marienkirche  zwar  keine  Nachricht , doch  werden  feit 
izio  die  Pfarrer  ( f'kbani, ),  welche  an  ihr  gewirkt  haben,  genannt.  Dafs  die 
Kirche  um  diefe  Zeit  fpäteftens  gebaut  wurde,  wahrfcheinlich  jedoch  im 


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DIF.  KIRCHE  ZU  U.  L.  FRAUEN. 


YVefentlichen  fchon  beftanden  hat,  erweitert  die  befchriebenen  Kundformen 
hinlänglich,  zumal  wenn  man  dazu  erwägt,  dafs  die  Thürme  bei  den  mittel- 
alterlichen Kirchenbauten  zuletzt,  d.  h.  nach  Beendigung  des  Schiffes  in 

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lUusmannslhurme : Sockel. 

Angriff  genommen  zu  werden  pflegten.1  Die  folgenden  beiden  Thurm-  liothifckerThcil. 
gefchofTe  gehören  fchon  der  frühgothi feiten  Zeit  an.  ln  dem  unteren  von 
ihnen  find  die  beiden  Thürme  noch  nicht  felblländig  entwickelt,  fondern 
durch  Verbindungsmauern  zufammengefafst,  löfen  fich  dann  aber  als  felb- 
ftäodige,  ackteckige  Prismen  los.  Auch  hier  iff  eine  Gliederung  durch 
üfenenartige  Eckverflärkungen  beibehalten,  zwifchen  denen  unten  ein 
Kleeblattfrics,  oben  ein  rechteckig  abgetreppter  Zickzackfries  umläuft. 

Hohe  Spitzbogenfenfler  mit  einfachem  (?)  Gewände,  welche  fich  hier 
befanden,  überfieht  man  leicht,  weil  diefelben  im  16. Jahrh.  zum  Theil  fogar 
mit  Back  deinen  vermauert  worden  und  jetzt  überhaupt  nur  noch  im  Innern 
des  Thurmes  zu  erkennen  find ; erhalten  haben  fich  jedoch  die  beiden  in  der 
örtlichen  Verbindungsmauer  zwifchen  den  Thürmen.  Ebenfalls  für  die 

HrbauungdiefesgothifchenThurmllücks  haben  wir  urkundliche  Anhaltepunkte.  , 

Im  Jahre  1Z75  wurden  nämlich  Ablafsbriefc  ausgegeben  für  folche,  welche 
unter  anderem  auch  den  Bau  der  „ecclcsic  . . . laudahilitcr  inchvate"  durch 
Geld  unterlfützen  teilten.  Der  Ausdruck  „inchvate“  kann  nicht  mehrbefagen, 
als  dafs  die  Kirche  aus  Geldmangel  noch  nicht  ganz  fertig  war  und  zwar 
nur  bezüglich  ihrer  Thürme,  weil  diefelben  aufser  den  Formen  der  eben 
vergangenen  Uebergangsperiode  in  den  erffen  Gefchofsen,  folche  in  diefen 

1 Vcrmuthlich  wurde  die  Marienkirche  von  den  hallefehen  Kauflcuten,  die  Gertrudenkirche 
von  den  Salzficdcrn  erbaut;  «fiefe  lag  unmittelbar  an  der  Halle,  jene  bei  den  Kaufläden.  Die 
Salzfieder  bauten  fich  eine  Kirche  in  einer  Zeit,  wo  die  Kaufleutc  noch  keine  Bedeutung 
batten,  und  ihr  Bauwerk  war  daher  weniger  gut  und  ohne  Luxus,  (etwa  in  Bruchftcinbahncn- 
mauerwerk  mit  Kckrjuadern,  wie  die  Dorfkirchen  der  Umgegend),  daher  denn  im  1 5.  Jahrhundert 
die  Gertrudenkirche  baufällig  wurde.  Die  Kaufleute  dagegen  halten  Mittel  und  konnten  etwas 
in* enden.  als  auch  fie  ein  Gotteshaus  errichteten,  die  Marienkirche,  die  niemals  fchadhaft 
geworden  ift  und  üppige  Formen  zeigte. 


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12 


DIK  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


Tkeil  der  Rc- 
naifLincc. 


beiden  Gefchofsen  aufweifen , die  aus  den  diefer  Zeit  zufammengebrachten 
Baugeldern  hergelfellt  fein  müffen.  Bis  zur  Endigung  diefer  gothifchen 
Theile  beftehen  die  Thürme  durchweg  aus  folidem  Quadermauerwerk  und 
die  Helme,  die  hier  anfingen,  wie  wir  gleich  nachweifen  wollen,  beifanden 
wohl  auch  aus  demfelben  Materiale,  fei  es  nun  als  volle  Pyramiden  oder 
als  durchbrochenes  Maafswerk;  jedenfalls  umkränzten  am  Fufse  Wimperge 
refp.  fpitze  Giebelchen  über  jeder  Achtecksfeite  die  Helme,  die  nun  bis 
etwa  zu  der  heutigen  Knopthöhe  emporgingen.  Das  fo  vollendete  und 
dauerhaft  ausgeführte  Gebäude,  kann  man  annehmen,  hat  ohne  gröfsere 
Reparaturen  in  diefem  Zultande  bis  1501  beflanden;  über  Bauarbeiten 
verlautet  nichts,  und  jüngere  Formen  kommen  auch  nicht  vor.  In  diefem 
Jahre  aber,  fchreibt -Oleari us,  feien  „die  Spitzen  der  Hausmanns-Thürme 
kegen  der  Pfarr“  abgetragen  worden.  Der  Plural  „Spitzen“  neben  dem 
Zufatze  „kegen  der  Pfarr"  fchliefst  aus  an  einen  oder  beide  1 leime  zu 
denken;  es  kann  fich  alfo  nur  uin  einige  Eckfialen,  Thürmchen  oder 
Giebelchen  an  der  Sohle  des  Helmes  „kegen  der  Pfarr"  handeln.  Denn  erlf 
1551,  nachdem  die  Marienkirche  inzwifchen  abgebrochen  und  die  neu 
angebaute  Marktkirche  vollendet  war,  wurden  derfelben  Quelle  zufolge  die 
„zwo  Hausmanns-Thürme  bis  auf  die  Simfe  abgetragen  und  wieder  auf- 
gemauert lampt  den  zwo  Pfeilern  gegen  den  Markt.“  Hier  find  die  Thurm- 
helme gemeint,  die  abgetragen  wurden.  Die  Simfe  aber,  von  denen  geredet 
wird,  waren  offenbar  diejenigen,  auf  denen  unmittelbar  die  Thurmhelme 
Ifanden,  und  von  denen  nun  durch  den  Baumeiller  der  neuen  Kirche,  Nickel 
Hofman,  die  jetzige  obere  Thurmparthie  in  Backltein  aufgemauert  wurde. 
Da  oben  verbindet  eine  kühne  F'Iachbogenbrücke , ehemals  von  Stein,  feit 
der  Reparatur  1837—39  aber  von  Holz,  die  beiden  Thürme  in  einer  höchil 
pittoresken  Weife.  Die  achteckige  Thurmform  nämlich  ilf  ohne  Gliederung 
zu  einem  hohen  Gefchofse  weiter  hinaufgeführt,  wo  fie  endet,  fpringt  das 
Mauerwerk  zurück,  um  einen  freien  Umgang  zu  fchaffen,  welcher  nach 
aufsen  gittergefchützt  ilf  und  durch  jene  Brücke  zufammenhängt.  Noch 
einmal  erhebt  fich  die  nun  minder  Harke  Achtecksform  zu  einem  niedrigen 
Gefchofse,  in  welchem  fich  die  Hausmannswohnung  befindet,  und  wird  dann 
von  einem  achteckigen  kupfernen  Kuppeldache  überdeckt.  Diefes  ilf  am 
Fufse  gar  zierlich  von  acht  Giebeln  umkränzt,  die  den  Seiten  entfprechen 
und  eine  knopfgekrönte  Efelsriickenform  haben.  1 lier  mufs  bemerkt  werden, 
dafs  1704  eine  gründliche  Reparatur  diefer  Thurmendigungen  vorgenommen 
wurde,  wobei  aber  die  allgemeine  Form  nicht  verändert  worden  ilf.  Bei 
genauer  Betrachtung  lieht  man,  dafs  auch  die  Kuppellinie  fich  zweifach, 
convex  und  concav,  biegt  und  auf  die  Weife  in  eine  verhältnifsmäfsig  grofse, 
achteckige  Laterne  gefällig  übergeht.  Den  Innenraum  einer  jeden  Laterne 
füllt  eine  Glocke,  die  nicht  geläutet,  fondern  nur  angefchlagen  werden  kann, 
ganz  aus.  Die  Bedachung  diefer  Laternen  ilf  wieder  eine  giebelkranz- 
gefckmückte,  doppelt  gebogene  Kuppel,  gleichfam  eine  Copie  im  ver- 
kleinerten Maafsffabc  von  der  grofsen  Kuppel,  aul  der  die  Laterne  lieht. 
Die  aufwärts  fich  biegende  Dachlinie  läuft  in  den  Mäkler  aus  und  endet 
fchliefslich  in  einem  Knopfe.  An  Stelle  des  im  Mittelalter  üblichen  Hahnes 


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DIK  KIKCHE  7X  I’.  L.  FKAl’F.N. 


'3 


lieht  als  Wetterlahne  über  jedem  Knopfe  ein  geflügeltes  Kinderfigürchen 
aas  Blech  gefchnitzt,  fudlich  mit  Pfeil  und  Bogen,  nördlichmit  einer  Fahne(?). 

Gleich  diefe  eigenartige  Bekrönung  möge  den  Anknüpfungspunkt  bilden, 
auf  den  veränderten  Sinn  hinzuweifen,  derdiefem  Hofman’fchen  Backfteinbau 
innewohnt  gegenüber  den  unteren  Gefchofsen;  denn  hier  thut  lieh  doch 
augenfällig  die  Vorliebe  für  antike  Reminiscenzen  kund,  die  mit  der  Renaiffance 
erwachte.  Das  Symbol  der  chriftlichen  Wachfamkeit,  der  Hahn  — nicht 
ohne  Grund  faß  immer  fchreiend  d.  h.  mit  geöffnetem  Schnabel  dargeftellt  — 
verfchwindet  von  dem  Gotteshaufe,  um  einer  Amorette,  einem  Windsgotte 
einem  beliebigen  Genius,  jedenfalls  alfo  einer  heidnifchen  Darßellung  Platz 
zu  machen.  An  die  vorchrillliche  Weltanschauung  erinnern  besonders  auch 
die  Kuppeln  und  die  aufgefetzten  Laternen,  obwohl  ihr  Efelsrückenprofil 
und  die  Anordnung  der  Giebelchen  fie  andererfeits  auch  als  eine  Folge 
gothifcher  Weife  erfcheinen  läfst.  So  entliehen  überhaupt  die  verfchieden- 
artigen  Formen  einer  neuen  Stilperiode  folgerichtig  nach  den  allgemeinen 
Gefetzen,  nie  willkürlich,  abhängig  von  der  feither  üblichen  Art  und  hervor- 
gerufen durch  die  veränderten  Bedürfniffe.  Bezeichnend  für  die  mildere 
neue  Zeit  ift  auch  der  praktifche  Zweck  diefes  Aufbaues,  nämlich  als 
Wohnung  für  den  Hausmann  zu  dienen,  welcher  zum  Nutzen  aller  Einwohner 
der  Stadt  bei  Nachtzeit  da  oben  Wache  halten  foll,  dafs  nicht  Feuer  des 
Bürgers  Habe  gefährde;  er  bläfet  zu  Abend  mit  einer  frommen  Weife  den 
Frieden  herab  über  das  Häufermeer  ringsum. 

Dafs  Hofman  durch  feinen  Aufbau  von  Backllein,  der,  fchwerer  als  Charakter, 
die  alten  Helme,  nun  auch  jene  Mauerverftärkung  durch  die  beiden 
ungefchlachten  Strebepfeiler  an  der  Oftwand  unten  erforderlich  machte, 
das  Gefammtbild  der  Thürme  gehoben  hätte,  kann  man  nicht  fagen. 

Letztere  erfcheinen  zu  hoch,  ohne  Abwechfelung  der  achteckigen  Form, 
auch  ift  es  ein  Verftofs  gegen  den  Gefchmack,  das  Material  zu  ändern  »ohne 
erfichtlichen  Grund.  Das  Verlländnifs  für  ein  einheitliches  Bild  fehlte  eben  der 
Zeit,  wie  ja  fchon  die  Zufammenlloppelung  der  ganzen  Kirche  darthut.  ln- 
deflen  giebt  es  wenige  Beifpieje  von  Thurmabfchlüffen,  die  die  Tendenz  der 
Renaiffance  im  Gegenfatze  zu  der  Gothik  fchärfer  charakterilirten  und  dabei 
gleich  keufche  Formen  zeigten,  wie  diefer  Kuppelaufbau.  Statt  der  immer 
dünner  werdenden  F orm,  die  bei  den  Hauptverkündigern  der  mittelalterlichen 
Benkweife,  den  grofsen  Domen,  obendrein  durchbrochen,  alfo  ganz  durch- 
sichtig ift  und  damit  ihre  Körperlichkeit  vollends  verleugnen  möchte,  ftatt 
delTen  behält  die  Silhouette  der  Hofman’fchen  Renaiffancethurmenden  bis 
oben  hinaus  eine  umfangreiche  Maffe  voll  körperlichen  Stoffes,  welche  fich 
in  klar  erkennbaren,  ftark  markirten  Ablatzen  dem  unendlichen  Nichts  des 
Himmels  entgegenftellt  und  mitnichten  daran  denkt,  indem  blauen  Ilimmels- 
dunlte  fich  zu  verflüchtigen.  Da  ift  nichts  mehr,  was  durch  seine  Gellalt  an 
den  mittelalterlichen  Spiritualismus  erinnert,  der  lieh  fo  unvergleichlich  fchon 
in  der  pyramidalen  F’orm  der  Thürme,  befonders  der  Helme  feither  kundge- 
geben hat;  für  diefe  Verlinnbildlichung  des  rein  Geiltigen  erfcheint  jetzt  da 
oben  hoch  über  dem  Getriebe  der  Menfchen  die  Achtbare  Verkündigung  der 
Recht  der  Materie,  d.  i.  der  Rechte,  welche  das  irdifche  Dafein  nun  einmal 


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Die  jfingften  Zu* 
thuten. 


Inneres. 


14  DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKKKIS. 


natürlicherweife  beanfpruchen  darf  und  welche  Jahrhunderte  lang  durch 
knechtende  Anmafsungen  des  Geifies  nicht  waren  anerkannt  worden.  Das 
ifl  der  esoterifche  Sinn  der  exoterifchen  Form  diefer  Kuppeln. 

Es  erübrigt  noch  zu  bemerken,  dafs  mit  dem  Abbruch  der  alten 
Marienkirche  auch  die  bereits  erwähnte,  bogenausfüllende  Wand  im  Erd- 
gefchofs  an  der  Wellfeite  fammt  ihrem  Fenfler  für  die  Sacriftei  nöthig 
wurde.  Unzugehörig  und  llilwidrig  find  auch  die  l'chon  genannten  kleinen 
Strebepfeiler  mit  einem  Blendgiebel  dazwifchen  zur  Umrahmung  des  Fenllers. 
Sie  find  vor  einigen  Jahrzehnten  gemacht,  weil  die  füllende  Wand  wahr- 
fcheinlich  in  Folge  fchlechter  Verzahnung  mit  dem  älteren  Thurmmauerwerk 
lieh  löfte.  In  diefer  Hinficht  haben  fie  allerdings  einen  conftructiven  Sinn, 
übrigens  aber  haben  fie  mit  dem  baulichen  Organismus  der  Kirche  ebenfo 
wenig  gemein,  wie  die  grofsen  Strebepfeiler  diefer  Seite;  beide  find 
fteinerne  Nothlügen,  die  modernen  ein  wenig  gefchmückt.  Nur  unsere  Tage 
haben  das  alles  noch  zu  überbieten  verllanden:  weil  ficli  die  Mittel  nicht 
hätten  finden  lafsen  zu  einer  Reftauration  in  echtem  Material,  fo  find  1882 
die  Thürme  von  oben  bis  unten  gleichmäfsig  grau  abgeputzt  worden  in  — 
Cement!  — 

Befehen  wir  hierauf  das  Innere  der  Thürme.  Durch  den  Eingang  an 
der  Nordfeite  des  nördlichen  Thurmes  kommt  man  zu  der  Treppe  für  die 
Wohnung  des  Wächters.  Unten  als  maffive,  doppelte  Wendeltreppe  con- 
flruirt,  wie  bei  der  Grundrifsbefprechung  gefagt  wurde,  nimmt  fie  den 
ganzen  Innenraum  ein,  indem  die  verbleibenden  Zwickel  mit  Mauerwerk 
ausgefüllt  worden  find.  Sie  ill  jedenfalls  zugleich  mit  der  Hausmannswohnung 
entllanden  im  16.  Jahrhundert  als  ein  recht  bezeichnendes  Merkmal  ihrer 
Zeit,  eine  der  ergrübelten  Conllructionsfpielereien,  an  denen  die  Steinmetzen 
damals  fo  viel  Gefallen  fänden.  Andere  Treppen  von  Stein  und  Holz  fuhren 
nun  weiter  hinauf.  Man  fieht  einige  Thüren  zum  Kirchenboden  und  die 
vermauerten,  fpitzbogigen  F'enster  der  frühgothifchen  Epoche.  Endlich 
kommt  man  zu  ‘den  Stuben  des  Hausmannes  und  damit  auch  auf  den  Gang 
um  beide  Thürme  und  über  die  Brücke.  Da  ill  denn  eine  fchöne  Ausficht 
über  Stadt  und  Feld,  über  Wiefen  und  Wald.  Tief  unten  liegt  da  der 
menfchenbelebte  Marktplatz;  eine  gemullerte  Pflallerung  gleicht  von  hier  aus 
einem  grofsen,  künlllichen  Teppiche.  Auf  der  andern  Seite,  welcher  Gegen- 
fatz!  breitet  lieh  hin  die  Halle,  ein  Platz  fo  unwirthlich,  als  ob  die  ordnende 
I Iand  der  Menfchen  hier  niemals  thätig  gewefen  wäre , und  doch  ill  gerade 
hier  die  Stelle,  wo  zuerll  Hütten  erbaut  wurden,  die  Menfchen  durch  fried- 
liche, wohlgeregelte  Handtirung  ihr  Leben  gewannen  und  fo  diefe  Stadt 
gründeten.  Viele  Jahrhunderte  war  hier  auch  das  Herz  der  Stadt,  die,  hätte 
es  feine  Thätigkeit  eingelleilt,  wäre  verloren  gewefen  ; nun  liegt  alles  fchon 
Jahre  lang  llill  da;  das  Herz  der  Stadt  ruht  aus,  um  wohl  in  nicht  mehr 
fernen  Tagen  von  Neuem  ein  Brennpunkt  des  llädtifchen  Verkehrs  zu 
werden.  Doch  kommen  wir  zurück  zu  unferm  Thema  und  alfo  zu  den  hoch 
gelegenen  kleinen  Stuben  des  Hausmanns.  Eine  Oeffnung  in  der  Decke 
derfelben  leitet  auf  Leitern  durch  das  enge  Sparrenwerk  in  der  Kuppel  bis 
zu  den  Laternen,  wo  die  Glocken  hängen.  Auf  dem  nördlichen  Thürme  ifl 


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1>1K  KIKCHK  ZC  U.  L.  FRAL’KN. 


15 


die  Schlagglocke,  welche  als  folche  ohne  Klöppel  im  Innern  ilt,  fie  hat  Glocken, 
eine  Harke  Rippe  und  0,95  m DurchmefTer.  Eine  Inschrift  fehlt  ihr;  fie 
macht  den  Eindruck,  als  fei  fie  für  ihren  Zweck  (und  Ort)  gegolten.  Die 
auf  dem  füdlichen  Thurme  hängende  Sturmglocke  mifst  1,35  m im  Durch- 
meller.  Aus  ihrer  flachen,  gedrückten,  barocken  Form  erfieht  man,  dafs 
fiedem  18.  Jahrhundert  angehört;  es  ift  wohl  ihre  Vorgängerin,  von  der 
Olearius  fchreibt,  dafs  fie  1570  den  14.  Juli  auf  den  Thurm  gebracht  fei. 

Die  Ueberbleibfel  der  andern  Kirche,  welche  in  der  Marienkirche  Bbuc  Thiirme. 
aulgegangen  ift,  find  die  blauen  Thürme,  ehemals  zugehörig  zu  der  Gertruden- 
kirche, die  auch  dem  h.  Laurentius  gewidmet  war.  Schon  1121  mufs  das 
Gebäude  vorhanden  gewefen  fein,  da  in  diefem  Jahre  die  Pfarrkirche  dem 
Klolter  zum  Neuen  Werk  unterllellt  wird.  Darf  man  annehmen,  dafs  die 
in  die  jetzigen  fpätgothifchon  Thürme  vermauerten  romanilchen  Baureife 
den  erllen  Thürmen  angehört  haben,  fo  würde  man  die  Erbauungszeit 
wohl  nicht  vor , die  zweite  Hälfte  des  11.  Jahrhunderts  verlegen  können. 

Auch  1182  wird  die  Kirche  noch  einmal  mit  Bezug  auf  jenes  Klofter 
genannt.  Seit  1210  werden  ihre  Pfarrer  angeführt.  Um  1295  und  1298  find 
es  wieder  Ablafsbriefe,  die  mit  zur  Erlangung  von  Baugeldern  — wohl  zu 
Reparaturen  oder  zur  weiteren  inneren  Ausfchmückung  — ausgefchrieben 
werden.  1332  erweitert  man  den  I-riedhol  um  fie  herum  durch  den  Abbruch 
eines  Kaufes.  1456  läfst  der  bekannte  reiche,  aber  unglückliche  Nicolaus 
Schildberg  auf  feine  Köllen  ein  ganz  neues  Dach  machen,  dennoch  war  fie 
fchon  gegen  Ende  des  15.  Jahrhunderts  fehr  fchadhaft.  letztere  Bemerkung 
der  Chronilfen  mag  fich  vornehmlich  auf  die  Thürme  beziehen,  weil  deren 
untere  Gefchofse  der  Technik  nach  in  diefer  Zeit,  alfo  nicht  fehr  lange  vor 
dem  Abbruch  des  Schiffes,  neu  erbaut  worden  find;  auffällig  dabei  ilt 
freilich,  dafs  urkundlich  über  diefe  Thurmveränderung  nichts  verlautet.1 
Den  Namen  „blaue  Thürme"  giebt  es  übrigens  erlt  feit  der  F’ertiglfellung 
der  jetzigen  zu  Anfang  des  16.  Jahrhunderts,  und  er  kommt  von  der  dunkel- 
blauen Schiefereindeckung  der  Helme  her. 

Die  unteren  Thurmmauern  find  als  ein  oblonges  Rechteck  in  Bruch- 
(leinen  ausgeführt;  hin  und  wieder  bemerkt  man  romanifche  und 
nichtsfagende  gothifche  Theile  vermauert,  abgefehen  von  einigen 
Maafswerksfenltern,  die  mit  dem  jetzigen  Schiffe  zugleich  entlfanden  fein 
mögen;  nachträglich  lind  auch  in  Norden  und  Süden  einige  Fenlter- 
täfchen  der  RenailTance  angebracht  worden.  Die  Wellfagade  hat  in-  » 
mitten  ein  unbedeutendes,  fpätgothifch  gegliedertes  Portal  und  ilt  durch 
vier  ganz  häfsliche,  lange,  langweilige  Strebepfeiler  ohne  Zierrath 
verlfärkt.  Aufser  dem  Portal  ilt  das  Sockelfims  die  einzige  Kunltform  der 
Entlfehungszeit ; es  ladet  weit  aus  und  ilt  von  häfslicher  Zeichnung.  Diefer 
hohe  untere  Theil  hat  keine  wagerechte  Gliederung,  er  fchliefst  mit  einem 

1 Ob  die  alle  Gertrudenkirchc  anfangs  überhaupt  fchon  zwei  Thiirme  hatte,  wiffen  wit 
nicht;  zu  ihrer  Entftehuilgszeit  waren  die  Hallenser  zu  luxuriöfen  Bauten  wohl  kaum  fchon 
reich  genug.  — Von  einiger  Bedeutung  mag  fein,  dafs  ein  Manufcript  der  Magdeburger 
Stadtbiblinthek  (abgedruckt  bei  Opel:  .M.  Spittendorf  S.  im  Jahre  1464)  das  Zufammengemaucrt 
werden  der  Thürme  mit  dem  Schifl'e  erwähnt. 


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■6 


1>IE  STADT  HALTE  n.  d SAALKftKiS. 


mageren  Gefimfe  über  den  Pfeilern  ab.  Dann  folgen  zwei  durch  ein  ähnliches 
Sims  getrennte  Gefchofse,  ebenfalls  in  Bruchfteinen.  Das  Mauerwerk  beider 
ift  gleichzeitig,  aber  fpäter  als  das  der  unteren  Partie.  Man  erkennt  bei 
genauer  Prüfung,  dafs  beide  Thürme  urfprünglich  hier  fchon  eine  felb- 
ftändige  quadratifcheForm  hatten,  imAeufseren  an  der  Quadratverzierung  der 
vier  Ecken,  diefich  zumTheil  erhalten  hat,  (auch  die  beiden  WafTerfpeierftnd  alt), 
im  Inneren  an  dergleichen  Mauerftärke  der  Querwände  zu  den  Außenwänden- 
Die  Verbindung  [lammt  erd  aus  der  Zeit  des  jetzigen  Schiffes,  welches  mit 
feinem  gewaltigen  Dache  zu  diefer  Höhe  hinaufreicht.  Das  gefammte 
Gemäuer  von  unten  auf  bis  hierher  ill  fehr  ungleichmäßig,  es  finden  fich 
Partien  in  grofsen  glatten  Quadern  und  andere  in  kleinen  unregelmäßigen 
Stücken;  es  mülfen  eben  die  Steine  verfchiedener  älterer  Bauten,  wie  man 
fie  gerade  hatte,  dazu  verbraucht  worden  fein.  Es  finden  fich  auch  ganze  Fenller- 
gewände  aus  romanifcher  Epoche  hier  hoch  oben  wieder  eingefetzt  neben 
folchen  mit  fpätem  Maafswerk  aus  diefer  Zeit.  Dafs  der  an  den  Ecken 
befindliche  Rundllab  auch  einmal  ein  ganzes  Gefchofs  hindurch  jedoch  nur 
an  einer  Ecke  fehlt,  ift  eine  ebenfolche  Sonderbarkeit,  wie  dafs  eben  diefer 
Rundllab  an  der  Südoftecke  des  iudlichen  Thurmes  ohne  erfichtlichen  Grund 
die  Ecke  verläfst,  um  fich  dann  an  bezw.  in  der  Wand  hinabzuziehen.  Das 
letzte  Gefchofs  ift  von  Backfteinen  und  hat  eine  achteckige  Geftalt.  Die  Zier- 
rathe  gleichen  durchaus  denen  in  Sandftein  am  rothen  Thurme;  auf  dcyi  Ecken 
nämlich  find  angeklebt  erfcheinende  Fialen , welche  auf  Rundftäben  liehen, 
und  unter  dem  Dachfimfe  läuft  ein  zierlicher  Kleeblatt -Bogenfries  um.1 
In  der  That  hat  denn  auch  derfelbe  Meifter,  welcher  den  rothen  Thurm 
vollendete,  diefe  Thürme  zu  Ende  geführt;  die  in  die  Thurmknöpfe  einge- 
legten Infchriften  befagen,  dafs  der  nördliche  1507,  der  Eidliche  1513  fertig 
geworden  fei:  „per  providum  Michaelem  W' olkenstein  ad  Dei  honorem  incly- 
tcque  Gertrudis  laudeni  ac  totins  urbis  specimen  et  deeorem."  - 

Das  Dach  felbll  ift  heute  nur  eine  fehr  einfache  fchlanke,  achtfeitige 
Pyramide,  die  fich  am  Fufse  durch  Auffchieblinge  unter  Harkern  Winkel 
verbreitert,  übrigens  glatt  in  einer  graden  Linie  bis  zum  Knopfe  hinaufgeht. 
Diefer  ift  mit  106  Spitzen  „jede  einer  halbe  Elen  lang“  wie  eine  Hechel  mit 
Stacheln  befetzt;8  die  Spitzen  eingerechnet  foll  der  Thurm  gerade  100  m 
hoch  fein.  Thurmhelme  mit  fo  profaifchen  Umriften  können  unfere  Vor- 
fahren zu  diefer  Zeit , fo  hausbacken  in  vieler  l linficht  fie  auch  fein  mochten, 
unmöglich  gefchaffen  haben;  das  entgeht  dem  nicht,  der  die  Schriftzüge 
der  Baukunft  lefen  kann.  Das  Ausfehen  der  Helme  war  denn  auch  wirklich 

* Diese  Ornamente  find  in  den  vierziger  Jahren  des  gegenwärtigen  Jahrhunderts  wohl  in 
Anfchhifs  an  die  ehemalige  Form  erneuert  worden. 

- Es  mufs  indeffen  bemerkt  werden,  dafs  Wolkenftein  nach  dem,  was  wir  über  ihn  aus 
der  Knopfinfchrift  des  rothen  Thurmes  er  fahren  (fiehe  diefe),  nur  der  Zimmerineifter  der  Helme 
gewefen  fein  kann.  Den  Formen  nach  fcheint  unzweifelhaft,  dafs  der  am  letzten  Gefchoffe  des 
rothen  Thurmes  infchriftlich  genannte  Johannes  Rot  auch  das  Mauer  werk  des  letzten  Gefchoffcs 
der  blauen  Thürme  ausgefühlt  hat,  doch  wird  darüber  nichts  gemeldet. 

a Ueber  den  Zweck  derfelben  vergl.  das,  was  darüber  bei  der  Befchreibung  des  rothen 
Thurmes  gemuthmafst  ift. 


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DIE  KIRCHE  7.V  r.  L.  KRAt'EH, 


ein  viel  gefälligeres.  An  ihrer  Sohle  erhob  fich  über  jeder  Achtecksfeite  je 
ein  fpitzes,  knopfgekröntes  Giebelchon  zu  einem  Kranze  ringsum,  und  der 


Die  ehemalige  fieftalt  der  blauen  Thürme  (nach  einem  Modelle 
in  der  Marienbibliothek). 

Helm  ging  nicht  langweilig  ohne  Unterbrechung  bis  zum  Knopfe  empor, 
fondem  war  etwa  auf  */j  feiner  Höhe  — im  goldenen  Schnitt  — getheilt.1 

1 Anm. : Vergl.  Beschr.  Darst.  der  alteren  Bau-  u.  Kunstdcnkm.,  Heft  2,  Kr.  Langen- 
salza, Fig,  20  und  Seite  48.  wo  fich  an  dem  alten  Slephanskirchthurme  zu  Langen- 
B.  D.  d.  Bau-  u.  Kunstd.  N.  F*  l.  2 


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Model! 

der  Marktkirche. 


Charakter  der 
blauen  Thürine. 


I« 


DIR  STADT  HALLE  u.  d.  SAAIJiKKIS. 


Hier  krönte  ein  zweiter  Kranz  von  Giebelchen  (?),  Blech-  oder  Schmiede- 
ei fen(?) Ornamenten 1 die  Luken,  die  noch  heute  vorhanden  find.  (F'ig.  5).  So 
gering  diefe  Zuthaten  fcheinen,  fie  reichen  hin  der  geleckten,  alles  Schmuckes 
baaren  Helmform  ein  reizvolleres  und  wahrhaft  würdiges  Ausfehen  zu  geben! 

In  der  Marienbibliothek  wird  ein  altes,  verfallendes  und  fchon  fehr 
befchädigtes,  aber  gutes  und  werthvolles  Modell  der  Kirche,  gehalten 
etwa  im  Maafsftabe  von  1 : 100  der  natürlichen  Gröfse,  aufbewahrt  und  ihm 
verdanke  ich  es,  mit  Beftimmtheit  die  ehemalige  Thurmform  und  einiges  andere 
angeben  zu  können.  Das  Modell  wird  zwifchen  1695  und  1704,  jedenfalls 
aber  vor  1749  entlfanden  fein.  Die  erftere  Jahreszahl  findet  fich  am  Modelle 
felbft,  wie  wir  fpäter  noch  zu  erwähnen  haben  werden;  1704  gefchah  urkund- 
lich eine  gründliche  Relfauration  der  blauen  und  der  Ilausmannsthürme,  bei 
der  wahrfcheinlich  die  Krone  über  den  Luken  befeitigt  ilt,  denn  1749,  als 
v.  Dreyhaupt  fein  Buch  (Befchreibung  des  Saal- Creyfes)  fchrieb,  wardiefelbe 
nicht  mehr  vorhanden,  wie  die  dort  gegebene  Abbildung  der  Kirche  darthut. 
Es  finden  fich  jedoch  dafelbft  noch  die  Giebel  am  Fufspunkte  der  Helme  rings- 
um in  fpätgothifcher  Art  mit  etwas  concaven  Linien  abgebildet.  Sie  haben  erll 
den  Platz  räumen  müfTen,  als  die  ehemalige  deutfche  Schieferdeckung  an  der 
untern  Hälfte  durch  die  jetzige  glatte  englifche  erfetzt  wurde.  Man  bekam  ja 
dadurch  weniger  Kehlen  und  Firlle ; und  der  baare  Nutzen  folcher  Conftruction 
leuchtete  der  trockenen  erften  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts  mehr  ein,  als 
alle  Poefie  der  mittelalterlichen  Silhouette.  Wes  Geifies  Kind  aber  ill  diefe 
Silhouette?  Auch  jenes,  der  die  Hausmannsthürme,  die  wir  befprochen 
haben,  vier  Jahrzehnte  fpäter  erzeugte,  oder  ifl  es  noch  ein  anderer?  Was 
hier  greifbare  Form  angenommen  hat,  ifl  das  letzte,  helle  Aufleuchten 
jener  romantifchen  Idee,  die  für  teuflifch  hielt  alle  irdifche  Freude  und  des- 
halb deren  Quelle,  den  irdifchen  Stoff,  das  F'leifch,  knechtete.  Nun  wohl, 
konnte  man  dem  Baumaterial,  diefem  irdifchen  Stoffe,  ohne  welchen  die 
Idee  doch  flumm  bleiben  würde , zumuthen , fich  mehr  zu  verleugnen  als 
durch  fo  wunderbar  kühne  Conllructionen?  Auf  äufserll  geringer  Bafis  er- 
heben die  Helme  lieh  bis  in  die  Wolken,  andeutend,  indem  fie  immer  fpitzer 
werden,  allmählich  immer  mehr  von  ihrer  körperlich  fichtbaren  Maffe  ver- 
lieren, wohin  der  Menfchen  Streben  gehen  foll:  abzulaffen  von  der  linnlichen 
Welt,  fich  aufzufchwingen  zu  den  überfinnlichen , himmlifchen  Höhen,  um 
immer  freier  von  irdifchem  Wefen  zu  einem  rein  geilligen , wiewohl  unnatür- 
lichen und  unerreichbaren  Zuliande  zu  gelangen. 


falza  dicfclbe  Helmtheilung,  bewirkt  durch  „ Schildchen  mit  verfchiedenen  Steinmetz- 
Zeichen“  (eine  höchst  finnreichc  Anordnung),  findet.  Ferner:  Heft  4,  Fig.  23  und  34, 
wo  die  Blafiuskirche  zu  Möhlhaufen  an  den  Thurmhelmen  fchon  zur  Uebergangszeil  diefe 
Theilung  aufweift.  — Wie  mir  fcheint,  hat  das  Verhältnifs  des  goldenen  Schnittes  fpeciell  in 
der  mittcralterlichen  Kunft  eine  Rolle  gefpielt,  während  die  Antike  und  Renaiffancc  das  ein* 
fächere  Quadrat  bevorzugte.  Der  Proportionierung  der  Bauwerke  ift  noch  zu  geringe  Auf« 
merkfamkeit  gefchenkt  und  jedenfalls  das  Zahlenmaterial  noch  nicht  genügend,  um  mit  Beftimmt- 
heit ein  Urtheil  fällen  zu  können. 

1 Olearius  bemerkt  zum  Jahre  1599,  dafs  die  Marktkirche  von  aufsen  renovirt  fei  und 
„find  die  güldenen  Croncn  umb  die  blauen  Thürmc  vcrneucrl  worden.“ 


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DIE  KiKCHI  /(’  t>.  t..  FKAITRN. 


'0 


Um  in  die  obern  Gefchofle  der  blauen  Thürme  zu  kommen,  mufs  man  Innere«, 
durch  das  an  der  Südfeite  in  Fachwerk  angebaute  Treppenthürmchen 
emporfteigen.  Man  kommt  bald  zu  einer  Maueröffnung,  die  am  Fufse  einer 
im  Gemäuer  felbll  auflleigenden , mafliven  Wendeltreppe  liegt.  Diefe  Treppe 
beiland  fchon  zur  Zeit  der  alten  Gertrudenkirche  und  führte  damals  wohl 
bis  zu  der  Eckmauernifche  im  Innern  des  ErdgefchofTes  hinab.  Jetzt  ill 
diefer  Lauf  zu  Anfang  und  Ende  vermauert,  doch  lieht  man  unten  noch  den 
alten  fpitzbogigen  Eingang.  Auch  als  die  Marktkirche  erbaut  wurde  und 
hinter  der  Orgel  ein  Raum  entftand  zwifchen  der  gewölbten  Decke  des  Erd- 
gefcholfes  und  dem  Kirchengewölbe,  welches  Pich  in  die  Thürme  hinein 
fortfetzt,  erhielt  die  Treppe  von  hier  aus  einen  Zugang;  derfelbe  ilf  jetzt 
ebenfalls  vermauert  und  dient  als  Schrank;  die  Treppe  aber  tritt  hier  mit 
ihrer  kreisförmigen  Wand  in  die  Ecke  des  innern  Raumes  vor.  Damit  der 
Küher  fo  fpät  (zu  den  Glocken)  nicht  durch  die  Kirche  gehen  müfle,  fei  im 
Jahre  155g,  fo  berichtet  Olearius,  der  Thurm  an  der  Marktkirche  hinten  nach 
der  Halle  zu  angebaut  worden.  Eine  genaue  Unterfuchung  der  Iteinernen 
Wendeltreppe  lehrt,  dafs  Quaderllücke  eines  romanifchen  Baues  — doch 
wohl  der  urfprünglichen  Kirche  — z.  B.  ein  Würfelfries  zu  den  Stufen  ver- 
arbeitet find. 

Die  Thurmräume  in  Höhe  des  Kirchenbodens  find  leer,  lie  zeigen  nur  Glocken, 
die  harken  Quermauem  zu  den  hier  felbftändig  werdenden  Thürmen.  Ill 
man  zu  der  Glockenllube  gekommen,  fo  findet  man  auf  dem  Südthurm 
zunächlt  eine  grofse  Glocke  von  1,74  m Durchtnefier.  Ihre  Infchritt  giebt 
die  Auskunft,  dafs  fie  1484  zuerll  gegolten,  1654  gefprungen  und  1(174  von 
Jacob  Wenzel  wieder  gegolten  fei.  Ihr  Spruch , neben  der  Aufzählung  der 
damaligen  Machthaber,  Kirchen vorlleher  u.  f.  w.  in  den'  diefer  Zeit  üblichen 
Abkürzungen,  lieht  unten  am  Rande  und  giebt  ihre  Behimmung  an,  er  heifst: 

AD  . SACRA  . SVMMA  . VOCO  . GENERALIA  . FVNERA  . PLANGO  . HORAS  . 

DESIGNO  . NOCTVRNAS  . ATQVE  . DIVRNAS. 

Gefchmückt  ill  fie  in  barocker  Weife  mit  umfehriebenen  Wappen, 
behängen  und  fonlligen  Zierrathen  diefer  Zeit. 

Eine  zweite  Glocke  ill  die  fogenannte  Vespergl  ocke : .CAMPANA  . HAEC  . 
MATVTINIS  . ET  . VESPERTINIS  . HEBDOMADAE  . SACRIS  . PAVPERVMQVE  . 
FVNERIBVS  . DICATA  heifst  es  in  der  langathmigen  Auffchrilt.  Sie  ill  1,10m 
im  Durchmeffer  grofs  und,  weil  ebenfalls  von  Jacob  Wenzel  im  Jahre  1674 
umgegolTen,  von  ganz  ähnlicher  Form  und  Verzierung  wie  die  genannte, 
ihr  Spruch  lautet: 

QVOTIDIANA  . VOCANS  . AD  . SACRA  . ET  . FVNERA  . PLANGENS  . IN  • 

PLEBIS  . RESONO  . NVMINIS  . ATQVE  . DECVS  . 

Die  dritte  Glocke,  welche  hier  hängt,  heifst  nach  v.  Dreyhaupt  die 
Pfänner-  oder  Particuliergl ocke  und  füll  14O8 gegofien  und  aufgehängt 
fein.  Olearius,  der  fie  Betglöcklein  nennt,  giebt  an,  dafs  fie  1674  zum 
Umgiefsen  mit  heraligelafien  fei,  doch  fcheint  ein  gütiges  Gefchick  fie  davor 

2 * 


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20 


die  stadt  halle  u.  <1.  saalkreis. 


Thurmhelme. 


bewahrt  zu  haben.  Denn  ihre  Form  ilt  länglich  und  gefällig,  lie  mifst  nur 
o,-)8  m im  DurchmelTer  gegenüber  einer  Höhe  von 0,70 m.  Oben,  mitten  und 
unten  wird  fie  von  Bändern,  aus  Riemchen  gebildet,  umzogen,  hat  aber 
aufserdem  keine  Zierrathe.  Endlich  ill  die  Auffchrift  noch  ganz  im  Sinne 
des  Mittelalters  kurz  und  bedeutend,  fie  heifst: 

VOX  . ECO  , VOX  . VITE  . VOCO  . VOS  . ORATE  . VENITE. 

Die  Buchüaben  allerdings  find  nicht  mehr  Minuskeln,  fondern  Majuskeln, 
deren  Form  Itark  gothifchen  Charakter  trägt,  die  aber  gewifs  nur  als  ein 
frühes  Beifpiel  der  Renaiffancefchrift  (Lapidarfchrift)  anzul'ehen  find. 

In  dem  nördlichen  Thurme  hängt  nur  eine  Glocke;  fie  ilt  1,80  m im 
Durchmefler  grofs  und  von  fchöner,  man  möchte  Tagen,  vornehmer  Geftalt. 
Oben  lieht  ringsum  die  Minuskelinfchrift  (Wachsmodelle): 

+ anuo  int  . nr  t«(°  . n . in  . oigilia  . |ol|annis  . hnütistr  . ts t . coplrtu  . I|*c  . 
apus  . 9 . tti  . ginne  . »ti 

Durch  Einritzen  in  den  Mantel  der  Glocke  ill  eine  klare,  ziemlich  grofse 
Darltellung  mitten  auf  der  Glocke  hervorgebracht  worden,  nämlich  Chrilhis 
am  Kreuz,  welch  letzteres  naturaliflifche  Ae  fie  hat;  zu  den  Seiten  liehen 
Johannes  und  Maria  beide  mit  gefabenen  Händen.  Hinter  bez.  neben  Maria 
lieht  noch  eine  weibliche  Figur,  die  fich  durch  den  Nimbus  als  Heilige  kenntlich 
macht.  Sie  hält  ein  Kirchenmodell  und  ill  daher  muthmaafslich  die  heilige 
Gertrudis,  der  zu  Ehren  die  alte  Kirche  erbaut  und  die  Glocke  gegoffen  war. 
Der  Stil  der  Figuren  ilt  gut  und  die  einfache  Zeichnung  fefi  und  gefchickt 
gemacht,  obwohl  die  Entliehungszeit  durch  die  Eigenheiten  in  der  Haltung 
und  Proportionirung  der  Körper  fich  keineswegs  verleugnet. 

Hoch  über  der  Glockenltube  fetzen  fich  die  Helme  auf  das  Mauerwerk 
(iumpf  und  ohne  Verband  mit  diefem  auf.  Sie  haben  durch  Blitz  und  mehr 
noch  durch  die  WitterungseinflüfTe  mehrfache  AusbelTerungen  erfahren. 
l85j/54  wurde  die  letzte  vorgenommen,  weil  fich  die  Helme  faß  um  ein 
Achtel  einer  ganzen  Drehung  bewegt  hatten.  Bei  hohen,  hölzernen  Helmen 
laden  fich  folche  Drehungen  mit  den  Jahren  fad  immer  nachweifen,  ebenfo 
ill  es  gewöhnlich,  dafs  die  Spitzen  fchief  liehen,  indem  fie  fich  dets  nach 
Süden  zu  neigen.  Der  Grund  hierfür  liegt  darin,  dafs  die  Sonne  auf  der 
Südfeite  die  Hölzer  durch  Austrocknen  verkürzt,  während  die  Feuchtigkeit 
auf  der  fchattigen  Nordfeite  fie  ausdehnt  oder  doch  in  ihrer  Länge  belädst. 
Je  nach  der  Conftruction  werden  dann  die  Hölzer  zum  Werfen  auf  irgend 
eine  Seite  hin  gezwungen  und  fo  entdeht  eine  Drehung.  Auch  jetzt  kann 
man  bereits  wieder  eine  geringe  Neigung  beider  Spitzen  der  blauen  Thürme 
gegen  Süden  wahrnehmen.  Es  id  anzunehmen,  dafs  bei  allen  Auswechfe- 
lungen  fchadhafter  Hölzer  der  alte  Condructionsverband  fich  bis  heute  er- 
halten hat,  denn  was  an  Holzmenge  und  Stärke  verfchwendet  zu  fein  fcheint. 
id  nothwendig,  um  das  für  fo  fchlanke  Spitzen  erforderliche  Gewicht  zu 
erhalten.  Würden  fich  diefelben  auch  in  Hinficht  auf  Fedigkeit  und  Material- 
erfparnifs  vortheilhafter  condruiren  laßen  von  uns,  die  wir  über  die  Leißungs- 
lähigkeit  des  Holzes  genauer  unterrichtet  find  als  unfere  Vorfahren,  fo 


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WB  KIKCHK  ZV  U.  L.  FRAUEN. 


21 


müfste  doch  eine  künltliche  Beladung  die  leichtere  Conßruction  davor 
fchützen,  dafs  der  Sturm  fie  wegwehen  könne. 

Das  Langhaus  der  jetzigen  Marktkirche  wurde  von  Nickel  Hotmail, 
wie  Chronitten  und  mehre  lnfchriften  im  Innern  der  Kirche  bezeugen, 
vollendet.  1530  am  31.  Januar  hat  man  zu  den  Fundamenten  die  Erde  aus- 
zufchachten  angefangen,  wobei  in  „Mannstiefe“  ein  guter  Baugrund,  feß- 
lagernder  Kies,  gefunden  wurde.  Schon  nach  drei  Jahren,  im  September 
1533 , waren  die  UmfafTungsmauern  bis  unter  das  Dach  fertig  und  diefes 
wurde  den  Winter  über  auch  noch  theilweife  aufgebracht  und  eingedeckt. 

Aeufserlich  iß  diefes  Kirchenfchiff  im  Ganzen  ohne  befondere  Schön- 
heit. Es  iß  in  dem  um  diefe  Zeit  hier  üblichen  Bruchßeingemäuer  mit 
Quadereinfaflung  der  Ecken,  Fenßer,  Thüren  u.  f.  w.  aufgeführt,  und  die 
Flächen  find  nachher  mit  Putz  beworfen,  der  nicht  immer  der  urfprüng- 
lichen  Weife  angemeffen  erneuert  worden  iß. 

Der  allgemeine  Eindruck  iß  ein  einförmiger.  Dafs  man  es  mit  einer 
Hallenkirche  zu  thun  habe,  erkennt  man  fogleich  an  dem  riefigen  Dache 
und  den  hohen  Fenßern  und  Strebepfeilern.  Letztere  erheben  fich  über 
einem  Sockel  mit  einfacher  Schräge  als  Sims,  werden  dann  von  dem  Kaff- 
gefimfe  umzogen  und  gehen  darauf  einhüftig  bis  zum  Dache  hinauf.  Der 
obere  Abfatz  endet  nach  aufsen  durch  Abfchrägung  der  Ecken  fcharf- 
kantig;  nichts  deßo  weniger  iß  die  concave  Abdeckungsplatte  wieder  als 
Rechteck  gefchloflen,  und  ihre  aut  diefe  Weife  frei  überfpringenden  Eck- 
theile  ruhen  auf  ausgekragten  Gefimfen.  Im  Uebrigen  find  fie  fchmucklos; 
da»  Bruchßeimnauerwerk  hätte  ja  auch  die  zeitgemäfsen  Blendarkaturen 
mit  Maafswerkbildungen , Krabben,  Rofetten  und  dergl.  gar  nicht  einmal 
ermöglicht.  Die  langen  Fenßer  zwilchen  den  Pfeilern  endigen  nicht  mehr 
wie  zur  Blüthezeit  der  Gothik  in  einem  ßolzen,  fondern  ziemlich  ßumpfen 
Spitzbogen.  Sie  find  durch  zwei  Pfoßen  getheilt,  welche  fich  überall  durch 
Rundbögen  oben  verbinden.  Das  verhältnifsmäfsig  geringe  Stück  Maafs- 
werk  darüber  iß  von  fchwacher Erfindung  und  wenig  Reiz;  beliebte  Maafs- 
werksmotive  find  aufser  den  kleinen  Rundbögen  die  fogenannten  Fifchblafen, 
plötzlich  und  grundlos  aufhörende  Profile  und  andere  willkürlich  wun- 
derliche Formen.  Das  Gewändeprofil,  Fig.  6,  iß  gähnend  langweilig,  es 


Fig.  6. 


1:1  1 r r t f ; t'f  M« 

Fensterprofil. 


hat  innen  und  aufsen  die  gleiche  Form  und  beßeht  im  Wefentlichen  in  einer 
weiten,  flach  concaven  Schräge,  an  deren  Spitze  das  Profil  der  Pfosten 


Das  Schiff. 
Geschichte. 


Material. 


Beschreibung 
der  Thcilc. 


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22 


DIE  STAUT  HAI.LK  u.  d.  SAALK.KEIS. 


fitzt.  Letzteres  gleicht  einem  Doppelkeile  mit  flumpfer  Spitze  und  flach 
gehöhlten  Seiten. 

Auf  die  Portale,  vier  grofse  und  zwei  kleinere,  ift.  bei  der  Ausbildung 
weit  mehr  Gewicht  gelegt  als  auf  die  Fenfter.  Sie  haben  fich  unter  einem 
Schutzdache  und  fpäter  unter  einem  Vorbau  vortrefflich  erhalten;  leider 
entzieht  fie  letzterer  dem  Auge  bis  man  eintritt.  (Fig.  7.)  Aul  einem  Sockel  in 
verfchiedenen  Abiatzen  und  Quertheilungen , durch  Ueboreck Heilung  von 
Kriftallifationsformen,  hier  mit  concaven  Walterfchlägen  fetzt  fich  ein  viel- 
gliedriges  Gewände  auf,  bellehend  aus  Rundltäben,  Birnen,  Plättchen  und 
tiefen  Hohlkehlen.  Der  Fufs  jedes  Gewändegliedes  und  der  Zwifchenraum 
zwifchen  den  einzelnen  Füfsen  ift  ebenfalls  mit  kriftallinifchen  Motiven, 
welche  durch  Einkerbungen  entftanden  find,  auch  mit  kleinem  Blenden- 
maafswerk,  mit  Perlen fchnürchen,  gedrehten  Bändern  und  dergl.  in  die 
RenailTance  überfpielenden  Schmuckmitteln  reizvoll  geziert.  Die  Gewände- 
glieder felbft  bilden  zwar  einen  Spitzbogen,  überfchneiden  fich  jedoch  und 
gehen  dergeftalt  auseinander,  dafs  der  ganze  Raum  zwifchen  den  Strebe- 
pfeilern ausgefüllt  wird  und  oben  in  Höhe  des  Bogen fcheitels  ein  gradliniger 
Schlufs  entlieht.  Wenn  eine  willkürliche,  doch  wohl  durchdachte,  zirkel- 
richtige Art  nun  eine  gefällige  Ordnung  erzeugt,  fo  fliefst  diefe  Ordnung 
doch  nicht  mit  Xoth  Wendigkeit  aus  der  Conftruction,  der  Seele  aller 
baulichen  Schöpfungen,  fie  verlacht  diefelbe  vielmehr,  beifpielsweife  durch 
Kreisftücke  im  Bogen,  die  nach  unten  zu  gefchlagen  find.  Hier  ift  dieKunft 
zu  Ende  und  es  beginnt  die  Künftelei.  Letztere  hat  etwas  Wunderbares, 
beruht  fie  gleich  nur  auf  dem  gemeinen,  reflectirenden  Verftande,  jene 
dagegen  erfcheint  als  die  felbftverftändliche,  naive  Aeufserung  der  Natur- 
gefetze  und  ift  doch  dem  innerften  Herzensbediirfnifse  einzelner  erleuchteter 
Geiller  entfprungen;  ihre  Werke  begeiftern,  gekünftelte  lallen  kalt.  So 
herrlich  die  Thürumrahmungen  'find  als  Erzeugnifse  ihrer  Zeit,  fo  fern  liehen 
fie  dem  ureigentlichen  Schönheitsbegrifle,  der  diefer  ruhelofen  Zeit  mangelte; 
fie  liehen  im  gleichen,  nur  umgekehrten  Verhältnifse  zu  ihm,  wie  die 
Renaiffanceportale  im  Dome;  diefe  find  die  noch  nicht  reife  Frucht  einer 
Zcitidee,  jene  die  überreifte.  Merkwürdig  ift  aber,  dafs  in  der  Marktkirche 
die  Gothik,  die  am  Dome  für  die  Portale  bereits  im  vorhergegangenen 
Jahrzehnt  verlaffen  war,  noch  einmal  wiederkehrt  und  zwar  mit  Lebhaftigkeit, 
ja  mit  einem  gewilTen  Feuer.  Die  Thürflügel  mögen  wohl  die  urfprünglichen 
nicht  mehr  fein,  wenigftens  haben  fie  fchon  Befchläge  der  entwickelten 
RenailTance.  Nur  die  in  Bronce  gegoltenen  Löwenköpfe  in  der  Mitte  mögen 
damals  gegolten  fein.1  Alterthümlich  und  garllig  von  Ausfehen  rufen  fie 
doch  die  Erinnerung  an  eine  milde  Sitte  in  dem  fo  traurig  graufamen 
Mittelalter  wach.  Konnte  ein  Verfolgter  den  Ring  (auf  Fig.  7 zu  sehen) 
erfaßen,  den  früher  jeder  Kopf  im  Maule  hielt,  fo  war  er  unverletzlich. 

Das  Dach,  über  die  drei  Schifte  wegreichend,  war  früher  in  deutfcher 
Manier  mit  Schiefer  gedeckt  und  hatte  zwei  Reihen  kleiner  Luken,  wie  aus 

1 Kin  Kopf  von  genau  derfelbcn  Form  befindet  sich  auch  an  der  Eingangsthur  des 
Kathhaufcs. 


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DIE  KIRCIIK  ZU  U.  I„  FRAUEN.  23 


dem  erwähnten  Modelle  zu  erfehen,  jetzt  ill  die  Eindeckung  englifch  und  drei 
I.ukenreihen  überziehen  die  Fläche.  Im  Wellen  endigt  es,  indem  es  gegen  das 
Dach  Hörst,  welches  zwifchen  die  blauen  Thürme  auf  den  wegen  diefes 
Hauptdaches  entllandenen  Einbau  gefetzt  ist.  Im  Ollen  dagegen  iß  es 
abgewalmt  von  der  Spitze  bis  auf  das  Theilungsgefims  der  beiden  gothifchen 
Gefchofse  an  den  Hausmannsthürmen.  Das  Modell  zeigt  hier  auf  dem 
Walme  noch  einen  Giebel,  der  fall  die  heutige  Dachhöhe  erreicht  und  ein 
grofses  gothifches  Maafswerksfenller  hat.  Nicht  unwahrfcheinlich  ill,  dafs 
diefem  Giebel  ein  anderer  nach  der  Wellfeite  der  Hausmannsthürme  ent- 
fprach  und  beide  dann  um  1275  gemacht  find,  wie  die  zugehörigen  ’l'hurm- 
gefchofse.  Wie  anders  als  durch  ein  folches  Satteldach  von  Wellen  nach 
Oden  follte  man  auch  in  gothifcher  Zeit  diefen  Raum  zwifchen  den 
Thürmen  abgedeckt  haben?  Und  fo  hätten  wir  noch  ein  Stück  zu  dem 
Bilde  der  alten  Marienkirche. 

Wir  wollen  an  diefer  Stelle  gleich  des  Kirchenbodens  erwähnen;  es 
intereffirt,  dafs  das  Gefpärre  nicht  einheitlich,  fondem  in  zwei  Syllemen 
hergellellt  worden  ill.  Durch  Brand,  Witterung  und  dergl.  veranlafste 
AusbelTerungen  find  der  Grund  hierfür.  Das  weltliche,  leichtere  Syllem  ill 
das  jüngere.  In  conllructiver  Hinficht  find  beide  Theile  lehrreich. 

Als  nachherige,  äufsere  Anbauten  an  die  Kirche  find  vor  allem  die  Anbauten. 
Stübchen  zwifchen  den  Strebepfeilern  anzulühren.  Sie  find  nicht  alle  gleich- 
zeitig entllanden,  wie  man  nach  dem  heutigen  gleichmäfsigen  Ausfehen 
fchliefsen  möchte.  Ueber  einer  Wand  zwifchen  den  Pfeilern  und  bündig 
mit  ihnen  beginnt  am  Kafffims  ihr  Pultdach  und  reicht  noch  in  das  Fenller- 
lichten  hinauf,  welches  fo  weit  zu  vermauern  nöthig  wurde.  Sie  haben 
aufsen  eine  Eingangsthür  und  oft  noch  ein  kleines  Fenller;  fonll  find  lie 
völlig  fchmucklos  und  für  die  Kirche  felhlt  wenig  fchmückend.  Bei 
der  Betrachtung  des  Kircheninnern  wird  Gelegenheit  fein,  auf  ihre 
Entllehungszeit  zurückzukommen;  hier  fei  nur  noch  erwähnt,  was  fich  aus 
dem  Modelle  in  der  Marienbibliothek  ergiebt.  Dort  nämlich  lieht  man,  dafs 
zur  Zeit  der  Anfertigung  des  Modelles,  Tagen  wir  etwa  um  1700,  die  erllen 
drei  örtlichen  Stuben  an  der  Südfeite  und  die  erlle  örtliche  an  der  Weftfeite 
niedriger  waren  als  die  übrigen,  die  um  diefe  Zeit  allelümmt  fchon  dagewefen 
find.  Das  Pultdach  jener  niedrigen  Stübchen  reicht  nur  bis  zur  Fenlter- 
fchräge,  übrigens  haben  fie  eine  Thür  und  ein  Fenfterchen  wie  die  andern. 

Auch  als  Verkaufsläden  oder  Lagerräume  find  von  Alters  her  Buden 
an  die  Thüren  ganz  fymmetrifch  angebaut  gewefen,  die  jetzt,  dem  Kirchen- 
ausfehen  wahrlich  nicht  zum  Nachtheil,  allmählig  verfchwinden;  fo  (landen 
zwei  zwifchen  den  Strebepfeilern  im  Ollen;  fie  wurden  befeitigt  bei  der 
Entftehung  der  kleinen  Pfeiler  dafelbll,  zwei  andere  lagen  an  der  Weftfeite, 
wo  fich  auch  dem  Modelle  zufolge  ein  grofses  Schutzdach  über  dem  Portale 
befand.  In  der  Ecke,  welche  der  füdliche  blaue  Thurm  mit  dem  breiteren 
Schiffe  macht,  lag  ein  Brunnen  (Plumpe,  Pumpe),  defsen  Erwähnung  gefchieht, 
weil  eine  RenaifTanceconfole,  dort  in  die  Mauer  eingelafTen,  noch  vorhanden 
ill,  deren  Zweck  fonll  nicht  zu  erklären  wäre.  Bellanden  hat  der  Brunnen  bis  zur 
Anlegung  der  jetzigen  städtischen  Wafferleitung.  In  der  gegenüberliegenden 


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DIE  STADT  HALLE  u,  cl.  SAALKREIS. 


*4 


Ecke,  welche  der  nördliche  blaue  Thurm  mit  der  Kirche  bildet,  ift  kürzlich, 

im  Sommer  188 2,  der  Budenanbau  befeitigt  worden;  dabei  ift  am  Kaffgefims 

und  zwar  unweit  der  Stelle,  wo  es  am  Thurme  endigt,  nebenflehendes 

Zeichen  <lcs  Monogramm,  Fig.  8,  in  Stein  gehauen  zu  Tage  gekommen.  Die  Form  ift  eine 
Hans  Schöniiz. 


Fig.  8. 


Zeichen  des  Hans  Schönitz.  (?) 


ungewöhnliche,  fowohl  für  einen  Meifter,  der  (ich  zu  verewigen  gedenkt,  als 
für  einen  Gefellen  diefer  Zeit;  fie  erinnert  nicht  nur  durch  die  Buchftaben. 
fondern  auch  durch  das  Ornament  zwifchendiefenftarkandie  Renaiftance.  Auf 
wen  kann  lieh  die  Schrift  beziehen?  Esläfst  lieh  nur  an  Hans  Schönitz  denken, 
der  eben  noch  in  des  Cardinais  voller  Gunft  ftand  und  wenige  Zeit  darauf 
1535  hingerichtet  wurde  Er  leitete  die  Unternehmungen  des  Cardinais,  von 
ihm  hing  alles  ab,  obwohl  er  nicht  felbftthätiger  Meifter  war;  aus  letzterem 
Grunde  nahm  man  in  Verlegenheit,  was  an  Stelle  eines  Zeichens  zwifchen 
die  Buchftaben  zu  fetzen  fei,  jenes  verfchlungene  Ornament,  und  ein 
gewöhnlicher  Gefelle  — fein  Zeichen  befindet  lieh  unweit  am  Sims  — 
meifselte  die  Infchrift  ein.  Das  Ornament  aber  llatt  des  Zeichens  könnte, 
obgleich  es  gewifs  ganz  zufällig  ift,  den  gewandten,  biegfamen  und 
gefchmeidigen,  weltmännifchen  Charakter  des  F'avoriten  nicht  köftlicher 
ausfprechen  als  durch  die  weichen  Liniengänge  gegenüber  den  harten,  über- 
fcharfen  Ecken  der  Werkmeillerzeichen. 

Als  ein  Anbau  an  das  Kirchenfchiff  ift  auch  der  achteckige  Thurm 
an  der  Nordweftecke  zu  nennen,  welcher  einen  Wendeltreppenaufgang  zu 
der  nördlichen  Empore  enthält.  Eine  knopfbekrönte,  fchiefergedeckte 
„welsche“  Haube  bedeckt  ihn;  ein  Portal  in  einfachen  Renaiffanceformen 
und  im  Ganzen  vier  fchräge  Fenfter  durchbrechen  die  Mauern.  Von  der 

Infchriit  im  Friefe  des  Portals  intereflirt  nur  das  Ende:  „ HAEC  IANVA 

CVM  COCHLIDE  STRUCTA  EST  DU  SEPT  A MDCLXVII“  Dem  ift  allerdings 
fo;  allein  ein  Vergleich  mit  dem  Modelle  ergiebt,  dafs  etwa  um  1700  nur 
zwei  Fenfter  find  zwar  die  beiden  untern  vorhanden  waren , mithin  der 
Thurm  fpäter  erhöht  fein  mufs;  das  läfst  lieh  auch  aus  andern,  noch  zu  be- 
fprechenden  Umftänden  erweifen,  ebenfo  dafs  vor  1667  bereits  eine  Treppe 
an  diefem  Platze  gellanden  hat. 

Il.illcrcluo  An  diefer  Stelle  ift  endlich  des  hallefchen  W ahrzeichens,  Fig.  9,  zu 

" •,l,ricl.ll>c".  gedenken.  eines  ,,  Zeichens  der  Wahrheit,“  welches  ehemals  Fremde  befonders 


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DIE  KIKCHIl  ZU  r.  I..  KRAUEN. 


25 


Handwerksburfchen , welche  in  einer  Stadt  gewefen  fein  wollten,  zum  Aus- 
weife kennen  mufsten.  Es  jft  hoch  oben  an  der  Oftwand  des  Schiffes  gerade 
über  dem  letztgenannten  Treppenthurme  eingemauert  als  ein  Stein,  welcher 
in  Flachrelief  einen  fackbeladenen  Efel  zeigt,  der  auf  Rofen  geht,  während 
ein  Treiber  ihm  folgt.  Ueber  der  Gruppe  lieht  die  Jahreszahl  1583,  um 
diele  Zeit  alfo  hat  man  den  Stein  hier  eingefügt.  Das  RENOVATVM  1758 
auf  dem  unter  dem  Bilde  eingefetzten  Steine  fcheint  nur  auf  die  Wieder- 

Kig.  9. 


Da»  hallcschc  Wahrzeichen  an  der  Marktkirchc. 

herftellung  einer  fchlechten  Bemalung  und  guten  Vergoldung  Bezug  zu 
haben.  Zwei  Sagen  wollen  der  Darl'teilung  einen  Sinn  unterlegen.  Die  erlle 
erzählt , dafs  der  Magdeburgifche  Bifchot  bei  feinem  Befuche  der  jüngll  erll 
erbauten  Stadt  des  Gedränges  wegen  auf  einem  Efel  reitend  in  Halle  ein- 
gezogen wäre;  der  Efel  fei  nun  über  die  dem  Bifchof  zu  Ehren  gellreuten 
Rofen  gegangen.  Die  andere  meldet:  Kaifer  Otto  der  Grofse  wollte  in 

Halle  einziehen,  wurde  aber  grofsen  Walfers  wegen  verhindert  durch  das 
Rannifche  Thor,  wofelbft  alles  felllich  gefchmückt  war,  zu  kommen.  Während 
er  nun  unerwartet  durch  das  Schifferthor  kam,  und  alle  Welt  ihm  dorthin 
•’ntgegeneilte,  trieb  der  Böllberger  Müller  feine  Efel  über  den  rofenbellreuten 
Weg  zum  Rannifchen  Thore  herein.  Diele  fpashafte  Gefchichte  habe  zum 
Wahrzeichen  Halles  den  Anlafs  gegeben.  Die  erlle  Sage  hat  gar  keine 
Wahrfcheinlichkeit  in  Rücklicht  auf  die  Entltehung  des  Bildes  für  fich.  man 
hätte  gewifs  nicht  einen  facktragenden  Efel  und  einen  peitfehenfeh win- 
denden Treiber  gemeifselt.  Die  andere  Sage  wäre  fchon  paffender;  allein 
um  die  Vorftellung  des  felllichen  Ereigniffes  und  der  telllichen  Zubereitungen 
zu  erwecken,  würde  man  doch  nicht  unterlaffen  haben  in  der  Darllellung 
darauf  hinzuweifen  z.  B.  durch  das  Thor  und  die  • felllich  gefchmückten 
Häufer,  auch  würden  die  einzelnen  abgefchnittenen  Rofen  auf  dem  Boden 
geilreut  daliegen.  Das  Bild  aber  Hellt  dar  einen  Efel,  der  bedacht  fam  jeden 
Fufs  aut  eine  Rofe  gefetzt  hat.  Die  Rofen  find  nicht  abgefchnitten,  ihre 
Stiele  fitzen  an  einem  Zweige,  der  fich  zwilchen  dem  Treiber  und  dem  Efel 

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26 


I»IK  Sl'AUI'  HAI.I.K  u.  d.  SV A1.K.KKIS. 


und  wieder  mit  Blumen  und  Blättern  über  den  F.fel  hinzieht,  ihn  yleichfam 
an  drei  Seiten  umkränzend.  Der  Treiber  endlich  Aeht  aut  einem  befondem. 
niedrigen  (gezierten?)  Unterfatze.  Diele  mehr  feierliche  Art  der  DarAellung 
hat  beffer  Bezug  auf  eine  allgemeine  Wahrheit,  wie  fie  Hondorff  in  feiner 
„Befchreibung  des  Saltz-Werkes"  alfo  ausfpricht: 

„Die  Arbeit  und  den  Nutz,  darinn  zu  Hall  befiehl 
Das  Saltzwerck,  zeiget  an,  der  hier  auf  rufen  geht.“  1 

Fig.  io. 


Das  hallcschc  Wahrzeichen  im  Hause  Leipzigerstrassc  No.  106  107. 


Zum  Vergleiche  mit  diefem  Wahrzeichen  mufs  auf  ein  ähnliches  Bild, 
Fig.  10,  hingewiefen  werden,  welches  sich  in  dem  (LaufFerTchen)  Haufe  Leipziger 
Strafse  Nro.  107  befand  und  als  diefes  1882  neu  gebaut  wurde,  mit  Pietät 
dort  (im  Restaurationslocal  der  Neuen  Börfe)  wieder  angebracht  worden 
ist.  Es  ist  gleicherweife  Hach  in  Stein  gehauen,  doch  hat  es  einen  Cartufchen- 
rahmen,  ift  der  Inschrift  nach  zwei  Jahre  jünger  als  das  Wahrzeichen  und 
stellt  nur  einen  sacktragenden  Efel  dar  ohne  Treiber.  Hier  geht  das  Last- 
thier wirklich  auf  Rofen,  die  abgefchnitten  von  ihren  Zweigen  naturaliftifch 


1 Bei  diefem  Bildwerke  ift  cs  mir  doch  zu  auffallend  hervorgetreten,  als  dafs  ich  cs  mit- 
zutheilcn  unterlaffen  füllte , welchen  Ein  Hufs  auf  die  Art  der  Auslegung  Lcbcnsflellung  und 
perfönlichc  Verhallniffe  derer  geübt  haben,  die  eine  Meinung  darüber  abzugeben  hatten.  Io 
den  vorigen  Jahrhunderten,  wo  Halle  hauptfachlich  durch  das  Salzwcrk  blühte,  brachte  die 
Erklärung  das  Bildwerk  natürlich  mit  ihm  in  Verbindung;  fo  Hondorff  und  nach  ihm 
v.  Drcyhaupt,  die  beide,  als  dem  Salzwcrke  nahe  flehend,  den  obigen  Spruch  anführen. 
Franz  Knauth,  mehrfach  um  die  Geschichte  von  Halle  verdient,  erzählt  in  feiner  ..Heimathskundc" 
jene  beiden  Sagen,  die  im  Volke  leben.  Seine  Abbildung  des  Wahrzeichens  ift  mehrfach, 
ungenau;  die  falfehe  Zahl  1533  ist  denn  auch  für  andere  verhängnisvoll  geworden,  fo  für 
v.  Hagen,  der  in  feiner  Chronik  ,,Die  Stadt  Halle“  I.  Seite  io7  nicht  anftcht,  darauf  hin  eine 
neue  Auslegung  zu  bauen.  Als  Bürgermeister  bringt  er  das  Zeichen  mit  der  namentlich  in 
diefem  Jahre  1533  ftattgefuridenen  Wohlfeilheit  des  Getreides  in  Verbindung.  Endlich  meint 
Otte  in  den  „Neuen  Mitthcilungen  des  thüring.-fächf.  Alterthumsvereins  Bd.  VI.  I.  56", 
obwohl  doch  die  deutliche  Jahreszahl  keinen  Zweifel  Aufkommen  läfst,  dafs  das  Bildwerk 
fchwerlich  älter  fei,  als  das  16.  Jahrhundert.  Er,  der  Paftor,  deutet  cs  dahin,  dafs  unter  dem 
Efel  der  chriftliche  Kreuzträger  zu  verftehen  fei,  der  mühfam  und  unter  Züchtigung,  aber  mit 
fichcrer  Hoffnung  auf  hinimlifche  Belohnung  wandle. 


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IMK  KIKCHK  ZU  U.  I_  PK  AUEN.  27 


auf  dem  Boden  verstreut  liegen;  eine  Andeutung  der  Feftlichkeiten  zum 
Empfange  des  Kaifers  fehlt  aber  auch  diefcm  Bilde  durchaus.  So  kann 
auch  hier  nur  an  eine  Sentenz  gedacht  werden,  und  das  Wegladen  des 
Treibers  dürfte  darin  ebenfalls  beltärken. 

Treten  wir  nun  in  das  Kirc henfchi ff.  Fig.  n.  Da  fchiefsen  auf  die 
fchlanken  glatten  Pfeiler  riefenhoch.  Sie  tragen  das  bunte  Linienfpiel  des  Netz- 
gewölbes; gleichroäfsig  in  gleicher  Höhe  breitet  es  (ich  aus  über  alle  drei  Schiffe 
der  weiträumigen  I Iallenkirche.  Im  Ollen  hinter  dem  Altäre  fchliefst  lieh  der 
Raum  oben  durch  eine  gerade  Wand  mit  einem  Gemälde,  darunter  fpannt 
fich  ein  weiter  Flachbogen  und  trägt  die  Empore  für  eine  kleine  Orgel. 
Im  Wellen  fchliefst  die  grofse  Orgel  oben  den  Raum  ab;  fie  fleht  ebenfalls 
auf  einer  Empore,  unter  deren  Flachbogen  hinweg  man  in  die  Tautkapelle 
zwilchen  den  beiden  blauen  Thürmen  ficht.  Zu  beiden  Seiten  an  den  Wänden 
entlang  läuft  die  Spitzbogenarkade  der  Emporen  und  darüber  her  fenden 
die  langen  Fender  reichliches  Licht  herab  in  das  Schiff.  Die  Färbung  id 
jetzt  hauptlachlich  matt  fchmutzig  gelb,  der  Sockel  der  Pfeiler  und  Wände 
id  braun  und  leider  in  Oelfarbe  gemalt,  die  Fenllerfchrägen  haben  Müller 
und  die  Gewölbefender  find  widerlich  blafsblau  godrichen.  Nach  dem 
Modelle  kann  die  alte  Farbe  mit  Sicherheit  leider  nicht  angegeben  werden, 
die  der  jetzigen  voraufgegangene  Bemalung  blickt  aber  noch  dellenweife 
z.  B,  an  den  Pfeilern  durch  die  Kalkfarbe  durch. 

Gehen  wir  nun  auf  dieEinzelheiten  näherein.  Schon  bei  Be  fprechung 
desGrundrifTes  id  gefagt  worden,  dafs  die  Pfeiler  achteckig  find;  fie  weichen 
aber  dadurch  von  der  regulären  Form  ab,  die  im  Dome,  in  der  Moritz-  und 
L'lrichskirche  gemacht  worden  id,  dafs  fie  datt  geradliniger  Seiten  flach 
concave  haben.  Des  Meiders  Vorliebe  für  diele  matten  Hohlkehlen  zeigt 
fich  durchgängig;  nicht  nur  die  Hauptpfeiler,  fondern  auch  die  ent- 
fprechenden.  kaum  halb  fo  dicken  Pilader  bezw.  Halbfäulen,  welche  an  der 
Wand  zwifchen  den  Fendern  zum  Gewölbe  hinaufgehen,  und  die  kleinen 
Kmporenpfeiler  haben  folche  Canneluren.  Bei  den  Fendern  id  bereits  auf 
die  Hohlkehle  hingewiefen,  und  an  den  Gewölberippen  wird  fie  uns  eben- 
falls entgegentreten.  Das  allgemeine  Ausfehen  erhält  durch  die  vielfache 
Anwendung  der  Kehle  etwas  Uebertriebenes,  Gefpendig-  Unheimliches.  So 
erfcheinen  die  Pfeiler  wefentlich  länger,  befonders  da  fie  zu  ihrer  Höhe  an 
fich  fchon  hinlänglich  dünn  find,  die  Fendergewände  fehen  aus  wie  fchläfrig 
matte  Augenlieder,  die  Rippen  wie  Sehnen  ohne  Fleifch.  Es  id  wieder  der 
formale  Ausdruck  des  die  Materie  verachtenden  Geilles,  den  man  lieht. 
Denn,  indem  der  fchlanke,  man  möchte  annehmen  bereits  auf  den  geringden 
I heil  feiner  MafTe  befchränkte  Pfeiler  durch  die  Kehlen  noch  ein  Stück 
verliert  und  dabei  keine  fchwächere  Aufrifslilhouette  erhält,  verfchärfen  fich 
Licht  und  Schatten  in  verticaler  Ausdehnung  ganz  erheblich,  ohne  jedoch,  wie 
etwa  bei  den  tragenden  Gliedern  der  antiken  Baukund,  den  Säulen,  ihre  Bellim- 
mung,  eine  Lad  emporzuhalten,  erlichtlicher  zu  machen.  Im  Gegcntheil,  der 
Eindruck  einer  Ueberanfpannung  der  Kräfte  des  Materials  id  die  Folge  folcher 
wenigen,  weiten  und  fchattigen  Flächen,  etwa  wie  wenn  ein  Greis  feine  leimi- 
gen, doch  fleifchlofen  und  daher  fcharffchattigen  Arme  andrengen  müfste,  eine 


Inneres. 


Thcilcfl.  Innern : 
Pfeiler 

und  Gewölbe. 


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28 


DIE  STADT  HATTE  u.  <1.  SAAI.KRKIS. 


La  ft  hoch  zu  halten.  Die  Pfeiler  haben  einen  achteckigen  Sockel,  der  zwei- 
geteilt ift,  im  unteren  Theile  geradlinige  Seiten  hat,  im  oberen  aber  fchon 
die  flachgehöhlten  annimmt.  Aus  der  Zeichnung  des  umlaufenden  Sockel- 
fimfes,  Fig.  12,  fleht  man,  dafs  auch  diefes  kaum  mehr  als  eine  Hohlkehle  be- 


Fig.  1 2. 


deutet.  Ohne  irgend  eine  Unterbrechung,  ja  ganz  ohne  Capital  oder  ein  anderes 
Gebilde,  welches  delfen  Thätigkeit  übernähme,  (z.  B.  eine  Confole),  gehen 
alle  Pfeiler  bis  in  das  Gewölbe  hinauf,  thatlachlich,  denn  es  fchneiden  die 
Rippen  und  Kappen  mit  den  Pfeilern  zufammen,  wie  es  die  gewählte 
Gewölbelinie  und  Netzordnung  eben  mit  (ich  bringt,  bald  höher,  bald  tiefer, 
aber  natürlich  an  jedem  Pfeiler  in  gleicher  Weife. 

Diefe  ganze  Conftruction  macht  freilich  ein  Capitäl  kaum  wünfchenswerth, 
fowie  lie  die  organifche  Gliederung  des  Pfeilers  durch  alte  und  junge  Dienfte 
nicht  nöthig  hat;  könnte  man  es  auch  dem  GrundrilTe  noch  nicht  anfehen,  fo 
würde  durch  die  perlpectivifche  Innenanficht  verdeutlicht  werden,  dafs  nämlich 
die  Rippeneinen  conftructiven  Sinn  gar  nicht  mehr  haben,  fondern  nur  zur 
müfligen  Decoration ' dienen.  Im  Mittelfchiff  ift  das  Gewölbe  eigentlich  nur 
ein  Tonnengewölbe  von  kaum  merklichem  Spitzbogen  oder  beffer  nur  eine 
grofse  Kappe  zwifchen  den  Pfeilern,  in  den  Seiten fchiffen  ift  es  weniger 
llumpf  und  von  Stichkappen  unterbrochen.  Belebt  ift  diefe  Wölbung  nun 
von  einem  ganz  beliebigen,  vielmafchigen  Netzmufter,  das  fleh  in  den 
einzelnen  Jochen  wiederholt  und  von  Rippen  gebildet  wird,  deren  Profilirung, 
einförmig  genug,  nur  in  vier  Hohlkehlen  befteht.  Durch  ein  folches  fteinemes 
Netz  erhält  die  Kappe  wohl  eine  durchweg  gleichmäfsige  Verftärkung,  der 
Gewölbefchub  aber  überträgt  fich  nicht  auf  Rippen  oder  Grate  und  dadurch 

1 Streng  genommen  freilich  verlangt  auch  die  Decoration,  um  zu  entftehen  und  gerade 
fo  zu  entftehen,  wie  fic  entfteht,  einen  Zwang,  ausgeübt  durch  die  Conftruction  oder  das 
Beftreben,  deren  Kräfte  erfichtlicher  zu  machen,  abgefchen  von  den  Factoren,  die  den  jedes* 
maligen  Stil  producirt  haben. 


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t>iE  kikCiif.  }.v  tr.  I..  rkAi'F.M.  i<) 

fchliefslich  auf  einzelne  Punkte,  nämlich  auf  die  Strebepfeiler  im  Aeufseren, 
fondem  er  drückt  ziemlich  gleichmäfsig  gegen  die  pfeilerverllärkten  Aufsen- 
wände.  Damit  aber  ifl  das  Wefen  der  Gothik  aufgehoben.  Ks  gipfelte  ja 
gerade  in  der  Möglichkeit  der  kühnen  Gewölbeconftruction  fo  hoch  über 
dem  Boden  nach  Regeln,  die  das  Auge  erfafst  und  durch  die  es  beruhigt 
ift.  Das  ill  der  Conllructionsgrundgedanke,  der  erll  die  einzelnen  Formen 
erzeugt  hat.  Sobald  er  verlaßen  wird  von  den  Baumeillern,  geht  es  mit 
dem  gothifchen  Wefen  — Tagen  wir  mit  der  Kunll  überhaupt  — abwärts, 
und  fo  ifl  im  vorliegenden  Falle  die  prahlende  Gewölbeform  ohne  tieferen 
Sinn  nach  Uebereinkunft  entflandenes,  fteinernes  Phrafenthum,  wohl  zierlich 
und  das  Auge  gefällig  unterhaltend,  aber  ohne  innere  Nothwendigkeit  und 
Wahrheit.  Und  weil  die  Baukunlt  hier  herabgefunken  ill  zur  handwerks- 
mäfsigen  Fertigkeit,  müffen  Wunderbarkeiten  und  Spielereien  wieder  Erfatz 
geben:  zu  folchen  gehört  zuerd,  dafs  man  ftellenweife  die  Rippen  loslöll 
von  den  Kappen,  fie  frei  durch  die  I.uft  und  über  andere  Rippen  wegführt, 
und  dann  wieder  dem  Gewölbe  fich  anfchliefsen  läfst,  ferner,  dafs  man  aus 
ihnen  einen  Schlufsllein  (in  F'ig.  1 1 vorn  oben  zu  fchen)  formirt,  der,  wie  von 
biegfamem  Stoffe  durch  Verfchlingungen  geformt,  mit  einem  vergoldeten 
Zapfen  tief  herabhängt  und  Staunen  über  die  Steinmetzengefchicklichkeit 
hervorrufen  foll,  welche  im  Stande  ill,  die  natürliche  Unfähigkeit  des  Sand- 
fleines  zu  folchen  Schnurpfeifereien  wegzuleugnen.  Nach  Olearius  ill  ,,1539 
mit  dem  Gewölbe  über  dem  Chor  zur  Lieben  Frauen  angefangen.“  Das 
Gewölbe  pflegte  das  zuletzt  in  Angriff  genommene  Stück  des  Kirchenbaues 
zu  fein;  es  ill  deshalb  wohl  anzunehmen,  dafs  bis  auf  den  Ausbau  durch 
Kanzel.  Emporen  u.  f.  w.  die  Kirche  im  folgenden  Jahre  fertig  gewefen  ifl. 

Zu  der  innern  Ausllattung  gehört  zuerll  eine  Befonderheit  der  Markt-  Emporen, 
kirche,  der  Einbau  Iteinerner  Emporen  an  allen  Seiten  des  Schiffes.  An 
Nord-  und  Südfeite  find  es  den  Jochweiten  entfprechende  Spitzbögen  auf  der 
Pfeilern,  die  ein  Netzgewölbe  tragen;  darüber  ifl  der  Fufsboden  hergeflellt 
und  nach  vom  durch  eine  Brüllung  umfehränkt.  An  der  Oll-  und  Wellfeite 
dagegen  fpannt  fich  im  Mittelfchiff  ein  grofser  Flachbogen  zwifchen  die  letzten 
Pfeiler,  auf  dem  das  Podium  der  Empore  dann  etwas  höher  als  in  den 
Seitenfchiffen  ruht. 

Die  Einzelheiten,  Fig.  13,  14  u.  15,  verdienen  eine  befonders  eingehende 
Betrachtung.  Der  Fufs  der  achteckigen  Pfeiler,  die  mit  ihren  concaven  Seiten 
mehr  einer  Säule  gleichen,  ill  ein  runder  Wulil  auf  einem  fenkrecht  cannelirten, 
cylindrifchen  Sockel.  Wo  die  Archivolten,  wenn  man  das  gothifche,  graten- 
artige  Bogenprofil  hier  fo  nennen  kann  — anfetzen,  fehlt  eine  organifche  Ver- 
knüpfung durch  ein  Capitäl.  Der  Bogen  fchneidet  ohne  Weiteres  in  den 
Pfeiler  ein  und  nur  ein  kaum  merklicher  Anfatz  von  Profildurchdringungen 
bezeichnet  den  Kämpfer.  Auch  die  Bogenlinie  felbll  fchneidet  hier  noch 
in  den  Pfeiler  ein,  fodafs  zwifchen  ihr  und  der  fenkrechten  Pfeilerlinie  ein 
fchwacher  Knick  entlieht.  Von  InterefTe  ill  die  Conllruction  des  Bogens 
felbll  (Fig.  13.)  Sie  ill  in  den  untern  Schichten,  fo  weit  thunlich,  durch  Vor- 
kragen der  Steinllücke  bewerkllelligt , dann  erll  beginnt  man  den  radialen 
Pugenfchnitt  und  bedient  fich  dazu  folcher  Steine,  die  in  der  Richtung  der 


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DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


Wölblinie  möglich!!  lang  find.  Die  Bogenzwickel  werden  mit  flachem  Relief- 
ornament ausgefüllt,  welches  aus  Ranken  und  Blättern  befteht,  auch  allerlei 
Gethier,  Halbfiguren,  Kriegerköpfe,  Masken  und  Schilde  mit  einflicht. 1 
Den  Fugenfchnitt  in  den  Zwickelflächen  hat  man  mit  Gefchick  dadurch  tür 
das  Ornament  unfchädlich  zu  machen  gewufst,  dafs  man  die  Rankenwin- 
dungen ihm  angepafst,  geradezu  nach  ihm  componirt  hat;  die  Fugen  durch- 
fchneiden  immer  nur  die  dünnen  Stengel  nicht  die  breiten  Blätter,  oder, 
wo  letztere  dennoch  getroffen  find,  geht  der  Schnitt  quer  zur  Blattrichtung. 
Das  ganze  Ornament  aber  ift  lappenähnlich  platt  behandelt,  es  fieht  aus, 
als  fei  es  aus  Leder  gefchnitten  und  dem  Grunde  aufgelegt,  ftatt  aus  dem 
vollen  Steine  herausgearbeitet;  das  Plaftifche  fehlt  den  Details  noch,  ebenfo 
ift  die  Regel  für  das  Relief,  das  lieh  doch  gleich  einer  mit  dem  Bin  fei 
aufgemalten  Maffe  vom  Grunde  weich  abheben  Toll,  feiten  beachtet.  So- 
wohl in  der  Compofition  — z,  B.  an  der  Führung  der  Ranken  in  ge- 
fchmeidigen,  fchwungvollen  Linien  — als  in  der  Behandlung  der  Einzel- 
formen — z.  B.  an  den  flachen  Blättern  voll  frifchen  Lebens  ftatt  der 
feitherigen,  dürren  und  in  übertriebenem  Hochrelief  oder  durchbrochen 
gehaltenen  — ift  hier  von  der  gothifchen  Art  nichts  mehr  zu  fpüren;  diefe 
decorative  Flächenbelebung  ift  für  ihre  Zeit  neu  oder  doch  den  heimifchen 
Steinmetzen  feither  unbekannt.  Die  Renaiffance  meldet  fich  an  den  deco- 
rativen  Stücken  zuerft  und  gleich  recht  lebhaft  an , obwohl  das  Ornament 
felbft  noch  roh  gearbeitet  und  in  der  Compofition  noch  keineswegs  ausge- 
reift ift.  Oben  werden  die  Zwickel  von  einem  durchlaufenden,  über  die 
Bogenfcheitel  weggehenden  Gefimfe,  Fig.  15,  begrenzt.  Meifter  Hofman  hat 
fich  abgemüht  Kümata,  Hängeplatte  und  Sima  in  ein  fchickliches  Verhältnifs 
zu  ordnen,  aber  das  Glück  ift  ihm  dabei  noch  wenig  hold  gewefen;  zu  fehr 
noch  ftak  er  in  der  gothifchen  Gedankenwelt ; wohl  fieht  man  in  jeder 
Linie  den  Protell  gegen  das  Ueberkommene,  doch  das  Neue,  was  der 
Meifter  vorbringt,  ift  noch  unverftändig.  Für  das  Gewölbe,  Fig.  14,  hat  man 
eine  paffendem  als  die  Netzform  nicht  gewufst,  ebenfo  hat  fich  die  Gothik  an 
den  Rippen  nicht  verdrängen  lafTen;  fie  find  gleich  denen  am  Hauptgewölbe 
profilirt.  DieBrüftung  endlich,  die  fich  wie  eine  Attika  auf  das  Gefims  fetzt, 
wird  über  jedem  Spitzbogen  durch  dockenartige  Halbfäulchen  in  vier  Felder 
getheilt  und  oben  von  einem  Abdeckungsfims  gefchlolfen,  in  welches  joni- 
lirende  Säulchenkapitäle  halb  einfehneiden.  Die  letztem  find,  wo  fie  ganz 
zur  Entfaltung  kommen  z.  B.  an  den  Ecken  der  weltlichen  Orgelempore, 
mit  Engelsköpfen  zwifchen  den  Voluten  gefchmückt  und  fo  eigenartig  wie 
reizend  entworfen.  Während  Docken  und  Sims  in  die  Renaiffance  fpielen, 
find  die  Felder  wiederum  durch  knöchrig  gothifches  Maafswerk  — Flach- 
kehlenprofil, Fig.  16,  — ausgefüllt,  aber  nicht  durchbrochen,  fondern  zur  Blende 
abgefchwächt.  Beachtenswerth  ift,  dafs  die  Steine  der  Brüftung  auf  der  Rück- 
feite  mit  vielen,  grofsen  Klammern  unter  einander  forgfaltig  verbunden  find, 

1 Lübbe  in  feiner  Gefchichle  der  Renaiffance  in  Deulfchiand  macht  bei  tler  ßefchreibung 
der  Kirche  zu  Pirna  hei  Dresden  aufmerksam  auf  die  Achnlichkcit  ihrer  Emporen  mit  denen 
der  Marktkirche  zu  Halle. 


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DIE  KIRCHE:  ZU  U.  L.  FRAUEN. 


3' 


die  keine  Spur  von  Roflbildung  zeigen.  Die  Unterfuchung  ergab,  dafs  fie 
alle  aus  Blei  beilehen. 


Maafswerksprofil  an  der  nrüstun^  »1er  steinernen  Emporen.  «Marktkirche.) 

Im  Jahre  1597  Tollen  die  Emporen  „mit  Gold  auff  blau  und  weifsen 
(irundt  ftaffiret“  fein,  auch  Bibelfprüche  in  goldenen  Buch  Haben  auf  blauem 
Grunde  zogen  fich  am  Briefe  des  Gelimfes  hin.  Gewifslich  war  diefer 
Schmuck  durchaus  harmonifch  und  gefchmackvoll , da  er  in  den  kunll- 
finnigllen  Jahren  gemacht  wurde ; fpätere  Zeiten  haben  leider  einen  eintöni- 
gen , fchmutzig  gelben  Oelfarbenanllrich  und  weifse  Buchllaben  auf  Itumpf 
dunkelrothem  Grunde  für  eine  VerbelTerung  angefeheti. 


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3* 


tllK  STAUT  HALLE  U.  d.  SAALkRKtS. 


Emporen* 
infchrificn  und 
Aehnlkks 


deren  Gewände,  F'ig.  ly,  fchon  ganz  in  der  AuffalTung  der  RenaiPTance  ohne 
vorherrfchende  Hohlkehlen,  Profildurchdringungen  und  dergl.  profilirt  ift. 
Die  Treppen  find  bequem,  haben  gefchweifte  Stufen  und  endigen  oben 
mit  einem  verzierten  Sturz  (vergl.  Fig.  20)  über  dem  Austritt. 

Es  fetzt  fich  aber  nach  einem  Podelte  die  Treppe  noch  bis  zu  dem 
Sturze  fort,  um  auf  die  Wellempore  zu  geleiten;  diefe  ift  heute  nicht  mehr 
in  ihrem  erften  Zuftande,  nur  der  Bogen  und  das  Gefims  find  noch  unter 
ftufenartigen  Zufätzen  und  Ueberbauungen  von  Holz  vorhanden.  Am  meilten 
fallt  hier  auf  die  im  Grundrifs  zu  erfehende  Verbreiterung  der  Empore, 
dadurch  bewirkt,  dafs  der  Bogen  fich  einfeitig  verbreitert  (im  Grundrifs  Fig.  1 
zu  sehen)  und  alle  Simfungen  die  ausladende  Linie  begleiten,  eine  balcon- 
artige  Form  mitten  in  der  Empore  bildend.  Originell  ift,  wie  der  Meifler 
hier  die  Bogenlaibung  behandelt,  nämlich  mit  füllenden  Ranken  und  Blättern 
gleich  den  Bogenzwickeln,  während  er  den  nämlichen  Flachbogen  der  Oft- 
empore in  ftarren  architektonifchen  Gliedern  gehalten  hat.  Unter  den  hölzer- 
nen Ueberbauten  kann  man  da,  wo  der  gelbe  Oelfarbenanftrich  nicht  an  das 
Gefims  gekommen  iß,  noch  die  Spuren  der  blafsblauen  Friesbemalung 
von  1597  finden;  der  Fries  hatte  hier  auch  keine  Schrift  fondern  ein  einge- 
fchnittenes  Bandornament. 

Die  Empore  in  Often  liegt  ebenfalls  fo  hoch  wie  die  weftliche  und  zu 
ihr  führt  von  jeder  Seitenempore  eine  fchmale  Treppe  hinauf.  Die  (ud- 
liche  liegt  fichtbar  an  der  Oftwand  des  Seitenfchiffes  und  hat  ein  ein- 
faches, altes  Schmiedeeifengeländer  mit  einer  Thür,  die  nördliche  dagegen 
liegt  hinter  dem  Hauptpfeiler  und  ift  unten  nicht  zu  fehen.  Auch  die 
Brüftung  diefer  Empore  baucht,  in  der  Mitte  vorkragend,  ein  Wenig 
aus  wegen  der  kleinen  Orgel  (nicht  der  jetzigen),  für  die  fie  von  Anfang  an 
beftimmt  gewefen  ift. 

Es  findet  fich  nun  noch  eine  Reihe  bemerkenswert  her  Einzel  hei  ten. 
In  der  Südoftecke  will  Hofman  durch  ein  conftructives  Kun  ft  ft  tickchen  glänzen  ; 
er  hat  folgende  Worte  in  die  untere  Simsplatte  eingehauen: 

ES  THVN  IHER  VIEL  FRAGEN  WIE  SICH  DISE  2 STVCK  TRAGEN. 

Worin  überhaupt  die  Schwierigkeit  der  Conftruction  beftehen  toll,  ift  nicht 
einzufehen,  denn,  wie  man  an  Ort  und  Stelle  lieht,  find  die  beiden  in  Betracht 
kommenden  Stücke  zunächst  in  die  Pfeiler  tief  eingelaften,  aus  denen  fie  con- 
folenartig  vorftehen,  fodafs  fie  fchon  an  und  für  fich  Halt  genug  haben 
müfsten,  aufserdem  mag  eine  Verfalzung  und  Verklammerung  mit  der  viel- 
leicht auch  confolenartig  in  die  Oftwand  eingelalTenen  Fufsbodenplatte  die 
Haltbarkeit  vermehren;  doch  ift  das  nicht  zu  fehen  ohne  eine  Unter- 
fuchung,  die  eine  zeitweilige  Zerftörung  des  Emporenftückes  bedingen  würde. 
Und  in  der  That  ift  es  auch  ziemlich  belanglos,  welche  von  den  vielen 
möglichen  Conftructionen  hier  angewandt  ift,  weil  für  Bauleute  jetzt  nicht 
im  Minderten  Schwierigkeit  Vorhänden  wäre,  die  Empore  dergeftalt  herzu- 
ftellen. 

• An  der  Südfeite  im  4.  Joche  von  Often  her  ift  am  Simfe  das  Wappen 
des  Baumeifters,  I*ig.  18,  angeheftet.  Inmitten  eines  blechernen Rundftückes  von 


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!>11  KIRCll!  zr  I'.  L.  KKAt'IN. 


33 


einem  Rande  umgeben  befindet  fich  der  Wappen fehild  mit  Helm  und  zu 
Blattwerk  aufgelöfler  Helmdecke  in  erhabener  Arbeit.  Kino  liegende  ,\lond- 
fichel  mit  einem  Sterne  darin  erinnert  an  das  ftädtilche  Wappen.  Auf  dem 

Fis.  >»• 


Niekd  Ifofman’s  Wappen  an  der  Siidempore. 


Schilde  felbif  fieht  man  von  einem  Ringe  umgeben  die  Sichel  des  zunehmenden 
Mondes  mit  einem  Geflehte.  Als  redend  das  Wappen  aufgefafst,  könnte 
der  Mann  eines  Mondes,  welcher  zunimmt,  allo  wohl  die  Hoffnung  auf  den 
kommenden  Vollmond  erweckt,  vielleicht  als  Hofman  gedeutet  werden. 
Imt  alles  dies  umfchliefsende  Rand  ilf  durch  zwei  Wülfte  conturirt  und  hat 
jtilser  dem  Werkzeichen  des  Meifters  folgende  Infchrift: 

NICKEL  . HOFMAN  . DER  . DISEN  . BAW  . V0LEN3ET  . IM  . 54 

Dafs  das  ganze  Stück  wie  jetzt  auch  früher  farbig  gefchmückt  gewefen 
'h.  fcheint  licher.  jedenfalls  aber  war  die  alte  Farbe  nicht  wie  heute  eine 
unangenehme,  harte,  blaue  und  blanke  Oellarbe  mit  Gold.  Untor  dem 
Wappen  in  den  Gefimsftein  eingehauen  lieht: 

DURCH  . GOTES  . HULF  . HAB  . ICH  . NICKEL  . HOFMAN  . DISEN  . 

BAW  . IM  . 1554  . VOLENDET. 

Beachtenswert!!  dürfte  fein,  dafs  lowohl  in  diefer  als  in  der  Infchrift 
ftes  Rundftückes  die  Schreibweife  des  Namens  übereinrtimmend  Hofman  ill 
B.  D.  d.  Bau- u.  Kuntld.  N.  F.  I.  d 


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34 


DIE  STADT  HAI-I-F.  u.  d.  SAALKREIS. 


ftatt  Hofemann,  welche  fich  in  der  Umfchrift  des  Portraits  auf  dem  Gottes- 
acker findet.  Da  letztere  wohl  erft  nach  des  Meilters  Tode  ent  Hand,  jene 
aber  von  ihm  felber  oder  nach  feiner  perfönlichen  Anweifung  gefertigt  ift, 
darf  man  die  Lesart  Hofman  wohl  als  die  richtige  anfehen. 

Im  6.  Joche  bei  der  Kanzel  ift  ein  Rundftück  gleich  an  das  Simsftück 
angehauen;  darauf  ift  dargeftellt  von  einem  Kranze  umgeben  Jonas  im 
Fifchrachen;  zu  beiden  Seiten  daneben  lieht  ein  I.  Die  dem  Simfe  ein- 
gehauene Unterfchrift  giebt  Auffchlufs,  auf  wen  das  Dargeftellte  Bezug 
hat;  fie  lautet: 

ANNO  1541  DOCTOR  JUSTUS  JONAS  HIC  EVANGELIUM  REST A/RA/IT. 

In  den  Jahren  Jahren  von  1541  bis  1547  ift  nämlich  Jonas  der  erfte 
evangelifche  Prediger  an  diefer  Kirche  gewefen. 

In  demfelben  Joche  an  der  gegenüberliegenden  Nordfeite  (Fig.  13)  ift 
Luthers  Wappen,  ein  Herz  mit  Kreuz  auf  einer  Rofe,  dem  Simsfteine  der 
Empore  angehauen  und  darüber  das  Bildnifs  des  Reformators  angebracht. 
Es  tritt  als  Bruftbild  auf  einem  runden  Medaillon , welches  wahrfcheinlich  aus 
geprefstem  Leder  befteht,  in  ziemlich  kräftigem  Relief  hervor  und  ist  farbig 
gehalten;  bedauerlicher  weife  ift  auch  hier  die  alte  Färbung  unfchün  erneuert. 

1553 

Auf  dem  freien  Raume  neben  dem  Kopfe  fleht  links  vom  Befchauer: 

I K 

rechts  D M L,  diefes  ift  wohl  als  Doctor  Martin  Luther  zu  deuten, 
während  jenes  fich  auf  das  Entftehungsjahr  und  den  Namen  des  weiter 
nicht  bekannt  gewordenen  Verfertigers  bezieht.  Auf  dem  Rande  ringsum 
lefen  wir: 

PESTIS  ERAM  VIVUS  MORIENS  ERO  MORS  TVA  PAPA. 

Haben  fich  folche  Worte  erfüllt? 

Im  Friefe,  zwifchen  Wappen  und  Bild  ift  eingehauen: 

SANCTUS  DOCTOR  MARTINUS  LUTI-ERUS  PROPhETA  GERMAN l/E 
DECESSIT  ANNO  1546. 

Ferner  fleht  neben  dem  Wappen  auf  der  unteren  Simsplatte  einerfeits 
NATUS  ANNO  1483,  andererfeits  DOCV1T  ANNO  1517. 

Endlich  findet  fich  im  Ornamente  des  rechten  Zwickels,  Fig.  19,  am  letzten 
Bogen  der  Südfeite,  der  wie  der  gegenüberliegende  wegen  der  vorfpringenden 
Treppe  kein  ganzes  Joch  fafst , ein  Meifterfchild  mit  Zeichen  und  den  Buch- 
Haben  T R daneben.  Auf  einer  befonderen  Platte  weiter  unten  fleht  1554. 
Es  kann  anders  nicht  fein,  als  dafs  diefer  T.  R.,  deffen  Zeichen  und  Buchftaben 
fich  auch  am  Gottesacker  wiederfinden,  der  treue  Gehilfe,  vielleicht  der  erfte 
Polir  Hofmans  gewefen  ift.  Der  Name  ift  leider  unbekannt  geblieben.1 

1 Vergl.  H.  Heydem an n fs  Bemerkungen  in  der  Zeilfchrifl  für  bildende  Kunfi  XVII.  S.  179 
Anm.  4 und  im  zugehörigen  Beiblatt  18.  Jahrg.  Nrn.  2 auch  Orlwein**  Hefte  über  Deutrehe 
Kenaiffance  VIII.  Abtheilung. 


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IMF.  KIKCilF  ZU  U.  t_  FRAUEN'. 


35 


An  beiden  Treppen  iß  der  verzierte  Sturz  über  dem  Austritt  merkwürdig. 
Wir  geben  in  Figur  20  das  Bild  von  dem  mittleren  Stücke  der  Ornamen- 
tirung  des  über  der  füdlichen  Treppe  befindlichen.  Auf  dem  Schilde  liehen 

Fig.  19. 


die  Anfangsbuchftaben  N.  H.  des  Namens  und  zwifchen  ihnen  befindet  fich 
das  Werkzeichen  des  Baumeifters,  aufserdem  die  Jahreszahl  1554.  Auf  der 
Zeichnung  nicht  mehr  angegeben  ift  die  Infchrift  dicht  unter  diefem 
verzierten  Felde  des  Sturzes,  fie  heifst: 

ICH  DANCKE  GOT  DER  MICH  BEHVT  IN  ALER  NOT. 

Der  Sturz  über  der  nördlichen  Treppe  ift  ganz  ähnlich  gefchmückt. 
auch  das  Wappen  lieht  bis  auf  die  Jahreszahl,  welche  hier  1550  ift,  ebenfo 
aus.  Beiläufig  mag  bemerkt  werden,  dafs  Hofmann  diefes  Werkftück  nicht 
«genhändig  gearbeitet  hat,  weil  fich  daran  das  Steinmetzzeichen  eines 

i* 


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Entftchungszeit. 


36  * DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKHEIS. 


Gefellen  findet.  Die  beiden  Jahreszahlen  gerade  an  diefen  beiden  Stellen 
können  wohl  nur  auf  den  Anfang  und  das  Ende  der  1 lerllellung  der  Emporen 
bezogen  werden.  Die  Chroniften  ftimmen  damit  infofern  nicht  ganz  überein, 
als  fie  1551  als  das  Anfangsjahr  angeben.  Der  Grund  liegt  vielleicht  darin, 

Fig.  20. 


Sturzftück  über  der  füdlichrn  Emporentreppe. 


dafs  diefe  Treppe  freilich  fchon  1550  gemacht  wurde,  aber  erlf  im  fol- 
genden Jahre  „die  kleinen  Pfeiler  der  Lieben -Frauen -Kirchen  gemauert“ 
worden  find.  ‘ 

Das  führt  zu  weitern  Bemerkungen  über  die  Entftehungszeit  der 
Emporen.  Ziemlich  unbellreitbar  nach  den  befprochenen  Infchriften  und 
fonlfigen  fchriftlichen  Ueberlieferungen  iß,  dafs  die  Seitenemporen  und  die 
weltliche  Orgelempore  zwifchen  1550  und  1554  erbaut  worden  find.  Ueber  die 
Oftempore  jedoch  berichtet  v.  Dreyhaupt,  dafs  1530  auf  fie  die  kleine  Orgel 
(eine  Vorgängerin  der  heutigen)  gefetzt  fei  und,  da  er  beifügt,  des  Cardi- 
nais Organift  Leonhard  Dietzen  habe  fie  geftimmt  und  gerichtet,  fo  ilt 
fchlechterdings  nicht  daran  zu  zweifeln,  dafs  in  dem  genannten  Jahre  hier 
eine  Empore  war.  Ob  nun  aber  die  jetzige  Empore  und  ihre  Ausftattung 
diefelbe  ift,  die  153g  vorhanden  war,  oder  ob  erft  fpäter  mit  den  übrigen 
zufammen  die  Ausftattung,  wenn  nicht  die  Herftellung  einer  andern,  gefchah, 
ift  nicht  nachweisbar.  Es  ift  jedoch  unwahrfcheinlich.  dafs  die  vielen  andern 
Emporenbögen  nach  elf  Jahren  diefem  einen  vorhandenen  im  Stil  genau 
angepafst  worden  wären;  in  den  Formen  ftimmen  fie  auf  das  befte  überein. 
Ein  zu  grofser  Wechfel  der  Gefinnungen  war  inzwifchen  durch  den  Fortgang 
des  Cardinais  und  die  Einführung  der  proteftantifchen  Lehre  vorgegangen, 
als  dafs  nicht  eine  Stilverfchiedenheit  die  Folge  davon  gewefen  fein  würde. 
Eine  andere  Frage  ift  die  nach  dem  Zugänge  zu  diefer  Empore.  Er  mufste 
ein  directer  fein,  die  Seitenemporen  waren  noch  nicht  vorhanden.  Nach 
Lage  der  Dinge  kann  der  füdliche  Treppenaufgang  erft  mit  der  Eidlichen 
Empore  gemacht  fein , auf  der  er  ja  feinen  Antritt  hat.  Aber  der  nördliche 
könnte  vorhanden  gewefen  fein,  und  es  ift  anzunehmen,  dafs  er,  auf  welche 
Weife  immer  läfst  fich  nicht  mehr  fagen,  mit  der  in  Nordoften  angebauten 
Wendeltreppe  in  Verbindung  ftnnd.  Eine  Treppe  aber  mufs  hier  fchon  vor 


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IHK  KIKCHK  ZI!  lT.  L.  FRAUEN. 


37 


1667  (vergl.  die  Infchrift  weiter  vorn)  gewefen  fein,  weil  fich  in  Höhe  der 
Seitenemporen,  alfo  gleich  mit  der  Mauer  angelegt  (auch  aus  dem  Stein- 
verbande  geht  das  hervor),  ein  Portal  zwifchen  Nordempore  und  Treppen- 
raum befindet,  delTen  Gewände  wie  das  der  vier  bez.  fechs  andern  Portale 
des  Schiffes  ausfieht. 

Wir  haben  bisher  nur  von  den  fteinernen  Emporen  gehandelt,  in  Wirk- 
lichkeit trägt  aber  die  nördliche  Empore  noch  eine  zweite  von  Holz,  auch 
belleht  die  Weftempore  gröfseren  Theiles  aus  Holz  und  hat  über  den  Treppen 
in  den  Seiten  fchiffen  noch  eine  hölzerne  Galerie.  I löchlt  merkwürdig  ill  es  nun, 
dafs  diefe  hölzernen  Zufätze  die  Details  der  Steinemporen,  fo  weit  esthunlich 
war,  nachahmen.  Der  Aufbau  an  der  Nordfeite  ruht  auf  Pforten  in  Joch- 
weite , die  ziemlich  roh  vierkantig  find  und  oben  durch  concave  Knaggen 
fich  mit  den  graden  Balken  verbinden.  Auf  die  knaggenartige  Eckausfüllung 
ilf  auch  eine  falop  gefchnitzte  Akanthusranke  aufgeheftet,  und  die  beiden 
Pforten  des  der  Kanzel  gegenüber  gelegenen  Joches  find  mit  vorgefetzten 
halben  Palmbäumen  gefchmückt.  Der  Raum  zwifchen  der  graden,  meift 
calfettirten  Decke  und  dem  Eufsboden  der  untern  Empore  ift  durch  Bretter- 
verfchläge  logenartig  getheilt  und  fo  zu  Kirchftuben  für  die  vornehmem 
Familien  hergerichtet.  Das  Gelims  ift  die  genaue  Copie  des  fteinernen  und 
hat  wie  diefes  Bibelfprüche  im  Fries;  ebenfo  find. die  etwas  weniger  hohen 
Brüftungsfelder,  die  theilendenHalblaulchen  u.  f.  w.  Nachbildungen  der  untern. 
Die  Orgelempore  hat  ihre  zu  Anfang  jedenfalls  fteinerne  Brüftung  ver- 
loren, man  hat  nach  vorn  weiter  hinausgebaut  ebenfalls  mit  balconartiger 
Ausbauchung,  aber  in  gebogener  Linie,  und  den  Vorbau  durch  eine  Säule 
unterftützt.  Der  Eufsboden  liegt  ein  wenig  tiefer  als  das  alte,  fteinerne 
Podium,  welches  von  der  jetzigen  Orgel  fall  eingenommen  wird.  Die  er- 
wähnte Galerie,  die  in  den  Seiten  fchiffen  .weltlich  über  den  Treppen  neben 
der  Orgel  liegt,  hat  eine  Dockenbrüftung.  Uebrigens  find  fall  fämmtliche 
andere  Stücke  wiederum  den  fteinernen  nachgebildet,  fodafs  eine  oberfläch, 
liehe  Berichtigung  zu  dem  Glauben  führt,  auch  alle  hölzernen  Stücke  feien 
mit  den  fteinernen  gleichmäfsig  gemacht.  Dem  ift  aber  nicht  fo.  Aufser 
den  Details,  in  erfter  Linie  den  Palmbäumen,  den  angehefteten  Schnitze- 
reien u.  f.  w.,  dann  den  Caffettendecken,  überhaupt  der  Stubenausftattung,  ift 
es  der  unverftändige  Gedanke  felbft,  die  Steinprofile  in  Holz  nachzumachen 
und  die  mehr  rohe  als  ungefchickte  Holztechnik  diefer  Stücke,  welche  die 
Mitte  des  16.  Jahrhunderts  als  Entftehungszeit  ausfchliefsen.  Man  erkennt 
an  allem  den  Stil  der  Barockzeit;  dabei  ift  es  freilich  auffällig,  dafs  diefe 
Zeit  fich  unferer  heutigen  gleich  herbeigelalfen  hat,  auch  einmal  im  Sinne 
einer  vergangenen  zu  fchaffen.  Genauer  die  Entftehungszeit  feftzuftellen 
ermöglicht  das  bekannte  Modell.  Es  weift  nach,  dafs  auch  die  fteinnach- 
ahmenden  1 lolzarbeiten  nicht  gleichzeitig  find.  Wir  fehen  nämlich,  dafs 
1695  die  Weftempore  und  ihre  höher  gelegenen  Galerien  bereits  vorhanden 
waren,  dafs  aber  die  nördliche  Oberempore  noch  fehlte.  Statt  ihrer  fteht 
mitten  auf  der  fteinernen  ein  einzelnes  Stübchen,  goldreich  geziert;  an 
feiner  Bekrönung  lieft  man  die  Jahreszahl  1O95.  Vor  diefer  Zeit  ift  alfo  die 
nördliche  Oberempore  nicht  vorhanden  gewefen;  aber  für  wen  war  das 


Holz  empören. 


Entftehungszeit 

der 

Holzcmporcn. 


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38 


IHR  STADT  HALLE  u.  d.  KAALKRKIS. 


r uf-rrc  Treppe 
n Xordobten. 


Sacrifteil  liür. 


Stübchen  beftimmt  und  wann  ift  es  erbaut?  Bei  Olearius  findet  lieh  über 
das  Jahr  1638  Folgendes:  „1638  ift  das  Fürftliche  Kirch-Stüblein  in  der 
Lieben -Frauen  Kirchen  erbauet.“  Fin  folches  giebt  es  nicht  mehr,  wo  aber 
kann  es  Fon  ft  geftanden  haben  als  hier,  der  Kanzel  gerade  gegenüber  ? 
Beweilt  doch  auch  die  Loge,  die  nachdem  an  diefe  Stelle  gekommen  ift, 
durch  den  fie  auszeichnenden  Palmenbaumfchmuck , dafs  fie  für  ausgezeich- 
nete Perfonen  beftimmt  war.  Die  Jahreszahl  1695  an  der  Bekrönung  des 
Stübchens  beweift  nur,  dafs  es  um  diefe  Zeit  vorhanden  gewefen  ift;  viel- 
leicht ift  es  das  Verfertigungsjahr  des  Modelles,  welches  man  hierher  gefetzt 
hat.  Uebrigens  ergeben  auch  die  Fehler,  die  bei  der  Steinnachahmung  in 
Holz  entftanden,  eine  Verfchiedenheit , die  eine  gleichzeitige  Entftehung  der 
beiden  Emporen  aus  Holz  nicht  zuläfst.  Vergl.  Fig.  21  und  22  mit  Fig.  16. 


Fi(f.  31. 


Kig.  22. 


M.if.swerksprotil  an  der  Brüstung 
der  hölzernen  (obern)  Empore  nördlich. 


Mafüwerksprolil  an  der  Brüstung  der 
Orgelempore  (Holz). 


Beftimmtere  Zeitangaben  laßen  lieh  nicht  machen,  die  wenigen  originellen 
Details  reichen  hin,  um  darzuthun,  dafs  die  Orgelempore  nicht  fehr  lange 
vor  1700,  und  die  obere  Nordempore  bald  nach  diefer  Zeit  gemacht 
fein  mufs. 

Aufser  der  hölzernen  Stiegenfortfetzung  über  der  nordwestlichen  Wendel- 
treppe fuhrt  auch  noch  die  äufsere  Treppe  in  Nordoflen  bis  zu  der 
obern  Seitenempore  hinauf.  Wie  es  wegen  des  fpätgothifchen , bereits 
erwähnten  Thürgewändes,  in  der  Höhe  der  untern  Empore  klar  ift,  dafs 
fchon  vor  1667  ein  Thurm  hier  geftanden  hat,  fo  läfft  lieh  auch  an  den  Stufen 
nachweifen,  was  bereits  äufserlich  an  den  Fenftern  erkannt  wurde,  dafs  der 
Thurm  nachträglich  erhöht  worden  ift,  nämlich  bei  dem  Bau  der  oberen 
Holzempore.  Die  unteren  Stufen  vom  Jahre  1667  lind  besser  gearbeitet, 
die  Unterficht  zeigt  jede  Trittftufe  forgfältig  abgerundet,  oben  dagegen 
begnügt  man  lieh  mit  einer  ftumpfwinkligen  Bearbeitung  derfelben.  Auch 
find  die  oberen  Stufen  gröber  fcharrirt.  Dafs  auch  ein  ausgebildetes  Thür- 
gewände oben  fehlt,  ift  natürlich. 

Unter  den  andern,  weit  weniger  bedeutenden  Stücken  des  inneren 
Kirchenausbaues  diefer  Zeit  mag  zuerft  das  fteinerne  Gewände  der  Thür 
zwifchen  Kirche  und  Sacriftei  genannt  werden.  Es  ift  ein  anziehendes 
Stück  der  fpäteften  Gothik.  Ein  tief  ausgearbeitetes  Gewände,  in  der 
bekannten  Weife  aus  Hohlkehlen,  Rundftäben  u.  f.  w.  beftehend,  geht  in 
einen  Efelsrücken  über  und  bildet  durch  Abzweigung  und  Vereinigung 
beiderfeits  ein  Feld,  gefüllt  mit  Laubornamenten,  welche  als  Hochrelief  fall 
ganz  frei  vor  dem  Grunde  liehen.  Darunter,  um  das  Tympanon  zu  füllen. 


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IHK  KIRCHE  ZU  V.  L.  FRAUEN.  39 


hängt  das  Schweifstuch  mit  dem  ziemlich  ftark  vortretenden  Kopfe  Chrifti. 

Der  Ausdruck  ift  nicht  übel;  die  ganze  Thürlöfung  ift  reizvoll  und  fcharf- 
linnig  erfunden.  Während  die  Thür  an  der  Kirchenfeite  fpitzbogig  hoch 
hinauf  geht,  ift  fie  auf  Seiten  der  Sacriftei  viel  niedriger  und  flach  korb- 
bogig.  Die  kirchfeitigen,  hohen  ftark  befchlagenen  Flügel  verdecken  fomit 
nicht  nur  das  Thürlichten,  fondern  auch  das  Tympanon.  Weniger  von 
Jntereffe  ift  das  Gewände  in  der  Sacriftei,  weil  es  ein  einfacheres  Profil  hat. 

Wir  nennen  ferner  die  Kanzel  als  eine  mit  der  Kirche  entftandene  Kanzel, 
und  den  Stil  der  Zeit  gut  kennzeichnende  Arbeit.  Sie  ist  von  Sandftein, 
ruht  auf  einer  Säule  mit  reichem  F'ufse,  und  eine  Treppe  fuhrt  um  den 
Pfeiler  der  Südfeite,  an  den  fie  fich  lehnt  (f.  den  Grundrifs),  zu  ihr  hinauf. 

Im  Einzelnen  betrachtet  gewährt  das  Stück  eine  Fülle  anziehender  und, 
wenn  man  will,  auch  abftofsender  Befonderheiten.  Der  F'ufs  der  die 
Kanzel  ftützenden  Säule  ift  ein  die  Elemente  der  Gothik,  und  Renaiffance 
innig  mengendes  Machwerk  (Fig.  23  und  24).  Unfere  Aufmerk famkeit 

Fig.  23. 


4 f £ £ ^ 

Grundrifs  des  Kanzelfufses. 


wird  im  höchften  Grade  davon  gefeffelt,  namentlich  auch,  weil  diefe  Bafis 
der  relativ  fchönfte  Theil  des  Ganzen  ift.  Die  Motive  find  fehr  mannig- 
faltig und  deren  Compofition  ift  rein  kriftallinifcher  Natur.  Wie  fich  das 


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DIF  STADT  HALLE  u.  d.  SAAI.KKKIS. 


40 


Atlfrifs  des  Kaiuclfufscs. 


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DTK  KIRCHE  ZT*  C.  I..  FRAUEN. 


4* 


Kunftfchaffen  hier  äufsert,  ifl  mehr  naiv  und  niedlich,  als  eigentlich  fchön  zu 
nennen.  Der  Grundrifs  nimmt  nach  einander  die  verfchiedenlten  Geftalten 
an ; er  geht  aus  dem  Viereck  zum  Achteck  und  zum  Kreife  über,  bricht  dann 
feine  Linien  in  complicirter  Weife,  vereinfacht  fie  wieder,  und  das  mit 
Wiederholung  in  veränderten  Figuren,  bis  er  fich  zum  einfachen,  glatt 
runden  Säulenllamme  zufammenzieht,  um  bald  wieder  in  ähnlichen  Bildungen 
das  Kapital  für  die  Kanzelfufsplatte  zu  formiren.  An  der  Balis  Towohl 
wie  am  Kapitäl  kommen  fodann  noch  zahlreiche  Kerbfchnitte  hinzu,  ferner 
wagerechte,  fenkrechte  und  felbft  fchräge  Gliederungen,  die  das  Ganze  fo _ 
bunt,  fo  fprudelnd  von  unbändiger  Luft  am  Ornamentiren  machen,  dafs  es 
unfere  Blicke  lange  gefangen  hält,  auch  ohne  dafs  durch  Blumen,  Blätter, 
Thiere  und  dergl.  wachfende  und  lebende  Objecte  viel  wjrkfamere  Mittel 
herangezogen  find.  Ueber  dem,  was  man  hierCapitäl  nennen  mufs,  fteigen 
Maafs  Werks  Verzweigungen  glatt  ohne  naturaliftifche  Ae  de  auf  als  Blende 
eines  feilen  Kernes,  der  von-  wulfliger,  weichlicher  Bildung  id  und  nach 
einer  Einziehung  fich  in  die  gleicher  Weife  behauene  Kufsbodenplatte  der 
achtfeitigen  Kanzel  ausbreitet.  Die  Felder  an  der  Kanzel  felbft  fcheidet 
ein  fchwacher  Rundftab  mit  einem  Fufse  und  Capitäle  von  Band-  und  Kerb- 
motiven. Alle  find  reizend  erfunden  und  einige  die  unverkennbaren  Vorboten 
der  Renaidance;  bis  zur  Blüthe  letzterer  hat  fich  diefer  Schmuck  ja  auch 
an  F'ender-  und  Thürprofilen  gehalten.  Jedes  F'eld  füllt  fich  durch  Blenden- 
maafswerk  — F'ig.  25  dellt  die  wenig  gothifche  Profilirung  derfelben  dar  — 

t'ifi.  =5- 


Maafeprotil  der  Kanzclbrüftuny. 

und  diefes  zieht  fich  auch  in  den  Feldern  der  Treppenbrülfung  hinab.  Man 
hat  die  Zirkelfchläge,  aus  denen  die  geometrifchen  Figuren  befiehen . von 
jedem  F'elde  in  die  nebenliegenden  hinein  fortgeführt,  dabei  ift  die  Löfung 
(namentlich  an  der  Verbinduugsftelle  der  Kanzel  mit  dor  Treppe)  nicht 
immer  geglückt. 

Am  Fufse  der  Treppe  fteht  ein  mit  einer  Thür  verfchliefsbares 
Portal,  gebildet  durch  zwei  Pfeiler  mit  Sturz  und  einer  rundbogigen  Ver- 
dachung darüber.  Hier  fieht  man  das  Suchen  nach  neuen  Formen  ganz 
deutlich:  prüft  man  nicht  genau,  fo  machen  die  Pfeiler  den  Eindruck, 
als  feien  fie  thatlachlich  in  Renaiflancegliedem  hergeflellt , während  fie 
doch,  wie  unfere  Zeichnung  (Fig.  26)  darthut,  lediglich  verderbte  Birnen- 
profile und  Plättchen  haben.  Der  F'ufs  der  Birnen  hat  wieder  Kerbfchnitte 
und  dergl.  Zierrathe,  über  deren  wunderliche  Unregelmäfsigkeiten  wir  den 


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42 


DIE  STADT  HALLE  u.  <1.  SAALKRKIS. 


Kopf  fchütteln  möchten.  Auch  der  Sturz,  als  Architrav  behandelt,  ift  fo 
wunderbarer  Herkunft,  wogegen  zum  llauptlims  fchon  die  ziemlich  richtige 
Linie  des  lesbifchen  Kümations  mit  der  doppelt  gekrümmten  Simalinie 
vereinigt  ift;  zwifchen  beiden  ift  nur  ein  winziges  Plättchen,  die  breitere 
Hängeplatte  fehlt  noch.  Auf  dem  rundbogigen,  tympanonartigen  Felde  des 
Aufratzes  über  diefem  Simse  lind  in  ganz  flachem  Relief  zwei  mit  den 

Fig.  26. 


Pfeilerfuf*  des  Kanzelaufgangcs. 


Schwänzen  verfchlungene  Delphine  in  Hofman’fcher  Manier  dargeftellt. 
Diefes  Motiv  der  Fifche  findet  ftch  häufig  am  Tympanon  einei  kirchlichen 
Thür  feit  den  älteften  Zeiten  und  die  Deutung  ift  verfchieden.  Hier,  wo 
als  Bekrönung  frei  auf  diefem  Auflatze  die  Halbfigur  des  fegnenden  Chriftus 
mit  der  Weltkugel  fich  findet,  ein  befonders  für  Kanzelthüren  ebenfalls  oft 
angewandtes  Bild,  hier  fcheinen  die  Fifche  als  das  ältefte  und  Hauptfymbol 
des  Heilands  keine  andere  Bedeutung  zu  haben  als  die  der  Unterfchrilt 
i/ibi;  wobei  zu  denken  ift  an  die  Auflöfung  diefes  Wortes  in:  Jefus  Chriftus 
Gottes  Sohn  (und)  Heiland.  Die  Fifche  sind  hier  gleichfam  das  Erkennungs- 


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DIE  KIKCHE  ZU  U.  L.  FRAUEN. 


43 


Zeichen  Chrifti,  wie  ja  auch  alle  Heiligen  folche  hatten.  An  be/.w.  auf  dem 
Giebelauffatze,  Chrifto  zugewandt,  liegt  jederfeits  ein  Engelchen  mit  zu  rammen- 
gelegten Händen.  Die  Darllellung  diefer  Figuren  und  der  Halbtigur  Chrifti 
ift  nun  fo  gemacht,  dafs  (ie  nach  vom  und  hinten  denfelben  Anblick  geben, 
dafs  lie  mithin  doppelt  find  d.  h.  die  Figuren  haben  nur  zwei  Vorderfeiten 
ohne  Rückfeite.  Auch  die  Fliehe  wiederholen  lieh  im  entgegengefetzten 
Felde.  Nachholen  muffen  wir  noch  die  Infchriften  des  F'riefes  über  dem 
Sturze;  fie  find  erhaben  und  urfprünglich;  aufsen  fleht  imFriefe:  CHRISTUS  . 
INTROIIT  die  darunter  am  Sturz  ill  gemalt;  RENOVIRET  MDCLXVI.  ImFriefe 
auf  der  Rückfeite  lieht: 


GLORIE  . PSAL 


24.  ANNO 
M . D . XLI. 


Aus  diefer  letzten  Infchrift  erfahren  wir  alfo  das  Entflehungsjahr  der 
Kanzel,  welche  gemacht  ifl,  fobald  es  überhaupt  anging,  nämlich  fogleich 
nach  Fertigflellung  der  Gewölbe.  Und  fonderbar,  als  mit  der  Kanzel  die 
neue  katholifche  Kirche  zum  Gottesdienlle  wirklich  fertig  gewefen  ift,  hat 
fie  fogleich  dem  proteflantifchen  Culte  gedient;  die  erlle  Predigt  von  diefer 
Kanzel  herab  ill  eine  proteflantifche  gewefen. 

Der  Thürflügel  des  Kanzelportales  hat  in  feinen  theil weife  abge- 
fallenen Leiden  die  Andeutung  einer  perfpectivifchen  Darllellung,  wie  es 
ja  die  Renailfance  für  hölzerne  Füllungen  liebte.  Da  aber  Thür  und 
Gewände  einen  dicken  Oelfarbenanftrich  erhalten  haben,  fo  find  die  Intarfien, 
welche  fich  muthmafslich  in  den  Thürfeldern  als  Architekturperfpectiven 
oder  auch  als  vegetabiles  Ornament  finden  werden , nicht  mehr  zu  fehen. 

Die  moderne  Bemalung  der  Kanzel  giebt  ein  Beifpiel  gründlichller 
Gefchmacklofigkeit , und  der  unbehagliche  Eindruck,  den  ihr  Anblick 
macht,  ill  nicht  zum  wenigflen  gerade  den  Farben  zu  verdanken.  Man 
denke  fich  alfo  in  glänzendem  Oelfarbenanftrich  den  Sockel  kaffeebraun, 
den  Säulenfchaft  -grauweifs  marmorirt,  das  Maafswerk  weifs  mit  blauen 
F'eldern  und  die  Theilungsfäulchen  vergoldet.  Auch  ohne  diefe  erfchreckende 
F'ärbung  kann  eine  Würdigung  der  Kunllleiftung  an  diefem  Stücke  nicht 
gerade  lobend  ausfallen,  weil  der  Hauptfache  nach  fich  hier  noch  einmal 
die  ganz  entartete  Gothik  breit  macht;  nur  der  Fufs  bildet  eine  Aus- 
nahme und  daher  das  Gefallen , welches  wir  an  ihm  finden.  Mit  Recht 
fragt  man.  warum  nach  dem  glänzenden  Kanzelvorbilde  des  Domes  im  Stil 
der  Renailfance  Hofman  hier  noch  einmal  zur  Gothik  zurückkehrte;  eine 
Antwort  kann  erll  weiter  unten  gegeben  werden. 

Der  Schalldeckel  der  Kanzel  ill  nach  Infchriften,  die  man  oben  Schalldeckel, 
von  der  Südempore  aus  fehen  kann,  — fie  liehen  im  Triefe  — 1596  ge- 
macht und  1784  renovirt.  Diefe  Renovation  ift  nicht  die  einzige,  vielleicht 
aber  die  letzte  gewefen.  Inzwifchen  hat  man  nach  Olearius  1666  im 
September  den  Predigtlluhl  fchon  einmal  renovirt  und  ihn  wie  andere  Holz- 
arbeiten der  Kirche  mit  Gold  „ausftaffiret."  Durch  die  verfchiedenen 
Erneuerungen,  die  leider  in  zu  gründlicher  und  umfafifender  Weife  llattgehabt 
haben,  find  nur  noch  die  allgemeinen  Umrifse  der  erften  Gellalt  bellehen 


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ufshixlcn. 


44  1)1E  STADT  HALLE  U.  d.  SAALKREIS. 

geblieben,  während  von  den  fein  gezeichneten  und  gearbeiteten  Details 
wenig  erhalten  ifl.  Ein  Gebälk  — niedriger  Architrav , hoher  Fries  und 
weit  ausladendes  Kranzfims  — nimmt  die  Form  eines  langfpitzig,  acht- 
llrahligen  Sternes  an;  darüber  lieht  ein  Tempelchen  auf  acht  Säulen  ganz 
in  derfelben,  doch  kleineren,  langfpitzig  achtftrahligen  Sternform.  Unter 
dem  Gebälk  des  eigentlichen  Deckels  entlieht  eine  grofse  Strahlencaffette; 
darinnen  fchwebt  frei  die  Taube,  und  hinter  ihr  lind  Strahlen  und  Wolken. 
Am  Fries  umrahmen  Kartufchen  längliche,  medaillonartige  Nifchen,  in 
denen  Engel figürchen  liegen.  Andere  Kartufchen  mit  Fruchtbündeln  und 
Gehängen  bekrönen  auf  jeder  der  beiden  Seiten  einer  Spitze  das  Gebälk, 
und  Engelchen,  die  mit  Kreuz,  Pfeil  und  dergl.  Gegenlländen  (Paffionswerk- 
zeugen?)  auf  dem  Ende  jedes  Strahles  liehen,  bereichern  dielen  kraulen 
Abfchlufs  noch  mehr.  Im  Tempelchen  ifl  ein  Crucifixus  autgellellt  und  die 
Statuen  der  vier  Evangelillen  fitzen  um  denfelben  her;  vor  ihnen  auf  vier 
Spitzen  des  Stylobat.-,  hat  das  Symbol  eines  jeden  Platz.  Nur  der  Engel 
des  Matthäus  fehlt;  er  fcheint  jedoch  nicht  verloren,  fondern  jener  Engel 
auf  der  letzten  Gebälkfpitze  gegen  Wellen  zu  fein,  der  viel  gröfser  als  die 
andern  ill  und  nachträglich  aus  Irrthum  oder  Unkenntnifs  diefen  Platz 
erhalten  haben  wird.  Ueber  dem  Tempel  ifl  die  Verklärung  Chrifli  dar- 
gellellt.  Ein  Felfen  ragt  empor,  auf  ihm  lieht  Chrillus  im  Glorienfcheine, 
etwas  niedriger,  zu  feiner  Rechten  hält  Mofes  die  Gefelzestafeln , aut  der 
anderen  Seite,  ihm  entfprechend,  fleht  Elias.  Noch  tiefer  am  Fufse  des 
Felfens,  auf  den  Gebälkfpitzen  liegen  die  drei  Jünger.  Wie  die  architek- 
tonifchen  Details,  fo  find  auch  die  Figuren  gröfseren  Theiles  fpäter, 
früheilens  etwa  [666  gemacht;  nur  die  Mehrzahl  der  kleinen  Engel  auf 
den  Simsfpitzen,  wohl  auch  einige  andere  Figuren  (Crucifix?)  fcheinen  ihrer 
ruhigen  Haltung  und  guten  Proportionirung  nach  vom  Jahre  1596  zu  fein. 
Sie  haben  auch  ein  paffenderes  Verhältnifs  zu  der  Architektur  als*  die 
anderen,  die  zu  grofs  find  und  theilweife  fo  theatralifche  Stellungen  annehmen, 
dafs  ihre  Datirung  auf  diefelbe  Zeit  unmöglich  ill. 

Wie  die  Detailirung  kaum  geniefsbar  ill,  fo  noch  weniger  die  jetzige 
Bemalung,  welche  in  einem  dicken,  alles  verkleckfenden,  fchmutzigweifsen 
Kalkfarbenanflriche  der  llauptfache  nach  belleht;  einige  kleine,  anders 
gefärbte  Partien  kommen  kaum  in  Betracht,  und  die  vielfache  Vergoldung 
wirkt  mit,  einen  rohen  Eindruck  hervorzubringen.  AlsVerfader  des  Deckels 
nennt  v.  Hagen  den  Meiller  Henricus  Heyden  Reitter. 

Es  wäre  noch  ein  Stück  des  inneren  Ausbaues  zu  nennen,  nämlich  der 
Fufsboden;  allein  es  ifl  der  urfprüngliche  nicht  mehr,  welcher  wahr- 
fcheinlich  in  einer  gemullerten  Backlleinpflaflerung  befland.  Der  jetzige 
Bodenbelag  in  Sandlleinplatten,  hat  ein  hierher  nicht  gehöriges,  antikes 
Müller,  weil  er  von  Schinkel  angegeben  ill,  welcher,  dem  Geifle  nach  ein 
wiedergeborener  Hellene,  nie  das  Gefetz  des  mittelalterlichen  Kunllfchaffens 
verflanden  hat.  Wir  würden  auch  den  Fufsboden  kaum  der  Erwähnung 
werth  halten,  wenn  nicht  mit  feiner  Entllehung  der  Altarplatz  von  zwei  auf 
vier  Stufen  erhöht  wäre,  eine  Veränderung  von  unfeligen  Folgen,  wie  fich 
noch  zeigen  wird. 


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DIK  KIKCHK  ZV  V.  L.  FKAUF.N. 


45 


Bevor  die  einzelnen  Run  ft  werke  befprochen  werden,  welche  theils 
jünger,  theils  älter  find  als  das  Kirchengebäude,  dürften  einige  Worte 
über  den  Stil  des  letzteren  und  über  die  hier  fich  zeigende  Fortent-  Slil <•'* SohifTes. 
Wickelung  der  Baukunft  in  Vergleich  zu  anderen  Baudenkmälern  am  Platze 
fein.  Erkennen  werden  wir  zugleich  die  geiftigen  Kräfte,  deren  meift  directer 
Ausflufs  diefe  Formenwelt  ift,  und  eine  recapitulirende  Umfchau  unter  den 
Bautheilen  wird  den  ftufenweifen  Fortfehritt  am  beften  verfolgen  laden. 

Wir  fehen  ab  von  den  beiden  Thurmpaaren,  von  denen  in  das  16.  Jahr- 
hundert nur  noch  die  oberen  Theile  fallen,  die  einen  nicht  lange  vor  den 
Bauanfang,  die  anderen  mit  feinem  Ende  zufammen,  fodafs  zwifchen  ihnen 
wie  räumlich,  auch  zeitlich  das  Stück  liegt,  um  welches  es  fich  handelt. 

Diefes  Schiff  ift  im  Wefentlichen  noch  ein  gothifches  Werk. 

Gothifch  ift  noch  die  Gefammtdifpofition,  gothifch  ift  auch  die  Detailbildung 
der  Theile.  Freilich  auf  den  geiftigen  Gehalt  hin,  mit  andern  Worten  auf 
die  Conftruction  hin,  die  letzere  fehbar  darzuthun  haben,  darf  man  fie  nicht 
prüfen.  Z.  B.  thäte  ein  beliebiges  anderes  Mufter  des  vielmafchigen  Rippen- 
netzes diefelben  Dienfte,  denn  es  ift  unabhängig  von  den  Kappen  und 
ohne  befondere  Beziehung  zu  den  Strebepfeilern,  die  einen  auf  Rippen  und 
Graten  übertragenen  Gewölbefchub  nicht  mehr  bekommen  können,  weil 
folcher  Druck  auf  einzelne  Punkte  wegen  der  Tonnengewölbeconftruction, 
die  mehr  oder  weniger  gleichmäfsig  gegen  die  ganze  Mauer  fchiebt, 
überhaupt  fehlt.  Man  erlaubt  fich  mit  den  Conftructionen  zu  fpielen  im 
Bewufstfein  der  Sicherheit,  die  man  in  den  vergangenen  Jahrhunderten  auf 
empirifchem  Wege  erlangt  hatte.  Wozu  alfo  eine  lebhaft  gothifch  be- 
tonte F'ormfprache  der  Details,  die  unwahr  und  eitel  Deklamation  wäre? 

Wirklich  find  denn  auch,  foweit  es  die  Conftruction  angeht,  die  Details 
geradezu  wie  einfilbig  in  ihren  Aeufserungen.  Wir  nennen  die  Pfeiler, 

Halbpteiler  und  Rippen,  die  Strebepfeiler,  Gefimfe  und  felbft  das  auf 
conftructiver  Grundlage  be'ruhende  Fenftermaafswerk.  Andererfeits  werden 
fie  übermäfsig  gefchwätzig,  wo  es  fich  nicht  um  diefe,  londern  lediglich  um 
die  Auszeichnung,  um  die  Belebung  eines  Stückes  handelt.  Dahin  gehören 
*die  Theile  des  Baues,  welche  erftens  von  dem  Hauptconftructionsgedanken 
nicht  mehr  abhängen  oder  felbltändige  Stücke  find:  das  Netz  des 

Gewölbes,  die  Portale  und  auch  die  Kanzel  find  hierher  zu  rechnen,  und 
zweitens  folche,  welche  als  neue  Zulatze  auftreten;  hierher  gehören  die 
Emporen  mit  ihren  Treppen.  Jene  erfteren  find  noch  gothifch  aufgefafst, 
weil  fich  Typen  für  fie  vorfanden,  und  alfo  ein  Bedürfnifs,  dem  Neubildungen 
entfpringen  konnten,  nicht  vorlag;  bei  diefen  aber  entliehen  neue  Formen 
weil  neue  Bedürfniffe  ihre  VeranlafTung  find.  Es  entliehen  die  Formen, 
der  Renaiffance,  der  wiedergekommenen  Antike,  die  fich  dadurch  von  der 
Gothik  unterfcheidet,  dafs  fie  nicht  wie  diefe  der  Natur  entgegen,  die  Idee 
eines  menfchlichen  bezw.  göttlichen  Dogmas  formal  ausdrücken  will, 
londern  die  abfolute  Schönheit  zum  Zweck  hat,  welche  lediglich  nach  den 
allgemeinen  Naturgefetzen  entlieht.  Zugleich  ift  damit  ein  uralter  Gegen- 
lätz  der  Beftrebungen  einzelner  Menfchen,  ganzer  Völker  und  grofser 
Zeitabfchnitte  ausgefprochen,  der  ewige  Gegenfatz  im  Leben  wie  in 


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46 


DIE  STADT  HALLE  U.  d.  SAALKREIS. 


der  Kund,  der  je  nach  den  Umdänden  in  diefer  oder  jener  Form 
zu  Tage  kommt  und  bei  uns  in  Deutfchland  zu  Anfang  des  16.  Jahr- 
hunderts hauptlachlich  auf  religiöfem  Gebiete  zu  Tage  gekommen  ili 
durch  die  Reformation.  Genau  in  diefe  Zeit  fallt  unfer  Bauwerk,  die 
Marktkirche.  -Als  fie  begonnen  wurde,  gährte  fchon  der  neue  Geid  in  allen 
Köpfen  der  Hallenfer;  es  erwachfen  aber  immer  erd  da,  wo  die  thatlachliche 
Macht,  wie  de  auchheifse,  in  andere  Hände  übergeht,  andere  Formen  wie  auf 
focialem  und  politifchem  Gebiete  fo  auf  dem  der  Kund.  An  den  Macht- 
verhältniffen  war  aber  noch  nichts  geändert,  noch  hatte  der  Cardinal  kirch- 
liche und  weltliche  Macht  in  feinen  Händen,  er  gebot  über  die  Mittel,  und 
wenige  nur  waren  fich  des  Zieles  bewufst,  welches  für  die  Zukunft  erdrebt 
werden  müde.  Alfo  baute  man  die  Kirche  noch  gothifch,  doch  haben  wir 
gefehen,  dafs  den  Formen  der  alte  Geid  nicht  mehr  innewohnt,  wie  ja  der 
Bürgerfchaft  längd  nicht  mehr  innewohnte  der  alte  gläubige  Sinn.  Die 
fchwankenden  Zudände  änderten  fich  gar  fchnell,  als  darauf  Dr.  Julius 
Jonas  herab  bei  der  gothifchen,  aber  fchon  auf  einem  Fufse  von  halb  neuen 
Formen  dehenden  Kanzel  die  lautere,  evangelifche  Lehre  verkünden  konnte. 
Nun  war  es  mit  der  Macht  der  Kirche  vorbei,  aller  Gedanken  wendeten 
fich  einem  bedimmten  Ziele  zu  und  liehe  da,  die  neuen  Machtverhältnilfe 
bringen  bei  den  Emporen,  die  hierauf  noch  eingebaut  werden,  fogleich  neue 
Kundformen  hervor.  Schon  die  Emporenanlage  felbd  id  ein  Anzeichen  des 
Protedantismus’.  Eine  folche  gab  es  bisher  noch  in  keiner  anderen  Kirche 
zu  Halle;  nur  im  Dome  hatte  man  einige  Zeit  zuvor  an  der  Südfeite  durch 
hölzerne  (?)  Emporen  den  Anforderungen  der  Zeit  Rechnung  getragen  oder 
doch  wenigdens  durch  W endeltreppen  in  den  Ecken  den  Anfang  dazu 
gemacht.  In  der  Marktkirche  aber  id  diefer  Einbau  maffiv  und  feine 
Monumentalität  im  Einklänge  mit  der  übrigen  Ausführung,  das  will  l’agyn. 
es  id  kein  Verfuchsdück  mehr  wie  dort,  fondern  eine  nothwendige,  aus  den 
neuen  BedürfnilTen  erwachfene  neue  Zuthat  in  protedantifcher  Aufladung. 
Was  aber  macht  die  Emporen  nothwendig  für  den  protedantifchen  Gottes- 
diend?  Die  Predigt  vor  allem  id  es,  welche  der  Schwerpunkt  wird  datt 
der  uralten  Ceremonie  des  MelTelefens,  der  Darbringung  des  Opfers  am  ' 
Altäre.  Erforderlich  werden  damit  viele  Plätze  für  Zuhörer,  überflüfsig  an 
den  Wänden  die  Nebenaltäre  der  Heiligen,  welche  letzteren  man  nicht  mehr 
verehrt.  Die  Menfchen  rücken  gleichfam  in  ihrer  Stellung  zu  Gott  vor,  fie 
felber  treten  jetzt  in  das  unmittelbare  Verhältnifs  der  Heiligen  zu  ihm,  und 
fo  nehmen  fie,  der  fichtbare  Ausdruck  dafür,  auch  deren  Plätze  im  Gottes- 
haufe ein.  Es  entdehen  die  Emporen  und  darunter  lange  Reihen  bequemer 
Sitzplätze.  Die  Emporen  find  das  erde  unterfcheidende  Merkmal  des  felb- 
dändigen  protedantifchen  Kirchenbaues,  der  erde  Schritt  zu  der  theater- 
ähnlichen Anlage , die  in  den  protedantifchen  Centralkirchen  der  Barockzeit 
(Frauenkirche  in  Dresden  von  Baer,  oder  ein  geringeres,  doch  auch  fehr 
bezeichnendes  Beifpiel:  die  Georgenkirche  zu  Glaucha)  gipfelt.  Das 

protedantifche  Erdlingswerk  in  der  Marktkirche  fpiegelt  die  Verhältnifle 
der  gefpaltenen  Zeit,  aus  denen  es  erwachfen  id,  getreu  ab.  Die  haupt- 
fiichlichden  dructiven  Theile,  die  Pfeiler,  Bögen,  das  Gewölbe  und  die 


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DIF-  KIKCHE  Zf  ü.  L.  FRAl'FN*. 


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ßrüftung  bleiben  noch  gothifch,  zur  RenailTance  gehören  dagegen  die  mehr 
decorativen  Stücke,  der  Pfeilerfufs,  die  Zierrathe  der  Bogenzwickel,  die 
theilenden  Ballüftres  und  die  Simfe.  Reife  Kunftgebilde  treten  uns  in  den 
Theilen  noch  nicht  entgegen;  was  lieh  darbietet,  ilt  nur  der  erlle  Grad  der 
begonnenen  Umwandlung,  die.  reizvolle,  naive  F'rührenaiflance.  Allerdings 
ilt  ein  grofser  Unterfchied  zwifchen  diefen  Stücken  und  den  etwa  dreifsig 
Jahre  jüngeren  Frftlingsformen  der  RenailTance  im  Dom  (auch  an  der  Re- 
lidenz  und  am  „Kühlen  Brunnen*').  Diefe  find  weniger  lieber  und  weniger 
frei  von  gothifchem  F.influfs,  dennoch  ungeltümer,  geillreicher  und  reizender 
als  jene,  welche,  abgefehen  von  der  roheren  Arbeit  einen  ruhigen  (Linien- 
führung, Compofition),  nüchternen  (Lederfchnitt  der  Blätter),  verlländigen 
(Fugenfchnitt),  bürgerlich  einfachen  (Flachrelief)  Charakter  haben.  Die 
Gründe  dafür  müfTen  wir  jetzt  nennen.  Was  vielleicht  für  die  Mehrzahl 
der  deutfchen  Städte  zutrifft,  dafs  in  ihnen  die  Renaiffancebewegung  vom 
Volke  ausging  und  nicht  von  den  Machthabern  der  damaligen  Zeit,  den 
geiftlichen  und  weltlichen  Furften,  trifft  für  Halle  nur  bedingungsweife  zu. 
So  viel  man  noch  zu  erkennen  vermag,  find  die  erlten  F'ormen  der 
Kenaiffance  durch  den  Cardinal  Albrecht  hierher  gekommen.  Und 
nichts  ift  natürlicher,  als  dafs  ein  fo  gelehrter  Mann , der  mit  italienifchen 
Verhältnifsen  vertraut  und  mit  Italien  in  lleter  Verbindung  war,  fo  lange 
Gefallen  an  der  modernen  Bewegung  fand,  als  dadurch  feine  Macht  und 
leine  Geldintereffen  nicht  litten.  Albrecht  hat  die  faulen  Zullände  der  Kirche, 
die  der  Auguftinermönch  aufdeckte,  thatfächlich  anerkannt,  indem  er  das 
Neue  Stift  anlegte.  Nicht  fowohl  die  eigentliche  lutherifche  Lehre  wollte  er 
durch  die  gelehrten  Männer  deflelben  bekämpfen,  als  vielmehr  die  voraus- 
zufehende  Veringerung  feiner  Macht;  es  ill  das  die  ganz  begreifliche  Art 
aller  Privilegirten  aller  Zeiten  vor  dem  und  nach  dem  bis  auf  den  heutigen 
Tag.  Ill  nicht  der  Dom  für  diefe  Gefinnung  der  offenbarfte  Ausdruck  ? 
ln  der  Dispolition  auf  längft  vergangene  Zeit  zurückgehend  (einfache  Kreuz- 
gewölbe) kommen  in  den  Einzelheiten,  gleichfam  verftohlen,  die  revolutionär 
modemften  Gedanken  hervor  (Portale.  Kanzel,  Weihtafeln  und  Figuren) 
gewi (Term a Isen  Ixckerbiffen  für  den  Erbauer.  Um  fie  zu  haben,  berief  er 
die  erften  Künftler  weit  her,  die  an  Bildung  ausgezeichnete  Männer  waren, 
wohl  auch  Italien  und  andere  Länder  gefehen  hatten  und  jedenfalls  wie  er 
auf  der  Höhe  der  Zeit  flanden.  Im  Volke  aber  war  diefer  Zeit  hier  noch 
kein  Verftändnifs  für  die  neue  Weife  vorhanden,  und  die  hallefchen  Meifter 
begriffen  davon  ebenfalls  noch  wenig;  jene  Bürgerhausportale  Schmeer- 
l'trafse  Nr.  31  vom  Jahre  1522  und  Gr.  Ulrichsflrafse  Nr.  19  vom  Jahre  1548 
(f.  deren  Abbildungen  unter  den  Profanbauten)  liefern  dazu  den  Beweis,  Doch 
begann  nun  allmählig  mit  dem  Umfchwung  der  gefellfchaftlichen,  befonders 
auch  der  religiöfen  Verhältniffe  das  Verltändnil's  dafür  zu  erwachen.  An  den 
Marktkirchenemporen  find  die  erften  Renaiffanceformen  eines  hallefchen 
Meifters  nachweisbar,  der  als  ein  tüchtiger  Steinmetz  nicht  über,  fondern 
mitten  im  Volke  ftand,  und  deffen  Werke  daher  die  Stufe  der  allgemeinen 
Volksbildung  und  der  eigentlich  eingeborenen,  im  Volke  wurzelnden  Kunft 
darftellen.  Nun  begreift  man  den  befchriebenen  Charakter,  die  minder- 


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DIE  STADT  HALLE  u.  <1.  SAALKREIS. 


werthige  Arbeit  und  die  geringere  Schönheit  der  Stücke  in  der  Marktkirche; 
aber  man  verlieht  auch,  dafs  die  jetzt  heimifch  gewordene  Kunftrichtung 
den  Keim  zur  Fortentwickelung  in  lieh  trägt,  eben  weil  fie  im  Volke,  fo 
zu  Tagen  im  Boden  des  Landes  wurzelt,  während  die  einzelnen  Stücke  im 
Dome  gleichfam  eine  aus  Italien  über  Nürnberg  oder  Augsburg  eingeführte 
Waare  find,  an  der  anfangs  nur  Leute  wie  der  Cardinal,  Schönitz.  kurz  die 
Gebildeteren  Gefallen  fanden.  Die  Renailfance  der  Meifter  des  Cardinais  ill 
denn  auch  unfruchtbar  geblieben  trotz  ihrer  leidenfchaftlichen  Sprache  und 
trotz  ihrer  reizvollen,  geiftreichen  und  feinen  Stücke;  I Iofman’s  einfache  Wfeile 
hingegen  hatte  gerade  den  Ton  getroffen,  der  feinen  Mitbürgern  recht  war; 
durch  andere  heimifche  Künftler  wurde  fie  entwickelt,  bis  fie  gegen  Ende 
des  Jahrhunderts  die  zarteften  und  edelften  Blüthen  trieb  (Portal  der  Waage, 
mehrere  Bögen  am  Gottesacker  u.  f.  w.)  Das  Barock  macht  ihr  ein  Ende. 

Baumeifter.  Es  verbleibt  noch  über  den  Baumeifter  Nickel  Hofman  einiges  zu 
Tagen.  BeTonders  auffällig  ift,  dafs  alle  Ueberlieferungen  nur  melden,  er 
habe  den  Bau  vollendet,  aber  nicht  auch,  dafs  er  ihn  angefangen  habe. 
Hofman  felbft  fagt  in  feinen  beiden,  bezw.  drei  InTchriften  an  der  Eidlichen 
Empore,  dafs  und  wann  er  den  Bau  vollendet  habe.  Vielleicht  ift  er  alfo 
. gar  nicht  derjenige  gewefen,  welcher  den  Entwurf  machte,  Tondern  er  ift 
erft  Tpäter  herangezogen  worden.  Mit  Sicherheit  ift  hierüber  nichts  auf- 
zufinden; indefTen  hat  es  dennoch  die  gröfsefte  Wahrfcheinlichkeit,  dafs 
Hofman  von  Anfang  bis  zu  Ende  der  Baumeifter  gewefen  ift  und  zwar  in 
folgender  Weife:  Als  der  Bau  berathen  wurde,  hatte  er  inGemeinfchaft  mit 
Hans  Schönitz  nach  den  Meinungen  des  Cardinais  den  Plan  feftzuftellen; 
dabei  galt  er  als  Techniker  wenig  neben  Schönitz,  dem  Kämmerer.  Dieler 
war  die  maafsgebende  Perfönlichkeit,  weil  er  die  Gelder  zu  bewilligen  und 
auszuzahlen,  überhaupt  alle  gefchäftlichen  Angelegenheiten  zu  beforgen  und 
die  Verantwortlichkeit  für  alles  zu  tragen  hatte,  ln  den  Chroniken  wird  er 
gelegentlich!!  fogarals  Baumeifter1  des  Cardinais  angeführt,  was  infofern  feine 
Richtigkeit  haben. mag,  als  er,  der  erfahrene,  weltkundige  Mann,  von  feinen 
Reifen  (in  Italien)  den  Gefchmack  an  RenaifTanceformen  mit  zurückbrachte 
und  bei  dem  Bau  des  „Kühlen  Brunnens“,  der  Refidenz  u.  T.  w.  die  unbe- 
kannten Profile  wohl  felbft  den  Steinmetzen  vorzeichnete;  denn  den  Ein- 
druck machen  die  hier  vorkommenden  feinen  Motive  in  - mittelmäfsiger 
Ausführung.  Jedoch  an  dem  Baufyftem  der  Kirche  zu  ändern,  kam  felbft 
ihm  damals  wohl  noch  nicht  in  den  Sinn,  und  das  rein  Technifche,  fowie 
die  Detailsbearbeitung  überliefs  er  dann  ganz  dem  Werkmeifter. 

Von  allen  Annahmen  läfst  fich  Folgendes  beweifen;  Hofman  war  von 
Anfang,  an  bei  dem  Kirchenbau  thätig,  weil  fein  Zeichen  an  grofsen  Werk- 
ftücken  wenige  Schichten  über  dem  Erdboden  gefunden  wird,  z.  B.  an  dem 
erllen  Eckquader  über  der  Sockelfchräge  in  Nordweften  der  Kirche  (nicht 
des  Thurmes).  Ferner  kann  nach  dem,  was  über  das  Monogramm  H ■ä&s  S 
an  eben  diefer  Kirchenecke  fchon  gel'agt  wurde  (Fig.  8),  nicht  wohl  bezweifelt 
werden,  dafs  auch  Hans  Schönitz,  ohne  eigentlich  Baumeifter  zu  fein,  den 

l Bezw.  als  „oberster  Baumeister." 


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IWF.  KIRCHE  ZU  t\  L.  l'R AUE V. 


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lebhafteften  Antheil  an  dem  Baue  nahm.  Schliefslich  mülTen  wir  noch  zweier 
K lachbilder  gedenken,  die  hier  in  Betracht  kommen  dürften.  Zwilchen 
den  beiden  weltlichen  Pfeilern  und  den  blauen  Thürmen  ili  in  der  Höhe  des 
Gewölbekämpfers  jederfeits  eine  wagerechte  Verbindung,  deren  Unterlicht 
in  der  Weife  der  Emporen  ornamentirt  ili.  Inmitten  einer  jeden  befindet 
(ich  ein  Medaillon  mit  dem  flachreliefirten  Brultbilde  eines  Mannes.  Schärfe, 
Sauberkeit  und  Kenntnifs  der  Regeln  des  Reliefs  zeichnen  die  Arbeit  aus. 
Kaum  glaubt  man . dafs  der  Verfertiger  der  Emporen  lie  gemacht  haben 
körnte,  doch  die  Behandlung  des  PHanzenornamentes  läfst  daran  nicht 
zweifeln.  Der  Kopf  im  Süden  ift  der  eines  fchon  älteren  oder  doch  in  voller 
Kraft  flehenden  Mannes  mit  fchünem,  langem,  fchlichtcm  Barte;  auf  dem 
Kopfe  hat  er  eine  breit  überflehende  Mütze  und.  ein  Mantel  umgieht  ihm 
die  Schultern;  fein  Ausfehon  ifl  ein  bürgerliches.  Die Gefichtszüge  gleichen 
auffällig  jenen  Hofman's  auf  dem  Bilde  des  alten  Stadtgottesackers,  nur 
fcheinen  lie  etwas  jünger.  Wer  kann  es  auch  fonfl  fein,  als  diefer  Meifter, 
der  befcheiden  diefen  verflechten  Platz  wählte,  fein  Bildnifs  anzubringen? 
im  Norden  ifl  der  Kopf  eines  viel  jüngeren  Mannes  dargeftellt;  er  trägt  nur 
einen  Schnurbart  und  hat  feine,  intelligente  Züge.  Auf  dem  Kopfe  fitzt  ihm 
ebenfalls  eine  weit  überftehende  Mütze  (oder  ein  Hut?)  Seine  Tracht  aber, 
fo  viel  man  davon  fieht,  ifl  eine  ritterliche.  Wer  kann  es  lein?  Infchriften 
fehlen.  Man  würde  an  den  Geholfen  Hofman’s,  den  Steinmetzen  T.  R. 
denken  können;  wozu  dem  aber  die  ritterliche  Kleidung?  Diefe  und  aufser- 
dem  die  Eigen l'chaften  jung,  intelligent,  fein  paffen  weit  belfer  dem  Hans 
Schänitz.  Hätte  auch  der  Cardinal  de Ifen  Verewigung  felbft  an  diefer  Stelle 
nicht  zugelaffen,  fo  ifl  zu  bedenken,  dafs  diefe  Stücke  wahrfcheinlich  zu 
den  letzten  des  Baues  gehörten,  als  längll  der  Cardinal  fort,  ja  todt  und 
alle  Welt  proteflantifch  war.  Mehres  aber  fpricht  dafür,  dafs  auch  Schönitz 
fehon  der  lutherifchen  Lehre  zugethan  gewefen  ift,  ein  Umftand,  der  fein 
liiidnifs  hier  um  fo  mehr  berechtigt  macht.  Das  ift  es,  was  der  Bau  felbft 
aufser  den  Infchriften  über  den  Meifter  oder  über  die  Meifter  mittheilt. 

Es  bleibt  noch  übrig  zu  verfolgen,  welche  Aenderungen  die  bau- 
meifterliche  Stellung  mit  der  Neuzeit  erleidet.  Seit  1535  mit  der 
treulolen  Hinrichtung  des  kirchenfürlllichen  Favoriten  änderten  fich  natürlich 
die  Verhältnifle  in  der  Bauleitung.  Hofman  bekam  dadurch  eine  felbft- 
lländigere  Stellung;  und  als  nun  gar  der  Cardinal  die  Stadt  verliefs,  als 
die  Kirche  von  dem  vielköpfigen  Rathe  allein  weiter  ausgebaut  werden 
mulste,  wem  hätte  man  da  fchicklicher  fein  Vertrauen  fchenken  und  die 
Gefammtleitung  übertragen  können  als  dem  feither  hier  thätigen,  wohl- 
erfahrenen  Meifter  und  wohlgeachteten  Mitbürger  Hofman?  Gewifs  hatte 
auch  er.  mit  dem  Strome  der  Menge  fchwimmend  und  feinen  materiellen 
Interelfen  Rechnung  tragend,  an  der  religiöfen Bewegung  Theil  genommen; 
dadurch  wurde  in  ihm  wie  in  allen  eine  neue  Anfchauungsweife  her- 
vorgerufen, die  dann  bei  ihm  die  künftlerifche  AuffafTung  und  bei  den 
I-euten  den  Gefchmack  änderte.  Damit  ift  die  Neuzeit  herangekommen 
und  fogleich  giebt  fich  ihr  Geist  in  der  fcheinbar  nebenfächlichsten  Hand- 
lung diefes  Meifters  hoch  bedeutfam  zu  erkennen,  wir  meinen  in  feinen  Auf- 


Ei.  D.  ü.  Bau-  u.  Kunstü.  N.  F.  I. 


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Kmiftwcrkc. 

Grftiihle. 


50  DIE  STADT  HALLE  u.  <1.  SAALKREIS. 


fchriften.  Die  Gründe,  warum  das  Mittelalter  fo  wenig- Künstlernamen 
hinterlafTen  hat,  diefelben,  warum  auch  die  Zeit  des  altägyptifchen  Reiches 
trotz  einer  Unzahl  von  Bau-  und  Kunstdenkmälern  feiten  einen  Künftler 
nennt,  lind  bekannt:  das  Volk  baute  wie  das  Volk  der  Ameifen  und  Bienen, 
nicht  das  Künftlerindividuum.  Mit  der  Renaiflance  ändert  lieh  das,  der 
Künstler  Namen  werden  unzählige  genannt  wie  zur  Zeit  der  griechischen 
Kunstblüthe.  Man  versteht  wieder,  dafs  das  künlilerifche  Können  auf 
individueller,  angeborener  Fähigkeit  beruht,  dafs  es  eine  Gottesgabe  ist, 
und  allfogleich  nimmt  der  Künftler  unter  feinen  Mitmenfchen  eine  hervor- 
ragende Stellung  ein.  Nicht  mehr  der  Befteller,  er  ist  die llauptperfon  des 
allgemeinen  InterefTes,  und  das  berechtigt  ihn,  feine  Pcrfönlichkeit  nicht 
nur  in  der  mittelalterlichen,  geheimnifsvoll  fchüchternen  Weife  durch  Wappen 
und  Zeichen  anzudeuten,  fondern  jetzt  auch  den  Ruhm,  die  lufse  Frucht 
feiner  Arbeit,  zugeniefsen,  indem  er  feinem  Wappen  und  Zeichen  die  Jahres- 
zahl, fein  Bildnifs,  feinen  Namen  und  was  er  gemacht  hat,  durch  die  jetzt 
allen  verständliche  Schrift  hinzufügt.  Alfo  auch  hier  die  RenaifTance,  die 
Zurückkunft  antik  heidnifcher  Anfchauung. 

Wir  gehen  zu  den  einzelnen  Kunftwerken  über,  zunächft  zu  denen, 
die  für  den  weiteren  Kirchenausbau  gemacht  wurden,  das  find  die  K i rchen- 
ftühle.  Auch  fie  find  ganz  befonders  beredte  Zeugen  des  proteftantifchen 
Geistes,  der  nun  für  alle  Menfchen  verlangt,  was  vordem  allein  den  Heiligen 
und  der  bevorrechteten  Geistlichkeit  zukam.  Die  Macht  ist  eben  in  andere 
Hände  übergegangen,  in  die  der  Bürg,  rfchaft;  diefe  verlangt  nun  für  fichd.h. 
eben  für  alle  die  Plätze  der  Heiligen  und  besetzt  fie  mit  Stühlen,  die  diefelbe 
Bequemlichkeit  bieten  wie  die  Chorfitze  der  Geistlichkeit,  der  bisherigen  Macht. 
So  werden  denn  nach  Art  der  Chorherrenftühle  lange,  doppelte  Sitzreihen 
von  Eichenholz  unter  den  Emporen  angelegt  und  zwar  fo,  dafs  die  hintere 
Reihe  an  der  Wand  einige  Stufen  erhöht  liegt  und  die  Rücklehne  der  vor- 
deren für  fie  das  Pult  abgiebt.  Um  auch  ein  bequemeres  Stehen  zu  ermög- 
lichen, find  die  Sitzbretter  zum  Aufklappen  eingerichtet  und  für  die  Anne 
überall  Mifericordien  angebracht.  Aufscrdcm  ist  die  Wand  hinter  dem 
Stuhlwerke  bis  unter  das  Emporengewölbe  vertäfelt.  Durch  folche  Möblirung 
wird  der  Eindruck  des  Kircheninnem  nicht  unwefentlich  geändert.  Das 
braune  Holz  an  den  Wänden  (d.  h.  ohne  feinen  jetzigen  Oelfarbenanftrich) 
macht  den  Raum  wärmer,  wohnlicher  und  einladender.  Das  hatte  man 
diefer  Zeit  längft  in  den  hallefchen  Wohnzimmern  kennen  gelernt,  in  welche 
durch  die  Holzvertäfelung  eine  traulich  gemüthliche  Stimmung  gebracht 
war,  die  man  nun  auch  nicht  in  der  Kirche  entbehren  wollte.  Und  diefer 
lebensfreundliche  Zug  liegt  ganz  im  Wefen  der  Neuzeit;  fie  verdammt  nicht 
mehr  die  leiblichen  Annehmlichkeiten,  fondern  trachtet  durch  die  Beförderung 
auch  der  leiblichen  Wohlfahrt  der  Menfchen  an  Stelle  des  irdifchen  Januner- 
thales  fo  weit  möglich  wieder  ein  Paradies  zu  fetzen. 

Im  Einzeln  betrachtet  ift  über  das  Geftühl  — die  Gefammtanordnung 
in  einem  Joche  geht  aus  Kig.  13  hervor  — E'olgendes  zu  lagen:  Jeder  Sitz 


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DIE  KIRCHF.  Kt'  t*.  I..  FRAl'KN. 


51 


ruht  auf  pilafterartigen  Beinen,  in  die  hinten  ein  Brett  eingefchoben  ilt 
und  über  denen  eine  gedrechl'elte  Säule  oder  Docke  das  Brett  der  Arm- 

*''r  2t>- 


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DIE  KIKCIIK  ZI  1'.  L.  FRAUEN. 


53 


,um  Anbringen  <*int‘S  Pultbrettes  /u  erreichen.  An  die  theilenden  Bretter 
unter  den  Armlehnen  find  Zicrruthe  gelchnit/t,  auch  fehen  wir  dafelbft  als 
Führung  für  die  Klapplitze  eine  geringe  Vertiefung  viertel  kreisförmig.  Die 


Fin.  I ig.  li- 


Vilaficr  der  Wand  Vertafelung.  Pilaftcr  der  Wandvcrtälclung. 

(»363)  (»S6»-)* 


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DIE  STADT  HALLE  u.  <1.  SAALKKE1S. 


54 

Theilung  der  Wandverkleidung  gefchieht  durch  gut  proportionirte  Pilaller 
(Fig.  2g,  30,  31,  32  und  33)  in  einer  den  Sitzen  eines  Joches  entfprechenden 
Anzahl.  Die  Pilaller  haben  eine  attifche  Hafis,  die  auch  als  Sockel  der  Felder 
von  einem  zum  andern  durchläuft,  und  oben  ein  römifch-dorifches  Capital: 
gefüllt  wird  ihre  Fläche  mit  immer  verfchieden  und  anziehend  componirten 
Schnitzereien.  Sie  tragen  ein  dorifches  Gebälk,  bellehend  aus  einem  mehr- 
theiligen  Architrav,  einem  Triglyphenfries  mit  Tropfen  und  darüber  einem 
vielgliederigen  Kranzfimfe  mit  Confolen.  Die  von  Rücklehne,  Pilallern 
und  Gebälk  umgebenen  Felder  erhalten  durch  eine  Blendarkade  — Bogen 
auf  kleinern  Halbpfeilern  neben  den  grofsen  — noch  einmal  einen  Rahmen. 
Ob  das  Füllbrett,  jetzt  wie  alle  andern  Theile  ölfärbenbemalt,  früher  ein 
aufpatroniries  Ornament  oder  gar  Intarlien  hatte,  läfst  lieh  nicht  mehr  fell- 
llellen,  doch  wäre  eine  derartige  Dorfalienimitation  diefer  decorationslufligen 
Zeit  wohl  gemäfs.  Beachten  wir  übrigens  bei  diefer  Architravarchitektur 
die  genaue  Anlehnung  an  die  antik  römifchen  Vorbilder  im  Grofsen  wie  im 
Kleinen.  Ueber  diefem  durchgehenden  Gebälk  fah  man  ehemals  den  Refl  der 
Wand  bis  zum  Scheitel  des  Jochweiten  Blendfpitzbogens  überall  ausgetüllt 
durch  eine  Holzarchitektur  (Fig.  34)  von  zwei  Bögen  mit  zwifchengefcho- 
bener  Nifche  und  abfchliefsendem  Sims:  die  feitlich  überbleibenden  Stücke 
hatten  wieder  ein  gefchnitztes  Pflanzenornament;  jetzt  wird  das  ganze  obere 
Wandllück  von  einem  breiten  Fenfler  für  das  zwifchen  den  Strebepfeilern 
angebaute  Stübchen  eingenommen.  Dabei  ill  die  Einrichtung  allerdings  in 
ganz  ähnlicher  Weife  wie  früher  geblieben ; die  feitlichen  Dreiecke  füllen 
lieh  mit  gefchnitzten  Delphinen  und  ein  Gefims,  unterllützt  von  Confolen 
und  mit  füllendem  Schnitzwerk  gefchmückt,  ifl  über  den  Fenßern  angebracht, 
nur  trägt  die  ganze  Architektur  den  viel  roheren  Charakter  der  Barock- 
zeit, der  fie  entflammt. 

Wenden  wir  uns  nun  zu  der  Einzelbetrachtung  des  Gellühles,  wie  es 
in  Wirklichkeit  jetzt  noch  vorhanden  ill,  fo  wird  freilich  manche  Abweichung 
von  der  eben  gegebenen  Befchreibung  angegeben  werden  müfien.  Zuerll 
giebt  das  bekannte  Modell  an,  — und  alte  Leute  willen  lieh  defTen  auch  noch 
zu  erinnern,  — dafs  um  die  grofsen  Kirchenpfeiler  herum  im  Achteck  fich 
ebenfalls  ein  derartig  gefchnitztes  Stuhlwerk  befand.  Die  Verwüllung  der 
Kirche  durch  die  Franzofen  zu  Anfang  diefes  Jahrhunderts  veranlagte  die 
Befeitigung  diefer  Stühle,  von  denen  denn  auch  nicht  ein  Stück  erhalten 
geblieben  zu  fein  fcheint.1  Dafs  Kirchenlitze  fonll  irgendwo  an  den  Pfeilern 
in  derartiger  Anordnung  ausgeftihrt  worden  find,  ill  nicht  bekannt:  fie  wären, 
belländen  fie  noch,  gewifs  ein  Unicum. 

Die  Unterfuchung  der  einzelnen  Jochpartien  beginnen  wir  im  Ollen  an 
der  Südwand.  Dem  erllen  Joche  fehlen  fowohl  Stühle  wie  Täfelung  jetzt 
völlig.  Es  führt  aller  eine  Thür  in  das  aulsen  angebaute  Stübchen,  das 
erfle  von  jenen  dreien,  die,  wie  wir  fchon  aus  dem  Modelle  fahen,  an 
diefer  Seite  ehemals  niedriger  waren,  als  alle  anderen.  Der  Barockzeit  wird 

1 Oilcr  füllte  vielleicht  die  als  Kanzel  der  Marktkirche  in  der  Marienbibliothek  aufbe- 
wahrte achtfeitige  Holzfchnitzerei  vormals  einen  Pfeiler  über  den  Stuhllehnen  ummantelt  haben? 


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1)11  KIKCHK  /.V  V.  I..  KRAUEN. 


55 


der  Thürfliigel  angehören,  doch  ift  das  nach  dem  Stübchen  zu  ausgebildete, 
theilweife  erhaltene  Thürgewände  ganz  in  Hofmanfcher  Art  profilirt,  fodafs 
es  ebenfalls  um  die  Mitte  des  16.  Jahrhunderts  wie  diefe  Kirchenausftattung 
gemacht  fein  mufs.  Da  aber  die  Thüröffnung  hier  ohne  das  Stübchen  über- 
Hüffig  fein  würde,  fo  mufs  auch  letzteres  fchon  in  diefer  Zeit  gebaut  fein. 
Der  Raum  felbft  hat  aufser  feinem  länglichen,  flachen  Kreuzgewölbe  nichts 
Bemerkenswerthcs.  Auch  im  zweiten  Joche  fehlen  die  Stühle,  wogegen 
die  Wandvertäfelung  bis  in  den  tBogenfcheitel  hinauf  in  anfänglicher  Aus- 
führung erhalten  ift  (Mg.  34).  Das  macht  diefes  und  das  ebenfalls  erhaltene 


F‘k-  34- 


H-l — 1— ‘ — 1 — 1 — 1 1 1 < 

«•**•*•/>  f " 

Urfprünuliche  Spitzen  der  Wandveriäfclunß,  2.  Oftjoch  der  Südfeite. 


Stück  des  folgenden  Joches  befonders  wert h voll,  weil  wir  ohne  diefelben  über 
den  oberen  Theil  der  Wandbekleidung,  der  aufserdem  in  feiner  ehemaligen 
Ausbildung  nicht  mehr  vorhanden  ifl.  nicht  unterrichtet  fein  würden.  Das 
äufsere  Stübchen  diefes  Joches  hat  diefer  Täfelung  wegen  natürlich  kein 
Tenfler  gegen  die  Kirche,  mit  welcher  es  aber  auch  durch  eine  Thür  nicht 
in  Verbindung  fleht,  noch  geftanden  hat.  Es  ift  ftets  nur  von  aufsen 
zugänglich  gewefen;  der  Zweck  feiner  Anlage  bleibt  daher  unklar;  möglich, 
dafs  es  wie  heute  immer  ein  Aulbewahrungsort  war.  Gemacht  ifl  die  Ver- 
täfelung im  Jahre  1364,  welche  Zahl  lieh  einmal  in  den  Pilafterzierrathen  und 
ein  anderes  Mal  oben  unter  der  Milche  zwilchen  den  beiden  Bögen  der 
oberften  Partie  befindet. 

Wie  gefagt  hat  auch  das  dritte  Joch  feine  ganze  Vertäfelung  im  urfprüng- 
lichen  Zuflande  bewahrt  und  zwar  ift  diefelbe  1565  gemacht,  wie  wiederum 
zwei  Infchriften,  eine  im  Pilafterornament  und  die  andere'unter  der  kleinen 
Mittelnifche  oben,  angeben.  Hier  ift  auch  eine  Thür,  welche  zudem  äufseren 


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5& 


DIE  STADT  HALLE  u.  <1.  SAALKREIS. 


Stübchen  führt.  ]hr  Flügel  ift  barock,  während  aus  der  I folzfchnitzerei 
kirchenfeits  und  aus  dem  Steingewände,  in  Hofman'fcher  Manier  profilirt. 
auf  der  Seite  der  Stube  hervorgeht,  dafs  die  Thüröffnung,  und  alfo  auch  der 
Anbau  im  Jahre  1565  bereits  dagewefen  find.  Um  den  fpäteren  Thürllügel 
anbringen  zu  können,  hat  man  von  der  alten  Holzfchnitzerei  in  barbarifcher 
Weife  weggefcfinitten  * foviel  dazu  nöthig  war.  An  einigen  Ueberbleibfeln 
z.  B.  an  der  Spitze  über  der  Thür  fieht  man  deutlich,  dafs  die  anfängliche 
Holzverkleidung  einen  Efelsrücken  bildete.  Auch  diefes  Stübchen  ift  mit 
flachem  Kreuzgewölbe  überfpannt.  Man  fragt  nun  nach  dem  Zwecke  diefer 
beiden  vom  Kircheninnern  zugänglichen  Räume  des  erden  und  dritten 
Joches.  Sie  haben  zweien  Geifllichen  zur  Abhaltung  der  Beichte,  anfänglich 
noch  der  Ohrenbeichte,  gedient;  auch  für  einen  dritten  Pallor  ift  noch  ein 
Zimmerchen  hierzu  vorhanden  gewefen , es  hat  in  der  nordöftlichen  Ecke 
der  Kirche  im  Innern  gelegen,  ift  aber  fchwerlich  vor  dem  Ende  des  17.  Jahr- 
hunderts eingerichtet  gewefen.  In  diefem  dritten  Joche  der  Südfeite  ift  eine 
Stuhlreihe  vorhanden;  fie  lieht  auf  der  anfänglichen,  zweillufigen  Erhöhung 
des  Altarraumes  oder  vielmehr  auf  einer  feitlichen  Verlängerung  derfelben. 
Zwei  Reihen  haben  hier  wohl  niemals  geftanden;  diefe  eine  jedoch  wird  fielt 
auch  durch  die  beiden  erden  Joche  ehemals  fortgefetzt  haben;  ihre  Befeitigung 
ift  ficherlich  eine  fler  unfeligen  Folgen,  die  die  Schinkel' fche  Erhöhung  des 
Altarraumes  nach  fich  gezogen  hat;  mit  ihr  mufsten  die  Sitze  verfchwinden. 
fonft  wären  fie  halb  eingemauert  worden,  wie  es  hier  den  nicht  zu  befeitigenden 
Emporenpfeilern  ergangen  ift,  die  wohl  um  zwei,  nicht  aber  um  vier  Stufen 
erhöht  find,  als  man  fie  anlegte.  N'eben fachlich  fei  die  Conftruction  der 
Thürangel  erwähnt;  ihr  Zapfen,  um  den  fich  die  Ofe  der  Hefpen  legt,  ift 
konifch  und  mit  einem  Gewinde,  fodafs  fich  der  Thürflügel  beim  Offnen 
hebt  und  durch  die  eigene  Schwere  fich  felbllthätig  wieder  fchliefst.  Im 
vierten  Joche  liegt  ein  Kirchenportal,  daran  interefifirt  die  hier  lichtbare  innere 
Überwölbung.  Es  befteht  der  Bogen,  falls  man  von  einem  folchen  reden 
kann,  aus  drei  graden  Linien,  die  ftumpfwinklig  zu  einander  im  Ifumpfen 
Winkel  fich  auf  die  fenkrechten  Seitengewände  fetzen.  Die  Ilolzbekleidung, 
die  diefen  Linien  folgt,  ift  an  allen  vier  Portalen  ganz  erhalten  und  mit 
Pftanzenornament  gefchmückt.  Neben  der  Portalöffnung  ift  für  Stühle 
natürlich  kein  Platz  mehr  geblieben.  An  der  untern  Holzbekleidung  im 
F'riefe  auf  jeder  Seite  einer  Thür  fällt  die  Verzierung  durch  ein  rundes 
Medaillon  mit  flach  gefchnitzten  Köpfen  auf.  Hier  ift  es  ein  Mann  in 
Bart  und  Mütze  — es  ift  der  Verfertiger  der  Stühle,  den  wir  gleich  kennen 
lernen  werden  — und  eine  Frau  mit  einem  derzeitig  modigen  Kopfputze. 
Zum  fünften  Joche  übergehend  fchicken  wir  voraus,  dafs  von  diefer  ganzen 
Südfeite  aul'ser  im  dritten  Joche  nur  die  Wandtäfelung  und  zwar  theilweife 
erhalten  ift,  die  Stühle  aber  fehlen.  Dafs  letztere  anfänglich  auch  hier  in 
zweifacher  Reihe  vorhanden  waren,  läfst  fich  annehmen,  abgebrochen  fcheinen 
fie  wegen  Schadhaftigkeit  zu  fein  zu  gleicher  Zeit  mit  dem  Stuhlwerk  um 
die  Pfeiler;  feitdem  haben  einfachei  umfehränkte  Bänke  an  diefer  Seite  ge- 
ftanden,  bis  auch  lie  durch  die  heutigen  Möbel  ersetzt  lind.  Im  fünften 
Joche  trägt  die  barocke  Erfetzung  des  Theiles  über  dem  dorifchen  Gebälk 


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IJIE  KIKCHK  ZU  U.  L.  FRAUEN.  57 

die  Jahreszahl  1681,  welche  Zeit  mithin  als  die  Entftehungszeit  des  Stübchens 
angefehen  werden  mufs.  Im  Friefe  des  älteren  untern  Stückes  fteht,  auf  vier 
Metopen  vertheilt,  gTofs  gefchrieben  wie  jene  barocke  Zahl  1561.  Da  folche 
Weife  der  fonft  üblichen,  nämlich  die  Zahl  in  befcheidener  Gröfse  mit  in  das 
Ornament  zu  verflechten,  nicht  entfpricht,  und  da  in  den  Pilaflern  hier  keine 
Jahreszahl  fteht,  fo  wird  diele  fich  wohl  vordem,  zumal  fie  die  alterte  von 
allen  ift.  nur  oben  etwa  unter  der  Mittelnilche  (vergl.  Fig.  34)  befunden  haben 
und  bei  der  Befeitigung  der  oberen  Partie  120  Jahre  fpäter  zum  Frfatz  hier 
eingefchnitten  worden  fein.  Diefelbe  Art  hat  man  im  fechften  Joche 
angewandt,  deffen  Stübchen  ebenfalls  zufolge  der  Jahreszahl  im  oberen 
Theile  der  Verkleidung  1681  angebaut  worden  ift;  wie  im  vorigen  Joche  hat 
man  nun  das  F.ntftehungsjahr  der  erften  Vertäfelung  hier  nachträglich  den 
Metopen  eingefchrieben.  Aufserdem  bemerkt  man  letztere  Zahl  auch  in 
den  Ranken  eines  Pilafters.  In  gleicher  Weife  ift  das  liebente  Joch  mit 
Jahreszahlen  verfehen,  oben  1681,  im  Friefe  grofs  gefchrieben  1564  und  diefe 
Zahl  klein  in  den  Pilaftern.  Das  achte  Joch  gleicht  dem  vierten,  weil  hier 
wieder  ein  Portal  liegt;  es  hat  gleiche  Ornamentvertheilung  und  Medaillons 
mit  Köpfen  im  Friefe.  Die  Frau  trägt  eine  Spitzenkraufe  am  Hälfe  nach 
damaliger  Mode,  der  Mann  im  Spitzbart  dürfte  wiederum  den  Verfertiger 
darftellen.  Das  neunte  Joch  ift  1565  vertäfelt;  hier  fehlt  die  Jahreszahl  im 
Friefe,  jedoch  erfährt  man  durch  die  Infchrift  oben,  dafs  1687  die  Stube 
angebaut  worden  ift.  Das  letzte,  zehnte  Joch  ift  zur  Hälfte  von  der  Treppe 
eingenommen,  fodafs  hier  ein  Bogen,  der  halb  fo  grofs  ift  wie  die  übrigen, 
entlieht,  und  der  deswegen  auch  eine  etwas  geänderte  Kintheilung  der  Holz- 
zierrathe  hat.  So  find  hier  nur  zwei  Pilafter;  in  jedem  fteht  1566.  Den  oberen 
Theil  zeigt  unfere  Abbildung  Fig.  35.  Links  im  Ornament  endigt  eine 
Ranke  mit  einem  männlichen  Kopfe  und  dem  entfpricht  rechts  in  dem  Blatt- 
werk ein  weibliches  Geficht.  Aus  der  Schrift  auf  dem  Bande,  an  welchem 
diefe  Köpfe  den  Schlufs  bilden,  erfehen  wir,  dafs  es  der  Meifter  ift,  wahr- 
fcheinlich  nebil  Gemahlin,  welcher  uns  an  diefem  unfeheinbaren  Eckplatze 
lein  Bildnifs  und  feinen  Namen  überliefert  hat.  Es  fteht  links  auf  dem 
flachen  Bande  um  den  Kopf: 

ANTONIVS  . PAVWART 

(ein  gewifs  echt  niederländifcher  Name)  und  dann  andererfeits  um  den  weib- 
lichen Kopf: 

VON  . YPREN  . IN  . FLANDREN. 

So  wie  in  den  Medaillons  der  Portal  joche  lieht  auch  hier  der  1 lolz- 
fchnitzer  aus:  er  trägt  einen  etwas  fpitzen  Vollbart,  und  auf  dem  Kopte 
eine  breite  Mütze.  Befonders  geiftreich  find  feine  Gefichtszüge  nicht,  obgleich 
ihnen  der  Ausdruck  einer  gewilTen  geiftigen  Regfamkeit  nicht  mangelt. 
Mit  Sicherheit  kann  aber  hierüber  ein  Unheil  nicht  abgegeben  werden, 
weil  für  eine  derartige  Charakteriftik  eines  Portraits  weder  das  Material 
noch  im  gegenwärtigen  Falle  die  Arbeit  fein  genug  ift;  auch  hat  die  Üel- 
farbe  jedweden  feinen,  aber  bezeichnenden  Höhenunterfchied  nivellirt  bezw. 


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5« 


DIE  STADT  HALLE  u.  <1.  SAALKREIS. 


die  conlurircnden  Linien  ausgefüllt.  Pauwart's  Frau  trägt  eine  Mütze  oder 
llaube  auf  dem  Kopfe;  lie  ift  eine  volle  und.  wie  es  fcheint,  energifche 
Perfon  gewefen,  und  hat  den  Typus  der  Franzöfinnen.  Ganz  oben  in  der 


Fig.  35- 


Spitze  der  Wand  Vertafelung  im  weftlichftcn  Joche  der  Siulfcitc. 


Spitze  bemerkt  man  noch  ein  Medaillon  mit  dem  Kopfe  eines  Kriegers,  der 
ein  dummes  (ielicht  hat.  Hin  Name  ill  nicht  angegeben;  das  Hildnifs  hat 
alfo  wohl  mehr  einen  decorativen  Zweck,  auch  möglich,  dafs  hier  der  Pro- 
tector  des  Künlllers,  ein  Kunftmäcen  oder  eine  derartige  Perfönlichkeit 
dargeftellt  ift. 


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DIE  KIRCHE  ZU  U.  L.  FRAUEN. 


59 


Wenn  wir  in  demfelben  Joche  zur  Nordfeile  übergehen,  fo  kommen 
wir  im  Mittelfchiff  an  zweige fchofsigen,  ftübchenartigen  Kirchenlitzen  vorbei 
zu  jeder  Seite  des  Einganges  in  die  jetzige  Taufkapelle  zwifchen  den  blauen 
Thürmen.  Sie  mögen  erwähnt  werden,  weil  auch  fie  zu  jenen  hölzernen  Nach- 
ahmungen des  fteinemen  Blendmaafswerkes  gehören,  welches  bei  Befprechung 
der  Emporen  charakterifirt  ift;  hauptfächlich  durch  ihre  Zulatze,  Palmbaum- 
halbfäulen, Palmzweigbekrönungen,  fchwülflige  Simfe  u.  f.  w.  weifen  lieh 
denn  auch  diefe  Stübchen  als  echte  Kinder  des  Barocks  aus. 

Das  zehnte  Joch  der  Nordfeite  bietet  den  unangenehmen  Anblick,  dafs 
hier  durch  eine  Schorn  lleinanlage  neuerer  Zeit  der  untere  Theil  der  Wand- 
bckleidung  gänzlich  befeitigt  ift,  während  man  die  oberen  Stücke  zum  Theil 
vorn  dem  Arkadenbogen  der  Empore  eingefugt  hat.  Man  hat  dabei 
unglaublich  unverftäntjig  gehandelt;  man  hat  die  Theile  rückfichtslos  ver- 
kürzt, fie  dann  wieder  vereinigt  und  diefe  widerlich  rohe  Zufammenftoppelung 
obendrein  in  gute  Beleuchtung  gebracht.  Die  Dispolition  glich  der  an  der 
gegenüber  im  Süden  gelegenen  Täfelung.  Im  Bogenfcheitel  ift  erhalten 
geblieben  das  Rundftück  mit  einem  Kopfe,  welcher  fich  durch  die  Um- 
fchrift  als  der  des  Meifters  kennzeichnet,  fie  heifst:  ANTONIUS  (die  letzten 
Buchftaben  lind  durch  den  Arkadenbogen  verdeckt) 1 PAUWART  . VON  . 
YPER  . IN  . FLANDER.  Auffällig  ift  die  Verfchiedenheit  der  Schreibweife 
der  geographifchen  Namen  hier  und  in  der  vorgenannten  Umfchrilt , doch 
dürfte  das  ohne  Bedeutung  fein.  Es  verlieht  fich,  dafs  auch  diefes  Bild 
des  Meifters  dem  anderen  gleicht,  Mütze  und  fpitzer  Bart  find  auch 
hier  die  bezeichnenden  Beigaben  Das  neunte  Joch  der  Südfeite  hat 
keine  Stühle  mehr.  Das  in  feinem  oberen  Theile  barocke  Getäfel  mit 
Stubenfenller  ift  ganz  ohne  Jahreszahl,  fodafs  auch  der  Stubenanbau 
nicht  datirt  werden  kann.  Im  achten  Joche  liegt  wiederum  ein  Portal 
mit  der  bekannten  Holzvertäfelung.  Der  männliche  Kopf  foll  auch  hier 
der  Pauwart’s  fein.  In  den  drei  Jochen  zwifchen  diefem  und  dem  öftlichen 
Portale  an  der  Nordfeite  hat  fich  das  doppelreihige  Stu'nlwerk  noch  erhalten. 
So  im  fiebenten  Joche,  wo  fich  an  der  Rücklehne  der  erften  Reihe  im 
Ornament  des  Pilafterehen  die  Jahreszahl  1575  findet.  Der  nachträgliche 
Stubepanbau  hat  die  obere  Wandbekleidung  barock  erfetzt.  Genau  wie  in 
diefem,  findet  fich  im  folgenden  fechllen  Joche  die  Zahl  1575  an  der  erften 
Stuhlreihe,  und  dos  Stübchens  wegen  fehlt  auch  die  fpätere  Holzlchnitzerei 
oben  an  der  Wand  nicht.  Die  erfte  Stuhlreihe  des  fünften  Joches  hat  keine 
Inlchrift.  die  barocke  Umrahmung  des  Stubenfenllers  ift  vorhanden.  Nun 
folgt  ein  Portal  im  vierten  Joche  wiederum  mitder  bekannten  Ausfchmiickung 
durch  Ranken  und  Köpfe.  Ob  letztere  nicht  beide  Männer  darllellen,  mag 
dahingeftellt  fein;  der  eine  ift  bartlos,  der  andere  hat  nur  einen  Schnurbart 
und  ift  wohl  der  eines  Kriegers,  jedenfalls  nicht  der  des  Schnitzers.  Im 
dritten  Joche  haben  wir  der  zweiftufigen  Erhöhung  wegen  nur  eine  Stuhl- 
reihe. Eine  Jahreszahl  fehlt,  nicht  aber  die  fpätere  I-enfterumgebung  oben. 
Die  erften  beiden  Joche  haben  gar  keine  Stühle  wegen  der  nachträglichen 

1 Vergl.  Beiblau  zur  Zeitschrift  für  bildende  Kunst,  1#.  Jahr^.,  No.  3. 


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6o 


DIE  STADT  HALLE  u.  <1.  SAALKKEIS. 


Zeit  der 
Entrtehunj>. 


Stil. 


Firhöhung  des  Fufsbodens.  Das  zweite  iß  der  Jahreszahl  nach,  welche  im 
Pilaßer  licht,  156z  gefchnitzt;  der  obere  barocke  Theil  hat  an  Stelle  des 
Fenders  — eine  F'enßeröffnung  ifl  überhaupt  nicht  oder  nicht  mehr  vor- 
handen — eine  F'üllung  in  durchbrochener  Schnitzerei.  Die  äufsere  Thür 
zu  dem  unbebauten  Stübchen  diefes  Joches  ill  jetzt  auch  vermauert,  fodafs 
hier  ein  durchaus  unzugänglicher  Raum  entllanden  ill.  Ebenfo  iß  die  Stube 
des  erllen  Joches  jetzt  nach  aufsen  und  innen  zugemauert.  Von  innen 
zugänglich  ill  es,  obwohl  dem  Kirchenmodelle  nach  ehemals  niedriger  als 
die  anderen  und  daher  wahrfcheinlich  fchon  im  16.  Jahrhundert  gebaut,  nie 
gewefen  wie  das  ihm  gegenüber  an  der  Südfeite  gelegene.  Aus  der  Ver- 
täfelung iß  das  zu  erkennen;  lie  hat  lieh  bis  zum  dorifchen  Gebälk  erhalten 
und  iß  ohne  Thür.  Oben  fehlt  jede  Wandbekleidung,  man  fleht  den 
nackten  Putz. 

Soviel  lieh  aus  alledem  ergiebt,  iß  die  ganze  Holzarbeit  von  1561  bis 
1575  durch  Antonius  Pauwart  ausgeführt  worden.  Damit  flimmt  die 
Angabe  des  Olearius  nicht  überein,  welcher  lie  von  155g  bis  1572  fetzt. 
Bezüglich  der  letzten  Zahl  irrt  er  offenbar;  ob  das  in  Betreff  des  Anfangs- 
jahres auch  der  F’all  iß,  wollen  wir  in  Rücklicht  auf  die  vielen  bereits 
fehlenden  Stücke,  die  Zeitangaben  gehabt  haben  können,  in  Sonderheit  der 
Stühle  an  den  Pfeilern,  nicht  behaupten. 

Wie  die  lnfchriften  ergeben,  iß  auch  nicht  ein  Joch  dem  andern  ange- 
fchloffen  worden,  fondern  ganz  beliebig  bald  hier  bald  dort  eines  fertig 
geßellt,  und  das  erlaubte  die  Jocheintheilung  lehr  wohl.  Warum  das  gefchehen. 
läfst  fleh  nicht  Tagen;  vielleicht  liefsen  fleh  einzelne  Familien  auf  eigene 
Koßon  Stühle  machen  und  durften  dann  nach  ihrem  Belieben  ein  Joch 
wählen. 

Zur  Würdigung  des  Stiles  diefer  Kleinarchitektur  in  Holz  läfst  fleh 
vief  l.obenswerthes  Tagen.  Es  iß  hier  wirklich  die  Formenwelt  der  heid- 
nifchen  Zeit  Italiens  von  deutfehem  Geifle  — dals  Pauwart  ein  Nieder- 
länder war,  fällt  dabei  wohl  nicht  ins  Gewicht  — erfafst  und  den  veränderten 
Anforderungen  auf  das  Ungezwungenfle  angepafst  worden.  Die  VerhältnilTe 
im  Grofsen  (fo  der  Säule  zum  Gebälk)  wie  im  Kleinen  find  edel;  eine  Ueber- 
treibung  in  den  Sims-,  Capitäl-  und  Bafenausladungen,  wie  fie  an  fo.  vielen 
andern  Beifpielen  deutfeher  RenailTance  beliebt  iß,  findet  nicht  ßatt  ; mit  mehr 
Recht  könnte  man  von  allzuängßlichem  Copiren  alter  Vorbilder  fprechen. 
Wenn  noch  nicht  die  leifeße  Spur  des  Barock ßils  fleh  einmifcht,  fo  liegt  eben 
in  der  peinlich  genauen  Befolgung  der  Regeln  antiker  Proportionirung  der 
Grund.  Die  Proportionen  felbll  ändern  fleh  jedoch  regelrecht  aut  Grund  der 
veränderten  Bedingungen.  Vornehmlich  iß  es  der  eigenartig  deutfehe  Cha- 
rakter, deffen  Unterfchied  fowohl  in  den  Verhältniffen  als  auch  am  Ornament 
lichtbar  wird.  Es  kann  hier  nicht  genauer  darauf  eingegangen  werden,  wir 
wollen  indeffen  auf  einiges  hinweifen.  Die  Architektur  iß  weniger  leicht, 
weil  Füfse,  Capitäle  und  Simfe  ßärker  vortreten;  dennoch  harmoniren  die 
neuen  Maafse.  Der  allgemeine  Charakter  wird  derber,  kräftiger  und  kerniger, 
wenn  er  auch  weniger  gefchmeidig  und  lieblich  iß  als  der  italienifcher 
Arbeiten.  Aehnlich  geht  es  mit  der  Verzierungsweife,  die  von  der  Antike  die 


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HIE  KIRCHE  ZU  f.  I..  FRAUEN*. 


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Art  der  Anordnung,  befonders  die  fchwungvolle  üppige  Rankenlegung  ent- 
lehnt: und  das  hat  fie  mit  der  italienifchen  Ornamentik  gemein,  wenn  auch 
Pauwarts  Arbeit  noch  nicht  gleichwerthig  ilt  mit  italienifchen  Erzeugni  ITen ; 
ferner  nimmt  fie  mancherlei  Motive:  Akanthus,  Delphine,  Ränder.  Gehänge, 

Masken,  Rültungen,  Gerälhe  u.  f.  w.  dort  her  wie  Italiens  Renaiffance; 
das  originell  de  utfche  Gepräge  aber  wird  ihr  verliehen  durch  gewifTe  Zu- 
thaten  und  ferner  durch  Eigenthümlichkeiten  in  Form  und  Schnitt  der 
Blätter.  Eine  Zuthat  find  beifpielsweife  jene  dem  lllätterwerk  entwachfenden 
Bänder  mit  Kerbfchnitten,  die  fo  häufig  Vorkommen,  lieh  jedoch  auch  wohl 
an  italienifchen  Stücken  finden.  Sie  find  eigentlich  als  Kartufchentheile 
anzufehen , rollen  fich  Ichliefslich  auf  oder  endigen  in  Masken  und  dergl. 

Zu  den  RI  at t eigen t hü  ml ichk eiten  mufs  das  Lederartige  oder  Hölzerne  bez. 
Zu-Hölzerne  der  Technik  und  die  herzartig  dreitheilige  Form  der  einzelnen 
Blätter  gerechnet  werden.  Gegenüber  der  einige  Jahrzehnte  älteren  ürna- 
mentirung  der  Emporen  in  Stein  läfst  fich  immerhin  ein  beträchtlicher  Fort- 
fchritt  beftätigen.  Es  giebt  zwar  noch  ungelölle  Partien  und  gezwungene 
Linien,  dennoch  find  die  Linien  im  Allgemeinen  Hüffiger  und  die  Blatt- 
modellirung  ilt  üppiger.  Die  Fläche  füllt  fich  nicht  mehr  gleiclunäfsig  mit 
belaubten  Ranken,  fondern  verfucht.  und  meilt  glücklich,  eine  richtig 
abgewogene  Gruppirung  der  Schmuckelemente.  — Auch  über  das  Schnitz- 
werk  der  barocken  Stücke  oben  an  den  Wänden  mag  gefagt  werden,  dafs 
es  fich  im  Allgemeinen  der  älteren  Architektur  gut  anfchliefst.  Die  Technik 
hält  freilich  einen  Vergleich  mit  diefer  nicht  aus,  die  Einzelheiten  find  roh 
und  das  Ornament  wunderlich  kraus  und  bunt  bis  zur  Verwirrung  oder  gar 
Unkenntlichkeit.  Ein  Beifpiel  bildet  das  Motiv  eines  Delphins,  der  fo 
zerriffen  auslieht,  dafs  er  als  F'ifch  kaum  noch  kenntlich  ilt. 

Elin  anderes  Geltühl,  in  Holz  gefchnitzt,  fchliefst  fich  dem  befchriebenen  BräiniRams- 
an  (F'ig.  36,  37,  38  und  39).  Es  befindet  fich  im  Mittelfchiff  hinter  dem  Altäre 
und  füllt  den  Raum  unterdem  weiten  P’lachbogen  der  Oftempore  theilweife 
aus:  während  es  fich  nämlich  in  zwei  gleichen  Theilen  fymmetrilch  zur 
Mitte  ordnet,  ilt  die  Mitte  felblt  unausgefiillt,  um  einen  Zugang  zurSacriltei 
offen  zu  laden.  Die  Holztäfelung  hat  den  Zweck,  eine  prachtvolle  Aus- 
fiattung  für  jederfeits  drei  Sitze  abzugeben,  welche,  wie  Olearius  meldet, 
ehemals  „die  Bräutigamsltühle“  hiefsen.  Sie  dienten  daher  ficherlich 
einer  alten  hochzeitlichen  Sitte,  die  nunmehr  mit  fammt  der  Benennung  der 
Stühle  in  Vergeffenheit  gekommen  ilt. 

Auch  für  diefes  alte  Holzwerk  mufste  die  Fufsbodenerhöhung  örtlich 
im  Schiff  verhängnifsvoll  werden.  Sie  hat  bewirkt , dafs  der  F'ul’s  der 
Sitze  in  den  Boden  unter  die  grofsen  Steinplatten  gekommen  und  wahr- 
fcheinlich  jetzt  fchon  verfault  ift.  Solche  Behandlung  eines  Kleinodes  der 
Baukunft  kann  fie  felblt  dem  grofsen  Schinkel  verziehen  werden?!  Da  es 
ohne  Wegräumen  der  Aufhöhung  nicht  möglich  ilt,  zu  erfahren,  wie  der 
Fufs  des  ganzen  Werkes  ausfieht,  fo  fei  geftattet  anzuführen,  wie  die  untere 
Partie  der  Geftalt  der  Bräutigamsltühle  gemäfs  wohl  ausgefehen  haben  kann. 

Die  Sitze  werden  von  pfeilerartigen  Beinen  getragen,  in  deren  vertieften 
Flächen  als  Füllung  ein  platter  Knopf  (Fig.  30  u.  37)  fitzt.  Diefer  nimmt  gerade 


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DIE  STADT  HALLE  u.  .!.  SAAt.KKEIS. 


die  Mitte  ein.  von  welcher  alfö  die  Entfernung  bis  /um  F'ufsfimfe  fo  grofs 
fein  mufs,  wie  fie  bis  zum  Sitzbrett  ifl.  Durch  das  Maafs  wäre  die  Sohle 
der  zwei  flu figen  Erhöhung  jedoch  noch  nicht  erreicht.  Es  bliebe  gerade 
noch  Raum  für  ein  Trittbrett,  wie  es  auch  die  befchriebenen  Stühle  haben.  Der 
mittlere  Sitz,  der  um  ein  geringes  höher  liegt  als  die  feitlichen,  könnte 
deren  zwei  gehabt  haben.  Giebt  es  eine  feierlichere  Weife,  die  Plätze  aus- 
zuzeichnen, die  die  Brautleute  unmittelbar  vor  der  Trauung  in  gehobener, 
froh-ernfler  Stimmung  innehaben,  als  durch  einefolche  thronartige  Erhöhung? 
Die  Braut  aut  der  einen  Seite  des  Altars  mit  ihren  beiden  Brautjungfern, 
auf  der  anderen  der  Bräutigam  zwifchen  Freunden  oder  Aelteren,  fo  erwarten 
die  Verlobten  den  Prieller.  Zum  Trauungsacte  treten  fie  vor  dem  Altäre 
zufammen,  um  fich  die  Hand  zu  reichen  für  das  Leben.  Gewifs  der  alte 
Name,  der  ausgezeichnete  Platz,  eine  treffliche  Arbeit  und  diefe  wohl  über- 
legte Anordnung  laden  über  diefen  Zweck  des  Geltühles  keinen  Zweifel  zu: 
vor  unferem  Geilte  Hellen  fich,  wenn  wir  die  Stühle  betrachten,  auf's  Neue 
die  länglt  verraufchten , hochzeitlichen  Scenen  und  Ceremonien  an  diefem 
Platze  lebendig  dar.  Es  find  die  Kunllformen,  welche  uns  wieder  von  einer 
nun  vergelTenen,  aber  tieffinnigen  und  pöetifchen  Sitte  unferer  Vorfahren 
erzählen. 

Was  nun  auch  wahr  oder  falfch  fei  von  unferer  Vorltellung,  die  aus- 
gezeichnete Arbeit  verdient  eine  weitläufige  Befchreibung.  Nach  Art  der 
("horherrenflühle  haben  die  Sitze  auch  hier  im  Allgemeinen  ihre  Gellalt  be- 
kommen, im  Einzelnen  hat  der  Meilter  mit  Klugheit  die  Motive  aus  der 
Arbeit  feines  Vorgängers  Pauwart  entlehnt  (Eig.  36  und  37):  die  Sitzbretter 
ruhen  auf  viereckigen  Pfeilern  mit  hinten  eingefetztem  Brette  und  haben 
darüber  gedrechfelte  Säulchen  zur  Unterllützung  der  Armlehnen.  Die  Rück- 
wand in  Rahmen  und  Füllung  theilt  fich  über  der  Lehne  in  dreiTheile  durch 
ionifche,  hermenartig  nach  oben  verbreiterte  Pilafter  auf  Pollamenten. 
Denkt  man  noch  einen  Blendbogen  in  jedem  Theile  hinzu,  fo  haben  wir 
das  gleiche  Motiv  in  einer  edlem  Ausbildung,  welches  bei  den  Stühlen  der 
Seitenlchiffe  verwendet  ifl.  Das  eingerahmte  Feld  belleht  aus  hellerem, 
linienumzogenem  Holze  und  wird  oben  durch  einen  gequaderten  und  fein 
verzierten  Bogen  abgefchlolTen.  Unten  im  F'elde  bauen  fich  einige  Stufen 
treppenartig  über  einander,  als  ob  fie  einen  Gegenlland  tragen  Tollten;  ein 
Haches  kartufchenartiges  Laubfägellück  in  flotter  Zeichnung  hängt  darunter. 
Die  Hauptpfeiler  ionifcher  Ordnung  find  von  höchll  origineller  Form 
durch  ihre  Verjüngung  nach  unten,  jedoch  in  den  allerfein llen,  obwohl  von 
der  Antike  ganz  abweichenden  Verhältnifsen  gehalten.  Sie  find  zu  langen 
Nifchen  ausgehöhlt  worden,  die  ol>en  mit  einer  Mufchel  abfcbliefsen;  das 
üppigfle  Blätter-  und  Früchtwerk  birgt  fich  in  ihrer  Vertiefung.  Ebenfo 
nifchenartig  ifl  ihr  Pollament  geziert.  Die  Pfeiler  haben  das  hohe  Gebälk 
zu  tragen,  welches  fich  über  fie  hinzieht.  Bei  gothifchen  Möbeln  diefer 
Art  hing  fchützend  ein  Baldachin  über  die  Sitze  weg.  Die  überkommene 
Weife  bildet  fich,  dem  neuen  Stile  angemefien,  um.  Das  ganze  Gebälk 
tritt  nämlich  (b  weit , wie  die  Sitze  reichen , vor  und  wird  dabei  von  zwei 
Ichlanken,  frei  auf  Pollamente  geflellten,  korinthifchen  Säulchen  vorn  an 


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DIE  KIRCHE  ZU  U.  FRAUEN. 


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den  Ecken  gellützt.  fodafs  die  Säulchen  auf  die  beiden  Endmiferikordien 
je  einer  Partie  zu  liehen  kommen.  Das  Säulenpollament  hat  die  Ausbildung 
derer  an  den  Pilallem.  Die  Säulen  lind  auf  ein  Viertel  ihrer  Gefammtlänge 
mit  Kartufchenwerk  umfpannt  und  dann  mit  vielen  Canneluren  gereift. 

Das  Capital  ill  ein  Compolitcapitäl,  verhältnifsmäfsig  niedrig  und  weit  aus- 
ladend. Man  fieht,  die  antiken  Verhältnifse  lind  keck  überfchritten,  aber 
die  neuen  mit  folcher  Vorzüglichkeit  gellimmt,  dafs  darin  die  Meillerhand 
eines  genialen  Künlllers  unverkennbar  ill.  Die  Proportionirung  des  Gebälkes 
über  den  beiden  Säulen  und  den  vier  zurückliegenden  Pilallern  lallt  noch 
weit  mehr  aus  der  Rolle  in  Bezug  auf  die  Anlehnung  an  die  Antike:  ein 
niedriger  Architrav,  ein  mehr  als  fünfmal  fo  hoher  Fries,  durch  vier  mächtige 
Confolen  in  Felder  mit  Kartufchenfchmuck  getheilt,  und  fchliefslich  ein  weit 
ausladendes  Kranzsims  mit  Zahn Ichniit  und  mächtiger  Sima,  das  find  feine 
Bcllandtheile , die  fehr  wohl  mit  einander  und  mit  den  Säulen  in  Einklang 
liehen.  In  beiden  Partien  der  Vertäfelung  lieht  im  F'riefe  die  Jahreszahl 
der  Entllehung  1595  grofs,  erhaben  auf  befonders  ausgezierten  Feldern. 

Da,  wo  der  Emporenbogen  anfängt,  alfo  links  am  linken,  rechts  am  rechten 
Vertäfelungsllück  ill  dem  Simfe  eine  Vafe  zur  Bekrönung  aufgefetzt. 

Zwei  Stufen  nehmen  dann  den  obern  Th  eil  der  Täfelung  auf 
(Fig.  38  und  39).  welcher  in  den  Hauptfachen  dem  untern  lehr  ähnelt : drei 
ionifche  Pilafter  mit  den  bekannten  Blendbögen  zwilchen  lieh  und  ein  Gebälk 
ungefähr  fo,  wie  das  befchriebene,  geben  die  Haupteintheilung  für  diefe 
Partie  ab,  die  durch  die  Bogenlinie  dreieckig  wird.  Zur  Bereicherung 
lind  die  Bogenfelder  mit  flachen  Mufchelgebilden  ausgefüllt,  als  ob  hier 
Nifchen  vorgellellt  werden  füllten;  Knöpfe  beleben  die  Bogenzwickel  und 
grofse  Schlufslleine  helfen  den  Architrav  tragen.  Die  Pilalter,  ihre  Pofla- 
mente  u.  f.  w.  find,  weil  kleiner  und  dem  Auge  ferner  als  die  untern, 
auch  entfprechend  weniger  gefchmückt  worden.  Das  Dreieck  zwilchen 
dem  letzten  Pilaller  und  dem  Iteinernen  Bogen  ill  von  dem  Meiller  in 
ganz  aufserordentlich  reizvoller  Art  als  Kartulche  behandelt.  Das  kraule 
l.inienfpiel  und  der  auffällige  Wechfel  von  Eicht  und  Schatten,  hervor- 
gerufen durch  die  feine  Zulämmenltellung  von  Voluten,  Spitzi|uadern,  Knöpfen 
und  Fruchtgehängen,  bellrickt  ganz  das  Auge,  und  man  überlieht.  dafs  durch 
die  Bogenlinie  der  Empore  das  Stück  an  einer  Seite  unbarmherzig  fchief 
abgefchnitten  wird.  Auch  über  dem  letzten  Gelimfe  verbleibt  ein  ungleich- 
leitiges  Dreieck  als  Spitze  der  ganzen  Täfelung.  Der  Meiller  hat  es  ebenfalls 
mit  gar  feinem  Gefchmacke  zu  decoriren  gewufst.  Er  wählt  ein  Grottesken- 
omament  und  entlehnt  dazu  wiederum  das  Motiv  den  Seitenllühlen : ein 
delphinähnliches  Meerungethüm  fchuppig  mit  Blätterflolfen  und  Voluten- 
fchnabel  fperrt  feinen  Rachen  auf,  grimmig  blickend  und  Zähne  weifend, 
hoch  krümmt  es  den' Körper  und  windet  den  Schwanz  in  Wellenlinien,  die 
kleiner  werdend  nachrollen  wie  die  Walferwogen. 

Haben  wir  hiermit  die  einzelnen  Bellandtheile  der  Bräutigamsllühle  Würdigung, 
aufgezählt,  fo  ill  es  damit  doch  nicht  möglich  einen  richtigen  Begriff  von 
der  Wirkung  zu  geben,  den  diefe  Stücke  in  ihrer  Verbindung  mit  einander 
machen.  Denn  mit  einer  Sorgfalt  und  Liebe  hat  der  Meiller  fein  Werk 


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Meiner. 


64  OIE  STAUT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


behandelt  bis  in  die  klein llen  Einzelheiten,  dafs  es  mußergiltig  ill  und  bleiben 
wird.  Co  lange  es  Menfchenaugen  erfreuen  mag. 1 Ja  als  Vorbild  darf  man 
folche  Arbeit  betrachten,  weil  lie  die  gofunde  Fortentwicklung  der  antiken 
Kunßweife  auf  deutfchem  Hoden  ill  und . nichts  mehr  gemein  hat  mit 
der  etwas  copirenden  Weife  Pauwarts.  „Nicht  ihren  — der  Antike 
todten  Buchftaben  narhahmen,  fondern  ihren  .Geiß  einfaugen,“  das  ill  es. 
was  diefem  Meißer  meilterlich  geglückt  ill.  Das  eben  beweifen  die  ver- 
änderten und  doch  fo  edlen  Verhältnifse.  Wir  nennen  nur  ein  Reifpiel,  die 
Säulen,  die  von  fo  eigenem  Reiz  und  fo  bewunderungswürdig  fein  proportionirt 
lind,  dafs  hier  jener  Vorwurf,  die  deutfche  Renaillänce  unterfcheide  fich 
von  der  ilalienifchen  nur  durch  die  fchlechten  Verhältnifse,8  verdummen 
mufs.  In  Deutfchland  hat  man  nicht  vorher  und  nicht  nachher  fauberer  in 
Holz  gearbeitet  und  kunlllinniger  concipirt  als  an  diefem  Werke  gefehen 
wird.  Ein  guter  Geiß,  der  eigene,  ihm  innewohnende,  machtvolle  Geirt 
wahrer  Schönheit  hat  dasfelbe  denn  auch  bewahrt  vor  dem  Mifsgefchick 
der  andern  I lolzarbeiten , die  ausnahmslos  mit  Oelfarbe  überßrichen  lind. 
Hier  Hand  anzulegen  hat  feine  Schönheit  felbß  den  Zeiten  Scheu  eingc- 
tlöfst,  welche  die  für  Kunß  verßändnifslofeßen  waren;  und  fo  Ipricht  denn 
auch  heute  noch , obwohl  längß  der  Brauch , der  diefe  Stühle  gefchaffen 
hat,  nicht  mehr  iß,  diefe  keufche  Architektur  vernehmlich,  anregend,  l>e- 
geißernd  wie  ehedem  von  Sonnenfehein,  Freude  und  Lebensluß. 

Blicken  wir  zurück.  Wir  haben  fo  lebensfrohen  Sinn  in  der  Markt- 
kirche Hufen  weife  fich  entwickeln  fehen;  an  den  Emporen  regte  er  fich 
zuerß,  nahm  an  den  Scitenßühlen  einen  reinen,  aber  noch  etwas  trockenen 
Ausdruck  an.  um  an  diefer  Holzarbeit,  die  das  Genie  erdacht  und  eine 
Meißerhand  gefchnitzt  hat,  fich  mit  tieflinnigßer  Poefie  und  ganz  in 
deutfeher  Eigenart  voll  zu  entfalten.  Ein  höherer  Ausdruck  für  dielen 
Sinn  war  hier  nicht  möglich;  wenige  Jahre  fpäter  ändert  fich  die  Denkweife, 
und  ihr  formaler  Ausdruck,  der  Stil,  wird  barock.  Für  Halle  hört  fall 
genau  mit  dem  Jahre  1600  die  reine,  edlere  Renaifiance  auf. 

Es  bleibt  nun  noch  die  F'rage  nach  dem  Namen  des  treßlichen 
Meißers,  des  Kunßbegabteßen  von  allen,  die  jemals  in  Halle’s  Mauern  ge- 
lebt haben.  Den  aufzufinden  hat  leider  bisher  nicht  gelingen  wollen,  obwohl 
mehrere  unverkennbar  von  diefem  Meißer  herrührende  Arbeiten  noch  vor- 
handen find  und  fogar  in  der  Umgegend  gefunden  werden.3  Indeßen  darf 
nicht  verfchwiegen  werden,  dafs  fich  am  obern,  nur  mitteiß  Leitern  zu  er- 
reichenden Theile,  lief  in  eine  Fuge  eingeklemmt,  ein  5 cm.  ; 8 cm.  grofses. 


1 Uebrigcns  mufs  dazu  angemetkt  werden,  dafs  die  nördliche  Hälfte  der  tödlichen  in 
der  Arbeit  nicht  ganz  gleichwertig  ift ; dan  berechtigt  anznnchmen . dafs  nur  letztere  von  de> 
Meifters  eigener  Hand  gemacht  und,  da  doch  für  diefen  genialen  Kopf  eine  Copie  nichts  Ver- 
lockendes haben  konnte,  die  nördliche  Hälfte  darauf  von  feinen  Gehilfen  ausgefiihrt  worden  ift. 

8 Scmper’s  Ausfpruch.  Vcrgl. : Wiener  (Forfterfche)  Bauzcilung  i 8, 

3 Wir  nennen  das  ältere  Thalhauszinuner  von  1504,  die  Thür  der  Vorhalle  zur  Moritz- 
kirche von  I bol  , die  Thür  des  Hanfes  Brüderftrafse  Nr.  14  und  in  der  Kirche  zu  Wetlin  die 
Täfelung  an  der  Siidfcite  des  Chores  und  der  Kmporenbriiftung. 


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r>IF.  KIKClIF  ZU  1'.  t.  WAI'Ktf. 


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zufammengerolltes Papierftückchen  fand  mit  dielen  Namen  in  deutfcher Schrift: 

„Friedrich  Conrath  Lüttich,  Johann  Lutwig  Urban,  Frietrich 
Chriftian  Mathi(e)s,  Johan  Chriftian  Schäfer." 

Ein  folches  Papierftückchen  wird  wohl  von  Tifchlern,  Zimmerleuten 
und  andern  Handwerkern  bei  ihrer  Arbeit  im  Holzwerk  verlleckt,  allein 
es  ifl  nicht  wahrfcheinlich,  dafs  im  vorliegenden  Falle  die  Namen  lieh 
auf  die  Verfertiger  beziehen,  weil  für  jene  Zeit  und  diefe  Arbeit  eine 
derartige  Verewigung  doch  wohl  zu  kleinlich  erfcheint  und  möglicher- 
weife von  den  Gehilfen,  aber  nicht  auch  von  dem  Meifter  gemacht 
fein  wird. 

Abgefehen  von  dem  befchriebenen  Kanzeldeckel  ilt  als  die  Holzarbeit.  Rahmen  <!«■ 
welche  (vermuthlich!)  der  Zeit  nach  jetzt  folgen  würde,  die  Einrahmung  f * ’ o r,'«, »n <i* ^ ' 
desgrofsen  Bildes  über  der  Oftempore  zu  nennen.  Von  zwei  durch 
umwundenes  Ornament  gefchmückten  Säulen  mit  Poftamenten,  frei  auf  vor- 
gekragten Con folen  behend,  wird  ein  Spitzbogen  getragen,  welcher  der  Linie 
des  Gewölbes  folgt,  mithin  von  einem  lialbkreife  kaum  merklich  verfchieden 
ill.  Die  Archivolte  Hellt  fich  als  grofse  Flachkehle  mit  einigen  Gliedern 
oben  und  unten  geläumt  dar;  Ge  ift  durch  fchlulsfteinartige  Confolen  in 
einige  lange  Theile  getheilt  und  mit  Hach  erhabenen  Zierrathen,  in  Leder- 
und  Blechweife  gefchnitten,  fo  wie  durch  Knöpfe,  Spitzquader  u.  f.  w. 

Webt.  Unten  geht  von  einer  Seite  zur  anderen  ein  Bandfims,  in  ähnlichen 
Omamenten  und  mit  Sprüchen  auf  umrahmten  Schildern  ausgebattet.  Die 
•Säulen  tragen  den  Bogen  mittelb  eines  Gebälkbückes,  auf  delTen  Vorfprunge 
jederfeits  ein  Wappen  beht,  wohl  denen  gehörig,  die  zu  diefem  Werke  das 
Geld  gefpendet  haben;  am  Bogenfchlufsbück  ib  das  Wappen  der  Stadt  Halle 
angebracht.  So  wie  diefe  Wappen  heute  noch  in  reichem  Farbenfchmucke,  der 
allerdings  aufgefrifcht  fein  mag.  prangen,  wird  auch  die  ganze  Umrahmung 
vielfarbig  — man  findet  noch  Spuren  — bemalt  gewefen  fein ; jetzt  theilt  lie 
mit  dem  Kanzeldeckel  das  gleiche  Loos:  weifser  Kalkanbrich  mit  Ver- 
goldung aus  fpäterer  Zeit  befchmutzen  die  Architektur.  Das  Bild  fei  1 503 
gemacht  worden,  wird  berichtet;  mithin  fiele  diefer  Rahmen  in  diefelbe  Zeit. 

Allein,  wenn  man  bedenkt,  dafs  zwei  Jahre  fpäter  der  Meiller  der  Bräutigams- 
llühle  hier  arbeitete,  fo  würde  es  Wunder  nehmen,  wenn  ihm  nicht  auch 
fchon  diefe  Arbeit  übertragen  worden  wäre.  Wilfen  wir  auch  nicht  den 
Namen  des  Verfertigers,  fo  ib  ficher,  dafs  der  Meifter  der  Bräutigamsbühle 
fie  nicht  gemacht  haben  kann.  Die  Technik  ib  zu  wenig  forgfam,  in  Folge 
defien  giebt  es  ruinöle  Partien  hin  und  wieder;  die  Detaillirung  ib  nicht 
liebevoll  genug  durchgeführt,  und  viel  Scheinwefen  läuft  mit  unter;  der 
\ erfertiger  hat  auch  die  weife  Befchränkung  jenes  Meibers  nicht  mehr 
gekannt,  fondem  findet  Gefallen  an  barocken  Formen.  IndelTen  ift  noch 
keine  widerliche  Ausartung  eingetreten,  fodafs,  follen  wir  dem  Stile 
nach  die  Arbeit  datiren,  fie  in  das  erbe  Viertel  des  17.  Jahrhunderts  zu 
fetzen  wäre. 

Einerfeits  noch  zu  dem  architektonifchen  Ausbau,  andererfeits  fchon  zu  Die  Orceln. 
den  eigentlichen  Mobilien  oder  doch  felbftändigen  Kunft werken  gehören  die 
Orgeln.  Beider  Holzgehäufe  ift  barock.  Die  kleine  auf  der  Obempore  foll 
B.  D.  d.  Bau-  u.  Kunsid.  N.  F.  ).  5 


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66 


DIE  STADT  HALLE  u.  <1  SAALKREIS. 


Andere  Hnlz- 
arbeiten  und 
Kunflwerke. 


fchon  153g  gefetzt  fein;  vermuthlich  wird  fie  aus  der  alten  Marienkirche 
flammen,  woraus  fich  das  Vorhandenfein  zweier  Orgeln  erklärt.  1663  ifl  fie 
völlig  neu  gemacht,  und  diefer  Zeit  entfpricht  der  Stil  ihrer  Schnitzerei. 
Schlaffe  Linien,  überfchwengliches  Rankenwerk  find  die  Charakterillica;  auch 
eine  Anzahl  Wappen  hängen  an  der  Orgel,  wahrfcheinlich  folchen  gehörig, 
auf  deren  Koften  fie  befchafft  worden  ift. 

Die  grofse  Orgel  auf  der  weltlichen  Empore  ift  1715  (nach  v.  Hagen 
17 13 — 16)  gemacht  worden,  und  verdient  einige  Beachtung  des  grofsartigen 
Pompes  wegen,  den  die  Ornamente  machen.  Plumpe,  pausbäckige  Hermen 
tragen  einige  vortretende  Partien,  Engel  verfchiedenen  Alters,  meift  muficirend 
liehen  in  bewegtefter  Haltung  auf  gebrochenen  und  gefchwungenen  Simfen 
oder  fchweben  in  dem  Wuft  des  übertrieben  gewundenen  Blattornamentes, 
welches  mit  baldachinartigen  Draperi<-n,  Gehängen  u.  f.  w.  durchfetzt,  bis 
zum  Gewölbe  hinaufgeht.  Dafs  die  Herftellung  derartiger  Formen  den 
Eigenfchaften  des  Materials,  dem  Holze  nicht  entfpricht,  ift  erklärlich;  die 
zügellcfe  Zierweife  bedingt  ein  Scheinwefen,  das  hohnlacht  jeder  gefunden 
Holzconftruction.  So  häfslich  nun  auch  viele  Einzelheiten  (z.  B.  dieHermeni 
find  und  fo  naturwidrig  diefelben  hergeftellt  worden  find  — Leim  und  Nägel 
ermöglichen  das  Undenkbarfte,  — fo  wirkungsvoll  ift  der  Gefanimteindruck. 
Man  mifsbilligt  diefen  Schwall  von  nichts  Tagenden  Einzelheiten,  hält  kaum 
eine  der  Beachtung  werth  und  fchaut  doch  das  Ganze  ftaunend  an  fo  etwa, 
wie  man  das  mächtige  Meer  bewundert,  ohne  die  kleinen  Wellen  zu  beachten. 
Die  Architektur  kommt  nicht  ganz  zur  Wirkung,  weil  die  eintönige  Färbung 
ziemlich  dunkel  ift,  was  vielleicht  anfänglich  in  dem  Maafse  nicht  der  Fall 
war;  immerhin  verdient  fie  Beachtung  als  eine  der  üppigften  I.eiftungen  des 
Barocks  in  Halle. 

Erwähnt  mögen  noch  einige  weniger  bedeutende  Holzarbeiten  werden, 
die,  wie  die  übrigen  noch  zu  befprechenden  Stücke,  felbftändige  Kunftwerke 
find.  Zunächli  ein  fpätgothifcher  Schrank  derSacriftei  von  grofsen  Maafsen. 
welcher  1852  leider  renovirt  ift.  Diefe  Jahreszahl  ift  auf  der  Stelle  angebracht 
wo  ehedem  vielleicht  das  P'ntftehungsjahr  ftand.  Trotzdem  die  Erneuerung 
von  unkundiger  Hand  vorgenommen  ift,  hat  man  das  alles  überziehende, 
vielmullerige  Blendenmaafswerk  nicht  verändert;  es  mögen  auch  die 
nämlichen  Farben  da  wieder  angebracht  fein,  wo  fie  urfprünglich  waren,  die 
F'arbenftimmung  und  die  Technik  der  Färbung,  nämlich  durch  getärbtes 
Papier,  ift  freilich  nicht  die  alte.  Von  Werth  find  die  Schmiedeeifenbefchläge, 
namentlich  die  Schlofsbleche  und  Henkelgriffe ; fie  konnten  ihrer  Natur  nach 
eine  Veränderung  glücklicherweife  nicht  wohl  erleiden.  Es  find  Meifterftücke 
fies  fpätgothilchen  Schmiedeei  fenftiles  und  machen  vollauf  den  abenteuerlichen 
und  gefpenftig  - bizarren  Eindruck  der  übrigen  Produkte  diefer  Epoche.  Hinzu 
kommt,  dafs  die  farbigen  Tuchunterlagen  fich  hier  erhalten  haben  und  nicht 
durch  moderne  Surrogate  erfetzt  find. 

Wenn  man  den  mit  Zeug  und  Decken  verhüllten  Altar  der  Sacriftei 
unterfucht,  fo  ftellt  fich  heraus,  dafs  auch  er  nichts  anderes  ift,  als  ein 
reich  befchlagener  fpätgothifcher  Schrank,  der  nun  Altardienfte  thun  mufs. 
Er  hat  zwar  durch  Befeitigung  und  Umänderung  einiger  Theile  gelitten,  ift 


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DIE  KIRCHE  71*  C.  L.  FRACKS. 


67 


jedoch  nicht  durch  unverfiändige  7-uthaten  verunllaltet.  In  der  SacriHci 
befinden  fich  noch  einige  Stücke  von  geringer  Bedeutung,  die  wir  nennen 
wollen,  obwohl  fie  nicht  gerade  hierher  gehören.  Ueher  dem  Altäre  hängt 
ein  barockes  Bild,  das  Abendmahl  darllellend;  es  ill  wahrfcheinlich  auch 
von  dem  taubHummen  Heller  gemalt,  der  für  die  Moritzkirche  und  Ulrichs- 
kirche  ein  Abendmahlsbild  angefertigt  hat  (f.  weiter  unten).  Die  Apofle! 
haben  die  Gefichtszüge  der  damaligen  Kirchenväter.  An  den  Sacriffeiwänden 
hängen  auch  die  Bildnifse  der  Palloren  diefer  Kirche;  der  Kunlfwerth  gebt 
nicht  über  die  Mittelmäfsigkeit  hinaus.  In  dem  füdlichen  1 fausmannsthurme 
verfchliefst  ein  hübfches  Gitter  bezw.  Doppelgitter  einen  VVandlchrank  nach 
Art  der  Sacramentshäuschen. 

Das  ältefle  unter  den  jetzt  noch  zu  befchreibenden  K u n II  werken  ill  der  TaiifkelTrl. 
Taufkeffel.  (Fig.  40).  Sowohl  aus  dem  Kirchenmodelle  als  auch  aus  den  Be- 
merkungen der  Chronilfen  ergiebt  lieh,  dafs  er  früher  vor  dem  Altäre  leinen 
Platz  gehabt  hat,  mit  lleinernen  (?)  Schranken  umgeben  und  mit  einem  lieh  hoch 
aufthümienden,  holzgefchnitzten  (?)  und  zum  Aufziehen  eingerichteten  Deckel 
des  it>  oder  17.  Jahrhunderts  bedeckt  gewefen  ill.  Jetzt  lieht  er  im  Mittel- 
raume  unter  den  blauen  Thürmen.  Seine  Form  gleicht  der,  welche  der  KelTel 
in  der  St.  Ulrichskirche  hat.  Beide  find  von  demfelben  „Grapengehter“  in 
Itronce  gegoffen.  Vier  F’iguren  auf  einer  gemeinfam«  n,  runden  und  gegliederten 
attifche  Bafis)  Fufsplatte  tragen  mit  den  Köpfen  einen  ebenfalls  runden  KelTel. 

I liefe  Figuren  Hellen  vor;  einen  jugendlichen  Mann  in  prielh  rlichem  Gewände 
Diacon?),  welcher  ein  Buch  im  rechten  Arme  hält  und  in  der  linken  Hand 
noch  das  Ende  eines  abgebrochenen  Gegenftandes  hat.  etwa  eines  runden 
Stabes,  der  ein  Kreuz,  ein  Scepter  oder  dergl.  gewefen  fein  mag.  Dann  folgt 
eine  weibliche  Figur  mit  einer  Krone  auf  dem  Haupte;  während  ihre  Rechte 
ehemals  auch  einen  runden  ftabförmigen  Gegenlland  gehalten  hat,  macht  der 
linke  Arm  eine  Bewegung,  die  daraufhindeutet,  dafs  er  früher  auch  ein  Buch 
gehalten  hat.  Eine  dritte  Figur  Hellt  einen  bärtigen  Mann  dar,  deden  Linke 
noch  ein  Buch  hält,  indofTen  bezüglich  der  Rechten  fich  auch  nur  noch  darauf 
fchliefsen  lälst,  dafs  es  ein  Habförmiger  Gegenlland  war,  den  fie  hielt.  Endlich 
ill  die  genannte  weibliche  Figur  noch  einmal  wiederholt,  ebenfalls  ohne  die 
Stücke,  welche  fie  getragen  hat.  Wer  diefe  Heiligen  ohne  Nimbus  fein 
folien  oder  ob  ihnen  eine  behindere  Bedeutung  beizulegen  ill,  ill  rückfichtlich 
der  wenigen  übergebliebenen  Beigaben  nicht  mehr  feHzullellen.  Die  ganze 
Anordnung  des  Taufkeflels,  befonders  alter  die  Anbringung  derartiger 
Figuren  zum  Tragen  des  Keitels,  ill  uralt,  vielleicht  ein  Ueberkommnifs 
deutfch-heidnifcher  Vorzeit.  Auch  an  den  ältellen  Stücken  dieler  Art  weifs 
tnan  die  F'iguren  mit  Bellimmtheit  nicht  zu  deuten.  Fleidnifche  Reminiscenzen 
lafson  fich  oft  nicht  leugnen,  z.  B.  da,  WO  die  vier  ParadiesHröme  als 
Flufsgötter  perfonificirt  find.1  Um  den  KelTel  felbfi  zieht  fich  unten  ein 

1 Der  angeblich  noch  aus  dem  deutfehen  Ifcidcnthtimc  (lammende  viereckige,  («»genannte 
< »pferaltar  de«;  Krodo  in  tler  Capelle  «les  Domes  /.u  Goslar  hat  ebenfalls  fnlchc  tragende 
Figuren,  die  aber  mit  einem  Reine  knieen.  Erklärlich  ift,  dafs  folchc  Vorbilder  auf  die  Tauf- 
keffel  übergingen  und  dabei  nur  ein  Perfonenwechfel  ftattland. 


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68 


DIE  STADT  HAt.t.E  u.  cl.  SAAMCKEIS. 


F>K-  40. 


Taufkrffel  der  M.irklkiulie. 


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r>IK  KIKCHK  ZU  U.  L.  FKAURN  6q 


Band,  auf  welchem  fehr  deutlich  folgende  Minuskelfchrift  in  erhabenen  Buch- 
flaben  lieht: 

m«  . km  . k . uu  . xxt  . prr  . rar  . luünlfus  . ua  . iirnsnik  . unör  . sin  . 
fsnr  . kirik  . $r  . glult  . to  . magrbrbard). 1 * * 4 

Die  Striche  tür  I liehen  oft  aul  dem  Rundlfabe,  welcher  das  Infchriftsband 
oben  abfchliefst.  Das  prr  mt  fcheint  mir  weiter  nichts  zu  fein,  als  eine 
Wichtigthuerei  des  Handwerksmeilters;  ein  bischen  Latein  ziert  doch  den 
ganzen  Menfchen,  mochte  er  wohl  denken,  verlland  er  gleich  wenig  davon, 
wie  die  Autfchrift  ja  ebenfalls  beweill.8  Ueber  dem  Schriftbande  flehen  auf 
Confolen  kleinere  Relieffiguren  ohne  Nimbus,  jede  in  einem  Bogenfelde  der 
ringsumlaufenden  Blendarkade;  es  find:  Chrillus  mit  fegnender  Rechten  und 
mit  dem  Kreuzpanier  in  der  Linken,  Petrus  hält  den  Schlüllel,  in  der  linken 
Hand  ein  Buch,  es  folgt  Paulus  mit  Schwert  und  Buch,  dann  mit  Pilger- 
Hab  und  Mufchel  Jacobus  der  Aeltere,  Andreas  ift  kenntlich  an  dem  fchrägen 
Kreuze,  auch  er  hält  noch  ein  Buch,  ein  folches  hält  auch  Judas  Thaddäus, 
der  an  der  Keule  erkennbar  ift.  Jacobus  der  Jüngere  ill  bartlos  und  hat 
aufser  einem  Buche  den  geigenbogenähnlichen  Walkerbaum.  Ein  Beil  hält 
Matthias,  Simon  ohne  Bart  ein  Schwert,  Matthäus  hat  eine  Axt  (Hellebarde  ?) 
und  ein  Buch,  ein  folches  und  ein  Doppelkreuz  hält  Philippus.  Bartholomäus 
hat  ein  Meder,  Johannes  ifl  an  dem  Kelche  in  feiner  Linken  zu  erkennen, 
auf  den  er  die  Finger  der  Rechten  legt.  Endlich  mit  der  F'igur  der  Maria, 
welche  ihre  Rechte  auf  die  Brüll  legt  und  die  flache  Linke  erhebt,  fchliefst 
die  Reihe  wieder  an  die  F'igur  Chrilli  an.  Als  Abfchlufs  baucht  lieh 
der  obere  Kedelrand  kymationartig  aus  und  hat  hier  eine  Anzahl 
angegofsener  Oefen , durch  die  lieh  rings  um  den  Rand  ein  freier, 
runder  Reit  zieht.  Der  Zweck  ill,  bei  Taufen  hier  das  Handtuch  authängen 
zu  können,  in  der  That  eine  fehr  verfländige  und  decorativ  gut  verwerth- 
bare  Anordnung. 

Der  TautkelTel  war  anfangs  wohl  auch  fo  reich  vergoldet  wie  der 
in  der  Ulrichskirche:  Spuren  haben  lieh  erhalten;  fpäter  ill  er  mit  Oelfarbe 
angellrichen  gewefen,  underll  vor  einigen  Jahren  hat  der  Kirchendiener  ihn 
mit  Säuren  davon  befreien  müden  unter  Zuhilfenahme  von  fcharfen  In- 
llrumenten;  was  dabei  von  der  charakterillifchen  alten  Form  geblieben  ill, 

1 Stellen  wir  zufammen , was  lieh  auch  fonft  noch  von  diefem  Induftriczwcige  und  feinen 

Vertretern  vorlindet:  Heft  5,  Fig.  60  weift  einen  ähnlichen  Taufkeffel  muthmafslich  aus  dein 
Anfänge  des  15.  Jahrhunderts  in  der  Jacobskirchc  zu  Sangerhaufcn  nach,  ohne  Angabe  des 
Verfertigers.  Fig.  72  desfelbcn  Jlcftcs  ftellt  wiederum  einen  folchen  Keffel  dar  aus  der 
LTrichskirche  dafeibft.  Er  ift  infchriftlich  1369  von  zwei  braunfchweigifchen  (?)  Meiftern  gemacht. 

1421  Taufkeffel  in  der  Katharinenkirche  von  Ludolf  von  Braunfchweig  (vergl.  Otte’s  Kunft- 
arcliäologie  und  Adler’*  Hack  Hein  bauten  der  Mark  Brandenburg),  1434  Taufkeffel  in  der  Petri» 
kirche  zu  Berlin  von  Hinrik  to  Magdeborg  (jetzt  nicht  mehr  vorhanden).  (Nicolai:  Nachrichten 
von  Berliner  Kiinftlern  1786).  ln  Braunfchweig  hat  fornit  von  Alters  her  diefe  Technik  geblüht, 
ihre  Meifter  zogen  umher  und  wurden  auch  wohl,  wie  Hinrik,  Ludolf’*  Sohn,  zu  Magedeborch, 
in  anderen  Städten  fcfshafl. 

4 Vergl,  auch  H.  Hcydemann  im  Beiblatt  der  Zeitfeh.  f.  bild.  Kunft,  18.  Jahrg,  No.  2. 


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70 


DIE  STADT  HALLE  u.  <1.  SAALKKEIS. 


Gemälde ; 
Vertreibung  der 
Wechsler  aus 
dem  Tempel. 


man  dahingellellt  fein;  indelTen  ift  auch  die  Arbeit  Mbit  nicht  von  befonderer 
Schönheit.  Die  Figuren,  fowohl  die  gröfseren  freillehenden  unten,  als  auch 
die  kleineren  gleichfatn  halbirten  um  den  KefTel  herum,  lind  für  lieh  einzeln 
gegofTen  worden  und  darauf  dem  Keflel  angelöthet.  Dem  Relief  ift  diefe 
1 lerftellung  nicht  günllig,  auch  nicht,  dafs  die  Perfonen,  als  ftänden  lie  frei 
in  einer  Xifche,  ihre  Bewegungen  nach  vorn  und  rückwärts  machen  und 
damit  aus  der  Fläche  herausfallen.  Das  Figürliche  lelbft  wird  faft  überein- 
ftimmend  bei  den  Autoren  als  handwerksmäfsig  und  roh  bezeichnet.  Das  kann 
nicht  wohl  zugegeben  werden . weil  dadurch  eine  flache  Aufladung  der 
Charaktere  und  ein  matter  Ausdruck  der  Pofen  unterftellt  würde.  Mit  Rück- 
licht aut  den  Maafsftab  und  das  Material  kann  von  beiden  Eigenfchaften 
nicht  die  Rede  fein.  Ich  meine,  die  Ausführung  fei  flott  fkizzenhaft  zu 
nennen  und  zeuge  entfehieden  von  Gefchick.  Beifpielsweife  lind  die 
Gelichter  nicht  ohne  Individualilirung,  ja,  fo  weit  es  das  Material  zuläfst, 
ott  von  feiner  Nüancirung  der  Charaktere  (z.  B.  Petrus).  Die  ftililiifchen 
Eigenheiten  der  Zeit  und  des  Broncematerials  kommen  l'charl  zum  Aus- 
druck. Meifter  Ludolf  hat  wahrfchejnlich  diefe  F'igürchen  lieh  von 
einem  tähigen  Modelleur  billig  — daher  das  Skizzenhafte  — modellircn 
kiffen,  lie  dann  handwerksmäfsig  durch  Abgiefsen  vermehrt,  und  an  vielen 
feiner  KefTel  wiederholt. 

Von  den  Tafelbildern,  welche  die  Kirche  belitzt,  ift  das  ältefte  jenes 
an  der  Wand  im  Ollen  des  nördlichen  Seiten fchiffes.  Es  ift  in  Oel  auf 
Leinwand  gemalt  und  Hellt  dar,  wie  Chriftus  die  Krämer  und  Wechsler  aus 
dem  Tempel  vertreibt.1  Er  kommt  in  ein  einfaches,  langes,  braunes  Ge- 
wand gekleidet  von  links  her  und  hält  in  der  erhobenen  Hand  eine  Knute 
aus  Stricken.  In  gar  auffällig  bunte  Gewänder  mit  hebräifch  befchriebenen 
Bordüren  ftnd  die  Verkäufer  gekleidet,  unwillig  und  beforgt  raffen  lie  ihre 
llabfeligkeiten  zufammen,  um  nach  rechts  hin  fortzueilen.  Der  Maler  hat 
die  Verwirrung  unter  ihnen  lebhaft  darzullellen  gewufst,  in  jeder  Miene 
fpricht  lieh  aus,  nur  an  dem  klingenden  Gelde  und  der  baarenWaare  hänge 
ihr  ganzes  Herz.  Es  verleugnen  die  Gelichter  nicht,  dafs  wir  hier  den 
Pöbel,  und  zwar  den  jüdifchen  Pöbel2  gegen  1500  vor  uns  haben;  dazu 
bietet  dann  der  Kopf  Chrilli  mit  feinem  ruhig  emlien  und  idealen,  doch 
wenig  anziehenden  Ausdrucke  den  wirkfamllen  Gegenlatz.  Die  Scene  fpielt 
fielt  in  einem  als  gothilche  Kirche  dargellellten  Tempel  mit  ganz  goldenen 
Wänden  ab.  Links  unten  nimmt  die  Ecke  des  Bildes  eine  fchwarze  Talei 
ein,  auf  der  in  weifsen  Minuskeln  lieht : 


1 Sicht  das  Bild  vielleicht  im  Zufammcnhang  mit  der  Nie.  Schildberg'fchcn  Stiftung; 
von  Dreyhaupt  I.  1034? 

- Ich  kann  nicht  umhin  bei  diefer  Charaklcrilirung  des  Judcnpobcls  an  jenes  Bild  von 
Charles  Verlat  ,,nous  voulons  Barabas ••  in  der  Abtheilung  Relgitjuc  auf  der  Parifcr  Weltauv 
ftellung  1878  zu  erinnern.  An  Werth  zwar  ftcht  das  moderne  Bild  ungleich  höher,  cs  war  dem 
Kindruckc  nach,  den  es  auf  alle  Bcfucher  machte,  das  bedeutendfte  der  Ausftellung;  indeffen 
gleicht  der  Ausdruck  der  Judcnphyliognomien  in  beiden  Bildern  lieh  völlig.  Ein  Vergleich  der 
Charakterifirungsart  der  beiden  Künftlcr  ift  zu  inftructiv  für  das  Verftändnils  ihrer  Zeiten,  alt» 
dafs  dcrfelbc  nicht  empfohlen  werden  follte. 


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IHK  KIRCHE  ZU  U.  L.  FRAUEN. 


7» 


SJfin  ifitvs  ist  ein  JfrlljHvs  IR!J8. 

Der  Stil  des  Hildes  il't  noch  rein  gothifch;  die  Farben  lind  etwas 
hart,  wenig'  gebrochen  und  lebhaft : die  K örpertheile  lind  unter  den  grofsen 
Gewandfalten  kaum  angedeutet;  von  Knitterfalten  ill  noch  keine  Spur 
bemerklich:  die  Haltung  und  Bewegung  der  Figuren  ill  lleif  und  eckig,  auch 
ihre  Froportionirung  — kurze  Arme,  lange  Hände  u.  f.  w.  - mittelalterlich. 

Dabei  aber  macht  lieh  fchon  ein  gewifser  Realismus  bemerklich.  indem 
die  Charaktere  der  Perfonen  trotz  aller  Stilbefangenheit  durch  die  Bewegungen 
und  vornehmlich  durch  den  Gefichtsausdruck  fehr  wohl  gezeichnet  lind. 

Der  Künfller  hat  lieh  nicht  genannt;  ich  vermuthe.  dafs  es  ein  alter,  ein- 
heimifcher  war,  weil  er  von  der  RenailTancebewegung  noch  wenig  ahnt, 
während  bereits  nach  drei  Jahrzehnten  an  einer  Reihe  von  zufammengehörigen 
Bildern  für  die  Kirche  die  entwickelte  Kenaiffance  auftritt.  Fine  Uebergangs- 
llufe  fehlt.  Diefe  letzteren  Bilder  aber  gehörten  zu  dem  ehemaligen  Altäre. 

Fs  ill  der  Altar  überhaupt  noch  nicht  erwähnt  worden,  weil  der 
jetzige  vom  Jahre  1841  ill.  ein  Werk1  Schinkels,  mit  einem  Bilde  von  Hübner. 

Der  frühere  Altar  llammte  aus  der  alten  Marienkirche  und  zwar  war  es  ein 
Wandelaltar  mit  Holzfchnitzerei.  Wie  feine  Architektur  ausgefehen  haben  t>,c  B,ld?r  d*. 
mag.  läfst  lieh  nicht  mehr  fagen,  weil  lieh  von  ihr  nichts  erhalten  hat.  Das  Aluro. 

gefammte  Holzwerk  fei  wurmllichig  und  zum  zerbrechen  mürbe  gewefen, 
wird  gefagt.  Die  Bilder  jedoch  lind  noch  alle  vorhanden  und  von  unfehätz- 
barem  Werthe.  Sie  hängen  aufser  der  Predella,  die  an  der  Ollwand  des 
füdlichen  Seitenfchiffes  Flat/,  gefunden  hat,  zu  zwei  Gruppen  vereint  — jede 
bildet  jetzt  einen  Schrein  in  dem  jetzigen  Taufraume  unter  den  blauen 
l'hürmen.  Aus  den  Hintergründen  der  einzelnen  Bildtafeln  und  anderen 
Merkmalen  läfst  lieh  die  vormalige  Anordnung  reconllruiren,  wie  folgt: 

Di&politinn. 


Darnach  find  vier  Flügel  doppelleitig  bemalt  und  beweglich,  das  grofse 
Mittelbild,  die  Predella  und  zwei  andere  Flügel  liehen  teil  und  brauchen 
alfo  nur  auf  einer  Seite  bemalt  zu  fein.-’ 


* Uncniuicklichfte  SpiHg'illlik. 

2 Es  ift  nicht  ausgcfchloffcu . dafs  Urfula  und  Erasmus  die  Kückfeite  des  Schreines  bei. 
des  grofsen  Mittclbildcs  gebildet  haben. 


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DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKKEIS. 


72 

Ganz  gelchlofsen  zeigt  der  Schrein  folgende  Bilder  — die  Predella 
ill  Händig  zu  fehen  — : 


Oeffnen  wir  die  beiden  mittleren  Flügel,  fo  ergiebt  lieh  folgende 
Wandlung: 


Wir  öffnen  wiederum  das  mittlere  Flügelpaar  und  erhalten  die  letzte 
Verwandlung: 


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DIE  KIRCHE  ZU  U.  U FRAUEN. 


•J 


Die  Flügel  find  im  Lichten  2,71  " hoch  und  1,01  ■ breit;  das  Mittelbild  M"rsf- 
und  die  Predella  find  2,22“  breit  und  letztere  hat  eine  Höhe  von  0,88“, 
erlteres  die  der  Flügel.  Da  jede  Seite  eines  eigentlichen  Flügels  nur  von 
einer  Figur  eingenommen  wird,  welche  überlebensgrofs  ilt,  fo  offenbart  (ich 
fchon  durch  die  Maafse  eine  Bedeutung,  die  über  das  Gewöhnliche  hinaus- 
geht. Dahinter  bleiben  denn  auch  die  Grofsartigkeit  der  AuffalTung  und  die 
Feinheit  der  technifchen  Ausführung  nicht  nur  nicht  zurück,  fondernfie  erheben 
lieh  vielmehr  zu  der  Höhe  jener  ewig  mutterhaften  Werke,  die  nur  das 
Genie  eines  befonders  ausgezeichneten  Künltlers  hervorbringen  kann.  Und 
fo  wollen  wir  die  Bilder  einzeln  einer  genauen  Befprechung  unterziehen. 

Wir  beginnen  mit  der.  Predella.  (Fig.  41).  Sie  ilt  bei  allen  Wand-  Predella, 
lungen  der  F'lügel  gleicherweife  zu  fehen  und  (Feilt  die  Maria  mit  dem 
Kinde  dar,  um  welche  die  vierzehn  Nothhelfer  verfammelt  lind. 

Diefe  Figuren  haben  nur  halbe  Geflalt  und  find  in  einem  bedeutend 
kleineren  Maafsltabe  gehalten,  als  die  auf  den  Flügeln;  fie  find  etwa 
halb  fo  grofs.  Von  Interelfe  ilt  es,  zuvor  auf  die  gefchickte  Com- 
pofition  des  Bildes  einen  Blick  zu  werfen ; denn  es  findet  eine  wohl 
durchdachte,  geradezu  raffinirte  Anordnung  in  Hinficht  auf  die  Abwägung 
und  Vertheilung  der  Muffen  llatt,  obgleich  dem  Befchauer  (der  das 
Metier  nicht  kennt)  folche  Berechnung  gar  nicht  auffällt:  die  Bild- 
mitte nimmt  natürlich  Maria  mit  dem  Kinde  ein.  Um  fie  herum  find  vier 
F rauen  gelteilt,  und  zwar  fo,  dafs  jederfeits  zwei  lieh  befinden,  von  denen 
die  eine  im  Vordergründe,  die  andere  im  Hintergründe  lieht  und  zwifchen 
beiden  jederfeits  der  Kopf  eines  Heiligen  fichtbar  ilt.  Es  folgen  dann  jeder- 
feits wieder  zwei  Heilige  in  perfpectivifcher  Anordnung,  die  eine  Gruppe 
bilden,  während  dann  zwei  andere  ebenfo  geordnet  auf  beiden  Seiten  den 
Abfchlufs  geben.  Durch  die  Verfchiedenartigkeit  der  Figuren  in  Haltung 
und  Ausfehen  ilt  diefes  Schema  dem  Befchauer  nicht  bemerklich,  aber  fehr 
gut  fühlt  er  das  Wohlgeordnete  des  Ganzen,  ohne  lieh  vielleicht  den  Grund 
Tagen  zu  können.  Das  und  anderes  mehr,  z.  B.  das  Verhältnis  der  Länge 
zur  Breite  des  Bildes,  welches  Verhältnifs  lieh  im  vorliegenden  F.-lle  an- 
nähernd als  eine  Reduplication  des  goldenen  Schnittes  erweilt,  bedingt 
die  Wirkung  des  Kunltwerkes  wefentlich,  obwohl  felblt  der  Künltler  (ich 
feiten  darüber  Rechenfchaft  zu  geben  vermag  oder  doch  giebt,  warum  er 
feine  Anordnung  gerade  fo  und  nicht  anders  getroffen  hat. 

Die  Hauptperfon,  Maria,  hält  in  der  Linken  das  Scepter  auf  der 
Rechten  das  Kind,  welches  nach  links  gewandt  eine  Beere  von  der  Traube 
pflückt,  die  ihm  die  h.  Katharina  darbietet.  Maria  ilt  in  ein  ideales  tantikes) 

Coltüm  gekleidet,  fie  trägt  ein  tunicaartiges  Unterkleid  und  einen  Mantel 
darüber.  Die  anderen  vier  F'rauen  haben  das  Modecoltüm  des  Tages,  die 
Männer  das  ihres  Amtes  bez.  Standes. 

Die  Reihenfolge  der  Heiligen  ilt  nun  von  links  her:  1.  Der  Diacon 
Cyriacus  mit  einem  Drachen  an  der  Kette  und  einem  Buche  in  der  Linken. 

2.  Der  Bifchof  Blalius  mit  einer  Kerze.  3.  Für  Eultachius  ilt  der  h.  Hubertus 
in  weltlicher  Kleidung  und  kenntlich  an  den  zwei  Pfeilen,  die  er  hält, 
gemalt,  4.  der  Arzt  Pantaleon,  dem  die  Hände  auf  den  Kopf  genagelt  find, 


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DIE  STADT  HALLE  U.  <i.  SAAI.KRKIS. 


Cyriacus. 

Blau  uv. 

Hubertus. 

Pantaleon. 

Katharina. 

Acgidiuv. 

Dorothea. 

Chriftkind. 

Maria. 

Barbara. 

Dionyfiuv. 

Margaretha. 

Achatius. 

Vitus. 

( hriftophoruv. 
Erasmus. 


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Dispofition  der  Figuren  an  der  Predella  des  vormaligen  Altarfchreine». 


DIE  KIRCHK  ZU  U.  L.  FRAUEN.  75 

5.  Katharina,  gellützt  auf  das  zerbrochene  MefTerrad,  6.  ein  Heiliger  mit 
einem  Baume,  wahrscheinlich  ilt  es  der  Einfiedler  Aegidius,  Dorothea 
mit  Rofen  in  einem  Korbe;  — nun  folgt  die  Jungfrau  mit  dem  Kinde," 
dann  — 8.  Barbara,  welche  einen  Kelch  mit  Ilofiie  hält,  i).  der  Bifchof 
Dionyfius  Areopagites  (?),  man  lieht  nur  ein  Stück  feines  Geflehtes  und 
feine  geldliche  Kopfbedeckung,  io.  Margaretha  mit  einem  gefelTclten 
Drachen  und  einem  Kreuz;  ti.  Achatius  (>),  da  er  kein  Attribut  hat  und  in 
Diaconentracht  (?)  id,  mag  es  Aegidius  fein,  und  der  als  Aegidius  bezeichnete 
Heilige  Achatius,  u.  Vitus  mit  einem  Buche,  auf  dem  ein  Hahn  lieht,  in  der 
Rechten  und  mit  einem  Zweige  in  der  Linken,  13.  Chriltophorus,  das  Chrill- 
kind  auf  der  rechten  Schulter  tragend,  und  mit  einem  Baumdamm  in  der 
linken  Hand,  14.  der  Bifchof  Erasmus,  der  eine  Winde  mit  feinen  Därmen 
hält.  Unter  den  vierzehn  Xothhelfern  fehlt  äll'o  der  Ritter  Georg',  der  durch 
Dorothea  bez.  Elifabeth  erfetzt  ill,  welche  fond  nicht  zu  den  Nothhelfern 
gezählt  wird.  Es  ill  möglich,  dafs  auch  die  als  Aegidius,  Dionyfius  und 
Achatius  angegebenen  Heiligen  durch  andere  erfetzt  find,  weil  ihnen  folche 
Attribute,  aus  welchen  fie  mit  Sicherheit  erkannt  werden  könnten,  fehlen. 
Alle  Heiligen  haben  einen  leichten,  runden  Nimbus;  in  dem  der  Maria  lieht: 
SANCTA  MARIA. 

Bei  gefchlofsenein  Zultande  des  Schreines  geben  die  beiden  mittlerenge- 
fonderten  Tafeln  ein  Bild,  die  Verkündigung  Mariae.  Die  Jungfrau 
kniet  nach  links  zu  an  einem  Pulte.  Ein  Buch  liegt  vor  ihr,  aus  dem  fie 
foeben  gelungen  hat,  denn  man  liell  darin  das  Wort  magnificat.  Sie  legt 
die  Hände  betend  zufammen  und  wendet  den  Kopf  ein  wenig  nach  rechts, 
weil  Gabriel  auf  der  andern  Tafel  ihr  von  dort  her  den  englifchen  Grufs 
bringt.  Ihres  dunkelblauen  Gewandes  lange  Schleppe  und  eine  gelbe  Decke 
reichen  in  vollen,  weichen  Falten  bis  in  die  andere  Tafel  hinein.  Das  hold- 
felige  Mädchenangelicht  umkränzen  goldblonde,  fanftlockige , lofe  Haare, 
üppig  fchwellend  lind  die  Lippen,  fie  machen  den  Mund  unbefchreiblich 
reizend  und  laden  nicht  mehr  den  heiligen  Ernli  zum  Ausdruck  kommen- 
wie  die  gleichen  Darllellungen  des  Mittelalters.  Ein  lächelnder  Zug  um  die 
Lippen  bezeugt  Verliändnifs  für  die  Situation.  Dennoch  giebt  die  hohe 
Stirn  keiner  leidenfchattlichen  Regung  Raum,  fie  erfüllt  mit  Würde  das 
kindliche,  mehr  naive  Antlitz  der  entwickelten  Jungfrau.  Der  Kopf  neigt 
fich  dem  Engel  etwas  zu,  doch  fenkt  fich  der  Blick  zur  Erde.  Auf  folche 
Weife  zeichnet  der  Maler  gar  treffend  das  Weib  in  ihr,  das  ohne  eigentlich 
hinzufehen,  doch  jede  Gelle  des  Engels  bemerkt.  Den  Befchauer  wird 
diefer  Blick  lange  felfeln,  man  deutet  ihn  fchwer,  weil  er  fo  vielfagend  ill. 
Diefes  Meillers  Vorllellung  von  der  göttlichen  Jungfrau  Maria  weicht 
wefentlich  ab  von  der  feiner  mittelalterlichen  Vorgänger;  fie  ill  durchaus 
realillifch;  fie  gleicht  vielleicht  nahezu  dem  wirklichen  Ausfehen  einer 
fchönen  Zeitgenoffin,  welcher  er  diefe  himmlifche  Rolle  zutheilt,  weil  fie  ihm 
Modell  gefeffen  hat,  mit  andern  Worten,  es  liegt  in  dem  Gelichte  etwas 
Portraithaftes  und  das  um  fo  mehr,  als  naturalillifche  Zufälligkeiten,  wie  das 
vor  den  Ohren  tief  auf  die  Wange  herabgehende,  zart  gemalte  Haar,  diefen 
Eindruck  nur  noch  verllärkeh.  Die  Kleidung  allein  ill  eine  ideale,  mehr 


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DIE  STADT  HALLE  u.  d,  SAALKREIS. 


antike,  mantelartige.  Ihr  Haupt  umgiebt  ein  leichter  Nimbus,  der  ausfieht, 
als  fei  er  von  einem  Goldfchmiede  gemacht;  er  belleht  aus  zwei  feinen  Gold- 
reifen, dazwifchen  Ifelit  SANCTA  MARIA,  leichte  Ornamente  füllen  den  übrig 
gebliebenen  Raum.  — Ein  folcher  Nimbus  mit  Namen  geht  auch  um  die 
Köpfe  der  andern  Heiligen.  — Von  rechts  her  kommt  der  heilige  Geil!  in 
Gellalt  der  Taube,  umhüllt  von  einem  gelben,  ovalen,  ziemlich  compacten 
Scheine,  herab  auf  die  Gebenedeite.  Den  Engel  Gabriel  Ilellt  die  zugehörige 
Tafel  in  fchreitender  Bewegung  dar.  Sein  dunkelrothes  Gewand,  die  Dal- 
matica,  ill  priellerlich  gefchlitzt  an  den  Armen;  das  weifse  Untergewand 
bildet  weite  Aermel.  Er  erhebt  die  Rechte  zum  Segen  und  feine  Linke 
hält  ein  weifses  Blatt,  darauf  lieht  fein  Grufs  alfo: 

AVE  GRACIA  PLENA  DOMINUS  TECUM. 

Die  Scene  geht  in  einem  bürgerlichen  (?)  Renaiflancezimmer  vor,  defTen 
Decoration  theilweife  den  Hintergrund  bildet ; man  fieht  prächtige  Draperien 
mit  runden  Zacken,  noch  fpätgothifch  profilirt  ill  ein  Tifch;  ganz  im  Stile 
der  Renaidance  dagegen  hält  fich  eine  Truhe  von  mehrfarbigem  Holze  und 
das  Betpult  der  Maria.  Oben  an  der  Truhe  nahe  am  Kleide  der  Maria 
lieht  deutlich  hell  auf  dem  dunklen  Holze  die  Jahreszahl  15^9.’ 

Diefen  beiden  Flügeln  des  Schreines  zur  Seite  befinden  fich  zwei  andere 
Flügel,  die  nureinfeitig  bemalt  find  und  alfo  fellflehend  gewefen  fein  müfTen. 
l.inks  ill  die  heilige  Urfula  gemalt,  kenntlich  an  einemPfeile,  den  fie  hält. 
Es  ill  eine  ziemlich  zierliche  Perfon,  ohne  bedeutenden  Gelichtsausdruck, 
gekleidet  nach  der  Mode  der  damaligen  Zeit  (Puffenärmel,  Schnürleib  u.  f.  w.). 
Die  Farbe  desKleides  ill  roth  (fall  zu  knallroth).  Ein  Perlennetz  umfangt 
ihr  Haar.  Im  Ganzen  trägt  fie  lieh  einfacher  als  die  beiden  andern  weib- 
lichen Heiligen  Magdalena  und  Katharina.  Königliche  Abzeichen  fehlen 
ihr.  Das  Gemälde  auf  der  andern  Seite  Ilellt  den  h.  Erasmus  dar;  er  ill  in 
vollem  Bi fchofsomate,  mit  prachtvollem  Mantel  angethan  und  hat  eine  Mitra 
in  reichller  Goldausllaffirung  auf  dem  Kopfe.  Er  hält  ein  offenes  Buch  und 
in  der  Linken  als  kennzeichnendes  Attribut  fein  Marterwerkzeug,  die  darm- 
umwundene Winde.  Den  Hintergrund  auf  diefer  und  der  vorgenannten  Tafel 
bildet  eine  F'lachbogenarkade;  man  fieht  davon  je  eine  Marmorfäule  mit 
broncenem  F'ufs  und  Capitäl  in  den  Formen  der  RenailTance.  Die  Bogen- 
zwickel füllt  ein  rundes  Medaillon  mit  Kopf  aus. 

ZweiterPfofpcci.  Oeffnet  man  die  beiden  Mittelflügel,  fo  verwandelt  fich  der  Profpect; 

wir  feiten  vier  Heiligenbilder.  Ganz  links  lieht  S.  Maria  Magdalena. 
Ein  weifses  Unterkleid  und  ein  dunkelrothes  darüber  bekleidet  fie.  Breite 
Goldränder  befetzen  den  Rock  unten,  die  Taille  ill  wiederum  gefchnürt  und 
die  Arme  Hecken  in  Puffenärmeln.  Das  Kleid  iH  nicht  ausgefchnitten, 
fondern  geht  bis  zum  Hälfe  hinauf,  dem  eine  breite  Goldkette  mit  Gehänge 
eng  anliegt,  während  noch  ein  zweites  weiteres  Collier  lofe  um  Hals  und 
Brüll  hängt.  Ihr  Haar  ill  lang,  fie  trägt  es  in  einem  Perlennetze  und  zwar 

1 Manche  Aulorcn  geben  1528  an;  ilas  ift  falfcli. 


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MF  klkCIIK  ZI'  ('.  !..  FKAI'KN. 


77 


nach  der  Tagesmode  an  den  Seiten  des  Kopfes  volutenartig’  aufgerollt. 
Ein  feiner,  kaum  fehbarer  Schleier  bedeckt  die  Stirn  bis  dicht  über  die 
Augen.  Herrlich  und  kunltreich  geziert,  ein  Mufterftück  kunllgewerblicher 
Art  (befonders  für  unfere  Zeit  mulfergiltig !),  ift  das  elfenbeinerne,  gold- 
befchlagene  und  bemalte  Salbbüchschen,  welches  fie  hält.  Im  Gegenfatze 
zu*  der  h.  Urfula  ift  Ile  eine  kräftige  Figur  mit  individuellem  Gelichtsausdruck 
undhaternfte,  angenehme  Züge.  In  der  nach ften  Tafel  lieht  Joh  an  nes.  der 
Evangelill.  Er  ift  baarfufs;  übereinem  dunkelen,  braunen  Unterkleide  trägt 
er  einen  rothen  Mantel,  I.oekenhaar  blond  und  ftark  umgiebt  ihm  (len  Kopf 
Er  hält  einen  Kelch,  aus  dem  zwei  Schlangen  lieh  winden,  und  auf  den  er 
feine  Rechte  legnend  legt.  Bartlos  und  blafs  ift  das  Gefleht,  das  Porträt- 
hafte darin  fällt  auf  Es  ift  ein  ruhiges,  deutfehes  Gefleht,  das  einen  durchaus 
klericalen  Stempel  trägt.  Im  folgenden  Bilde  lieht  man  den  h.  Auguftinus; 
als  Bifchof  trägt  er  ein  langes,  weifses  Untergewand,  darüber  eine  rothe 
Dalmatica  bis  unter  die  Knie  und  dann  einen  fahlgelben,  gemufterten  Mantel 
mit  vielfachem  Goldbefatze.  Goldgeziert  ift  auch  die  Mitra  auf  feinem  Kopfe 
und  derKrummftab,  den  er  hält.  Kenntlich  ift  der  Heilige  durch  die  Beigabe 
eines  pfeildurchbohrten  1 lerzens,  welches  er  auf  einem  Buche  mit  fchön  befchla- 
genem  Einbande  in  feiner  Rechten  hat.  Er  ift  ein  älterer,  weifshaariger  Mann, 
deflen  Gefleht  dadurch,  dafs  er  die  Unterlippe  hochzieht,  einen  etwas  herben, 
fanatifch-energifchen  Ausdruck  bekommt,  als  fetze  er  wohl  durch,  was  er 
wolle.  Diefe;Reihe  fchliefst  mit  dem  Bilde  der  h.  Katharina  (im  Heiligen- 
fehein um  ihren  Kopf  liefet  man  Santa  Catherina).  Eine  mächtige  Figur 
in  prachtvollem,  rothen  Kleide  llützt  fie  fleh  auf  das  zerbrochene,  melferbefetzte 
Rad  und  hält  in  der  Linken  ein  Schwert.  Breiter  Goldkantenbefatz,  Schnür- 
leib,  Puffenärmel  kennzeichnen  ihre  Tracht  als  modern,  ebenfo  das  Gold- 
gefchmeide  um  Hals  und  Brüll  und  Leib.  Als  Prinzeffin  aus  Alexandria 
bekrönt  ihre  Stirn  ein  Diadem,  von  dem  Haupte  herab  fliefst  das  blonde, 
lofe  I.ockenhaar,  und  lang  geht  auch  auf  der  blühenden  Wange  gar  reizend 
eine  feine  Haarlocke  herab,  die  das  hübfche  Modell  zufällig  wird  gehabt 
haben.  Das  Gefleht  ift  zwar  weich,  allein  es  erhält  durch  das  Kinn,  welches 
mehr  eckig  als  rund  ift,  einen  energifchen  Ausdruck.  Der  Blick  ift  vielleicht 
etwas  fchielend. 

Den  Hintergrund  zu  diefen  vier  Bildern  giebt  wie  bei  den  beiden 
unbeweglichen  Tafeln  wiederum  eine  F'Iachbogenarkade  ab,  deren  Säulen 
fo  geordnet  find,  dafs  auf  jeder  Tafel  lieh  davon  eine  mit  einer  Bogenhältte 
befindet ; bei  den  beiden  mittleren  Flügeln  formirt  fleh  dann  ein  ganzer 
Flachbogen,  allerdings  durch  die  Hplzrahmen  durchfchnitten,  bei  den  feit- 
lichen  aber  bleibt  der  Bogen,  nach  aufsen  weifend,  halb  liehen.  Dunkele 
Draperie  fchliefst  die  Bogenöffnungen.  Diefe  gemalte  Architektur  bewegt 
fleh  bereits  im  entwickelten  Renaiffanceftile  echt  füddeutl'ch  derbenCharakters. 
Die  Fliefsen  des  Fufsbodens  bei  Johannes  und  Auguftinus,  die  Bordüren  und 
Mufterungen  der  Vorhänge,  die  goldglänzenden  Säulenkapitäle  und  die 
Medaillons  mit  Köpfen  in  den  Bogenzwickeln  bezeugen  eine  ftaunenswerthe, 
unerfchöpliiche  Phantafie  des  Künltlers  in  der  Erfindung  fchön  gezeichneter 
Details.  Denn  fie  find  gleicherweife,  wie  die  Colliers,  Berloques,  Spangen, 


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Letzter  Profpeet. 


78  DIF.  STADT  HALLE  u.  <b  SAALKRK1S. 


Ringe  u.  f.  w.  alle  verfchieden  und  Mullerllücke  der  Goldfchmiedekunll  find, 
alle  verfchieden  geformt  und  als  nachahmenswerlh  je  in  ihrem  Stoffe  zu 
bezeichnen.  Vereinigte  lieh  doch  in  den  grofsen  Meillerti  jener  Epoche 
gar  oft  mit  Leichtigkeit  das  Verftändnifs  für  alle  diefe  Einzeltechniken  der 
Baukunfi  und  des  Kunllgewerbes,  und  fo  wurden  ihre  Bilder  erwiefener- 
maafsen  zur  unverfiegbaren  Fundgrube  für  die  gleichzeitigen  Kunllhandwerker 
und  fo  find  fie  es  heute  wieder  geworden,  wo  aufs  Neue  die  Denkweife 
jener  Zeit  gefällt. 

Oeffnet  man  wiederum  die  mittleren  Flügel,  fo  verwandelt  fich  der 
Profpeet  zum  letzten  Male,  und  es  erfcheinen  drei  Bilder,  nämlich  je 
eines  auf  der  Kehrfeite  der  geöffneten  Flügel,  und  ein  mittleres,  von  der 
Gröfse  diefer  beiden  Flügel,  die  es  bedeckten.  Links  lieht  der  h.  Moritz, 
ein  jugendlicher,  nicht  häfslicher  Mohr  ohne  Bart.  Er  ill  als  Ritter  angethan 
mit  kollbarer,  glänzender,  perlenbefetzter  Rültung;  feinen  Kopf  bedeckt  ein 
breiter  Hut,  ringsum  befetzt  mit  weifsen,  gold-  und  perlenbefetzten  Federn. 
In  der  Hand  hält  er  die  F'ahne,  die  von  gelber  Seidp  ill  und  einen  fchwarzen 
Adler  zeigt.  Es  fällt  die  Schwert fcheide  befonders  auf,  weil  fie  ganz  mit 
erhaltener  Goldarbeit  verziert  ill.  Den  Hintergrund  bildet  eine  Landfchaft. 
Dafs  diefem  Heiligen  der  Nimbus  fohlt,  ill  wohl  durch  den  grofsen  Hut  ver- 
anlagt worden.  An  der  anderen  Seite  des  Mittelbildes  ill  ebenfalls  ein  Ritter 
in  voller,  doch  nicht  so  flrahlender  Rüllung,  nämlich  der  h.  Alexander 
dargellellt,  ein  bärtiger  Mann  mit  kriegerifchetn  Geficht.  Auch  er  hat  eine 
Fahne,  und  zu  feinen  F'üfsen  niedergetreten  liegt  der  gekrönte  Kaifer.  der 
noch  das  Scepter  (ihm  hin-?)  hält.  Diefe  Darftellung  ill  wohl  eine  Hyperbel 
der  Legende,  nach  welcher  Alexander  nur  in  Gegenwart  des  Kaifers  einen 
heidnifchen  Opferaltar  umfiiefs.  Den  Hintergrund  bildet  auch  hier  eine 
Landfchaft.  Man  gewahrt  in  der  Ferne  eine  hochliegende  Burg,  deren 
Partien  bis  ins  Einzelne  klar  zu  erkennen  find , wohl  möglich . dafs  wir  die 
bildliche  Wiedergabe  eines  derartigen,  thatlachlich  damals  vorhandenen 
Baues  vor  uns  haben.  Diefe  beiden  letztbefchriebenen  Bilder  find,  weil  fie 
lange  verdeckt  gewefen  find,  belfer  erhalten  als  alle  übrigen. 

So  kommen  wir  zu  dem  mittleren,  grofsen  Hauptbilde,  es  ill  zugleich 
das  werthvollfte.  Den  obern  Theil  des  Bildes  nimmt  mitten  die  thronende 
Himmelskönigin  ein;  ihre  E'üfse  ruhen  in  der  Mond  liehet,  leicht  hält  fie  auf 
dem  Schoofse  das  Itehende  C h ri  (1  k i n d ; es  beugt  fich  nieder,  um  dem  Cardinal 
Albrecht,  der  links  unten  auf  der  Erde  kniet,  ein  Büchlein  zu  reichen. 
So  die  allgemeine  Anordnung.  Die  reine  Gottesmagd  trägt  ein  dunkel 
mattblaues  Kleid  und  ein  rothes  Untergewand  mit  gelbem  Futter.  Auf 
dem  Haupte  fitzt  ihr  die  goldene  Krone;  fie  neigt  es  voll  Hoheit  gegen  den 
Cardinal;  langes,  lofes,  blondes  Haar  fällt  über  Schultern  und  Rücken  herab. 
Ihr  Geficht  ill  von  lieblichller  Bildung,  fehr  ebenmäfsig,  aber  keineswegs 
ausdruckslos  oder  von  jener  kalten,  objectiven  Schönheit  antiker  Kopie; 
nein,  namentlich  ill  es  wieder  der  Mund,  der  voller  Liebreiz  die  llreng  edlen 
Züge  uns  menfchlich  näher  bringt  und  ferner  der  geiftige  Ausdruck  des 
Gefichts,  den  man  verlieht.  Diefer  Ausdruck  ill  nicht  mehr  mädchenhaft, 
fondern  mütterlich,  bcforglich.  Das  Kind  auf  ihrem  Schoolse  ill  ganz  unbekleidet, 


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mr  KIRCHE  XV  V.  I,.  FRAUEN'. 


79 


feines  Körpers  Formen  find  zart  und  fehr  fein  proportionirt.  Aus  dem 
Geflehte  leuchtet  Freude  und  Klugheit  hervor.  Der  Cardinal  kniet  auf 
einem  Kiffen,  betend  legt  er  die  Hände  zufammen  und  blickt  ernft , fall  zu 
emll,  zu  der  reinen  Gottesmutter  empor.  Sein  rother  Cardinalsmantel  bildet, 
indem  er  rings  um  ihn  die  Erde  deckt,  viele  Falten.  Statt  feines  breiten 
Hutes,  der  neben  ihm  auf  dem  Boden  liegt,  hat  er  eine  rothe  Mütze  auf 
dem  Kopfe.  Sein  Geficht  zeigt  ganz  den  Typus  eines  Prälaten  voll 
unerfchütterlichen  facerdotalen  F.rn  fies  und  felbllverftändlicher  Würde. 
Individuelle  Eigenthümlichkeiten  tragen  dazu  nicht  wenig  bei,  fo  eine  lange, 
gebogene  und  Heifchige  Nafe,  eine  kurze  Oberlippe  und  eine  Harke 
vortretende  Unterlippe,  welche  letztere  den  geiltlicnen  Herrn  als  anfpruchs- 
vollen  Mann  erscheinen  läfst.  Energie  und  Kraft  fpricht  im  Uebrigen 
weniger  aus  dem  Gefichte,  als  die  Vorliebe  für  einen  behäbigen  Lebens- 
genufs.  Auf  Askese  oder  Fanatismus  deutet  in  dem  Gefichte  gar  nichts 
hin,  wohl  aber  auf  Geill.  Während  die  untere  linke  Ecke  von  dem  Cardinal 
eingenommen  wird,  fchaut  man  unten  rechts  in  eine  weite  I.andfchaft  hinaus 
über  Wiefen,  Berge,  Hütten  und  Ruinen.  Darüber  entlieht  durch  ganz 
fchablonenhaft  behandelte  Wolken,  die  in  ihren  stark  verblafsten  blau-grau- 
weifsen  Farben  jetzt  befonders  mifsfallen,  ein  mandorlenartiger  Kranz  um 
die  Maria,  und  diefen  füllt  als  Hintergrund  für  die  Jungfrau  fchimmerndes 
Gold  aus.  Durch  die  Wolken  blic  ken  rings  viele  F’ngelsköpfchen  hervor 
je  zwei  Erzengel  nehmen  die  beiden  oberen  F.cken  ein,  fie  find  in  ganzer 
Figur  aber  in  kleinerem  Maafsllabe  als  die  Hauptfiguren  dargeltellt  und 
tragen  wie  immer  Diaconentracht.  Der  eine  von  ihnen  (Gabriel)  legt  die 
Hände  zufammen.  der  andere  (Michael?)  kreuzt  die  Arme,  der  dritte  (Raphael) 
hält  die  Hände  gefalten  und  der  letzte  (Uriel)  erhebt  die  offenen  Arme  zu 
Gottes  Preis.  Dafs  die  ganze  Anordnung  des  Bildes  auf  Effect  berechnet 
ifl,  kann  man  leicht  erkennen.  Wirkungsvoll  wird  namentlich  im  Gegen- 
fatze  zu  den  mittelalterlichen  Bildern  die  weife  Befchränkung  des  Meillers 
in  dem  Gebrauche  des  Goldgrundes.  Ihn  verwendet  er  lediglich  für  die  aur- 
gezeichnetlle  Partie,  um  den  durch  die  Wolken  hindurch  fichtbaren  Himmels 
glanz  nel>en  und  hinter  der  Königin  des  Himmels  in  Gegenfatz  zu  allen 
irililchen  Dingen  zu  fetzen,  deren  Stofflichkeit  durch  die  Farben  gekenn- 
zeichnet wird. 

Es  fei  noch  darauf  hingewiefen,  dafs  auf  diefem  Bilde  keine  Figur 
einen  Nimbus  hat. 

Der  Befchreibung  Tollen  nun  noch  folgende  allgemeine  Bemer- 
kungen über  das  ganze  Kunllwerk  zugefugt  werden: 

Der  Stil  ifl  grofsartig,  jede  F'igur  ill  bedeutend  und  der  Eindruck,  Der  Stil, 
den  man  empfängt,  erinnert  mehr  an  einen  Künlller  im  Geilte  des  gewal- 
tigen Michel  Angelo  als  des  milden  Raphael ; indeffen  ill  die  Gelichtsbildung 
der  Frauen  trotz  aller  Klarheit,  der  Farben fchmelz  trotz  aller  F'arbencon- 
tralle  und  anderes  mehr  doch  zugleich  auch  von  unfäglicher  Lieblichkeit. 
Reminiscenzen  an  die  vorigen  Jahrhunderte  find  nirgend  mehr.  Die  Ent- 
wicklung zu  einer  natürlichen  Kunlt  hat  llattgelunden,  infofern  inan  als 
Gegenlätz  zu  letzterer  die  mittelalterliche  Kund  anfieht,  welche,  was  fie 


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So 


t)lK  STAI11  IIAI.tR  II.  it.  SAAl.KRRlS. 


malte,  nur  aus  Ideen,  nicht  aus  der  objectiven  Anfchauung  natürlicher  Dinge 
nahm.  Daher  ift  auf  unfern  Bildern  die  Haltung  und  Bewegung  der  Figuren 
ganz  wie  die  Natur  lie  bietet,  die  Zeichnung  ift  oorrect,  die  Färbung  dem 
Wefen  der  Dinge  entfprechend  und  nicht  mehr  durch  Goldglanz  derartig 
beherrfcht,  dafs  der  Totaleffect  ein  wunderbarer  wird,  welcher  unfere  Sinne 
gefangen  nimmt  und  unfere  Gedanken  aus  einer  natürlichen  in  eine  über- 
natürliche Sphäre  leitet.  Trotzdem  wirken  die  Bilder  um  nichts  weniger 
prächtig  durch  die  verftändige  Compofition  der  F'arben;  ja  die  F arbengebung 
ift  eine  wahrhaft  glänzende,  beftechliche;  fie  erinnert  da,  wo  die  Töne  nicht 
allzu  fehr  verblafst  find  (wie  es  leider  im  Hauptbilde  der  F'all  ift)  an  das 
Colorit  Makart'fcher  Gemälde.  Wirfinden  nämlich  wie  in  diefen  die  nämlichen 
verfchiedenartig  fchmutzig  gelben  Töne  zur  Hervorbringung  fchimmernder 
Pracht  an  Gewändern  (Mäntel,  Futter,  Befatz),  Möbeln  (Truhe,  Tifche). 
Architekturtheilen  (Fufsbodenplatten,  Säulen fchäfte,  Bafen  und  Capitäle) 
u.  f.  w.  mit  Vorliebe  verwendet  und  aufserdem  diefelbe  Tiefe  und  Kraft  der 
übrigen , kaum  gebrochenen  Farben,  namentlich  des  verfchiedenen  dunkeln 
Rothes  für  die  Zeuge.  Niemals  aber  find  die  F’arben  im  Geringften  unhar- 
monifch  oder  grell,  ein  Umftand,  der  fchwer  erreichbar  fcheint,  wenn  man 
an  die  vielen  rituell  gebotenen  Farbenzufammenftellungen  z.  B.  bei  der 
priefterlichen  Kleidung,  oder  auch  an  das  öfter  in  gröfseren  Partieen  vor- 
kommende Weifs  denkt.  Der  Meifter  kannte  fehr  genau  feine  Kunft  und 
die  Mittel  derfelben,  eine  beftimmte  Wirkung  zu  erzielen;  wir  haben  bereits 
auf  die  verftändige  Art  der  fparfamen  Verwendung  des  Goldes  als  Hinter- 
grund hingewiefen  und  wir  wollen  nur  noch  hinzufügen,  dafs  der  Maler 
neben  jenen  fchimmernden  gelben  Tönen  vielfach  dunkeles  Roth  in  gröfsern 
Partieen  und  verfchiedenen  Nüancen  wählt,  ohne  Frage,  weil  er  lieh  deffen 
Wirkung,  eine  feierliche  Stimmung  hervorzubringen,  wohl  bewufst  ge  wefen  ift; 
das  lichte  Rofenroth,  welches  heiter  ftimmt,  findet  fich  hingegen  nur  auf  den 
Wangen  und  Lippen  der  fchönen  Frauen.  In  Hinficht  auf  die  Zeichnung 
ift  zu  fagen,  dafs  fie,  als  von  der  Natur  direct  genommen,  gleichfam  copirt, 
jene  mittelalterliche  Mangelhaftigkeit  nicht  mehr  haben  kann:  nicht  die 
Phantafie  des  gläubigen  Gemüthes  führte  den  Stift,  fondern  die  aus  der 
objectiven  Betrachtung  erwachfene  Kenntnifs  der  ftofflichen  Formen,  vielleicht 
kann  man  fagen,  das  pofitive  Wiffen  leitete  ihn.  Dafs  unter  folchen  Um- 
Händen  das  Portrait,  alfo  die  bildliche  Reproduetion  des  Ausfehens  einer  Perfon. 
beliebt  ift,  verlieht  fich;  wir  fanden  fie  ja  in  den  Köpfen;  beachtenswerth 
ift  dazu  auch,  dafs  nach  mündlicher  Ueberlieferung  im  hallefchen  Volke  die 
Maria  des  Hauptbildes  des  Cardinais  Liebfte  darltelle  (ob  die  fchöne  Mainzer 
Bäckerstochter  Magdalena  Rüdinger  oder  eine  namentlich  nicht  be- 
kannte andere,  liefse  fich  durch  einen  Vergleich  mit  dem  Afchaffenburger. 
jetzt  Münchener  Bilde  ermitteln,  welches  der  Cardinal  Albrecht  von  dem- 
felben  Meifter  malen  liefs,  und  welches  ebenfalls  Portraits  enthält).  Nichts 
wäre  wahrfcheinlicher,  als  diefe  überlieferte  Annahme.  Bedenkt  man,  dafs 
der  Cardinal  an  fchönen  Frauen  nicht  Mangel  litt,  dafs  er  fich  deren  fogar 
aus  Italien  holen  liefs  und  dafs  er  ein  Mann  von  gar  fehr  höflich  ritter- 
lichem Betragen  gegen  die  Damen  feines  Hofes  bez.  feines  Herzens  war,  fo 


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IMF.  KIRCHE  ZU  Ü.  L.  FRAUEN. 


8l 


verlieht  man  eine  Courtoifie,  durch  welche  die  gefeierten  Schönheiten  auch 
unter  die  anbetungswürdigen  Heiligen  verfetzt  werden.  Und  die  göttliche 
Schönheit  auch  zur  fchönen  Göttlichkeit  zu  machen,  darin  kam  der  Belteller 
den  Abfichten  und  der  Neigung  des  Malers  diefer  Zeit  nur  entgegen. 

Diefem  war  ein  Modell  durchaus  genehm:  was  letzterem  fehlte,  konnte  oder 
mufste  er  bei  der  bildlichen  Wiedergabe  aus  eigenem  Geilte  zuthun  und  es 
vermeiden  die  etwaigen  fehlerhaften  Bildungen,  unzuläffig  auf  folchem  Ge- 
mälde, in  ihrer  wahren  Schärfe  anzudeuten.  Dafs  auf  folche  Weife  ein 
Gefleht  voll  Hoheit  und  Adel  im  Ausdruck,  andererfeits  auch  voller  Lebens- 
wahrheit entliehen  mufste,  begreift  lieh,  vorausgefetzt, . dafs  der  Maler  ein 
geborener  Meilter  feiner  Kunlt  war.  In  unferem  Falle  war  er  es  ohne  Frage; 
er  war  einer  der  wenigen,  die  das  Glück  begabt  hatte,  durch  Farben  und 
Formen  zu  den  Mitmenfchen  verltändlich,  überzeugend  und  erhebend  zu 
fprechen.  Der  Vergleich  zwifchen  feinem  Werke  und  den  Bildern  feiner 
Vorgänger  an  den  Altären  zu  S.  Ulrich  und  S,  Moritz  thut  das  hinlänglich 
dar.  Durch  ihn  gewinnen  wir  auch  fogleich  den  richtigen  Maafsltab  zur 
Beurtheilung  und  Würdigung  der  künlllerifchen  Leillung;  wir  wollen  aber 
nicht  näher  darauf  eingehen  in  Hinlicht  auf  das,  was  bei  Befprechung  jener 
Altäre  gefagt  werden  Coli.1 

Wer  war  diefer  grofse  Meilter?  Der  ältelte  Schriftlteller.  der  über  diele  Der  Meiner. 
Frage  etwas  mittheilt,  ilt  Zeilerus  in  feinem  itinerario  Germaniae,  wo  es  p.  144 
heifst,  dafs  der  Altar  fechs  Flügel  habe,  „daran  fchöne  Gemälde  liehen,  die 
I.ucas  Cranach,  der  berühmbte  Mahler  gemacht  hat.“  Natürlich  könnten  sie 
der  Jahreszahl  1529  nach  nur  von  dem  altern  herrühren.  Seine  Nachfolger 
berichten,  weil  einer  von  dem  andern  abgefchrieben  hat,  iibereinltimmend, 
die  Bilder  habe  I.ucas  Cranach  gemalt.  Zeiler  fchrieb  1632,  alfo  etwa  100 
Jahre  nach  der  Entftehung  des  Altares,  und  hat  wohl  nur,  was  man  ihm 
Tagte,  niedergefchrieben  ohne  eigene  Unterfuchung.  Werth  ilt  demnach 
feiner  Angabe  nicht  gerade  beizulegen  und  mithin  auch  der  von  Olearius, 
v.  Dreyhaupt  u.  f.  w.  nicht.  Es  fällt  auf,  dafs  fie  alle  1528  als  das  Ent- 
Itehungsjahr  angeben,  der  klare  Beweis  ihrer  Abfchreil>erei.  Was  von  den 
älteren  gilt,  ilt  leider  auch  von  den  neueren  Forfchern  zu  lagen,  lie  fchreiben 
ab.  Nachdem  Jofeph  Heller  in  feiner  Schrift:  „I.ucas  Cranach's  I.eben  und 
Werke“  S.  71  die  Arbeit  unter  den  Originalen  diefes  Meiltcrs  aufgeführt 
hat,  jedenfalls  auf  die  urtheilslofe  Behauptung  der  Alten  hin,  findet  Palfa- 
vant  im  Kunltblatt  1846  Nr.  48  nach  einer  fcheinbar  wenig  gründlichen*  Unter- 
fuchung,  dafs  aufser  Cranach  auch  Matthaeus  Grunewald  neblt  einem  feiner 
Schüler  daran  Theil  haben  und  zwar,  dafs  Grunewald  der  Hauptmeilter  ilt. 


1 Der  Hauptaltar  in  der  Kirche  zu  Bitterfcld  hat  auf  feinen  Flügeln  und  feiner  Predella 
Gemälde  von  ganz  ähnlichen  Eigenfchaften.  Leider  find  die  Flügel  noch  nicht  hinlänglich 
beweglich,  um  ein  gutes  Betrachten  und  ficheres  Urthcilcn  zu  ermöglichen,  doch  fteht  eine 
baldige,  würdige  Reftauration  des  Schreines  in  Auslicht. 

2 Deswegen  nämlich,  weil  er  fich  gar  nicht  die  Mühe  giebt  oder  daran  denkt,  auf- 
zufinden, wie  die  Tafeln  ehemals  zu  einander  gefeffen  haben  muffen;  ohne  Bedenken  nimmt  er 
die  Ordnung  fo  an,  wie  fie  lieh  jetzt  bietet,  wobei  dann  die  Abfonderlichkeit  der  Bemalung 
durch  drei  Leute  weniger  auffällt. 

B.  D.  d,  Bau*  u.  Kunstd.  N.  F.  I,  £ 


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DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALK.RE1S. 


Erfichtliche  Gründe  führt  er  indellen  nicht  an.  Rugier1  in  feiner  „Gefchichte 
der  Malerei"  Bd.  II  S.  2 n>  nimmt  diefes  neue  Ergebnifs  an;  er  befpricht 
die  Arbeitstheilung  nur  mit  ein  bischen  andern  Worten  auch  ohne  Gründe. 
Ein  Kenner,  delTen  Namen  wir  nicht  willen,  hat  bei  einer  Beurtheilung 
des  Heller’fchen  Buches  bereits  1826  in  der  Hallefchen  Literaturzeitung 
(Band  IV.  S.  3(10)  meines  Willens  als  der  erde  gefagt,  dafs  die  fraglichen 
Bilder  von  Cranach  nicht  wären,  freilich  bringt  er  für  feine  Behauptung 
keine  Gründe  vor.  Geftützt  aber  auf  folche  kommt  Chr.  Schuchardt  im 
II.  Theile  S.  72  feiner  Schrift  über  Cranach  zu  dem  nämlichen  Refultate. 
Er  führt  folgende  durchaus  plauflbele  und  von  Jedermann  controllirbare 
Gründe  auf:  „Der  Typus  lammtlicher  Kopie"  linde  lieh  in  keinem  Cranach- 
fchen  Bilde,  „die  Zeichnung  der  Augen,  der  dicke,  volle  Mund  bei  allen,  der 
beftimmtere  Earbenauttrag  in  den  Eleifchpartien,  mit  fcharf  begrenzten 
Lichtern,  die  praktifchere,  lichere,  aber  etwas  handwerksmäfsigere  Be- 
handlung“ das  alles  fei  bei  Cranach  anders;  „die  Zeichnung  der  Gewänder, 
die  Behandlung  der  llaare  mit  den  abftehenden  Locken  bei  den  weiblichen 
Köpfen,  der  Schnitt  der  Haare  bei  einigen  Engelsköpfen  der  Glorie,  Zeich- 
nung und  Farbe  der  Ornamente  unterfcheiden  fich  von  dergleichen  in 
Cranach’s  Bildern.“  Nirgends  fände  man  bei  Cranach  „Goldgrund  und 
runde,  gemalte  und  eingedruckte  Heiligenfcheine  wie  hier.“  So  fchliefst  er 
denn,  dafs  nach  allem,  was  er  von  Mathaeus  Grunewald  nach  der  Annahme 
anderer  kenne,  die  fragliche  Malerei  ganz  delfen  Werk  fei,  „das  er  (Grune- 
wald) mit  Gehülfen.  aber  nicht  mit  Cranach's  Beihülfe  ausgeführt“  habe, 
obgleich  es  einen  andern  Eindruck  mache  als  z.  B.  die  zwei  Bilder  von  ihm 
in  der  Münchener  Pinakothek,  die,  wie  Schuchardt  meint,  dem  Stile  nach 
älter  erfcheinen.  * Ich  kann  nicht  umhin  mit  folcher  Ausführlichkeit  über  die 
Altarbilder  zu  fprechen,  weil  fie  die  bedeutendften  Gemälde  alter  und  neuer 
Zeit  find,  die  es  in  Halle’s  Mauern  überhaupt  giebt,  und  weil  über  den 
Meifter  noch  nichts  gewifs  ift.  Die  eigene  Meinung  refumirt  fich  in  der 
Schuchardt's,  der  ich  noch  einige  Bemerkungen  beifüge:  An  und  für  fich  ift 
es  höchfl  unglaubwürdig,  dafs  zwei  fo  tüchtige,  allbekannte  Meifter  wie 
Cranach  und  Grunewald,  von  denen  jeder  eine  grofse  Werkftatt  mit  vielen 
Gehilfen  und  „Molerjungen“  hatte,  an  diefem  Werke  gemeinfchaftlich 
gearbeitet  haben  füllten.  Bellimmte,  unterfcheidende  Merkmale  würden  lieh 
unter  allen  Umftänden  angeben  laden,  was  jene  Verfechter  der  Arbeits- 
theilung nicht  thun  oder  können,  weil  eben  folche  Unterfchiede  fehlen.  Zwar 
ift  es  richtig,  dafs  die  Arbeit  nicht  gleichwerthig  in  allen  Bildern  ift.  allein  in 
allen  herrfcht  doch  derfelbe  Geift  der  einheitlichen  Compofition , der  grofs- 
artigen  AuffalTung  und  der  harmonifchen  Färbung.  Nur  die  Zeichnung  bcz. 


1 Nur  die  tonangebenden  Schriftftcllcr  werden  genannt,  denen  zahlreiche  andere  auf  gut 
Glauben  nachgcfchrieben  hnben. 

2 Wenn  ich  nicht  erwähne,  dafs  man  neuerdings  auch  wohl  dem  von  dem  Cardinale  viel 
bcfchaftigtcn  Meifter  Simon  von  A fchaf  fenburg  die  Autorfchafi  an  den  Bildern  zufchreibtn 
will,  fo  gefchieht  es,  weil  fich  für  diefc  Annahme  fchwcrlich  ein  anderer  Grund  als  eben  die 
Befchäftigung  diefes  Künftlers  feiten*  des  Cardinais  unfühmi  lüfsl. 


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DIE  KIRCHE  ZU  U.  L.  FRAUEN. 


83 


die  Ausführung  des  Bildes  in  technifcher  I liniicht , nicht  die  Erfindung  ill 
an  den  Flügeln  und  der  Predella  weniger  forgfältig  behandelt,  als  am 
Mittelbilde  und  vielleicht  auch  noch  an  den  fehr  gut  erhaltenen  BildnifTen 
des  h.  Moritz  und  Alexander.  Die  Verkündigung,  welche  von  Kugler  und 
anderen  einem  Schüler  Grunewald’szugefchrieben  wird,  fleht  den  übrigen  Flügel- 
bildern durchaus  nicht  nach;  Maria  namentlich  ill  fchön  gemalt.  Die  an 
den  Grunewald'fchen  Malereien  bekannten  Characteriflica  gehen  aus  unlerer 
voraufgefchickten  Befchreibung  zur  Evidenz,  hervor  (Grofsartigkeit.  tiefe 
Farbe,  weiche  Formen)  nicht  aber  die  Cranach'fcher  Bilder  (Anmuth, 
Schüchternheit,  phantaftifche  F'ormen,  volksthümliche  Darftellung  und  wohl 
auch  Disharmonien  unter  den  Farben).  Die  weniger  gute  Arbeit  an  den 
Flügeln  erklärt  fich  fodann  dadurch,  dafs  Grunewald,  nachdem  er  lieh  an 
der  Erfindung  der  Gefammteompofition  und  an  der  Conturenzeichnung  der 
Einzelheiten1  ergötzt  hatte,  die  Ausmalung  feinen  Gehilfen  oder  Schülern 
überliels;  nur  das  Hauptbild  wird  er  eigenhändig  und  ganz  ausgeführt 
haben.  Eine  folche  Arbeitstheilung  findet  fich  allerdings  gewöhnlich  in 
allen  Ateliers  der  grofsen  Meiller  jener  Zeit,  und  ihr  würde  ja  auch  heute 
nichts  im  Wege  liehen , wenn  unfere  Maler  nur  ebenfo  zahlreiche  Aufträge 
hätten  wie  jene  alten  Meiller. 

Die  gröfselle  Wahrfcheinlichkeit  ill  immerhin  noch  keine  Gewifsheit; 
ill  der  Autor  Mathaeus  Grunewald,  fo  hat  er  auch  hier  feine  Art,  fich  weder 
durch  Namen  noch  Zeichen  erkennen  zu  geben,  nicht  verleugnet;  nur  aus 
der  beigefügten  Jahreszahl  1529  erfehen  wir,  dafs  diefes  Werk  wohl  eines 
feiner  letzten  gewefen  fein  mufs,  da  er  im  folgenden  Jahre  Harb. 

Das  letzte  Bild  der  Marktkirche,  welches  erwähnt  werden  mufs,  ill  Gemälde  an  der 
das  an  der  Wand  über  der  örtlichen  Empore.  Von  der  Breite  des  Mittel-  oftwand, 
fchiffes  und  über  der  Empore  bis  zum  Gewölbe fcheitel  hinautgehend.  um- 
rahmt von  der  bereits  befchriebenen,  in  den  F'ormen  der  RenailTance  aus- 
gelührten  Holzarchivolte  fällt  es  gar  fehr  in  die  Augen.  Allein  einestheils 
die  höchft  ungünllige,  doppelte  Beleuchtung,  nämlich  von  Norden  und  Süden, 
anderntheils  die  verblafsten  E'arben  und  der  Jahrhunderte  hindurch  angefetzte 
Staub  laffen  kaum  noch  Details  erkennen.  So  viel  allerdings  lieht  man,  dafs 
nicht  eine  Handlung  allein  dargellellt  ill,  fondern  verlchiedene  Vorgänge 
auf  dem  Bilde  gefchickt  vereinigt  find,  und  dafs  alles  in  einem  grofsartigen 
Stile  angelegt  ill.  J-eider  verdeckt  die  kleine  Orgel  der  Empore  nach  ihrer 
Erneuerung  im  17.  Jahrhundert  die  mittlere,  urfprünglich  lichtbare  Partie 
des  Vordergrundes.  Die  Malerei  felbft  ill  in  Oel  auf  Leinwand  ausgeführt, 
welch  letzterer  eine  Holzvertäfelung  als  Unterlage  dient.  Der  Stoff  zu 
den  Darftellungen  fcheint  der  Apollelgefchichte  entnommen  zu  fein.  Vorn 
inmitten  der  Wand  gröfstentheils  hinter  der  Orgel  befindlich  hat  fich  die  Schaar 
der  Jünger  um  den  Fleiland,  der  allein  einen  Nimbus  hat,  verlämmelt.  Es 
lind  herrliche  Charakterköpfe  und  die  Gruppirung  fowie  die  Einzelpofen  der 
Apoltel  geben  einen  Meiller  von  nicht  geringer  Begabung  zu  erkennen. 


1 Diefc  kann  ihrer  Schönheit.  Mannigfaltigkeit  und  zugleich  Einheitlichkeit  wegen  nur  ein 
grufser  Mcifter  eifonncn  haben,  deffeii  i’hautalic  glcichfam  ein  unerfchüpflichcr  Born  war. 

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84  DIR  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKKEIS. 

An  diefer  Stelle  des  Bildes  ilt  auch  noch  das  Meifle  von  der  Detailzeichnung 
und  der  fonil  ganz  abgeblafsten  Farbe  zu  fehen;  es  läfst  lieh  über  beides 
durchaus  Befriedigendes  Tagen.  Links  lieht  man  zwei  Perfonen,  von  denen 
eine  lieh  nach  links  wendend  kniet;  ein  Pilgerftab  und  andere  Gegenliände 
liegen  auf  der  Erde  daneben ; vielleicht  ili  die  Bekehrung  Pauli  oder  die 
Taufe  des  Kämmerers  der  Königin  Candace  in  Mohrenland  durch 
Philippum  (Apolielgefchichte  8,  27  — 39)  dargeftellt,  denn  nach  derfelben 
Seite  des  Bildes  geht  auch  ein  Strahl  nieder  von  Gott  Vater  (vielleicht 
aber  auf  den  Hintergrund  bezüglich),  welcher  halb  in  Wolken  gehüllt 
ganz  oben  im  Bilde  die  Rechte  hoch  haltend  als  Greis  gemalt  ilt; 
auch  kommt  von  der  linken  Seite  her,  jedoch  mehr  der  Mitte  zu  hinter 
diefer  Gruppe  ein  fchimmel  (?)  befpannter  Wagen  gefahren,  delTen  InfalTen 
ein  Mohrenfürft  (?)  und  noch  ein  Mann  (?)  zu  fein  Rheinen.  Dem  gegen- 
über an  der  rechten  Seite  glaube  ich  die  Heilung  eines  kranken  Mannes 
dargeftellt  zu  fehen.  Dahinter  lieht  ein  Haus,  auf  delTen  Balcon  (?)  hinter  einer 
Dockenbrüllung  viele  Männer  (die  Apoftel?)  nach  einer  Taube  autblicken, 
die  im  Glorienfcheine  fchwebt.  Was  man  von  dem  Haufe  oderPalafte  fieht, 
ift  delTen  Seitenanlicht , während  man  von  der  links  hin  gewandten  Haupt- 
front nur  die  von  vorgelegten  Stufen  umzogene  Terrafle  zuGelicht  bekommt. 
Sie  bildet  etwa  den  Mittelgrund  des  Bildes  und  ift  von  allerlei  Leuten 
belebt.  Etwas  hinter  ihr  mehr  nach  links  lieht  eine  Ruine  mit  einem 
grofsen  Bogen.  Sie  erinnert  an  die  Trümmer  der  antiken  Backfleinbauten 
zu  Rom.  Es  lind  hier  auch  Menfchen  verfammelt  und  hinten  von  links  her 
kommen  deren  noch  dazu.  Im  Hintergründe  fällt  zuerll  ein  See  auf;  viele 
Menfchen  gehen  an  feinen  Ufern  hin;  dann  fchliefsen  die  Berge  einer 
weiten,  fchönen  Landfchatt  das  Bild  ab.  Den  Himmel  beleben  Vögel,  die 
in  Reihen  und  einzeln  dahin  fliegen. 

Diefer  Befchreibung  läfst  fich  kaum  noch  etwas  über  die  Arbeit  felbll 
fowie  über  das  Colorit  der  genannten  Gründe  wegen  hinzufügen,  es  fei 
denn,  dafs  wir  noch  auf  die  vorzügliche  Linien-  und  Luftperfpective,  die  in 
dem  Ganzen  herrfcht,  aufmerkfam  machen  und  auf  die  lall  unzählige  Menge 
von  Perfonen,  die  auf  der  Fläche  hat  Platz  finden  müfTen.  Ehemals  hat 
das  Bild  gewifs  einen  nicht  unbedeutenden  Werth  gehabt,  jetzt  aber  ift  es 
zumal  an  diefer  Stelle  völlig  unanfehnlich.  Die  Chroniken  bezeichnen 
übereinllimmend  Heinrich  Lieh tenfel fe r aus  Leipzig  als  den  Maler, 
und  1593  als  das  Entftehungsjahr.  Eine  darauf  bezügliche  Infchrift  läfst 
fich  nicht  auffinden. 


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Die  St.  Moritzkirchc. 


Im  Jahre  1856  ilt  in  einer  „Gedenk  fchrift  an  da»  fiebenhundert jährige  Einleitung. 
Jubelfell  der  St.  Moritzkirche  zu  Halle“  durch  ProfefTor  l)r.  Hähne 
und  Diac.  Ür.  Wolf  unter  Beibringung  der  vorhandenen  Zeugnifse  in 
gelehrter  Weife  verfucht  worden,  fowohl  das  Bellehen  einer  abgefonderten 
Gemeinde,  als  auch  das  einer  alten  erllen  Pfarrkirche  zu  St.  Moritz  in  die 
früheile  Zeit  hallefcher  Gefchichte  zu  verlegen,  und  zwar  etwa  in  die  Mitte 
des  10.  Jahrhunderts.  Ob  dem  fo  ilt,  und  wo  dann  diefes  Kirchengebäude, 
welches  farmet  einer  Schule  50  Schritt  von  der  Moritzkirche  entfernt  gelegen 
haben  foll,  wirklich  geltanden  hat,  kann  hier  nicht  weiter  unterricht  werden. 

IndelTen,  da  die  VerfafTer  haupt fachlich  auch  die  Frage  über  die  Fntflehung 
der  einzelnen  Partien  des  jetzigen  Baues  u in  Händlich  und  höchll  fcharffinnig 
erörtert  haben,  aus  Mangel  an  baulichen  KenntnilTen  aber  nicht  im  Stande 
gewefen  lind,  immer  zu  einem  richtigen  oder  überhaupt  zu  einem  Relültate 
zu  gelangen,  fo  ilt  unfererfeits  aufs  Neue  eine  Bauanalyfe  zum  Zweck 
einer  detaillirten  Baugefchichte  erforderlich. 

Zuvörderft  foll  aus  der  Betrachtung  des  Grundrifses(Fig.  4z)  die  Local-  Gründer», 
kenntnifs  gewonnen  werden.  Im  Vergleich  zu  den  GrundrilTen  der  anderen 
hallefchen  Kirchen  macht  der  der  Moritzkirche  auf  den  erllen  Blick  einen 
angenehmeren  Eindruck  als  jene,  weil  feine  ziemlich  reguläre  Form  fall  wie 
nach  einem  Plane  entllanden  ausfieht.  Die  drei  fchiffige  Hallenkirche  wird  im 
Wefentlichen  durch  acht  vollltändige  Joche  gebildet,  denen  im  Ollen  gegen  die 
Stadt  zu  eine  herrliche  Chorpartie  und  im  Welten  bis  dicht  an  einen  Arm 
der  Saale  heran  eine  Thurmanlage  zugelügt  ilt.  Prüft  man  nun  den  Bau 
im  Einzelnen,  fo  gewahrt  man  befonders  an  den  Pfeilern  und  Gewölben  gleich, 
dafs  er  in  zwei  Haupttheile  zerlällt  und  dafs  genau  in  der  Mitte  der  acht 
Joche  die  Scheidung  liegt;  man  lieht  im  ältlichen  Theile  mit  dem  Chore  eine 
reiche,  architektonifche  Durchbildung,  während  der  weltliche  mit  der  Thurm- 
vorlage einen  viel  fchlichteren  Charakter  trägt.  Der  Chor  ill  in  den 
Nebenfchiffen  durch  fünf  Seiten  eines  Achtecks,  im  Mittelfchiff  hingegen 
durch  ein  neuntes  Joch  mit  halbem  Zehneck  gebildet ; er  erhebt  lieh  ein- 
fchliefslieh  des  erllen  vollltändigen  Joches  feitlich  um  drei,  mitten  um  fechs 
Stufen  über  den  Fufsboden  der  Kirche.  Die  Pfeiler  des  örtlichen  Theiles 
find  in  den  Profilen  fehr  entwickelte  über  Eck  gedeihe  Vierecke  und  laden 
im  Verein  mit  der  Chorausbildung  fogleich  die  noch  lebensvolle,  aber  bereits 
niedergehende  Gothik  erkennen.  Die  Wölbung  entfpricht  dem  Pfeiler- 
grundriffe  höchllens  noch  in  den  Seitenfchiffen . wo  auch  an  der  Wand 
zwischen  den  Fenltern  eine  Säule  herabgeht,  die  mit  dem  alten  Dienlle  des 
zugehörigen  Pfeilers  durch  eine  Rippe  an  Stelle  eines  Gurtbogens  cor- 


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86 


DIE  STADT  HALLE  0.  d.  SAALKREIS. 


refpondirt.  Das  Netzgewölbe  im  Mittellchiff  entwickelt  fich  aber  nicht  mehr  j 
aus  der  Pfeilerform,  fondern  i 11  ein  felbdändiges,  unabhängiges  Gebilde, 
lediglich  nach  dem  Belieben  des  Herdellers  gern u Iler t.  In  der  weltlichen 
Hälfte  der  Kirche  find  die  Pfeiler  ganz  fchlicht  achteckig.  Das  Gewölbe  ill 
wiederum  ein  Netzgewölbe  nur  mit  etwas  veränderter  Rippenmufterung. 
Von  einer  Entwickelung  aus  den  Pfeilern  oder  von  einem  fehbaren  Ab- 
hängigkeitsverhältnilTe  diefer  zu  dem  Gewölbe  kann  natürlich  deswegen 
nicht  die  Keile  fein,  weil  zu  folchen  nichtsfagenden  Pfeilern  jede  beliebig- 
Rippenordnüng  pafst,  oder  auch  weil  die  Pfeilerform  nicht  mehr  durch  ein 
Rippenfydem  hervorgebracht  wird,  welches  Bedeutung  ha».  Dazu  find  be- 
fonders  im  füdlichen  Seitenfchiffe  noch  dark  im  Grundriffe  auffallende 
Unregelmäfsigkciten  des  Gewölbes  vorgekommen,  von  denen  man  kaum 
glaubt,  dafs  fie  nöthig  und  möglich  waren.  Die  Thurmmauern  fetzen  eine 
Errichtung  von  zwei  Thürmen  voraus,  welche  letztere  in  dem  Palle, 
dafs  fie  hätten  ausgeführt  werden  Tollen,  nur  durch  eine  gekündelte  Con- 
druction  eine  quadratifche  Perm  erhalten  haben  würden,  weil  ihr  Grund- 
rifs in  der  Richtung  von  Oden  nach  Weden  oblong  id.  Die  Mauern  ruhen 
kirchenfeits  auf  Bögen  mit  Harken  kreuzförmigen  Pfeilern  unter  den  Ecken, 
fodafs  der  untere  Thurmraum  mit  zur  Kirche  gezogen  id.  Die  Stärke  der 
Thurmmauern  id  unten  durchaus  ungleichmäßig,  aber  rationell,  im  Weden 
am  gröfsedon,  im  Süden  bei  dem  Südthurme,  und  im  Norden  bei  dem  Nord- 
thurme  geringer,  dann  im  Norden  bei  dem  Südthurme  und  im  Süden  bei 
dem  Nordthurme  wiederum  geringer,  am  fchwächden  endlich  an  der  Oft- 
feite.  Die  Ueberdeckung  gefchieht  ebenfalls  in  Höhe  der  Schiffsgewölbe 
durch  Netzgewölbe  in  höchd  gefuchten  Müdem.  Das  Mittelfchiff  fchiefst 
rifalitartig  ein  Wenig  zwilchen  den  beiden  Thürmen  vor.  Zu  den  oberen 
ThurmgefchofTen  führt  eine  Wendeltreppe  in  der  Südwedecke  des  Süd- 
thurmes;  fie  liegt  bis  auf  ein  kleines  Stück,  welches  in  die  Ecke  des 
Kircheninnern  vortritt,  im  Mauerwerk.  Da  die  Saale  fad  die  Fundamente 
der  Wedfeite  befpült.  fo  geht  hierher  keine  Thür,  jedoch  bemerkt  man  gen 
Süden  und  gen  Norden  zwei  einander  gegenüberliegende  Nifchen;  es  waren 
zuvor  Thüren,  die  vermauerten  Gewände  find  noch  zu  fehen.  Aufserdem 
führen  in  die  Kirche  zwei  Portale  an  der  Nordfeite,  dann  eine  wohl  nicht 
urfprüngliche,  kleine  Thür  unter  dem  Odfender  der  Apfis  des  nördlichen 
Seitenfchiffes  — im  Grundrifs,  Fig.42  nicht  zu  fehen  — und  zwei  grofse 
Portale  an  der  Südfeite;  diefe  kann  man  wohl  beffer  bezeichnen  als 
eine  zu  zwei  Bögen  gedaltete  Wandauflöfung  zu  dem  Zwecke,  die  hier  an- 
gebaute Vorhalle  gegen  die  Kirche  möglich!!  zu  öffnen.  Diefe  Vorhalle 
mit  drei  einfachen  Kreuzgewölben  überdeckt,  hat  nach  Oden  zu  ein  Portal 
und  deht  durch  eine  Thür  gen  Süden  mit  der  alten  Elifabethkapelle,  der 
jetzigen  Sacridei,  und  letztere  wieder  mit  der  Padorenwohnung  in  Ver- 
bindung. Eine  Thür  in  der  Wedwand  der  Vorhalle  führt  in  das  Sitzungs- 
zimmer des  Kirchen vordandes.  Schließlich  muß  noch  die  Wendeltreppe 
erwähnt  werden,  welche  in  der  Nordodecke  der  Vorhalle  an  die  Kirche  und 
jedenfalls  gleich  mit  ihr  gebaut  id.  Heute  hat  fie  nur  einen  Zugang  von 
außen,  ehemals  communicirte  fie  auch  mit  dem  Kircheninnern,  wie  eine 


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DIK  ST.  MOKITZKIKCHK. 


«7 


vermauerte  Thür  in  das  ludliche  Seitenfchiff  beweift.  Die  Treppe  fuhrt  auf 
den  Kirchenboden. 

Wir  kommen  nun  zu  der  Unterfuchung  über  die  Ent  lieh  ung  des 
Bauwerkes  zurück. 

Wie  fich  das  Vorhanden  fein  einer  erften,  an  einem  andern  Platze 
gelegenen  Moritzkirche  nicht  mehr  mit  Sicherheit  fellftellen  läfst,  ebenfo  ill 
es  auch  nicht  mehr  möglich,  das  Jahr  bellimmt  anzugeben,  in  dem  dann  ein 
Neubau  auf  der  Stelle  der  jetzigen  Kirche  llattfand.  Dafs  es  1156  gefchah, 
wie  die  Chronillen  fchreiben,  hat  fehr  viel  Wahrfcheinlichkeit,  allein  es  hat 
lieh  nur  ein  einziges  Stück1  der  Kirche,  das  etwa  auf  diefe  romanifche  Zeit 
fchliefsen  läfst,  erhalten,  der  Altartifch.  1184  mufs  lie  aber  bellanden 
haben,  weil  es  gewifs  ill,  dafs  in  diefem  Jahre  der  Erzbifchof  Wichmann 
von  Magdeburg  bei  der  Pfarrkirche  zu  St.  Moritz  ein  Klo  Iler  für  re- 
gulirte  A ugullinermönche  errichtet  und  demfelben  die  Kirche  in- 
corporiret  hat.2 

In  der  That  tragen  die  ältellen  erhaltenen  Bauformen  in  unmittelbarer 
Nähe  der  Kirche,  fo  wenige  es  auch  lind,  unzweifelhaft  den  Charakter  diefer 
fpätromanifchen  Zeit.  Erhalten  hat  fich  nämlich  an  der  Südwellecke  der  Kirche 
im  Pfarrgarten  dicht  an  der  Saale  ein  Mauerllück,  defTen  Technik  fchon 
auf  die  romanifche  Zeit  hinweifen  würde,  in  welchem  fich  aber  auch  noch  mehrere 
Kunllformen  in  ihrer  urfprünglichen  Lage  befinden.  Zunächll  ill  es  ein  Säulen- 
llück  mit  Capitäl  in  einer  Ecke.  (Fig.  43.)  Ob  von  demfelben  ein  Gewölbe  oder 
eine  Balkendecke  getragen  wurde,  ifl  nicht  mehr  feltzullellen;  man  fieht 
jedoch  trotz  der  zerllörten  Einzelheiten  des  Capitäls,  dafs  feine  Form  die 
unmittelbare  Vorllute  bildet  für  die  fünfzig  Jahre  fpäteren,  frühgothifchen 
Capitäle;  noch  ill  der  Abakus  breit  und  Hark  über  den  Kelch  vortretend, 
obgleich  fchon  von  einer  Profilirung,  die  kaum  noch  an  die  umgekehrte 
attifche  Balis  erinnert,  vielmehr  bei  etwas  llärker  gedrückter  Form  als 
gothifch  gelten  könnte,  die  lleinerne  Vegetation  des  Kelches  hingegen 
bedarf  gewiflermafsen  nur  noch  der  Zeit,  um  in  unauthaltfamem  Wachs- 
thum mit  ihren  Trägern  in  gothifcher  Art  über  den  Abakus  hervorzutreten. 
Ein  zweites  romanifches  Stück  unweit  von  diefem  Capitäle  ill  eine  Wand- 

* Die  noch  zu  erwähnenden  romanifchen  Gefimsftücke  zur  Abdeckung  eines  Theiles  der 
Nordwand  der  jetzigen  Kirche  gehörten  vielleicht  auch  zu  diefer  romanifchen  Kirche,  doch  ift 
das  zu  ungewifs.  Mit  mehr  Gewifsheit  läfst  lieh  feiner  Form  nach  ein  Steinfarg  im  Mufcum  des 
thüring.-fächiifchen  Alterthumsvereins  in  diefe  Zeit  fetzen,  da  er  in  der  Kirche  an  der  Stelle 
ausgegraben  worden  ift,  von  welcher  ab  etwa  der  Chor  der  romanifchen  Kirche  öftlich  gewefen 
fein  müfstc. 

2)  Die  chronica  monlis  serrtu  (Petersberg)  berichten,  und  nach  ihnen  melden  alle  fpäteren 
Chroniften  Folgendes  über  die  Veranlaffung  zum  Klofterbau : Es  war  zu  den  Zeiten  des  Probftes 

Heidenricus  1163—1182,  ats  im  Kiofter  zum  Neuen  Werk  vor  Halle  der  Mönch  Kudolfus 
das  Schulmcifteramt  innehatte.  Nun  vergafsen  lieh  einmal  feine  erwachfenen  Schüler  fo  weit, 
dafs  lie  ihn  prügelten.  Sic  wurden  daher  vom  Kiofter  beftraft , was  jedoch  von  den  reichen 
Leuten,  die  Brüder  unter  den  Beftraften  batten,  übel  genommen  wurde.  Um  lieh  zu  rächen, 
gingen  lie  den  Erzbifchof  Wichmann  an,  ein  neues  Kiofter  in  der  Stadt  zu  errichten,  zu  dem 
lie  die  Mittel  hergeben  wollten.  Ihr  Wunfch  gcfchali,  und  das  Moritzklofter  wurde  1184  gebaut. 


Untcrfuchung 
über  die  Ent- 
ftchungszeiten. 


Klufterrefte. 


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88 


IMF.  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKKKIS. 


lifene.  (Fig.  1 1.)  Sie  trilt  fo  kräftig  vor,  dafs  daraus  fchon  auf  die  fpät- 
romanifche  Zeit  zu  Ichliefsen  ilf;  ihre  l'rofilirung  ill  üppig;  engagirte 

Vi«.  43- 


Eckfäule  im  We  ft  (heile  des  Moiitzkluflers. 


Säulen  bez.  Rundftäbe  mit  mehreren  Plättchen  verbrechen  ihre  beiden 
licken.  Diel'es  Gemäuer  gehörte  zu  dem  1 184  angelegten  Kloller,  das 


F'R-  44- 


wie  überhaupt  die  meiden  Klüller  an  der  Südfeite  der  Kirche  an- 
gebaut war,  und  es  fragt  lieh,  was  wir  noch  von  feiner  Gefchichte 


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DIR  ST.  MORITZKIKCHK.  8q 


und  Bauart  wiffen.  Vorrathskammern  und  Kellereien,  die  gewöhn- 
lich den  weltlichen  Hügel  der  Klöfler  einzunehmen  pflegten,  fcheinen 
dafelbft  im  Wellflügel  des  Moritzkloliers  nicht  gelegen  zu  haben;  vielleicht 
der  Nähe  des  Wallers  wegen  finden  lieh  hier  keine  Keller  angelegt,  und 
Vorrathskammern  hätte  man  fchwerlich  derartig  ausgeziert,  wie  der  Raum 
gewefen  fein  mufs,  dem  die  befchriebenen  Bauformen  angehört  haben.  Man 
darf  nach  letzteren  auf  ein  gröfseres  Zimmer,  etwa  auf  einen  Verfammlungs- 
faal  fchliefsen. 

Es  hat  lieh  von  dem  ganzen  Kloflergebäude  fonft  kaum  noch 
etwas  erhalten,  es  fei  denn,  dafs  Theile  feiner  Subliructionen  für  die 
Pallorenhäufer  benutzt  worden  lind,  welche  aus  dem  Baumateriale  der 
Klolierruine  beftehen.  Denn  zu  einer  folchen  war  das  ehemals  fo  prächtige 
Klofter  geworden,  als  der  Cardinal  Albrecht  die  Mönche  fortgenommen, 
die  Kloftergüter  für  das  Neue  Stift  eingezogen,  die  Bettelmönche  des  auf- 
gehobenen Klofters  St.  Crucis  hineingefetzt  hatte,  diefe  es  aber  wegen  der 
flark  evangelifch  gefinnten  Hallleute  der  Moritzparochie  wieder  verliefsen, 
und  als  es  dann  feit  15*2  im  Belitze  des  Rathes  der  Stadt,  der  überwiegend 
evangelifch  war,  ohne  InfalTen  blieb.  Ermitteln  läfst  fich  jedoch  über  die 
vormalige  k 1 ölterliche  Ei  nrich t ung  noch,  dafs  im  Glien,  an  Stelle  der 
Pfarrhäufer,  neben  der  Kapelle  der  h.  Elifabeth  die  Wohnung  des  Problies  lag.1 
Im  Süden,  möglichli  entfernt  von  der  Kirche  werden  (ich  dann  wohl  die 
Vorrathsräume  und  die  Küche  befunden  haben  und  als  Efsfaal,  Wärme- 
und  Schlafzimmer  die  foeben  befprochenen  belferen  und  gröfseren  Räume 
der  Welifeite  am  Walfer  entlang  eingerichtet  gewefen  fein.  Ich  fchliefse 
Letzteres  aufserdem  daraus,  dafs  mit  dem  Klolier  feit  1220  das  Hospital 
S.  Johannis  verbunden  war,  welches  ebenfalls  unmittelbar  am  Walfer, 
der  Gerberfaale,  alter  auf  der  Nordfeite  der  Kirche  an  dem  zugehörigen 
Friedhöfe  lag,  jedoch  von  den  Mönchswohnräumen  leicht  und  schnell  er- 
reichbar fein  mufste.  Nur  wenn  diefe  Wohnräume  im  Wellen  des  Klolier- 
hofes  lagen,  war  das  möglich,  indem  man  fei  es  zwifchen  der  weltlichen 
Kirchenfront  und  der  Saale  oder  durch  die  Wellpartie  der  Kirche  felbli  den 
Weg  nahm.  Dafs  die  letzte  Art  der  Verbindung  im  15.  Jahrhundert  wirk- 
lich liattgehabt  hat,  dürfte  der  Grundrifs  ( Fig.  42)  erweifen.  Wir  haben  bei  deffen 
Befprechung  auf  die  beiden  nach  Süden  und  Norden  einander  gegenüber- 
liegenden Nifchen  in  den  Thürmen  mit  der  Bemerkung  aufmerkfam  gemacht, 
dafs  fie  eigentlich  durch  Vermauerung  von  Thüren  entllanden  feien.  Ihrer 
Tage  wegen  können  folche  aber  in  mehrfacher  Rücklicht  keinen  andern 
Zweck  gehabt  haben,  als  das  Klolier  mit  dem  Hospitale  auf  dem  kürzellen 
Wege  zu  verbinden.  Verfchlofs  man  nun  klölierlicherfeits  die  Spitzbogen- 
Öffnung  in  dem  der  Thür  nahe  gelegenen  Strebepfeiler,  fo  blieb  der  offene 


1 v.  Drcyhaupt  T.  p.  745  Tagt:  «»dicht  am  Clofter  bey  des  Probftcs  Wohnung  die  Capelle 
zu  St.  Elifabeth*4  während  v.  Hagen  I.  S.  214  angiebt,  dafs  die  Prediger-  und  Küfterwohnung 
„an  der  Stelle  des  alten  St.  Moriubrauhaufcs"  fländen.  ohne  jedoch  anzufuhren.  woher  er  diefe 
Notiz  nimmt.  Denkbar  wäre  allerdings,  dafs  das  Brauhaus  an  der  Süd-,  die  Prohftwohnung  an 
der  Weftwand  der  Elifabethkapellc  gefunden  hätte. 


Klofter- 

cinricblung. 


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9° 


DIF.  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKRKIS. 


Kreuzgang  an  der  Kirche  hin  ganz  getrennt  von  der  abgefchlolTenen 
Wohnung  der  Mönche,  geleitete  aber,  eine  Fortfetzung  der  Vorhalle  zwilchen 
Kirche  und  Elifabeth- Kapelle  bildend,  als  ein  wahrhaft  großartiges,  (lets 
fonniges  Veltibül  von  Ollen  her  in  grader  Linie  zu  den  Mönchswohnräumen. 

Das  Hufpit.d.  Ueber  das  Johannishospital,  mit  dem  die  Johanniskapelle  verbunden  war, 
ifl  noch  zu  Tagen,  dafs,  als  1529  „die  Englifche  Schweifsfucht  oder  Schweifs- 
Krankheit  in  diefen  Landen  und  auch  zu  Halle  regieret“  hat  und  man  das 
St.  Cyriacushospital  abbrach,  um  es  mit  dem  St.  Johannis  zu  vereinigen, 
dafs  in  diefem  Jahre  ein  neues  Hospital  auf  „St.  Morit/kirchhof  zwifchen 
der  Pfarr-  und  St.  Johanniskirchen  an  der  Mauer  (Stadtmauer  oder 
Thalsmauer?)  zu  bauen  angefangen“  wurde  und  leitdem  diefe  beiden 
1 lospitäler  hier  unter  dem  Namen  des  I lospitales  St.  Cyriaci  vereinigt 
blieben,  bis  1570 — 1576  ihre  Verlegung  nach  Glaucha  erfolgte.  Diese 
Notizen  giebt  Ölearius;  es  wird  aus  ihnen  die  Situation  erlichtlich : 1 dem- 
nach lag  die  Johanniskapelle  an  der  Saale  am  Ende  der  Reihe  jener  alten 
lläufer,  welche  lieh  noch  bis  jetzt  äufserlich  ziemlich  in  der  Bauweife  er- 
halten haben,  wie  fie  1529  zu  1 lospitalszwecken  errichtet  worden  find*.  Das 
Johannishospital  mochte  seit  1520,  als  an  die  Stelle  der  reichen  Augulliner 
die  armen  Dominicaner  traten,  wenn  nicht  überhaupt  eingegangen,  fo  doch 
fehr  vernachläffigt  fein. 

Wenden  wir  uns  nunmehr  der  Betrachtung  des  eigentlichen  Kirchenge- 
(lothifcherChur-  bäudes  wieder  zu.  Weder  aus  den  Chroniken  noch  aus  Baureifen  ill  zu  er- 
anbau.  fehen,  welche  Geftalt  die  alte  romanifche  Kirche  von  1156  gehabt  hat.  Siebe- 
iland bis  zum  Jahre  1388  unberührt.  Dann  baute  man  die  ganze  Otlhälfte 
der  heutigen  Kirche  an.  Ungefähr  bis  zu  der  Scheidung  der  beiden 
Kirchenhältten  erltreckte  fich  alfo  von  Ollen  her  die  erste  Kirche  in  ihrer 
Längenrichtung,  während  lie  in  der  Breite  wahrfcheinlicherweife  die  Ab- 
melTungen  der  heutigen  Kirche  nicht  hatte,  die  für  eine  romanifche  Pfarr- 
kirche doch  etwas  zu  grofsartig  gewefen  fein  würden. 3 Zwei  Minuskel- 
infehriften  an  den  beiden  füdlichen  Chorllrebepfeilern  des  Mittellchitfes 
berichten  über  den  Verlängerungsbau;  die  erlle  lautet; 

Mille  . trete  nt  . anno  . post  . octuagosies  . octo  . 

Dum  . canit  . ecclesia  . raisericor  . carminc  . pascha  . 

Tune  . lapis  . est  . primis  . ad  . chorum  . jactus  . in  . ytnis  . 

Hoc  . per  . prepositum  . pauluin  . fuit  . initiatuin  . 

Nunc  . ope  . multorum  . struitur  . pietate  . bonorum  . 

Sar.cte  . nunc  . patet  . hie  . sua  . munera  . qui  . dedit  . illic  . 


1 Es  ändert  auch  nichts,  ob  zuvor  das  „an  der  Mauer"  lieh  auf  bauen  oder  auf  St.  Johanms- 

kirchen  bezieht.  * 

2 Vergl.  v.  Dreyhaupl  I,  p.  951. 

3 Int  Anfchlufs  hieran  vermuthe  ich  oltne  gerade  einen  Beweis  dafür  erbringen  zu  können, 
dafs  die  alle  Kirche  etwa  die  Breite  des  jetzigen  Mitlelfchifles  gehabt  habe  und  ihr  yucrfchilf 
auf  die  Gefaimutbreite  der  jetzigen  Kirche  zu  beiden  Seiten  heraustrat,  fodafs  der  .Anbau  sei) 
1588  die  Fortfetzung  der  nördlich  und  füdlich  abfchliefsenden  yuerfchiffsmauern,  nicht  der  des 
Langhaufes  bildete. 


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niE  ST.  MOR1TZKIKCHR. 


9> 


Cujus  . rectores  . structurae  . sunt  . amatorrs  . 

I)e  . mortal  . pelrus  . eonradus  . in  . Kinbcke  . natus  . 

Conciliuni  . vvl  . o|M’m  . <|tii  . ilant  . ad  . opusqut:  . favoretn  . 

Dictis  . vel  . fa«  tis  . faduni  . ad  . hoc  . siraul  . actis  . 

I.ongius  . O . deus  . hos  . terris  . da  . vivcre  . sanos  . 
liys  . finemque  . bonum  . valct  . id  . su]»:r  . omnia  . donum  . 
l’ost  . hcc  . in  . celis  . et  . cis  . dare  . preinia  . velis  . 

Weil  diefe  Infchrift  ihrer  kleinen  Buch  Haben  wegen  fchwer  lesbar  ge- 
gewefen  fei.  habe  man  die  zweite  in  gröfseren  gehalten;  auch  hat  man  fie 
vergoldet  gehabt.  Dem  Schriftcharakter  nach  fcheint  fie  nicht  gleich- 
zeitig angebracht,  fondern  wenigftens  einige  Jahrzehnte  fpäter  ausgehauen 
worden  zu  fein  als  jene  erfte  und  längere.  Sie  heifst: 

fll  . tria  . ccc  . scripto  . post  . octuagin  . dabis  • ooto  • 

Stante  . die  • lune  . misericor  . dum  . canis  • alte  . 

Tune  • fuit  . iste  • Chorus  • primo  . saxo  . renovatus- 
Ohne  Zweifel  betagt  tune  fuit  iste  chorus  primo  saxo  renovatus  und  tune 
tapis  es/  prtmts  ad  e hör  um  jaetus  in  ymis  ganz  dasfelbe,  dafs  1,388  der  erde 
Stein  zur  Verlängerung  der  Kirche,  alfo  zum  Bau  der  Chorpartie  gelegt 
worden  ift. 

So  beftand  denn  feitdem  die  Kirche  aus  einem  romanifchen  Weft- 
theile  und  einem  lichten,  gothifchen  Chor  im  Oden.  Diefe  A rt , die 
mäfsig  grofsen,  emd  dunkeln,  alten  Kirchen  durch  den  prächtigen 
Chor  einer  hellen  Hallenkirche  zu  erweitern  — hier  bot  die  Geidlichkeit 
befonders  durch  ihre  prachtvollen  Gewänder  dem  Volke  einen  pomphaften 
Anblick  — ill  eine  nicht  feltene  im  14.  Jahrhundert,  und  ebenfo  diefer 
Zeit  gemäfs  find  die  baulichen  Formen  an  diefer  Odhälfte  der  Moritz- 
kirche, nur  nimmt  es  einigermafsen  Wunder,  dafs  die  Infchriften  nicht 
etwa  innen  oder  aufsen  da  dehen,  wo  der  Anbau  muthmafslich  an- 
gefangen wurde,  alfo  bei  der  Scheidung  beider  Hälften  des  Gebäudes.  Hs 
fprechen  nun  mehrere  Gründe  dafür,  dafs  der  Choranbau  nicht  mit  dem 
Abbruch  des  Chores  der  alten  Kirche  anfing,  um  von  hieraus  odwärts 
iortzufchreiten:  man  begann  vielmehr  im  Oden  den  gothifchen  Chor  ganz 
felbdändig  aufzubauen,  fchritt  nach  Weden  fort  und  fchlofs  wahrfcheinlich 
die  Nordfeite,  die  wegen  des  Kirchhofes  frei  lag.  zuerd  dem  alten  Baue  an. 
Aufserdem,  dafs  die  auf  den  Bauanfang  bezüglichen  Infchriften  im  Oden 
angebracht  find,  findet  lieh  auch,  dafs  die  Südwand  des  gothifchen  Theiles 
nicht  unwefentlich  bis  zu  ihrer  Vereinigung  mit  dem  romanifchen  Theile 
gegen  die  inneren  Pfeilerreihen  divergirt,  wohingegen  die  Nordwand,  ganz 
parallel  aufgeführt,  die  gerade  Verlängerung  der  entfprechenden  alten  Mauer 
gewefen  fein  wird.  Bedenken  wir,  dafs  im  Süden  die  Klodergebäude  — ob 
auch  fchon  vor  der  1472  geweihten  Kapelle  der  h.  Klifabeth  dafelbd  ein 
älterer  Bau  beftand,  ift  fraglich  — lagen,  die  Kirche  wohl  auch  theilweife 
umfchlofsen,  im  Norden  aber  wie  heute  noch  der  Friedhof  war,  fo  erklärt 
lieh  diefer  Umltand;  denn  jener  Anbauten  wegen  war  ein  genaues  Mellen 


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<)2 


DIE  STADT  HA1.LK  u.  <1.  SAAlJtRKlS. 


dort  fchwiorig,  während  man  hier  direct  zu  allen  Punkten  gelangen  konnte. 
Weiter  unten  aus  den  Details  werden  wir  ferner  erfehen,  dafs  überhaupt 
(liefe  Südwand,  wenn  auch  mit  jener  iin  Norden  ungefähr  gleichzeitig  auf- 
geführt, doch  nicht  wie  diefe  ohne  Unterbrechung  vollendet,  jedenfalls 
läfsigerhergeftellt  worden  und  fpäter  nicht  gleicherweife  unberührt  geblieben 
ill.  Fis  lag  auch  in  der  Natur  der  Sache,  ganz  abgefehen  von  der  mittel- 
alterlichen Kirchenbauregel,  mit  dem  Chore  zu  beginnen,  dafs  rnan  im  Ollen 
den  Bau  anting,  um  das  alte  Gotteshaus  fo  lange  als  möglich  ohne  Störung 
durch  den  Neubau  zum  Gottesdienlle  benutzen  zu  können,  und  dann  erfl  den 
romanifchen  Chor  niederrifs,  als  der  neue  Bau  foweit  gegen  Wellen  vor- 
gerückt war,  dafs  der  zum  Anfchlufs  nöthige  Abbruch  des  romanifchen 
Chores  nicht  wohl  länger  lieh  auffchieben  liefs.  Noch  ein  Umftand,  wenn- 
gleich von  fehwacher  Beweiskraft  für  die  Zeitlolge  der  Bauarbeit,  kommt 
hinzu.  Oben  auf  der  nördlichen  Mauer  des  Anbaues  von  1 3S8  liegen  hinter 
dem  Ilauptlims  zur  Abdeckung  nach  innen  die  Steine  eines  romanifch  ver- 
zierten Gefimfes;*  (F'ig.  45)  man  hatte  diefe  Nordwand  eben  fchon  fertig  gellellt. 


I'C-  15- 


Aniicht  und  Schnitt  des  romanifchen  Simfes  aul  der  Xordwand 
der  Oftpartie. 


als  man  die  Chorpartie  der  alten  Kirche  abbrach  und  die  alten  Simslleine 
wurden  nun  fogleich  zur  Abdeckung  diefer  fertigen  Mauer  hinaufgefchafft 
denn  nur  auf  der  zunächll  gelegenen  Nordleite  linden  wir  lie,  nicht  mehr 
am  Chor  und  natürlich  nicht  an  der  Südwand,  die  vermuthlich  noch  gar 
nicht  fertig  war.  - 

Wohl  möglich,  dafs  man  lieh  zu  Finde  des  14.  Jahrhunderts  mit  dem 
Gedanken  trug,  dereinll  einmal,  wenn  man  Geld  haben  werde,  auch  den 
Wi-ruhcil.  romanifchen  Welltheil  der  Kirche  abzubrechen  und  den  Bau  fo  zu  vollenden. 

wieer  im  Chore  warangefangen  worden:  aber  darüber  verging  noch  geraume 
Zeit,  wenigllens  hören  wir  von  keiner  Bauveränderung  bis  zum  Jahre  1454. 
Den  erlien  Bericht  giebt  Schubart  in  feinem  Memorial«*  oder  Denkmahle 
von  der  Kirchen  zu  St.  Moritz  in  Halle  (1670)  alfo: 


1 Der  ßaumeifter  Stapel  fand  1841  noch  die  in  der  Zeichnung  angegebenen  Farben* 
(puren,  die  ich  allerdings  nicht  habe  fehen  können  in  dem  Halbdunkel  des  Dachbodens  und  bei 
der  U nsugänglichkeit  der  Steine. 

- Warum  nach  Dähnc’s  Schrift  diefe  Steine  von  einer  nachbarlichen,  verfallenen  Kapelle 
herrühren  füllen,  ift  nicht  einzufehen;  ihre  Zahl  ifl  nicht  größer,  als  die  für  die  damals  als* 
gebrochenen  T heile  der  romanifchen  Moritzkirche  hinreiehen  würde. 


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D1K  ST.  MOKITZKIKCHE. 


93 


Anno  1454  hat  man  angefangen  das  Schiefer-Dach  auf  die  ganze  Kirche 
zu  fetzen;  welches  aber,  wie  ein  altes  ms.  Chronicon  berichtet,  erft  An. 
1409  in  rechten  Stand  gebracht  worden.“ 

Dann  erzählt  Olearius1  vom  Jahre  1466: 

„wurd  auch  das  Tach  uff  St.  Moritz-Kirchen  und  ein  gut  Theil  der 
Mauer  an  derfelben  Kirch  auffgebauet.“ 

In  beiden  Citaten  wird  über  das  eigentliche  Mauerwerk  nur  wenig  und 
Beftimmtes  überhaupt  nicht  gefagt,  fodafs  wir  die  Steine  felblt  befragen 
muffen,  um  Auffchlufs  über  die  Erbauungszeit  des  jetzigen  Wefttheiles  der 
Kirche  zu  erhalten;  denn  dafs  derfelbe  nicht  mehr  aus  romanifcher  Zeit 
llammt.  bedarf  wohl  keines  Nachweifes.  Ja,  bei  eingehender  Unterfuchung 
wird  lieh  zeigen,  dafs  von  der  romanifchen,  muthmafslich  1156  gebauten 
Kirche  nichts  mehr  übrig  geblieben  fein  kann  als  etwa  einige  nicht  ficher 
nachweisbare  Fundamente.  Wenn  die  beiden  citirten  Stellen  nun  auch 
nicht  lägen,  wo  an  den  Umfaffungsmauern  gebaut  wurde,  fo  geht  doch  aus 
ihnen  ohne  Zweifel  fo  viel  hervor,  dafs  im  6.  und  7.  Jahrzehnt  des  15.  Jahr- 
hunderts an  der  Kirche  in  erwähnungswerther,  alfo  wohl  umfangreicher 
Weife  gebaut  worden  ilt.  Der  Chor  bis  zur  Kirchenmitte  war  jedenfalls  fchon 
im  14.  Jahrhundertim  Wefentlichen  fertig;er  ill  zu  vollkommen  in  einem  Guffe 
von  noch  blühender  Gothik  gemacht,  ein  Zeitunterfchied  von  liebenzig  J ahren 
würde  lieh  zu  fehr  markiren  in  der  formale!»  Durchbildung,  als  dafs  wir  glauben 
könnten,  an  ihm  fei  jetzt  nach  1450  noch  gearbeitet  worden.*  Es  mufs  alfo 
der  weltliche,  romanifche  Theil  gemeint  fein.  Wenn  es  nun  auch  nahe  liegt 
zu  glauben , dafs  man  die  alten  romanifchen  Mauern  einfach  erhöht  habe, 
wie  Dähne  die  Worte:  „es  wurd  ein  gut  Theil  der  Mauer  auffgebauet“  ver- 
lieht, fo  ilt  doch  diefe  Anlicht  nicht  haltbar.  Der  allgemeine  Eindruck,  den 
der  ganze  weltliche  Theil  heute  macht,  entfpricht  vollkommen  und  aus- 
fchliefslich  der  Spätzeit  des  15.  Jahrhunderts.  Die  Pfeiler  gleichen  denen 
der  Ulrichskirche,  die  Eenlter  lind  nüchtern  in  Maafswerk  und  Protilirung, 
jedoch  noch  nicht  von  fo  zweifelhafter  Gellalt,  wie  die  des  Domes  oder  der 
Marktkirche;  ebenfo  zeigt  das  Aeufsere  überall  die  verfallende  Gothik  ohne 
romanifche  Reffe  oder  Renaiffancezuthaten.  Auch  das  Gewölbe,  welches 
bei  einer  Renovation  diefer  Kirchenhälfte  ein  Jahrhundert  fpäter  gemacht 
fein  loll,  thut  diel'em  Eindrücke  nicht  Abbruch.  Wenn  nun  Dähne  auf  den 

t Er  feheint  feine  Notiz  auch  aus  früheren  Aufzeichnungen  amlerer  genommen  zu  haben 
L B.  ans  der  Münchener  Chronik  Halle’s. 

2 Das  Mauer  werk  der  ganzen  Chorpartie  befiehl  im  Wefentlichen  noch  heute  fo,  wie  es 
13SS  erbaut  worden  ift;  das  ift  aus  der  Einheitlichkeit  der  Formen  erweislich  und  Dähne  irrt, 
trenn  er  meint,  dafs  nur  „ein  noch  wohl  erhaltener  Theil  des  alten,  im  Jahre  1388  erbauten, 
hohen  Chores  mit  dem  Altarplatze  in  das  neue  Werk  aufgenommen"  fei,  nämlich  in  einen  ver- 
meintlichen Reparaturbau  etwa  von  1504 — 15M.  Ueberhaupt  nimmt  Dähne  ganz  willkürlich 
eine  „durchgreifende  Reparatur  des  örtlichen  Theiles“  an,  von  der  doch  durchaus  nicht  in 
4cm  von  ihm  citirten  Documente,  welches  184!  im  Altar  gefunden  worden  ift,  geredet  wird. 
E-  heifst  dafelbft  nur,  dafs  1511  diefes  Werk  (der  Chor?)  vollendet  und  um  diefclbe  Zeit  ein 
Theil  der  Wölbung  des  Chores  hergeftclll  worden  fei.  Wo  die  fpätcre  Zeit  reparirt  hat,  wird 
weiter  unten  bemerkt  werden. 


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94  DIE  STADT  HALLE  tt.  d.  SAALKREIS. 


Mauerabfatz  an  der  Südfeite  aufmerkfam  macht,  bis  zu  welchem  von  Boden 
auf  die  Wand  noch  romanifch  fei,  fo  mul's  eingewendet  werden,  dafs  diefer 
Abfatz  aus  Gründen  des  hier  anliegenden  Kreuzganges  bez.  als  Mauer- 
verllärkung  unter  dem  Kaftfims  gemacht  worden  ilt.  Freilich  gaff  es  un- 
gefähr hier  bereits  feit  Anlegung  desKlolters  einen  Kreuzgang,  allein  wäre 
das  untere  Stück  der  heutigen  Kirchenmauer  deflen  Nordmauer,  fo  würden 
die  geringen  Reife  der  Wölbungsanfänge  (abgemeifselte  Kämpferconfolen . 
die  lieh  in  der  Kirchenmauer  linden,  doch  nothwendigerweife  romanifchen 
Stiles  fein,  während,  foviel  fich  überhaupt  erfehen  läfst,  lie  fpätgothifch  find. 
Ferner  haben  nicht  nur  die  tür  alt  gehaltenen  Fenfternifchen  in  dem  frag- 
lichen Mauerftück  keine  romanifche  Form  — fie  find  in  Bruchlfeinen  flach- 
bogig  überwölbt  — fondem  auch  das  Mauerwerk  l'elbit  zeigt  nicht  einmal 
romanifche  Technik.  Wie  befchaffen  letztere  ili  im  Vergleich  zu  der  fpät- 
gothifchen,  kann  an  Ort  und  Stelle  verglichen  werden,  wo  fich  der  romanifche 
Reit  klöfterlicher  Mauer  daneben  befindet.  Auch  die  Strebepfeiler  liehen 
in  gleich  gutem  Verbände  mit  diefer  untern  wie  mit  der  etwas  rück- 
fpringenden  obern  WandHäche.  find  alfo,  da  man  eine  nachträgliche  Ein- 
fügung der  Binderlteine  in  eine  alte  Mauer  beltimmt  erkennen  würde,  gleich- 
zeitig mit  der  ganzen  Mauer  aufgeführt;  ferner  zieht  fich  dicht  über  dem 
Erdboden  ein  rein  fpätgothifches  Sockelgefims  an  der  ganzen  Seite  entlang 
und  um  die  Strebepfeiler,  ein  Umftand,  der  beweift,  dafs  hier,  wenn  über- 
haupt etwas,  höchltens  die  Fundamente  noch  aus  romanifcher  Zeit  (lammen 
können.  Wäre  das  aber  der  Fall,  wäre  einfach  eine  Aufmauerung  aut  die 
romanifchen  Subltructionen  gemacht,  fo  müfste  der  Bau  als  romanifche 
Pfarrkirche  verhältnifsmäfsig  grofs  dimenfionirt  gewefen  fein.  Im  Anfchlufs 
hieran  ill  es  vielleicht  gerechtfertigt , anzunehmen , dafs  der  romanifche 
Kreuzgang  an  der  Stelle  des  jetzigen  Seitenfchiffes  lag  und  nachgehends 
als  gothilcher  gen  Norden  um  das  Maafs  der  Kirchenverbreiterung  parallel 
verfchoben  wurde.  In  Ermangelung  anderer  Nachrichten  ill  nach  alle 
dem  wahrfcheinlich,  dafs  der  Abbruch  der  erllen  Kirche  und  die  F'ort- 
fetzung  der  Mauern  nach  Wellen  feit  der  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  gefchah. 
wenngleich  das  Anfangs-  und  Endjahr  weder  beltimmt  angegeben  wird,  noch 
fich  vielleicht  überhaupt  beltimmt  angeben  läfst.  Denn  fchon der  Ausdruck: 
„es  wurd  ein  gut  Theil  der  Mauer  auffgebauet"  giebt  die  Art  an,  wie  man 
wohl  je  nach  den  gerade  vorhandenen  Mitteln  den  Fortgang  förderte,  näm- 
lich theilweife;  und  das  bellätigt  auch  die  bisher  von  allen  E'orfchem 
unbeachtet  gebliebene  Jahreszahl  1481,  (Fig.  46)  welche  fich  am  Schlufsltein  der 
weltlichen  Thür  in  der  Nordwand  befindet.  Bis  zu  diefem  Portale  alfo  war  man 
1481  gekommen  und  zwar  von  Ollen  her.  Da  nämlich  weltlich  von  diefem 
Eingänge  nur  noch  ein  Joch  liegt  und  dann  der  Thurm  folgt,  der  erfl  um 
mehr  denn  zehn  Jahre  fpäter  begonnen  wurde,  fo  mufs  das  „gut  Theil  der 
Mauer“,  welches  1466  erbaut  wurde,  öltlich  davon  gelegen  haben.  Mit  dem 
fchrittweifen  E'ortgange  des  Kirchenbaues  von  Olten  nach  Welten  llimmt 
denn  auch  die  in  diefer  Richtung  immer  fchlechter  werdende  Formenbildung1 


* Vergl.  auch  Stapels  Auffälzc  im  Hallifchen  patriot.  Wochenblatt,  Jahrg.  1838. 


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WE  ST.  MORITZKIRCHE. 


95 


ganz  ülserein.  Zugleich  ift  aller  auch  erfichtlich,  dafs  dasjenige,  was  über 
die  Errichtung  des  Daches  in  den  Jahren  1454 — 1469  gefagt  worden  ift.  lieh 
nur  auf  das  Dach  über  dem  öftlichen  Theile  beziehen  kann,  der  in  feinen 
Mauern  fertig  war. 

Zum  Entfchlufie  die  noch  fehlenden  Thür  me  — ob  die  romanifche 
Kirche  Thürme  hatte , ift  nicht  bekannt  — zu  bauen  , gelangte  man  erft 
1491  und  zwei  Jahre  darauf  ward  auch  in  festlicher  Weife  der  Grundftein 
dazu  gelegt.  Ein  Carl  Drachftädt  wird  uns  als  Baumeifter  genannt.  Es 
müden  indeffen  (vergl.  Dähne  S.  18,  Anm.  1)  Gründe  Vorgelegen  haben,  welche 
den  Thurmbau  fchliefslich  doch  nicht  weiter  gedeihen  liefsen  als  etwa  bis  zum 
Kirchendache.  Hier  hatte  man  von  Eachwerk  eine  Glockenftube  gegen 
Norden  (vergl-  die  Abbildung  in  der  Halygraphia  des  Olearius)  ähnlich,  wie 
de  heute  noch  an  der  Ulrichskirche  ift.  erbaut  und  dabei  verblieb  es  zwei 


Fig.  46. 


Srhlufsftein  am  Weftportlle  4er  Nordwand. 


Jahrhunderte  lang.’  Dann  mufste  fie  der  Schadhaftigkeit  wegen  ab- 
genommen werden  und  „des  Ra ths  Zimmermann  A dam  Gerber"  erhielt 
nun  den  Auftrag,  einen  Thurm  zu  errichten,  den  er  aus  Fachwerk  herrteilte 
und  1697  vollendete  (vergl.  v.  Dreyhaupt’s  Abbildung,  Befchreibung  u.  f.  w.) 
Diefer  Thurm,  obwohl  unconrtructiv  gebaut,  ftand  dennoch  bis  1789.  Da 
aber  war  er  fo  baufällig  geworden,  dafs  es  die  höchfte  Zeit  wurde,  ihn  herabzu- 
nehmen; allein  noch  während  feines  Abbruches  ftürzte  er  zufammen,  theil- 
weife  den  .Saalarm  verfchüttend.  Seit  180z  lieht  die  jetzige  Glockenftube, 
das  übriggebliebene,  maffive  Gefchofs  des  Thurmes  von  1697. 

Ift  hiermit  der  Hauptfache  nach  klar  gelegt,  wie  die  heutige  Moritz- 
kirche  entllanden  ift,  fo  verbleiben  doch  noch  einige  Punkte  der  Entllehungs- 


1 Außerdem  befand  fich  noch  ein  fchlankcr  Dachreiter  von  ziemlicher  Hohe  ungefähr  in 
der  Mitte  des  Daches.  Er  haue,  wie  man  auf  allen  Bildern  ficht,  fpXlgothifche  Form.  Mit  der 
Irlockcnftube  wurde  er  gleichzeitig  feiner  Schadhaftigkeit  wegen  abgenommen. 


Die  Thürme. 


Die  Zahlen  an 
den  Pfeilern. 


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96 


DIE  STADT  HA  IXE  u.  d.' SAALKREIS. 


gefchichte  im  Befonderen  zu  befprechen.  Dahin  gehört  zunächlt.  warum  lieh 
an  den  Pfeilern,  welche  gerade  aut  der  Grenze  der  beiden  Hauptgebäude- 
theiie  liegen,  die  Jahreszahlen  aut  dem  nördlichen  1 504  (Fig.  .,7),.  auf  dem 

FiR.  47- 


Jahreszahl  am  mittleren  Nordpfeiler. 


füdlichen  1508  (Fig.  48)  auffällig  angebracht  finden,  alfo  gerade  an  der 
Stelle,  wo,  wie  wir  zuvor  nachgewiefen  zu  haben  glauben,  um  die  Mitte 

Ki«.  48. 


Jahreszahl  am  mittleren  Sudpfeiler. 


des  15.  Jahrhunderts  die  weltliche  Kirchenhälfte  gegen  Wi  llen  fortfebreitend 
zu  bauen  angefangen  wurde. 


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DIE  ST.  MORITZKIRCHE. 


g; 


Ich  geftehe  nun  vorweg,  dafs  es  mir  nicht  gelungen  ift,  ficher  zu  be- 
gründen. worauf  diefe  Jahreszahlen  (ich  beziehen.  Indeflen  wird  es  doch  mög- 
lich fein,  nachzuweifen,  dafs  auch  die  bis  jetzt  hierüber  aufgeftellten  Anfichten 
unhaltbar  find.  Wir  übergehen  die  älteren  und  diejenigen  neueren  Forfcher, 
die  mit  jenen  gemeint  haben,  das  verkehrt  — als  Spiegelbild  — ftehende 
Zahlzeichen  der  5 in  1508  fei  eine  z,  die  alfo  1208  lefen  und  dann  in  Anbetracht 
diefer  alten  Zahl  die  viel  neuere  1504  gar  nicht  weiter  berückfichtigen. 
Heute  kann  über  diefen  Punkt  fchon  angefichts  der  fpätmittelalterlichen 
Form  der  anderen  drei  Zahlzeichen  kein  Zweifel  mehr  obwalten. 

Wir  haben  es  darnach  nur  noch  mit  Stapel’s  und  Dähne's  Meinung  zu  thun. 
Da  die  beiden  Zahlen  fo  aulfällig  angebracht  find,  nämlich  beide  in  gleicher 
Höhe  unter  dem  auf  fimsartiger  Confole  flehenden  örtlichen  Pfeilerdienfte,  1504 
an  hochreliefirtein  Schilde  und  1508  an  einer  flachen,  länglich  rechteckigen 
Tafel,  fo  beziehen  fie  fich  wohl  auf  eine  umfangreichere  Arbeit  an  dem  Kirchen- 
gebäude  und  beweifen  wenigftens  fo  viel,  dafs,  wenn  auch  nicht  die  beiden 
Pfeiler,  an  denen  fie  flehen,  um  die  genannten  Jahre  ganz  hergeftellt  find, 
wie  Stapel  meint,  doch  an  den  Pfeilern  zu  diefer  Frift  gearbeitet  worden  ift. 
Freilich  wurde  nicht,  wie  Stapel  aufserdem  meint,  an  dem  Aufbau  der  ört- 
lichen Hälfte  bis  zu  diefer  Zeit,  mithin  120  Jahre  gearbeitet;  wir  verweifen 
auf  die  fchon  oben  angeführten  und  in  der  Befchreibung  noch  anzuführenden 
Gründe  über  die  ftiliftifche  Einheitlichkeit  des  ganzen  öftlichen  Theiles  als 
einen  fchlagenden  Beweis,  den  Stapel,  der  Baumeifter,  erkennen  mufste; 
was  aber  an  den  Pfeilern  gearbeitet  wurde,  werden  wir  fehen,  nachdem 
wir  Dähne’s'  Meinung  kennen  gelernt  haben.  Er  läfst  mit  Bezug  auf 
ein  1841  im  Altäre  gefundenes  Document,  welches  in  einer  vorauf- 
gegangenen Bemerkung  fchon  erwähnt  ift,  um  jene  Zeit  den  öftlichen  Theil 
durchgreifend  reparirt  werden  und  zwar  von  Wellen  d.  i.  von  den 
Pfeilern  mit  den  Jahreszahlen  1504  und  1508  an  nach  dem  Chore  zu,  wo 
man  dann  1510  mit  der  Reparatur  des  Gewölbes  fertig  gewefen  fein  foll. 
Es  fleht  nämlich  die  Zahl  1510  mit  goldenen  Zeichen  auf  fchwarzem  Grunde 
in  dem  Schlufsfteine  einer  Rippe  ganz  ölllich  über  dem  Altäre.  Im  folgenden 
Jahre  habe  man  dann  das  ganze  Werk  nach  Inhalt  des  erwähnten  Documents 
fertig  gehabt.  Dafs  mit  keiner  Silbe  von  einer  Reparatur  des  Ofttheiles  in 
dem  Schriftflück  gemeldet  wird,  haben  wir  oben  fchon  gezeigt;  fleht  man 
fich  den  fraglichen  Theil  des  Textes,1  den  Anfang,  nun  aber  im  Wortlaut 
an,  fo  fällt  Dähne's  Irrthum  fogleich  in  die  Augen : „Anno  domini  millesimo 
quingentcsimo  undecimo  perfedum  est  hoc  opus  per  quendam  Georgium 
lhcner  de  orlamunde  sub  regimine  vencrabilis  domini  praeposiii  Theoderici 
Opperhausen  anno  sui  regtminis  viersimo  oefavo  de  sumptibus  monasterii.“ 
Darnach  ift  es  nicht  möglich,  das  hoc  opus  anders  als  auf  den  Altar  zu 
beziehen.  Vollends  irrig  zeigt  fich  der  Bezug  auf  den  K irchenb  au,  weil  der 
Text  alfo  fortfährt;  „Kt  circa  idem  (leg.  eadem)  tempora  perfecta  est  pars 
testudinis  chon  usque  ad  gradus  sanctuarü“ ; denn  zuerft  wäre  das  Ganze 


1 Siebe  auch  Eckftein:  ,,/ ncerti  auctoris  chtonioa  montis  screni " pag.  58  und  59,  An- 
merkung. 

ß.  D.  d.  Bau  - u.  Kunsld.  N.  F.  I.  7 


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98 


DIE  STADT  HAI.LF.  u.  d.  SAALKREIS. 


und  dann  noch  ein  befonderer  Theil  erwähnt  ohne  jeden  Grund.  Klarer  aber  als 
alle  Documente  führt  die  fteinerne  Formenfprache  des  Gewölbes  den  Beweis, 
die  Dähne  allerdings  nicht  verftand.  Ihre  an  Wölbweife  und  Rippenprofil 
fichtbaren  Redewendungen  find  vor  dem  16.  Jahrhundert  kaum  möglich, 
ganz  undenkbar  aber  fchon  im  14.  Jahrhundert  zur  Entflehungszeit  der  ältlichen 
Mauern  und  Pfeiler.  Die  Zahl  1510  im  Schlufsltein  kann  fich  alfo  nicht  auf 
die  Reparatur,  fondern  nur  auf  die  Herltellung  des  Gewölbes  beziehen,  wie 
ja  das  Document  auch  ganz  einfach  das  und  nichts  anderes  befagt. 

Auf  diefe  Weife  ift  nun  zwar  nachgewiefen,  dafs  Stapel’s  und  Dähne's 
Meinungen  über  die  Zahlen  1504  und  1508  irrig  find,  zugleich  ill  die  Zeit  der 
Einwölbung  des  Chores  beltimmt,  allein  wir  liehen  trotzdem  immer  noch 
vor  der  Frage,  was  denn  eigentlich  die  Zahlen  hier  befagen  follen.  Bis  jetzt 
ift  es  allein  möglich  anzunehmen,  dafs  durch  fie  die  Beendigung  des  „theil* 
weife“  und  in  vielen  Jahren  entltandenen  Welttheiles  angegeben  wird.  Wie 
aber  käme  es  dann,  dafs  fie  gerade  da  liehen,  wo  doch  die  Bauarbeit  der 
Wellhälfte  erweislich  ihren  Anfang  genommen  hat,  um  gen  Welten  fort- 
zufchreiten?  Warum  alfo  liehen  fie  nicht  vielmehr  an  den  Thürmen?  Während 
der  langen  Bauzeit  der  weltlichen  Partie  wurde,  deffen  darf  man  ficher  fein, 
die  örtliche  zum  Gottesdienlie  benutzt  und  war  deshalb  durch  eine  proviforifche 
Wand  weltlich,  d.  h.  alfo  gerade  zwilchen  den  jene  fraglichen  Jahreszahlen 
tragenden  Pfeilern  gefchlofsen.  Als  nun  die  Wefthälfte  fertig  und  das 
Thurmmauerwerk  zu  einer  Höhe  gekommen  war,  die  zum  Abfchlufs  des 
Schiffes  im  Werten  hinreichte,  was  vermuthlich  gerade  1504  bez.  1508  gefchah, 
mufste  natürlich,  um  endlich  beide  Theile  der  Kirche  zu  vereinigen, 
die  proviforifche  Wand  entfernt  werden.1  So  kam  es,  dafs  die  Jahres- 
zahlen der  Baubeendigung  nicht  an  den  Thürmen,  fondern  an  diefen  Pfeilern 
angebracht  wurden,  denn  der  Act  der  endlichen  Vereinigung  beider  Kirchen- 
hälften war  für  die  Baubeendigung  das  eigentlich  wichtige  Ereignifs,  wichtiger 
jedenfalls  als  die  Aufführung  der  Thürme  zu  einer  gewilTen  nothwendigen 
Höhe.  So  kommt  es  auch,  dafs  durch  das  Niederreifsen  diefer  Zwilchenwand. 
welche  ihrer  beträchtlichen  Höhe  wegen  mit  den  Pfeilern  gewifs  im  Ver- 
bände Hand,  eine  umfangreichere  Arbeit  an  den  Pfeilern  um  diefe  Zeit  vor- 
zunehmen war.  Hierdurch  wird  wiederum  verrtändlich , weshalb  jene  die 
Infchriften  tragenden  Quader  in  durchaus  regulärem  Verbände  mit  den 
nachbarlichen  Steinen  liehen  und  nicht  etwa  die  Kennzeichen  einer  nach- 
träglichen Einfügung  zeigen,  wiewohl  doch  die  Pfeiler  felblt  fchon  feit  dem 
14.  Jahrhundert  vorhanden  waren.  Das  läfst  fich  namentlich  vom  Sockel 
und  von  den  unteren  Schichten  fagen,  wo  ohne  Zweifel  anfänglich  der  örtliche 
Dienft  an  beiden  Pfeilern  bis  auf  den  Fufsboden  herabging,  dann  aber,  als 
man  den  Sockel  im  Gefchmack  der  Zeit  des  anfangenden  16.  Jahrhunderts 


1 Dafs  wir  es  hier  mit  zwei  Daten  in  einem  Zeituntcrfchiede  von  vier  Jahren  zu  thun 
haben,  fcheint  unwefentlich,  weil  ja  der  Abbruch  der  Scheidemauer  aus  irgend  welchen  Gründen 
verzögert  oder  ftückweife  erfolgt  fein  kann;  dafür  fpricht  auch,  dafs  eine  grofse  Feierlichkeit 
bei  diefer  Gelegenheit  wahrfcheinlich  nicht  futlgefunden  hat,  weil  fonft  wohl  von  einem 
Chroniftcn  irgend  welche  Aufzeichnung  darüber  gemacht  und  auf  uus  gekommen  wäre. 


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DIR  ST.  MORITZKIRCHR. 


99 


umänderte,  auf  einige  Meter  Höhe  befeitigt  wurde  und,  weil  er  höher  hinauf  be- 
lieben blieb,  zur  Unterftützung  eine  fimsartige  Confole  erhielt,  unter  welcher 
die  Jahreszahl  angebracht  iß. 

Wollte  man  aber  das  anfängliche  Vorhandenfein  eines  bis  zum 
Boden  herabgehenden  Dienftes  in  Zweifel  ziehen  und  formt  die  Entftehung 
des  ganzen  Pfeilers  in  feiner  heutigen  Geftalt  in  den  Anfang  des  i6.  Jahr, 
hunderts  legen,  weil  nämlich  die  nach  ft  örtlichen  Pfeiler  in  gleicher 
Höhe  ebenfolche  Confolen  zur  Unterftützung  ihres  weltlichen  Dienftes  haben 
und  diefer  Dienft  fich  oben  capitällos  als  Arkade  fortfetzt  wie  der  örtliche 
Dienft  der  Theilungspfeiler,  um  mit  letzterem  im  Scheitel  zufammen- 
zutreffen.  fo  wäre  das  nicht  richtig  und  der  Irrthum  dadurch  zu  erweifen 
dafs  diefe  Confolen  der  nächft  örtlichen  Pfeiler , die  keine  Infchrift  haben, 
thatfächlich  erft  nachträglich,  vielleicht  erft  zur  Barockzeit,  eingefetzt  lind, 
um  dem  Arkadenbogen  Symmetrie  zu  geben.  Urfprünglich  ging  auch  hier 
der  Dienft  vermittelft  eines  Sockels  bis  zum  Fufsboden  herab,  allein,  da  an 
diefe  Pfeiler  nicht  angebaut  war,  fo  war  nur  nöthig,  einerlei  wann  immer 
das  gefchehen  fein  mag,  eine  Confole  einzufügen,  nachdem  man  die 
unterften  Theile  des  Dienftes  abgemeifselt  hatte.  Ganz  deutlich  erkennt 
man  denn  auch  die  nachherige  Einfügung  des  Confolfteines  in  das  fchon 
vorhandene  Mauerwerk  an  den  Fugen  diefes  Steines;  fie  lallen  erfehen, 
dafs  er  in  einen  anderen,  greiseren,  glatten  Quader  einfach  eingefchoben 
ift,  alfo  ein  Verband  mit  dem  Mauerwerk  nicht  ftattfindet. 

Unmittelbar  an  diefe  Erörterungen  knüpfen  fich  noch  folche  über  die  Zeit  der  r,e- 
Entftehungsfrage  des  Kirchengewölbes.  Als  Carl  Drachftädt  die  wtll,>cent('c,n,",; 
Thurmpartie  bis  zum  Dache  geführt  hatte,  mithin  auch  im  Werten  ein  monumen- 
taler Abfchlufs  vorhanden  war  und  der  nunmehr  fertige  Welltheil  des  Baues 
mit  dem  älteren  örtlichen  ein  grofses  Schiff  bildete,  da  mag  es  den  Mönchen 
und  Kirchenvätern  zu  St.  Moritz  doch  wohl  befter  erfchienen  fein,  anftatt 
dieThürme  durch  koftfpielige  und  luxuriöfe  Helme  zu  vollenden,  erft  einmal 
die  Einwölbung  ihres  herrlichen  Kirchenraumes  zu  bewirken.  Man  begann 
natürlich  am  Chor  und  war  damit,  wie  wir  bereits  gefehen  haben,  im  Jahre 
1510  bis  an  die  Stufen  des  Sanctuariums  gekommen.  Es  frägt  fich  nun, 
wann  der  übrige,  bei  weitem  gröfsere  Theil  der  Kirche  fertig  eingewölbt 
wurde.  Nachrichten  find  darüber  gar  nicht  vorhanden,  nur  befand  fich  bis 
in  das  fünfte  Jahrzehnt  unferes  Jahrhunderts  die  Jahreszahl  1557  am  welt- 
lichen Theile  des  Gewölbes.  Sie  ftand  dicht  neben  dem  Gurtbogen  zwifchen 
den  beiden  Gewölbehälften  und  bezog  fich  einer  Nachricht  Schubart’s 
zufolge  auf  eine  Renovation  der  Kirche  durch  Nickel  Hofman.1  ln  der  That 


1 Dähne  fchreibl,  dafs  die  Zahl  bei  der  letzten  Hauptreparatur  „verwifcht“  fei-  Es  fragt 
lieb  nun,  ob  fie  damals  nur  iiberputzt , oder  ob  fie  abgemeifselt  worden  ift.  Im  erfleren  Falle 
wäre  fie  noeb  vorhanden,  und  es  liefse  fich  vielleicht  aus  der  Art  und  Weife  ihrer  An- 
bringung u.  f.  w.  noch  einiges  mehr  erfehen,  namentlich  was  aus  allen  Erwähnungen  diefer 
Zahl  nicht  hervorgeht,  ob  fie  allein  fiand,  oder  noch  von  irgend  welchen  Notizen  begleitet  war; 
denn  gerade  Hofman  fügte  gern  fein  Zeichen,  feines  Namens  Anfangsbuchfiaben  oder  einen 
Spruch  bei.  Bei  einer  Renovirung  des  Gewölbes  wäre  jedenfalls  auf  diefe  Zahl  zu  achten. 

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IOO 


DIE  STAUT  HALF.  u.  d.  SAALKREIS. 


ift  auch,  wenn  man  die  Steine  befragt,  der  Umtang  diefer  Hofman'fchen 
Arbeit  fehr  wohl  ausfindig  zu  machen.  Das  Gewölbe  hat  nämlich  zwei 
Rippenprofile.  Das  eine,  Fig.  4g  findet  man  vorwiegend  und  es  hat  eine 
Form,  die  allerdings  eine  ganz  fpäte  Gothik,  aber  doch  noch  eine  etwas 
frühere  Zeit  verräth  als  die  des  anderen,  Fig.  50,  welches  fich  nur  im  erften 
Joche  örtlich  (hier  nicht  einmal  in  den  beiden  Seitenfchiffen)  und  in  den 


beiden  erften  weltlich  von  dem  trennenden  Gurtbogen,  alfo  nur  da  befindet, 
wo  Nickel  Hotman's  Infchrift  ftand  und  wo  er  alfo  das  vorhandene,  aber 
fchadhaft  gewordene  Gewölbe  wieder  hergeftellt  haben  mufs.  Diefes 
Profil  (Fig.  50)  ift  bezeichnend  tür  den  Meifter  Hofman; 1 er  hat  es  überall, 
am  ausgedehnteften  in  der  Marktkirche  verwendet.  Eine  Gewölbereparatur 
wurde  an  den  genannten  Jochen  nothwendig,  weil  an  diefer  Verbindungsftelle 
der  beiden  verfchiedenzeitigen  Bauten  die  Mauern  und  Strebepfeiler  nicht 
folid  genug  waren  und  dem  Gewölbefchube  nachgegeben  hatten:  denn  auch 
auf  das  Fenftermaafswerk  hat  fich  die  Reparatur  erftreckt,  weil  dasfelbe  in 
diefen  Jochen  Hofman'fche  Art  zeigt.  Aufser  jenen  Stücken,  die  (durch 
ihr  Rippenprofil  fich  als  1 lofman's  Reftaurationsarbeit  von  1557  kennzeichnen, 
ift  alfo  das  Gewölbe,  zu  dem  man  1510  am  Chor  den  Anfang  machte,  in 
den  nächften  Jahren  wohl  von  demfelben  Baumeifter  — ob  es  Carl  Drachftädt 
war,  ift  nicht  bekannt  — fortgefetzt  und  ganz  fertig  geftellt  worden ; denn 
das  bezeugt  das  erde  Profil  (Fig.  4g)  deutlich,  welches  durchweg  vorhanden 
gewefen  ift  und  fogar  unter  den  Thürmen  vorkommt  gleicherweife  wie  ara 
Chor  bei  der  Jahreszahl  1510. 

Anfuhren  müffen  wir  noch,  dafs  auch  das  Gewölbe  der  Vorhalle 
im  Süden  der  Rippenzeichnung  nach  durch  Hofman,  wenn  nicht  fpäter, 
gemacht  ift. 

Den  Schlufs  der  Entftehungsgefchichte  des  Gebäudes  foll  die  Aufzählung 
Reparaturen,  der  h au p t fächlichften  Reparaturen  bilden;  denn  auch  diefe  haben 
das  Bild,  welches  das  Bauwerk  in  heutiger  Zeit  gewährt,  nicht  unwefentlich 
mit  beftimmt.  Nachdem  fich  die  Annahme  einer  Reparatur  zu  Beginn  des 
16.  Jahrhunderts  als  irrig  erwiefen  hat,  dürfte  zuerft  Nickel  Hofman  die 


1 Damit  ift  nicht  gefegt,  dafs  er  cs  zuerft  oder  allein  in  Halle  gebraucht  hat;  es  kommt 
hier  vielmehr  fchon  vor  feiner  Zeit  vor. 


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DIE  ST.  MORITZ  KIRCHE.  IOI 

Kirche  1557  reftaurirt  haben;  die  Art  und  Ausdehnung  feiner  Arbeit  ill 
foeben  näher  befchrieben  worden,  bei  der  Befchreibung  der  Details  wird 
darauf  zurückzukommen  fein.  1612  und  1758—  1770  erneuerte  man  das  Dach; 
es  bleibt  jedoch  ungewifs,  ob  diefe  Wiederherllellungen  fich  nur  auf  die 
Schiefereindeckung  oder  auch  auf  das  Gefpärre  erllreckten.  ln  den  beiden 
folgenden  Jahren  erhielten  die  Fenfter  neue  Verglafung ; die  vormalige  beltand 
aus  Butzenfcheiben;  Glasmalerei  wird  nicht  erwähnt.1  1782  wurde  das 
Kircheninnere  geweifst  und  renovirt,  ohne  nachweisliche  Spuren  zu  hinter- 
lafTen.  Es  finden  fich  aber  unter  der  jetzigen  Tünche  an  den  Kreuzpfeilem 
der  Thürme  und  an  dem  Pfeiler,  der  der  Kanzel  gegenüber  liegt  (auch  fonft 
wohl  noch  z.  B.  über  der  Moritzftatue  ?)  Spuren  von  Malereien,  die  fpätellens 
um  diefe  Zeit  entbanden  find,  falls  fie  nicht  fchon  in  das  17.  Jahrhundert  fallen. 
1810  und  1811  find  aufser  Dachreparaturen  Erneuerungen  an  den  Strebe- 
pfeilern der  nördlichen  und  örtlichen  Seite  vorgenommen,  weil  diefe  Pfeiler 
theilweife  einftürzen  wollten.  Diefe  Reparatur  hat  denn  auch  die  deut- 
lichften  Spuren  dadurch  hinterlalfen.  dafs  die  Ornamente  an  jenen  Stücken 
befeitigt  worden  lind,  aut  welche  fie  lieh  erftreckte.  Ein  Vergleich  der 
Strebepfeiler  auf  unferer  Zeichnung  Fig.  51,  mit  denen  auf  der  Abbildung 
von  Dreyhaupts  läfst  jene  reparirten  Theile  erkennen.  Doch  diefe 
Rellauration , wenn  man  eine  lediglich  auf  die  Haltbarkeit  rückfichtigende 
Ausbelferung  fo  nennen  darf,  war  nur  ein  erfter,  unabweisbarer  Schritt 
zu  den  Arbeiten,  die  feit  den  Verwüftungen  durch  Sturm  1833  vor- 
genommen werden  mufsten.  1838,  nachdem  fchon  ein  Vorfchlag  zum 
gänzlichen  Abbruch  der  Kirche  feitens  des  Bürgermeifters  gemacht  war, 
konnte  man  am  Aeufseren  weiter  repariren.  Vor  allen  waren  es  die 
Strebepfeiler  an  der  Apfis  des  füdlichen  Seitenfchiffes,  die  jetzt  fall  ganz 
unter  Weglaffung  jeden  Zierrathes  erneuert  wurden;  in  gleicher  Weife 
befferte  man  das  Hauptfilms  aus;  an  dem  Fehlen  der  Zierrathe  erkennt  man 
denn  auch  hier  fehr  gut,  welche  Ausdehnung  die  Herftellung  hatte.  Zwifchen 
die  Strebepfeiler  an  der  Nordfeite  waren,  wie  heute  noch  in  der  Markt- 
kirche, Stübchen  (im  17.  Jahrhundert?)  mit  einem  Einblicke  in  das  Kirchen- 
innere eingebaut  worden.  Auch  fie  wurden  jetzt  fortgenommen  und  die  Mauer- 
öffnungen wieder  gefchloffen.  Unfer  Jahrhundert  übertrifft  durch  feinen 
Reftaurationsbarbarismus  zumeift  feine  Vorgänger;  im  Inneren  der  Kirche 
hat  man  1841  den  ehemaligen  Ausbau  völlig  befeitigt,  namentlich  die 
herrlichen,  eichenholzgefchnitzten  Emporen;  dafür  find  die  jetzigen  Sitze 
hcrgeftellt  und  ift  der  Fufsboden  fowie  der  Altarplatz  erneuert. 

E«  ift  erklärlich,  dafs  aufser  diefen  uns  durch  fchriftliche  Nachlaße 
bekundeten  Reparaturen  noch  manche  kleinere  unbekannten  Datums  vor- 
gekommen find;  fo  hat  man  unter  anderen  die  Fenfterpfoften  mit  ihren  Maafs- 
werk  fall  in  allen  Fenftern  erneuert  und,  da  das  ftückweife  und  zu  ver- 
Ichiedenen  Zeiten  gefchehen  ift,  haben  fie  ihr  altes  Ausfehen  bewahrt; 
manches  verwitterte  Pfeilerftück,  mancher  Abdeckungsftein  ift  neu  eingefetzt, 
ohne  dafs  die  Zeit  zu  ermitteln  wäre.  (Anzumerken  ift  hier  als  Bauver- 

1 Die  jetzige  Verglafung  mil  Glasmalereien  am  Chor  ill  1881  und  1882  gemacht. 


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102 


DIE  STADT  HALLE  n.  d.  SA.VLKK  EIS. 


änderung,  wenn  auch  nicht  als  Renovirung,  dafs  1806 — 1808  bei  Gelegenheit 
der  Pfarrhausbauten  der  Kreuzgang,  fo  viel  fich  davon  an  der  Südfeite  der 
Kirche  entlang  erhalten  hatte,  abgebrcohen  wurde). 

Bcfchreibungder  Von  der  Unterfuchung  der  eigentlichen  Baugefchichte  kommen  wir  zu 
tfoman'ifche  der  Befchreibung  der  Bautheile  und  der  Würdigung  der  kiinft- 
Siücke.  lerifchen  Leiftungen. 

Wenn  wir  annehmen,  dafs  die  romanifchen  Simsllücke  auf  der  Xord- 
wand  der  Oftpartie  der  Kirche  ehemals  zu  dem  alten  Baue  von  1156  gehört 
haben,  fo  kündigt  fich  darin  eine  eigene,  abweichende  Verzierung  diefer 
erften  Kirche  an.  Unfere  Zeichnung,  Fig. 45  zeigt  eine  flache  Kehle,  die 
mit  fcheibenartigen,  erhabenen  Ovalen  und  länglichen,  fchrägen  Vierecken 
■n  einfacher , rhythmifcher  Ordnung  belebt  ift.  Diefer  Schmuck  ift  offenbar 
romanifch,  aber  man  findet  ihn  in  hiefiger  Gegend  nicht  weiter:  fpürt  fich 
in  ihm  vielleicht  wendifcher  Einflufs? 

Der  Ofuheil.  Nach  diefen  Stücken  find  die  Formen  des  oft  1 ichen,  ganz  in  regelrechtem 
Quadermauerwerk  erbauten  Kirchentheiles  die  älteften.  Fig.  5 1 . Zur  Zeit  ihrer 
Entftehung  1388  begann  der  gothifche  Stil  fchon  feine  ftrengen,  lediglich  von 
conftructiven  Gedanken  ausgehenden  Gefetze  zu  verlaffen,  um  fich  mehr 
und  mehr  in  decorativer  Pracht  und  conftructiven  Spielereien  zu  ergehen. 
Immerhin  liegt  noch  viel  wahrhafte  Schönheit,  man  kann  hier  auch  Tagen 
fchöne  Wahrheit,  in  der  Architektur  diefer  Zeit  fpeciell  in  der  unferer 
Kirche,  fo  weit  fie  aus  diefer  Zeit  flammt.  Abgefehen  von  der  klaren,  ver- 
flandesmäfsigen  Einfachheit,  die  jeder  Hallenkirche  eigen  ift  als  der  Aus- 
druck jenes  bürgerlich  deutfchen  Sinnes,  der  fie  erzeugt  hat,  liegt  in  der 
architektonifchen  Gruppirung,  in  dem  Abwägen  der  Mafien,  in  der  Pro- 
portionirung  der  Theile,  kurz  in  den  eigentlichen  architektonifchen  Linien 
diefes  Gebäudetheiles  noch  der  volle,  poetifche  Zauber  mittelalterlicher, 
romantifcher  Kunft.  Die  erwähnte  Einfachheit  legt  fich  hauptfächlich  im 
Grundrifs  dar:  ein  Querfchiff  fehlt,  alle  drei  Langhausfchiffe  fchliefsen  im 
Often  durch  einfache  regelrechte  Apfiden,  die  durch  zwei  undurchbrochene 
Wände  getrennt  find.  Das  Mittelfchiff  hat  öftlich  eine  Jochlänge  mehr,  ohne 
fich  jedoch  zu  verbreitern  oder  ohne  eine  gefuchte  Löfung  zu  erhalten, 
wie  man  fie  derzeit  liebte. 

Dem  entfprechend  ift  der  äufsere  Aufbau  ebenfalls  einfach,  klar 
und  verftandesmäfsig,  weil  eine  reichere  Gruppenbildung  durch 
Querfchiff,  Kapellenkranz  u.  f.  w.  wegfällt  und  Perfpectiven  durch  hohe, 
kühne  Strebebögen,  womöglich  doppelt  und  maafswerkdurchbrochen 
wie  an  den  grofsen  Kathedralen,  das  Auge  weder  reizen  noch  ver- 
wirren können ; felbft  die  Harken  Strebepfeiler  haben  nicht  einmal  eine  ganz 
freie  und  hoch  in  die  Luft  ragende  Fiale  als  Bekrönung;  das  Auge  wird 
nur  durch  den  Rhythmus  von  Pfeiler  und  Fenfter  befchäftigt,  und  diefer- 
Wechfel  von  hell  und  dunkel  reicht  auch  mit  einigen  Aenderungen  in  den 
Breitenmaafsen  der  F'enfter  zur  Geftaltung  der  drei  Apfiden  an  der  Chor- 
partie aus.  Gleich  ungefucht  bildet  lieh  im  gothifchen  Sinne  das  Dach, 
welches,  wenn  man  es  felbft  über  ein  halbes  Jahrhundert  fpäter  als  die  Mauern 
gemacht  hat,  doch  von  Anfang  an  fo  entworfen  war,  wie  es  ausgetührt  ift. 


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DIE  ST.  M0K1TZKIKCHK. 


I°3 


Das  Satteldach  der  Kirche  walmt  (ich  am  Chor,  den  freiliegenden  Seiten 
der  drei  Apliden  entfprechend,  ab;  alleWalme  gehen  bis  zu  derfelben F'irft- 
höhe  empor,  mit  Rückficht  auf  ihre  verfchiedene  Lage  aber  treffen  ihre 
Spitzen  nicht  in  demfelben  Punkte  zufammen,  fondern  in  zweien  von  einer 
durch  den  Vorfprung  des  Mittelfchiffes  hervorgerufenen  Entfernung.  Für 
das  Mittelfchiff,  fo  weit  es  örtlich  vortritt,  ift  die  Dachneigung  wegen  der 
gleichbleibenden  Firfthöhe  fteiler  als  die  für  das  dreifchiftige  Langhaus 
hinter  dem  Punkte,  wo  durch  die  von  Norden  und  Süden  zufammenlaufenden 
Wahne  der  Nebenchöre  das  Dach  des  Langhaufes  entlieht. 1 

Es  ift  alfo  noch  überall  eine  Anordnung  der  hauptfächlichften  Gebäude- 
theile  nach  gefunden,  weil  aus  conftructiven  Bedingungen  entftandenen 
Grundlatzen  erfolgt,  und  darin  liegt  unbedingt  die  Haupturfache  einer  reiz- 
vollen Wirkung  für  diefe  fowie  für  jede  Architektur , falls  dabei  nicht  blofs 
die  nüchterne  Nützlichkeit  zu  Tage  tritt.  Namentlich  ift  die  Gothik  von  der 
Conftruction  abhängig;  fie  geht  zurück,  fobald  fie  fich  über  diefelbe  hinweg 
hebt  oder  auch  ohne  conftructiven  Zwang  fchafft.  Letzteres  hat  bereits  an 
der  Moritzkirche  ftatt,  und  damit  kennzeichnet  ihre  Architektur  den  Verfalls- 
anfang des  gothifchen  Stiles;  den  Anfang,  denn  noch  liehen  die  Strebe- Strebepfeiler 
pfeiler  in  verftändiger  Ordnung  neben  einander,  fchlank  aufftrebend,  aber  in 
compacter  Made,  die  fichtbarlich  dem  auf  die  Rippen  übertragenen  Gewölbe- 
fchube  (falls  der,  für  den  fie  bemefTen  lind,  vorhanden  wäre)  widerftehen 
kann.  Wie  der  deutfehe  (hallefche)  Bürgersmann  jener  Zeit  erheben  fie  fich 
auf  einem  engbegrenzten  Raume  zu  gemeinfamem  Werke  himmelan;  ihre 
Bildung  ift  kraftvoll,  aber  in  Grofsem,  in  der  Silhouette,  doch  von  ziemlich 
einfacher  Art.  Diese  Einfachheit  geht  jedoch  keineswegs  auf  die  zierenden 
Details  über,  im  Gegentheil  fie  verwandelt  fich  hier  in  Ueppigkeit,  und  es 
nimmt  die  Omamentation  eine  Ausdehnung  an,  die  die  Grenzen  des  guten 
Gefchmackes  fchon  durchbricht  und  damit  die  erften  Merkmale  des  Ver- 
falls liefert.  Schon  dafs  das  Kafffims  fich  nicht  feitlich  an  den  Strebe- 
pfeilern durchzieht  und  einen  Mauerrückfprung  markirt,  fondern  fich  ohne 
Abfatz  nur  an  der  Vorderfeite  durch  ein  Simsftück  andeutet,  ift  auffällig. 

Die  Pfeiler  erheben  fich  dann  zweihüftig.  Bis  zum  erften  der  Ablatze  be- 
halten fie  ihre  rechtwinkliche  Grundform,  die  mit  einer  Fläche  nach  vorn 
endet.  Letztere  wird  durch  eine  Blendarkade  mit  Maafswerk  belebt.  Es 
find  zwei  je  mit  einem  fpitzen  Giebelchen  bekrönte  Bögen,  an  deren  ge- 
meinfamen  Mittelpfoften,  dicht  über  dem  Kafffimfe  auf  Confolen  und  unter 
Baldachinen  Statuen  flehen.  An  den  Pfeilern  des  MittelfchifFchores,  die 
fchon  feit  den  firüheften  Zeiten  chriftlicher  Kunft  in  der  Regel  decorativ  be- 
vorzugt wurden,  fetzt  fich  diefe  Arkade  auch  feitlich  fort.  Der  Pfeilerrück- 
fprung  über  der  Arkade  ift,  da  er  durch  eine  Abfchrägung  der  Ecken  ge- 
fchieht,  der  eine  fcharfe  Pfeilerendigung  nach  vorn  zur  Folge  hat,  für  die 
Silhouette  nicht  bemerklich;  fie  bleibt  auf  diefe  Weife  vom  Sockelgefims 


1 Die  Dachbildung  am  Chor  ift  auf  v.  Drcyhaupt’s  Bilde  verzeichnet.  Es  findet  fich 
dafelbft  auch  noch  ein  thurmähnlich  überdachter  Glockenftuhl  gezeichnet,  der  heute  durch  einen 
plumpen  Knopf  erfetzt  wird. 


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104  niF  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 

zum  zweiten  Rückfprunge  eine  fenkrechte  Linie,  die  nur  durch  einige  Vor- 
fprünge  (Giebel,  Kreuzblumen,  WafTerfpeier)  unterbrochen  wird  und  an  Ein- 
fachheit nichts  zu  wünfchen  übrig  läfst.  Es  ilt  das  Pfeilerftück  bis  zum 
zweiten  Abfatze  ebenfalls  mit  Blendarkaturen  belebt  und  mit  Giebelchen 
über  den  Seiten  bekrönt.  Aus  ihnen  fteigt  der  Riefe  einer  Fiale,  zu  deren 
Laibe  alfo  diefer  Pfeilertheil  wird,  bis  über  die  Abdeckung  des  Strebe- 
pfeilers auf,  wo  ihn  dann  eine  frei  gearbeitete  Kreuzblume  abfchliefst, 
Uebrigens  liegt  er  fammt  dem  Laibe  dem  Pfeiler  an  und  iß  nur  halb  ge- 
meifselt.  An  der  Sohle  des  Riefen  hat  der  zweite  Pfeilerrückfprung  flatt, 
und  fo  lehnt  er  felber  fich  gegen  das  letzte  Pfeilerftück,  welches  wieder 
eine  nach  vorn  gekehrte  Fläche  zeigt,  aber  um  das  Maafs  der  Abfchrägung 
d.  i.  um  die  halbe  Pfeilerbreite  zurückfpringt.  Der  Pfeiler  endet  feitlich 
mit  halbem,  vorn  mit  einem  vollen  Giebelchen.  Es  ift  gleichfam  eine  Blend- 
fiale, durch  welche  die  Pfeilerabfätze  maskirt  werden  und  die  fenkrechte 
Silhouettenlinie  entlieht.  Erft  über  dem  zweiten  Pfeilerabfatze  wird  letztere 
durch  die  krabbenbefetzte  Schräge  des  Riefen  aufgegeben,  um,  wo  der 
Riefe  endet,  — abgefehen  von  der  geringen  Malle  der  freien  Kreuzblume  — 
den  Pfeiler  durch  die  wagerechte  Linie  des  Abdeckungsgiebels  ftumpf  zu 
fchliefsen.  Trotz  diefer  Einfachheit  der  Pfeiler  in  den  Umrifsen  bekommt 
ihr  Ausfehen  doch  eine  gewifle  Lebhaftigkeit  durch  die  Menge,  Gruppirung 
und  Form  der  Details,  welche  gefällig  wirkt.  Alle  Giebelchen  der  Blend- 
arkaturen haben  leicht  concav  gebogene  Linien,  alle  find  mit  zahlreichen 
Krabben  befetzt  und  endigen  in  Harken  Kreuzblumen;  die  Blendbögen  find 
mannichfach  gezackt  und  mit  vielerlei Maafswerksmuftern  gefüllt,  die  Con- 
folen  unter  den  Figuren  beftehen  aus  tief  .ausgehauenem  Blätterwerk;  die 
fchützenden  Baldachine  find  äufserft  zierlich  und  prächtig  in  durchbrochener 
Arbeit  mit  zahllofen  Einzelheiten  ausgeführt ; an  der  Sohle  der  Riefen  fpringt 
darr  ein  WafTerfpeier  nach  vorn  vor  und  an  den  Kanten  derfelben  laufen 
Krabben  empor,  bis  eine  fchwere  Kreuzblume  die  Krone  bildet.  Von  allen 
diefen  Einzelheiten  wird  das  Auge  natürlich  immerwährend  befchäftigt,  aber 
da  die  wenig  zerriffene  Silhouette  eine  gewiffe  monumentale  Ruhe  erzeugt, 
erwächft  ihm  keine  Verwirrung  und  kein  peinliches  Bedenken  ob  der  Halt- 
barkeit der  ganzen  Herrlichkeit. 

Wie  die  Geftalt  der  Pfeiler  eben  befchrieben  ift,  findet  fie  fich  in  Wirk- 
lichkeit nicht  mehr;  es  fehlt  an  allen  Pfeilern  die  Kreuzblume  auf  der  Fiale 
und  die  Spitze  des  Baldachins  überden  Figuren,  aufserdem  find  manche  Stücke, 
z.  B.  mehrere  WafTerfpeier,  verwittert  und  herabgefallen.  Ferner  weicht 
eine  Anzahl  Pfeiler  von  diefer  Geftalt  ab,  ohne  dafs  fich  immer  beftimmt 
die  Urfache  dafür  angeben  lielse:  Die  drei  weftlichften  Pfeiler  an  der  Nord- 
wand der  Kirchenhälfte  von  1388,  von  der  allein  wir  jetzt  fprechen,  alfo  die 
beiden  Pfeiler,  zwifchen  denen  das  örtliche  Portal  diefer  Seite  liegt,  und  der 
davon  nächft  wörtliche  Pfeiler  find  heute  aufser  ihren  Ablatzen  ganz  fchlicht. 
Dafs  fie  urfprünglich  wenigftens  bis  zum  Riefen  der  Fiale  fo  durchgebildet 
waren , wie  wir  befchrieben  haben , zeigt  das  v.  Dreyhaupt'fche  Bild  der 
Kirche;  darnach  fcheint  es  — denn  diefes  Bild  ift  in  den  Angaben  ziemlich 
genau  bei  aller  Mangelhaftigkeit  der  Darftellungsweife,  — dafs  der  letzte 


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DTE  ST.  MORITZKIRCHE. 


>05 


Abfatz  der  Pfeiler,  falls  er  überhaupt  in  gleicher  Form,  wie  bei  den  anderen 
Pfeilern  vorhanden  gewefen  ift,  1557  durch  Nickel  Hofman  geändert  wurde, 
und  dafs  erft  nach  von  Dreyhaupt's  Zeit,  alfo  muthmaafslich  bei  der  Reparatur 
von  1810—  1811  diefe  Pfeiler  auch  ihren  übrigen  Schmuck  verloren  und  die 
heutige  Form  bekommen  haben.  Der  öftlichfte  freie  Pfeiler  des  Chores  am 
nördlichen  Seiten fchitf  hat  eine  abweichende  Proportionirung  der  Fiale, 
deren  Laib  niedriger  ift  als  fonft,  während  die  Giebelchen  darüber  und  der 
Riefe  um  fo  viel  höher  find.  Den  Grund  hierfür  habe  ich  nicht  auffinden 
können;  der  Quaderverband  ergiebt,  dafs  diefe  Abweichung  aus  einer 
fpäteren  Aenderung  nicht  hervorgegangen  ift. 

Die  Mauer  des  Mittelfchiffchores  ift  ein  wenig  höher,  als  die  übrigen 
Aufsenmauern  find;  man  hat  nun  den  Unterfchied  nicht  auf  ie  deinzelnen 
Pfeilertheile  proportional  vertheilt,  fondern  ihn  den  Fialen  gegeben  und  oben- 
drein deren  Verhältniflfe  durch  Verkürzung  des  Riefen  und  Verlängerung  des 
Laibes  geändert.  Die  Proportionirung  ift  dadurch  nicht  gerade  verbeffert. 
Auch  hier  ift  ein  Grund  dafür  nicht  erfichtlich:  vielleicht  hat  man  Verhielte 
über  die  befte  Eintheilung  gemacht.  In  diefer  Form  ift  nur  ein  Pfeiler 
erhalten,  der  nördlichfle,  die  drei  anderen  haben  Veränderungen  erfahren. 
So  weicht  der  zweite  gegen  Norden  freiftehende  dadurch  ab,  dafs  ihm 
die  Fiale  fehlt.  Die  beiden  Ablatze  markiren  lieh  durch  einfache,  fchräge 
Deckplatten  mit  Sims  und  find  an  ihren  Vorderflächen  mit  Blendarkatur 
und  Maafswerk  verziert.  Die  Abweichung  wird  die  Folge  einer  frühen 
Reparatur  fein,  die  billig  fein  mufste;  wir  haben  jedoch  darüber  keine 
Nachricht.  Die  beiden  füdlichen  Pfeiler  diefes  Chores  find  im  wefentlichen 
gleich.  Ihre  Fialen  profiliren  fich  in  ganz  anderer  Weife  als  die  befchriebenen, 
in  den  Einzelheiten  find  fie  reicher  und  zierlicher  durchgebildet;  für  die 
Giebelchen  ift  der  Efelsrücken  genommen.  Ich  fchliefse  daher,  dafs  hier  eine 
frühe  Reparatur  ftattgefunden  hat,  etwa  gegen  das  Ende  des  15.  Jahr- 
hunderts. 

An  den  Chorpfeilern  des  füdlichen  Seiten fchiffes  ift  von  der  alten  Aus- 
fchmückung  bei  der  Reparatur  vor  40  Jahren  nichts  mehr  übrig  geblieben. 
Abgefehen  von  den  Rücklprüngen  lind  fie  glatt.  Wegen  der  Anbauten  an 
der  Südfeite  haben  die  Pfeiler  dafelblt  keiner  künftlerifchen  Ausbildung  be- 
durft, ja  drei  derfelben  haben,  wie  man  im  Grundrifse  erfieht,  da,  wo  die 
Vorhalle  fleht,  wegfallen  können  bez.  müden.  Die  hier  von  Fenftern  nicht 
durchbrochene  Wand  leiftet  dem  Gewölbefchube  hinlänglichen  Widerftand. 
Es  ift  aber  nicht  unmöglich,  dals  zu  Beginn  des  Baues  hier  Strebepfeiler 
angelegt  und  fchon  zu  einer  gewiflen  Höhe  mit  aufgeführt  gewefen,  dann 
aber,  als  man  die  Vorhalle  erbaute,  wieder  befeitigt  worden  find;  wenigftens 
könnte  man  fowohl  in  dem  Stücke,  um  welches  der  Pfeiler  zwifchen  den 
beiden  grofsen  Thüröffnungen  in  die  Vorhalle  hinein  flärker  ift  als  die  Wand, 
als  auch  in  der  Wand  zwifchen  Vorhalle  und  Sitzungszimmer  Ueberbleibfel 
von  Strebepfeilern  vermuthen.  Bis  zum  Dache  haben  diefe  Pfeiler  indeffen 
nie  hinaufgereicht,  weil  der  obere  Theil  der  Umfaffungsmauer  hier  aus  vor- 
züglichem Bruchfteingemäuer  befteht,  ein  Umftand.  der  darauf  fchliefsen 
läfst,  dafs  diefes  Wandftück  erft  im  15.  Jahrhundert  vielleicht  als  das  letzte 


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DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


des  1388  angefangenen  Baues  zur  Ausführung  gekommen  ift  zu  einer  Zeit, 
wo  die  Vorhalle  fchon  gebaut,  oder  doch  ihr  Bau  vorherzufehen  war. 

Die  Fenficr.  Die  Fenfter  zwifchen  den  Strebepfeilern  lallen  für  die  Wand  keinen 
Platz  mehr.  Sie  find  durch  zwei  Pfoften  dreigetheilt , nur  die  der  Neben- 
apfiden  find  fchmäler  und  haben  daher  nur  zwei  Theile.  Oben  unter  dem 
l'pitzbogigen  Scnlufle  gehen  die  Pfoften  in  geometrifche  Maafswerksfiguren 
über.  Das  Gewändeprofil  und  das  der  Pfoften,  welches  ja  aus  jenem  als 
ein  Theil  hervorgeht,  ift  immerhin  noch  von  guter  Zeichnung,  wiewohl  die 
vorherrfchende  Hohlkehle  befagt,  dafs  es  der  Blüthezeit  des  gothifchen 
Stiles  fchon  nicht  mehr  angehören  kann.  Fig.  5 Dasfelbe  ift  natürlich  bei  dem 
Maafswerk  der  Fall.  Dem  tragenden  Rundftabe  des  Pfoftens  fehlt  daher  das  Ca 

Fig.  52. 


AiMaen 


innen. 


Fcnfterprofil  im  Oftiheile  (1 388). 

pitälchen,  bevor  er  in  das  getragene  Maafswerk  übergeht;  der  Conflict  zwifchen 
Stütze  und  Laft  findet  keinen  Ausdruck  mehr.  Das  Füllwerk  der  geometrifchen 
Figuren  kann  auch  nicht  mehr  als  die  Folge  logifch  richtiger  Entwickelungs- 
grundfätze  angefehen  werden;  es  kommen  bereits  Rund-  und  Flachbögen, 
Fifchblafen  und  andere  bedenkliche  Bildungen  vor.  Dennoch  lieht  man. 
dafs  die  Figuren  nicht  lediglich  dem  Verftande  entflammtes  Zirkelwerk, 
fondem  die  Schöpfungen  einer  feinfühligen  Architektenhand  find.  Man  mag 
mit  diefem  Maafswerk  das  des  Fenfters  über  dem  örtlichen  Nordportale  von 
Nickel  Hofman  oder  überhaupt  die  Fenfter  der  wörtlichen  Kirchenpartie  (!•  ig.  53) 
vergleichen,  und  das  Gefagte  wird  klar  werden. 

Es  verlieht  fich,  dafs  das  Maafswerk  jedes  Fenfters  ein  anderes,  mehr 
oder  minder  gefälliges  Müller  hat.  Als  Befonderheit  ift  anzuführen,  dafs  die 
beiden  Fenfter  zwifchen  den  von  Hofman  an  der  Nordfeite  ausgebefterten 
Pfeilern  auch  Maafswerk  im  Stile  diefes  Meifters  haben.  Im  Vergleich  mit 
der  flotten,  fchwungvollen  Zeichnung  der  befchriebenen  älteren  Maafswerke 
wirkt  diefes  eckige  und  trockene  Produkt  einer  Gothik,  die  fich  völlig 
überlebt  hatte,  in  hohem  Grade  abllofsend.  In  der  Ausfchmückung  find 
die  Chorfenfter  des  nördlichen  Seiten  Muffes  bevorzugt;  ihr  Spitzbogen  hat 
aufsen  an  der  Vorderkante  des  Gewändes  eine  freihängende  Zackenumrahmung ; 


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DIE  ST.  MORITZK1KCHE. 


I°7 


es  id  ein  durch  brochener  Kleeblattbogenfries,  der,  frei  gearbeitet,  fich  hell 
von  der  dunkelen  Fenderöffnung  abhebt  und  die  Wirkung  der  Fender, 
die  hier  bei  gleicher  Höhe  fchmaler  find,  verdärkt,  indem  er  ihr  etwas 
Fabelhaftes,  ja  wunderfam  Anziehendes  verleiht.  An  dem  öftlichden  F'ender 
des  Chores  ill  diefer  Zierrath  nicht  vorhanden,  doch  wird  er  auch  hier  ur- 
fprünglich  gewefen,  aber  verwittert  fein,  um  dann  gelegentlich!!  abgemeifselt 
zu  werden,  denn  auch  an  den  beiden  anderen  Fendern  fcheint  er  erneuert. 

An  den  gothifchen  Kirchen  verfchwindet  die  Wandfläche  fad  gänzlich,  Die  Wand, 
fie  löfi  fich  in  Pfeiler  und  F'enller  auf;  nur  das  Stück  unter  dem  WafTer- 
fchlage  der  F'enller  bis  zur  Erde  herab  und  über  dem  Spitzbogen  bis  hinauf 
zumDachlims  bleibt  übrig.  Während  das  untere  Stück  nur  im  Inneren  der 
Kirche  decorirt  zu  werden  pflegt,  erfahrt  das  obere  meid  eine  reichere  Aus- 
bildung durch  Wimperge,  die  zum  Zweck  der  Mauerbeladung  dienen,  be- 
fonders  da,  wo  die  Gewölbekappen  deigen  und  immerhin  einen  geringen 
Schub  auch  auf  die  Mauer  übertragen.  Die  Odpartie  der  Moritzkirche  läfst  — 
ein  Zeichen  des  Verfalles,  — diefen  Condructionsgedanken  fchon  völlig  aufser 
Acht.  Statt  eines  Wimperges  erhält  die  Wand  eine  vielgliedrige  Blend- 
arkatur  von  bogenfriesartiger  Wirkung,  eine  nichtsfagende  Spielerei.  Den 
Fenderbogen  begleitet,  einer  Augenbraue  gleich, 'ein  Abdeckungslims,  bis 
auf  welches  die  Stützen  der  Arkade  herabgehen.  Gegen  die  ßogenfcheitel 
zu  theilt  fich  diefes  Gefims  und  bildet,  um  durch  einen  Bund  in  eine  kräftige 
Kreuzblume  auszulaufen,  in  fad  fcheinlofer  und  ganz  ungekündelter  Weife 
einen  Efelsrücken.  Diefes  Architekturmotiv  der  Spätzeit  läfst  fich  hier  noch 
als  das  Conllructionsmittel,  die  fchwere  Kreuzblume  zu  tragen,  und  im  Verein 
mit  diefer  als  Erfatz  für  den  Wimperg  anfehen.  Der  Efelsrückenbogcn 
tritt  noch  zaghaft  gleichfam  unbeabfichtigt  auf  und  erhebt  hier  allerdings 
fchon  Anfpruch,  ein  Decorationsmittel  von  Bedeutung  zu  fein,  aber  nicht, 
die  Conflruction  des  tragenden  Bogens  feiner  llerrfchaft  unterzuordnen,  wie 
gegen  das  Ende  des  15.  Jahrhunderts.  Seine  Ausdehnung  erdreckt  fich  daher 
auch  noch  nicht  dergedalt  aut  die  feineren  Details,  wie  es  an  den  Giebelchen  der 
beiden  füdlichen  Strebepfeiler  des  Mittelfchiffchores  der  Fall  id;  allein  fein 
Vorhandenfein  id  doch  Thatfache;  fein  fch&chternes  Auftreten  kennzeichnet 
genau  den  Standpunkt  der  Stilentwickelung  als  Anfang  des  Verfalles.  Die 
meid  etwas  überkräftige  Kreuzblume  liegt  nur  halb  oder  dreiviertel  frei 
vor  der  Wandfläche  und  nimmt  das  mittlere  F'eld  der  drei  Arkadenbögen 
ein.  welche  fich  als  Blende  über  jedem  F’ender  befinden.  In  den  beiden 
feitlichen  F'eldern  kragen  Confolen,  Köpfe  bildend,  aus  der  Wand  vor,  um 
frei  gearbeitete  F'iguren  aufzunehmen.  Oben  wird  die  Wand  mit  einem 
Simfe  abgefchlofien  von  einer  hinlichtlich  der  Gliederung  ziemlich  un- 
bedeutenden Form.  Es  bedeht  aus  einer  flachen  Kehle,  die  mit  Rofetten 
von  verfchiedener  F'orm  in  gleichen  Abdänden  befetzt  iit.  Viele  Stücke  find 
erneuert  aber  ohne  Rofetten,  fodafs  ein  recht  unfchöner  Anblick  entlieht. 

Vor  vierzig  Jahren  wurde  an  den  alten  Stücken  noch  Vergoldung  gefunden 
(wahrfcheinlich  an  den  Rofetten,  die  fich  von  einem  dark  roth  oder 
blau  bemalten  Grunde  abhoben);  auch  heute  würden  fich  davon  noch  Spuren 
auffinden  laden,  wenn  man  eine  Berichtigung  der  Steine  aus  der  Nähe  vor- 


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DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


nehmen  könnte.  Stapel,  der  die  intereffante  Mittheilung  macht,  verdient 
Glauben,  weil  er  bei  den  derzeitigen  Reparaturen  zu  eingehender  Unter- 
fuchung  die  Gelegenheit  gehabt  hat.  Es  wird  hierdurch  ein  neuer  Beweis, 
falls  es  delTen  noch  bedürfte,  erbracht,  dafs  auch  die  mittelalterlichen  Bau- 
werke, wie  die  aller  andern  Blüthezeiten  der  Kunft,  aufsen  farbig  zu  denken 
lind.  In  den  meiften  Fällen  fcheint  es  der  Mangel  an  Geld  gewefen  zu  fein, 
und  desgleichen  wohl  bei  der  Moritzkirche,  der  die  Polychromirung  nur 
theilweife  zur  Ausführung  kommen  liefs.  Warum  die  UmfalTungsmauer  der 
Seitenfchiffe  etwas  niedriger  ift  als  die  des  Mittelfchiffchores  läfst  lieh  nicht 
beftimmt  Tagen.  Es  gefchah  vielleicht,  weil  der  Baumeilter  wegen  der 
projectirten  Gewölbeconliruction,  wenn  diefe  ausgeführt  worden  wäre,  diefe 
Erhöhung  nöthig  gehabt  hätte. 

Damit  find  wir  zu  den  Unregelmäfeigkeiten  der  Wandbildung  ge- 
kommen. Dafs  die  Wand  in  Süden  aus  gutem  Bruchfleinmauerwerk  befiehl 
ili  fchon  gefagt,  |dem  mufs  hinzugefügt  werden,  dafs  aus  diefem  Grunde 
denn  auch  eine  Verzierung  durch  Blendbögen  unterblieben  ift.  Diefer  Zier- 
rath fammt  der  F'enfterverdachung  und  den  Confolen  fehlt  auch  dem  Chor 
des  (udlichen  Nebenfchiffes,  delTen  Wand  über  den  Fünftem  1840  zugleich 
mit  den  Pfeilern  und  ebenfo  wie  diefe  allen  Schmuckes  baar  erneuert 
worden  ift.  Schliefslich  find  noch  im  Norden  drei  Joche,  nämlich  das  des 
Portales  und  das  diefem  jederfeits  anliegende  zu  nennen,  deren  Wand  jetzt 
ebenfalls  ohne  Blendbogenfchmuck  ift.  Aus  der  von  DreyhauptTchen 
Zeichnung  ergiebt  fich,  dafs  die  Wand  auch  hier  ehemals  die  befchriebenen 
Verzierungen  hatte,  - wie  das  ebenfalls  aus  dem  erhaltenen,  um  dieBlendeu- 
ftärke  erhabenen  Rande  jedes  Joches  zu  fchliefsen  ift,  — durch  die  Nickel 
Hofman’fche  Renovation  eine  Aenderung  nicht  erfuhr  und  erft  iSiofii 
zugleich  mit  den  Pfeilern  ihre  heutige  Geftalt  bekam,  die  ohne  Arkatur 
theils  auch  ohne  Confolen  ift,  aber  die  F'enfterverdachung  fammt  der  Kreuz- 
blume erhalten  hat.  Da  die  Blendarkade  überall  nur  fchmücken  Toll,  fo 
nimmt  fie  einen  fpielenden  Charakter  an,  indem  ihr  Stabprofil  fich  maafs- 
werksmäfsig  durchdringt,  und  zwar  nicht  über  allen  Fenftem  gleichartig; 
das  ift  im  gothifchen Stil  nicht  gerade  auffällig;  warum  man  aber  über  den 
drei  C.horfenftern  des  nördlichen  Seitenfchiffes  plötzlich  ein  ganz  anderes, 
viel  einfacheres  Profil  zu  diefer  Blendarkade  gewählt  hat,  bleibt  unklar. 
Hier  haben  auch,  wie  fich  erfehen  läfst,  gleich  von  Anfang  an  nur  über  dem 
mittleren  der^drei  F'enfter  Confolen  für  F'iguren  fich  befunden;  die  beiden 
anderen  Felder  fcheinen  zu  fchmal  für  figürlichen  Schmuck  gewefen  zu  fein. 
Auffällig  ift  auch,  da  alle  Confolen  Köpfe  darftellen,  dafs  die  beiden  über 
dem  füdlichften  F'enfter  des  Mittelfchiffchores  pflanzlichen  Schmuck  haben. 
Zuletzt  ift  es  nöthig  zu  bemerken,  dafs  nur  eine  aller  Confolen  thatfächlich 
eine  Figur  trägt,  nämlich  links  über  dem  nördlichen  Fenfter  des  Mittelfchiff- 
chores;  doch  wird  hierauf  zurückzukommen  fein. 

Das  Portal.  An  der  Nordfeite  des  ölllichen  Kirchenftückes  hat  fich  die  Portal- 
anlage ziemlich  erhalten.  Die  mittelalterliche  Portalausbildung  gefchieht. 
indem  man  durch  Abfchrägung  der  Gewände  eine  möglich!!  breite  Um- 
rahmung der  Thüröffnung  zu  gewinnen  fucht  dergeftalt,  dafs  das  Auge  ge- 


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DIE  ST.  MORITZKIRCHE. 


IOQ 


felTelt  und  auf  letztere  als  die  Uauptfache  hingeleitet  werde.  Um  die  Wirkung’ 
zu  verftärken,  fügt  man  einen  vor  der  Mauer  liegenden,  den  Thürbogen 
überdachenden  Wimperg  hinzu  und  nimmt  fogar  für  die  viel  gegliederte 
Gewändefchräge  die  nachbarlichen  Strebepfeiler  in  völlig  conllructions- 
widriger  Art  mit  in  Anfpruch;  dadurch  erreicht  man  eine  tiefere  Nifche, 
die  durch  ihre  llärkeren  Schatten-  und  Lichtpartien  feffelnder  wirkt.  Alle 
diefe  Mittel  find  gegen  Ende  des  14.  Jahrhunderts  den  Bauleuten  der  Moritz- 
kirche nicht  mehr  wirkungsvoll  genug  gewefen,  (ie  haben  daher  zwifchen 
die  der  Thür  benachbarten  Strebepfeiler  bündig  mit  deren  Vorderkante  einen 
Spitzbogen  gefchlagen,  den  Raum  bis  zur  Kirchenmauer  mit  einem  eben- 
solchen fpitzbogigen  Tonnengewölbe  überdeckt  und  fo  eine  offene  Vorhalle 
erbaut,  die  natürlich  geradezu  eine  lochähnliche  Schattenwirkung  erzeugt. 
Mehr  noch,  man  hat  den  Bogen  mit  einem  zierlichen  Kranze  von  Iteinernen 
durchbrochenen  Zacken,  die  in  das  Dunkel  der  Oeffnung  hineinragen,  befetzt. 
So  entlieht  durch  wohlgeordnete  Lichtpartien  eine  gefällige  Vermittlung 
Zivilehen  dem  dunllblauen  Dunkel  der  Vorhalle  und  den  farbreichen  Lichtem 
des  Steinmaterials,  doch  fo,  dafs  beide,  Licht  und  Schatten,  fich  gegenfeitig 
noch  verllärken.  Es  ill  durch  dasfelbe  Mittel  eine  reizvolle  Wirkung  erftrebt, 
wie  an  den  Chorfenllern  des  nördlichen  Seitenfchiffes.  Obwohl  durch  das 
Zurücktreten  des  eigentlichen  (iewändeprofiles  zu  Gunllen  eines  Licht-  und 
Schattencontrafles  die  Grenze  für  den  guten  Gefchmack  l'chon  überfchritten 
ill.  fo  unterliegt  es  doch  keinem  Zweifel,  dafs  diefes  Portal  dennoch  von  dem 
kölllichen.  unvergleichlich  poetifchen  Reize  ill,  den  die  mittelalterlichen 
Kircheneingänge  gemeiniglich  haben.  Sein  ernlles,  ja  geheimnifsvolles 
Dunkel  fällt  fchon  fernher  auf  und  feflelt,  je  näher  wir  kommen,  um  fo 
mehr  unferen  Blick;  es  winkt  uns  gleichfam  zu,  und  wir  treten  unter  den 
Bogen.  Da  fehen  aus  einer  grofsen  Hohlkehle  des  Thürgewändes,  getragen 
von  Confolen  und  von  Baldachinen  überdacht,  Beinerne  Statuen  herab.  Die 
beiden  unteren  bis  zur  Kämpferhöhe  find  lange  fchon  verfchwunden;  nach 
der  Stelle  ihrer  Confolen  zu  fchliefsen,  waren  fie  von  Behender  Haltung. 

1 lieber  dem  Bogenanfange  fitzt  links  ein  Heiliger  (?)  mit  einem  Buche,  rechts 
ein  anderer  mit  einem  Spruchbande  in  den  Händen.  Haben  fie  in  Gemein- 
fchaft  mit  den  fehlenden  unteren  und  anfangs  mit  ihren  Symbolen  die  vier 
Evangelillen  dargeflellt,  oder  haben  die  oberen  für  fich  eine  Bedeutung 
z.  B.  Bezug  auf  das  alte  und  neue  Tellament,  während  dann  in  den  unteren 
Nifchen  Adam  und  Eva  wie  fo  oft  an  den  Kircheneingängen  gellanden 
hätten?  das  ill  nicht  zu  ermitteln.  Es  folgen  (liefen  Figuren  jederfeits  zwei 
über  einander  zwifchen  Confole  und  Baldachin  fitzende  Engel,  die  linker 
Hand  mit  Guitarre  und  Geige,  zur  rechten  mit  Harfe  und  Orgel  muficiren. 
Am  Schlufsllein  hält  ein  Engelchen  das  Schwei  fstuch  ausgebreitet,  auf  dem 
in  erhabener  Arbeit  feierlich  ernll  das  Angeficht  des  Heilandes  umgeben 
von  einem  runden  Nimbus  mit  flachem  Kreuz  dargellellt  ill.  Während  im 
Laufe  der  Zeit  die  Heiligen  zum  Theil  verfchwunden  find  und  ihre  leer- 
gewordenen Stellen  einer  neuen  Befetzung  warten,  während  die  Engel  durch 
Mishandlung  vielen  Schaden  erlitten  haben,  hat  der  Schlufsllein  von  allem, 
Chrillus,  die  Jahrhunderte  überdauert  und  wenngleich  das  edle  Antlitz  be- 


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I IO 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKRFIS. 


Stil  und  Werth 
des  Ornaments. 


ßäubt  und  verdunkelt  iß,  fo  fcliaut  es  doch  immer  noch  _ wie  vordem,  milde 
und  friedlich  und  trößend  herab  auf  alle,  die  zu  diefer  Thüre  eingehen 
wollen.  Es  kann  uns  auch  nicht  entgehen,  dafs  dem  Chrißuskopfe  die  Pracht 
lebhafter  Färbung  und  dem  Heiligenfeheine  der  Goldglanz  nicht  fehlte. 
Darnach  lind  wir  berechtigt  zu  fchliefsen,  dafs  die  Vorhalle  mit  allen  Sculpturen 
anfänglich  durchweg  farbig  gewefen  iß.  Auf  von  Dreyhaupt's  Abbildung 
hat  der  vordere  Bogen  der  Vorhalle  durch  eine  bekrönende  Kreuzblume 
eine  Efelsrückenform,  die  den  Giebel  für  ein  ebenfo  gebogenes  Dach  abgiebt. 
Es  fcheint  demnach  in  Folge  der  Abmeifselung  diefer  Bekrönung  der  heutige 
einfache  Spitzbogen  übriggeblieben  zu  fein,  ln  feiner  Scheitelhöhe  legt  fich. 
nachdem  die  Bogenzwickel  mit  neuen  Steinen  ausgefetzt  find,  jetzt  ein  Haches 
Pultdach  bis  in  das  Fenßer. 

Nachdem  wir  fo  die  architektonifchen  Details  von  1388  kennen  gelernt 
haben,  kommen  wir  auf  deren  Gefammtwirkung  für  das  Bauwerk  und  aut 
den  äßethifchen  Werth  derfelben  als  Decoration  zu  fprechen.  Die  Aus- 
dehnung der  Zierrathe  auf  ihrer  Natur  nach  fchlicht  zu  belalfende  Theile, 
z.  B.  der  Blondarkaden  auf  Pfeiler  und  Wand,  kann  dem  Bauwerke  keinen 
Nutzen  bringen;  fie  hat  aber  die  gute  Wirkung,  dafs  die  geringe  Gruppen- 
bildung weniger  in's  Auge  fällt  und  der  Wechfel  von  Pfeiler  und  Fenfter 
lebhafter  erfcheint.  Wohl  bewahrt  die  leicht  überfichtliche  Eintheilung  des 
Ganzen  dem  Monumente  die  nöthige  Ruhe,  es  wendet  lieh  aber  die  Aut- 
merkramkeit  weniger  auf  die  harmonifchen  VerhältnifTe  und  die  Art,  wie 
die  Thätigkeiten  der  Bautheile  ausgedrückt  find,  als  aut  den  Reichthum 
und  die  Vertheilung  der  Einzelheiten.  Diefe  dürfen  die  ernße  Sprache  der 
Strebepfeiler  fchwatzhaft  unterbrechen  und  die  von  Natur  fchweigfame 
Wand  unnöthigerweife  beredt  machen,  felbß  ob  ihre  Ausfprache  gefällig  ilt, 
d.  h.  ob  fie  von  fchöner  Zeichnung  find,  fcheint  ziemlich  nebenfächlich  ihrer 
Menge  gegenüber.  Es  liegt  das  Beßreben  zu  Grunde  die  decorative 
Wirkung  zu  verßärken,  mit  anderen  Worten  die  Conßruction  architektonifch 
ausdrucksvoller  zu  machen.  Dafs  man  folches  durch  die  \ erntehrung  des 
Schmuckes  zu  erreichen  fucht  ßatt  durch  die  wohlbedachte,  kunßfinnige 
Anordnung  desfelben,  das  eben  iß  für  den  Rückgang  des  Stiles  bezeichnend. 

Der  Umßand,  dafs  auch  jede  ornamentale  Einzelbildung  darnach  trachtet, 
fich  in  ihren  natürlichen  Eigenfchaften  zu  überbieten,  wirkungsvoller  zu 
fein,  als  ihre  Natur  zuläfst,  führt  uns  darauf  über  den  Charakter  der  Blätter 
und  der  Figuren  an  der  ößlichen  Kirchenhälfte  noch  einige  Bemerkungen 
zu  machen.  Selbß  von  den  jüngeren  Stücken  abgefehen,  iß  ihr  Charakter 
nicht  gleich.  Meiß  find  die  Blätter  der  Krabben,  Confolen  u.  f.  w.  länglich, 
fcharf  und  fpitz,  dabei  fchlaff,  doch  gefällig,  nicht  aber  fo  gebuckelt,  als 
feien  fie  bereits  verdorrt.  Daneben  giebt  es  andere,  die  wegen  ihrer  knolligen 
Form  gar  nicht  zweifeln  laßen,  dafs  fie  nach  welken  Blättern  gearbeitet 
find.  Im  Allgemeinen  kann  man  von  einer  geißreichen  oder  auch  nur  liebe- 
vollen Behandlung  nicht  fprechen,  vielmehr  iß  nicht  feiten  bei  flüchtiger  und 
nachläfsiger  Ausführung  Schablonenhaftigkeit  und  Handwerksmäfsigkeit  zu 
bemerken.  Man  hat  für  die  Linien fchönheit  der  Blätter  keinen  Sinn  mehr. 
Dem  Mei  ßer  liegt  hauptfächlich  an  der  energischen  Wirkung  der  Omament- 


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DIE  ST.  MORITZKIRCHE.  III 


gruppen  oder  der  flofflichen  MafTe  der  Einzelform.  Als  Beifpiel  folcher 
(iruppen  würden  die  freien,  gleichgiltig  wie  geflalteten  Statuen  über  den 
Fenlfern  in  Verbindung  mit  der  meid  zu  Harken  Kreuzblume  zwifchen  ihnen 
genannt  werden  können;  als  Beifpiel  folcher  Einzellormen  genügt  die  Gehalt 
einer  Kreuzblume  zu  befchreiben.  Ihr  Bund  ilt  fad  tellerförmig  flach,  ladet 
unverhältnifsmäfsig  weit  aus  und  hat  doch  dabei  eine  plump  unfchöne  und 
matte  Zeichnung ; die  Kreuzblumenblätter  find  mager,  zerrilfen  und  dabei  un- 
förmig, der  Mitteldiel  endet  kurz,  indem  er  dadurch  das  vierfchrötige  Aus- 
rehen noch  erhöht.  Es  id  gewifs,  in  der  gefammten  Ornamentation  pafst 
eines  zum  anderen,  aber  alles  leidet  bereits  an  Uebertreibung.  Letztere 
findet  lieh  andererfeits  auch  da,  wo  es  aut  Zierlichkeit  der  Ornamentik  an- 
gekommen id.  was  fich  namentlich  an  den  Bruchdücken  der  Baldachine 
noch  fehen  läfst. 

Der  figurale  Schmu  ck  zeigt  ähnliche  Charakteridica;  bei  der  Beurthei- 
iungifl  jedoch  von  anderen  Gefichtspunkten  auszugehen.  Noch  lediglich  als 
Architekturtheile  lind  die  beiden  Confolen  über  jedem  Fender  anzufehen,  die 
aufser  zweien  über  dem  Eidlichen  F'ender  des  Mittelfchiffchores  Köpfe 
bilden,  ferner  fünf  WafTerfpeier,  die  fich  theilweife  an  den  unverändert  in 
erfler  Geflalt  gebliebenen  Strebepfeilern  erhalten  haben.  Fis  find  Engel  mit 
Mufikindrumenten  oder  Giefsgefäfsen,  (?)  fie  find  alfo  hier  nicht  als  von  der 
Kirche  überwundene  und  ihr  diendbar  gewordene  Dämonen  anzufehen; 
folchen  Sinn  haben  aber  auch  jene  Confolenköpfe  nicht,  welche,  fo  viel  man 
bei  der  Höhe,  in  der  fie  fich  befinden,  erkennt,  Heilige  dardellen  Pollen,  denn 
es  finden  fich  hin  und  wieder  kennzeichnende,  wenn  auch  feiten  erkennbare 
Beigaben.  Zwei  Confolen,  die  beiden  am  Chor  des  nördlichen  Seitenfchiffes 
(hier  hat  ja  nur  eines  der  drei  F'ender  Confolen),  laden  fich  bedimmt  deuten: 
Der  weibliche  Kopf  rechts  id  der  der  Maria,  und  links  id  datt  eines  Kopfes 
das  ganze  Chridkind  gemeifselt.  welches  von  realidifcher  Körperbildung  id 
und  in  fprechend  naturwahren  Bewegungen  fich  abmüht,  zu  feiner  Mutter 
hin  zu  kriechen.  Von  den  freidehenden  Statuen,  welche  auf  ihren  Con- 
folen  dadurch  gehalten  werden,  dafs  ein  eingemauerter  Eifendab  von  der 
Wand  her  durch  jede  hindurchgeht  und  vorn  mit  einem  Splint  verfehen  id,  und 
welche  etwa  in  dreiviertel  Lebensgröfse  ausgeführt  find,  haben  fich  nur  fünf 
erhalten.  Vier  davon,  Apodel  dardellend,  flehen  unten  an  den  vier  Strebe- 
pfeilern des  Mittelfchiffchores,  die  fünfte  id  der  h.  Moritz,  der  als  Ritter 
in  voller  Rüdung  und  mit  einem  Schilde  über  dem  nördlichden  Fender  des 
Mittelfchiffchores  fleht  und  allein  von  allen  diefen  oberen  Statuen  übrig  ge- 
blieben id.  Zu  von  Dreyhaupt’s  Zeit  hatte  diefer  h.  Moritz  noch  ein  Gegen- 
flück  auf  der  zweiten  Confole  desfelben  F'eldes;  To  viel  man  aus  von  Drey- 
haupt’s Zeichnung  lieht,  war  es  ebenfalls  ein  Ritter  mit  einem  Schilde, 
vielleicht  der  h.  Alexander.  Alle  andern  Statuen  hier  oben  fehlten  auch 
damals  fchon,  fo  dafs  annehmbar  id,  es  feien  mehr  als  diefe  beiden  über- 
haupt nie  ausgeführt  gewefen.  Nicht  fo  wird  es  mit  den  Apodelfiguren 
unten  an  den  Strebepfeilern  der  Fall  gewefen  fein,  von  denen  die  noch 
vorhandenen  auf  dem  von  Dreyhaupt’fchen  Bilde  durch  eine  an  dem  ödlichen 
freien  Chorpfeiler  des  nördlichen  Seitenfchifles  und  durch  je  eine  an  den 


Befchreibungund 
Charakteriitik 
dos  figürlichen 
Schmuckes, 


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112 


DIE  STADT  HALLE  n.  d.  SAALKREIS. 


Strebepfeilern,  die  das  Portal  flankiren,  vermehrt  find.  Sie  waren  daher 
anfänglich  wohl  vollzählig,  d.  h.  12  oder  mit  Chriflo  13;  denn  genau  diefe 
Zahl  ergeben  intereflanterweife  die  freien,  mit  Plätzen  für  Statuen  verlehen 
gewefenen  Strebepfeiler  bis  zum  Anfang  des  weltlichen  Kirchenfchiffes  alfo 
bis  zu  der  ehemals  romanifchen  Hälfte;  aufser  den  vier  noch  jetzt  befetzten 
Plätzen  am  Mittelchor  gab  es  zwei  am  Chor  des  Siidfchiffes.  delTen  Pfeiler 
übrigens  verbaut  waren  bez.  fehlten,  und  lieben  an  der  Nordfeite  der  Kirche. 
Die  vier  Apollel  find,  wenn  wir  füdlich  anfangen : Andreas,  kenntlich  an  dem 
fchrägen  (Andreas-)  Kreuz,  das  hier  aus  Eifen  befteht  und  theilweife  fchon 
durchgeroftet  ift;  Bartholomäus,  der  in  der  Rechten  ein  eifemes  Melier,  in 
der  Linken  ein  Buch  hält,  fein  Geficht  ift  recht  hübfch.  Der  dritte  hat  ein  langes 
Schwert  und  in  der  Linken  ein  Buch;  ein  langer  Bart  fchmückt  fein  Geficht: 
es  wird  Paulus  fein.  Der  letzte  ift  Jacobus  der  Aeltere:  er  hat  in  der 
Rechten  den  langen  Pilgerftab,  während  die  Linke  ein  Buch  (?)  mit  einer 
daranliegenden  Mufchel  (?)  emporhält. 

Die  ftiliftifchen  Eigenthümlichkeiten  der  Zeit  find  an  allen  diefen 
figürlichen  Sculpturen  wie  an  denen  des  vegetabilen  Ornaments,  vielleicht 
fogar  noch  ftärker  und  mehr  in  die  Augen  fallend  ausgeprägt  Die  Statuen 
find  lange,  fleifchlofe  Figuren,  deren  Körperformen  von  den  faltenreichen 
Gewändern  ganz  verhüllt  werden.  Dennoch  ift  der  Faltenwurf  felblf 
richtig  tfnd  gut  geordnet  unter  „finnreicher  Benutzung  antiker  Momente" 
(Otte),  fo  dafs  leidliche  Statuen  entftanden  fein  würden,  wenn  die  Körper- 
haltung nicht  bis  zur  Uebertreibung  deinem  ftarr  und  eckig  fteif  wider 
alle  Natur  wäre.  Die  Anatomie  ift  unbeachtet  geblieben.  Der  Meifter  dürfte 
überhaupt  eine  ziemlich  felbftändige  Stellung  unter  den  Bildhauern  feiner 
Zeit  einnehmen ; nirgends  tritt  Manierirtheit  aut.  die  an  eine  Schule  erinnert, 
es  findet  (ich  auch  die  S -Linie  nicht,  jedenfalls  nicht  vorherrfchend.  Die 
Geflehter  find  vorzüglich  charakterilirt  und  von  trefflicher  Arbeit,  auszu- 
nehmen ift  die  Statue  des  Jacobus  major,  die  in  allen  Stücken  un- 
gefchickter  ausfieht  als  die  übrigen;  fie  ift  vielleicht  eines  Schülers  Mach- 
werk. Auch  die  WalTerfpeier,  als  Engel  dargeftellt,  in  diefer  Zeit  allo 
bekleidete  (Diaconentracht?)  und  geflügelte  Jünglinge,  zeigen,  foviel  man 
erkennt,  diefelbe  eben  befchriebene  ftiliftifche  Behandlung  und  ingleichen 
die  Confolenköpfe  über  den  Fenltem.  Sie  find  fehr  realiftifch  aufgefafst 
dabei  von  dramatifcher  Wirkung  im  Ausdruck;  jedes  Geficht  offenbart  den 
feelifchen  Zuftand  fall  in  der  Uebertreibung.  Als  Refultat  aus  diefen  Be- 
merkungen  ergiebt  fich : wie  bei  den  pflanzlichen  Details,  fo  herrfcht  in  den 
figürlichen  die  Uebertreibung;  aus  ftatuarifcherRuhe  ift  Starrheit  geworden 
der  Gefichtsausdruck  verftärkt  fich  da,  wo  es  auf  das  Pathos  ankommt 
(z.  B.  bei  den  Confolenköpfen . nicht  aber  bei  den  Apofteln)  fall  bis  zur 
Carricatur;  wie  dort,  ja  wie  in  der  ganzen  Architektur  ift  auch  in  den  ein- 
zelnen Figuren  auf  malerifche  Wirkung  hingearbeitet. 
ner  Weftihcii.  Das  Aeufsere  der  weftlichen  Kirchenhälfte  hat  bei  weitem 
nicht  die  Beachtung  des  der  örtlichen  zu  beanfpruchen.  Man  findet  die  un- 
veränderte Fortfetzung  des  Syftemes  im  Orten  mit  WeglalTung  der  Zierrathe 
oder  auch,  was  fo  ziemlich  dasfelbe  fagt,  mit  der  Detailbildung  der  gegen 


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DIE  ST.  MORITZKtRCHE.  113 

ein  Jahrhundert  fpäteren  Zeit.  Es  find  im  Ganzen  vier  Joche  und  die 
Thurmpartie.  Diefe  kennzeichnet  lieh  im  Grundrifs  durch  die  Verdärkung 
der  Mauern  nach  aufsen  gegen  Korden  und  Süden,  durch  das  rifalitartige 
Vortreten  des  Mittelfchiffes  im  Wellen  und  durch  die  Harken  Kreuzpfeiler 
im  Kircheninneren.  Die  Strebepfeiler  find  aufser  durch  die  beiden 
Rückfprünge  über  dem  Kaffgefimfe  gar  nicht  verziert.  Im  Norden  bellehen 
fie  aus  Quadern  gleich  der  Wand  zwifchen  ihnen;  im  Süden  hingegen,  wo 
fie  durch  den  Kreuzgang  verbaut  waren,  find  fie  wie  auch  die  Mauer  in 
Bruchdeinen  hergeflellt.  Oben  ill  Ichon  einmal  von  dem  Pfeiler  der  Südfeite 
gelprochen  worden,  welcher  von  einer  Thür  durchbrochen  ift;  dazu  mufs 
auch  angegeben  werden , dafs  fich  feitlich  über  diefer  Oeffnung  noch  eine 
zweite  kleinere  befindet,  wohl  zum  Zweck  der  Verbindung  der  Dachräume 
an  der  Nord-  und  Wellfeite  der  Claufur;  oder  lag  hier  über  dem  Kreuz- 
gange der  Kapitelfaal? 

Die  Fen  (lerp  r ofil  ir  ung  Fig.  53  verglichen  mit  der  im  Ollen  ill  ungleich 
einfacher  und  nüchterner,  ingleichen  die  Maafswerksmullerung.  Hier  kommen 
natürlich  alle  fpätgothifchen  Elemente,  Fifchblafen,  alle  möglichen  Bogen- 
formen, unglaubliche  Curvaturen  und  Brechnungen  als  die  kindifchen 
Aeufserungen  einer  greifen  Kunfl  vor;  dennoch  kann  man  nicht  fagen.  dafs 
Müder  und  Profile  fchon  den  Grad  des  Verfalles  erreicht  hätten,  welchen 
die  Domfender  und  die  Hofman's,  feien  es  die  reparirten  hier  oder  die  der 


F'g-  53- 


auMo». 


innen. 


Fenfterprofil  im  Weftlhoilc. 


Marktkirche,  aufweifen.  Im  Süden  reicht  das  Fenderlichten  der  ehemaligen 
Anbauten  wegen  nicht  fo  tief  wie  im  Norden  herab.  Man  bemerkt  jene 
oben  befprochenen,  niedrigen,  fenderfornugen  Nifchen  unter  den  Südfendern. 
Wie  alles  Gemäuer  hier,  find  fie  in  Bruchdeinen  ausgeführt,  verjüngen  fich 
nach  der  Tiefe  zu  ein  wenig,  find  flachbogig  überwölbt  und  gehören  bedimmt 
nicht  mehr  der  romanifchen  Zeit  an. 

Hierdurch  wären  wir  fchon  auf  die  Ausführung  der  Wände  zu 
fprechen  gekommen.  Dem,  was  über  Material  und  Technik  der  nördlichen 
und  (udlichen  Seite  gefagt  ill,  braucht  kaum  hinzugefügt  zu  werden,  dafs 
B.  D.  d.  Bau-  u.  Kunstd.  N.  F.  I.  8 


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1 *4 


DIE  STADT  HALTE  u.  d.  SAALKREIS. 


eine  Wanddecoration  wie  im  Orten  fehlt;  weder  Blendmaafswerk , noch 
Kreuzblume,  noch  Confolen  mit  Figuren  find  vorhanden,  felbft  das  Haupt- 
gefims,  als  matte  Kehle  gebildet,  ift  un verziert. 

Die  Th  ü r der  Nordfeite  in  diefem  Wefttheile  kann  auch  nur  befchränktes 
IntereHe  erwecken.  Ihr  Gewände  befteht  aus  einer  Schräge  mit  Rundftäben 
Hohlkehlen,  Plättchen  u.  f.  w.,  welche  Glieder,  auf  einem  etwas  verzierten 
Sockel  rtehend,  über  dem  Kämpfer  (ich  durchfchneiden,  und  in  einen  Efels- 
rücken  auslaufen.  Das  Gewände  bleibt  völlig  in  der  Wand  liegen  und  wird 
auch  durch  kein  Sims  überdacht.  Sein  Schlufsftein  ift  für  die  Baugefchichte. 
wie  wir  fahen,  wichtig,  weil  er  flach  erhaben  die  Jahreszahl  1481  trägt,  die 
feither  nicht  beachtet  wurde. 

DieThurmpariie.  Das  T h u r m mau  er  w e r k befteht  von  unten  auf  aus  Bruchfteinen  und 
ift  wohl  auch  mit  einigen  Eckquadern  verleiten.  Nur  ein  grofses, 
dreitheiliges  Fenfter  im  vorfpringenden  Mitteltheile  der  Weftfront  an 
Stelle  eines  Einganges,  der  der  Oertlichkeit  wegen  lieh  hier  nicht  anbringen 
liefs,  belebt  diefe  Partie.  In.  der  unfehönen  Weife  feiner  Entftehungszeit 
durchgebildet  und  jetzt  fall  ganz  vermauert  verdient  diefes  Fenfter  behindere 
Beachtung  nicht;  dasfelbe  gilt  von  den  beiden  Thüren  hinter  den  Nifchen 
gen  Norden  und  Süden ; die  nördliche  geftattet  der  bewohnten  Anbauten 
wegen  keine  Unterfuchung  und  von  der  füdlichen  ift  nur  die  äufsere  Ge- 
wändelinie zu  erkennen,  lieber  dem  Mittelftück  der  W eftfront  baut  fich  die 
Glockenftube  auf,  das Ueberbleibfel  des  Thurmes  von  1697,  dem  greisere 
F'enfteröflhungen  eingebrochen  find.  Ihre  Bruchfteinmauern  weichen  durch 
hellere  Farbe  und  andere  Ausführungsart  fichtbar  von  den  unteren,  älteren 
ab ; fie  heben  fich  etwas  aus  dem  Dache,  welches  fich  hierher  den  Vorfprüngen 
gemäfs  abwalmt  und  auf  feiner  F'irftecke  über  der  Glockenftube  einen 
wenig  fchönen  Dachreiter  für  die  Schlagglocke  trägt. 

Diefe  Befchreibung  ergiebt,  dafs  die  ganze  wertliche  Kirchenpartie  mit 
Einfchlufs  des  Thurmes  nur  einen  langweiligen  Eindruck  machen  kann,  weil 
die  Sprache  ihrer  Bauformen  fall  ausdruckslos,  jedenfalls  ohne  Wohlklang, 
ja  da,  wo  das  Material  aus  Bruchfteinen  befteht,  fogar  roh  oder  rauh  gleich- 
fam  heiler  ift.  und  man  begreift,  dafs  dieler  Eindruck  noch  weniger  angenehm 
fein  wird  durch  den  unmittelbaren  Vergleich  mit  der  fall  allzu  redefeligen 
Oftpartie. 

Um  uns  im  Inneren  der  Kirche  umzufchauen,  durchfchreiten  wir  die 
Die  Vorhalle,  füdöftlich  angebaute  Vorhalle.  Ueber  ihre  Entftehungszeit  haben  wirkeine 
Nachricht,  und  das  wird  begreiflich,  wenn  man  erwägt,  wie  diefer  Anbau 
muthmaafslich  entftanden  ift,  nämlich  weniger  von  vorn  herein  geplant  als 
durch  die  veränderten  Verhältnifle  hervorgerufen.  Um  1388  mufste  das 
Kloller  einen  anderen  Eingang  bekommen,  weil  der  gothifche  Kirchenbau 
die  Situation  etwas  veränderte.  Im  Südoflen  trat  der  örtliche  Flügel  der 
Claufur  bis  an  die  Kirche,  hier  aber  fand  der  Eingang  in  das  Kloller  llatt 
jetzt  wie  vordem.  Wenn  es  nun  richtig  ift,  was  ich  annehme,  dafs  die 
Elifabethkapelle,  die  1472  geweiht  ift,  bereits  lange  vorher  vorhanden  war. 
fei  es  auch  nur  als  irgend  ein  profanen  Zwecken  dienender  Klofterraum  — 
hierauf  fowie  auf  ein  höheres  Alter  Ichliefse  ich  aus  den  verhältnifsmäfsig 


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DTK  ST.  MORITZKIRCHK. 


"5 


Harken  Mauern,  aus  der  tieferen  Lage  des  Fufsbodens,  aus  dem  Mangel 
fall  jeder  Kunflform  und  aus  der  nicht  geplanten,  fondern  offenbar  erfl  1472 
eingebrochenen  Thür  — wenn  alfo  die  Annahme  eines  höheren  Alters 
des  Kapellenraumes  richtig  ifl,  fo  hatte  lieh  eigentlich  die  Vorhalle 
fchon  durch  die  nachmalige  Kapelle  im  Süden,  den  Kreuzgang  im  Wellen 
und  die  Kirche  im  Norden  fo  weit  von  felbfl  gebildet,  dafs  ihr  nur  noch 
die  Oftwand  fehlte.  'Nichts  natürlicher,  als  dafs  man  dazu  gleich  den 
öftlichllen,  winkelrechten  Strebepfeiler  des  SüdfchifFes  benutzte,  indem 
man  ihn  verlängerte,  und  dafs  man  eine  verbindende  Mauer  in  die  Lücke 
fügte,  welche  auf  folche  Art  zwifchen  Oftwand  und  Kapelle  entftand.  Wenn 
diefe  Verbindung  in  einer  zur  Kapelle  unorganifchen  Weife  gefchah,  fo  findet 
das  in  Hinficht  auf  die  Anlage  eines  zweiten  Fenders  für  die  Vorhalle  mitten 
unter  ihrem  mittleren  Kreuzgewölbe  wohl  feine  Erklärung.  Den  Formen 
nach  ift  die  Vorhalle  durch  diefe  beiden  Wände  auch  noch  zur  Zeit  der 
Erbauung  der  örtlichen  Kirchenhälfte  angelegt,  mag  das  auch  erft  im 
15.  Jahrhundert  gefchehen  fein,  als  der  Kirchenbau  ziemlich  fertig  war 
gewifs  ift,  dafs  die  Kunftformen  noch  ganz  die  Art  derer  am  Chor  zeigen 
und  das  gilt  namentlich  von  der  in  Quadern  erbauten  Oftwand  mit  ihrem 
Portale.  Wir  fehen  da  als  Belebung  des  oberen  Wandftückes  wieder  eine 
Blendarkatur,  welche  fich  auch  über  den  eigentlichen  Strebepfeiler  bis  an 
die  Kirchenwand  ausdehnt.  Der  Strebepfeiler,  unten  ganz  in  der  Wand 
verfchwindend,  geht  bis  zum  Kirchendache  hinauf  und  wird  über  dem  Pult- 
dache der  Vorhalle  erft  als  Strebepfeiler  kenntlich.  Unten  ift  er,  da  die 
Mauer  der  Wendeltreppe  für  den  Kirchenboden  ihn  berührt,  von  einer  Thür- 
öflfnung  durchbrochen,  die  jetzt  den  Treppenzugang  abgiebt,  während  diefe 
Treppe  ehemals  nur  vom  Kircheninneren  betreten  werden  konnte.  Freilich 
ift  das  vermauerte  Gewände  diefer  Innnenthür  nicht  gothifch,  wenigftens 
(lammt  der  grade  Sturz  fowohl  der  undeutlichen  Buchffaben  und  Zahl- 
zeichen (1722?)  als  auch  feiner  fchlichten  Form  und  der  Scharrirtechnik  nach 
aus  der  Barockzeit;  das  will  jedoch  nichts  lägen  gegenüber  der  Thatfache, 
dafs  die  alten  Wendelflufen  an  diefer  jfhür  beginnen  und  nicht  an  der, 
welche  jetzt  von  aufsen  her  den  Zugang  abgiebt.  Dafs  die  Wendeltreppe 
etwas  mehr  als  halbkreisförmig  aus  der  Kirchenwand  tretend  fich  über  der 
Vorhalle  bis  zum  Dach  der  Kirche  hinaufzieht,  unbekümmert  darum,  was 
für  ein  Ausfehen  die  Wand  auf  diefe  Weife  erhalte,  ift  durchaus  im  Sinne 
der  Gothik.  Letztere  erachtet  die  Treppe  nie  wie  nachmals  die  Renaiffance 
einer  architektonifch  monumentalen  Ausbildung  für  würdig,  fondern  fieht  in 
ihr  nur  das  einmal  nicht  zu  entbehrende  Mittel  der  Verbindung  von  zwei 
Räumen  in  verfchiedener  Höhe.  Der  Gothik  ift  nicht  eine  abfolute  Schönheit, 
gleichgiltig,  an  welchem  Objekte,  fondern  eine  bedingte  Zweck,  eine  auf 
einem  gewiffen  Syftem  beruhende.  Zu  diefem  Syftem  fleht  aber  eine  Treppe, 
die  lediglich  praktifchen  Rückfichten  zu  dienen  hat,  nicht  in  Verbindung, 
daher  ihre  unbequeme  F'orm  und  ihre  fichtbare  Unzugehörigkeit  zu  dem 
Gebäudefyftem. 

Das  fpitzbogige  Portal  der  Vorhalle  liegt  am  Austritt  einer  Freitreppe, 
welche  neuefter  Zeit  angehört  und  dem  Ausfehen  des  Einganges  nur  Vor- 

8* 


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n6  I >! K STADT  HALLE  u-  <1.  SAALKKEIS. 

theil  bringt.'  Die  Thüröffnung  wird  durch  einen  Steinbalken  in  der  Höhe 
des  Kämpfers  rechtwinklig  geftaltet,  während  oben  ein  Tympanon  verbleibt, 
das  jetzt  durch  ein  Fender  gefchloft-en,  vormals  aber  wrohl  durch  ein  fteinemes 
Hochbild  mit  Bezug  auf  das  Klofter  ausgefüllt  gewefen  ilt.  Die  Portalaus- 
bildung gefchieht  durch  ein  mäfsig  profilirtes  Gewände,  zu  deffen  Seiten  fich 
je  eine  auf  fchwachem  Säulchen  ruhende  Confole  befindet,  beftimmt  eine 
Figur  zu  tragen.  Diefe  Confolen  haben  die  Form  eines  kurzen,  achtfeitigen 
Prismas,  und  deffen  Seiten  find  mit  Maafswerk  überzogen,  fodafs  die  ganze 
Confole  über  der  ftützenden  Säule  im  Kleinen  einer  Kanzel,  wie  die  der 
Marktkirche  ift,  nicht  unähnlich  fleht.  Der  Uebergang  vom  Säulchen  zur  Con- 
fole wird  durch  zwei  Wappen  verdeckt,  die  in  ftarkem  Hochrelief  ausgeführt 
find,  eine  Verzierungsart.  die  fich  auch  an  einer  Anzahl  von  Capitälen  der 
Pfeilerdienfte  im  Innern  vorfindet.  Ueber  bez.  hinter  jeder  Confole  ift  für 
die  jetzt  fehlenden  Figuren  eine  lange  Nifche  und  an  deren  Ende  kragt  ein 
ornamentreicher  Baldachin  vor.  von  dem  fich  nur  der  unterfte  Stein  erhalten 
hat.  Der  einfache  Portalfpitzbogen  wird  oben  von  einem  krabbenbefetzten 
Simfe  umlaumt  und  derartig  abgedeckt,  dafs  fich  wie  bei  den  Kirchen- 
fenftern  eine  FTelsrückenform  bildet,  die  dann  in  einer  halb  vor  der 
Wand  freiliegenden  Kreuzblume  endet.  Der  Giebel  des  Pultdaches  ift  bereits 
ein  Erzeugnifs  der  ausgebildeten  Renaiffance.  Er  belicht  aus  geputztem 
Backfteingemäuer  und  obwohl  eraufser  einigen  horizontalen  Gefimfen  fchlicht 
ift,  erhält  er  doch  durch  die  fehr  bewegte,  aber  gut  gezeichnete  Giebellinie 
ein  nicht  unintereffantes,  malerifches  Ausfehen. 

Im  1 nneren  der  Vorhalle  fallen  die  beiden  grofsen Thüröffnungen  der 
Kirchenwand  auf.  Olearius  fchreibt,  dafs  1488  „die  grofse  Thür  oder  Ein- 
gang in  die  Kirchen  auff  Seiten  der  Pfarrwohnung  angelegt  und  erbauet“  fei. 
eine  Notiz,  die  auch  Schubart  bereits  giebt  und  die  fich  am  wahrfcheinlichllen 
auf  diefe  beiden  Thüren  beziehen  läfst.  Denn  aufserdem  wäre  es  des 
Singulars  „Thür“  wegen  noch  möglich,  fie  auf  das  Portal  der  Vorhalle  zu 
beziehen , wodurch  dann  die  letztere  datirt  fein  würde.  Wahrfcheinlicher 
ift  jene  erfte  Auslegung,  weil,  war?  die  Vorhalle  erft  nach  der  Herftellung 
diefer  gekuppelten  Thüröffnungen  entftanden,  diefe  Oeffnungen  unterweilen 
in  das  Freie  geführt  hätten;  fie  find  nämlich  nicht  wohl  fchliefsbar,  da  ihr 
Gewände  keinen  Thüranfchlag  hat  und  beiderfeits  fo  profilirt  ift.  dafs  über- 
haupt nur  an  einen  leichten,  lofen  Verfchlufs  etwa  durch  Teppiche,  nicht 
aber  an  einen  feilen,  wie  er  doch  nöthig  gewefen  wäre,  gedacht  werden 
kann.  Da  die  Profilirung  der  Gewände  diefer  beiden  Oeffnungen  ungleich- 
mäfsig  ift,  ja  einzelne  Rundftäbe  plötzlich  authören.  fo  fcheint  überhaupt  von 
Anfang  an  geringe  Sorgfalt  bei  der  Herftellung  beobachtet  zu  fein,  was 
fchwerlich  gefchehen  fein  würde,  wenn  die  Oeffnungen  und  Gewände  gleich- 
zeitig mit  dem  Mauerwerk  entftanden  und  nicht  erft  nachträglich  in  fertigem 
angelegt  wären.  So  grofse  und  doppelfeitig  profilirte  Thüren  konnte  man 
aber  mit  Rückficht  auf  eine  vorhandene,  überdachte  Vorhalle  ausführen, 
welche  dann  nicht  nur  ein  würdiges  Veftibulum  für  das  Klofter,  fondern 
auch  lür  die  Kirche  felbll  und  nach  1472  auch  für  die  Elifabethkapelle  ab-  I 
gab.  Es  mag  erwähnt  fein,  dafs  letztere  durch  einen  alten  Thürflügel  aus 


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niK  ST.  MOKITZKIKCHK. 


'7 


Eifenblech  mit  Rofetten,  die  ehemals  wohl  vergoldet  waren,  heute  durch 
Oelfarbenanflrich  ganz  unlcheinbar  geworden  lind,  verfchlolTen  wird;  von 
einigen»  Intereire  ilt  die  Schmiedeeifenarbeit  indeffen  doch  noch.  In  der 
jetzigen  Gellalt  mag.  abgefehen  von  einem  Relief  und  der  Statue  Chrifti, 
die  noch  befprochen  werden  füllen,  die  Wellwand  auch  nicht  von  Anfang 
an  gewefen  fein.  Als  Eingang  in  das  Klofter  Icheint  die  jetzt  in  das  Ver- 
fammlungszimmer  führende  Thür  doch  etwas  gar  zu  unbedeutend;  es  ifl 
nicht  möglich  gewefen  Genaueres  darüber  zu  ermitteln.1  Für  die  Vorhalle 
war  eine  gewölbte  Decke  in  Ausficht  genommen  und  die  Kämpferfchichten 
auch  fogleich  mit  angelegt , die  Einwölbung  jedoch  unterblieb  einllweilen. 
Jene  erden  Wölbfchichten  lind  nämlich  noch  gut  erkennbar,  da  fie  einfach 
flehen  blieben,  als  nachher  1588  durch  Ilofman  (?)  die  Wölbung  nicht  ganz 
in  projectirter  Weife  gefchah.  Diefe  Jahreszahl  lieht  auf  jedem  der  drei 
Wappen  an  den  Kreuzungspunkten  der  Diagonalrippen  des  dreitheiligen 
Gewölbes.  Das  mittlere  Wappen  (teilt  ein  Schiff  — die  Arche?  — dar,  die 
beiden  anderen  tragen  Meifterzeichen  in  den  Linien  diefer  Renaiffancezeit, 
alles  in  Gold  auf  dunkelblauem  Grunde;  auch  zwei  Buchftaben  finden  lieh  auf 
jedem  Schilde,  wohl  die  Namensanfänge  der  Wappeninhaber,  welche  hier 
nicht  die  Werk-  oder  Baumeiller.  fondern  die  zu  fein  fcheinen,  die  für  diefe 
Einwölbung  das  Geld  fpendeten.  Wir  werden  theils  denfelben , theils  ähn- 
lichen Wappen  an  einem  Gemälde  und  an  der  Kanzel  wieder  begegnen, 
alfo  an  Werken  ganz  verfchiedener  Technik.  Es  fcheint,  dafs  fich  eine 
begüterte  Familie  derzeit  durch  folche  Schenkungen  hervorgethan  hat. 

Bevor  noch  die  Befprechung  der  Vorhalle  abgefchloffen  wird,  ifl  ein 
beachtenswerthes  Kunllwerk  zu  befchreiben,  welches  zur  Ausflattung  des 
Raumes  gehört , aber  wie  das  Gewölbe  und  der  Giebel  auf  der  Oflwand  aus 
der  Blüthezeit  derl  Renaiffance  datirt,  ich  meine  die  Thürflügel  des  Por- 
tals der  Vorhalle  Fig.  54.  Es  liegt  uns  hier  eine  keineswegs  üppige,  aber  aufser- 
ordentlich  tüchtige  Tifchlerarbeit  vom  Jahre  1601  vor.  erfunden  und  gemacht 
durch  denfelben  trefflichen  Meiller,  der  leider  namentlich  unbekannt  geblieben 
ifl.  während  wir  mehrere  feiner  Werke,  das  ältere  Thalhauszimmer,  die  Bräu- 
tigamsllühle  der  Marktkirche  und  andere  kennen.  Man  kann  diefen  Künlller 
nicht  genug  bewundern  weil  er,  in  feinen  Arbeiten  nie  feine  Eigenart  verleug- 
nend, doch  niemals  fich  felbfl  copirt,  fondern  an  neuen  Gedanken  unerlchöpflich 
ifl.  Man  kann  ihn  nicht  genug  preifen,  weil  feine  Werke,  alle  edel  bis  in  das 
Kleinfte,  nicht  angefchaut  werden  können  ohne  edler  zu  machen  und  uns 
mit  glühender  Begeiflerung  zu  erfüllen  für  die  Werke  echter  Kunfl.  Der 
Meiller  hat  durch  drei  Pilaller  von  römifch  dorifcher  Ordnung,  die  mit 
einem  reizvollen  Bandmotiv  gefüllt  find,  zwei  Theile  zur  Bildung  der  Thürflügel 
gefchaffen.  Sie  flehen  auf  einem  zweitheiligen  Sockel,  der  in  beiden  Theilen 
ein  wenig  vorfpringt  und  fich  auch  um  die  Pilaller  als  deren  Bafis  kröpft. 
Oben  giebt  den  Flügeln  das  von  den  Pilaflern  getragene  Gebälk  den  Ab- 


1 Aus  dem,  uas  von  Dreyhaupt  I.  1085  fagt,  (wo  er  übrigens  den  Chriftus  an  der  Marter- 
fäolc  für  ein  ,, Aliserere-Iiild  oder  Ecct-Homo**  ausgiebt)  fcheint  hervorzugehen,  dafs  das  Ver« 
faramlungszimmer  die  alle  Sacriftei  war. 


Thürrtügel  des 
Vorhallen- 
portales. 


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Fic-  54* 


Thiirßügcl  des  PoriaU  der  Vorhalle. 


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HIF.  ST.  MOKITZK1KCHE.  1IQ 


fchlufs.  Sie  lind  in  Rahmen  und  Füllung  und  zwar  jede  in  zwei  verfchieden 
grofsen  Theilen  gearbeitet.  Auf  den  Füllungen  der  beiden  unteren  kleineren 
Theile  fteht  leicht  eingefchnitten  iboi  mit  S-törmigen  Trennungszeichen 
zwifchen  den  einzelnen  Ziffern.  Das  Gebälk  ill  unverhältnifsmäfsig  niedrig, 
befteht  aber  trotzdem  aus  Architrav,  Fries  und  Kranz.  Man  lieft  in  dem 
durch  blattgezierte  Confolen  viertheilig  gewordenen  Friefe,  dass  ein  Dr.  Bal- 
thafar  Brunner  der  Donator  diefer  Thür  gewefen  ift,  und  die  Chronißen 
fchrciben  auch  über  die  Gründe  seiner  Schenkung.  Das  Gebälk  dient  als 
feiles  Losholz,  welches  die  beweglichen  unteren  Flügel  von  dem  unbeweg- 
lichen oberen  Theile  fcheidet  und  diefen  trägt.  Den  unteren  Flügeln  ent- 
fprechend  ift  auch  der  obere  Theil  durch  Pilafter  in  zwei  Hälften  getheilt, 
jede  davon  ill  wieder  in  Rahmen  und  Füllung  doch  eintheilig  gearbeitet 
und  dann  durch  ein  erhabenes  Wappen  — wohl  das  Brunn  er ’s  und  das 
feiner  Frau  — gefchmückt.  Die  trennenden  Pilafterchen  haben  eine  hohe 
gliederreiche  Balis,  die  beiden  feitlichen  lind  mit  gut  gezeichneten  und 
relielirten  Blatt-  und  Blumenornamenten  gefüllt,  der  mittlere  aber,  unter  dem 
Hälfe  breit,  verjüngt  fich  nach  unten,  wo  metallförmig  flaches  Ornament  ihn 
überzieht,  welches  nach  oben  fich  zu  einer  blattgefüllten  und  mufchelüber- 
deckten  Xifche  umbildet,  ßefchlagen  ift  die  Thür  äufserlich  mit  breitköpfigen, 
tlachrunden  Nägeln  in  fymmetrifcher  Ordnung.  Der  Thürgriff,  dieSchlüffel- 
bleche  und  die  Griffe  mitten  in  den  Füllungen  der  Flügel  gehören  wie  das 
Hauptftück  des  Befchlages,  das  ganz  außerordentlich  fchön  und  prachtvoll 
verzierte  Schlofs  auf  der  Rückfeite  der  Thür,  der  Barockzeit  an.  Von 
fo  vorzüglicher  Arbeit  und  Erfindung  ift  die fes  Schlofs,  dafs  es  als  ein  wahres 
Mufterftück  barocker  Schlofferei  gelten  darf ; um  fo  auffälliger  dabei  ift,  dafs  es 
unbedenklich  aut  die  fonft  ganz  roh  beladene  Rück  feite  der  Thür  genagelt  ift. 

Es  fcheint  hier  nicht  unpaffend  befonders  im  Interefle  der  Bauleute, 
die  Gedanken  des  Meifters  diefer  Thür  während  dem  Acte  der  Erzeugung 
des  Kunftwerkes  aufzufpüren,  ihn  gleichläm  in  feiner  Geifteswerkftatt  bei 
küttlUerifchem  Schaffen  zu  belaufchen,  um  zu  erfahren,  welche  Regeln  und 
Kunftgriffe  er  bewufst  oder  unbewufst  anwendet,  damit  die  herrlichen  Ver- 
hältniffe denn  in  ihnen  liegt  der  Grund  des  Gefallens  — entliehen.  Im  vor- 
liegenden Falle  waren  die  llauptmaafse  gegeben,  die  zu  füllende  1 hür- 
öffnung  hat  ein  etwas  fchlankeres  Verhält  nifs  als  das  nach  dem  goldenen 
Schnitte  gebildete  ausmachen  würde.  Darauf  hat  der  Meiller  in  feiner 
Eintheilung  wohl  Rücklicht  genommen,  indem  er  die  Hauptcäfur  durch  das 
Gebälk  ein  Wenig  höher  legt,  als  wohin  bei  genauen  Nachmeffen  die  Theilungs- 
linie  des  goldenen  Schnittes  lallt ; diefe  liegt  nämlich  gerade  in  der  Architrav- 
oberkante.  Durch  die  Simfe,  Pilafter  u.  f.  w..  welche  die  Unterfchiede  aus- 
gleichen,  fteht  aber  von  nun  an  alles  im  Verhältniffe  des  goldenen  Schnittes 
oder  in  einem  folchen,  das  durch  fernere  Anwendung  derfelben  Theilungsregel 
als  Unterabtheilung  fich  ergiebt  und  wohl  dem  Auge  weniger  aber  dem  Ver- 
llande  fafslichift.  So  fteht  genau  im  goldenen  Schnitt  die  Höhe  zur  Breite 
des  ganzen  oberen  d.  h.  über  dem  Gebälk  gelegenen  Stückes : genau  in  dem 
nächllen  complicirteren  Verhältniffe  (Höhe:  Unterfchied  der  Breite  und 
Höhe  = Unterfcbied  der  Breite  und  Höhe:  Breite)  fteht  jederThürflügelzwifchen 


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Das  Kirchen- 
innerc: 

Vcrhältniffe  des 
O fitheiles. 


& 


Befchrcibungde» 

Ofttheiles. 


120  DIE  STADT  HALLE  U.  d.  SAALKREIS. 


den  drei  Pilaftem , und  fo  kann  man  an  diefer  Thür  vielleicht  bis  in  das  Kleinfte 
weiter  theilen;  wir  begnügen  uns  nur  noch  die  Sockel,  die  Füllungen  und 
unteren  Pfeiler  zu  nennen.  Befieht  man  den  oberen  Theil  der  Thür,  fo  ent- 
geht nicht,  dafs  der  Meifter  bei  feinem  Entwurf  durch  eine  hohe  Balis  der 
Pilafter,  ebenfo  dadurch,  dafs  der  Rahmen  für  die  Füllung  unten,  alfo  dicht 
über  dem  weit  auskragenden  Simfe,  bedeutend  breiter  als  oben  ift,  Rücklicht 
auf  das  Ausfehen  in  der  Wirklichkeit  genomn.en  hat,  wo  hinter  der  weit  vor- 
tretenden Sima  ein  gutes  Stück  der  Höhe  für  das  Auge  verf«hwindet. 
Warum  andererfeits  der  Rahmen  zwifchen  dem  Sockel  und  den  unterften 
Füllungen  mit  der  Jahreszahl  fchmäler  ilf  als  fonft,  dafür  weifs  ich  keinen 
anderen  Grund  anzugeben,  als  dafs  es  mir  fo  gelallt  und  der  Meifter  hat 
vielleicht  keinen  anderen  gehabt  für  diefen  wie  für  alle  übrigen  Fülle  und  das 
eben  wäre  meifterlich. 

Hiernach  treten  wir  in  das  Kircheninnere  F'ig.  55,  wo  natürlich  derfelbe 
Unterfchied  wie  im  Aeufseren  zwifchen  Oft-  undWefthälfte  fogleich  auffällt; 
fogar  die  gerade  auf  der  Scheidung  belegenen  Pfeiler  nehmen  an  diefem 
Unterfchiede  dergeftalt  Theil,  dafs  fie  gen  Often  das  Ausfehen  der  örtlichen, 
gen  Werten  das  der  weltlichen  haben.  Es  ift  nach  einem  beftimmten  Plane 
und  unter  einheitlicher  Leitung  nur  die  Ofthälfte  ausgeführt,  die  Herftellung 
der  weltlichen  gefchah  „theilweife“,  wie  wir  wiften,  und  der  langen  Bauzeit 
wegen  wohl  unter  mehreren  Meiftern;  mithin  können,  wenn  zunächft  die 
Raumverhältniffe  unterfucht  werden  füllen,  als  beachtenswerth  nur  die  des 
Ofttheiles  in  Betracht  kommen.  Beltimmend  für  folche  find  hauptfächlirh 
die  beiden  Pfeilerreihen,  deren  Stellung  den  ganzen  Raum  in  feine  drei 
Schiffe  zerlegt.  Wenn  die  kleinen  Ungenauigkeiten  abgerechnet  werden, 
fo  hat  das  Mittelfchiff  die  doppelte  Breite  jedes  Seitenfchiffes  im  Lichten 
d.  h.  ausfchliefslich  der  Pfeilerftärke , bei  welcher  wiederum  die  Dienlto  ab- 
gerechnet find.  Eine  Jochlänge  d.  h.  die  Entfernung  von  Mitte  zu  Mitte 
eines  Pfeilers  in  der  Richtung  von  Often  nach  Werten  ilt  der  Seitenfchitl- 
breite  gleich.  Die  lichte  Breite  der  ganzen  Kirche  gleicht  genau  der  Ent- 
fernung von  der  örtlichen  Mauer  der  Nebenapliden  bis  zur  Mitte  der  Pfeiler, 
die  gerade  auf  der  Scheidelinie  der  örtlichen  und  weltlichen  Kirchenhälfte 
ftehen;  der  1388  gebaute  Theil  bildet  alfo  ohne  die  Apfis  des  Mittelfchiffes 
ein  Quadrat.  Ueber  die  Höhenverhältnifife  läfst  fich  Beftimnnes  nicht  an- 
geben, weil  das  Gewölbe,  wie  wir  unten  feilen  werden,  erft  in  viel  fpäterer 
Zeit  und  nicht  in  der  von  dem  Meifter  1388  projectirten  Weife  zur  Aus- 
führung gekommen  ift.  Nach  dem  Platze  di  r Kämpfer  zu  fchliefsen  fcheint 
ungefähr  die  doppelte  Breite  des  Mittelfchiffes  für  den  Gewölbefcheitel  des 
Mittelfchiffes  angenommen  gewefen  zu  fein;  indeffen  ift  es  keineswegs  aus. 
gemacht,  dafs  die  Höhe  nicht  auch  völlig  gleich  der  Breite  und  Länge  des 
Baues  hat  fein  follen , auf  welche  Weife  dann  ein  Cubus  entftanden  fein 
würde,  der  von  fo  einfachen  und  glücklichen  Verhältniflen  ift.  dafs  man  fich 
feiner  an  den  namhaften  Beifpielen  antiker  Kunft  z.  B.  am  Pantheon  zu 
Rom  in  ähnlicher  Weife  bedient  hat. 

Die  Mauer  der  erhöhten  Chorpartie  ift  im  Mittelfchiff  durch  eine  nifchen- 
förmige  Arkatur  rings  bis  zur  F’enfterfchräge  gefchmückt.  Eben  diele 


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55' 


* 


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DIE  ST.  MORITZKIRCHE.  12  I 


Blendarkade,  lieh  gleich fam  zu  den  Pforten  eines  Blendfenfters  ausbildend, 
belebt  auch  die  gegen  das  Mittel fchiff  gerichteten  Seiten  der  Wände  zwifchen 
den  drei  Apliden.  Hier  fällt  auf,  dafs  nördlich  und  füdlich  das  erfte  Bogen- 
feld breiter  als  die  folgenden  ift;  dann  ift  auch  die  Ausbildung  einer  maafs- 
werksmäfsigen  Bekrönung  über  dem  Sims  in  Höhe  der  Fenllerfchräge  füd- 
lich  magerer  und  weniger  flüfsig  als  die  der  gegenüberliegenden.  Aufmerkfam 
zu  machen  ift  auch  auf  den  Efelsrücken  mit  in  Boflen  liehen  gebliebenen 
Krabben,  der  fich  oben  im  Mittelfelde  diefer  Nordwand  befindet  und  wohl 
das  Gemälde  eines  Heiligen  (Moritz?)  überdacht  haben  wird.  Während  diefe 
Trennungswand  gegen  die  nördliche  Apfis  ein  tiefes  Blendfenller,  oder,  wenn 
man  die  Eckpfeiler  zwifchen  grofser  und  kleiner  Apfis  hinzurechnet,  deren 
zwei  ausfpart,  ift  fie  gegen  die  füdliche  voll  und  fchlicht.  Aufser  den 
llatuarifchen  Arbeiten,  die  noch  zu  befprechen  find,  und  dem  fpäter  ein- 
gebrochenen Eingänge  läfst  fich  über  die  Nordapfis  nichts  Tagen.  Vor  der 
Tödlichen  in  der  Wand  des  erften  Joches  ift  die  genannte,  vermauerte 
Treppenthurmthür  bemerkbar,  über  der  in  grader  Richtung  man  ein  fpitz- 
bogiges  Fenfterchen  findet  zu  einem  Einblicke  von  der  Treppe  aus  in  die 
Kirche. 

Ander  Bildung  der  Pfeiler,  befonders  an  dem  intereflanten  Grundrifse 
derfelben.  fpiegelnfich  wiederum  recht  deutlich  ab  dieUenkweife  jener  Zeit 
und  die  Verhältnifse,  unter  denen  fie  hierorts  entftanden  find.  Wohl  liebten 
die  begüterten  Klofterinfaften , die  nur  für  fich  zu  forgen  brauchten,  die 
Pracht,  doch  hatten  auch  die  Kirchenvorfteher  aus  der  Moritzgemeinde  bei 
dem  Baue  mitzufprechen,  und  da  diefe  als  Bürger  einer  Handelsftadt  vor- 
nehmlich von  praktifcher  Sinnesart  waren,  fo  gewann  auch  diefer  Bau  ein 
von  Nützlichkeitsrückfichten  beeinflufstes  Ausfehen,  indem  lichtbarlich  mehr 
auf  eine  klare,  denn  auf  eine  durch  feine  Abftimmung  reizvolle  Wirkung 
der  Formen  Werth  gelegt  ift.  Solcher  Sinnesart  verdankt  das  Hallenkirchen- 
fchema  überhaupt  feine  Entftehung,  und  bei  der  Moritzkirche  haben  wir 
fchon  fowohl  am  Aeufseren,  als  auch  an  den  inneren  Raumverhältniffen 
darauf  hinzuweifen  Gelegenheit  genommen.  Auch  die  Pfeiler  an  fich  find 
geeignet,  dadurch  dafs  fie;  alle  einzeln  bis  zum  Gewölbe  Ichlank  aufgehen 
und  drei  fall  gleich  hohe  Schiffe  bilden,  die  klare  Ueberlichtlichkeit  überdie 
ganze  Anlage  zu  vermehren.  Indem  diefe  Klarheit  gewinnt,  kann  natürlich  von 
jenen  eigenthümlichen,  malerifch  wirkungsvollen  Eicht  und  Luftperfpectiven 
nicht  viel  mehr  übrig  bleiben,  welche  an  den  grofsen  Kathedralen  aufsen 
und  innen  das  Auge  beftricken  und  hervorgerufen  werden  durch  die 
Höhenunterfchiede  in  den  Schiffen,  durch  die  Pfeilerunterbrechungen  und 
Gruppirungen,  kurz  durch  die  fo  entftehende,  ganz  andere  Beleuchtung.  Das 
Schiff  der  Moritzkirche  ilt  durchweg  gleichmäfsig  erhellt,  überall  geht  der 
Blick  bis  hoch  zum  Gewölbe  auf  ohne  Unterbrechung  durch  reizende  Licht- 
und  Schattenintervalle,  und  er  richtet  fich  unwillkürlich  auf  den  Ort  der 
Kirche,  der  durch  gröfsere  Lichtfülle  als  der  vomehmfte  ausgezeichnet  ift. 
auf  den  Chor.  Gleichfam  inftinctiv  verftand  der  Meilter  diefe  BedürfnilTe  feiner 
Bauherren;  feine  Pfeilerform  zeigt  eine  gewilfe  Pracht  zugleich  mit  dem 
Streben  nach  verftändiger,  wenn  auch  nicht  eben  reizender  Anordnung 


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122  DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 

Der  Grundrifs  gleicht  durch  die  vorgelegten  Dien  de  einem  zur  Längs- 
achfe  der  Kirche  übereck  gedeihen  Quadrate,  welche  Gedalt  lieh 
dadurch  gebildet  hat,  dafs  einem  quadratifchen  Pfeiler  die  Ecken  hohlkehlen- 
förmig gebrochen  und  jene  Diende  feinen  Seiten  mitten  vorgelegt  worden 
lind.  Diefer  Grundrifs  ilt  eigenartig,  denn  er  weicht  durchaus  von  dem 
gewöhnlichen  ab,  der  fich  aus  dem  Rundpfeiler  gebildet  hat  und  fich  durch 
alte  und  junge  Diende  in  vielerlei  Profilirung  zwilchen  tiefen  Hohlkehlen 
kennzeichnet.  Er  id  dabei  durchaus  richtig  in  Bezug  auf  das  Gewölbe, 
dem  er  dienen  Tollte.  Er  trag,  ferner  durchaus  das  Gepräge  feiner  Zeit, 
wie  die  vier  langweiligen  und  fogar  finnwidrigen  Hohlkehlen  auf  den  Ecken 
darthun,  und  endlich  id  er  durchaus  klar  und  verdandesmäfsig,  da  kein 
Plättchen,  Kehlchen  oder  Stäbchen  an  ihm  id,  welches  der  nüchterne  Ver- 
band für  die  Thätigkeit  der  einzelnen  Theile  (Diende,  Hohlkehlen;  entbehrlich 
halten  könnte;  die  rechnenden  Kirchen(dief) väter  (vitritl)  hätten  dt-mMeifter 
keinen  Pfennig  für  ein  folches  etwa  überdülsiges  Gliedchen  bewilligt.'  Der 
Pfeiler  von  fo  überfichtlichem  und  doch  recht  ausgebildetem  Grundrifse  hat 
einen  zweitheiligen  Sockel;  Diende  und  Kehlen  haben  befondere,  noch 
mehrfach  getheilte  und  in  andere  Formen  kridallinifcher  Art  fich  umfetzende 
Sockel.  Ein  wagerecht  umlaufendes  Sims  fcheidet  den  lebhaften  Fufs  vom 
Schafte  des  Pfeilers,  welcher  in  grader  Linie  bis  zum  Gewölbe  hinaufgeht 
und  selbd  hier  nur  die  zur  Gewölbeaufnahme  bedimmten  Diende  gegen 
Norden  und  Süden  mit  einem  Capitäle  verlieht,  während  die  Arkaden- 
Dienste  mit  allen  Hohlkehlen  fich  ununterbrochen  bis  in  den  Scheitel  der 
Arkadenbögen  fortfetzen  und  durch  diefe  Capitällofigkeit  ein  Zeichen  für 
den  Stilniedergang  liefern.  Den  Pfeilerdienden  gegen  die  Seitenfchiffe  zu 
entfprechen  gleichartige  Wandfiiulen , einzeln  an  der  breiten  Wand  hoch- 
gehend ; natürlich  gehen  auch  in  den  dumpfen  Winkeln  der  Apfiden  Säulen 
empor  theils  einfache  theils  doppelte  und  fogar  dreifach  gegliederte.  Der 
Capitälfclimuck  aller  diefer  Gewölbeträger  bedeht  aus  Ptlanzenwerk  oder 
bildet  fich  durch  verfchiedene  Wappen  (unter  denen  auch  das  der  Stadt  lieh 
befindet,)  ohne  pflanzliche  Zuthat  fo,  wie  an  den  Confolen  der  Yor- 
hallenthür.  Die  lJlätterkapitäle  find  um  diefe  Zeit  freilich  nicht  mehr 
gut  gezeichnet,  fondern  wie  die  pflanzlichen  Zierrathe  am  Aeusferen 
kräftig  und  im  Allgemeinen  wohl  etwas  plump.  Sehr  unterhöhlt  und  frei- 
liegend bilden  die  Blätter  aus  der  Ferne  gefehen  meid  ein  Gewirr.  Eine 
Entwicklung  aus  dem  Stamme  fcheint  übrigens  immer  dattzuhaben  und 
nicht  durch  jene  Weife  der  nur  angehefteten  Zweige  mit  abgefchnittenen 
Stielen  ersetzt  zu  werden. 

Nicht  erklärbare  Unregelmäfsigkeiten  kommen  auch  an  den  Pfeilern 
vor,  fo  verfchiedene  Höhen  der  Sockel,  verfchiedene  Sockelprofile  und  dergl. 
Hinzukommt,  was  alles  die  Zeit  zerdört  hat.  und  da  ist  nicht  ein  einziger 

1 Das  Plättchen  mitten  an  den  Dienften  der  Arkadcnhögen  könnte  man  freilich  für  über- 
lliifsig  erklären;  cs  Toll  (liefen  Dienften  jedoch  ein  ßirnenprotil  geben,  eine  Form,  die  den 
Meifter  noch  nicht  geläufig  ift  — wir  finden  fie  fonft  nie  — und  durch  deren  plumpe  Ausbildung 
hier  fo  recht  der  Verfallsanfang  fich  zu  erkennen  giebt. 


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DIE  sr.  MORITZKIKCIIE.  123 


Pfeiler  unberührt  geblieben.  Die  Sockel  der  Dienfte  find  weggefchlagen, 
und  die  Sockelgellalt  ift  aufserdem  noch  verändert,  die  Dienfte  bis  zu 
einer  Höhe  von  einigen  Metern  über  dem  Sockelfims  find  ebenfalls  abge- 
meifselt  und  hier  auf  ganz  formlofe  Confolen  gefetzt,  (in  Fig.  55  erkennbar) 
eine  Veränderung  die  der  Confolenbildung  nach  warscheinlich  1782,  wer 
tveifs  aus  welchem  Grunde,  vorgenommen  ift. 

Bevor  wir  uns  zur  Beschreibung  des  Wefttheiles  der  Kirche  wenden, 
fei  noch  einmal  auf  die  Südwand  unsere  Aufmerk famkeit  gelenkt,  welche 
bei  genauer  MelTung  gegen  die  Pfeilerreihe  eine  Divergenz  ergiebt  und 
zwar  fo,  dafs  ein  unschöner  Rückfprung  in  der  Wand  (auch  auf  unferer 
Grundrifszeichnung  Fig.  42  zu  feheni  hat  gemacht  werden  miilTen,  als  man 
den  Wefttheil  anbaute.  Dafs  diefe  abweichende  Mauerrichtung  wahr- 
scheinlich eine  Folge  der  klöfterlichen  Anbauten  ift,  haben  wir  oben  bereits 
erwähnt,  aber  man  hat  auch  fichtbarlich  aut  die  Ausführung  des  hier 
fenfterlofen  Bruchfteinmauerwerks  fo  wenig  Accurateffe  verwendet . dafs  fie 
nicht  in  einem  Fortgange  gefchehen  zu  fein  fcheint,  und  darin  bellätigt 
das  öftlichfteF'enfter,  welches  an  diefer  Seite  noch  in  der  Kirchenhälfte 
von  1 388  liegt.  Es  hat  nämlich  nicht  das  Gewändeprofil  diefer  Zeit,  fondern 
der  F'enfter  im  Wefttheile.  Das  noch  aus  dem  14.  Jahrhundert  dämmende 
kennzeichnet  fieh  durch  einen  Rundftab,  der  auch,  wo  eine  Erneuerung 
ftattgefunden  hat , fehlt  (vergl.  F'ig.  52  und  53)  z.  B.  an  den  Fenftern  der 
Nordfeite,  welche  in  der  örtlichen  Kirchenhälfte  liegen  und  von  Hotman 
reilaurirt  worden  find.  Da  hier  nur  das  Maafswerk  wiederhergeftellt  wurde« 
fo  hat  der  Reftaurator  die  Gewände  belafTen,  an  denen  fich  denn  auch 
der  Rundftab  genau  bis  auf  die  Höhe  findet,  von  welcher  aus  neue 
Steine  eingefugt  worden  find. 

In  der  weftlichen  Kirchenhälfte  unterbrechen  nur  die  Fenfter  die  Wefttheil. 
ganz  fchlichten  Wände,  deren  (udlichc  in  ihrem  unteren  Theile  wegen  der 
kurzen,  hochliegenden  Fenfter  zu  einer  grofsen.  leeren  Fläche  wird.  Die 
Pfeiler  find  von  fchlicht  achtfeitigem  Grundrifse  und  flehen  auf  eben- 
folchem  Sockel,  mit  dem  fie  ein  Rundftab  über  einer  Schräge  verbindet. 

Sie  gehen  ohne  jede  Vermittlung  in  das  Gewölbe  hinein.  Es  find  einige 
Unregelmäfsigkeiten  auch  hier  nicht  wohl  zu  erklären;  zunächst  die,  dafs 
das  welllichfte  Fenfter  der  Nordfeite  bedeutend  fchmäler  ift  als  die  anderen. 
Möglich,  dafs  dies  aus  Stabilitätsgründen  inBezug  auf  den  Thurm  ge- 
fchehen ift;  denn  auch  das  Joch,  welches  hier  am  Thurme  liegt,  ift  breiter 
als  die  übrigen.  Die  Unregelmäfsigkeiten  in  der  Stellung  der  F'enfter- 
pfeiler  fammt  ihren  Strebepfeilern  an  der  Südfeite  zu  den  Innenpfeilern 
können  nicht  wohl  nur  als  Verfehen  erachtet  werden,  lallen  fich  aber  auch 
nicht  erklären,  (Vergleiche  den  Grundrifs  F'ig.  42.) 

U nter  den  Thürmen  find  die  kreuzförmigen  Pfeiler  wegen  der  ungleichen 
Stärke  der  Mauern,  die  fie  tragen,  auch  nicht  von  gleicher  Armftärke. 

Die  Thurmwände  find  nur  durch  das  weltliche,  vermauerte  Fenfter,  die 
Xifehen  gegen  Norden  und  Süden  und  die  Halbpfeiler,  die  den  kreuzförmigen 
entfprechen,  unterbrochen.  In  der  Südweftecke  tritt  noch  die  im  Mauerwerk 
ausgefparte  Wendeltreppe  nach  den  oberen  ThurmgefchofTen  ein  wenig 


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124 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKKK1S. 


in  die  Hcke  des  Kirchenraumes  vor.  Ueber  dem  Gefimfe,  welches  fich 
oberhalb  der  Thür  zur  Treppe  ebfindet  und  tür  den  fpätgothifchen  Stil  wegen 
feiner  langweiligen  l lohlkehlenwiederholung  recht  charakteriftifch  ift.'liegt  eine 
vermauerte  Thür,  die  ehemals  auf  die  hier  befindliche  Empore  gefühn 
haben  mufs.  Noch  lieht  man  die  confolartigen  Steine  aus  der  Weftwand 
hervorkragen,  die  zur  Stütze  der  Empore  gedient  haben.  Die  jetzig« 
hölzerne  Orgelempore  hier  liegt  vielleicht  etwas  höher;  unter  ihr  ift  der 
Raum  theilweife  zu  zweiftöckigen  Stübchen  ohne  jede  Bedeutung  ausgebaut 
Von  dem  Fufsboden  der  Kirche,  der  am  Chor  aus  Sandfteinplatten, 
übrigens  aus  Backiteinpflaflerung  in  Müllern  befteht,  läfst  fich  nur  Tagen, 
dafs  er  neu  ift  und  dafs  von  dem  urfprünglichen  fich  nichts  erhalten  hat. 

Die  Kemalung.  Ueber  die  innere  Ausmalung  fei  erwähnt,  dafs  aus  gothifcher  Zeit 
an  den  Wänden  und  Pfeilern  mit  Sicherheit  keine  Spur  mehr  nachweislich 
ift.  An  der  Arkatur  unter  den  Fenftern  im  Chor  fleht  man  geringe  Relle 
von  dunkelrother  oder  rothbrauner  Quaderung  mit  fchwarzen  etwa  t ■ 
breiten  Eugen  direct  auf  den  Sandßein  gemalt,  eine  Färbung,  die  fehr 
wohl  in  den  gothifchen  Stil  paffen  würde.  Unter  der  Tünche  fpäterer  Jahre 
mag  noch  manches  E'arbenftück  an  den  Wänden  und  Pfeilern  befonders 
aber  an  den  fculptirten  Theilen  z.  B.  den  Capitälen  und  Confolen  der  Oft- 
hällte  vorhanden  fein;  das  fcheint  gewifs,  da  nicht  angenommen  werden 
kann,  dafs  der  aufsen  gefärbte  Bau  nicht  auch  anfangs  in  feinem  Inneren 
und  zwar  durchweg  im  frifcheften  E'arbenglanze  geftrahlt  habe.  Die  nach- 
folgenden Jahrhunderte  haben  dann  viel  übermalt  und  ihre  Malereien  lind 
von  den  darauf  gekommenen  wieder  übertüncht  worden.  Spuren  barocker 
Malerei  an  den  Thurmpfeilern  gehören  etwa  lebensgroßen  Figuren  in 
bew-egtefter  Stellung  an.  An  den  Pfeiler,  welcher  der  Kanzel  gegenüber 
liegt,  ift  Luthers  Wappen  — Rofe,  Herz,  Kreuz  — angemalt  und  mehrere 
Meter  darüber  das  ftrahlenumgebene  Dreieck,  welches  die  Trinität  bedeutet. 
Ueber  der  Statue  des  h.  Moritz  am  zweiten  freien  E'elde  der  tödlichen  Reihe 
von  Ollen  her  fcheint  eine  barocke  (?)  Jahreszahl  (1788?)  durch  die  Tünche 
hindurch,  jedoch  zu  undeutlich  um  ftcher  lesbar  zu  fein! 

Das  Gewölbe.  Das  Gewölbe  der  Kirche  zu  befchreiben,  ift  zu  einem  befonderen  Ab- 
fchnitte  bis  jetzt  hinausgefchoben  worden,  weil  es  mit  den  beiden  Kirchenhältten 
nicht  gleichzeitig,  fondern.  wie  nachgewiefen  wurde,  in  und  nach  dem  Jahre 
1510  und  wohl  ganz  unter  eines  Meillers  Leitung  gemacht  worden  ift,  und  weil 
fein  Auslehen  noch  zu  einer  Unterfuchung  Anlafsgiebt.  Letztere  ift  die,  wie 
es  kommt,  dafs  im  örtlichen  Theile  über  den  Capitälen  vom  Jahre  1388  ein 
Zwifchenraum  von  etw'a  1 " Höhe  bis  zu  dem  Rippenantange  liegt.  (S.  E’ig.  55-1 
Die  Rippen  felbft  gehen  durch  eine  Brechung  an  diefer  Anlangsllelle 
plötzlich  in  die  Wand  über,  würden  aber,  wenn  fie  ihre  Bogenlinie  nicht 
abbrächen,  fondern  regelrecht  weiter  hinab  verlängerten,  fich  richtig  auf  die 
Capitäle  auffetzen.  Diefer  Zwifchenraum  ift  durch  die  Verlängerung  des 
Dienftes  oberhalb  feines  Capitäles  in  einer  roh  behauenen  oder  vielmehr 
zerhauenen  Form  ausgefullt,  und  folche  Bearbeitung  dehnt  fich  auch  nicht 
feiten  auf  die  nachbarlichen  Wandtheile  aus.  Eine  Erklärung  diefer  an  faß 
lalen  Stellen  durchgeführten  Weife,  ausgenommen  find  die  Stücke  in  dem 


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DIE  ST.  MORITZKIRCHE.  125 


in  der  Wölbung’  bevorzugten  nördlichen  Seitenfchiffe,  Icheint  nur  möglich 
dadurch,  dafs  wir  uns  den  Gang  der  Bauarbeiten  bei  mittelalterlichen  Kirchen 
vergegenwärtigen.  Wenn  man  die  Umfaflungsmauern  und  Pfeiler 
emporgeführt  hatte,  war,  um  Gottesdiendj  abhalten  zu  können,  die  fo- 
fortige  Einwölbung  nicht  unbedingt  nöthig,  es  reichte  hin,  wenn  anden  Pfeilern 
durch  ausgekragte  Stücke  für  die  fich  aus  einander  löfenden  Rippen  und 
Gurten  auf  ein  Gewölbe  Bedacht  genommen  war,  während  einltweilen  die 
Pfeiler  und  ihre  Arkadenbögen  zu  einer  Dachbalkenunterdützung  dienten. 
Nun  war  die  Einwölbung  immerhin  auch  nicht  billig  und  der  Säckel  nach 
Herftellung  des  Baues  bis  zur  Benutzung  meid  nicht  mehr  gerade  voll,  fodafs 
dann  das  Wölben  verfchoben  wurde.  Wenn  nun  endlich  an  die  Einwölbug 
gedacht  wrden  konnte,  lebte  der  alte  erde  Meift  er  nicht  mehr  und  fein 
Nachfolger  begnügte  fich  nicht,  das  in  den  erden  Wölbfchichten  vor- 
gezeichnete Sy  dem  im  Sinne  feines  Vorgängers  auszuführen,  fondern  er 
wich  nach  eigenem  Belieben  d.  h.  nach  dem  Gefchmacke  feiner  fpäteren  Zeit 
davon  ab  und  erfand  eine  neue  Wölbweife.  Entweder  vermittelte  er  dann 
die  Verfchiedenartigkeit,  wenn  folche  nicht  zu  grofs  war,  durch  allmähliges 
Ineinanderführen  der  alten  und  der  eigenen  Profile  — dazu  haben  wir  in 
der  Ulrichskirche  ein  Beifpiel  — oder  er  kümmerte  fich  gar  nicht  um  die 
vorhandenen  Schichten  und  fchlug,  wenn  er  das  Gewölbe  nach  feinen  Angaben 
fertig  gedeih  hatte,  die  nunmehr  unpaffenden  Schichten  weg.  Das  gefchah 
in  der  Moritzkirche.  Hätte  der  Meider  es  nicht  fo  gemacht,  fo  mufste 
er  die  erden  Wölblteine  entweder  wieder  wegnehmen,  was  aus condructiven 
Gründen  bezüglich  der  Dachunterdützung  mit  Schwierigkeiten  verknüpft 
war.  oder  aber  er  hätte  diefe  Steine  im  Sinne  des  ausgeführten  Gewölbes 
umarbeiten  müden,  was  vielleicht  das  gegebene  Profil  nicht  erlaubte  oder 
was  auch  zu  umdändlich  war.  jedenfalls  fchien  diefer  Zeit  die  Rohheit  des 
Ausfehens  und  die  Unnatürlichkeit,  das  Alte  einfach  zu  befeitigen,  wenig 
andöfsig.  Nur  im  nördlichen  Seitenfchiffe  hat  man  allerdings  fich  die  Mühe 
gemacht  die  Rippen  bis  auf  die  Capitäle  herab  zu  führen,  weil  diefer  Partie 
eine  bedere  Ausbildung  zu  Theil  werden  Tollte.  In  den  Seitenfchiffen  des 
ödlichen  Theiles  id  das  Rippenmuder  überhaupt  in  einer  Weife  hergedellt, 
die  der  nicht  allzu  fern  liegt,  welche  anfänglich  projectirt  fein  mochte. 

Wie  verhält  es  fich  nun  aber  im  Weden?  Man  mauerte  die  acht- 
feitigen  Pfeilerprismen  hoch  und  verband  fie  in  Höhe  der  ödlichen  durch 
Arkadenbögen  unter  einander  ebenfalls  zur  Dachbalkenunterdützung,  allein 
man  liefs,  da  die  rückfichtslofe  Pfeilerform  hier  keineswegs  an  ein  bedimmtes 
Rippenfchema  gebunden  war,  vielleicht  Kämpferdeine,  aber  nicht  die  eines 
angenommenen  Gewölbes,  dehen,  fo  dafs  dem  fpäteren  Meider  eine  ziemliche 
Freiheit  für  feine  Wölbung  blieb.  Diefer  fpäten  Zeit  war  ein  lichtbarer  Ar- 
kadenbogen — er  id  nämlich  über  der  Gewölbekappe  vorhanden  — wie  im 
ödlichen  Theile,  wo  er  wegen  der  unverrückbaren  alten  Kämpfer  nicht  zu 
verdecken  war.  nicht  mehr  fympathifch.  Sie  liebte  es,  das  Gewölbe  wie  ein 
ungeteiltes  Netz  über  den  ganzen  Raum  weg  zu  fpannen,  und  das  wurde 
denn  auch  der  Anlafs  zu  der  Verfchiedenheit  des  Rippenmuders  und  der 
Höhenlage  beider  Gewölbetheile.  Es  liegt  nämlich  das  Gewölbe  der  wedlichen 


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IZÖ 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKKEIS. 


Hälfte  um  etwa  1,0"  niedriger  als  das  der  örtlichen ; wo  beide  Theile  zufammen- 
treffen  ift  ein  Gurtbogen  in  Höhe  des  unteren  angeordnet,  der  mit  einer  Auf- 
mauerung bis  zum  oberen  hinaufreicht  und  lo  die  Lücken  auslullt.  Dafs  dafs 
Gewölbe  in  einem  äfthetifchen  d.  h.  conftructiv  fichtbaren  Zufammenhange  mit 
den  übrigen  ßauthcilen  ftehen  müfTe,  daran  dachte  man  längft  nicht  mehr:  wie 
keine  Arkaopnbögen  mehr  nöthigwaren,  fo  konnte  man  auch  eine  Scheidung 
der  conftructiven  Theile  in  Gurte  und  Rippen  entbehren.  Das  Ganze  erfcheint 
wie  in  der  Marktkirche  mehr  oder  minder  wie  ein  Tonnengewölbe  mit  Stich- 
kappen,  dem  die  Rippen,  zu  einem  Mufter  geordnet,  als  Belebung  dienen.  Und 
das  bezieht  fich  auf  beide  Kirchentheile.  Im  örtlichen  kommtes  dann  vor. 
dafs  die  Rippen  fich  auch  einmal  gänzlich  von  den  Kappen  löfen  und  frei 
durch  die  Luft  gehende  Stützen  bilden,  ja  noch  mehr,  man  treibt  die  Con- 
ftructionsfpielerei  fo  weit,  dafs  man  die  Rippen  gleich  Ranken  fich  verfchüngen 
und  fich  zu  einem  wunderbaren,  lang  herabhängenden  Schlufsfteine  formiren 
läfst.  Das  weltliche  Gewölbe  macht  durch  die  capitällofen  Pfeiler,  aus  denen 
nun  die  Rippen  mit  den  Kappen  fich  ganz  unvermittelt  entwickeln . einen 
noch  weniger  erfreulichen  Eindruck  als  das  örtliche;  auch  beginnen  die 
Rippen  hier  nicht  einmal  immer  in  einem  und  demfelbcn  Punkte,  fondem 
überfchneiden  fich,  indem  fie  einen  Zwifchenraum  zwilchen  ihren  Anfangs- 
punkten lallen.  Unter  den  Thürmen  hat  der  Meifter  feiner  Luft  am  Er- 
finden abfonderlicher  Rippenmufter  die  Zügel  vollens  fchiefsen  laden.  Im 
Südthurme  bildet  er  einen  Stern,  deften  fich  kreuzende  Mittelrippen  die 
halbe  Länge  der  kürzeren  Seite  des  oblongen  Grundriftes  haben,  im  nörd- 
lichen haben  fie  die  der  längeren  Seite.  Namentlich  der  Raum  zwilchen 
beiden  Thürmen  zeigt  ein  Mufter  von  gefuchtefter.  aber  regelrechter  An- 
ordnung. Wir  müden  dem  Lefer  die  complicirte  Regel  für  diefelbe  aufzu- 
finden überladen. 

Aufser  der  HofmanTchen  Renovation  find  auch  fchon  die  Unregel- 
mäßigkeiten im  weltlichen  Theile  des  füdlichen  Nebenfchiffes  befprochen 
worden,  aber  es  giebt  deren  noch  mehr;  fo  ift  die  Apfis  diefes  Schiffes  viel 
einfacher  gewölbt,  als  die  im  nördlichen  Seitenfchifte.  An  den  Rippen  irt 
häufig  eine  recht  auffällige  Brechung  in  der  Nähe  der  Kämpfer  zu  fehen. 
die  mit  Fleifs  ausgebildet  ift.  Sie  fcheint  zu  bewerten , dafs  es  hier  ausge- 
kragte Kümpferfteine  gab.  zu  denen  dann  die  Rippe  bei  der  thatfächlichen 
Einwölbung  nicht  recht  paden  wollte,  fodafs  ein  derartiger  Compromifs  ge- 
fchloden  werden  mußte.  Die  Rippen  tragen  auf  ihren  Kreuzpunkten  im 
Gewölbefcheltel  als  Schluslleine  verfchiedentlich  Rofetten  oder  Wappen,  fo 
aufser  jenem  Rundtheile  mit  der  Jahreszahl  1510  noch  einige  andere  über 
dem  Altäre,  ebenfo  findet  fich  eine  Anzahl  in  den  letzten  Jochen  amThurme. 
Wahrfcheinlich  gab  es  aber  deren  noch  viele  andere,  die  dann  bei  den  Re- 
novationen. namentlich  bei  der  Uofman's,  verloren  gingen;  fie  fehlen  gerade- 
fo  weit,  wie  diefer  Meifter  von  feinem  Gerüft  hat  reichen  können.  Könnte 
man  die  vorhandenen  von  der  Tünche  reinigen  und  einer  Berichtigung  aus 
der  Nähe  unterziehen,  fo,  glaube  ich,  würden  fich  an  ihnen  über  den 
Meifter  oder  über  die  Zeit  der  Vollendung  des  Gewölbes  Angaben  vor- 
finden. 


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DIR  ST.  MOR1TZKIRCHK. 


«27 


Intereflant  zu  erfahren  wird  es  fein,  dafs  auch  das  Gewölbe  Spuren  von 
Malerei  bewahrt  hat.  Diefelben  finden  fich  über  dem  Hauptchore  etwas 
nördlich  und  würden  fich  kaum  als  ehemaliger  Schmuck  erkennen  lalfen, 
wenn  fich  nicht  befTer  erkennbare  und  gröfsere  Relle  von  genau  derfelben 
Art  der  Bema'ung  an  Gewölbefeldern  in  der  Ulrichskirche  erhalten  hätten. 

(Siehe  weiter  uuten  im  Abfchnitt  über  die  St  Ulrichskirche.)  Das  Orna- 
ment ifl  einfach  in  Schwarz  auf  den  hellgelblich  grauen  Putz  gemalt 
und  befiehl  in  unregelmäfsigen  graden  und  geflammten  Strahlen,  die 
von  einem  Kreuzpunkte  der  Rippen  ausgehen,  welche  eine  fall  weifse  Farbe 
gehabt  zu  haben  fcheinen.  Wenn  man  fich  das  ganze  Gewölbe  derartig 
ausftaffiert  denkt,  fomufses  einen  fall  unheimlichen  Eindruck,  der  allerdings 
nach  fpät mittelalterlichem  Gefchmacke  war,  gemacht  haben. 

Fall  in  Widerfpruch  damit  lieht,  was  man  diefer  Zeit  in  coloriftifcher 
Hinficht  da  geleiftet  hat,  wo  es  darauf  angekommen  zu  fein  fcheint,  nämlich 
bei  der  Ausfchmückung  des  Gewölbes  über  dem  Chor  des  nördlichen 
Seiten  fchi  ffes.  Hier  fehen  wir  auf  den  Verknüpfungspunkten  der  Rippen 
Wappen  angebracht,  wahrfcheinlich  die  der  hauptfachlichften  Geldfpender, 
und  inmitten  als  der  Centralpunkt  ift  Chrillus  zu  fchauen  in  halber  Figur 
mit  der  kreuzbekrönten  Weltkugel  in  der  Hand.  Alle  diefe  Stücke  find 
kunllreich  ausgemeisfelt  und  völlig  polychromirt.  Völlig  erhalten  in  ihren 
ehemaligen  Formen  und  in  all  ihrer  Gold-  und  Farbenpracht,  bilden  fie  zu- 
fammen  ein  gar  kollbares  Mufterftück  fpätmittelalterlicher  Decoration.  Leider 
dem  Auge  etwas  zu  weit  gerückt,  um  noch  gut  zu  allen  Theilen  erkennbar 
zu  fein,  ift  eine  Detailbefchreibung  nicht  möglich. 

Das  Kircheninnere  nunmehr  verlaflend,  begeben  wir  uns  auf  den 
Kirchenboden.  Man  lieht  zwei  verfchiedene  Syfteme  des  Gefpärres  getrennt  Der  Kirchcn- 
nach  den  beiden  Theilen  der  Kirche.  Das  örtliche  ift  augenscheinlich  das  boden. 
jüngere  und  (lammt  wohl  aus  einer  der  Hauptreparaturen,  fei  es  nun  von 
1612  oder  1758-1776.  Aufser  dem  rein  conftructiven  Interefle,  welches  der 
Verband  des  Sparrenwerkes  folcher  rieligen  Dächer  fall  immer  beanfpruchcn 
kann,  bietet  fich  fonft  nichts  Bemerkens werthes  hier.  Die  Deckung  der 
Heilen  und  coloflalen  Dachflächen  ift  in  Schiefer  hergeftellt  und  zwar  feit 
Alters  her  in  deutfeher  Art. 

Westlich  in  der  Glockenftube  hängen  zwei  Glocken.  Die  erlle  von  Die  Glocken. 
o,8om  DurchmefTer  ifl  länglich  geformt  und  gehört  wohl  dem  Anfänge  des 
15.  Jahrhunderts  an.  Den  Hals  umziehen  zwei  kräftige  Schnüre,  welche 
wenig  forgfam  gelegt  find  und  die  Verknüpfungspunkte  ihrer  Enden  genau 
erkennen  laften.  Als  Schmuck  dient  aufserdem  das  kleine  und  kräftige 
Relief  eines  Crucifixus  mit  Maria  und  Johannes  (?)  zu  den  Seiten;  einelnfchrift 
ift  nicht  vorhanden.  Die  andere  Glocke  mifst  1,54"  im  Durchmefler.  Sie  ift 
ihrer  doppelreihigen  Halsumfchrift  nach,  unter  der  ein  F'eftonkranz  umläuft 
ANNO  CHRISTI  M . DC  . XCV  . MENS  . AVG  . SVB  SCEPTRO  . SERENISS  . 

AC. POTENTISS. ELECTORIS  FRIDERICI  III  ...  . gegoren.  An  beiden  Seiten 
dienen  der  Glocke  als  Schmuck  die  Namen  und  Titel  derer,  die  damals  in 
näherer  oder  fernerer  Beziehung  zur  Gemeinde  ftanden  (Pallor,  Syndicus, 

Cullos,  Senator  u.  a.m.)  Die  eine  diefer  Infchriften  fchliefst:  H/EC  CAMPANA 


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128 


DIE  STADT  HALLE  U.  d.  SA  ALK.  REIS. 


Die  Baumeifter. 


Ausbau  durch 
Emporen. 


CUM  ANN.  XXXII  SONVISSET  REFVSA  ET  EX  LIBERALITATE  CIVIVM  ET  PA- 
ROCHIALIUM  ADAVCTA  AB  ARTIFICE  IOHANN  . IACOB  . HOFFMANNO  . CIV 
HALL  . Dem  Wolfe  ift  eingefchnitten  M . A . G . 1696;  ohne  Zweitel  iß  der- 
felbe  (und  auch  wohl  der  Glocken  ftuhl)  vom  Meifter  Adam  Gerber,  der  eben  den 
barocken  Thurm  herftellte,  gemacht  worden.  Es  liegt  in  diefem  Glocken- 
raume auch  ein  maafswerkverziertes  Uhrgewicht,  das  urfprünglich  wohl 
einem  anderen  Zwecke  gedient  haben  wird.  Die  Schlagglocke,  zu  von  Drey- 
haupts  Zeit  in  einem  Thürmchen  über  dem  Chor,  jetzt  in  einem  folchen 
auf  der  weltlichen  Firftfpitze , hat  eine  breite  Form,  ilt  von  ftarker  Rippe 
und  ohne  Schlägel.  Oben  fchmückt  fie  ein  Band  mit  wenigen  Rund- 
theilen  zwifchen  Schnüren;  aufserdem  finden  lieh  an  ihr  zwei  Crucifwe 
und  ein  Heiliger  (?)  in  faltenreichem  Gewände  reliefirt.  Ihr  DurchmefTcr 
ift  o,o, s".  Sie  gehört  muthmaafslich  in  die  erften  Jahrzehnte  des  ib.  Jahr- 
hunderts. 

Zum  Schlufs  der  eigentlichen  Baubefchreibung  fei  über  die  in  der  In- 
fchritt  des  Chorftrebepfeilers  genannten  Baumeifter,  Peter  von  Mortal 
d.i.  Morl  ein  Dorf  nördlich  von  Halle,  und  Conrad  von  Einbeck  erwähnt, 
dafs  jener  gewifs  der  eigentliche  Techniker  war  und  diefser  die  decorative 
Ausftattung  mit  Sculpturen  leitete  1 Wie  wir  noch  fehen  werden,  ift  feine 
Büfte  erhalten.  Dafs  es  eine  Nachricht  über  die  Bauleute  des  Wefttheiles 
nicht  giebt,  erklärt  fich  mit  Rück  ficht  auf  die  lange  Bauzeit  und  die  ver- 
fchiedenen  Meifter,  die  nach  einander  die  Leitung  gehabt  haben  mögen. 
Carl  Drachftädt,  der  Baumeifter  der  Thurmpartie  bis  zum  Dache,  deflen 
an  anderen  hallefchen  Bauten  diefer  Zeit  keine  Erwähnung  gefchieht,  fcheint 
einer  Künftlerfamilie  angehört  zu  haben;  1487  ift  nämlich  auch  ein  Johannesde 
Drachfted  am  Bau  der  Barfüfserkirche  befchäftigt  gewefen.  Der  Herfteller 
der  Gewölbe  ift  unbekannt.  Eine  eingehende  Unterfuchung  der  Steinmetz- 
zeichen an  den  Rippen  und  ein  Vergleich  mit  denen  anderer  gleichzeitiger 
Bauwerke  hierorts  würde  Auffchlufs  geben  können. 

Als  Uebergang  zur  Befprechung  der  einzelnen  Kunftwerke 
der  Moritzkirche  mufs  einiges  von  der  inneren  Ausftattung  bezw. 
Möblirung  gelägt  werden.  155g  ift  eine  „ Schülerbohrkirche “ angelegt 
worden,  aber  noch  in  demfelben  Jahre  wiedereingefallen.  Darnach  fcheint 
es.  als  ob  eine  folche,  die  an  der  Stelle  der  jetzigen  Orgelempore  lag,  vor- 
her noch  nicht  vorhanden  gewefen  fei.  Die  vermauerte  Thür  in  der  Wand 
der  füdweftlichen  Treppe  und  die  confolartigen  Bruchftücke  unter  den 
Thürmen  find  erfichtlicherweife  für  eine  Empore  und  um  fünfzig  Jahre  früher 
gemacht:  fie  hätten  inzwifchen  zwecklos  dageftanden.  1580  find  dann  in 
beiden  Nebenfchiffen  ebenfalls  Emporen  angelegt  und  fpäter  durch  einen 
Maler,  Johann  Treber,  mit  bibli  fehen  Bildern  gefchmückt.  Sie  haben  bis 
in  das  fünfte  Jahrzehnt  unferes  Jahrhundert  geftanden  und  find  dann  fammt 
den  „doppelten  eichenen  Männerlitzen ,“  die  1504  unter  der  nördlichen  an- 
gelegt waren,  befeitigt.  Da  diefe  Stücke  einer  gar  kunftfinnigen  Zeit  an- 
gehören, fo  wird  ihr  Ausfehen  demgemäfs  gewefen  fein.  Nach  einem  Pi- 

1 Oleanus  fagt : „Der  Werk-  und  Baumeifter-*  bei  Anführung  der  Namen  beider. 


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DIF.  ST.  MORITZKIRCHE. 


izg 


^afterfchafte  1 mit  hübfch  gezeichneter  und  reliefgefchnitzter  Pflanzenfüllung 
Eig.  56  wäre,  da  er  von  diefen  Emporen  bez.  Stühlen  herftammen  foll, 
die  Arbeit  unzweifelhaft  dem  Antonius  Pauwart,  dem  Verfertiger  der  Seiten- 
ftühle  in  der  Marktkirche,  zuzufchreiben;  denn  derPilafter  ftimmt  nicht  nur 
in  den  Maafsen,  fondern  auch  im  Charakter  der  Zierrathe  ganz  mit  jenen 
der  Marktkirche  überein  (vergleiche  Eig.  29  bis  33).  Der  niederländifche 
Meifter  hätte  demnach  wenigftens  bis  in  das  letzte  Jahrzehnt  des  16.  Jahr- 
hunderts in  Halle  verweilt. 

Die  im  Befitze  des  Herrn  Baumeifier  Keferftein  im  Hofe  feinesliaufes 
llerrenftrafse  12  hier  befindlichen  zwei  acht  fei  tigen  Holzfäulen  lind  an- 
geblich ebenfalls  Reite  der  Emporen  der  Moritzkirche.  Eine  Platte  mit  Hohl- 
kehle und  darüber  ein  Wulft  bilden  den  Eufs,  die  Seiten  des  Schaftes  find  durch- 
aus ornamentirt  und  zwar  die  des  einen  völlig  mit  auffteigendem  Ranken  werk, 
die  des  anderen  fo,  dafs  nur  vier  Seiten  pflanzlichen  Schmuck  tragen, 
während  zwei  weitere  fielt  diametral  gegenüberliegende  aufrechtgerichte 
Schuppen  und  die  beiden  letzten  ein  Bandornament  zeigen.  Der  Schaft 
endigt  oben  vierfeitig,  indem  die  vier  gewiffermaafsen  den  Diagonalen  des 
urfprünglich  quadratifchen  Schaftholzes  entfprechenden  Seitenflächen  oben 
über  einem  volutenartigen  Wülfte  nach  Art  einer  gothifchen  E'afe  auslauten. 
Ueber  dem  Schalte  folgt  ein  vierfeitiges,  vorn  und  hinten  flaches,  feitlich 
in  fchlaffen  Linien  profilirtes,  capitalförmiges  Zwifchenftück,  über  welchem 
nach  zwei  einander  gegenüberftehenden  Seite  Confolen  auskragen.  Auch 
alle  diefeTheile  find  zweifeitig  mit  flachem  Ranken fcfintuck  überzogen  und  an 
der  einen  Säule  erblickt  man  oben  das  hübfch  gezeichnete  Stadtwappen  den 
Ranken  mitten  eingeordnet.  Nicht  unintereffant  ill  die  conllructive  Verbin- 
dung der  als  Sattelholz  dienenden  Confolen  mit  dem  Schafte,  auf  welchen 
ihr  mittleres  Stück  hinabgeht,  feitlich  erkennbar,  nach  vorn  und  hinten 
aber  von  der  Verlängerung  des  eigentlichen  Schaltholzes,  dem  es  mithin 
fo  tief  eingezapft  ift,  maskirt.  Diefe  Ausbildung  und  der  unfer  Auge  be- 
ftrickende  E'ormenreichthum , der  ehemals  wohl  durch  eine  feine  E'ärbung 
unterftützt  worden  ift,  macht  es  zum  wenigflen  unwahrfcheinlich,  dafs  die 
Säulen  einem  profanen  Zwecke,  etwa  als  Stütze  eines  Ganges  in  einem  Privat- 
haufe, gedient  haben.  Der  Ornamentcharakter  weicht  von  dem  der  Pau- 
wart’fchen  Arbeiten  ab,  indem  weder  in  der  Compofition  die  Formenfchön- 
heit,  noch  in  der  Ausarbeitung  der  einzelnen  Blätter  die  Gefchicklichkeit 
und  Sauberkeit  diefes  Künftlers  zu  finden  ift.  Abgefehen  von  zahlreichen 
Ungenauigkeiten  find  die  Blätter  viel  lappiger,  lederner  und  oft  ganz  ohne 
plaftifche  Modellirung  genau  fo,  wie  an  zahlreichen  Bogenzwickeln  des 
Gottesackers  bemerkt  wird.  (Siehe  deffen  Befchreibung  weiter  unten.) 
Mit  Sicherheit  kann  man  daher  annehmen,  dafs  nicht  Pauwart,  fondern  ein 
von  Nickel  Hofman  befchäftigter  Gefell  wohl  nach  des  Meifters  Angaben 
diefe  Säule  im  6.  oder  7.  Jahrzehnt  des  16.  Jahrhunderts  verfertigt  hat.  Ein 
Werkzeichen  ift  nicht  aufzufinden. 

1 Diefes  zierliche  Stuck  jener  Holzarbcit  befindet  sich  im  Privatbcfitzc  des  Herrn 
Profeffors  Dr.  II.  Hcydetnann  in  Halle,  der  mir  die  Publication  giiligft  geftattet  hat. 

B .D.  d.  Bau- u.  Kurftd.  N.  F.  I o 


Holzfäulen  im 
Haufe  Herren- 
ftrafse  1 2. 


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*3° 


DIE  STADT  HALLE  “•  d.  SAALKREIS. 


Kunftwerke: 
Sculpturcn  Con 
rad’s  v.  Einbeck 
Moritzftatue. 


So  kämen  wir  zu  den  erhaltenen  Kunft  werken  der  Kirche. 
Aufser  einigen  Steinplatten  des  Altares  find  die  Steinfculpturen  Con- 
rad's  von  Einbeck,  des  einen  der  beiden  Baumeifier  die  älteften.  Unter 


Kie-  56. 


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Pilafter  der  ehemaligen  ,, Männer, 
fitze."  (Im  Befitzc  des  Herrn  Prof. 
Dr.  H.  Heydemann.) 


f'E-  57- 


Statue  des  h.  Moritz.  (Schellcnmoritz.) 


ihnen  ift  wiederum  zuerftzu  nennen  die  Statue  des  h.  Moritz  infchriftlich 
1411  gemacht.  Fig.  57.  Sie  fteht  von  Orten  gerechnet  am  zweiten  freien 


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DIB  ST.  MORITZKIRCHE.  131 


Pfeiler  der  ludlichen  Reihe  auf  einem  etwa  mannshohen  Poflamente 
gegen  Abend  und  wird  von  einem  Baldachin  überdacht.  Sie  ift  von 
überlebensgrofser  Figur  und  lireng  genommen  ein  Hochrelief,  doch  hängt 
nur  ihr  Mantel  noch  etwas  mit  dem  Pfeiler  zufammen.  Moritz  ill  als  ein 
Kriegsmann  in  der  Tracht  der  Zeit  um  i ,oo  dargeflellt.  Seine  Prüft  um- 
fchliefst  ein  eifemer  Harnifch;  quer  über  diefem  liegt  ein  breites  Band  mit 
der  Auffchrift : JSailtfiiS  Hl a tl rilillS.  Unter  einem  mit  Schellen1  behangenen 
Gürtel  für  das  Schwert  an  der  linken  und  den  Dolch  an  der  rechten  Seite 
fetzt  fich  der  Brullhamifch  durch  einen  maskenverbrähmten  Schurz  bis  zur 
Körpermitte  fort,  wo  dann  der  languettierte  l.endner  zum  Vorfchein 
kommt.  Trotzdem  lieh  fchon  der  ausgebildete  Brullhamifch  vorfindet  und 
auch  Beine  und  Füfse  von  Eifenfchienen  gefchützt  werden,  ift  auch  das 
Panzerhemd  noch  vorhanden,  welches  etwas  unter  dem  Lendner  hervorfieht. 
Durch  ein  weites  Halsgehänge  und  einen  Mantel,  am  Hälfe  zufammen- 
gehalten  und  hinten  herabwallend , wird  die  ritterliche  Kleidung  vervoll- 
ftändigt.  ln  der  herabhängenden  Linken  hält  der  Heilige  einen  kleinen 
viereckigen  Schild  mit  Kreuz  darauf,  mit  der  anderen  umfafst  er  die  Stange 
der  jetzt  nicht  mehr  vorhandenen  Fahne.  Der  Kopf  hat  wohl  Harke 
Backenknochen  und  volles,  lockiges  Haar,  aber  dabei  ganz  abendländifche 
Züge.  Ein  fcheibenförmiger.  dicker  Nimbus  umkränzt  das  Haupt,  in  dem 
oben  eine  Oeffnung  ift,  die  darauf  hinweift,  dafs  hier  irgend  ein  Gegenltand 
beteiligt  gewefen  ift.  An  der  Platte  unter  den  Füfsen  lieht  in  Minuskeln 

(an-  ist  überputzt)  no  • bomini  • tu”  • tttt°  • ri°  tonrabus  • bf 
Jiinlirkr  • nif  • |irrffril  • in  uiji“  (=  vigilia)  fti  • tmitljei 

Wen  das  kräftig  gehaltene  Relief  auf  der  Vorderfeite  des  Poltamentes 
vorftellen  foll,  befagt  die  Unterfchrift:  ÖQiniminuus  ^tljffr.  Mit  Bezug 
auf  die  Legende  des  h.  Moritz  ill  der  Chriftenverfolger  hier  gellürzt  und 
überwunden  dargeltellt.  Er  trägt  einen  Brullhamifch  und  einen  kurzen 
Waffenrock  darunter  mit  weiten  lappigen  Aermeln.  Ein  Schwert  hängt 
ihm  am  Gürtel  und  auf  dem  verdrehten  Haupte  fitzt  noch  die  Kaiferkrone, 
die  einer  langzipfligen  Schlafmütze  nicht  unähnlich  ift.  Während  er  eben 
zufammenbricht,  fucht  er  diefelbe  mit  der  linken  Hand  noch  auf  dem  Kopfe 
feflzuhalten : in  der  Rechten  hat  er  auch  noch  das  Scepter,  aber  kraftlos 
fenkt  er  es  zur  Erde.  Auf  den  Seiten  des  Pollaments  ifl  unten  etwas 
Blendenmaafswerk  eingehauen,  auf  der  dem  Mittelfchiff  zugekehrten  fehen 
wir  darüber  kaum  mehr  als  eingeritzt  eine  unheimliche  Teufelsgellalt;  un- 


1 Die  Sitte  Schellen  211  tragen  ift  uralt  und  zwar  orientalifchen  Urfprtmgcs.  Sie  war 
z.  B.  auch  bei  den  Juden  im  Gebrauch  (vergl.  einen  Auffatz  in  der  Zeitfchrift  Europa  1883 
^*r.  38  Das  Gold  im  Alterthum  von  Clemens  Fleifcher);  durch  die  Kreuzfahrer  fcheint  fie 
dann  auch  im  Abendlande  bekannt  geworden  zu  fein;  etwa  1240  trat  Islung  von  Schiullich 
f°  , .geziert  mit  viel  hundert  Schellen"  dem  Ulrich  von  Lichtenftein  entgegen  (Weifs:  Coftiimc- 
kunde  II  S.  645),  um  diefe  Zeit  freilich  noch  eine  fcltcne  Ausnahme,  zu  Ende  des  Mittel* 
alters  bei  ausgezeichneteren  Perfonen  ‘und  fcftlichen  Gelegenheiten  beliebt. 

9* 


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132  DIE  STAUT  HALLE  »■  <1.  SAAI.KRKIS. 

säglich  abfcheulich , mit  langen  Bockshörnern  verfehen  ill  ihr  Kopf,  die 
Arme  greifen  nach  dem  Kaifer  um  die  Ecke  herum,  dem  alfo  in  de- 
\V ortes  voll  Iler  Bedeutung  hier  vom  Teufe  das  Genick  umgedreht  wird. 
Aulser  den  Seiten  des  Poffamentes  und  dem  jetzt  getünchten  Baldachin 
ist  alles  in  Oelfarbe  bemalt:  das  Mohrengeficht  dunkelbraun  (nicht 

rchwarz),  Bart  und  Iiaar  fchwarz  und  die  vielfarbige  Kleidung  gemullert 
und  geblümt,  wie  es  eben  derzeit  Mode  war;  auch  an  Vergoldung  ill  nicht 
gefpart.  Ob  diefe  Färbung  urfprünglich  ist,  werden  wir  fpäter  be- 
antworten. 

Eingehen  müden  wir  indeffen  aut  den  St  il  und  den  ällhetischen  Wert  h der 
Arbeit.  Die  VerhältnilTe  der  Figur  des  Moritz  find  äufserll  gedrungen,  man 
kann  fic  geradezu  als  falfch  bezeichnen.  Der  Kopf,  die  Arme  und  die  Hände 
find  im  Vergleich  zu  den  übrigen  Körpertheilen  zu  grofs.  Dasfelbe  gilt  von 
der  Figur  des  Kai  fers.  Die  Haltung  des  Moritz,  ifl  ruhig,  aber  ungemein  Reif. 
Somit  kann  die  Sculptur  keinen  angenehmen  Eindruck  machen  um  so 
weniger,  da  ihre  Behandlung,  im  Einzeln  oft  naturalillisch , voller  Fehler 
und  fo  roh  ifl,  dafs  fie  das  Auge  beleidigt.  Bei  alledem  wird  doch  der  An- 
blick unfer  InterelTe  erwecken  und  unteren  Geill  einige  Zeit  befchäftigen. 
Warum?  Was  wir  fehen,  ill  der  gefchickte  Ausdruck  der  Vor  Heilung 
welche  lieh  Meiller  Conrad  von  dem  Ausfehen  des  h.  Moritz  machte.  In  diefem 
feinen  Werke  bellätigt  er  auf  fichtbare  Weife  nur  die  Thatfache,  dafs  Moritz 
ein  Heiliger  von  einer  ge  willen  Befchaffenheit  ill,  und  er  fügt  die  Dar- 
llellung  des  Ereignilfes  hinzu,  dafs  den  chriltenfeindlichen  Kaifer  der  Teufel 
holt.  Wie  untere  voraufgegangene  Schilderung  ergiebt,  erhebt  fich  feine 
Vorllellung  nicht  über  die,  welche  er  durch  den  Anblick  fehr  vornehmer 
Rittersleute  feiner  Zeit  bekommen  hat  und  welche  ihm  bezüglich  der  Hal- 
tung und  Bewegung  der  Perfonen  aus  dem  wirklichen  Leben  geworden  ilt. 
Nichts  natürlicher,  als  dafs  diefe  realillische  Wiedergabe,  fo  unvoll- 
kommen auch  die  Einzelheiten  fein  mögen,  doch  eine  Harke  Wirkung  aus- 
übt  namentlich  auf  die  roheren,  ungebildeteren  Leute,  denen  jedes  Idealifiren 
unverlländlich  ifi.  Die  DarHellung  desKaifers  z.  B.,  fo  falfch  oder  unfehön 
auch  die  Körperproportionirung  und  fo  unmöglich  die  Bewegung  fein  mag,  läfst 
doch  keinen  Augenblick  zweifelhaft,  was  eigentlich  vorgeht.  Was  hin- 
gegen Conrad  nicht  darllellen  konnte,  war  die  Idee,  deretwegen  die  Heiügen- 
llatue  dalieht  (den  Begriff  in  der  Perfon),  jenes  Etwas,  das  fich  nur  durch 
die  Wirkung  befchreiben  läfst,  welche  das  Kunllwerk  an  fich  auf  uns  machen 
mufs,  indem  es  eine  warme  Begeillerung  hervorruft,  die  bildend  (hier  wohl 
auffordernd  zur  Nacheiferung)  fortwirkt.  Von  diefem  poetifchen  Zauber, 
wie  er  noch  hundert  Jahre  vorher  den  gothifchen  Sculpturen  eigen  war, 
ruht  kein  leifer  Hauch  mehr  auf  der  Bildlaule  des  h.  Moritz.  Als 
Beweis  diene  der  Eindruck,  den  fie  auf  das  Volk  gemacht  hat,  als  nach 
der  Reformation  die  Urfache  ihrer  Errichtuug  unverfiändlich  wurde.  Sein 
unverderbtes  Urtheil,  mich  dünkt  ein  Prüffein  für  das  unferer  überbildeten 
Kunflkenner,  fpricht  deutlich  genug  aus  der  Sage,  mit  der  feine  naive  Dicht- 
kunfi  das  Steinbild  umwoben  hat.  Unbekümmert  alfo  um  die  wahre  Bedeutung 
der  Statue  hat  es  ihr  wegen  des  Ichellenbefetzten  Gürtels  den  Namen  „Sc  hell  en- 


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DIE  ST.  MORITZK1KCHE.  13.? 

moritz“  gegeben1  und  erzählt  von  ihr,  wie  folgt:  Schellenmoritz  war  ein  finfterer 
Mann , aufbraufend  und  jähzornig:  er  hatte  eine  Schwerter,  die  war  milde  und 
gut.  Und  zu  der  Zeit,  als  er  die  Moritzkirche  baute,  lief»  fie  lieh  die  Moritzburg 
errichten.  Als  nun  beide  einmal  bei  einander  waren,  machten  lie  unter  fich  eine 
Wette,  wer  feinen  Bau  zuerrt  fertig  haben  würde.  Schellenmoritz  trieb 
nun  feine  Werkleute  übermäfsig  zur  Arbeit  an,  und  in  feiner  Heftigkeit  er- 
fchlug  er  immer  gleich  den.  der  fich  einmal  ausruhen  wollte,  weshalb  ihm  die 
milde  Schwerter  den  Schellenrock  machte,  dafs  die  Arbeiter  hören  und  fich 
hüten  könnten,  wenn  er  käme.  Sie  aber  war  gegen  ihre  Werkleute  immer 
freundlich,  und  fo  wurde  wirklich  die  Burg  fchneller  fertig  als  die  Kirche.  Da- 
rüber ärgerte  fich  Schellenmoritz  fo  fehr,  dafs  er  die  Schwerter,  als  fie  ihn 
in  ihrer  fertigen  Burg  umherführte,  ergriff  und  aus  einem  Fenfter  hinab- 
rtürzte.  Aus  Aerger  erfchlug  er  auch  feinen  Baumeister  mit  jenem  Stabe, 
den  er  auch  auf  feiner  Bildfäule  hält,  wo  am  Portamente  der  arme  Bau- 
meifter  dargeftellt  ilt,  wie  er  zufammenbricht.2 

Drei  andere  fteinerne  Arbeiten  Conrad’s  befinden  fich  in  der  Apfis 
des  nördlichen  Seitenfchiffes.  Von  ihnen  nennen  wir  als  die  zweite  datirte 
Statue  die  eines  miserere  die  in  mehr  als  l.ebensgröfse  gehalten  ift.  Die  Ecce  hnmu. 
Minuskelinfchrift  an  der  Fufsplatte  lautet: 

nnnn  • bni  . ra°  • ttcr°  • rui'  • tonrabiis  • br  • rinbrkf  • mr  • frtii* 

(Olearius  lügt  noch  eine  nähere  Zeitbeftimmung  hinzu  die  ehemals  auch  dage- 
llanden  haben  mag).  Chriftus,  die  Dornenkrone  auf  dem  Kopfe,  mit  einem  Pur- 
purmantel bekleidet  und  mit  den  Wundenmalen  gekennzeichnet,  fleht  in  ganz 
gebrochener  Haltung  da.  Er  hält  einen  Spiefs,  eine  Knotenpeitfche,  eine 
Ruthe  und  Nägel;  die  Linke  weili  auf  den  tiefen  Speerilich  in  der  Seite 
hin : das  dicke  Blut  quillt  aus  der  Wunde  hervor  und  Hiefst  fchon  geronnen  am 
Körper  bis  in  einen  Kelch  hinab,  der  mit  Oblaten  an  der  Erde  steht. 

Hier  liegen  auch  die  Würfel  und  Silberlinge.  Die  Geliatt  felbft  ist  ftark- 
knochig  und  derb  und  überall  mit  willkürlich  angenommenen  Adern  be- 
deckt. Der  Gefichtsausdruck  ift  herzzerreifsend.  Mit  gebrochenen  Augen  und 
verzerrtem  Munde  fenkt  fich  das  Haupt  des  Gottesfohnes  feitwärts  todtmatt; 
ein  Schmerzensfchrei  fo  unendlich  qualvoll  ertönt  fichtlich  aus  diesem  Stein- 
bilde, dafs  uns  graut.  Wir  fehen  nichts  als  ein  Bild  m en  fehl  ic he n Jammers, 
ein  Bild  der  Hinfälligkeit  des  menfchlichen  Körpers,  und  wenn  auch  der 
Künftler  durch  einen  grofsen  Maafsftab,  durch  starken  (fliederbau , durch  Bei- 
fügung eines  grofsen.  goldenen  Heiligenfcheines  (radförmig  und  mit  Kreuz- 
andeutung)  und  dgl.  hierüber  uns  hinwegtäuschen  möchte,  den  leidenden 
Gott  zu  meifseln,  ift  ihm  doch  nicht  gelungen.  Was  uns  alfo  in  der  Statue 
geboten  wird,  ift  eine  baarrealiftifche  Darftellungdes  Abftofsend-F.ntfetzlichen. 


1 Nach  einer  mir  zugehenilcn  mündlichen  Miltheilung  full  in  Kloftermansfeld  eine  Slaiue 
von  ähnlichem  Ausfehen  vorhanden  fein,  die  im  mansfelder  Volksdialekt  „Schellmurz"  genannt  wird. 

• Die  Varianten  diefer  Sage  find  lediglich  wie  andere  Kleider,  in  denen  das  mirsfalligc 
Unheil  des  Volkes  über  dicTcs  Bildwerk  auftritt. 


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Mater  dolorosa. 


ßüftc  Conrad's 
von  Einbeck.  • 


Christus  an  der 
Marlcrfäule. 


134  DIR  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


Eine  folche  Bildnerei  ist  natürlich  nur  unter  gewiffen  Bedingungen  möglich, 
fie  ill  an  eine  beftimmte  Zeit  geknüpft  und  hört  auf  zu  gefallen,  fobald  die 
Idee  diefer  Zeit  fich  ändert.  An  dem  Benehmen  unferer  Zeit  ill  das  erficht- 
lich;  da  fie  das  Entfetzen  nicht  Händig  vor  Augen  haben  will,  verfehl iefst 
fie  diefe  Figur  in  einen  Wandsfehrank. 

Dicht  neben  diesem  ecce  homo  in  demfelben  Schranke  lieht  kleiner 
im  Maafsftabe  gehalten  eine  mater  dolorosa.  An  der  Sockelplatte  lieft 
man  in  Minuskeln: 

tnnrabtis  • me  • fetil  • 

Darunter  ill  einem  befonderen  Sockelfteine  noch  eine  drachenartige 
Schlange  eingerit/t.  Maria  von  unfehöner  Haltung  und  Figur  hat  ihren  Mantel, 
den  fie  als  Schleier  benutzt,  über  den  Kopf  gezogen.  Sie  weint  über  ihren 
Sohn,  an  jedem  Augenlide  hängen  drei  Thränentropfen.  Die  Darllellung 
lieht  der  vorigen  an  Schauderhaftigkeit  nicht  nach,  ill  aber  in  technifcher 
Hinficht  noch  derber,  ja  fie  ill  roh  zu  nennen.  Auch  die  totale  Bemalung 
der  beiden  Statuen  dieses  Schrankes  mildert  ihren  abftofsenden  Eindruck 
nicht,  fie  zeigt  nur  noch  mehr,  welche  Wollull  es  dem  Künlller  gewefen 
ill,  folche  Jammerfeenen  bis  in  die  Details  realiftifch  — nicht  naturalistifch 1 — 
auszuarbeiten. 

Die  dritte  Sculptur  in  diefer  Apfis,  eine  Büfte  Fig.  58,  ill  dicht  neben  dem 
Wand fchranke  in  etwas  mehr  als  Manneshöhe  der  Wand  zwifchen  Haupt-  und 
Nebenfchiff  eingemauert  und  giebt  in  natürlicher  Gröfse  das  Portrait  eines 
Mannes  in  der  bürgerlichen  Tracht  damaliger  Zeit  wieder.  Eine  Inschrift  ill 
nicht  zu  entdecken,  aber  zweifellos  rührt  diefes  Stück  ebenfalls  von  Conrad  her ; 
die  Tracht,  die  Technik  und  die  Auffaffung  bezeugen  das  unumftöfslich  ficher 
Wie  allgemein  angenommen  wird,  foll  es  des  Me  i Hers  eigenes  Bild  fein 
Auf  dem  Kopfe  trägt  er  eine  Mütze  von  einer  oben  etwas  breiteren  Form. 
Sein  Haar  ill  wohl  gekämmt  und  grade  abgefchnitten.  Sein  Rock,  vorn 
aut  die  Länge  eines  Schlitzes  mit  kleinen  Knöpfen  gefchlolfen,  ill  kittela. rtig. 
An  und  für  fich  ill  das  bartlofe  Gefleht  nicht  eben  interelTant,  es  erweckt 
aber  unfere  Aufmerk famkeit  durch  die  realillifche  Art  der  Behandlung. 
Hier  bei  einem  Portrait  kam  folche  dem  Meifter  fehr  zu  Hatten,  fodafs,  da 
die  Farben  die  Wirkung  noch  verftärken , ein  Eindruck  entlieht,  als  ob  das 
Gefleht  nur  der  Bewegung  bedürfe,  um  zu  leben.  Offenbar  ill  diefe  Küste 
von  künftlerifchem  Standpunkte  aus  das  werthvolllle  Stück,  welches  Conrad's 
Hände  gemacht  haben. 

Zwei  andere  Arbeiten  des  Meifters  finden  (ich  an  der  Weftwand  der 
Vorhalle.  Die  erde  ftellt  lebensgrofs  Chrilfum  an  der  Marlerfäule  dar. 
Aus  der  fonft  unbedeutenden  Infchrift  ganz  unten  an  dem  niedrigen  FVilla- 
mente  erfahren  wir,  dafs  diefes  Bildwerk  urlprünglich  an  einem  anderen 


1 Es  ift  falfch,  hier  von  Naturalismus  zu  reden,  wie  ICuglcr  (kleine  Schriften)  und  andere 
thun,  weil  der  Begriff  des  Naturalismus  die  copiale  Richtigkeit  natürlicher  Formen  in  (ich  fchliefst, 
die  unferer  Bcfchreibung  nach  allen  diefen  Theilen  fehlt.  Nach  Kugler’s  eigenen  Worten  ift 
das  Blut,  das  aus  der  Seitenwunde  ChriAi  am  Körper  zur  Erde  hinabfliefsl  „völlig  wie  ein 
Flechtwerk.4* 


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DIE  ST.  MORITZKIRCHE. 


135 


Platze  (fland  ANNO  MDCLXXIV  . . . HAEC  STATUA  RENOVATA  ET  IN  HUNC 
LOCUM  POSITA  EST)  nämlich,  wie  von  Dreyhaupt  fchreibt,  bei  jenen 

Fig.  5*. 


Btifte  Conrad’s  von  Einbeck. 


Statuen  im  Chor  des  nördlichen  Seitenfchiffes.  An  der  Fufsplatte  fleht 
in  Minuskeln  nur: 

ronnibus  • bc  riubtkr  • mr  • {irrftril 

ohne  eine  Jahreszahl.1  Aufserdem  finden  fich  noch  folgende  Infehritten: 

> Dafs  Olcarius,  der  1460  als  das  Entftehungsjahr  für  diefes  und  die  anderen  Bilder  an- 


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DIR  STADT  HALLE  ll.  d.  SAALKREIS. 


136 


an  der  mehreckigen  Platte  mit  concaven  Seiten  über  dem  Kopfe  der 
Figur  fleht: 

+ Jir  • bis  tmo  • tthm  abbita  • f£}'  • qünq<  • Toi  (T  t'pr  • p 

nobis-  uulnr (Das  Steinstück  fehlt  jetzt.) 

dann  rechts  am  Stamm  hinab : 

+ Ijjagrlliirio  • tf/risli  • iffiribilur  • qfair  • 'pmo  : a plnnla  • 
psbis  • nfq<  • ab  • urrtitr  • nö  • fuil  • in  ro  • fatiilas. 

Die  erfte  Infchrift  wird  von  den  verfchiedenen  alten  und  neueren  Autoren 

verfchieden  angegeben.  Ich  führe  von  jenen  die  Lesart  Schubart 's  an: 

\ 

+ Jir  bis  bno  rt  super  abbila  in  . quinquf:  Toi  |l  . rpt  . pro 
nobis  uulnrra  passa  . 

von  den  neueren  nenne  ich  die  von  H.  Heydemann  und  W.  Schum1: 

+ Jit  bis  bno  tt  super  abbila  0)  qtiinquE  . Tot  rsl  Clji  iflus  pro 
nobis  uninera  (passus) 

Des  Oeltarbeanflrichs  wegen  ifl  die  InTchrift  überhaupt  Ichlecht  lesbar;  heifsm 
aber  die  Zeichen  zwifchen  c und  addita  wirklich  super  — ich  kann  nur  ein 
I,  möglicherweife  ein  f mit  vier  fenkrechten  Strichen  erkennen  — und  fpricht 
man  die  Zahlbuchflaben  mit  ihrem  alphabethifchen  Kamen  und  fiQ'  als  Hilf 
aus,  Io  bildet  das  ganze  einen  leoninifchen  Vers.  (Siehe  auch  Otte:  Hand- 
buch der  Kirchl.  Kunfl-Archäologie  S.  8iy  und  82z). 

Das  Steinbild  felbft  ifl  wiederum  möglich!!  grauenerweckend.  Dem  überall 
blutenden  Heilande  find  die  Hände  über  dem  Kopfe  mit  Stricken  an  einen  Baum- 
ftamni  gebunden  (ein  I lahn  fcheint  nicht  auf  lezterem  geftanden  iu haben),  eben- 
fo  werden  feine  Füfse  durch  einen  Strick  gefelTelt.  Unter  den  Qualen  ill 
feine  Lebenskraft  gebrochen , feine  Glieder  find  fchlaff,  es  wollen  die  Beim 
den  Körper  kaum  noch  tragen,  leife  fchon  biegen  lieh  die  Knie,  und  wir 
erwarten  jeden  Augenblick  mit  Sicherheit  den  Zufammenbruch  des  Dulders 
unter  der  Schmerzenslaft.2  Vor  allem  zeigt  lieh  dieles  Erliegen  im  Gefleht»- 
ausdruck.  So  Achtbar  umfpielt  der  Tod  das  fchmer/entllellte  Menfchenant- 
litz,  dafs  uns  ein  Schaudern  ergreift.  Wir  wenden  uns  weg  nicht  mit  dem 
Gefühle,  das  war  Chriftus.  der  gefolterte,  aber  liegreiche  Gott  d.  h.  die 
fchwer  geprüfte,  doch  unendliche  und  unbeliegliche  Liebe,  fondern  das  war 
das  betrübende  Bildnifs  eines  armleligen  Menfchen,  der  feinen  Martern  er- 
liegt. Die  Behandlung  lehnt  lieh  unmittelbar  an  die  der  befchriebenen 


giebt,  irrt,  feheint  gewifs,  weil  Conrad  fchon  1388  als  Baumeifier  bezeichnet  wird,  alfo  um 
kaum  noch  gelebt  haben  kann. 

1 Beiblatt  zur  Zeitfchrift  für  bildende  Kunft  18.  Jahrg.  Nr.  2. 

2 Man  ficht  oben  im  Kopfe  Christi  drei  Löcher  in  einer  Stellung,  di*  über  die  Bc- 
ftimmumng  dcrfclbcn  zur  Aufnahme  der  drei  metallenen  Lilien  zu  einem  Kreuznimbus  nicht 
zweifeln  läBt. 


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DIE  ST.  MOKI  I'ZKIKCHE. 


■37 


Statuen  an,  doch  will  mich  bedünken,  es  fei  hier  einTröpflein  weniger  Roh- 
heit und  ein  anderes  mehr  Stil  zu  bemerken. 

Das  zweite  Werk  der  Vorhalle  ill  ein  Relief,  das  der  Wand  dicht 
neben  diefem  Chriftusbilde  eingefügt  ilf.  Von  Dreyhaupt  hat  diefes  fowie 
die  Bulle  des  Meifters  nicht  erwähnt;  wir  find  nicht  gewifs,  ob  fein  Platz 
llets  hier  war,  oder  ob  es  auch  erll  fpäter  hier  in  die  Mauer  eingelaflen  ill. 
Dargellellt  ill  die  A nbetung  der  Weifen  aus  dem  Morgenlande.  Ohne  die 
ringsumlaufende,  etwa  handbreite  Bordüre  und  die  architektonifchen  Glieder, 
welche  die  Kante  mit  dem  Bilde  verknüpfen,  ill  die  lichte  Gröfse  46  cm : 58  cm. 
Unten  auf  der  Bordüre  lieft  man: 


Relief  der  An- 
betung der 
Weifen. 


tonraöns  • br  rinbrkr  • mr  • frtif  • 


Rechts  fitzt  Maria  mit  dem  Kinde,  welches  ein  fcheibenförmtgen  Nim- 
bus mit  flachreliefirtem  Kreuz  hat,  während  das  Haupt  Mariens  lieh  von 
einem  grofsen  radartigen  1 leiligenfeheine  abhebt.  Die  Weifen  find  hier  als 
drei  Könige  dargellellt.  Der  erfte  reicht  feine  goldene  Gabe  dem  Kinde 
in  einem  Kelchgefäfse  dar , in  welches  es  hineingreift.  Erfurchtsvoll  hat  er 
feine  Krone  abgelegt,  während  feine  beiden  Genoffen  hinter  ihm  die  ihrige 
noch  tragen.  Der  eine  hat  fein  Gefchenk  in  einem  Hörne,  der  andere  in 
einer  Büchfe  bewahrt.  Hinter  den  Königen  warten  ihre  drei  Diener  oder 
Knappen,  jeder  mit  einer  Fahne:  auf  der  erften  Fahne  ill  ein  Ritter  mit 
Fahne  (S.  Moritz)  zu  fehen,  auf  der  anderen  der  Mond,  auf  der  dritten 
lind  Sterne.  (Vergl.  auch  Virgil  Solis  Wappenbüchlein  vom  Jahre  1555). 

Einen  grofsen  Stern  fieht  man  auch  am  Himmel  über  dem  Stalle  (eigentlich 
auf  dem  Dache),  in  dem  Maria  lieh  befindet.  Im  Hintergründe  lieht  Jofeph 
/ufammen  mit  einem  Ochfen  und  Efel  hinter  einer  Wand  von  Flechtwerk, 
über  welche  her  die  Köpfe  diefer  drei  dem  Vorgänge  ruhig  zulchauen. 

Dafs  hier  keine  Marterfcene  zur  Darllellung  zu  bringen  war,  kommt 
diefer  Arbeit  Conrads  zu  Hatten.  Der  Befchauer  wird  wenigftens  nicht 
unangenehm  berührt.  Die  realillifche  Art  des  Vortrages  erreicht  zuweilen 
gute  Wirkungen,  wenn  auch  der  nicht  immer  glücklichen  Zeichnung  wegen 
und  namentlich  wegen  der  Vernachläfsigung  der  für  Relietbilder  gütigen 
Regeln*  noch  gerade  keine  Begeifterung  entliehen  kann.  Durch  die  I-'ärbung  Färbung  >lcr 
wird  der  gute  Eindruck  diefes  Reliefs  noch  gehoben;  denn  diefelbe  ill  nicht  Scnlpturcn 
wie  bei  den  anderen  Sculpturen  in  Oel-  fondem  in  Temperafarben  bewirkt. 

Hier  ill  mithin  die  urfprüngliche  Färbung  unverändert  geblieben,  während 
i lie  an  den  übrigen  Sculpturen  unter  Beibehalt  der  Müller  und  Farbenzu- 
lammenllellung  (?)  durch  Oeltarben  überdeckt  ill.  Nach  von  Dreyhaupt  find 
die  Conrad'fchen  Sculpturen  1674  renoviret  worden,  was  lieh  nur  aut  die 
Bemalung  beziehen  kann,  weil  eine  Veränderung  durch  den  Meifsel  den 
mittelalterlichen  Eindruck,  den  jede  der  Arbeiten  doch  macht,  völlig  zerllört 


1 Statt  des  cingehaucneo  rar  freit  ifl  jetzt  in  Schwarz  aufgcmall  u rrrfJt*.  Durch  die  ge- 
naue Untcrfuchung  von  II.  Heydentann  und  W.  Schum  ift  diefer  Irrthum  berichtigt  woiden. 

* Vebrigens  ift  in  diefer  Beziehung  zu  berücklichtigen,  was  Viollct-I.c-Duc  unter  sculp 
ture  in  feinein  Dictionnaire  raisonnd  de  l'architccture  über-das  Relief  der  Golhik  fagi.  Das 
über  das  ^Relief  des  h.  Michel  am  Portal  der  Notre-Darae  Gefagle  trifft  freilich  nicht  mehr 
ganz  zg,  weil  hier  fchon  die  Uebcrireibung  hcrrfcht. 

I 


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Kunftwerlh 
dicfer  Arbeiten. 


Zwei  Grabfteine. 


Der  Altar: 
Die  Mensa. 


138  DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKRKIa. 


hätte.  Natürlich  giebt  der  Oelfarbenanftrich  keineswegs  dasfelbe  gute  Aus- 
fehen  wie  die  anfängliche  Bemalung  in  Temperafarben , welche  überall  vor- 
handen gewefen  lind,  weil  der  farbige  Ueberzug,  wie  die  Unterfuchung 
ergiebt,  fich  als  eine  doppelte  Schicht  darllellt. 

Was  diefe  Conrad’fchen  Arbeiten  von  dem  allgemeinen  Charakter  der 
Zeit  an  fich  tragen  und  was  an  ihnen  auf  Rechnung  der  individuellen 
Fähigkeit  oder  Unfähigkeit  des  Meillers  zu  fetzen  iß,  mag  hier  nicht  unter- 
fucht  werden,  weil  ihre  Zulämmengehörigkeit  mit  den  Statuen  amAeufseren 
der  Kirche  erfichtlich  ift  und  wir  bei  deren  Befprechung  bereits  das  Nöthige 
erwähnt  haben ; nur  über  den  Werth  der  K un ft  lei Itung,  der  in  allen  diefen 
Bildhauerarbeiten  Conräd’s  vorliegt,  ift  noch  ein  Wort  zu  Tagen,  nämlich, 
dafs  er  denn  doch  ziemlich  gering  ift.  Gering,  weil  diefen  Arbeiten  die 
Kraft  fehlt,  die  fie  erft  zu  wahren  Kunftwerken  machen  würde,  die  Kraft 
zu  veredeln.  Wir  fahen  gleichfam  fteinerne  Schaufpiele  und  Tragödien, 
in  denen  die  ftärkften  Mittel  gebraucht  wurden,  die  aber  am  Schluffe  unfere 
Gefühle  nicht  erheben,  nicht  verföhnen  konnten.  Wie  anders,  wenn  wir 
den  Apollo  im  Belvedere  des  Vaticans  oder  die  Niobiden  in  den  Ufficien 
verladen!  Wer  nicht  mit  erhabenen  Gefühlen  von  dem  edelften  der  Götter, 
nicht  mit  verlohntem  Herzen  von  jenem  göttergleich  duldenden  Menfchen- 
gefchlechte  fcheidet,  von  dem  wird  auch  hier  nicht  begriffen  werden,  dafs 
die  Stufe  künftlerifchen  Werthes,  welche  die  Werke  Conrad's  von  Einbeck 
einnehmen,  trotz  der  Effectmittel  doch  nur  eine  niedrige  ift  deswegen,  weil  felbft 
von  den  Göttlichen  nicht  mehr  als  menfchliche  Eigenfchaften  gezeigt  werden. 

Unter  den  Kunftwerken  der  Moritzkirche  folgen  der  Zeit  nach  zwei 
der  fpäten  Gothik  angehörige  Grabfteine,  welche  jetzt  unter  dem  Thurme 
an  der  Nordweftecke  zu  Fufsbodenplatten  Verwendung  gefunden  haben 
urfprünglich  aber  ficher  einen  ausgezeichneteren  Platz  hatten.  Es  läfst  fich 
vermuthen,  dafs  es  die  Grabfteine  von  zwei  Pröbften  des  Moritzkloflers  find. 
Die  in  ganz  flachem  Relief  gehaltenen  Figuren  Hellen  folche  vor,  fo  viel 
man  noch  fehen  kann.  Vielleicht  ift  ein  Stein  der  des  doctor  decretorum 
Paulus  Bussius  oder  Bussenius  der  1478  ftarb  und  am  Chor  begraben 
wurde.  Der  andere  Grabflein  ift  beffer  gemacht  und  jünger,  wenn  auch  nicht 
viel:  Es  ift  vielleicht  der  des  Theodoricus  von  Quittickhaufen  (oder 
Oppershaufen),  der  151t»  ftarb  und  am  Chor  begraben  wurde.  Von  Drey- 
haupt  führt  die  Umfchrift  an  dem  Steine  diefes  Probftes  an;  beide  Stein«  find 
aber  zu  fehr  abgetreten,  um  ihre  Schrift  mit  Sicherheit  lefen  zu  können. 
Von  Intereffe  an  den  Buchftabenvertiefungen  ilt,  dafs  fie  urfprünglich  jene 
Maftixausfüllung  hatten,  die  an  folchen  Grabfteinen  namentlich  im  nörd- 
lichen Deutfchland  fich  vielfach  findet. 

Wir  kommen  nun  zur  Befchreibung  des  Al  tares,  derfreilich,  wie  fchon 
erwähnt  worden  ift.  auch  fpätromanifcher  Zeit  angehörige  Theile  enthält  Es 
find  das  die  Steinplatten  zur  Bekleidung  der  vorderen  Seite  des  Tifches.  E'ig-.  5g 
Sie  und  vielleicht  auch  die  eigentliche  Deckplatte  find  bei  dem  Chorabbruch 
der  romanifchen  Kirche  hierher  in  den  gothifchen  Verlängerungsbau  verletzt 
worden.  Die  Ausbildung  diefer  Stücke  zeigt  eine  fo  grofse  Unregelmäfsigkeit, 
dafs  es  fchwer  wird,  zu  glauben,  lie  fei  gleich  anfänglich  in  der  heutigen 


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»IE  ST.  MOKl  TZKIKCHK.  1.50 


Form  gefchehen.  Ein  Oelfarbenanftrich  läfst  eine  erfolgreiche  Unterfuchung 
über  die  fpäter  abgemeifselten  Theile  nicht  zu.  Die  Altarplatte  ift  jetzt 
fehr  zerftört;  man  fleht  noch  das  alte  scpulchrum  mit  einem  mächtigen 
sigillum  von  Marmor  darüber,  aber  die  Vertiefung  ift  längft  ausgeleert. 
Bei  fernerer  Unterfuchung  ftellt  fleh  heraus,  dafs  im  Altäre  auch  noch  zwei 
Grabkammern  (?)  parallel  in  der  Richtung  von  Often  nach  Werten  liegen. 
Sie  öffnen  fleh  gegen  Often  und  find  jetzt  ebenfalls  leer.  Ob  es  Glauben 
verdient,  dafs  fleh  jemand  in  ihnen  verborgen  hielt,  wie  man  erzählt,  zum 
Zweck  der  Täufchung.  wenn  hier  hinter  dem  Altäre  in  einem  gefchlolfenen 
Raume  Ohrenbeichte  gehalten  wurde,  mag  dahingeftellt  fein. 


Fig-  59- 


Vorfeite  des  Altarlifches. 


Von  wirklicher  Bedeutung  in  Hinficht  aut  die  künftlerifche  Geftaltung  ift  der 
hölzerne  Altar  fch  rein  mit  feiner  fleh  hoch  aufthürmenden  ornamentalen  Holz- 
fchnitzerei,  den  holzfculptirten  Figuren  und  den  Malereien  feiner  Tafeln  Von 
den  Flügeln  diefes  Wandelaltares  lind  die  beiden  äufserften  feftftehend  und  nur 


Altarfchrcin. 


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Profpcct. 


\ 


140  DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 

auf  ihrer  Vorderfeite  bemalt.1  Die  übrigen  vier  Flügel  find  beweglich  und 
beiderfeits  mit  Heiligenbildern  gefchmückt.  Der  Schrein  felber  enthält  in 
Holz  gefchnitzte  Figuren,  ebenfo  das  bekrönende  Ornament.  Die  Lichten- 
maafse  jedes  Flügels  find  i.tz  m Breite  zu  1,70  m Höhe.  Durch  die  vier 
beweglichen  Flügel  werden  nun  die  Verwandlungen  möglich,  wie  fie  aut 
Seite  14 1 dargellellt  find. 

Bei  völlig  gefchlolTenem  Zullande  fehen  wir  links  beginnend  auf  dem 
erllen  Bilde  (fellfiehender  Flügel)  die  h.  Kämpferin  gegen  den  Teufel,  Urfula 
mit  dem  Pfeile,  ihrem  Attribute,  in  der  Hand.  Ihr  Haupt  umgiebt  ein 
Heiligenfehein.  das  blonde  Haar  hängt  unter  der  Krone  lofe  herab,  ihr 
Geficht  ili  nicht  gerade  intelligent;  indefTen  find  die  Einzelheiten  des 
Bildes,  welches  ftark  gelitten  hat,  zu  fchlecht  erkennbar,  um  mit  Sicherheit 
urtheilen  zu  können.  Die  Wände  des  Zimmers,  die  den  Hintergrund  abgeben, 
find  unten  teppichbehangen.  Der  F'ufsboden  hat  helle  und  dunkele  Fliefen. 

Auf  den  beiden  folgenden  Bildern  (Aufsenfeite  der  beweglichen  äufseren 
Flügel)  find  die  vier  grofsen  Kirchenlehrer  dargellellt  und  zwar  auf  dem 
erllen  der  Papll  Gregor  und  der  Cardinal  Hieronymus,  auf  dem  anderen 
Ambrofius,  der  Erzbifchof,  und  der  Bifchof  Augullinus.  Der  Papll. 
die  Tiara  auf  dem  Haupte  und  in  prächtigen  Mantel,  hält  Doppelkreuz  und 
Buch  in  der  Hand;  diebehandfc’nuhte,  ring-  und edelfteingefchmückte  Rechte 
erhebt  er  zum  Segen.  Sein  Geficht  itl  würdig,  aber  es  hat  einen  eigen- 
tümlichen Zug,  der  nicht  wohl  befchreiblich  ifl.  Neben  ihm  lieht  der 
Cardinal  in  rother  Sutane  über  weifsem  Untergewande,  ein  grofser  rother 
Hut  bedeckt  fein  Haupt.  Das  Attribut  des  Hieronimus,  der  Löwe,  ili  hier 
von  ziemlich  mittelalterlicher,  unverlländiger  Zeichnung,  weil  der  Künliler 
fein  Lebtag  wohl  keinen  lebendigen  gefehen  hatte.  Das  Geficht  des  Car- 
dinais ifl  verzeichnet,  übrigens  von  lanftem,  nachgiebigem  Ausdruck. 

Es  folgt  der  Erzbifchof  in  feiner  Tracht  mit  Krummllab  und  Mitra 
und  mit  ringverzierten  Handfchuhen;  er  hält  ein  Buch.  Sein  Geficht 
fieht  man  von  vorn;  es  ill  länglich  und  fall  jugendlich,  fchön  und 
ruhig  im  Ausdruck  und  von  echt  deutfehem  Schnitt.  Zuletzt  kommt 
der  Bifchof  in  feiner  Tracht;  auf  dem  Buche,  welches  er  hält,  liegt  ein 
pfeildurchbohrtes  Herz,  fein  Kennzeichen.  Er  hat  unangenehme,  weinerliche 
Züge.  Diefe  vier  Heiligen  find  ohne  Nimben. 

Auf  der  letzten  Tafel  (anderer  fellllehender  F'lügel)  diefes  Profpectes 
ill  der  h.  Moritz  dargellellt.  Hinter  feinem  dunkelfarbigen  Kopfe  ill  wieder- 
um ein  Heiligenfehein  zu  fehen.  Seine  Figur  Heckt  völlig  in  einem  Hamifch. 
nur  der  Helm  liegt  vor  ihm  auf  dem  Boden.  In  feiner  Rechten  hält  er  eine 
F'ahne.  auf  der  ein  Adler  zu  fehen  ill.  Er  lieht  in  unfehöner,  Heiter  Haltung 
in  einem  Raume,  delfen  Ausfiattung  dem  entfpricht,  in  welchem  die  h.  Urfula 
fich  befindet.  Auch  diefes  Bild  hat  aufserordentlich  an  Deutlichkeit  ein- 
gebüfst,  während  die  beiden  mittleren  mit  den  Kirchenlehrern  etwas  befler 
erhalten  find. 

1 Es  ili  anzunehmen , dafs  diefe  beiden  Flügel,  weil  lie  eben  nur  einteilig  bemalt  lind, 
ehemals  die  Rückfeite  des  Schreines  bekleidet  haben. 


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IHK  ST.  MORITZKIRCHE. 


141 


Gefchlofsener  Zuftand:  (erllcr  Profpect). 


1 Gregor  | 

I Hieronymus 

Ambrosius 

luyustinus 

\ 

Moritz 

1 

i| 

Erfte  Verwandlung':  (zweiter  Profpect). 


Augustinus 

1 Heilige 

Petrus  Paulus 

Christ  iis 

Marin 

C athnrina 

Heilige 

' 

1 

Zweite  Verwandlung:  (dritter  Profpect) 

(geöffneter  Zuftand). 


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142  CIF.  STADT  HALTE  u.  d.  SAALKRF.IS. 


Zweiter  Profp.  Durch  das  Oeffnen  der  beiden  mittleren  Flügel  gefchieht  nun  die  erde  Ver- 

wandlung. Links  auf  dem  erden  Bilde  dehen  drei  Figuren,  Petrus  und  Paulus 
und  zwifchen  ihnen,  doch  etwas  zurück,  derh.  Alugudinus.  Diefer  in  feiner 
Amtskleidung  id  an  dem  durchpfeilten  Herzen  auf  dem  Buche  in  feiner 
Linken  zu  erkennen;  feine  Rechte  erhebt  er  zum  Segen.  Der  Gefichtsaus- 
druck  id  ernd,  würdevoll  und  angenehm.  In  dem  hübfchen  Geflehte  fällt 
der  kleine  Mund  auf.  Petrus  in  einem  rothen  Mantel  und  baarfufs  id 
durch  Schlüffe)  und  Buch  gekennzeichnet,  er  hat  das  gewöhnliche, 
nicht  fchöne  Petrusgeficht , eine  kahle  Platte,  kraule  Stirn,  grofse  Augen, 
kurze  Nafe.  Paulus  hingegen  mit  grünlichem  Mantel  umhüllt,  ebenfalls 
baarfufs  und  ein  Schwert  und  Buch  haltend,  hat  ein  hübfeheres  Gelicht  mit 
langem  Barte.  Den  Hintergrund  diefer  Gruppe  bildet  ein  Zimmer;  die  Luft, 
welche  man  durch  die  Fender  hindurch  fieht.  id  goldig.  Von  Gold  id  auch 
der  runde  Nimbus  eines  jeden. 

In  dem  folgenden  Bilde  deht  Chridus  in  feiner  Herrlich- 
keit, die  goldene  Krone  auf  dem  Kopfe,  in  der  Hand  eine  durch- 
fichtige  Kridallkugel.  Er  id  mit  einem  grauweifsen  Kleide  und  einem 
braunroth  gemuderten  Mantel,  den  eine  reiche  Edeldeinkante  umgiebt,  be- 
kleidet. Zu  feinen  Seiten  und  hinten  um  ihn  dehen  fechs  Engel  in  Jüng- 
lingsgedalt.  Von  den  beiden  vorderen  in  weifsen  Kleidern  und  gemuderten 
Mänteln  hält  der  linke  die  Schleppe  des  Mantels  Chridi ; die  hinteren  vier 
haben  Kreuzpaniere,  daran  oben  ein  bandartiges  Tuch  befedigt  id  baldachin- 
ähnlich. Den  Hintergrund  bildet  ein  Kircheninneres  mit  goldener  Luft  in 
den  Fendern.  Ein  runder  Goldnimbus  mit  rothem  Kreuz  umgiebt  da« 
Haupt  Chridi,  deffen  Gefichtsausdruck  unfehön  id.  Dies  wird  namentlich 
durch  eine  weinerliche  Miene  und  durch  gefchlitzte  Augen  mit  hochgezogenem 
Unterlide  bewirkt.  Auch  die  Hände  find  plump,  und  haben  dabei  lange, 
dünne  Finger.  Der  Kopf  id  im  Vergleich  zu  dem  übrigen  Körper  ziemlich 
dark,  fodafs  eine  gedrungene  Gedalt  entdeht.  Der  Gefichtsausdruck  der 
Engel  id  ähnlicher  Art  und  vornehmlich  durch  diefelbe  Bildung  der  Augen  ent- 
banden ; aufserdem  id  das  Geficht  des  erden  Engels  rechts  offenbar  verzeichnet 

Es  folgt  ein  Bild  mit  der  Dardellung  der  Maria  alsmater  amabilis. 
Sie  hält  das  Chridkind  auf  dem  Arme  und  in  der  Rechten  ihr  goldenes 
Scepter.  Auf  ihrem  Haupte  fitzt  eine  zierliche,  goldene  Krone,  ihre  Füfse 
dehen  in  filberner  Mondfichel.  Schlichtes  dunkelblondes  Haar  hängt  lofe 
herab.  Blaugrau  id  ihr  Kleid  und  darüber  der  Mantel  etwas  dunkler.  Sie 
wird  von  dämmender  Mandorla  umgeben,  die  fich  von  einem  röthlichen  Hinter- 
gründe abhebt.  Umkränzend  füllen  fich  die  Ecken  mit  blaugrauen  Wolken, 
aus  denen  gleichfarbige,  gefiedert  oder  behaart  fonderbar  wolkenhafte  Engel 
von  unfehönem  Ausfehen  hervortreten.  Maria  hat  die  Haltung  der 
S-Linie;  fie  id  edel  in  der  Zeichnung,  ebenfo  id  ihres  Geflehtes  Ausdruck 
edel  und  hoheitsvoll.  Auch  ihre  Gedalt  hat  ähnliche  Proportionen  wie  die 
Chridi.  Mit  Zärtlichkeit  blickt  fie  auf  das  Kind,  welches  langleibig  und 
unfehön  id;  es  hält  ein  ägyptifches  Kreuz.  Auch  der  Faltenwurf  der 
Gewänder  der  Maria  id  edel  und  fchön,  nur  ihre  Hände,  wiewohl  richtig 
gezeichnet,  haben  auffällig  lange  Finger. 


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DIE  ST.  MORITZKIRCHE. 


'43 


Das  vierte  Bild  diefesProfpectes  enthält  drei  weibliche  Heilige;  unter  ihnen 
ift  die  h.  K a t har  ina  in  einem  gemutterten  Kleide  und  mit  einer  Krone  an  dem 
Schwerte  in  ihrer  Rechten  und  dem  zerbrochenen  mefTerbefetzten  Rade  zu 
ihren  FuCsen  kenntlich.  Die  zweite  trägt  eine  nonnenhafte,  weifse  Kopf- 
bedeckung. von  welcher  eine  Taube  (?)  (ich  emporhebt,  übrigens  ift  fie  dunkel 
gekleidet  und  hält  ein  Getäfs.  Es  ift  nicht  erfichtlich , welche  Heilige  ge- 
meint ift,  vielleicht  Scholaftica.  Auch,  wer  die  dritte  fei,  ift  aus  den  Attri- 
buten nicht  klar;  lie  trägt  ein  grünes  Kleid  und  einen  rothen  Mantel,  auf 
dem  Kopte  hat  fie  eine  Krone  und  in  der  Hand  ein  Buch.  Alle  drei  haben 
ziemlich  gleichen  Gefichtstypus  und  Ausdruck;  letzterer  ift  zart  und  lieblich 
wenngleich  die  Zeichnung  nicht  immer  ganz  richtig  fein  mag.  Auch  hier 
finden  fich  bei  allen  drei  Heiligen  lofe  herabhängende  Haare.  Von  Gold  ift 
der  Nimbus  jeder,  ebenlo  die  Luft  der  Fenfter  in  dem  Gemache,  das  den 
Hintergrund  bildet. 

Die  letzte  Verwandlung  gefchieht  durch  das  Oeffnen  der  beiden  mittleren  Letzter  Proip. 
Flügel,  alfo  des  zweiten  beweglichen  Flügelpaares.  Mit  Malerei  fehen  wir  nur 
noch  die  Rückfeiten  diefer  Flügel  geziert,  während  der  Schrein  in  der  Weise 
getheilt  ift,  dafs  in  der  Mitte  ein  grofses  Fach  mit  drei  in  Holz  gefchnitzten  Fi- 
guren entlieht  und  an  den  Seiten  je  zwei  kleinere,  über  einander  gelegene 
Fächer,  jedes  mit  einer  kleineren  Holzfigur  fich  bilden. 

Der  Flügel  links  zeigt  eine  Gruppe  von  drei  weiblichen  Heiligen.  Es 
ift  die  h.  Urfula,  die  ein  goldgelb  gemuttertes  Kleid  und  einen  blaugrauen 
Mantel  trägt ; an  dem  Pfeile  in  ihren  Händen  ift  fie  zu  erkennen.  Die  mitt- 
lere von  den  dreien  hält  in  der  Linken  einen  Rofenkranz  und  weift  mit  der 
Rechten  auf  das  Buch,  welches  die  dritte  Heilige  geöffnet  hält.  Es  ift  von  der 
mittleren,  die  ein  rothes  Kleid  mit  Goldborde  trägt,  nicht  aus  ihren  Attributen 
zu  erfehen,  wer  fie  fei.  Auch  die  dritte  bleibt  namentlich  unbekannt ; 1 fie  ift 
mit  einem  goldgemusterten  Unterkleide,  einem  rothen  verbrämten  darüber 
und  mit  weifsem,  rothgefütterten  Mantel  angethan.  Gemeinfam  ift  allen  eine 
eigenartige  Barettform  als  Kopfbekleidung,  von  der  auf  der  Stirnmitte  ein 
: kleiner  dunkler  Zapfen  herabgeht.  Alle  drei  haben  lofe  herabhängendes 
Haar.  Die  Proportionirung  ift  wiederum  fo.  wie  die  Chrifti  und  der  Maria 
auf  der  Kehrfeite  diefer  Flügel,  nämlich  der  Kopf  ift  verhältnifsmäfsig  stark 
zu  dem  übrigen  Körper.  Die  Geflehter  find  voll  und  weich,  dabei  ziemlich 
blafs  und  nicht  fehr  verfchieden  von  einander.  Es  ift  nichts  Individuelles 
j in  ihnen,  ihr  Ausdruck  gleicht  etwa  dem,  den  drei  brave  Bürgermädchen 
in  einem  feierlichen  Augenblicke  machen  würden.  In  der  Behandlung  liegt 
etwas  Naturaliftifches  und  das  um  fo  mehr,  als  wir  hier  jene  gefchlitzten 
Augen  mit  etwas  hochgezogenem  Augenlide  wiederfinden,  welche  an  dem 
Gefichte  Chrifti  mifsfielen;  aber  auch  in  der  Darftellung  der  Kleiderftoffe, 
der  Haare,  der  Hände,  die  wiederum  langgliedrige  Finger  haben,  tritt 
(blche  Behandlung  zum  Vorfchein.  Den  Hintergrund  bildet  ein  ganz  goldenes, 
flach  in  das  Holz  reliefirtes  Teppichmufter.  Für  die  Nimben  find  drei  grofse 
Kreife  aus  diefem  Müller  ausgefpart,  von  dem  fie  fich  jedoch,  da  fie  gleich- 


' vom  Hagen  bezeichnet  <liefc  drei  heiligen  Frauen  als  Urfula,  Sibylla  und  Victoria. 


I 


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144 


DIE  STADT  HALLE  U.  d SAALKRKIS. 


Vergleich  der 
Bilder  zur  Be- 
ftimmung  des 
Stiles  u.  Kunft- 
werthes. 


falls  golden  find,  nicht  abheben.  DadiefesBild  lieh  gm  erhalten  hat.  fo  läfst 
fich  die  vorzügliche  Farbengebung  namentlich  der  Gewänder  mit  ihren 
Müllern  und  die  gefchickte  Darftellung  der  Haare  und  dergl.  noch  wohl 
Iludiren  und  bewundern.  Weniger  gut  id  die  Zeichnung,  die  wohl  fcharf. 
aber  nicht  immer  richtig  ifl,  was  hauptlachlich  an  den  Köpfen  auffällt. 
z.  B.  an  dem  der  mittleren  Figur. 

Auf  dem  anderen  Flügel  find  drei  Mohren  dargeftellt.  Der  erde 
mit  der  Fahne,  in  filberblankem  Harnifch  und  mattgelbem  Mantel  wird 
der  h.  Moritz  fein.  Der  zweite  trägt  gelblederne  Stulpendiefel  und 
einen  rothen  Mantel , unter  dem  man  noch  ein  Panzerhemd  fieht , als 
Kopfbedeckung  dient  ihm  ein  turbanartiger,  bänderumfchlungener  F'ilz- 
hut.  Seinen  Namen  kennen  wir  nicht.  Auch  den  des  dritten  nicht,1  welcher 
einen  bis  an  die  Knie  gehenden  , blaugrauen  Rock  mit  langen  Aermeln 
trägt.  Darunter  gewahrt  man  den  Harnifch.  Seine  Beinkleider  find  roth 
die  kleinen  Schuhe  fchwarz.  Jeder  von  diefen  dreien  trägt  einen  Filzhut 
mit  F'edern  bedeckt,  ein  Schwert  an  der  linken  und  einen  Dolch  an  der 
rechten  Seite  wie  die  Ritterum  1500;  ferner  id  jeder  reichlich  mit  Goldfachen 
gefchmückt.  mit  goldenen  Halsketten  und  mit  Ringen  an  den  Händen  und 
Ohren.  Der  Hintergrund  entfpricht  dem  des  letztbefchriebenen  Bildes  auch 
in  Bezug  auf  die  Nimben,  ebenfo  hat  diefelbe  Proportionirung  durch  zu 
darke  Köpfe  datt.  Die  Geflehter  find  vortrefflich  in  der  Aufladung  und 
Färbung.  Dafs  auch  Moritz  ein  wenig  gefchlitzte  Augen  hat,  bemerkt  man 
kaum.  In  der  genauen  Dardellung  mancher  F.inzelheiten , z.  B.  der  kurzen 
Barthaare  diefer  Heiligen,  macht  fich  auch  hier  ein  gewifles  naturaliflifches 
Streben  bemerklich.  Da  auch  diefes  Bild  befonders  gut  erhalten  id,  läfst 
fich  dergleichen  noch  eingehend  fiudiren. 

Aus  unferer  Befchreibung  diefer  Malereien  id  wohl  fchon  klar  ge- 
worden, dafs  die  Bilder  in  Hinficht  auf  Abladung  und  Durchführung  nicht 
gleichartig  find.  Es  gehören  zufammen  die  vier  auf  den  inneren  Flügeln 
einerfeits  und  andererfeits  die  vier  auf  den  beiden  äufseren  beweglichen 
F'lügeln;  ob  zu  letzteren  auch  jene  beiden  Gemälde  auf  den  feddehenden 
gehören,  id  wegen  des  befchädigten  Zudandes  derfelben  nicht  befiimmt  zu 
fagen;  der  Technik  nach  id  es  wahrfcheinlich,  nur  die  häfsliche  deife  Stellung 
des  h.  Moritz  flöfst  Bedenken  ein.  Hiernach  haben  alfo  wenigdens  zwei 
Maler  an  den  Altartafeln  gearbeitet.  Wir  wollen  beider  Eigentümlichkeiten 
vergleichen  um  zu  fehen , in  welchem  Verhältnifs  fie  zu  einander  dehen. 
Ob  der  Verfertiger  der  inneren  Tafeln  der  Meider  und  jener  der  äufseren 
der  Gehilfe  gewefen  id,  wie  fich  nach  der  Stellung  der  Tafeln  von  vom 
herein  annehmen  läfst,  id  dabei  für  uns  weniger  von  Interefle,  die  Abficht 
ld  vielmehr,  die  Charakteridica  anzuführen  und  die  Unterfchiede  klar  zu 
iegen,  um  fo  zu  einem  richtigen  Urtheile  über  den  Stil  und  den  künfl- 
lerifchen  Werth  der  Malereien  zu  gelangen. 

Was  die  vier  Bilder  auf  den  inneren  Tafeln  kennzeichnet,  id 
besonders  die  Proportionirung  der  F'iguren,  die  alle  durch  ihre  grofsen  Köpfe 


1 vom  Hagen  fchrcibl,  dafs  tliefe  drei  Heiligen  Moritz,  Victor  und  Kupertue  feien. 


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D1K  ST.  MOKITZKIKCHK. 


115 


gedrungen  oder  doch  klein  ausfehen;  dann  fällt  auf  „die  nationeile  Bildung 
der  Köpfe“  (Kugler).  Sie  entlieht  in  erfter  Linie  durch  die  gefchlitzten 
Augen  mit  den  hochgezogenen  unteren  Lidern.  Diefe  Eigentümlichkeit 
findet  man  allerdings  nicht  bei  allen  Figuren,  wenigllens  nicht  in  gleicher 
Schärfe  ausgeprägt,  z.  B.  nicht  bei  der  Maria,  allein  in  folchen  Fällen  hat 
die  zufällige  Stellung  des  Gerichts  bez.  der  Augen  den  Meiller  diefe  Form 
auffällig  darzuftellen  verhindert.  Auch  eine  grade.  Harke  Nafe  fällt  in  den 
Köpfen  auf,  die  durch  fie  einen  etwas  gleichartigen  Schnitt  bekommen. 
Dann  mufs  die  Bildung  der  Hände  erwähnt  werden,  die  an  fich  plump  find, 
aber  langgliedrige  Finger  haben,  fodafs  fie  gewiffermaafsen  eine  Familien- 
eigenthümlichkeit  der  Gefchöpte  des  Kiinfllers  bilden. 

Die  charakterifirenden  Eigenfchaften  der  Bilder  auf  den  äufseren 
Flügeln  find,  dafs  ihre  F'iguren  eine  richtigere  oder  doch  befTere  Pro- 
portionirung  zeigen,  dafs  der  Gelichtsausdruck , weil  gefchlitzte  Augen 
niemals  Vorkommen  und  die  einzelnen  Züge,  namentlich  der  Mund  der 
Weiber,  zierlich  und  lieblich  find,  anmuthiger  und  edler  wirkt  und  dafs 
überdies  die  Geflehter,  vielleicht  mit  Ausnahme  der  weiblichen,  beilimmte 
Charaktere  zum  Ausdruck  bringen.  Auch  find  die  Hände  hübfeher,  fchlanker 
und  an  fich  ebenmäfsiger.  Ueberhaupt  kann  man  wohl  fagen.  dafs  in  diefen 
Bildern  ein  mehr  idealillifcher  Zug  liegt,  womit  für  jene  nicht  gerade  der 
Realismus  angenommen  zu  werden  braucht.  Beiden  gemeinfam  ift  die  Art 
der  technifchen  Ausführung,  ich  möchte  fagen  der  Pinfelführung.  So  kommen 
bei  beiden  ähnliche  Zeichenfehler  namentlich  an  den  Gefichtern  vor,  während 
andere  Einzelheiten,  fo  die  Haare,  bei  beiden  mit  Fleifs,  Sorgfamkeit  und 
Gefchick  gemalt  find.  Verftändig  ift  auch  der  Faltenwurf  geordnet  und  die 
Mufterung  der  Kleider  mit  Genauigkeit  durchgeführt;  beiden  ift  jedoch  oft 
eine  matte  Schattengebung  derP'alten  und  eine  skizzenhafte,  faft  flüchtig  zu 
nennende  Zeichnung  oder  nur  Andeutung  vieler  anderen  Details,  z.  B.  der 
Rüllungstheile  der  Mohren,  der  Befatz  an  den  Gewändern  u.  f.  w.  gemeinfam, 
nur  mit  dem  Unterfchiede,  dafs  der  Verfertiger  der  äufseren  Tafeln  meift 
noch  weniger  forgfam.  noch  fkizzenhafter  und  flüchtiger  gearbeitet  hat  als 
jener  andere.  Er  erreicht  wohl  die  beabfichtigte  Wirkung,  aber  in  der  Nähe 
fieht  man  der  Arbeit  an,  dafs  es  fich  dabei  um  das  Schnellfertigwerden  ge- 
handelt hat.  Ich  fpreche  hier  nur  von  der  eigentlichen  Arbeit  des  Malens; 
man  darf  fich  bei  der  Beurtheilung  des  Werthes  der  Bilder  nicht  täufchen 
laflen  dadurch,  dafs  die  Farben  jetzt  verblafst  find,  fie  waren  ohne  F'rage 
ebenfo  glänzend  und  harmonifch,  wie  jene  der  beiden  noch  in  urfprünglicher 
Frifche  beftehenden  Bilder.  Nach  diefen  Darlegungen  läfst  fich  fagen,  dafs 
die  Bilder  der  inneren  F'lügel  ein  „eigenthümlich  gebildeter  Meifter"  gemalt 
hat,  deflen  AuffalTung  und  Malweife  der  böhmifchen  Schule  am  nächften 
flehen  würde,  während  der  Meifter  der  äufseren  F'lügel  eine  ächt  deutfehe, 
vielleicht  eine  fächfifche  Empfindungsweife  an  den  Tag  legt.  Dabei  glaube 
ich  feflllellen  zu  dürfen,  dafs  in  der  Technik  des  Malens  jener  diefem  ein  Wenig 
überlegen  gewefen  ift,  und  es  ift  wahrfcheinlich,  dafs  letzterer  jenes  Gehülfe 
oder  Schüler  war;  woher  fich  dann  auch  die  Gleichartigkeit  der  eigentlichen 
Mache  erklärt.  Wir  willen,  dafs  folche  Altäre  fabrikmäfsig  und  mitArbeits- 
B.  D.  d.  Bau«  u.  Kunsld.  N.  F.  I.  iu 


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146 


DIU  STA 1 1 1 IIAI.I.K  u.  il.  SAALKRKIS. 


Die  Sculpturen  in 
Hol*: 

Dir  Figuren  im 
Schrein. 


theilung  hergeftellt  wurden.  Wenn  alfo  gewifle  Eigenfchaften  des  Meifters 
oder  Atelierchefs,  namentlich  eben  die  Technik,  lieh  auf  die  Gehilfen  über- 
trugen, wie  wir  es  hier  bemerken,  To  ill  das  begreiflich;  allein  die  indivi- 
duelle Aufladung  konnte  fich  denn  doch  nicht  fo  einfach  übertragen,  und  fo 
kommt  diefe  bei  fpielsweife  in  den  deutfehen  Geflehtem  undKörperverhältniffen, 
die  von  dem  muthmaafslichen  Gehilfen  herrühren,  zur  Erfcheinung.  Mag  die 
gröfsere  Flüchtigkeit  in  feinen  Bildern  als  Schülerhaftigkeit  hingehen,  oder 
mag  fie  und  das  wird  das  Wahrfcheinlichere  fein  — in  Folge  einer  durch  viele 
Aufträge  gefteigerten  Thätigkeit  und  in  Folge  von  Gewinnfucht  entllanden 
fein  — wir  laden  es  dahingeflellt,  wie  es  auch  ununterfucht  bleiben  mag,  ob  noch 
ein  dritter  oder  ebenfalls  diefer  Gehilfe  jene  beiden  feftftehenden  Flügel  be- 
malt hat.  An  Kunftwerth  flehen  die  Bilder  der  inneren  Flügel  — fchon  weil 
zwei  von  ihnen  fo  untadelig  erhalten  find,  dafs  fie  die  eingehendfte  Unter- 
fuchung  und  eine  richtige  Würdigung  ermöglichen  — voran  trotz  ihrer  uns 
unangenehm  berührenden  Eigeiithümlichkeiten.  Die  Anlehnung  an  die 
gothifche  Ueberlieferung  ifi  noch  fo  vorherrl'chend,  dals allerdings  ein  Vergleich 
mit  jenen  zwei  Jahrzehnte  jüngeren  Altarbildern  der  Marktkirche  nicht 
ftatthaben  kann,  wie  denn  auch  die  Fähigkeit  des  immerhin  fehr  tüchtigen 
Meifters  mit  der  eines  Grunewald  nicht  auf  gleicher  Stufe  fleht.  Der  Ver- 
fertiger der  äufseren  Flügel  würde  feinem  Chef  oder  Mitarbeiter  überlegen 
gewefen  fein,  davon  bin  ich  überzeugt,  wenn  er  fich  ohne  deffen  Einflufs  hätte 
felbftändig  entwickeln,  vielleicht  fich  noch  auf  anderen  Ateliers  hätte  umfehen 
können , weil  feine  Auftaffung  eine  weit  edlere  und  idealere  ift  und  weil 
feine  Eigenart  fich  nicht  bei  Dingen  wie  die  exacte  Ausmalung  von  Bart- 
haaren u.  f.  w.  authält. 

Der  Schrein  des  Altares  ftrahlt  in  üppiger  Vergoldung,  die  durch 
ein  Teppichmufter,  das  in  das  Holz  eingedrückt  ift,  belebt  wird,  gerade  fo 
wie  es  fich  als  Hintergrund  hinter  den  gemalten  Figuren  der  beiden  Bilder 
hinzieht,  welche  zu  dem  letzten  Frofpecte  gehören.  Jetzt  ift  die  Eintheilung 
der  F'elder  ganz  fchlicht  durch  pfeilerartige  Stützen  bewirkt;  wir  können 
aber  mit  Sicherheit  annehmen,  dafs  an  letztere  anfangs  noch  ein  kunftreiches, 
vergoldetes  Schnitzwerk  geheftet  gewefen  ift,  um  wo  nicht  alle  F'elder.  fo 
doch  das  grofse  in  der  Mitte  vorn  zu  umkränzen. 

In  diefem  Felde  befindet  fich  nun  mitten  der  gekreuzigteChriftus,  nur 
mit  einem  weitabflatternden  Lendenfchurz  bekleidet.  Sein  Körper  ift  nicht 
fchön,  aber  nicht  wie  meiftens  in  fpätgothifcher  Zeit  zu  mager,  fondern  zu 
dick,  als  wäre  er  aufgebläht ; 1 auch  find  die  Proportionen  nicht  die  edelllen. 
Zu  den  Seiten  fleht  Maria  und  Maria  Magdalena,  wie  an  den  Sockeln  unter 
den  Füssen  einer  jeden  durch  eine  Aufschrift  befagt  wird,  die  bei  letztge- 
nannter S . Jlutria  . Jllcio, bitk’ttc  oru  . p . no  . lautet.  Beide  find  in  pracht- 
voll gefärbte  Gewänder  gekleidet.  Magdalena  trägt  ein  roth  mit  Gold  bor- 
dirtes  Unterkleid,  ein  blaues,  mit  Sternen  befetztes  darüber  und  einen  rothen 
goldgeränderten  Mantel.  Auf  dem  Kopfe  hat  fie  ein  weifses  Kopftuch. 
Kenntlich  ift  fie  auch  an  den  Salbbüchschen  in  den  Händen.  Obwohl  die 


1 Ift  diefe 


Figur  vielleicht  et  fl  int 


17.  J.dit  hundert  hinzugelügt ? 


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nn-:  st.  moritzkikchk.  >17 

Taille  dem  Stile  der  Zeit  gemäfs  viel  zu  hoch  liegt  und  die  Brüll  verhält- 
nifsmäfsig  viel  zu  klein  ift,  erfcheint  das  Gefammtbild  jeder  diefer  beiden 
Statuen  doch  vortrefflich.  Die  (gewundene  Haltung  wirkt  hier  nicht  unan- 
genehm; fie  giebt  den  weiblichen  Figuren , was  fie  (oll.  etwas  Bieg- 
fatnes,  .Gefchmeidiges  und  ein  gewilTes  Pathos.  Die  bei  beiden  wenig 
verfchiedenen  Gefichtszüge  find  ebenmäfsig  und  lieblich.  In  den  zwei 
kleineren  Abtheilungen  links  fleht  oben,  das  Kind  auf  dem  Arme  haltend, 
Maria  in  rothem  Kleide  und  goldenem  Mantel,  unten  fehen  wirChriftum. 
der.  nur  mit  einem  blauen  Schurz  umgürtet,  in  l'chreitender  Stellung  (die 
ausfieht,  als  ob  er  tanze)  feine  Wundenmale  zeigt.  Er  ill  aufserordentlich 
unfchönin  den  Körperverhältnifien  — der  Leib  ift  zu  den  Beinen  zu  lang  — 
und  feine  Haltung  mifsfällt  ebenfalls.  Im  oberen  Fache  der  anderen  Seite 
fehlt  die  Figur  jetzt,  unten  fieht  man  den  h.  Moritz  in  etwas  kleinerem 
Maafsftabe  als  die  anderen  beiden  Figuren  gehalten:  er  i!l  gehamifcht  und 
auf  feinem  Schilde  fieht  ein  Kreuz,  lieber  alle  diefe  Figuren  mufs  gefagt 
werden,  dafs  fie  nicht  feil  im  Schranke  liehen,  fondern  beliebig  verfetzt 
werden  können,  was  auch  gefchehen  zu  fein  fcheint.  Es  will  mich  außer- 
dem bedünken,  dafs  nur  die  drei  bezw.  zwei  Figuren  in  der  Mitte  für  diefen 
Schrein  befonders  hergeftellt  find,  die  anderen  aber  unter  denen,  die  im 
Atelier  vorräthig  waren , ungefähr  paffend  ausgefucht  wurden. 1 Ob  über, 
haupt  ein  Gedanke  in  ihrer  Auswahl  und  Zufammenftellung  liegen  mag 
und  welcher,  ift  zu  erkennen  nicht  möglich. 

lieber  dem  Schreine  hoch  hinauf  erhebt  lieh  geTchnitztes  Holzwerk 
in  dem  eine  Anzahl  Statuen,  ebenfalls  aus  Holz  beftehend,  Aufftellung  ge- 
fundenhat. Zu  unterft  inmitten  fieht  Chri ftus  mit  den  Wunde nmalen.  Ein 
Liliennimbus  umftrahlt  fein  Haupt;  nur  ein  Mantel  bekleidet  ihn.  Er  ift 
gröfser  gehalten  und  lieht  ein  wenig  höher  als  die  nachbarlichen  Figuren. 
Es  folgt  rechts  J oha nnes.  d er  Ev angeli ft,  mit  einem  Buche,  dann  Paulus 
ebenfo  mit  einem  Buche.  Auf  der  anderen  Seite  neben  Chrifto  (alfo  zu  feiner 
Rechten)  fleht  eine  weibliche  Füg  ur,  die  wohl  nicht  Maria  fein  foll;  fie  hebt 
die  Hände  zum  Beten  empor.  Es  fallt  auf.  dafs  fie  befier  als  die  männlichen 
Figuren  gefchnitzt  ift.  Neben  ihr  erblicken  wir  Petrus  mit  dem  SchlüfTel. 
In  dem  baldachinartigen  Aufbau  über  Petrus  und  Paulus  bemerkt  man  je 
eine  Gruppe  von  Figuren,  die  in  kleinerem  Maafsftabe  ausgeführt  find.  So  fleht 
über  Petrus  der  h.  Georg,  der  als  Ritter  gekleidet  ift  und  einen  Drachen  zu 
feinen  Füfsen  mit  dem  Spiefse  tödtet,  und  ein  Bifchof,  den  Krummftab 
und  ein  Buch  haltend,  auf  dem  Kugeln  oder  Steine  liegen;  vielleicht  ift 
es  der  h.  Nicolaus.  Diefen  beiden  Figürchen  entfprechend  liehen 
über  Paulus  auf  der  anderen  Seite  im  Holz  werke  der  h.  Chrifto'ph  mit  dem 
Chriftkindlein  auf  der  Schulter  und  mit  einem  Baumftamme  in  der  Hand : 
ferner  die  h.  Barbara,  mit  Krone,  Kelch  und  Buch.  Wiederum  höher 
im  Aufbau  der  Ilolzfchnitzerei  lieht  mitten  der  Schutzpatron  der 
Kirche,  der  ritterliche  h.  M o r i t z mit  der  Fahne;  auf  feinem  Schilde  bemerkt 
man  einen  gekrönten  Adler.  Zu  feiner  Linken  fleht  ein  Bifchof  mit  Stab 


1 Oder  aber  fpdlrre  Hinzufügungcn  find. 

io« 


Die  Figuren  im 
Aufbau. 


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148 


IHK  STAUT  HALLK  u.  d.  SAALKKKIS. 


und  Mitra,  aber  fein  Attribut,  wohl  ein  Buch,  in  der  Rechten  fehlt  ihm 
jetzt.  Auf  der  anderen  Seite  ill  die  h.Urfula,  die  mit  beiden  Händen  einen 
Pfeil  hält.  Mitten  über  dem  h.  Moritz  ill  ein  auffälliges,  blaues  Wappen 
angebracht.  Darauf  erblicken  wir  in  Gold  einen  Krummllab  mit  Pfeil  und 
Schwert  gekreuzt.  Die  zugefügten  Buchlfaben  lind  wohl  als  Jefus  Chrillus 
und  Mauritius  zu  deuten.  Als  Bekrönung  lieht  ganz  zuoberlt  unter  einem 
Baldachine  und  von  einer  Mandorla  umllrahlt  Maria  mit  dem  Kindlein. 

Die  Ornamente  Durch  Befchreibung  einen  Begriff  der  holzge fchnitzten  Oma- 

des  Aufbaues.  . “ 

mente  zu  g“eben,  in  welchen  alle  diele  rigfuren  ftehen,  ill  kaum 
möglich.  Die  ornamentalen  Formen  theils  architektonifcher,  theils  pflanzlicher 
Art  find  fo  gewunden  und  geradezu  gekünllelt,  dafs  das  Material  des 
Holzes  kaum  mehr  zu  leiden  vermag.  Aus  mehreren  krabbenbefetzten  Stäben 
find  Fialen  gebildet,  die  fich  dann  winden  und  umbiegen,  fodafs  die  ab- 
fchliefsende  Kreuzblume  nach  unten  herabhängt.  Man  löll  und  verknüpft 
in  fpielender  und  ganz  beliebiger  Weife  die  einzelnen Theile  ohne  R ückficht 
auf  ihren  Sinn,  ja  man  fcheut  fich  oft  nicht  dicht  an  der  Grenze  natura- 
lillifcher  Behandlung  herzugehen.  Allein  alle  diefe  Ueberfchreitungen 
unumflöfslicher  Schönheitsregeln  lind  mit  folcher  Gefchicklichkeit . man 
kann  Tagen  Bravur  gemacht,  dafs  wir  mit  Vergnügen  dem  leichten, 
phantaflifchen  Linien fchwunge  folgen  oder  unfer  Auge  auf  den  aller- 
liebllen,  fcharf  gefchnitzten  Einzelheiten  ruhen  lalfen.  Denn  es  begreift  fich 
wohl,  dafs  eine  folche  Arbeit  nur  zu  llande  kommen  kann  wenn  der  Ver- 
fertiger des  Materials  vollkommen  Meiller  ill.  Das  braune  Holz  war  an- 
fangs wohl  nur  an  den  ausgezeichneten  Stellen  matt  vergoldet,  aber  als 
die  Altarfchnitzerei  im  vergangenen  Jahrhundert  rellaurirt  worden  ill,  fcheint 
auch  die  der  Kirche  zugekehrte  Seite  ihren  heutigen  Oelfarbenanllrich 
erhalten  zu  haben,  nämlich  ein  Braunroth  mit  mattgelber  Umränderung. 
F's  ill  natürlich,  dafs  von  diefer  feinen  llolzarbeit  mit  der  Zeit  Stücke  ab- 
gellofsen  wurden,  oder  von  felbft  abfielen  und  verloren  gingen,  und  es  ill 
anzunehmen,  dafs  fich  unmittelbar  über  dem  Schreine  eine  gefchnitzte  Be- 
krönung befand,  wie  in  demfelben  anfangs  ranken-  und  blättereiches 
Ornament  gewefen  fein  wird,  jene  nämlich  um  die  unfehönen  Anfänge  der 
Zierrathe  des  Aufbaues  zu  verdecken,  diefes  die  F’iguren  zu  umkränzen.  Man 
hielt  fich  demnach  im  vorigen  Jahrhundert  veranlafst,  Ergänzungen  zu  machen 
und,  obwohl  man  fonderbarenveife  beabfichtigte,  im  alten,  einmal  gegebenen 
gothifchen  Stile  zu  ergänzen,  ill  doch  die  Entllehungszeit  diefer  Ergänzungs- 
flücke  nicht  zu  verkennen.  Jetzt  freilich  find  diefelben  wieder  befeitigt 
(fie  liegen  hinter  dem  Altäre)  und  mit  Recht,  aber  fo  roh  ihre  Arbeit 
auch  ill.  fo  ill  fie  doch  nicht  ohne  Interelfe,  ein  geillreicher , an  fich  nicht 
häfslicher,  aber  mifsglückter  Rellaurationsverfuch  des  vorigen  Jahrhunderts 
und  zwar  vermuthlich  des  Jahres  1782,  als  das  Kircheninnere  renovirt  wurde. 
Wir  erwähnen  diefe  nicht  mehr  beachteten  Stücke  auch  deshalb,  weil  fie 
fo  wie  die  ältere  Schnitzerei  bemalt  find,  fodafs  die  ganze  Bemalung 
ebenfalls  auf  diefe  Weife  datirt  wäre.  Fis  find  auch  die  Figuren  im  Schnitz- 
werk bei  diefer  Renovation  nicht  verfchont  geblieben;  wohl  mag  dir 
Zufamnu nlh  llung  ihior  alle  n Färben  beibehallcn  fein,  aber  in  den,  wenn 


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DIE  ST.  MOKIT7.KIRCHE. 


'49 


auch  glanzlofen  Oel färben  machen  fie  keinen  guten  Eindruck  mehr.  Ob 
die  Wirkung-  der  alten  Polychromirung  (ich  noch  an  den  Figuren  im  Schreine 
erkennen  läfst,  i ll  nicht  fichcr.  Man  kann  nicht  Tagen,  dafs  diefelbe  durch- 
weg gut  fei,  z.  B.  die  ftark  rothen  Wangen  der  Frauen,  der  glänzende 
Fimifs,  der  alles  überzieht  und  anderes  deuten  vielmehr  auf  eine  fpätereZeit. 

Es  verbleibt  noch  einiges  über  den  Stil  und  den  Werth  der  gelammten 
Arbeit  in  Holz  zu  Tagen.  Dafs  der  Grund  lür  die  willkürliche  Zufammen- 
llellung  der  Figuren  im  Schrein  nicht  angegeben  werden  kann,  ill  gefagt. 
Anders  verhält  es  lieh  mit  der  Anordnung  der  Figuren  des  krönenden  Schnitz- 
werkes. Sie  ift  eine  verltändige,  wie,  ohne  dafs  wir  hier  noch  einmal  darauf 
einzugehen  brauchten,  aus  der  Befchreibung  fchon  erfichtlich  geworden  fein 
wird,  und  fo  wenden  wir  uns  der  Befchaffenheit  der  Arbeit  felber  zu.  An  den 
Standbildern  ill  diefelbe  von  verfchiedenem  Werthe  und  im  Allgemeinen 
nicht  bedeutend.  Magere,  eckige  Körper  mit  Harkern  Kopfe  bilden  die 
Regel.  Das  gilt  hauptlachlich  von  den  männlichen  Figuren.  Petrus  und 
Paulus  im  Auflätze  und  im  Schreine  der  nackte  Chriflus  mit  den  Wunden- 
malen find  ohne  Proportionen  und  ohne  jede  Feinheit  in  der  Bewegung 
und  Haltung.  Auffällig  ift,  dafs  dagegen  die  weiblichen  Figuren  durchweg 
beffer  gerathen  lind,  fo  im  Aufbau  namentlich  die,  welche  zur  Rechten 
Chrifti  lieht,  im  Schreine  Maria  und  Magdalena  unter  dem  Kreuze.  Von 
der  Ornamentik  läfst  lieh  im  Allgemeinen  das  Gegentheil  fagen,  wie  von 
den  F'iguren.  Mag  man  die  fichtliche  Hintenanfetzung  aller  Regeln,  die 
ein  aus  Holz  gefertigtes  Kunllwerk  feiner  X'atur  nach  fordert,  billigen  oder 
nicht,  mag  man  demnach  das  Ganze  oder  die  Einzelheit  fchön  finden  oder 
nicht,  es  ift  unbeftreitbar,  dafs  die  technifche  Leiftung  hier  Lob  verdient. 
Es  hat  vielleicht  wenige  Künlller  gegeben,  die  mit  den  Eigen fchaften  des 
Materials,  in  welchem  fie  arbeiteten,  fo  vertraut  gewefen  find,  wie  die 
Holzfchnitzer  diefer  Zeit,  im  Befonderen  wie  der  Verfertiger  der 
Ornamentik  des  Moritzaltares,  aber  es  hat  denn  auch  und  wohl  in  Folge 
diefer  Meifterfchaft  wenige  Zeiten  gegeben,  in  denen  man  die  natürlichen 
Eigenfchaften  des  Materials  fo  fehr  mifsbraucht  hat.  Selblt  unter  der 
Rückfichtnahme  darauf,  dafs  das  Holz  eine  weit  freiere  Bewegung  im  Ge- 
brauch der  derzeitigen  ornamentalen  Elemente  geftattet  als  der  Stein,  ift 
hier  doch  das  Unglaublichfte  in  der  Umformung  geleiftet.  Ein  ungefähres 
Unheil  uns  zu  bilden,  mag  ein  Vergleich  mit  den  Ornamenten  des  Altar- 
autbaues  in  der  Ulrichskirche  am  Platze  fein.  Der  Unterfchied  in  der  Arbeit 
ill  auffällig.  Auch  bei  der  Schnitzerei  zu  St.  Ulrich  mufs  lieh  das  Holz 
zu  manchen  Zugelländniffen  herbei  laffen;  wie  im  Raufche  taumeln  die 
Linien  hin  und  her,  aber  Mattigkeit  der  Erfindung  und  Rohheit  in  der 
Durchbildung,  vielleicht  auch  eine  gewiffe  Aermlichkeit , 1 die  dort  unver- 
kennbar find,  bewirken  doch,  dafs  man  die  Herllellung  aus  Holz  nicht  in 
das  Reich  der  Unmöglichkeit  fetzt.  Am  Altäre  zu  St.  Moritz  indeffen  fcheint 

1 Da*  bezieht  fich  nicht  fo  fchr  auf  tlas  Innere  des  Schreines,  der  ja  weit  reicher  an  Oma- 
menten  ift  als  der  zu  St  Moritz,  wie  auf  den  Aufbau,  welcher  aber  auch  mit  barocken  Stücken 
ftark  durchfetzt  ift. 


Stil  und  Kunft- 
werth  der  Holz- 
fehnitzereien. 


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liefi'hichte  des 
Alurfthrcincs. 


Meiflcr. 


150  HIK  STAUT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 

jede  Linie  der  Zerbrechlichkeit  des  Holzes  Hohn  zu  fprechen.  Der  Meifter 
läfst  feiner  DecorationsluH  die  Zügel  fchiefsen  und  voller  Uebermuth  bewegen 
(ich  die  Linien  in  äufserfler  Zierlichkeit  und  Gefchmeidigkeit,  gleichfam  mit 
ritterlicher,  obgleich  ganz  hohler  Höflichkeit  meiflerlich  zu  einer  gefälligen 
Verwirrung  durch  einander.  Es  i!l  das  Rococo  der  Gothik. 

Als  der  Verfertiger  des  Altars  wird,  wie  wir  fchon  bei  Gelegenheit 
der  baugefchichtlichen  Unterfuchungen  erfahren  haben,  Georgius  Jhener 
von  Orlamünde  urkundlich  genannt  und  als  das  Jahr  der  Fertig- 
Hell  ung  15  1 1 angegeben,  welche  Angaben  lieh  natürlich  nur  auf  den  Schrein 
und  nicht  mit  auf  die  romanifche  tnensa  beziehen  können.  Im  Jahre  1640 
waren  die  Bilder  des  erllen  und  zweiten  Profpectes,  die  mehr  als  die  des 
letzten  beständig  mochten  dem  Staube  ausgefetzt  gewefen  fein,  wohl  fchon 
etwas  verblichen,  fo  dafs  der  Altar  in  diefem  Jahre  „mit  Gemälden  von 
Michael  Bayern  renoviret"  ward.  Diefem  Umflande  verdanken  wir 
die  treffliche  Erhaltung  der  beiden  Bilder  auf  der  Innenfeite  der  inneren 
Flügel,  welche  letztere  feit  diefer  Zeit,  äufserlich  überzogen  von  der  Leinwand 
der  barocken  Bilder,  bis  in  unfer  Jahrhundert  ungeöffnet  blieben.  Auch 
die  anderen  Bilder  haben  lieh  unter  einer  derartigen  langjährigen  Verdeckung 
beffer  gehalten,  als  es  ohne  diefelbe  der  Fall  gewefen  fein  würde.  1601  hat 
die  Predella,  von  deren  anlänglichem  Ausfehen  wir  nicht  mehr  K unde  haben, 
ein  Bild  von  Johann  Volkmar  Heller,  einem  taubflummen  Sohne  des 
derzeitigen  Adjunctus  an  diefer  Kirche,  erhalten.  Es  Hellt  das  heilige  Abend- 
mahl dar  unter  Benutzung  der  Portraits  der  damaligen  „Prediger,  Kirchen- 
VorHeher  und  Achtmanne.“  Jetzt  hängt  es  im  Verfammlungszimmer  des 
Kirchenrathes.  Es  iff  ohne  befonderen  Werth.  Erinnern  wir  fchliefslich 
noch  einmal  an  die  Renovation  und  Bemalung  des  Schnitzwerkes  im  vorigen 
Jahrhundert  und  an  die  Beteiligung  der  Beyer' feiten  Gemälde  in  dem  gegen- 
wärtigen, fo  find  die  bemerkenswerthen  Momente  in  der  Gefchichte  des 
Altares  genannt. 

Nur  auf  den  Meiner  Georgius  Jhener  von  Orlamünde  müffen  wir  noch 
einmal  zurückgreifen,  um  hervorzuheben,  dafs  es  von  Wichtigkeit  iH,  ihn 
zu  kennen,  weil  wir  über  eine  fächlifche  Malerfchule  bezüglich  der  MeiHer 
und  Werke  noch  gar  unvollHändige  Kenntnifs  haben.  Allerdings  find  wir 
rückfichtlich  deffen,  was  diefer  MeiHer  perfönlich  gefchaffen  hat,  im  Un- 
klaren: war  er  Bildlchnitzer  oder  Maler?  und  wenn  letzteres,  welcher  von 
den  beiden,  die  lieh  durch  ihre  verfchiedene  Aufladung  unterfcheiden.  wie 
wir  fahen?  Läfst  lieh  hierauf  auch  mit  Sicherheit  keine  Antwort  geben,  fo 
gewinnen  wir  doch  die  Kenntnifs,  dafs  den  Altarfchrein  der  Moritzkirche 
ein  fächfifcher  Künfller  gemacht  hat,  weil  Georgius  Jhener  von  Orlamünde 
gebürtigt,  wenn  er  auch  bei  Herflellung  des  Altares  dort  nicht  gerade  an- 
fäfsig  war,  und  dafs  diefer  Künfller  bekannt  und  gefchickt  war,  weil  eine 
hallefche  Gemeinde  ihm  das  Vertrauen  zu  einem  folchen  immerhin  nicht 
unbedeutenden  Werke  fchenkte.  Hieraus  läfst  fich  ferner  entnehmen,  dafs 
Georgius  in  Halle,  in  Orlamünde  oder  wo  es  immer  fei,  ein  Atelier 
und  mehrere  Gehilfen  hatte,  fodafs  auf  eine  ausgedehntere  Thätigkeit 
gefchlofsen  werden  kann,  von  welcher  fich  in  häufiger  Gegend  möglicher- 


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DIE  ST.  MOKITZKIRCHE. 


■5' 


weife  noch  andere,  bisher  unbeachtet  gebliebene  Beweile  erhalten  haben 
werden. 

Das  bedeutendfie  Kunfiwerk  in  der  Moritzkirche  ill  die  Kanzel  F ig.  60,  Kamel, 
ein  Werk  der  Steinbildhauerei  ausdem  Jahre  i 592  von  Zacharias  Bogen- 
krantz.  Sie  liegt  an  dem  Pfeiler  der  füdlichen  Reihe,  welcher  nach  Ab- 
rechnung des  erhöhten  Chores  gerade  die  Mitte  des  für  die  Gemeinde  be- 
llimmten  Schiffes  bildet,  und  zwar  ill  fie  ihrer  1593  abgebrochenen  Vor- 
gängerin gegenüber  erbaut.1  Ein  Portal  vermittelt  bez.  verhindert  den  Zugang 
zu  einer  fchmalen  Steintreppe,  die  fich  um  den  Pfeiler  windet  und  zu  der 
eigentlichen  Kanzel  hinauffuhrt.  Letztere  wird  von  einer  Säule  noch  be- 
fonders  getragen.  Die  Gefammtanlage  weicht  alfo  nicht  von  der  gewöhnlichen 
(Marktkirche,  Dom)  ab.  auch  die  Eintheilung  durch  Säulchen  in  Felder  mit 
Relief  bildern  entfpricht  der  bisher  üblichen  Weife,  die  Ausbildung  erll 
Rempelt  diefe  Kanzel  zu  einem  wirklichen  KunlUverke,  wir  dürfen  Tagen,  zu 
einem  der  ausgezeichnetften  Kunllwerke  der  Renaiffance. 

Der  Stoff  zu  den  Darftellungen  in  den  Feldern  ill  an  der  Treppen  der  bar- 
, .„  , ftrilungcn. 

brullung  dem  alten,  oben  an  der  Kanzel  dem  neuen  lellamente  entnommen 

Wohl  bemerkenswerth  erfcheint  auch,  wie  die  Reihenfolge  der  altte  nament- 
lichen Scenen  llattfindet  nämlich  abwärtsgehend;  und  ich  glaube  darin 
eine  Anfpielung  auf  die  Gedanken  finden  zu  dürfen,  die  zur  Darllellung 
gebracht  worden  find. 

Das  erlfe  Bild  an  der  Treppe  oben  unmittelbar  neben  der  Kanzel-  Bilder  des  allen 
brüffung  Hellt  die  Schöpfung  Eva’s  dar.  Auf  der  Seite  und  zwar  nach  Teftamenies. 
vom  gewendet  liegt  Adam  ganz  unbekleidet,  auf  den  linken  Arm  lieh  flützend 
Gott  Vater,  als  ein  vollbärtiger  alter  Mann  dargellellt  in  Ober-  und  Unter- 
kleide und  mit  einem  Heiligenfeheine,  der  nicht  fcheiben-  hindern  discus- 
törmig  auslieht,  hebt  die  F.va  an  ihren  Händen  aus  der  Seite  Adams  empor. 

Diefer  fchlafbefangen  fcheint  nichts  davon  zu  merken,  während  lie  halb 
fchon  fichtbar  mit  noch  etwas  unbeholfener  Bewegung  ihre  Hände  dem 
Allmächtigen  reicht,  um  völlig  hervorzutreten.  Einige  Bäume  und  ver- 
fchiedene  Thiere  im  Hintergründe  kennzeichnen  das  Paradies.  Das  folgende 
Bild,  ein  Feld  abwärts  an  der  Treppe,  Hellt  die  Scene  zwifchen  Adam  und 
Eva  am  verbotenen  Baume  dar.  Sie  ill  ein  MeiHerHück  der  Compofition 
Inmitten  Heht  der  fatale,  fruchtfchwere  Baum,  links  lehnt  fich  Adam  gegen 
felliges  GeRein,  rechts  Heht  Eva.  Indem  lie  mit  einer  Hand  die  verbotene 
Frucht  dem  Adam  giebt,  der,  faH  fcheint  es,  etwas  zögernd  zugreift,  und 
ihre  andere  Hand  um  eine  zweite  F rucht  zu  brechen  emporhebt,  befindet  lie 
fich  in  einer  gar  reizenden  Pofe,  die  der  Künlller  unzweifelhaft  fo  beabiiehtigt 
hat.  Um  den  Baum  aber  durch  die  Aefie  hin  windet  lieh  die  Schlange  bis 
zu  dem  Apfel,  den  Eva  gerade  bricht.  Neben  Adam  ruht  das  Einhorn  und 
zwischen  Adam  und  Eva  ein  Hund,  neben  Eva  aber  bemerkt  man  einen 


1 Ich  erwähne  (liefen  UmAand,  um  auf  eine  Regel  zu  verweifen , die  man  in  Halle  — 
ob  auch  fonft?  — bei  der  Anlage  der  Kanzel  proteftantifcher  Zeit  beobachtet  zu  haben  fcheint, 
nämlich  die  proteftantifchen  Kanzeln  denen  aus  katholischer  Zeit,  die  immer  an  der  nördlichen 
Pfeilcrreihe  lagen  (flehe  die  des  Domes)  gerade  gegenüber  an  die  füdliche  zu  fetzen. 


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'5^ 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


abgebrochenen  Baum  (den  des  Lebens?).  Im  Hintergründe  lieht  ein  Hirfch. 
Das  folgende  Relief  — ein  weiterer  Schritt  abwärts  — zeigt  uns  die  Ver- 
treibung aus  dem  Paradiefe.  Oben  in  der  rechten  Ecke  wird  durch 
Strahlen  angedeutet,  woher  der  Engel  gekommen,  der  mit  einem  Flamraen- 
fchwerte  jetzt  gerade  über  Palmen  und  Pinien  aul  einigen  Wolken  herab- 
fährt und  vor  lieh  hertreibt  das  erfte  Menfchenpaar  famrnt  feiner  Verführerin, 
der  Schlange.  Diefe  ift  im  Laufe  die  vorderlte.  und  in  ihren  gleichfam 
halligen  Windungen  giebt  fich  unzweideutig  ihre  Scheu  und  Eile  zu  erkennen 
Dann  kommt  Eva;  ihr  Schurz  hat  fich  gelöft.  aber  fie  hält  ihn  ganz  nach 
Weiberart  gegen  die  Brüll  gedrückt  feil.  Auch  ihre  Haare  find  aufgelöll 
und  flattern  der  fchnellen  Bewegung  wegen  nach ; doch  auch  hier,  als  wolle 
fie  die  Unordnung  nicht  zugellehen,  legt  fie  fellhaltend  die  Hand  daraut. 
Das  Weib  trefflich  kennzeichnend  ill  es  auch,  dafs  fie  in  voller  Eile 
noch  zurückblickt.  Will  fie  fehen,  ob  bei  aller  Schuld  doch  noch  ein  Ausweg 
möglich  fei?  Adam  aber,  lang  ausfehreitend,  llreckt  feine  Hände  voraus 
und  drängt  fie  zur  unaufhaltfamen  Flucht  fort.1  Im  Hintergründe  lieht  man 
wieder  die  Paradieslandfchaft  mit  allerlei  Getliier  Hafe.  Hirfch,  Kamee!. 
Straufs  u.  f.  w.  belebt.  Das  unterlle  nnd  letzte  Treppenbild  Hellt  das 
jünglle  Gericht  dar;  es  ill  zu  ihm  mithin  der  Stoff  nicht  dem  alten 
Teflamente  entnommen.  Offenbar  fpricht  fich  hierdurch  die  freiere  An- 
fchauung  in  protellantifchem  Sinne  aus,  der  ja  diefes  Werk  gefcliaffen  hat. 
Der  Gedankengang  der  drei  anderen  Bilder  kann  doch  nicht  paffender  ab- 
gefchloflen  werden  als  durch  diefe  Hinweifung  auf  die  ewige  Vergeltung, 
wenn  das  fündige  Erdenleben  vorbei  ill.  Das  Relief  ill  fo  componirt,  dal's 
mitten  Chrillus  fitzt  von  Wolken  und  Heiligenfehein  umgeben,  hinter  ihm 
llrahlt  die  Sonne,  rechts  und  links  fchweben  fchlanke.  geflügelte  Pofaunen- 
engel.  Er  ill  oben  nur  mit  einem  Mantel  umhängt,  während  ein  zweites 
Gewand  ihn  unten  umhüllt.  Auf  der  Erde  unter  ihm  fehen  wir  im  Vorder- 
gründe r’ie  Todten  erllehen;  fie  ringen  fich  mühfam  und  fchlaftrunken  aus 
den  Gräbern  los  und  Chrillus  blickt  auf  fie  herab,  fegnend  die  Rechte  er- 
hoben. Im  Mittelgründe  treibt  ein  bocksbeiniger  Teufel  ein  Weib  zur  Hölle, 
während  ein  Engel  fich  von  ihr,  die  er  verloren  giebt,  abwendet.  Links 
(alfo  zur  Rechten  Chrifli)  im  Hintergründe  gehen  die  Gerechten  zum  Himmel- 
reich ein.  Diefes  gleicht  einer  runden  Itrahlenumgebenen  Oeffnung.  Die 
letzten,  uns  näher  flehenden  Seeligen  find  noch  in  ganzer  Figur  fculptirt, 
während  man  von  den  Vorautgegangenen  nur  noch  die  Köpfe,  viel  un- 
gezählte, in  perfpectivifcher  Verjüngung  hinter  einander  bis  in  das  Flimmel- 
reich  hinein  dicht  fich  drängen  fieht.  Auf  der  entgegengefetzten  Seite  lodert 
auf  das  Flammenmeer  der  Hölle , und  zur  ewigen  Pein  hin  werden  von 

' Wenn  vom  Hagen  I.  213  An  in.  berichtet,  dafs  Adam  1813  durch  einen  franzölifchen 
Kriegsgefangenen  den  Kopf  verloren  habe,  fo  irrt  er  infofern,  als  er  meint,  das  fei  ihm  bei  dem 
Sündenfalle  paflirt.  Ich  conftatire,  dafs  ihm  bei  der  Gelegenheit  nie  der  Kopf  gefehlt  hat. 
wohl  aber  bei  der  Vertreibung  aus  dem  Paradiefe.  Der  rohe  Spafs  des  Kriegsinannes  veilicrt 
daduich  keineswegs  an  Gcift.  Ucbrigens  ift  jene  fatale  Zeit  für  Adam  längA  vorbei  ; heute  ift 
er  nicht  mehr  ohne  Kopf,  obwohl  ihm  derfelbe  immer  noch  nicht  wieder  feft  auf  den  Schul- 
tern iitzt. 


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niF,  ST.  MORITZKIRCHE.  153 

teuflifchen  Gefellen  die  Verdammten  geführt.  Doch  fonderhare  I.aune  des 
Künlllers!  lind  es  wirklich  nur  Weiber,  die  er  /.ur  Hölle  fchickt,  während 

lieh  das  männliche  Gefchlecht  der  ewigen  Seligkeit  erfreuen  darf? 

Die  Zeitfolge  in  den  neute Hamen t liehen  Darllellungen  an  der  Bilder  au*  <lem 
Kanzelbrüllung  fordert  ebenfalls,  dafs  wir  rechts  beginnen,  wo  das  erlle  ncut'n  I'rumcI"- 
Flachbild  die  Verkündigung  M ariae  darllellt.  In  einem  Gemache,  welches 
vun  einem  calfetirten  Tannengewö'be  überdeckt  wird,  fitzt  die  Jungfrau  auf 
einem  Stuhle  am  Lefepulte,  auf  und  an  dem  je  ein  geöffnetes  Buch  ruht; 
auch  eine  Blumenvafe  lieht  daneben.  Die  fchün  geformte  Gellalt.  in  ein 
faltiges  Gewand  gekleidet  und  vom  Heiligen  fcheine  umllrahlt,  blickt  zudem 
feeptertragenden  Kngel  (iabriel  auf,  der  eben  von  Wolken  umwallt  herab- 
*chwebt  und  über  dem  man  in  Strahlen  die  Taube  lieht.  So  lieblich,  fo 
voll  von  wirklich  heiligem  Geille  ifl  diefe  einfache  Compofition,  dafs  es 
eines  gläubigen  Gemüthes , wie  es  das  Betrachten  mittelalterlicher  Werke 
vorausfetzt,  nicht  erll  bez.  nicht  mehr  bedarf,  um  des  Befchauers  Herz  fo 
zu  erfreuen,  dafs  trotz  der  Bedenklichkeit  der  Materie  eine  erfalTende,  in 
rein  menfchlichem  Sinne  veredelnde  Wirkung  die  Folge  ill.  Der  Geilt  der 
Renailfance  tritt  hier  klarer  denn  je  hervor.  Die  Darltellung  hat  nicht 
mehr  den  Zweck,  einer  Schrift  gleich  Eingeweihte  an  etwas  ihnen  Bekanntes 
lebhaft  zu  gemahnen,  fondem  im  Gegentheil  für  ihren  Gedankeninhalt,  hier 
ein  viel  umllrittenes  Stück  der  chriltlichen  l-ehre.  vermag  lie  den  Befchauer 
einzunehmen  lediglich  durch  die  Kraft,  durch  den  Zauber  ihrer  Ausdrucks- 
weife, nicht  durch  die  chriltliche,  fondem  durch  die  göttliche  Schönheit. 

Wenden 'wir  uns  zu  dem  folgenden  Bilde,  der  Geburt  Chrilti.  liier  ill 
die  veränderte  Denkweife  der  Neuzeit,  abgefehen  von  den  Formen,  ebenfalls 
lögleich  an  der  AuffalTung  erfichtlich.  Ein  architektonifcher  Hintergrund 
läfst  durch  die  Dachfparren  hindurch  den  Stern  fehen,  welcher  die  heilige 
Stätte  hell  leuchtend  weithin  bezeichnete.  Aut  diefem  Grunde  hebt  fich  mitten 
ab  die  junge,  aber  mütterliche  Maria.  Vor  ihr  liegt  das  Kindlein,  es 
klammert  fich  mit  der  Rechten  ganz  nach  Kinderart  an  ihrem  Gewände  feil. 

Sie  legt  die  Hände  zulammen  und  lieht  mit  Freude  auf  die  holdfelige 
Creatur  herab.  Die  Hirten  vom  Felde  find  anzubeten  hereingekommen; 
zwei  fehen  wir  rechts,  und  zwei  andere  links,  von  denen  einer  ein  Lamm 
hält,  während  der  andere  in  Ehrfurcht  niederkniet.  Ein  Ochs,  der  hinten 
hereinblickt,  bezeichnet  die  Oertlichkeit  als  Stall.  Jofeph  fehlt  in  der 
Scene,  zufällig  oder  mit  Abficht  ? Ich  muthmaafse  das  Letzere  aus  Gründen, 
die  mir  in  der  Eigenartigkeit  zu  liegen  fcheinen,  mit  der  unfer  hochgebildete 
Künfller  alle  feine  bibli fehen  Stoffe  feinfühlig  zur  Darllellung  bringt.  Maria 
und  das  Kind  ziehen  natürlich  als  die  I lauptperfonen  diefes  Bildes  unfere 
Blicke  befonders  auf  fich  und  wirklich  kann  man  fich  nichts  Lieblicheres 
denken.  Zumal  das  Chrillkindchcn  ill  fo  zart  geformt  und,  was  das  Be- 
zeichnendlle  ill,  feine  kindlichen  Bewegungen  find  fo  naturwahr  zum  Vor- 
trag gebracht,  dafs  fich  uns  unmöglich  die  eingangs  erwähnte  Denkungs- 
umwandelung  verfländlicher,  beredter,  ja  einfchmeichelnder  kundthun  kann. 

Die  Taufe  Ch  rilli  imjordan  giebt  denStoff  für  die  folgende  Darllellung. 

Der  bis  auf  den  Schurz  entkleidete  Chrillus  lieht  im  F'lulTe,  und  der  Täufer 


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•54 


DIF.  STAUT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


( Tcdankcn^^ii^ 
der  Reliefs  ini 
Allgemeinen. 


Johannes  giefst  ihm  mit  einem  Schalengefäfse  WalTer  über  den  Kopf.  Mitten 
über  dem  Täuflinge  fchwebt  die  Taube  in  einer  Glorie,  noch  höher  llrahit 
eine  ovale  Sonne,  in  deren  Peripherie  man  lieft: 

DIS  IST  MEIN  LIEBER  SON,  DEN  SOLT  IR  HOREN. 

Links  etwas  zurück  lieht  man  noch  einige  Männer,  die,  ebenfalls  die  Taufe 
zu  empfangen,  lieh  entkleiden.  Das  letzte  Bild,  zu  dem  wir  nun  kommen,  ftellt 
die  Auferftehung  Chrifti  dar.  Der  Sieger  über  den  Tod,  Chriftus,  fteht. 
mit  einem  Schurz  und  einem  Tuche  bekleidet,  mitten  im  Bilde  aufrecht  auf 
feinem  Steinplattengrabe.  Ein  Glorienfchein  in  Form  der  Mandorla  umlfrahlt 
feine  ganze  Figur  und  einige  Wolken,  von  feinen  Füfsen  ausgehend,  vor- 
flnnbildlichen  den  fchwebenden  Zuftand,  in  welchem  der  nunmehr  Lieber- 
irdifche  (ich  gerade  befindet.  Die  Rechte  erhebt  er  bedeutfam  zum  Segen, 
feine  Linke  aber  hält  als  Siegeszeichen  ein  Kreuzpanier.  Vorn  vor  dem 
Grabe  liegen  zwei  Kriegsknechte,  die  foeben  erfchreckt  aulwachen  und  im 
Hintergründe  liehen  andere  zwei  Bewaffnete,  die  zu  ihm  aut'blicken;  ein-T 
hält  die  Hand  über  die  Augen,  der  Glanz  blendet  ihn  vermuthlich,  der 
andere  macht,  indem  er  die  Iland  ausftreckt,  eine  Bewegung,  die  den  Schreck 
bezeichnet. 

Schenken  wir  nun  dem  Gedankengange  des  Künltlers  einige  Be- 
achtung: wie  er  denken  ja  auch  die  erleuchtetllon  unter  feinen  ZeitgenoUen. 
Einen  Sprung  in  der  Zeit,  wie  ihn  die  Darftellungen  der  altteliamentlichen 
Scenen  machten,  indem  lie  ausführlich  durch  drei  Bilder  fchildeften , wie 
die  Menfchheit  das  Paradies  d.  i.  die  Schuldlofigkeit  verlor,  und  dann  un- 
mittelbar zum  Weltgericht  übergingen,  einen  ähnlichen  Sprung  machen  auch 
die  Schilderungen  aus  dem  neuen  Teftamente,  indem  lie  zunächft  in  drei 
Bildern  ausführlich  die  Entwickelung  Chrifti  d.  i.  der  chriftlichen  Lehre, 
erzählen,  dann  aber  mit  Uebergehung  der  Lehrthätigkeit  und  der  Kreuzigung 
fofort  in  dem  letzten  Bilde  den  Sieg  Chrifti  über  den  Tod  vorführen.  Von 
wie  hohem  Interefle  für  jedermann  und  von  wie  praktifcher  Bedeutung  für 
die  modernen  Künftler  immerhin  eine  weiter  eingehende  Befprechung  gerade 
der  Dispofition  diefer  Beinernen  Dogmatik,  namentlich  auch  eine  Unter- 
fuchung  der  Gründe  des  Künftlers  für  diefelbe  fein  mag,  — wir  müden  uns 
begnügen,  darauf  hinzuweifen,  welche  Fülle  von  Gedanken  in  diefem  Werke 
aufgefpeichert  liegt.  Je  nach  dem  Bildungsgrade  oder  vielmehr  je  nach 
der  Bildungsempfänglichkeit  des  Befchauers  wird  wie  der  Roman,  wie  das 
Schaufpiel,  wie  jedes  Kunftwerk  auch  diefes  feinen  Eindruck  machen  und 
zu  immer  tieferem  Eindringen  anregen.  Wie  alsdann  eine  Stufe  der  Bildung 
fich  kaum  fo  niedrig  denken  läfst,  dafs  Jemanden  der  Anblick  diefer 
Schildereien  in  Stein  gleichgiltig  liefse,  fo  ift  andererfeits  auch  gewifs,  dafs 
die  ausgezeichnetften  Geifter  aller  Zeiten  noch  mit  Staunen  emporblicken 
werden  zu  der  Höhe,  in  der  die  Gedanken  diefes  Meifters  gewandelt  find. 
Die  Kunft  ift  ein  göttlicher  Funken;1  die  Künftler,  die  fie  pflegen,  find  ge- 


1 Ausfpruch  C.  W.  Hase’s  in  einem  Vortrage  des  Jahres  1878  über  mittelalterliche  Baukunft. 


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, 


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IHR  ST.  MOKUZKIKCHT. 


155 


weihte  Prieller  gleich  wie  die , welche  von  der  Kanzel  herab  Gottes  Geift 
verkünden;  ihre  Sprache  ilt  gleich  der  der  Apollei  zu  Pfingllen  allen  ver- 
lländlich,  fie  veraltet  auch  nicht  und  ihrer  Rede  Sinn,  erhaben  über  Fanatismus 
und  Sectenllreit,  gilt  ewig. 

Von  diefer  Befchreibung  der  Reliefs,  die  eine  abgefonderte  Gedanken- 
folge in  lieh  fchliefsen,  gehen  wir  unverzüglich  zu  der  einzelner  Theile  und 
des  fonlligen  meill  ornamentalen  Beiwerkes  über,  welches  bellimmt  ill . die 
dargellellten  Gedanken  zu  vervollftändigen  und  zu  verknüpfen,  kurz  das 
Vielerlei  harmonifch  zu  einem  Ganzen,  zu  einem  Kunllwerke  zu  vereinigen. 

Das  Portal  Fig.  61  ill  durch  Steinpfeiler  mit  einer  Gebälküber-  Kaiudporul. 
deckung  gebildet.  Zwei  korinthifche  Säulen,  jede  auf  einem  Piedellal 
und  unter  einer  Verkröpfung  des  Gebälkes,  liehen,  die  Thür  Hankirend.  vor 
den  Pfeilern.  Ueber  dem  Kranzfimfe  dient  ein  Kartufchenfchmuck  mit 
Figuren  als  krönender  Auffatz.  Auf  der  Spitze  desfelben  fehen  wir  eine 
weibliche  F’igur  des  Donators  Wappen  halten.'  Diefe  Stücke  im  Einzelnen 
zu  befchreiben,  fchicken  wir  voraus,  dafs  lie  alle  in  jener  Blech-  oder  Papp- 
ornamentenweife  der  entwickelten  RenaifTance  mit  Nieth-  und  Nagcl- 
imitationen.  Voluten,  Bändern,  Masken  u.  f.  w.  auf  das  Reichlle  verziert 
lind,  jedoch,  das  mufs  ausdrücklich  bemerkt  werden,  wenn  auch  der  Meiller 
lieh  diefer  Motive  feiner  Zeit  bedient,  fo  bildet  er  lie  durch  oder  componirt 
lie  mit  einem  Gefchmacke,  der  den  bedeutenden  Künlller  fogleich  erkennen 
läfst.  Das  Wort  „geillreich“  trifft  am  bellen  den  Charakter,  der  den  guten 
Werken  der  RenaifTance  eigenthündich  ill,  und  hier  linden  wir  überall  diefen 
feinen,  modernen  Gefchn.ack : die  Erfindung  jeder  Volute,  jedes  Frucht- 
bündels, jeder  Maske  verdient  das  fchnuickende  Beiwort  „geillreich.“  Das 
Kartufchenornament  bildet  nun  die  F'üllungtür  die  Vertiefungen  am  Piedellale 
der  Säulen,  umkleidet  das  untere  Drittel  des  Säulenilammes,  belebt  die 
Pfeiler  und  den  Fries  und  überträgt  lieh  felbll  auf  den  hölzernen  Thürtlügel, 
indem  deflen  beide  Füllungen  in  Laubfägearbeit  gleicherweife  behandelt  find 
natürlich  mit  den  für  das  Holz  nöthigen  Umänderungen.  Der  Künlller  verlieht 
es  eben,  lieh  auch  mit  Leichtigkeit  in  die  Eigen Ichaften  anderer  Stoffe  hinein- 
zudenken und  ihnen  llilgemäfs  zu  1'chafTon.  Es  liefern  auch  die  Formen  des 
Eifenbefchlages  an  diefer  Thür  dazu  den  Beweis;  fie  find  von  höchll  tlü (Tiger 
Zeichnung  und  wahrhafte  Mullerllücke  der  Schmiedewerkllatt  diefer  Zeit. 

Auffällig  ill  eine  Anordnung,  die  der  Künlller  lieh  erlaubt  hat  dadurch, 
dafs  er  zwifchen  jedes  Säulencapitäl  und  den  zugehörigen  Gebälkkropf  ein  Eigenilmmlich. 
Gebälkllück  einfchaltet,  welches  aus  Architrav,  verziertem  F'riefe  und  den  *c,teM- 
Kranzgliedern  belleht,  fodafs  zwei  Stücke,  jedes  ein  völliges  Gebälk  dar- 
Ilellend,  über  einander  liehen.  Zu  diefer  Häufung  der  Theile,  die  geradezu 
eine  Tautologie  ill,  fcheint  unferen  Meiller  das  Bellrehen  verleitet  zu  haben, 
möglichll  zierliche  Säulen  und  einen  gewilTen  Reichtum  der  Ausdrucksweife 
zu  gewinnen,  und  in  der  That  man  empfindet  den  Verftofs  durchaus  nicht 
unangenehm.1 


1 l)a  der  Tbürttiigcl  wahrlcheinlicherweife  erfl  erfunden  und  gemacht  ill,  als  die  Stein- 


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'56 


DIF.  STADT  HALLE  a.  d.  SAAI.KRFIS. 


i hürbckrönung.  Die  Theile  der  Bekrönung-  endlich  find  componirt  wie  folgt : Die  Mitte 
nimmt  als  das  Hauptmotiv  ein  kreisrunder,  deiner ner  Reif  ein.  welcher  von 
Voluten  unter  ftützt  wird  und  in  dem  nur  der  fegnende , die  Weltkugel 
haltende  C hri  ft  us  in  halber  Figur  und  frei  gearbeitet  feinen  Platz  hat.  Ein 
Bihelfpruch  (ICH  BIN  DER  WEG,  DIE  WAHRHEIT  u.  f.  w.)  verziert  die  Peripherie 
diefes  Steinreifes.  Die  vier  Kvangelillen  mit  ihren  Symbolen  und  mit  Büchern 
fitzen  zu  je  zweien  auf  beiden  Seiten  der  Mittelpartie  und  zwar  fo,  dals 
Matthäus  links  über  der  verkröpften  Säule  und  Johannes  hinter  ihm 
etwas  höher  auf  einem  volutenunterftützten  Poftamente  gefehen  wird,  während 
rechts  den  Gefitnskropf  Lucas  krönt  und  höher  hinter  ihm  Marcus  fich 
befindet.  Mit  richtigem  Gefühle  find  diefe  Kvangelillen  in  einem  entfprechend 
kleineren  Maafsftabe  gehalten  als  Chriftus;  ebenfo  ill  die  weibliche  Figur, 
die  auf  einem  Poftamente  mitten  über  dem  Reifen  ein  Wappen  hält,  kleiner, 
etwa  von  der  Gröfse  der  Kvangelillen.  Das  Wappen,  hinter  dem  fie  fitzt, 
ill  wie  es  fcheint,  die  Vereinigung  zweier,  da  die  obere  Hälfte  die  Burh- 
ftaben  S T.  die  untere  A K trägt.  Wir  werden  an  einem  noch  zu  erwähnenden 
Epitaphium  dasfelbe  Wappen  wiederfinden.  Muthmaalslich  ift  es  eben  da> 
der  Familie  (Mann  und  Krau),  welche  zu  dielem  Predigtlluhle  das  Geld  oder 
doch  das  nteifte  Geld  hergegeben  hat.  An  dem  Poftamente  des  Johannis 
und  Marcus  befindet  fich  nämlich  auch  je  ein  Wappen.  Das  eine  davon 
mit  der  Arche  findet  fich  an  einem  Gewölbefchlufsfteine  der  Vorhalle.  Diefe 
beiden  Wappen  würden  fich  alfo  auf  zwei  andere  Geldfpender  beziehen. 
Klar  ift  nicht,  weifen  Namensanfangsbuchftaben  G.  T einerfeits  und  I R 
andererseits  in  der  erften  Frieskartufche  über  den  Säulen  find.  Ich  vermuthe, 
dafs  die  Namen  der  Gehilfen  des  Meifters  damit  angefangen  haben.  Letzterer 
Meifterzcichen.  hat  lieh  zwar  fehr  befcheiden.  weil  klein  und  wenig  auffällig,  aber  doch  an 
ausgezeichneter  Stelle  ganz  oben  mitten  am  Poftamente  der  Wappenhalterin 
auf  einem  ovalen,  hervorfpringendem  Stücke  verewigt.  Wir  fehen  zwifchen 
den  Buchllaben  Z und  B fein  Künlllerzeichen,  zwei  aufrechte  gekreuzte 
cfcllenzeiclicn.  Schwerter.  Das  Steinmetzzeichen  mit  den  Buchllaben  W G.  welches  unten 
an  der  Seite  des  rechten  Portalpfeilers  ziemlich  auffällig  lieht,  würde  man 
vielleicht  geneigt  fein  für  das  des  Meifters  zu  halten,  weil  eben  jenes  Z.  B.  an 
der  Bekrönung  fo  fehr  wenig  in  die  Augen  fällt,  wenn  nicht  alle  Chroniken 
einmüthig  bezeugten,  dafs  Zacharias  Bogcnkrantz  der  Meiller  gewefen 
fei,  was  um  fo  mehr  glaubwürdig  ift,  als  fie  auch, die  Summe  von  500  Thalern 
nennen,  die  er  „blos  vor  feine  Arbeit,  ohne  das  Gold,  Bley,  Eifen  und  Reife- 
kollen"  bekommen  hat.  Wir  müden  alfo  annehmen,  dafs  es  eben  einer 
feiner  Gehilfen  war.  delfen  Zeichen  und  Namensanfangsbuchftaben  wir  hier 
eingehauen  fehen.  über  den  wir  aber  weitere  Nachricht  nicht  haben.  Dem 
Orte  und  der  Art  feiner  Verewigung  nach  zu  fchliefsen,  hätte  diefer  Mit- 
arbeiter die  einfachllen  Sachen  ausführen  müffen,  für  den  regelrechten  Verband 


ft  ticke  fertig  zufaminengebaut  daftanden,  fo  wäre  auch  nicht  ausgefchlofsen,  dafs  der  Mcifter  fich 
in  den  Maafsen  geirrt  hätte,  fei  cs  nun  bei  dem  Beftellen  der  Sandfteinftücke  im  Steinbruch 
oder  bei  feiner  Arbeit,  fodafs  er  dann  thatfächlich  zu  einem  Einfchiebfel  gezwungen  war.  Der 
Fugcnfchnitt  weift  darauf  hin. 


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IMP.  ST.MORITZKIRCHE.  1 57 

mit  dem  Pfeiler  zu  forgen,  oder  auch  die  ebenen  Flächen  zu  bearbeiten 
gehabt. 

Die  Haupttheilung  an  der  Treppenbrüflung  ill  durch  die  vier  be-  Architektur  «lei 
fchriebenen  Reliefbilder  gegeben.  Sie  werden  unten  an  der  Wange  von  Treppenbrültunc 
einem  durchlaufenden,  bandartigen  Friefe  mit  einigen  architektonifchen 
Gliedern  gefäumt  und  oben  von  einem  kleinen,  doch  ganz  ausgebildeten 
Gebälke  überdeckt;  feitlich  werden  fie  durch  befonderszart  verzierte  Säulchen, 
welche  frei  aul  Confolen  liehen  und  Confolen  flatt  der  Gebälkverkröpfung 
tragen,  von  einander  gefchieden.  Auch  diele  Säulchen  von  etwas  gedrungenem 
Verhältnis  find  korinthifcher  Ordnung  und  ungefähr  auf  ein  Drittel  ihrer 
Höhe  kartufchenartig  umkleidet.  Ein  richtiger  Begriff  läfst  lieh  durch  Be- 
fchreibung  von  der  Sauberkeit  und  dem  Charakter  der  feinen  Ornamente 
fchwer  geben,  ja  kaum  durch  Zeichnung  veranfchaulichen,  befonders  wenn 
man  erwägt,  dal's  die  Kartufchen  an  jedem  Säulchen  von  neuer  Erfindung 
find.  Zur  Sicherheit  wird  die  Treppe  noch  von  einem  Pollamente  unter- 
llützt,  welches  an  feinen  Seiten  vortretende  Masken  trägt.  Der  Ausdruck 
diefer  bildet  gewifiermaafsen  eine  Klimax,  indem  er  fielt  zum  Scheufslichen 
lleigert.  Während  nämlich  die  eine  noch  einem  Engelskopfe  gleicht,  lieht 
die  zweite  fchon  viel  weniger  unfchuldig,  die  dritte  aber  ablcheulich  aus. 

Cnterfucht  man  auch  die  vierte  Poflamentfeite,  fo  findet  fich  dort  ebenfalls 
eine  Maske,  die  indefien  fo  dicht  gegen  den  Kirchenpfeiler  flöfst,  dafs  ihr 
Ausdruck  nicht  angegeben  werden  kann.  Diefer  Umfland,  fo  wie  der,  dafs 
durch  ein  dem  Pollamente  aufgemauertes,  unausgebildetes  Stück  die  ebene 
Schräge  der  Stufenunterficht  erreicht  wird,  die  Unterllützung  alfo  auch  nicht 
organifch  iß,  fo  wie  endlich  dafs  in  den  Köpfen  (Haar,  Flügel)  fich  fchon 
leichte  Spuren  des  Charakters  des  17.  Jahrhunderts  finden,  führt  auf  die 
Frage,  die  wir  allerdings  nicht  bellimmt  beantworten,  alter  doch  hiermit  an- 
regen wollen,  ob  nämlich  das  Pollament  wirklich  noch  vom  Meifler  Bogen- 
krantz  für  diefen  Zweck  und  Platz  gemacht  oder  erll  nachträglich,  wenn 
auch  bald,  fertig  untergefchoben  fei.  Auch  an  der  Kanzelbrüßung  ift  die 
Theilung  wie  am  Aufgange  beibehalten,  nur  dafs  die  Bilder  kleiner  find  und 
jedes  noch  einmal  durch  eine  befondere  Bogenarchitektur  eingerahmt  wird. 

Der  Rundpfeiler  unter  der  Kanzel  (fiehe  Fig.  60)  — denn  die  originelle  RumJpfeilcr. 
Unterllützung  diefer  kann  wohl  als  Säule  nicht  eigentlich  gelten,  — fleht 
auf  einem  kubifchen  Pollamente  mit  kräftigen  Füllungskartufchen.  Ueber 
f-iner  zierlichen  attifchen  Balis  erhebt  er  fich  nach  oben  zu  mit  hermen- 
artiger Entafis,  die  bis  dicht  unter  das  Capitäl  geht,  wo  wiederum  eine 
geringe  Zufammenziehung  flattfindet.  Von  einem  Capitäle  kann  man 
kaum  fprechen ; flatt  feiner  fieht  man  eine  Häufung  von  allerlei  tlüflig  ge- 
zeichneten, über  einander  vorkragenden  Gliedern,  die  fchliefslich  den  Boden 
der  Kanzel  bilden  und  fo  den  Conflict  zwifchen  Stütze  und  Lall  vermitteln. 

Wiederum  in  hohem  Grade  geiflreich  ill  der  Schmuck  diefes  Rundpfeilers, 
ln  dem  Kartufchenomamente.  welches  denfelben  umfpannt,  hat  der  Meifler 
die  gefeffelten  Geflalten  von  Sünde,  Tod  und  Teufel  angebracht.  Recht 
sympathisch  dürfte  der  individuellen  Denkweife  gerade  diefes  Künstlers  ge- 
wefen  fein,  die  Sünde  in  Gellalt  eines  Weibes  darzullellen;  liebreizend 


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Färbung. 


I58  ÜIF.  STADT  HALLE  “•  <••  SAALKKKIS. 

ill  der  obere  Theil  ihres  Körpers,  doch  der  untere  hat  an  Stelle  der  Beine 
einen  weichen,  welligen  Schwanz,  der  das  Viehische  in  ihr  verlinnbildlicht. 
Nicht  im  Mindesten  find  ihre  weiblichen  Attribute  übertrieben,  ein  Vorbild 
den  heutigen  Künftlern,  denen  leider  eine  folche  Übertreibung  Bedürfnifs  I 
zu  fein  fcheint.  Das  Geficht  ill  mehr  von  klaffifcher  Strenge  als  finnlich  im 
Ausdruck;  die  Brülle  find  nicht  üppig,  fondern  mit  anatomifcher Richtigkeit 
proportionirt  und  placirt,  auch  die  Hüften  fchwellen  nicht  'durch  eine  zu 
feine  Taille  überllark  hervor,  und  doch,  giebt  es  einen  Poeten,  d elfen 
Phantafie  ein  trefflicheres  Bild  für  die  Sünde  erlinnen  möchte,  für  die  fufs 
verführerifche  und  zugleich  abfcheuliche  Sünde?!  Beide  Eigen fchaften  hat 
der  Bildhauer  dem  weiblichen  Ungethüm  beigelegt,  aber  er  hat  die  Sünde 
hier  gleichfam  an  den  Pranger  gestellt,  fie  ill  nun  gebunden  und  machtlos. 
Ueberwunden  ill  auch  der  Tod,  ein  gefeffeltes  Gerippe,  das  gespenftig 
von  feinem  Pranger  herabgrinll,  dann  kommt  des  Teufels  fcheufsliche  Ge- 
llalt mit  Bocksbeinen  und  einer  unbefchreiblich  viehifchen  Phyliognomie; 
aber  auch  mit  feiner  Macht  ill  es  nun  vorbei,  er  kann  lieh  nicht  mehr 
regen.  Lange  verfunken  in  die  Betrachtung  diefer  tieffinnig  erfonnenen 
und  meillerlich  gemeifselten  Allegorien  wenden  wir  uns  endlich  ergriffen, 
doch  beruhigt  von  diefen  Unholden  ab,  wenn  der  Zauber,  in  den  des 
Künlllers  Werk  uns  eine  Zeit  lang  bannte,  vergeht  und  mit  Macht  die 
fittlichen  Gefühle  in  unferer  Brüll  erwachen.  Was  über  die  ornamentalen 
Details  im  Allgemeinen  gefagt  ill,  gilt  auch  hier;  befondere  Aufmerkfamkeit 
verdienen  die  ausdrucksvollen  Masken  an  den  Gürteln  der  drei  gefelfelten 
Gellalten  und  das  architektonifch  höchll  reizvolle  Profil  der  bofehriebenen 
Ueberführung  des  Rundpfeilers  in  den  Kanzelboden.  Schliefsen  wir  hiermit 
unfere  Befchreibung,  indem  wir  zufammenfalfen,  was  alfo  über  diefe  Kanzel 
in  Bezug  auf  den  Sinn  ihrer  Zierrathe  gefagt  worden  ill,  fo  dünkt  uns  kein 
Vergleich  paffender  als  der,  fie  felber  fei  eine  Predigt  fo  inhaltreich  und 
erbaulich,  wie  nur  je  eine,  die  von  ihr  herab  gehalten  wurde.  Ihre  ficht- 
baren  Worte  ermahnen  ergreifend  ernll  und  fordern  fanft  überredend  zu 
allem  Menfchlich -Edlen  auf.  Zum  Unterfchiede  aber  von  ähnlichen  Arbeiten 
des  Mittelalters  tritt  hier  weniger  — wir  haben  mehrfach  darauf  hingewiefen  - 
eine  chrilllich  kirchliche  als  vielmehr  eine  chrifllich  menlchliche  AuffafTung 
aller  Dinge  zu  Tage,  und  das  ill  die  Idee  der  Renailfance. 

Es  ill,  bevor  wir  zu  einer  Würdigung  der  an  der  Kanzel  vorliegenden 
Kun Illei llung  übergehen,  über  die  Polychromirung  noch  Einiges  zu  Tagen. 
Wie  die  Antike  nichts  von  der  Schönheit  einer  blendenden  Weifse,  die  ihren 
Bau-  und  Bildwerken  durch  die  Kunilforfcher1  angedichtet  war,  gewufst  hat. 
so  hat  auch  die  Renailfance  in  ihren  belTeren  Werken  keinen  Gefallen 
daran  gefunden,  fondern  in  keufcher  Weife  lieh  der  Farbe  durchweg  be- 
dient, um  das  Material  vollens  zur  Dienerin  des  idealen  Zweckes  zu  machen. 
So  ill  denn  auch  der  helle,  feinkörnige  Sandllein,  aus  dem  unfere  Kanzel 
belleht,  überall  zunächll  mit  einem  matten  gelblich-  oder  grünlich  grauem 


t Semper  hat  lie  {Kurier,  Hcttncr  und  andere)  ad  absurdum  gefühlt,  indem  hr  die  Leicht- 
fertigkeit ihrer  Untcifuchungen  nachuies. 


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IHK  Sr.  MOK1IZKIKC1U. 


150 


Farbenüberzuge  verfehen,  der  dellenweife  durch  die  Bearbeitung  des  Steines 
z.  B.  durch  das  Spitzen  oder  Krönein  des  Grundes  der  Ornamente  abge- 
tönt worden  ilt.  Dann  find  einzelne  Theile  z.  B.  die  Spitzquadern . Rund- 
theile,  Knöpfe  u.  f.  w.  durch  eine  Aärkere,  doch  gebrochen  blaue  oder  gelb- 
liche Färbung  hervorgehoben  und  andere,  wie  die  Säulencapitäle , Reifen, 
Masken  u.  f.  w.  matt  vergoldet.  Darin  fcheint  in  der  That  der  ganze  Farben- 
fchmuck  bellanden  zu  haben,  der  fich  mithin  nur  in  gebrochenen  und  nicht 
lebhaften  Tönen  hielt,  vermuthlich  mit  Rücklicht  auf  die  fo  reiche  plallilche 
Ausbildung.  Ob  nun  das  Jahr  178z  oder  erd  diefes  Jahrhundert  die  wider- 
lich rohe  Erneuerung  der  Farben,  die  wir  jetzt  fehen,  vorgenommen  hat, 
mag  dahin  geftellt  fein.  Die  Keulchheit  der  ehemaligen  Totalwirkung 
mufste  durch  eine  liellenweife  Broncirung  des  alten  Goldes  und  durch  Ueber- 
malen  der  bläulichen  und  gelblichen  Stücke  mit  giftig  glänzenden  Oelfarben 
verloren  gehen,  weil  fich  dadurch  die  decenten  Contrade  der  matten  Farben 
zu  einer  unerfreulichen  Disharmonie  verdärken  und  fo  namentlich  der 
pladifchen  Wirkung  zum  Schaden  gereichen. 

lieber  den  Stil  und  Kundwerth  der  Kanzel  zu  einem  richtigen  Ur-  si 
theile  zu  kommen,  id  nur  möglich,  wenn  man  den  einfeitigen  Standpunkt  auf- 
giebt,  von  dem  aus  die  nicht  profanen  Zwecken  gewidmeten  Arbeiten  der 
Renaiffance  gemeiniglich  bourthcilt  zu  werden  pflegen.  Nicht  was  fie  lagen 
Pollen  d.  h.  der  geifiige  Stoff  darf  beurtheilt  werden,  das  Urtheil  müfste  ja 
immer  ein  fubjectives  fein,  fondern  wie  fie  etwas  Pagen  d.  h.  die  Befchaffen- 
heit  der  Ausdrucksweife,  in  welcher  irgend  ein  geidiger  Stoff  in  Formen  ver- 
ftändlich  gemacht  wird;  und  in  diefer  Hinficht  id  unl'ere  Kanzelficherlich  ein 
hervorleuchtendes  Stück  der  Bildhauerei.  Wie  befchaffen  id  denn  nun  an  ihr 
(liefe  Ausdrucksweife?  Dasjenige,  was  für  eine  Reliefdardellung  als  unor- 
läfsliche  Regel  gilt,  dafs  fie  einem  Bilde  gleicht,  welches  llatt  durch  Farbe 
durch  einen  je  nach  dem  Platze  der  Objecte  höheren  oder  flacheren  Auf- 
trag von  pladifcher  Made  entdanden  id,  diefe  Regel  id  hier  mit  Strenge 
iteobachtet;  dabei  id  nicht  ausgefchlolTen,  dafs  folche  aufgetragene  Made 
fich  je  nach  den  Umdänden  bis  zu  ganz  frei  gearbeiteten  Stücken  loslöfi. 

Im  Gegemheil  hierdurch  wird  die  Wirkung  bedeutend  kräftiger,  fo  lange 
die  hochreliefirten  Theile  die  Fläche  nicht  verladen.  Wir  geflehen  zu,  dafs 
Meifler  Bogenkrantz  in  diefer  Hinficht  ebenfo  wie  mit  den  architektonifchen 
Gliederungen  und  Zierrathen  allerdings  bis  an  die  Grenze  des  Erlaubten 
fich  gewagt  hat.  aber  er  war  ficher,  dafs  fein  guter  Gefchmack  ihn  bewahre, 
diefe  Grenze  zu  überfchreiten.  In  den  Einzelheiten  id  eine  genaue  Kennt- 
nifs  der  Natur  bemerkbar,  die  Bewegungen  der  Figuren,  ihre  Muskulatur, 
der  Faltenwurf,  das  alles  id  völlig  der  Natur  abgelaufcht,  auch  die  Köpfe 
find  trefflich  charakterifirt  und  dabei  fad  von  jener  gleichmäfsigen  Ruhe  im 
Ausdruck,  die  wir  an  den  antiken  Bildwerken  bewundern.  Die  Figuren 
find  lämmtlich  Idealgedalten  voll  Lebenskraft  und  Wahrheit,  wiederum  wie 
alles  andere  in  geidreicher  Auffaflung.  Damit  id  fchon  ausgefagt,  dafs  keine 
natural i di fche,  fondern  eine  fiiliflifche  Behandlung  flaufindet.  An 
einigen  Stücken  wird  diefe  zVrt  befonders  auffällig  z.  ß.  an  den  Wolken, 
mehr  noch  an  den  Bäumen.  Sie  fehen  aus  wie  nach  einem  gewilfen 


il  und  Knnft 
wcrtli. 


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Kanzeldcckcl. 


lÖO  - - DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 

Schema  behandelt,  welches  nichts  weniger  als  naturaliftifcher  Art,  aber 
vorzüglich  geeignet  ift.  den  von  dem  Künstler  beabsichtigten  Eindruck 
auf  den  Befchauer  zu  machen.  So  unmöglich  es  nun  fcheinen  mag, 
aut  solche  Weife  d.  h.  durch  eine  naturunwahre  Darßellung  eine  nicht  un- 
natürliche Wirkung  zu  erzielen,  fo  ift  es  dennoch  der  Eall,  und  es  entlieht 
die  Frage  nach  dem  Grunde.  Hier  enthüllt  lieh  uns  das  Geheimnifs  de- 
Stiles,  der  als  ein  Product  der  Bedingungen  angefehen  werden  kann,  welctn- 
das  Material,  die  Zeit  und  in  der  RenailTance  auch  die  Perfönlichkeit  des 
Künlllers  dem  Kunllfchaffen  auferlegt.  In  unferem  Falle  diefe  Bedingungen 
zu  unterfuchen,  würde  zu  weit  führen;  aber  da  es  gerade  Baumfchlag  ift, 
an  dem  die  Eigenfchaften  vornehmlich  auffallen,  fo  wollen  wir  auf  ein 
Analogon  in  der  Malerei  verweilen,  nämlich  auf  jene  Claude  (Gelee)  Lorrain- 
fchen  Landfchaften,  an  denen  alle  Welt,  obwohl  heute  von  ihrer  ehemaligen 
Farbenpracht  wenig  geblieben  ilt,  die  Fähigkeit  bewundert,  den  Befchauer 
in  eine  gewifse  Stimmung  zu  verfetzen. 1 Dabei  find  ihre  Bäume  und  Blätter 
nichts  weniger  als  wahre  Baum-  und  Blattportraits,  wenn  ich  einmal  fo 
fagen  darf.  Wie  die  fchematifch  behandelten  Typen  hier  mit  Sicherheit  die 
beabfichtigte  Stimmung  hervorbringen,  fo  auch  die  unferes  Meifters.  Es  ift 
eben  die  nicht  wohl  erklärliche  Weife  des  Stils,  die  folchen  Zauber  bewirkt, 
indem  fie  flatt  des  Zufälligen  den  allgemeinen  Charakter  darllellt. 

Noch  eine  zweite  Eigenschaft  mufs  als  von  befonderem  Ein  Hufs  auf  den 
Stil  genannt  werden.  In  dem  klaren  Bewufstfein  von  dem  Begriffe  der 
Plaflik  formt  der  Künftler  alle  Einzelheiten  — nicht  nur  die  Bäume  und 
Wolken  — als  feien  fie  wirklich  auf  plaflifchem  Wege  z.  B.  aus  einer 
reichen,  bildfamen  Wachs-  oder  Thonmalfe  entllanden,  eine  Weife,  die  den 
Eigenfchaften  des  Steinmaterials  Rechnung  trägt , indem  fie  die  Härte  und 
Sprödigkeit  desfelben  für  das  Auge  unfchädlich  macht.  Sie  ordnet  den 
Stoff  feinen  Eigenfchaften  gemäfs,  nicht  ihnen  zuwider  den  höheren  Zwecken 
der  Kunff  unter,  und  wir  haben  gefeiten,  wie  durch  die  Bemalung  diefe 
Zwecke  vollens  erreicht  worden  find. 

Es  genügen  diefe  Ausführungen,  um  den  Platz,  den  die  grofsartige 
Arbeit  unter  den  Erzeugniffen  der  bildenden  Kunll  einnimmt,  zu  bestimmen. 
Sie  fleht  gewiffermaafsen  auf  dem  Culminationspunkte  der  Entwicklung 
des  Renaiffanceftiles;  fchönere  lflüthen  hat  diefe  F.opche  nicht  erzeugt. 
Wirklich  barocke  Elemente  — das  will  Tagen  rein  willkürliche  — find  an 
der  fteinernen  Kanzel  noch  nicht  vorhanden,  obwohl  es  nur  noch  eines 
kleinen  Schrittes  bedarf,  damit  die  Grenze  des  wirklich  Schönen  über- 
schritten werde. 

Interelfanterweife  fehen  wir  nun  an  dem  K an zel deckel,  der  in- 
fchriftlich  um  1604,  alfo  nur  zwölf  Jahre  fpäter  gemacht  worden  ift,  die 
K unfl  diefen  erften  Schritt  zum  Verfalle  thun,  fodafs  ein  Vergleich  die  feinen 
Unterfcliiede  darthun  mufs.  Das  Ausfehen  dieses  Schalldeckels  ift  folgendes: 
Ein  in  der  Unterficht  cafTettirter  Ring  mit  einer  tiefer  liegenden  Füllung 
mit  Wolken  und  Sonnenftrahlen  in  der  Mitte  bildet  nach  aufsen  ein  Ge- 


1 Man  fpricln  daher  vun  einer  Stimmung  im  Bilde. 


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DIE  ST.  MOKITZtKCUE.  l6l 

bälk.  welche-  aus  einem  sehr  niedrigen  Architrav,  hohem,  durch  Consolen 
triglvphenartig  gegliedertem  Friese  und  einem  Kranzfimse  befiehlt.  Die  Con- 
folen  liehen  auf  einem  Kropfe  im  Architrav,  haben  in  den  überbreiten  Metopen- 
feklem  fchnörkelumgebene,  aus  der  Fläche  vortretende  Engelsköpfe  /.wischen 
fich  und  erheben  fielt  mit  einer  kühnen  Volute  über  das  Kronenfims.  Die 
Gliederung  desfelben  belleht  in  einigen  Plättchen  und  einer  mächtigen 
tiacheoncaven  und  mit  Flachomamenten  verzierten  Sima,  eine  eigentliche 
1 fängeplatte  fehlt. 1 lieber  diel'em  Gebälke  erhebt  fich  zwifchen  den  genannten 
Confolen.  auf  denen  Figuren  liehen,  bekrönendes  Kartuschenwerk  und  da- 
hintereine Kuppel,  die  wieder  einem  kleinen  Achteckstempel  als  Bafis  dient. 

Die  acht  Säulen  des  Tempelchen  nehmen  Bögen  auf  und  darüber  läuft 
ein  consolengetheilles  Gebälk  mit  F'lachkuppel  und  Figurenbekrönung 
ringsum  ; alles  giplelt  in  einem  bergartigen  Gebilde,  auf  dem  der  von  Wolken 
umwallte  Chriltus  lieht.  Die  zahlreichen  Figuren  find  freillehcnd.  Es  lieht 
auf  dem  unterllen  Ringe  inmitten  Chrillus.  Er  nimmt  eine  ausge- 
zeichnetere Stellung  ein  als  die  anderen  Figuren  über  den  Confolen,  da  er 
zwifchen  zwei  einerfeits  abgebrochenen  andererfeits  volutenartig  aufgerollten 
Simsltücken  lieht,  die  einen  Giebel  bilden.  Engelein  tragen  und  mit  frei 
herabhängenden  F'ellons.  Zeug  nachbildend,  gefchmückt  find.  Chrillus  leibst 
regnet  mit  der  Rechten  und  hält  in  der  anderen  Hand  die  Siegesfahne. 
Unter  feinen  Füfsen  aber  windet  fich  die  Schlange  und  als  Gerippe  liegt  der 
überwundene  Tod  machtlos  da.  Am  Pollamente  hier  unter  diefer  Gruppe 
lieht  auch  die  Jahreszahl  1O04.  Von  den  Engeln  auf  den  Confolen  links 
hält  der  erlle  ein  Kreuz,  der  andere  eine  l.eiter  und  der  letzte  einen 
Spiefs  (?).  auf  der  anderen  Seite  feilen  wir  den  erden  mit  einer  Säule,  den 
zweiten  mit  einem  jetzt  nicht  mehr  erkennbaren  Gegenllande,  den  dritten  mit 
dem  Schweifstuche  der  Veronica.  Flier  ill  alfo  das  Leiden  und  der  Sieg 
Chrilli  über  den  Tod  in  einer  ausführlichen  und  pomphaften  Weife  vorge- 
führt. Darüber  in  dem  Tempelchen  folgt  die  Anbetung  derilirten.  Die 
noch  fehr  junge,  kindlicne  Maria  fitzt  hinter  einer  Krippe,  in  di  r das  Chrill- 
kind  liegt.  Jol'eph  lieht  rechts  neben  ihr  mit  einem  Lichte  und  hinter  ihm 
ein  Ochs.  Auf  der  anderen  Seite  befinden  lieh  zwei  Hirten,  zwifchen  ihnen 
lieht  ein  Efel.  Unter  der  tlachkuppellörmigen  Decke  fchweben  über  der 
Sonne  zwei  Engel  mit  Bändern  in  der  Hand.  Auf  dem  Bande  des  einen 
liest  man  die  Worte  GLORIA  IN,  auf  dem  des  andern  ECCELSIS  DEO.  Auf 
dem  Gefimfe  diefes  Tempelchens  flehen  neun  Figuren,  Frauen  und  Männer 
(Jünger),  alle  mit  unmittelbarem  Bezug  aut  Chriltum.  der  hoch  in  ihrer  Mitte 
aut  Felfengellein  lieht  und  von  Wolken  umgeben  gerade  zum  Himmel 
auffahren  will. 

Nach  diefer  Befchreibung  handelt  es  (ich  um  den  Stil  der  Arbeit  siil. 
bez.  um  den  Unterfchied  zwifchen  jener  Blüthe  der  Kund  und  dem  erllen 
Schritte  zu  ihrem  Niedergange.  Es  ill  zunächll  das  Material,  welches  einen 
Verllofs  gegen  die  Bedingungen  eines  guten  Stiles  bekundet.  Nicht  als  ob 

* Diele  Simsform  feheint  eine  Zeit  lang  von  jetzt  ah  beliebt  geworden  zu  fein,  wie  die 
Epitaphien  zu  St.  Ulrich  und  im  Dome  erweifen. 

B.  D.  d.  Bau- u.  Kunsld.  N.  F.  I.  II 


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IMF.  STADT  HALLF  u.  d.  SAAUCKEIS. 


IT  nbcdcutciulerc 
Kiiiiftuerkc'. 


162 


es  ungerechtfertigt  wäre,  eine  fleinerne  Kanzel  mit  einem  Schalldeckel  von 
Holz  zu  verfehen;  nichts  ill  natürlicher  rückfichtlich  des  Zweckes  und  ck-r 
Conflruction;  aber  heilig  fei  dem  Künfiler  vor  allem  die  Wahrheit,  verfucht 
er  wie  hier  seinem  Holzwerke  das  Ausfehen  einer  Steinarchitektur  zu  geben, 
fo  verflöfst  er  gegen  diefes  Grundgesetz  und  feine  Kunll  (leigt  herab.  Die 
Formen  felblt  find  mit  Verltändnifs  und  Gefchick  denen  der  Kanzel  ange- 
pafst,  allein  fie  thun  den  verhängnisvollen  Schritt  wirklich , vor  dem  jene 
Halt  machten:  fo  die  Confolen.  die  den  lleinernen  ganz  ähnlich  find,  hier 
aber  fchon  herabhängende  Zipfel  haben  und  frei  gearbeitet  über  das  Ge- 
fims  als  Volute  hinaufgehen ; fo  auch  das  Gefims,  welches  Hängeplatte  und 
Unterglieder  durch  eine  pomphafte  Sima  im  Steincharakter  erfetzt;  fo 
endlich  die  giebelbildenden  Simsllücke  zu  den  Seiten  des  fiegreichen 
Heilandes,  die  ihre  Holznatur  verleugnend,  einerfeits  willkürlich  abbrechen 
und  andererfeits  volutenartig  endigen.  Auch  die  tüchorvorllellenden  Holz- 
gehänge an  ihnen  überfchreiten  fo  frei  hängend  offenbar  die  Grenze  des 
Erlaubten.  Wenn  wir  nun  auch  die  mehr  malerifche  als  plaftilche  Weife, 
in  der  die  Engelchen  auf  den  Giebelllücken  ruhen,  als  bedenklich  erwähnen, 
fo  gelangen  wir  damit  zu  den  Figuren  überhaupt.  An  und  für  lieh  lind  fie 
wohl  in  guten  Verhältniffen  gebildet,  aber  in  der  Haltung  schon  zu  bewegt, 
um  einen  gleich  würdigen  Eindruck  zu  machen . wie  die  an  der  Kanzel 
unten.  Dals  die  Köpfe  in  den  Kartufchen  ganz,  frei  find,  alfo  aus  der 
Fläche  fällen  und  dafs  jede  Figur  ein  lelbftftändiges  Stück  bildet  und  ein 
Geräth  auffällig  hält,  ünterllützt  den  unruhigen  Eindruck  wefentlich.  In  be- 
fonders  bewegter  Stellung  befinden  lieh  die  Figuren  der  Himmelfahrt:  dir 
Affecte  äufsern  fich  in  den  Bewegungen  fo  Hark , dafs  der  llatuarifche  Cha- 
rakter ganz  verloren  geht.  Der  wolkenumfchlungene  Chriflus  fcheint  fchon 
zu  fchweben.  Zu  alledem  kommt  noch,  dafs  die  figürlichen  Darllellungen 
an  dem  Schalldeckel  dem  Sinne  nach  eigentlich  nur  wiederholen , was  an 
der  Kanzel  bereits  und  zwar  beffer  gefagt  worden  ilt.  Trotz  der  angeführten 
Kennzeichen  einer  eben  herablteigenden  Kunll  kann  man  doch  nicht  umhin 
dielen  Schalldeckel  noch  als  eine  tüchtige  Arbeit  anzufehen.  Das  gilt 
namentlich  von  den  einzelnen  Figuren,  von  der  Silhouette  und  den  glück- 
lichen Verhältniffen  des  Ganzen;  weniger  die  Ausbildung  der  einzelnen 
Formen  als  die  Malfenvertheilung  ill  zu  loben. 

Die  Chroniflen  fchreiben,  dafs  Valentin. Sil  her  mann  aus  Leipzig  den 
Deckel  gefchnitzt  und  Johann  de  l’erre  auch  aus  Leipzig  ihn  „auf  Ala- 
baller-Art  weifs  gemahlet  und  mit  Glantz-Gold  verguldet“  hat.  Auch  diele 
Bemalung  zeigt  unzweifelhaft  den  Rückgang  der  Kunll,  llatt  der  gebrochenen 
Farben  mit  matter  Vergoldung,  wird  jetzt  glänzendes  Weifs  und  glänzende 
Vergoldung  zulämmengellellt.  Durch  mehrmaligen  Anflrich  mit  Kalkfarbe 
und  durch  neue  Vergoldung  ill  jene  anfängliche  Färbung  jetzt  ganz  über- 
deckt und  dabei  viel  von  der  Schärfe  der  Formen  verloren  gegangen. 

Hinter  den  Stübchen  unter  der  Orgelempore  befindet  fich  ein  werth- 
lofes  Epitaphium  von  159,5  (Oelbild  auf  Holz.)  Einfach  aber  gut  gemalt  ill 
dagegen  ein  zweites  zur  Zeit  dort  aut  einem  Schranke  flehendes.  Es  ill 
auch  in  Oel  auf  Holz  gemalt;  man  lieht  mitten  einen  Crucifixus  und  zu 


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DIE  ST.  MORITZKIKCHE. 


IÖ3 


deffen  Seiten  eine  betende  Familie  (Mann.  Frau  und  Kinder.)  Es  ift  diefes 
das  Stück  , welches  wir  bei  Befprechung  der  Kanzelthür  erwähnt  haben. 

Die  hier  gemalten  Wappen  ftimmen  mit  den  plaftifchen  an  jener  Portalbe- 
krönung überein.  Es  wird  alfo  die  hier  portraitirte  Familie  die  Geldfpenderin 
zur  Errichtung  des  Predigtftuhles  gewefen  fein,  denn  auch  die  Malerei  trägt 
ganz  den  Stil  der  Zeit  um  1O00. 

Unter  den  Thürmen  wird  auch  ein  Taufllein  vom  Jahre  1662  autbe- 
wahrt,  der  aber  ohne  Werth  ift. 

Ohne  Werth  ift  durch  Renovation  auch  der  fteinerne  Lutherkopf 
geworden,  der  weltlich  an  der  Nordwand  der  Kirche  im  Innern  fich  findet. 

Erwähnt  mag  auch  ein  lebensgroßer  Crucifixus  oben  an  der  Weftwand 
werden.  Ein  verfilberter  Schurz,  natürliche  Haare  und  das  verzerrte  Geficht 
ver weifen  das  Stück  in  das  17.  Jahrhundert. 

An  heiligen  Geräthen  befitzt  die  Moritzkirche:  einen  filbernen  Kelch  GerSthe. 
mit  Vergoldung,  der  eine  glatte  t'upiia  und  einen  eckigen,  mit  flachem 
Maafswerk  gezierten  Nodus  hat:  an  letzterem  finden  fich  die  Minuskeln  m t| 
p i a p,  deren  Sinn  nicht  klar  ift  Eingravirte  barocke  (?)  Ornamente  zieren 
den  Fufs.  unter  welchem  man  alfo  lieft:  anno  dni:  CID  " ID  • CXXXIII 
spolium  pontificium  in  pium  coenaedominicae  convertit  usum  m:  Lucas 
Rudolphi:  aedis  hujus  mauritian:  pastor  ann  : XVII  aetatis  suae  LXIX  : Den 
Formen  nach  kann  der  Kelch  nicht  lange  vor  der  Reformation  gemacht 
fein:  fpäter  hat  er  eine  Renovation  erfahren.  Die  Patena  ift  ohne  Bedeutung. 
Zugehörig  ift  ein  fiebartiger  Löffel,  um  die  HoftietI  mit  ihm  zu  nehmen. 

Sein  Stiel  ift  eckig.  Die  allgemeine  Form  ift  nicht  fchön. 

Ein  anderer  K el  c h ift  etwas  beffer.  Erträgt  auf  feinem  fechsblättrigen 
Fufse  als  Signaculum  einen  Crucifixus  in  Relief  gearbeitet.  Der  Nodus  hat 
fechs  ftark  ausfpringende,  flach  gedrückte  vierkantige  Zacken,  und  zwifchen 
(liefen  ift  fpätgothifches  Blattwerk.  Die  Zacken  tragen  vorn  die  Minuskeln: 
i f S II  S.  Der  runde  Stilus  hat  über  dem  Nodus  die  Infchrift: 

+ Ijitr  gol  s imör  unter  demfelben : gol  • ii II  • um  • Ijilr. 

I las  ft »II  wohl  beide  Male  ,, heiliger  gott  und  maria“  heifsen.  Die  zugehörige 
Patena  trägt  ein  reirh  gebildetes  Weihkreuz. 

Hiernach  find  zwei  meffingene  Taufbecken  zu  erwähnen,  zu  deren 
geftanzten  Ornamenten  die  Stempel  fchon  um  1500  gemacht  fein  mögen, 
während  die  Anfertigung  der  Becken  um  zwei  Jahrhunderte  fpäter  fallen 
kann.  Beide  Beckenformen  finden  lieh  auch  in  den  Kirchen  der  umliegenden 
Dörfer,  befonders  des  Saalkreifes.  Die  Mitte  des  Bodens  der  erlten  Schuftel 
Fig.  62.  nimmt  die  Darftellung  der  Verk ü ndi  gung  Mariae  ein.  Die  Jung- 
frau kniet  betend  an  einem  teppichbehangenen  Pulte;  hinter  ihr  lieht  ein 
Blumentopf  mit  Lilien.  Darüber  fchwebt  die  Laube  und  Strahlen  gehen 
von  ihr  auf  die  Jungfrau  herab.  Links  neben  dem  Topfe  läfst  fich  Gabriel, 
mit  dem  Scepter  in  der  Linken  und  die  Rechte  zum  Segen  erhoben,  ehr- 
furchtsvoll auf  ein  Knip  nieder.  Die  Auffaffung  und  Zeichnung  des  flachen 
Reliefs  ift  noch  ftark  mittelalterlich.  Die  erfte  (innere  Minuskel-?)  Schrift, 

1 1 * 


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164 


DIE  STADT  HALLE  u.  <1.  SAALEREIS. 


Fig.  62. 


Anficht  und  Durchfchnitt  eines  meffingenen  Taufbeckens. 


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DIE  ST.  MOK1TZKIKCHK. 


65 


Fig.  63.  von  der  das  Bild  im  Kreife  umzogen  wird,  iß  überreich  verziert 
und  bellimmt  nicht  zu  lefen.  Die  meille  Wahrfcneinlichkeit  hat  noch,  dafs 
lie  in  vier-  und  einhalbmaliger  Wiederholung  111  I-  Y t H f I 111  f bedeutet, 
wobei  dann  freilich  die  letzten  Buchllaben  des  Stempels  in  f nicht  zu  er- 
klären fein  würden.  Vor  der  Reformation  könnte  demnach  dieler  Schrift" 
Itempel  nicht  gefertigt  fein. 1 Die  folgende  kleinere  Majuskel-  bez.  Lapidar- 
fchrift  zeigt  in  ihrer  Form,  dafs  lie  fpäteßens  den  erden  Jahrzehnten  des 


F'g.  6.5. 


! 16.  Jahrhunderts  angehört.  Der  lieh  wiederholende  Stempel  iß  gut  leferlich: 

IE H : BART  : AL  : ZEIT  : GELVEK.  F.s  folgt  ein  Ipätgothifcher  Blätterkranz 
und  fchliefslich  ein  Rand,  der.  wie  es  feltener  vorkommt,  nur  fchmal  ist. 
Seine  kleinen  Zierrathe  lind  eingeßanzt.  Die  zweite  TauffchülTel  hat  keine 
Infchrift  aber  als  Schmuck  ein  üppiges  und  interelTantes  Blattwerk  der 
fpäteßen  Gothik  im  Boden. 

Nicht  ohne  Werth  iß  eine  Hoßienbüchfe  aus  Elfenbein  mit  vergoldeter 
, Silberfaffung  b ig  64  ; fie  iß  freilich  nicht  befonders  gut  gearbeitet.  Ueber  ihre 
Entßehungszeit  u.  f.  w.  geben  die  Infchriften  Auffchlufs.  Am  unteren  Rande 
lieht:  Jumpfer  Magdalena  Lcuders  ist  gestorben  den  16.  Marti  anno  1578. 
Inmitten  des  Bodens  fieht  man  ein  Wappen,  welches  umfehrieben  iß:  Hans 
Deuder  anno  1578.  wigt  2 61/*  lot.  Im  Inneren  des  Deckels  iß  das  Abend- 
mahl eingravirt.  Im  Boden  der  Schachtel  lieht  man,  wie  Chrißus(?)  mit 
einem  Kreuzpanier  einen  Drachen  tödtet,  dahinter  ßeht  ein  ägyptifches 
Kreuz. 

Eine  vergoldete,  in  Silber  getriebene  Kanne  iß  von  guter  Renaißance- 
arbeit,  doch  mifchen  lieh  fchon  barocke  Schmuckelemente  mit  unter.  Die 
bekrönende  Figur  auf  dem  Haubendeckel  fehlt  jetzt.  Sonll  finden  wir  dar- 
, gellellt  eine  weibliche  Figur  mit  drei  Nägeln  und  einem  Spiefse  und  eine 
andere  mit  Zange  und  Hämmert?).  Diefe  Geßalten  lind  von  guter  Zeichnung, 


1 Auf  anderen  Taufbecken  (liefet  Art  timtet  lieh  in  Wiederholung  nur  III 1.  V t H P r 
auf  wieder  anderen  aber  noch  längere,  unverfiändliche  Hinzufugungen  zu  dem  Namen. 


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t66 


DIE  STADT  IIAU.K  u.  d.  SAALKRKIS. 


ebenfo  die  Ornamenttheile,  Baldachine,  Gehänge,  Kartufchen,  Engolsköpfe 
und  Masken  an  Henkel.  Urner  dem  Buden  lieht,  dals  „Peter  Lange  Beirger 
unt  Einwohner  (hier  hat  ehemals  ein  anderes  Wort  gellanden,  welches,  wie 
man  lieht,  durch  dieles  erleut  worden  ill)  in  Halle“  und  fein  „weib  Elisabetd“ 


Fik.  1.4. 


(liefe  Kanne  zu  St.  Monte-  verehrt  hat  am  „n  May  an  tön";  auch  hat 
der  Geber  fein  Zeichen  beigefügt , weswegen  er  der  Verfertiger  wohl  nicht 
/u  fein  braucht. 

Kino  andere  Kanne  hat  der  Kirche  verehrt  der  Bürger  und  Seilet 
Christian  Rost,  delfen  Handwerkszeichen  mit  der  Jahreszahl  1683  eingravirt 
ist.  Drei  kreisrunde,  unbedeutende  und  zerltörte  Medaillons  mit  Bibelfpruch- 
umfehriften  werden  von  guten  Ornamenten  zierlich  umrankt. 

Jiine  dritte  Ka  nne  in  getriebenem  Silber  und  vergoldet  il't  auch  barock. 
An  ihr  ili  dargeflellt  die  V erk ii ndi  g ung  Mariae  und  die  Geburt  Chrilii. 
Ovale  Formen  und  Blätterwerk  zieren  das  Gefäfs. 

Eine  vierte  Kanne  ili  humpenartig  und  barock  und  ohne  Bedeutung: 
lie  zeigt  zweimal  ein  und  die  feilten  Bilder  der  K v angeli  ften. 

Ein  Taufbecken  von  1085  hat  llark  erhabenes  Ornament  am  Rande 
durch  Medaillons  unterbrochen,  auf  denen  Sprüche  liehen.  Den  Boden 
nimmt  mitten  die  Darftellung  der  Taufe  Chrilii  ein;  er  kniet  im  Jordan 


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DIE  ST.  MORITZKIRCHE. 


167 


und  Johannes  tauft  ihn.  Zwei  grofse  und  zwei  kleine  Engel  halten  Hand- 
tücher. Am  Ufer  fehen  wir  einen  Ritter  und  einen  bärtigen  Mann,  deren 
Bedeutung  nicht  recht  klar  ill.  Die  Darltellung  ilt  gut  und  wie  das  ganze 
Becken  pomphaft.1  Es  gehört  ein  lilberner  und  vergoldeter  Crucifixus  ohne 
Werth  dazu. 

Eine  crucifixbekrönte  llollienbüchfe  unter  deren  Boden  Schlangen,  ein 
Sternenwappen  und  der  Name  Johann  August  Schubart  an:  1689  zu  fehen 
lind,  hat  wenig  Bedeutung. 

1 Alfo  ähnlich  dem  Bilde  im  Buden  de*  iilheinen  Taufbeckens  eu  Sl.  Ulrich. 


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Die  St.  Ulrichskirche. 


Gefchichtliche 

Einleitung. 


A 

1 \.uf  der  Stelle  der  jetzigen  Ulrichskirche  mit  ihren  Pfarrhäufern 
Hand  im  frühen  Mittelalter  eine  jener  Warten,  die  von  den  Deutfchen 
(Sachfen)  gebaut  waren,  welche  die  alte  forbifche  Bevölkerung  des  Land«» 
überwunden  hatten,  und  deren  edle  Gefchlechter  zur  fortwährenden  Nieder- 
haltung der  Befiegten  im  Befitze  diefer  Warten  blieben.  Die  Warte,  die 
an  der  Stelle  der  Ulrichskirche  lag.  gehörte  denen  von  Hagedorn  und 
kam.  als  1 33g  ihr  Befiizer  kinderlos  Itarb,  delTen  Beltimmung  gemäfs  an  die 
Marienknechte  zu  Halle.  Es  waren  dies  Bettelmönche  nach  der  Regel  der 
Augulliner.  Schon  zu  Anfang  des  13.  Jahrhunderts  hatten  fie  lieh  zunächlt 
bei  Giebichenltein  niedergelalTen,  dann  auf  dem  Galgenberge  d.  i.  bei  dem 
Bahnhofe  gewohnt,  und  nun  ergiffen  lie  die  Gelegenheit,  fich  in  der  Stadt 
felbft  anfällig  zu  machen,  indem  lie  nämlich  die  los  von  Hagedorn’fche  Erbe 
zum  Bauplatze  für  ein  Kloller  nebll  Kirche  beftimmten.  Nachdem  fie  für 
„80  Schock  Grorchen“  die  erzbifchötliche  Erlaubnifs  dazu  erhalten,  lieh 
auch  mit  dem  Rathe  der  Stadt  „verglichen"  und  fimllige  HemtnnilTe1  be- 
feitigt  hatten,  begannen  fie  den  Bau  zur  Ehre  der  heiligen  Jungfrau  autzu- 
führen. 1 Nachdem  für  eine  behagliche  Wohnung  der  Mönche  einigermaafsen 
geforgt  und  das  Baufyllem  der  Kirche  am  Chor  und  dm  nächflen  Jochen 
feflgelegt  war,  fcheint  man  fich  bei  der  Bauausführung  wahrfcheinlich,  weil 
die  Mittel  fehlten,  Zeit  genommen  zu  haben;  erll  1390  wurde  das  Kloller 
fertig  und  die  Kirche  vierzehn  Jahre  fpäter  eingewölbt.  Bald  darauf  trat, 
wie  in  fo  vielen  auch  in  diefem  Kloller  eine  grofse  Veränderung  ein.  Die 
lautere  Lehre  Luthers  fand  auch  hier  Eingang  und  fiel,  ein  fruchtbares 
Samenkorn,  auf  empfänglichen  Boden.  Von  den  Mönchen  verliefs  einer 
nach  dem  anderen  die  Hillen  Klofterräume.  um  in  das  gefchäftige  bürgerliche 
Leben  überzugehen,  das  fich  diefer  Zeit  fo  mächtig  hob.  1337  entfchlofs  fich 
der  Convent,  das  Kloller  fammt  der  Kirche  an  den  Cardinal  Albrecht  für 
„5«jo  RH."  zu  veräufsern,  nachdem  jeder  der  letzten  Mönche  davon  40  RH. 
bekommen  hatte,  zogen  fie  mit  ihrem  Prior  in  die  Welt  hinaus.  Der  Car- 
dinal aber,  fortwährend  mit  Bauplänen  und  in  diefem  Augenblicke  auch  mit 
der  Umänderung  der  Kirchfpiele  zu  Halle  befchäftigt,  wie  wir  bei  der 
Marktkirchenbefchreibung  umlländlicher  berichtet  haben,  fand  fogleich  eine 
pullende  Verwendung  für  fein  neues  Belitzthum.  Er  hatte  nämlich  die 
Abficht,  die  fchöne  Pfarrkirche  zu  St.  Ulrich,  die  auf  dem  Häuferblocke 


1 Siehe  von  Drcyhaupt  I,  S.  771. 

2 Da  nach  Olearius  etliche  manuscripta  das  Jahr  1352  als  den  Bauanfang  angeben,  fo 
dürfte  das  Jahr  1339  wohl  nicht  ganz  lieber  angenommen  werden  können. 


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DIR  ST.  L'LRICHSKIRCHE.  |6() 

zwilchen  der  grofsen  und  kleinen  Ulrichßrafse  und  der  Jägergaffe  lag,  ab- 
zubrechen. Dazu  hatte  er  ein  Recht,  feitdem  ihm  auch  das  Kloller  zum 
Neuen  Werke  gehörte,  dem  die  Pfarrkirche  zu  St.  Ulrich  incorporirt  war. 
Er  bedürfe  der  Materialien  des  Bauwerkes  zur  Errichtung  des  Neuen  Stiftes 
mit  dem  Dome,  (flehe  delTen  Befchreibung),  fo  gab  er  vor,  und  wirklich 
fcheinen  die  Steine  diefer  alten  Ulrichskirche,  welche,  weil  fie  des  brauch- 
baren Baumaterials  wegen  abgebrochen  wurde,  folide,  wenn  auch  nicht 
grofs  gewefen  fein  wird  und  fpäteßens  der  Bliithezeit  der  Gothik  angehört 
haben  kann,  im  Dome  verbraucht  worden  zu  fein.1  Für  die  Ulrichsgemeinde 
mufste  natürlich  ein  anderes  Gotteshaus  befchafft  werden,  und  dazu  kam 
dem  Cardinal  die  Erwerbung  diefer  Kloßerkirche  der  Marienknechte  eben 
recht.  Im  Jahre  1 53 1 den  20.  November  fand  die  Ueberliedelung  ßatt  und 
feitdem  dient  bis  heute  das  Bethaus  des  Klolters  der  Bettelmönche  für  die 
Ulrichsgemeinde  als  Pfarrkirche. 

Von  den  gefchichtlichcn  Notizen  zur  Baube  fchreibung  übergehend 
fchicken  wir  letzterer  voraus,  worüber  nach  ihr  weitläufiger  zu  reden  fein 
wird,  dafs  die  Kirche  als  Bau  von  Bettelmönchen  auf  das  Sparfamße  aus- 
geführt werden  mufste,  ein  Uinßand,  der  die  merklichßen  Spuren  überall 
hinterlalTen  hat. 

Die  Ulrichskirche  Eig.  05  ill  eine  acht  Joch  lange  Hallenkirche  mit 
nur  zwei  Schiffen,  nämlich  einem  Hauptfchiffe.  welches  im  Ollen  mit  fünf 
Seiten  eines  Achtecks  apfidial  fchliefst,  und  einem  Nebenfchiffe  an  der  Nord- 
leite  mit  ßumpfem  Schluffe  im  Offen.  Beide  Schiffe  werden  in  Weßen 
durch  eine  grade  Giebelwand  gefchloffen;  ein  Thurm  fehlt.  Im  Süden  und 
um  die  Südweßecke  bis  zu  dem  Portale  der  Weßwand  war  dasKloßer  ge- 
legen, während  der  Chor  frei  gegen  die  kleine  Brauhausgaffe,  die  Nordfeite 
gegen  die  Leipzigerßrafse  und  der  Reß  der  Weßfeite  gegen  die  Strafse 
„Hinter  der  Ulrichskirche“  zugekehrt  liegen.  An  der  Nordoßecke  iß  ein 
achtfeitiges  Treppenthürmchen  aus  Fachwerk  angebaut  als  Aufgang  zum 
Kirchenboden.  Zugänge  führen  in  das  Innere:  ein  Portal  von  Weßen, 
zwei  andere  von  Norden  nämlich  im  zweiten  und  fünften  Joche  von  Weßen 
her,  ein  viertes  auf  der  ößlichen  Schlufsmauer  des  Nebenfchiffes  und  ein 
letztes  von  Süden  her  aus  dem  ehemaligen  Kreuzgange.  Anführen  könnte 
man  auch  die  fpäter  eingebrochene  Thür,  welche  im  erßen  Oßjoche 
in  die  dort  gegen  Süden  gelegene  Sacrißei  führt.  Im  Inneren  iß  der  Fuls- 
boden  der  beiden  ößlichen  Joche  um  eine  Stufe  und  der  des  eigentlichen 
Chores  um  fernere  drei  Stufen  erhöht.  In  diefer  Kirche  giebt  es  natürlich 
nur  eine  Pfeilerreihe.  Diefe  Pfeiler  haben  einen  fchlicht  achtfeitigen 
Grundrifs  und  tragen  die  Netzgewölbe  beider  Schiffe.  Auf  die  zahlreichen 
Ungenauigkeiten  in  den  Jochweiten  fowie  in  der  Stellung  der  Strebepfeiler 
und  der  Fenßer  fei  hier  nur  im  Allgemeinen  hingewiefen;  endlich  mag  noch 
die  Divergenz  der  Pfeilerreihe  mit  der  Südmauer  erwähnt  werden.  Das 

1 Diefe  Kirche  hat  nach  von  Dreyhaupt  fchon  1210  als  Pfarrkirche  einen  Plebanus 
gehabt,  doch  wiffen  wir  über  das  Gebäude  felbft  namentlich  in  Bezug  auf  feine  Entftchungszeit 
nichts  Beftimratcs. 


Bau- 

befchreibung: 


Grundrifs. 


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DU  STATT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


170 

Acufsere  der  Kirche  macht,  da  die  Mauern  aus  Bruchlleinen  mit  Eckquadem 
und  Kalkbewurf  bellehen , keinen  befonders  vortheilhaften  Eindruck.  Aus 
ilem  Grundrilfe  geht  hervor,  dafs  auch  eine  reichere  Gruppirung  fehle 
allein  im  Ganzen  geben  die  ["heile,  die  man  zuineill  nicht  aus  der  Entfer- 
nung. fondern  von  dem  günftigllen  Standpunkte,  nämlich  von  der  Leipziger- 
llrafse  aus.  zu  fehen  bekommt,  eine  malerifche  Wirkung  von  einigem  Reiz. 

Autors.  I )ie  äufsere  An  ficht  Fig.  60.  zeigt  über  einem  Sockel  mit  einfacher 
Schräge  Ichlichte  Strebepfeiler  und  Wandllächen  bis  zum  Kopfgelimfc, 
welches  aulser  am  Chor,  wo  es  lieh  wirklich  um  die  Strebepfeiler  kröpft 
und  unter  der  Fenllerfchräge  an  der  Wand  hinläuft,  lieh  nur  durch  ein  Ge- 
linis  an  der  Vorderfeite  der  Pfeiler  kennzeichnet,  übrigens  ehemals  überall 
durchlaufend  gewefen  fein  dürfte,  wie  die  alten  abgemeifselten  Steine  er- 
Strebepfeiler,  kennen  lallen.  Die  Pfeiler  lleigen  nun  einhüftig  — die  Theilung  liegt 
etwa  im  goldenen  Schnitt  der  Strecke  vom  Kafffims  bis  zum  Dach  — bis 
zum  llauptgefims  empor  ohne  eine  andere  Verzierung  als  die  Abdeckungs- 
platte des  Rückfprunges,  deren  Sims  nach  der  von  Dreyhaupt’fchen  Ab- 
bildung der  Kirche  lieh  ehemals  an  den  Seiten  aller  Pfeiler  fortfetzte  fo, 
wie  es  lieh  an  denen  des  Chores  bis  jetzt  erhalten  hat.  Die  beiden  Eck- 
pfeiler der  Wellfeite  lind  unten  durch  eine  fpitzbogige  Oeffnung  durchbrochen, 
fo  dafs  (ie  fall  zu  drehenden  liögen  werden.  Die  Wellfeite  gellaltet  fich 
auffällig  unregelmäfsig  durch  den  einen  Strebepfeiler,  der  zur  Aufnahme 
des  Arkadenbogenfchubes  dient,  (vergleiche  auch  den  Grundrifs  Fig.  65.I 
und  der  daher  nicht  in  der  Mitte  diefer  Seite  liehen  kann.  An  der  Südfeite 
lind  die  Pfeiler  höchll  ungleich.  Die  drei  welllichflen , von  verfchieden 
grofsen  Dehnungen,  durchbrochen,  lind  zu  Strebebögen  geworden,  die  nun 
auch  unter  lieh  ungleich  lind.  Der  vierte  hat  nur  durch  ein  im  Bogen  mit 
ihm  verbundenes  Anhängfel  ein  flrebebogenartiges  Anfehen  bekommen,  ur- 
fprünglich  ill  er  den  anderen  örtlichen  Pfeilern  diefer  Seite  gleichartig  ge- 
wefen. Dafs  der  zweite  von  Ollen  her  überhaupt  fehlt , hat  feinen  Grund 
darin,  dafs  der  örtliche  Klollerflügel  hier  gegen  die  Kirche  lliefs  und 
aufserdem  oder  vielmehr  deswegen  die  Wand  im  erften  und  zweiten  Joche 
von  Fendern  picht  durchbrochen  ill,  fodafs  lie  auch  in  lieh  fchon  dem  Ge- 
wölbefchube  Widerrtand  genug  bieten  kann. 

i'enftcr.  Die  Fen  Iler  haben  eine  fall  zweieinhalbmal  fo  breite  Wandfläche  zwifchen 

fich,  wie  ihr  Lichtenmaafs  ausmacht:  dadurch  tritt  auch  im  Aeufseren  zu  beiden 
Seiten  der  Strebepfeiler  noch  ein  Stück  Wandfläche  zur  Erfcheinung.  Freilich 
nur  an  der  Nordfeite  find  diefe  dem  Syflem  zu  Grunde  liegenden  Maafsverhält- 
nilTe  wirklich  ausgeführt  mit  Ausnahme  des  erften  Wertjoches,  in  welchem 
anfangs  überhaupt  kein  Fender  fich  befand,  fondern  wahrfchcinlich  erd  im 
1 7.  J ahrhundort  das  jetzige  runde  zur  Erhellung  des  Emporenaufganges  angelegt 
wurde.  An  dem  mehreckigcn  Chor  wird  der  Fenfterpfeiler  natürlich  fchmäler; 
die  Fender  bleiben  jedoch  ebenso  grofs;  nur  jenes  am  Ortende  des  Neben- 
fehiffes  ill  breiter  und  nicht  wie  die  anderen  am  Chor  und  an  der  Nordfeite 
durch  zwei  gleiche  Pforten  getheilt,  fondern  durch  drei.  Der  Emporenanlage 
wegen  lind  alle  diefe  Fenller  auf  eine  gewilfe  Höhe  vermauert,  auch  am 
Chor  ill  diefe  Vermauerung  durchgeführt,  hier  jedoch,  wo  Emporen  ja  nicht 


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DIE  ST.  I'LKICHSKIKCHE. 


'71 


vorhanden  find,  wohl  der  Beleuchtung'  wegen.  Ganz  zugemauert  i fl  auch 
ein  fchlankes,  zweitheiliges  Fender  über  der  Thür  in  Werten;  es  liegt  wie 
die  Thür  nicht  in  der  Achse  des  Hauptfchiffes.  Südlich  konnten  die  Fenller 
der  klöfterlichen  Anbauten  wegen  nicht  bis  aut  das  Kaffgefims  herabgehen, 
fondern  mufsten  mit  ihrer  Unterkante  über  den  anliegenden  Pultdächern 
bleiben.  Wiewohl  nun  die  Fenller  mit  Rücklicht  hieraul  wirklich  viel 
kürzer  lind,  hat  doch  eine  Zeit  lang  ein  lehr  Heiles  Dach  der  Anbauten, 
wie  man  noch  an  den  Seiten  der  Pfeiler  fleht,  bis  hoch  in  die  Fenfteröffnung 
hineingeragt.  An  diefer  Seite  ill  die  Breite  der  Fenller  noch  geringer  als 
an  der  nördlichen  und  ihre  Theilung  gefchieht  nur  durch  einen  Pfollen  mit 
Ausnahme  jenes  F'enllers  über  dem  Portale  im  fünften  Joche  von  Wellen  her. 

Im  erden  Wertjoche  fehlt  wie  ebendafelbll  im  Norden  ein  Fenller  überhaupt; 
ebenfo  haben,  wie  bereits  gefagt  wurde,  die  beiden  öftlichlten  Joche  diefer 
Südfeite  keine  F’enfter  in  Folge  des  anllofsenden  Klollertlügels.  Die  Profi- 
lirung  der  Gewände  und  Pfollen  ill  einfach.  Die  der  erlleren  belleht  aufsen 
und  innen  aus  einer  Schräge ; llatt  der  Spitze  derfelben  fehen  wir  zur  Faflung 
des  F'enllers  die  Hälfte  eines  Pfoßens,  der  ziemlich  fchmal  aber  tief  ill  und 
aufsen  wie  innen  aus  zwei  leicht  gekehlten  Schrägen  mit  dumpfer  vorderer 
Hndigung  lieh  formt;  inmitten  diefer  beiden  Keilformen  befindet  lieh  eine 
Platte  mit  Falz  für  die  Verglafung.  Die  F'enftermaafswerke,  die  aut  Fenller. 
den  Pfollen  ruhen  und  unter  dem  Spitzbogen  des  F'enllers  aus  ihnen  er-  l"a,fs',cr  ’ 
wachfen,  lind  im  Allgemeinen  von  guter  Erfindung,  aber  fie  tragen  alle 
fchon  die  Markmale  der  gothifchen  Spätzeit,  Willkür  in  der  Zulammenfetzung 
der  Müder,  verfchiedene  Bogenformen,  F'ifchblafen,  rechteckige  Gebilde 
u.  f.  w.  Im  Wellen  werden  die  Müller  einfacher,  die  am  Chor  bieten  das 
meide  Interefle;  unter  ihnen  ill  namentlich  jenes  gegen  Südoll  gerichtete  in- 
terefTant.  Jedwede  F'enfterverdachung  im  Aeufseren  etwa  durch  ein  bogen- 
förmiges Sims  oder  einen  Wimperg  fehlt. 

Die  Wandflächen  find  über  dem  Sockel-  bez.  Kafflims  bis  zum  Dache  WandBSeh*. 
glatt  und  fchmucklos ; auch  das  Hauptgefims  ill  unbedeutend  undroh  gearbeitet. 

Das  beiden  Schiffen  gemeinfame  Dach  ill  ein  reguläres,  hohes  Sattel-  L).ich. 
dach  in  Schieferdeckung,  delTen  F'irll  alfo  nicht  über  der  Mittel fchiffmitte 
liegen  kann.  Gegen  Ollen  wird  der  Giebel  durch  einen  fall  fenkrechten  Walm 
gefchlolTen,  dem  fich  füdlich  noch  das  Chordach  vorlegt.  Da  diefes  bei  kürzerer 
Grundfläche  diefelbe  Dachneigung  hat,  fo  liegt  fein  F'irll  natürlich  tiefer  als 
der  des  Hauptdaches  und  gegen  den  des  letzteren  nach  Süden  verfchoben, 
ohne  jedoch  die  ludliche  Fläche  des  Hauptdaches  zu  verladen.  Die  Dachflächen 
über  der  Nord-  und  Südleite  des  Chores  legen  fich  zu  einem  Satteldache 
zufammen,  gegen  deden  örtliche  Firftfpitze  die  anderen  drei  Chorfeiten  ihre 
Dachflächen  als  Walme  autgehen  lalfen.  Auch  im  Wellen  ill  es  ein  fall 
fenkrechter  Walm,  der  den  Giebel  fchliefst.  Hier  baut  lieh  über  der  Nord- 
wellecke eine  Glockenllube  aus  verlchaltemJFachwerk  mit  Schieferbehang  Glockcnltulic. 
als  ein  Gefchofs  mit  abgewalmteml  Dache  und  grofsen  Schallöchern  heraus. 

Der  Sturz  der  letzteren  hat  eine  ganz  gedrückte  Kleeblattform,  die  uns 
zeigt,  dafs  diefer  Ausbau  erll  einer  fpäteren  Zeit  angehören  kann;  er  ent- 
lland  nämlich,  wie  die  Chroniken  fchreiben,  1665.  Zu  diefer  Zeit  (limmt 


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»7* 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


denn  auch  feine  ehemalige  Dachform  mit  doppelt  gekrümmten  Flächen, 
doppeltem  Hauptfimfe  und  verfchiedenen  Dachluken,  wie  wir  diefelbe  auf 
der  von  Dreyhaupt’fchen  Abbildung  fehen.  Die  Firltecke  des  Hauptdaches 
Dachreiter,  hier  in  Weden  trägt  zu  rein  decorativem  Zwecke  einen  Dachreiter.  Auf 
ihn  beziehen  fich  die  M orte  von  Drevhaupt’s:  „ . . . und  (die  Kirche)  hat 
auf  dem  Dache  eine  kleine  Thurm-Spitze,  die  mit  einem  zinnernen  Knopfe, 
fo  An.  1005  von  der  bei  diefer  Kirche  olHvärts  ehedem  geflandenen  und 
diefes  Jahr  abgetragenen  S.  Wolffgangs  Capelle  abgenommen  und  dahin 
verfetzet  worden.“  Die  Kntllehungszeit  des  Thürmchens  fällt  alfo  viel 
früher  als  fein  Vorhandenfein  auf  der  Ulrichskirche  und  durch  fein  Aus- 
fehen,  welches  dem  1;.  Jahrhundert  entfpricht,  bellätigt  fich  das.  Ein  feiner 
Holzconflruction  entfprechender,  ungemein  fchlanker,  achteckiger  Helm  mit 
Auffchieblingen  fetzt  fich  auf  einen  achtfeitigen,  fchieferbehängten  Unterbau, 
der,  foweit  er  über  dem  Dachfirlle  liegt,  zwifchen  den  Eckpfoflen  von 
Oeffnungen  ganz  durchbrochen  ill.  Den  alten,  ililgemäfsen,  achtfeitigen. 
platten  (discusförmigen)  Knopf  hat  man  bei  der  diesjährigen  Eindeckung 
leider  durch  einen  plumpen,  (tilwidrigen  erfetzt,  fodafs  dadurch  die  höchii 
charakterillilch  mittelalterliche  Silhouette  des  kühnen  Dachreiters  ungemein 
gefchädigt  worden  ifl.  Ein  anderer  Dachreiter  von  achtfeitiger  ebenfo 
durchbrochener  Geftalt  aber  mit  einer  „welfchen  Haube“  als  Dach  und  mit 
einem  hübfehen  Hauptgefimfe,  von  Holz  gefchnitzt,  befindet  fich  etwa  über 
dem  zweiten  örtlichen  Joche  auf  dem  Kirrte  und  neben  ihm  gegen  Norden 
eine  gröfsere  Dachluke,  an  deren  Vorderfeite  das  Zifferblatt  der  Uhr  ange- 
bracht ill.  während  in  dem  Dachreiter  die  Schlagglocke  hängt. 

Auch  diefe  beiden  Zufügungen  werden  1665  entbanden  fein,  ebenfo  wie 
Treppenthurm,  das  achtfeitige  T reppenthürmc  hen  an  der  Xordoftecke,  welches  aut  den 
Dachboden  geleitet.  Sehr  wahrfcheinlich  diente  vordem  eine  Thür  an  der 
Nordfeite  des  errten  Welljoches.  die  nach  Anlegung  des  Thürmchens  vermauert 
bez.  durch  jenes  genannte  runde  Fenfter  erfetzt  wurde,  als  Zugang  zu  einer 
Treppe  für  die  Orgelempore,  von  wo  aus  man  dann  weiter  zum  Dachboden 
kommen  konnte.  Die  Fachwerksconllruction  des  Treppenthurmes  unter 
einem  doppelt  gebogenen,  knopfbekrönten  Zeltdache  bietet,  weil  alle  Kunil- 
formen  fehlen,  kein  Intereffe;  nur  in  technifcher  Hinficht  machen  wir  darauf 
aufmerkfam,  dafs  das  Thürmchen,  mit  der  Kirchenwand  durch  Eifenbänder 
verbunden,  durch  das  Werfen  der  Stiele  im  Laufe  der  Zeit  eine  etwas  ge- 
wundene Form  bekommen  hat.  Unerwähnt  wollen  wir  auch  nicht  laden, 
dafs  zu  den  Stücken,  welche  etwa  um  diefe  Zeit  der  zweiten  Hälfte  des  17. 
Jahrhunderts  entbanden  find,  die  Anlage  von  Stübchen  zwifchen  den  Strebe- 
pfeilern aufsen  unter  den  Fendern  der  Nordfeite  zu  rechnen  fein  wird. 
Diefe  Kirchlluben  find  zwar  jetzt  befeitigt  und  die  für  fie  in  die  Kirchen- 
mauer eingebrochenen  Fenfter  ausgemauert,  indeffen  bellanden  fie  zu  von 
Dreyhaupts  Zeit,  wie  aus  feiner  Abbildung  hervorgeht,  und  waren  wohl  bis 
in  diefes  Jahrhundert  noch  fo,  wie  fie  fich  ja  bis  heute  an  der  Marktkirche 
erhalten  haben. 

Pönale.  Die  Portale  find  alle  fpitzbogig  und  haben  gothifch  profilirte  Gewände. 
Das  Portal  der  Weftfront  liegt  auffälligerweife  nicht  in  der  Achfe  des 


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DIE  ST.  ULRICHSKIRCHE. 


'73 


Mittelfchiffes,  fondem  mehr  nördlich.  dieUrfache  läfst  fich  mit  Beftimmtheit 
nicht  angeben;  wir  werden  darauf  zurückkommen.  Das  Profil  des  Gewändes 
ilt  überaus  kräftig  und  belleht  im  Welentlichen  aus  zwei  grofsen,  tief- 
fchattigen  Hohlkehlen  mit  einem  fie  fcheidenden  Birnenprofile. 

Die  weltliche  Thür  der  Nordfeite  hat  ein  weniger  kräftiges,  dafür  um 
fo  gliederreicheres  Gewändeprofil.  Das  Verdachungsfims  über  ihr  in  Efels- 
rückenform  und  krabbenbefetzt  ilt,  wie  es  fcheint,  neu  oder  doch  fo  Itark 
reltaurirt.  dafs  kein  Unheil  darüber  möglich  ilt.  ob  die  Herltellung  wirklich 
den  ehemaligen  Formen  entfpricht. 

Auch  die  zweite  Thür  diefer  Seite  hat  ein  gliederreiches  Gewändeprofil 
von  ähnlichem  Charakter  wie  das  vorgenannte.  Sie  ilt  von  belonderem 
Intereffe  als  die  ältere  Thür  1 in  Halle  mit  einem  fculptirten  Tympanon,  zu 
deflen  Unterltützung  ein  die  Thüröffnung  theilender  Pfeiler  dient.  Diefe 
Anordnung  ilt  von  echt  mittelalterlichem  Geilte  und  verfehlt  auch  hier  ihre 
architektonifch  vorzügliche,  auf  Licht-  und  Schattencontralt  berechnete,  an- 
ziehende Wirkung  nicht,  wiewohl  die  Einzelheiten  nichts  weniger  als  fchön 
find.  Aut  der  Dreiviertelfäule,  die  fich  vorn  am  Pfeilerprofil  bildet,  fitzt 
oben  ein  Blättercapitäl  in  bizarren,  fchon  fpätgothifchen  Linien,  während  an 
den  Seiten  des  Pfeilers  und  an  der  Laibung  der  Thür  Confolen,  zu  Unthieren 
ausgehauen,  das  Tympanon  unterltützen.  Letzteres  wird  aus  drei  Steinbalken, 
die  übereinander  liegen,  gebildet.  Das  hochreliefirte  Bildwerk  bezieht  fich 
auf  die  ursprüngliche  Kirchen-  und  Klosterpatronin,  die  h.  Maria,  und 
zerfällt  in  drei  unterlchiedliche  Darltellungen.  Zu  unterlt  vorn  über  dem 
Säulchencapitäle  des  Pfeilers  fitzt,  wie  fo  oft  an  diefer  Stelle,  Maria  mit 
dem  Kinde,  ganz  frei  gearbeitet  und  kleiner  im  Maafsltabe  gehalten  als  die 
hinter  ihr  befindlichen  Figuren,  welche  die  zweite  Darliellung  ahgeben, 
nämlich  das  Begräbnifs  der  Maria  durch  die Apoltel.  Ihrer  zwölf,  fechs 
vorn  und  fechs  hinten,  tragen  die  Maria  auf  einer  Bahre;  der  Zug  bewegt 
fich  nach  links.  Unter  den  Voraufgehenden  erkennt  man  Petrus  mit  dem 
Schlü(Tels  und  Paulus  mit  dem  erhobenen  Schwert  (?),  der  hinter  ihnen 
Icheint  Andreas  mit  dem  Kreuze  zu  fein.  Von  den  Nachfolgenden  ilt  Bar- 
tholomäus ficher  an  dem  Meder  in  feiner  Hand  kenntlich.  Ueber  diefem 
Leichenzuge  folgt  die  letzte  Darliellung.  Chrillus  litzt  in  einer  mandorla- 
formigen  Nifche,  fegnend  erhebt  er  die  Rechte,  während  feine  Linke  ein 
weibliches  fitzendes  P'igürchen  hält,  eine  Perfonification  der  zum  Himmel 
aufgefahrenen  Seele  der  Maria.  Neben  Christo  befindet  fich  jederfeits 
die  Jünglingsgellalt  eines  Engels  mit  langen  Flügeln:  das  Geräth,  das  jeder 
hält  bez.  fchwingt  foll  wohl  bellimmt  ein  Räucherkedel  fein.  Der  Gedanken- 
gang liegt  zu  klar,  um  noch  einer  befonderen  Erörterung  zu  bedürfen. 
Der  Stil  diefer  Sculptur  ilt  geradezu  abfcheulich;  ohne  Zweifel  hat  hier 
eine  Ueberarbeitung  llattgefunden,  die.  wie  mir  dem  Charakter  anderer 
Sculpturen  diefes  Bauwerks  (z.  B.  der  Confole  unter  dem  Arkadenbogen  an 
der  Wellwand  nach)  glaubhaft  erfcheint,  in  der  zweiten  Hälfte  des  17.  Jahr- 

* Die  Kirche  auf  der  Moritzburg  hat  ebenfalls  eine  folche  Portaldispofnion. 

* Oder  war  der  Gegenftand  das  Doppelkreuz  des  Philippus? 


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'74 


DIF.  STADT  HALLS  u.  (),  SAALKREIS. 


hunderts  gefchehen  ift.  Die  Anordnung1,  Haltung  und  Proportionirung  der 
l-iguren,  der  Faltenwurf  und  anderes  verweil!  auf  eine  nicht  allzu  fpäle 
Zeit  der  Gothik,  aut  eine  Zeit,  die  noch  vor  der  liegt,  in  welcher  Conrad 
von  Einbeck  an  der  Moritzkirche  arbeitete;  durch  die  Ueberarbeitung  aber 
lind  fall  alle  Einzelheiten  verändert,  und  zwar  erfcheinen  fie  fo  ungemein 
roh,  dafs  Compofition  und  Ausarbeitung  unmöglich  gleichzeitig  fein  können- 
Zum  Beweife  machen  wir  auf  Einiges  aufmerkl’am.  Vor  allen  konnten  die 
Augen  nur  von  einem  ganz  handwerklichen  Arbeiter  fo  gebildet  werden, 
wie  es  meill  gefchehen  ill,  nämlich  gefchlitzt  nach  beiden  Seiten  Die  Xafen 
lind  faß  eckig  und  ohne  Modellirung,  verfchiedene  Arme  und  Hände  er- 
Icheinen  ganz  formlos  und  eben fo  die  übrigen  Details  bald  mehr,  bald 
weniger.  Eine  Würdigung  der  Arbeit  mufs  daher  unterbleiben. 

Diele  Hauptthür  der  Kirche  und  die  vor  ihr  belprochene  haben  Ge- 
wände von  fehr  ähnlicher  Behandlung,  während  andererfeits  die  Thür  der 
Welllront  und  die  jetzt  zu  befchreibende  an  der  Oftfeite  des  Neben  fchiffes 
im  Profil  ähnliche  Auffüllung  kundgeben.  Das  Gewände  der  Oftthür  belleht 
der  Hauptsache  nach  in  einer  grofsen  kräftigen  Hohlkehle,  die  von  einigen 
Gliedern  gefäumt  ift.  Die  fpitzbogige  Thür  lieht  unter  einem  flachen  Ent- 
lallungsbogen,  welcher  gegen  das  Innere  mit  zwei  Hohlkehlen  verziert  ill 
und  eine  Nifche  dadurch  forniirt,  dal’s  die  Ausmauerung  hier  fchwächer  ge- 
halten ift  als  die  Wand;  nach  aufsen  zu  bleibt  jedoch  der  Bogen  mit  dem 
Mauerwerk  bündig  und  ift  wie  diefes  nur  in  Bruchlleinen  ausgeführt. 
Seine  Schlufslleine  lind,  wie  es  fcheint.  einmal  herausgebrochen  gewefen 
und  dann  wieder  eingefetzt  worden,  und  zwar  nach  aufsen  unter  Zufügung 
einer  barock  verzierten  Taiel , auf  welcher  man  lieft ; TRANSLOCATIS  ET 
ELEVATIS  HUly  TEMPLI  TRIBy  CAMPANIS  PACEQ/  SENATy  UT  HUly 
/Edis  PATRONI  MAIORIS  FORMOSITATIS  ET  CONGRUENTIAE  ERGO. 
QUASSATIS  ET  DESTRUCTIS  VICINI  SACELLI  WOLFGANGIANI  RELIQUIIS 
CUly  CONCAMERATIONI  ANTE  AERAMENTA  ERANT  IMPOSITA  DIS 
PONENTIBy  ANTISTITIBy  ET  OCTOVIRIS  DNIS  CONSULIBy 
folgen  die  Namen)  APERTA  ET  STRUCTA  EST  HAEC  PORTA  DIE 
XXVIII  JUL.  Ab  Ml . DC . LXVI.  Wir  bemerken  hier  dielen  infchriftlichen  Angaben 
gegenüber  nur,  dafs  die  Formen  des  Thürgewändes  gothifch  lind  und  nicht  im 
Jahre  i ooo  gemacht  fein  können ; wir  werden  auf  (liefen  Punkt  zurückkommen. 

Die  vier  befchriebenen  Portale  haben  in  künftlerifcher  Hinlicht  nicht 
riliici-l.  uninterelTante  Thürflügel  l'ig.  (>;  . die  in  Rahmen  und  mehrfachen  Fül- 
lungen gearbeitet  find  und  der  Renailfance  angehören.  Als  Schlagteille 
dient  eine  über  Gebühr  kräftige,  cannelurte,  toscanilche  Säule  mit  einem 
Triglyphengebälkllück  über  und  einem  Pollamente  unter  lieh.  Ueber 
dem  Losholze  bez.  zwilchen  den  beiden  im  Bogenfelde  der  Thür- Oeftnung 
befindlichen  Flügeln  baut  lieh  aui  diele  untere  Säule  eine  zweite  ähnliche 
mit  Poftament.und  Gebälkftück  in  verjüngtem  Maafsftabc  auf.  Der  Arrhi- 
tectur  entlprechend  find  auch  die  Belchläge  zu  gefälligen  Formen  ausgehildet. 
Schon  wegen  der  verlchiedenen  Grölsen  find  die  Einzelheiten  der  vier 
Thüren  nicht  übereinftimmend,  der  Thür  im  Wellen  fehlt  jetzt  die  Schlagleifle 


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ThürAügel  des  weltlichen  Portals  an  der  Nordfeite, 


DIE  STADT  HALLE  U.  d.  SAALKREIS. 


Inneres. 

'roporlionen. 


176 


auch  der  örtlichen  von  deren  an  der  Nordfeite  mufste  lie  wegen  des  fteinemen 
Mittelpteilers  fehlen.  Die  Ausbildung  diefer  Flügel  läfst  übrigens  nicht 
zweifeln,  dafs  alle  aus  eines  Meifters  Hand  hervorgegangen  find.  Leider 
find  diefe  zart  profilirten  Holzarbeiten  mit  grüner  Oelfarbe  fchon  zu  ver- 
fchiedenen  Malen  angeftrichen  und  büfsen  dadurch  viel  von  ihrer  Schönheit 
ein.  auch  die  an  und  für  lieh  hier  fchon  grofse  Schwierigkeit,  die  Ent- 
ftehungszeit  zu  bertimtnen  und  den  Stil  zu  beurtFeilen,  wird-  dadurch  ge- 
fteigert.  Abgefehen  davon,  dafs  die  Ortthür  erll  tt<>(>  entftanden  fein  folL 
mithin  ihre  Flügel  und  alfo  auch  die  der  anderen  drei  Thüren  frühellens 
um  diefe  Zeit  gemacht  fein  könnten,  gewinnt  man  aus  den  Formen  nicht 
den  Eindruck,  als  feien  fie  erH  nach  dem  dreifsigjährigen  Kriege  gemacht, 
wo  die  Verwilderung  der  Lebens*  und  Kunftformen  denn  doch  zu  grols 
war,  als  dafs  fo  einfache,  rtreng  in  gutem  Gefchmaeke  gehaltene  Details, 
wie  fie  hier  gefunden  werden,  hätten  entliehen  können.  (Vergl.  die  Thür- 
flügel der  beiden  Südportale  im  Dom).  Andererfeits  läfst  lieh  nicht  leugnen, 
dafs  hier  den  guten  Details  jene  glückliche  Compofition  fehlt,  die  wir  an 
den  Werken  der  MochrenailTance  z.  B.  an  denen  jenes  I halhausmeifters  be- 
wundern. Im  Vergleich  zu  der  Harken  Schlagleilie  find  die  umrahmenden 
Profile  zu  zart;  der  Totaleindruck  ift  etwas  lleif  und  nüchtern.  Denfelben 
Charakter  haben  die  Befchläge;  fie  können  errt  nach  der  Blüthe  der  Re- 
naifTance  gemacht  fein.  Demnach  dürfte  mit  Sicherheit  auf  den  Anfang 
des  17  Jahrhunderts  gefchlolTen  werden,  ob  jedoch  auch  um  iüb6.  dem  an- 
geblichen Hntftehungsjahre  der  Thür  im  Orten,  folche  Formen  noch  möglich 
waren,  ift  zu  bezweifeln. 

Die  Eingangsthür  aus  dem  Klofter  in  Süden  ift  nur  klein;  ihr  rund- 
bogiges  Gewände  von  gothifcher  Profilirung  ift  gegen  das  Kircheninnere 
gekehrt,  während  der  Thürflügel  nach  aufsen  fchlägt.  Da  wir  aufsen  noch 
Ueberrefte  eines  gothifchen  Gewändes  in  dem  Charakter  der  beiden  Nord- 
thüren  bemerken,  fo  ift  die  Möglichkeit  nicht  ausgefchlolTen . dafs  diefes 
rundbogige  Gewände  gegen  das  Kircheninnere  nicht  urfprünglich  ift.  Der 
anfänglich  ficherlich  fpitze  Bogen  einer  höheren  Kirchenthür  ift  durch  die 
Ipäteren  Veränderungen  der  Anbauten  befeitigt,  und  zwar  wird  das  llatt- 
gefunden  haben,  als  man  in  Folge  der  Auflöfung  des  Klollers  von  dielet 
Seite  einen  grofsen  Hingang  nicht  mehr  brauchte,  und  dann  fpäter  allhicr 
Kirehftuben  anlegte. 

Das  Kircheninnere  F'ig.  08  hat  glückliche  Raum  verhältnifle- 
dadurch  wird  hier  wie  überall  auf  den  Befchauer,  mögen  die  Einzelheiten 
auch  keineswegs  ein  anziehendes  Ausfehen  haben,  ein  angenehmer,  ruhiger, 
ich  möchte  lagen . beruhigender  Eindruck  hervorgebracht.  Die  Breite  des 
Uauptlchifles  lieht  zu  der  des  Nebenfchiffcs  fall  genau  in  dem  Verhältnis 
des  goldenen  Schnittes;  mithin  hat  das  Nebenfchiff  hier  eine  Breite,  die  im 
Vergleich  zu  der  anderer  hallefcher  Kirchen  bedeutend  ift.  Durch  folche 
Abmeffungen  macht  der  Raum  der  Kirche  einen  weicheren,  weniger  herben 
Eindruck,  die  Gegenlatze  von  Haupt-  und  Nebenfchiff  find  milder,  und 
bei  einem  Vergleich  mit  den  übrigen  Kirchen  fühlt  man  den  Vorzug  wohl 
heraus.  Die  Höhe  des  llauptfchiffes  ift  etwas  mehr  als  das  Fäneinhalbfache 


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am* iS*  |ll 


Inne 

Propur 


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DIP.  ST.  fLKICMSKIRCHF.. 


'77 


feiner  Breite,  wobei  die  Höhe  bis  zu  den  Confolen,  auf  welche  (ich  das 
Gewölbe  an  den  Pfeilern  und  Wänden  fetz,t,  der  Breite  gleicht,  während 
bis  zum  (iewölbefcheitel  etwas  mehr  als  die  Hälfte  davon  verbleibt:  alfo 
auch  hier  ill  nahezu  der  goldene  Schnitt  in  den  Abmelfungen  zu  finden. 

Vom  Ende  des  Chores  bis  zur  Welfmauer  beträgt  die  Länge  ein  Wenig 
mehr  als  das  Fünffache  der  Hauptfchiffbreite,  bis  zu  der  Mitte  des  dritten 
Pfeilers  von  Welfen  her,  alfo  bis  dahin,  wo  das  Gewölbe  eine  Theilung  hat, 
ill  die  Länge  genau  dreieinhalbmal  fo  grofs  wie  die  Breite  des  Mittelfchiffes. 

Das  erflere  diefer  beiden  Maafse  ili  offenbar  zufällig;  ob  auch  das  andere 
ohne  Abficht  entllanden  ilf,  wird  noch  zu  unterfuchen  fein. 

Die  Pfeiler  von  fchlicht  achteckiger  Form  (feigen  über  einem  eben-  Pfeiler 
falls  fchlicht  achteckigen  Sockel  auf,  welcher  verfchieden  hoch  (bef.  der  des 
dritten  Welfpfeilers)  ilf,  aber  überall  das  gleiche,  wenig  gothifche  Sockelge- 
fims  hat.  Oben  gehen  fie  gegen  Olten  und  Welten  direct  in  die  Arkaden- 
bögen über,  wobei  die  Seite  der  Bogenunterficht  glatt  bleibt,  während  lieh 
die  beiden  feitlichen  Schrägen  durch  eine  grofse  Hohlkehle  profiliren.  Gegen 
Norden  und  Süden  find  als  Gewölbeträger  Confolen  eingelaflen  an  Stelle 
der  fehlenden  Dienlte  mit  ihren  Capitälen.  Nur  in  den  vier  Itumpfen 
Chorecken  unterlfützen  Dreiviertel  faulen , die  zum  Boden  herabgehen,  das 
Gewölb  e. 

Letzteres  hat  aufgelfelzte,  rundbogige  Gurte,  zwifchen  denen  fich  das  Gewölbe, 
gleiche  Rippennetzmulfer  wiederholt.  Im  Hauptfchiff  entlieht  dadurch  eine 
vielfach  gebrochene  Tonnengewölbeform  mit  Stichkappen  gegen  die  Fenlter 
und  Arkaden,  und  an  den  Stützpunkten  wird  es  fächerförmig.  Im  Neben- 
fchiff  bildet  fich  ein  regelrechtes  Kreuzgewölbe  mit  Kippentheilung.  Man 
fieht,  dafs  die  Kappen  mit  den  Rippen  in  gutem  Verbände  liehen,  erliere 
haben  überall  etwas  ßufen.  Conlfructionsfpielereien,  wie  in  der  Markt-  und 
Moritzkirche,  wo  z.  B.  die  Rippen  fich  von  den  Kappen  löfen,  um  eine 
Strecke  frei  durch  die  Luft  zu  gehen,  kommen  hier  nicht  vor.  Als  einzige 
Abweichung  von  der  gewählten  Schablone  ilf  die  von  einem  Rippenkreife 
umgebene  Oeflfnung  inmitten  des  vierten  Nebenfchiffjoches  von  Olfen  her 
zu  nennen.  Kaum  verzeihliche  Ungenauigkeiten  an  den  Ausgangslfellen 
der  Rippen  find  auch  hier  wie  in  den  anderen  Kirchen  häufig,  gewöhnlich 
bedingt  durch  die  ungleichen  Jochweiten.  Das  Rippenprofil  Fig.  Oy  hat 
durchweg  die  Geltalt  eines  Keiles  mit  grade  abgefchnittener  Spitze, 
deffen  beide  Schrägen  zwei  flache  Hohlkehlen  zeigen, 
eine  Form,  die  fich  feit  dem  Anfang  des  16.  Jahr- 
hunderts in  Halle  fo  häufig  findet.  Die  Ein- 
wölbung der  Kirche  gefchah  nämlich  erlt  oder  wurde 
beendet  1510,  wie  die  Chronilten  fchreiben.  Der 
Augen  fchein  lehrt,  dafs  die  Kirche  längere  Zeit  ohne 
Gewölbe,  aber  mit  den  erlten  Wölbfchichten  angelegt, 
dageffanden  haben  mufs,  und  dafs  fie  jetzt  nicht 
das  Gewölbe  trägt,  welches  diefen  Kämpferfchichten  Rippenprofil, 

gemäfs  für  fie  projectirt  gewefen  ilf.  Etwa  ein  Meter 

über  den  Confolen,  da,  wo  die  Rippen  beginnen  fich  von  einander  zu  löfen, 

B.  D.  d.  Bau-  u.  Kunftd.  N.  F.  I.  12 


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DIE  STADT  HALLE  n.  d.  SAALKKK1S. 


Hnlz-jr 


.78 


verändert  fich  ihre  Profilform  plötzlich;  während  zu  unterlt  deutlich  dir 
befTere  und  ältere  Birnenform  für  die  Rippen  und  ein  anderes  Profil  t*~ 
ftehend  aus  zwei  keilförmig'  gellellten  Elachkehlen  mit  llumpter  Vorderkante 
für  die  Gurten  angelegt  war,  fetzt  fich  dann  ohne  architektonifche  Ver- 
mittelung, doch  möglichlt  wenig  auffällig  zu lammengearbeitet,  jenes  fpä.ere 
vierfach  gekehlte  Profil  fowohl  auf  die  Diagonalen  und  Rippen,  als  auch 
auf  die  Gurten.  Diefelbe  Weife  wie  in  der  Moritzkirche  und  im  Dom  zeigt 
fich  auch  hier  bei  der  Einwölbung  befolgt,  man  verlchob  letztere,  nachdem 
die  Kämpferfchichten  angelegt  waren,  bis  auf  fpätere  Zeiten,  und  es  wurde 
dann  freilich  zumeilt  ein  anderes,  der  fpäteren  Zeit  gemäfses  Wölbe  ly  item 
zur  Ausführung  gebracht.  Zu  erwähnen  ill  noch  der  Schmuck  aller  Kreuz- 
punkte der  Rippen  durch  eine  knopfartige  Rofette.  Ein  Vergleich  zwilchen 
den  Gewölbemullern  der  Ulrichskirche  und  der  Moritzkirche  ergiebt  eine 
nahe  Verwandtfchaft  namentlich  in  Bezug  auf  den  weltlichen  Theil  der 
Moritzkirche.  Da  beide  gleichzeitig  find,  ill  das  vielleicht  mehr  als  zufällig, 
wenn  auch  in  der  Moritzkirche  die  Rippe  anders,  nämlich  durch  eine 
gröfsere  Kehle  mit  darüber  liegendem  Rundltab  zwilchen  zwei  Plättchen 
jederleits  profilirt  wird. 

Auch  die  Bemalung  der  Kappen,  der  einzige  alte  1-ärbenfchmuck. 
der  an  dem  eigentlichen  Gebäude  überhaupt  erhalten  ilt,  liimmt  in  beiden 
Kirchen  überein  und  ill  im  Seitenlchiffe  zu  St.  Ulrich  noch  Io  weit  zu  er- 
kennen, dafs  lieh  über  das  ehemalige  Ausfehen  eine  klare  Vorltellung 
gewinnen  läfst.  Die  Rippen  haben  einen  hellen,  gelblichweifsen  Anllrich 
erhalten  und  von  gewiffen  Kreuzpunkten  derfelben  gehen  theils  grade, 
theils  flammende  Strahlen  aus,  direct  auf  den  gelbgrauen  Putz  der  Kappen 
und  nur  in  Schwarz  gemalt  Eig.  ;o.  Man  kann  nicht  Tagen,  dafs  Iblches 

todtfarbene  Ornament  und  diefe  wunderliche 
Zeichnung  einen  fympathifchen  Eindruck  macht; 
es  liegt  etwas  Gelpenlliges  in  der  Total- 
wirkung, die  dem  Geichmacke  kurz  vor  d>-r 
Reformation  entfprach,  doch  nicht  mehr  mit 
un lerer  gegenwärtigen,  färben-  und  formen- 
frohen Zeit  in  Einklang  fleht. 

Die  Spuren  der  Malerei  erlfrecken  fich 
nur  über  die  fünf  Olljoche,  nicht  mehr  über 
die  drei  anderen  weltlichen,  deren  Ueber. 
deckung  nämlich  viel  fpäter  entflanden  ill  und 
bei  völlig  gleicher  formaler  Ausbildung  nicht 
aus  Stein,  fondern  aus  Holz  belleht.  vonDrev- 
haupt  giebt  die  Notiz,  fie  fei  „an.  1674  nur  von 
kiefernen  Iloltze  autgeführet,  gekleibet,  und 
gegipfet."  Diefe  Conllruction  ill  hüchll  merkwürdig;  fie  zeigt,  wie  dieBau- 
kunfl,  der  formale  Ausdruck  der  Idee  einer  Zeit.  Ichon  damals  nicht  zurück- 
fcheute  vor  I.ug  und  Trug.  Blofs  um  der  leeren  Form  zu  genügen,  griff  man 
zu  billigen  Surrogaten,  und  es  gelang  die  Täufchung;  das  auf  merk  fam  prüfende 
Auge  entdeckt  fie  freilich  dennoch  unfehwer ; wo  die  Wahrheit  mit  der  Lüge 


Fi«.  70. 


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!>1K  ST.  URICIISKIKCHF. 


70 


lieh  unmerklich  vereinen  foll.  wo  das  ächte  Gewölbe  mit  der  Scheinconflruetion 
zufammenftöfst,  da  ifi  die  verrätherifche Stelle,  da  mufste  ein  Bruch  entliehen. 
Wir  fügen  hin/.u.  dafs  auch  dieConfolen  an  den  Wänden  und  Pfeilern  diefer 
drei  Weltjoche  nicht  mt  hr  aus  gothifcher  Zeit  flammen,  fondern  der  RenailTance 
angehören.  Allerdings  hat  man  den  Verfuch  gemacht,  fie  den  gothifchen 
unter  dem  maffiven  Gewölbe  ähnlich  zu  geltalten,  aber  das  iß  zu  plump 
gefchehen,  um  nicht  erkannt  zu  werden;  jene  - die  Capitäle  im  Chor,  bis 
zur  Unkenntlichkeit  zerftört,  haben  kein  InterelTe  mehr  — find  zu  Maafs- 
werksgebilden,  vertrocknetem,  fchematifch  behandelten  I,aubwerk,  zu  einem 
Hedermausartigen  Drachen,  big.  71,  einem  fcharlkantig  modellirten  l.üwen- 


Fig.  71. 


Confole  i in  OfUheile, 


köpf*  und  dergl.  ausgehauen  und  alle  find  von  verfchiedenem  Ausfehen. 
diefe  aber,  olt  ganz  gleichförmig,  haben  überall  die  gleichen  gothifirenden 
Abaken , find  mit  Fruchtbündeln  geziert,  ein  I.öwenkopf  mit  Mähne  und 
ganz  natürlichem  Ausdruck  F'ig.  7 2 und  dergl.  mehr  findet  lieh,  fodafs  über 
<lie  fpätere  Entftehung  kein  Zweifel  fein  kann. 

lieber  das  Kircheninnere  ilt  nun  noch  zu  bemerken,  dafs  der  Fufs-  Fufsbodenu.f.w. 
boden  wohl  immer  wie  heute  aus  Itacklleinen  belland;  die  Erhöhung  um 

* Streng  genommen  ift  es  freilich  kein  Löwenkopf,  fontlern  tler  Kopf  eines  Gefrböpfes 
der  mittelalterlichen,  höchfr  phantaftifchen  Denkweife,  eine  Schöpfung  gleich  der.  von  welcher 
Viollel*Lc*Duc  (unter  sculplurc)  bemerkt:  11  est  tlillicile  de  potisser  plus  loin  IV-tudc  de  la 
nature  applirpi6e  \ un  etre  tpii  n’  reifte  p.ts. 

II* 


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i8o 


»IE  STAIrr  HALLE  <1.  fl.  SAALKRKIS. 


eine  Stufe  am  zweiten  Oftpfeiler  ifl  eine  Anordnung,  wie  lie  auch  im  Schiff 
des  Domes  ftattfindet . wohl  um  diefe  Partie  auszuzeichnen.  Die  dreiftufige 
Erhöhung  des  Altarplatzes  ifl  erwähnt. 

In  die  Südwand  des  Schiffes  lind  drei  breite  Fenfteröffnungen  ein- 
gebrochen  fo  hoch  wie  erforderlich,  um  hinter  ihnen  über  dem  alten  Kreuz- 
gange  Kirchftübchen  einrichten  zu  können.  Solche  Anlage  wird  mit 


F'R-  r2- 


einer  der  erwähnten,  nicht  mehr  vorhandenen  Stübchen  an  der  Nordfeitr 
gleichzeitig  etwa  in  der  zweiten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  gemacht  worden 
lein.  Bei  der  Befeitigung  diefer  Stuben  im  Norden  wurde,  wie  es  fcheint. 
die  Empore  im  Seitenfchiff  nöthig  und  überhaupt  er II  möglich.  Die  Orgel- 
empore indelfen  dürfte  bereits  im  16.  Jahrhundert  gemacht,  wenn  auch  viel- 
fach verändert  worden  fein.  Schliefslich  fei  noch  über  den  Dachboden 
gefagt,  dafs  er  durch  das  hohe,  in  zweierlei  Weife  conftruirte  Sparrenwerk 
mit  feiner  Ueberfülle  an  Stielen,  Streben  und  Balken  technifch  Merkwürdiges 
bietet.  Die  Conllruction  des  örtlichen  Stückes  wird  die  ältere  fein,  welcher 
fpäter  der  weltliche  Theil  zugefügt  wurde;  in  letzterem  befindet  fich  nord- 
weftlich  die  fchon  befprochene  Glockenrtube. 

Nachdem  hiermit  das  Gebäude  der  Ulrichskirche  befchrieben  ift , mufs 
Datirung.  über  die  Datirung  feiner  Theile  nachgeholt  werden,  was  darüber 
feft  oder  zu  vermuthen  fteht.  Erft  durch  die  von  Hagedorn’fche  Erbfchait 
gewannen  die  Marienknechte  in  der  Stadt  Halle  eine  nennenswerthe  Be- 
deutung; fie  verfügten  dadurch  über  Mittel  nicht  allein  zutn  Bau  einer  an- 
genehmen Wohnung.  fondern  auch  einer  Kirche,  die  wie  man  fieht  lediglich 


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»II!  ST.  1,'l.KlCHSK.IRCtlK.  1 8 1 


zum  eigenen  Gebrauche  der  Bettelmönche  über  Gebühr  grofs  gewefen  fein 
würde.  Sie  war  fogleich  für  den  Vulksbefuch  mit  berechnet,  und  die  Lage 
der  Hauptthür  gegen  dieStrafse  fo  wie^die  Ausflattung  derfelben  weifen  ja 
darauf  ebenfalls  hin.  Wenn  man  nun  auch  die  Kirche  und  die  klöfterliche 
Wohnung  133g  zugleich  zu  bauen  anfing,  fo  lag  den  Mönchen  doch  wohl 
mehr  daran  ihr  Klofter  beziehen  zu  können,  als  die  grofse  Kirche  fertig  zu 
Bellen.  Einige  fculptirte  Steinftücke  im  Pfarrgarten  (Schlufsfleine  mit  Drei- 
pafsverzierung,  Stern  u.  a.),  die,  wenn  nicht  von  der  S.  Wolfgangskapelle 
übrig  geblieben,  nur  von  der  Klollerausftattung  herrühren  können,  find  denn 
auch  etwas  älter,  als  im  Allgemeinen  die  Kunllformen  der  Kirche.  Man 
erkennt,  dafs  lieh  die  Klofterräume  um  einen  Kreuzgang  gruppirten,  deffen 
nördliche  Seite  an  der  Kirche  fich  hinzog,  und  der  etwa  den  jetzigen  Pfarr. 
garten  und  Hof  umfchlofs.  Jjj  Von  den  Räumen  felbft  aber  (jetzt  ohne  be- 
fonderes  Interefle)  find  wahrfcheinlich  die  ältellen  erhalten,  jene,  die  in  die 
Sacriftei 'eingebaut  find  und  ehemals  das  Wärmhaus  mit  darüber  gelegenem 
Schlaffaale  der  Brüder  gewefen  fein  mögen,  weil  folche  bei  den  Klöftern 
diefes  Ordens  hier  im  Ollen  der  Claufur  angelegt  wurden.1  Mit  dem  Baue 
desKlollers  ill  es  übrigens  auch  nicht  fehr  fchnell  gegangen,  oder  aber  man 
hat  im  Laufe  der  Zeit  durch  Anbauten  das  Klostergebäude  vergröfsert; 
wir  finden  nämlich  bei  Olearius/lie  Notiz,  dafs  an  „Schneiders“  Haufe  — 
wo  dasfelbe  lag,  ill  nicht  mehr  ficher  feflzullellen  — folgende  Infchrift  in 
Bezug  auf  ein  Stück  des  Klofterbaues  gellanden  hat:  Ifritlinaiit  tsl  stfllt- 
liira  islncr  frafrinn  järruonun  JSanrlaf  @};iiiae  14-83.  Dafs  der  Kloflerbau 
erll  1406  wirklich  beendet  wurde,  ill  eingangs  fchon  gefagt  worden, 
und  zwar  gefchah  das  an  der  Wellfeite  der  Kirche,  wo  wir  un- 
mittelbar neben  dem  Portal  rechts  das  Mauerwerk  des  alten  Kloflers  und 
über  einer  fall  ganz  vermauerten,  fpitzbogigen  Thür  ein  grofs  reliefirtes, 
etwa  quadratifch  umrahmtes  Monogramm  finden.  Ein  S (=sancta)  in  einem 
dämmenden  fli  (=  Maria) , darüber  eine  Krone  und  inmitten  ein  aufrecht 
llehender  Lilienflengel  find,  in  dem  Felde  ausgemeifselt.  Um  diefe  Zeit  ill 
das  Vorkommen  eines  folchen  Monogrammes  auffällig;  die  Arbeit  ill  roh 
gemacht,  man  möchte  fie  einer  fpäteren  Zeit  zufchreiben,  wenn  nicht  Olearius 
derfelben  Erwähnung  thäte  mit  der  Hinzufügung  folgender  Infchrift,  die 
darunter  gellanden  hat,  jetzt  aber  verfchwunden  ill:  811110  salnlis  14-98  in 
öif  j5.  Ifrminaht  csl  ijart  slnithira  fralrum  snuormu  JS.  QQariae. 

Durch  diefe  Infchrift  willen  wir  alfo,  wann  und  wo  der  Kloflerbau 
beendet  wurde,  ein  Umlland,  der  auch  für  den  Bau  der  Kirche  nicht  ohne 
Bedeutung  ifl.  Die  Kirche  wurde,  was  das  Syllem  anbetrifft,  133g  am 
Chor  ohne  Zweifel  fo  begonnen,  wie  fie  dafleht,  aber  zunächll  nicht  ganz 
fondern  nur  bis  zum  fünften  Joche  von  Ollen  her  gebaut.  Bis  dahin  ifl 
ihr  Syllem  ohne  wefentliche  Abweichungen  durchgeführt,  während  folche 
alsdann  bis  zur  Wellfront  zahlreich  Vorkommen  und  zwar  als  Abweichungen, 

1 Unmittelbar  an  der  Kirche  fcheint,  fo  viel  man  an  dem  erhaltenen  Mauerwerke  erkennt,  der 
Eingang  zum  Klofter  belegen  gewefen  zu  fein  wie  zwilchen  der  Moritzkirche  und  ihrem  Klofter. 


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l8’  DIE  STADT  HALLE  u.  <1.  SAALKREIS. 

die  nicht  wie  die  Ungenauigkeiten  der  örtlichen  Joche  zufällige,  fondem 
abfichtlich  gemachte  find  und  auf  eine  fpätere,  ziemlich  planlofe  und  jeden- 
falls vielfach  verzögerte  Baufortfetzung  fchliefsen  laffen.  Obwohl  lieh  aus 
dem,  was  in  diefer  Hinficht  über  den  Plan  und  die  Kunftformen  gefagt 
werden  kann,  nicht  gerade  viel  für  die  Datirung  licher  folgern  läfst,  ift  doch 
eine  Zufammenltellung  des  Wefentlichften  nöthig.  Der  Grundrifs  zeigt,  dafs 
am  fünften  Pfeiler  von  Olten  her  jedenfalls  eine  Unterbrechung  der  ßauar- 
beit  Ilattgehabt  haben  mufs:  das  fünfte  Oftjoch  ift  merklich  gröfser  als  die 
anderen  vier,  die  einander  gleich  lind.  Muthmaafslich  befand  lieh  nämlich 
am  fünften  Pfeiler  eine  Querwand,  die  den  Kirchenraum  nach  der  Weihung 
in  erfter  Zeit  hier  abfchlofs.  Denn  diefer  Pfeiler  fteht  genau  in  der  Flucht 
einer  folchen  Wand  und  demgemäfs  ift  diefes  Joch  um  die  Hälfte  einer 
folchen  Mauerftärke  gröfser  als  die  anderen.  In  Rückficht  hierauf  wird  nun 
auch  das  Maafs  vom  Grunde  des  Chores  bis  zu  diefer  Grenze,  auf  welches 
Maafs  wir  aufmerkfam  machten,  von  Bedeutung,  weil  die  Urfache  feiner 
Wahl  fieh  wohl  erklärt.  Ferner  weifen  wir  daraufhin,  dafs  die  Vorfprünge 
der  Strebepfeiler  bis  zu  diefem  fünften  Joche  einander  gleich,  wenn  auch 
nach  den  beiden  Seiten  gemäfs  ihrer  verfchiedenen  Inanfpruchnahme  durch 
den  Gewölbefchub  verfchieden  grofs  find.  Dabei  ift  unwefentlich,  dafs  der 
zweite  Pfeiler  eigentlich  fehlt  — den  Grund  haben  wir  ja  angeführt  - und 
dafs  der  fünfte  noch  einen  Zufatz  nachträglich  bekommen  hat.  Alle  welt- 
lichen weichen  davon  ab:  im  Süden  zu  Strebebögen  durchbrochen,  find  lie 
höchft  unregelmäfsig  in  ihrer  Stellung  und  Ausbildung,  im  Norden  gleichen 
lie  allerdings  den  anderen  derfelben  Seite,  haben  aber  merklich  verfchiedene 
Zwifchenräume.  Zu  den  Grundrifsverfchiedenheiten  kommt  noch,  dafs  es 
doch  auch  eine  VeranlafTung  haben  mufs,  warum  15 10  die  maflive  Einwölbung 
gerade  in  den  drei  Weftjochen  unterblieben  ift  und  warum  im  Dachgefpärre 
fich  zweierlei  C'onftructionen  linden.  Dazu  kommt  die  StilverfchieJenheil 
der  Confolen  beider  Gebäudepartieen  und  die  verfchiedene  Sockelhöhe, 
namentlich  die  am  dritten  Weftpfeiler.  Wenn  nun  auch  aus  alle  dem  lieh 
zwei  gefonderte  Baupartien  ergeben,  fo  ift  in  dem  Mauerwerke  und  felbll 
in  den  übrigen  Kunftformen  doch  kein  wefentliclier  Unterfchied  bemerklich. 
Die  Fenfterprofilirung  und  Maafswerksbildung  ift  durchweg  golhifch,  nur  ift 
letztere  je  mehr  weltlich  um  fo  einfacher;  decorativ  bevorzugte  man  aber 
bekanntlich  die  Ghorfeite  in  allen  Kirchen;  auch  die  Pfeiler  haben  die 
gleiche  Achtecksform  und  dasfelbe  Sockelprofil ; alle  Thürgewände  lind 
gothifch,  und  mehrere  Kunftformen  giebt  es  ja  nicht  Obwohl  nicht  mit 
Gewifsheit  fo  erhellt  doch  mit  gröfser  Wahrfcheinlichkeit  aus  dielen  An- 
gaben, dafs,  als  man  den  gröfseren  örtlichen  Theil  feinen  Formen  nach 
früheftens  um  1400  vollendet  hatte,  die  Fortfetzung  bald  gefchah,  jedoch  fu 
läffig  betrieben  wurde,  dafs  der  weltliche  Theil  in  feinen  Mauern  erft  zur 
Zeit  der  Einwölbung  des  örtlichen  fertig  wurde.  Die  Chroniken  melden 
daher  auch  nichts  über  ihn1.  Ob  er  15 10  fchon  unter  Dach  war  ift  zweifei- 

* Otte  in  feiner  Kunftarchäologie  fayl  S.  370,  dafs  die  Ulrichskirche  1516  vollendet  fei; 
ich  habe  darüber  nichts  auffinden  können. 


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DIE  ST.  l'LKICH.  KIKCHE 


<83 

haft;  warum  hätte  man  alsdann  nicht  auch  die  drei  Weltjoche  mit  eingewölbt, 
und  warum  hätten  nicht  wenigllens  die  Pfeiler  auch  hier  gothifche  Confolen 
mit  Iteinemen  Kämplerfchichten,  wenn  fie  bis  zu  diefer  Zeit  gemacht  worden 
wären?  Indeflen  waren  fie  ohne  Frage  angelegt,  wie  das  Sockelprofil  be- 
weilt,  und  es  wäre  ja  auch  nicht  unmöglich,  wenn  auch  unwahrfcheinlich, 
dafs  die  Confolen  fpäter  eingefetzt  wurden.  Hier  ift  alfo  ohne  weitere  An- 
gaben oder  Merkmale  eine  fichere  Datirung  nicht  zu  geben  und  um  fo 
weniger,  wenn  noch  Folgendes  berücklichtigt  wird:  1496  wurde  das  Klolter 
an  der  Wellfront  der  Kirche  vollendet;  wäre  nun  diefe  weltliche  Kirchen- 
front früher  erbaut,  alfo  zu  einer  Zeit,  in  welcher  der  Platz  vor  ihr  doch 
noch  unbebaut  dalag.  fo  würde  die  gegen  die  Achfe  des  Schilfes  nach 
Norden  verfchobene  Lage  des  Portals  und  Fenlters  fchwer  zu  verliehen 
fein,  gegen  eine  fpätere  Zeit  fprechen  aber  die  gothifchen  Formen.  Freilich 
könnten  nicht  mehr  zu  erkennende  Gründe  zu  diefer  Abweichung  gezwungen 
haben  z.  B.  könnte  fchon  die  Grenze  des  klölterlichen  Terrains  maafsgebend 
gewefen  fein,  aber  das  ilt  doch  nicht  wahrfcheinlich. 

ln  Ermangelung  anderweitiger  Nachrichten  lafTen  wir  diefe  Fragen, 
nachdem  fie  angeregt  worden  find,  auf  lieh  beruhen,  um  noch  über  die  Thür 
im  Olten  eine  Vermuthung  auszufprechen  Zunächlt  fcheint  mir.  dafs  in 
der  vorhin  mitgetheilten  Infchrift  über  diefem  Portale  der  Ablativus  abfo- 
lutus,  TRANSLOCATIS  ET  ELEVATIS  TRIBUS  CAMPANIS  und  QUASSATIS 
ET  DESTRUCTIS  RELIQUIIS  nicht  nur  temporal,  fondern  auch  caufal  auf- 
zufafTen  ilt,  weil  im  anderen  Falle  das  APERTA  EST  ohne  befonderen  Sinn 
wäre.  Dem  Techniker  wird  fich  das  überdies  aus  den  thatfächlichen  Ver- 
hältnifTen  ergeben ; denn  was  konnte  überhaupt  die  Veranlagung  gewefen  fein, 
um  1 666  in  dem  alten  Mauerwerke  noch  eine  Thiir,  deren  es  wohl  genug  gab,  und 
gerade  hier  anzulegen?  Wir  erinnern  uns.  dafs  dieöltlich  von  der  Ulrichs- 
kirche flehende  Wolfgangskapelle  im  vorhergehenden  Jahre  1665  abgebrochen 
wurde  und  die  in  ihr  befindlichen  Glocken  aus  der  alten  Ulrichskirche  in  die  neue 
Glockenltube  der  jetzigen  zu  bringen  waren.  Der  kürzelte  Weg  und  die 
einfachlte  Art,  die  riefigen  Glocken  an  ihren  ßeftimmungsort  zu  fchaffen, 
war  ohne  Frage,  in  die  örtliche  Wand  des  Nebenfchiffes  eine  hinreichend 
grofse  Oeffnung  zu  brechen,  die  Glocken  durch  diefelbe  im  Nebenfchiffe 
entlang  zu  walzen  und  fie  dann  grade  empor  in  den  Glockenftuhl  zu  ziehen. 
Die  Vortheile  die  fes  Transportweges  gegenüber  dem  mittfelll  eines befonders 
Harken  Gerüftes  zum  Emporziehen  weltlich  am  Kirchenäu fseren  find  fo 
einleuchtend,  dafs  darüber  nichts  weiter  gefagt  zu  werden  braucht.  Da  nun 
in  der  That  eine  fo  grofse,  in  die  Oftwand  eingebrochene  Oeffnung,  von 
einem  F'lachbogen  überwölbt  und  jetzt  als  Nifche  ausgemauert,  vorhanden 
ift  und  ihre  Entftehung  fich  mit  keiner  anderen  Zeit  und  Gelegenheit  in  Ver- 
bindung bringen  läfst,  fo  fcheint  diefer  Punkt  damit  erwiefen.  Wie  aber 
um  diele  Zeit  das  gothifche  Thürgewände  in  diefe  ausgemauerte  Oeffnung 
kommt,  erklärt  fich  dadurch,  dafs  dafselbe  wahrfcheinlich  aus  der  ab- 
gebrochenen Wolfgangskapelle  (lammt  und  hier  fogleich  unverändert  wieder 
eingefetzt  ift.  (Eine  derartige  directe  Verwendung  von  einem  Stücke  der 
Wolfgangskapelle  haben  wir  fchon  erwähnt,  nämlich  die  des  Dachreiters 


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DIE  STADT  HALLE  u.  <!•  SAALKREIS. 


184 


auf  der  Weftecke  des  Daches.)  Ob  aber  das  diefem  im  Charakter  ähnliche 
Gewände  der  Thür  in  der  Weltwand  auch  von  dort  genommen  ift,  mufs 
dahingeflellt  bleiben. 

Untere  Bemerkungen  über  die  Datirung  der  Bautheile  fchliefsen  wir 
mit  dem,  was  lieh  über  die  llerftellungszeit  der  hölzernen  Ueberdeckung  der 
drei  Weltjoche  Pagen  läfst.  von  Dreyhaupt  fchreibt  darüber  ausdrücklich 
im  i.  Theile  feiner  Chronik  S.  1054,  dafs  folche  1Ö74  gemacht  fei,  allein  auf 
der  vorhergehenden  Seite  hat  er  fchon  erzählt,  es  fei  aus  dem  Glockenlhihle 
eine  Steife  herabgefallen  „auf  das  Kirchen-Gewölbe  über  der  Orgel,  fo  da- 
felblt  höltzern  ilt'1  und  zwar  den  8.  Augult  1669.  Wir  find  demnach  nicht 
völlig  im  klaren  über  das  Entftehungsjahr,  welches  dem  Stile  der  Confolen 
nach  Ipäter  jedenfalls  nicht  fallen  kann. 

1 Den  Stil  der  Formen  an  diefer  Kirche  zu  würdigen,  erinnern  wir  im 
Voraus,  dafs  es  Bettelmönche  waren,  die  den  Bau  unternahmen.  Die 
Armuth  wollen  und  füllen  lie  zur  Schau  tragen,  und  das  ift  es,  was 
denn  auch  deutlich  aus  jeder  Form  ihres  Bauwerkes  fpricht.  Es  ilt  der 
Grundrifs,  der  dazu  den  Hauptbeweis  liefert,  indem  er  uns  eine  nur  zwei- 
fchittige  Hallenkirche  zeigt,  eine  Anlage,  die  bei  den  Bettelmönchen  in  Folge 
ihres  Strebens  nach  Sparfamkeit  Regel  geworden  war.  In  unterer  Kirche, 
wie  es  fcheint,  hat  man  das  eine  Nebenfchiff  gewiflermaafsen  als  Erlätz  nach 
Möglichkeit  breiter  geftaltet,  doch  mufs  das  unentfehieden  bleiben.  Die  Spar- 
famkeit erfleht  man  ferner  an  der  thunlichft  einfachen  Oftpartie ; kein  Ouer- 
fchiff,  kein  Umgang,  kein  Kapellenkranz  ift  vorhanden,  auch  nicht  ein  hier 
fo  paffendes  Marienkapellchen  ift  an  der  Hauptapfis  herausgebaut,  und  da: 
Nebenfchiff  fchliefst  fogar  llumpf.  Die  an  fich  immerhin  nicht  kleine  Kirche 
zeigt  im  Grundrifs  keinerlei  Rückfichtnahme  auf  eine  Thurmantage,  weil 
auch  ein  Thurm  bei  den  kirchlichen  Bauten  diefer  Mönche  regelmäfsig  er- 
fpart  wurde.  Im  Inneren  ift  es  befonders  der  Pfeilergrundrifs,  aus  deften 
fchlicht  achteckiger  Geftalt  fogleich  die  Rücklicht  auf  Erfparung  erlichtlich 
wird.  Denn  das  urfprünglich  projectirte  Gewölbe  hätte  eigentlich  alte  und 
unge  Dienfte  um  den  Pleilerkern  gar  nicht  entbehren  können,  weil  es,  fo 
dürfen  wir  von  jener  Zeit  vor  1400  annehmen,  noch  nach  den  llrengen 
gothifchen  Conftructionsgefetzen  erdacht  war,  die  verlangen,  dafs  der  Ge- 
wölbefchub  auf  die  Rippen  und  von  dielen  auf  die  Pfeiler  (bez.  Strebepfeiler 
übertragen  werde  und  zwar  für  das  Auge  auf  die  Dienfte  an  den  Pfeilern. 
Die  fparfamen  Bettelmönche  erlauben  fich  diefe  Dienfte  einfach  durch  Con- 
folen  zu  erfetzen,  die  ja  auch  ausreichen,  den  ilructiven  Gewölbetheilen 
eine  Unterftützung  zu  bieten  und  den  Gewölbedruck  dem  Pfeiler  zu  vermitteln, 
ln  der  Ulrichskirche  kommt  diefer  ebenfo  bequem  herzuftellende  wie  nüchterne 
Pleilergrundrifs  zum  erften  Male  in  Halle  vor  und  auf  Grund  jenes  Spar- 
famkeitsgrundfatzes  mag  er  ja  auch  feine  Berechtigung  haben  im  Verein 
mit  ähnlichen  Formen,  die  von  derfelben  Mutter  Sparfamkeit  zur  Welt 
gebracht  find,  aber  leider  waren  die  Vortheile  eines  folchen  Pfeilergrund- 
riffes  zu  erfichtlich,  als  dafs  die  rohe  Spätzeit  der  Gothik  ihn  nicht  hätte 
bereitwillig!!  copiren  follen,  fodafs  wir  ihn  in  der  Moritzkirche,  im  Dom  und 
felbll  in  der  Marktkirche,  wenn  auch  hier  fchon  in  der  Uebertreiburg, 


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DIE  ST.  IJLRJCHSKIRCHE. 


'85 


wiederfinden.  Auch  im  Aulrifs  tritt  die  Befchränkung  in  allen  Formen  zu 
Tage.  Vielleicht  zeugt  davon  fchon,  dafs  man  um  das  Jahr  1339  fich  zu 
Bruchlleinen  als  Baumaterial  entfchlofs.  Solches  Material  verbietet  an  lieh 
fchon  jedweden  reicheren  Schmuck  im  Aeufseren.  und  ganz  wenig  gegliederte 
Strebepfeiler  und  kahle  Wandtlächen  (als  Gegenfatz  vergl.  die  der  Moritz- 
kirche) find  die  Folge;  aber  auch  die  Sand fleinllücke  haben  eine  nur  mäfsig 
reiche  Durchbildung  erhalten,  fo  die  verfchiedenen  Gefimfe,  die  meift  nur 
WalTemafen  find  aufser  dem  rohen  aber  gänzlich  bedeutungslofen  llaupt- 
limfe.  dann  die  Fenflergewände  mit  den  Pfolten,  aus  denen  für  die  Zeit  des 
14.  Jahrhundert  gerade  kein  üppiges  Maafswerk  erwächll  und  nur  am  Chor 
reichere  Formen  hervorgegangen  find;  vielleicht  war  auch  Sparfamkeit  der 
Grund,  dafs  die  Fenfter  der  Südfeite  aufser  einem  nur  zweitheilig  find.  An 
den  Portalen  merkt  man  die  Aermlichkeit  weniger,  befonders  ift  das  Haupt- 
portal  mit  den  lleinernen  Mit'telpfollen  und  feinem  Tympanon  als  Ausnahme 
anzuführen,  jedoch  ein  folches  Stück  gegenüber  der  Finfchränkung  bei 
allen  anderen  Stücken  will  wenig  heifsen.  Im  Inneren  find  die  fculptirlen 
Confolen  verhältnifsmäfsig  zu  klein*  und  in  den  Einzelheiten  recht  einfach. 
Die  Confole  in  der  Ecke  des  halben  Arkadenpfeilers  und  der  Oftwand  des 
Nebenfchiffes  ift  zu  einer  kleinen  männlichen  Figur  ausgehauen;  verdeckte 
nicht  ein  dicker  Kalkanftrich  die  feineren  Theile,  fo  könnte  man  vielleicht 
erkennen,  ob  es  derBaumeifter  von  133g  fei.  Wenn  das  Gewölbe  von  1570 
eine  ziemlich  fchmuckreiche  Durchbildung  erfahren  hat,  fo  dar!  man  darin  wohl 
fchon  eine  Vernachläfsigung  der  Grundlatze  der  Mönche  erblicken.  Nach  alle 
dem  begreift  es  fich,  dafs  der  Stil  diefer  Kirche,  wie  wohl  die  Entftehungszeit 
der  Kunftformen  noch  eine  verhältnifsmäfsig  frühe  genannt  werden  mufs, 
uns  doch  kein  Gefallen  erwecken  kann,  weil  eben  die  Dürftigkeit  zu  fehr  zur 
Schau  getragen  wird.  Die  Raumverhältniffe  hingegen  find  gute,  nur  die 
der  Oftpartie  der  Kirche  zu  St.  Moritz  kommen  ihnen  gleich. 

Wir  gehen  zu  den  einzelnen  Kunftwerken  bez.  zur  Möblirung 
der  Ulrichskirche  über.  Unter  den  Glocken  finden  wir  die  alterten 
Stücke,  und  zwar  Hammen  letztere  noch  aus  der  ehemaligen  Pfarrkirche  in 
der  Ulrichsllrafse , bei  deren  Abbruch  lie,  weil  die  Bettelmönchskirche 
thurmlos  war.  in  der  nahegelegenen  W ol fgangsk apel.c.  aufgehängt  wurden. 
Der  Glockenlaft  war  aber  die  Kapelle  nicht  gewachfen  und»  daher  1665  fo 
baufällig  geworden,  dafs,  wie  fchon  bemerkt  ift,  ihr  Abbruch  gefchehen 
irufste.  Die  Glocken  kamen  nun  in  die  neue  Glockenftube  über  der  Nord- 
weftecke  der  Kirche.  Die  kleinfte  Glocke  mit  einem  DurchmefTer  von  1,35" 
ift  wahrfcheinlich  die  ältefte.  Eine  Maiuskelumfchrift  zwifchen  Reifen  ziert 
ihren  Hals  und  ift  durch  fchwaches  Einritzen  in  den  Glockenmantel  ent- 
llanden;  die  Buchftaben  find  reich  verziert,  treten  aber  nicht  eben  ftark 
nervor.  Die  Schrift  lautet: 

0 (Medaillon  mit  Crucifixus)  0 • REX  • GLORIE  • VEI?I  - (IVfll  • PAOE. 
Darunter  an  der  Glocke  befindet  fich  dreimal  dasfelbe  Relief,  auf  dem  durch 

* Man  vergleiche  fie  in  diefer  Hinlicht  mit  denen  im  Dom. 


Kunftwerkc : 
Glocken. 


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r86 


DIR  STAUT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


drei  neben  einander  unter  drei  Bögen  fitzende  Perfonen  vielleicht  die  Trinität 
dargeftellt  fein  foll.  Die  Form  der  Glocke  ift  gefällig;  ihre  Entftehunir 
dürfte  beliimmt  noch  in  die  erfte  Hälfte  des  i 4.  Jahrhunderts  fallen.  Die  zweite 
Glocke  hat  1,55  “ im  unteren  DurchmeCfer  und  ill  vielleicht  mehrere  Jahr- 
zehnte jünger  als  die  erftgenannte.  Auch  fie  hat  oben  eine  Umfchrift  in 
Maiuskeln.  die  durch  eine  in  den  Glockenmantel  lehr  kräftig  eingeritzte 
Zeichnung  entftanden  find,  auf  der  Glocke  alfo erhaben  erfcheinen.  Man  lieft- 

+ 0 • Rex  • GLORie  • cmiSTE  • vem  • nv  • wine  >. 

Unter  diefem  Infchriftsftreifen  zieht  fielt  ein  anderer  von  gleicher  Breite  her. 
welcher  wie  der  obere  von  zwei  kräftigen  Schnüren  begrenzt  wird  F.r  ift 
durch  dem  Glockenmantel  fchwach  eingeritzte  Zickzacklinien  in  mehrere 
Felder  getheilt  und  in  diefen  befinden  lieh  folgende  ziemlich  kräftige  Reliefs: 
ein  Medaillon,  welches  Simfon  mit  dem  Löwen  darftellt,  ein  zweites,  au! 
welchem  man  einen  Reiter  erblickt,  vielleicht  den  h.  Georg,  ein  drittes  mit 
den  Figuren  des  Erzengels  Gabriel  und  der  Maria,  alfo  die  Verkündigung' 
bedeutend,  ein  viertes  etwas  kleineres  muthmaafslich  das  Opfer  Ifaaks  dar- 
Hellend  ein  fünftes  ebenfalls  kleiner  mit  einer  fitzenden  unbeftimmbaren 
Figur.  Dann  folgt  ein  Crucifixus  mit  Maria  und  Johannes  zu  den  Seiten: 
es  fällt  aut  die  ägyptifche  Form  des  Kreuzes,  die  fchlaffe  (nicht  wagerechte 
Haltung  der  Arme  Chrilli  und,  dafs  die  Füfse  des  Heilandes  neben  einander 
auf  einem  Suppedaneum  liehen.  Hierauf  lieht  man  Maria  mit  dem  Kinde 
in  fitzender  Haltung,  und  dann  folgt  wiederum  ein  Crucifixus  von  etwas 
kräftigerem  Relief,  zu  deflfen  Seiten  Maria  und  an  Stelle  Johannis  eine 
Heilige  mit  einem  Thurme  alfo  wohl  Barbara  lieht.  Auch  hier  treten  Chrilii 
Füfse  auf  ein  Fufsbrett.  Nun  folgt  eine  kleine  fitzende  Maria  mit  dem 
Kinde  und  fchlielslich  ein  anderes  fitzendes,  doch  nicht  kenntliches  F'igürchen. 
welches  an  das  erftgenannte  Medaillon  anfchliefst.  Ein  Sinn  liegt  diefef 
Zufammenftellung  von  Reliefs  nicht  wohl  zu  Grunde;  diefelben  dienen 
lediglich  als  Zierrathe  oder  auch  gewiflermaafsen  als  Amulette  fiir  die 
Glocke.  Der  Stil  diefer  kleinen  Sculpturen  ill  mittelmäfsig  und  trägt  im 
Allgemeinen  die  Kennzeichen  einer  früheren  Zeit,  als  die  ill,  in  welche  wir 
den  Gufs  der  Glocke  fetzen  möchten.  Es  fei  beifpielsweife  nur  die  Bildura; 
der  Crucifixe  genannt,  an  denen  man  im  14.  Jahrhundert  kein  Suppedaneum 
mehr  erwarten  Tollte.2  Die  dritte  Glocke  hat  den  gröfseften  Durclimefler. 
nämlich  1,60  m und  trägt  unter  der  Haube  die  Umfchrift: 

0 EN  • EGO  O CAMPANA  • NVNQVAM  • DENVNCIO  • VANA  • LAVDO 

DEVM  • VERVM  . VOCO  ■ PLEBEM  • CONGREGO  • CLERVM  - V 

D • M ■ IA  • E. 

Mitten  an  der  Glocke  find  zwei  reliefirte  Wappen  in  fchöner  Zeichnung  und 
prächtiger  plaftifcher  Durchbildung,  über  ihnen  lieht: 

1 Das  letzte  E fteht  klein  im  C. 

2 Dafs  lieh  dicfelbrn  Anomalien  auch  an  anderen  Glocken  finden,  geht  aus  dem  hen'ftf- 
was  Dr.  J.  Schmidt  im  >.  Hefte  der  Bau-  und  Kunftdeukiniiler  (Sangcrhaufcn)  Seite  117  über 
Glocken  in  Lengefeld,  HaackptilKl  und  üornftedt  Tagt. 


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DIE  ST.  ULRICHSKIRCHE. 


87 


AEDILES  ■ SACRI  • FVERE  und  unter  ihnen  lieft  man  die  Namen:  IACO- 

BVS  . MICHAEL  • CONSVL  und  IOHANNES  • KOEHLER  • CAMMERARIVS. 

Ein  vertiefter  Streif  umzieht  den  unteren  Rand  mit  den  Worten: 

HAEC  • CAMPANA  - REFVSA  • EST  • IN  • SEDIS  • VACANTIA  • 

ANNO  • CHRISTI  . MDC  • MENSE  JVLIO  Geohg  Wolgast  • 

ZV  • HALL  • GOS8  - MICH. 

Die  Buchltaben  der  letzten  Wörter  find  aufser  G und  W nicht  wie  die 
übrigen  erhaben,  fondern  nur  leicht  eingeritzt  und  viel  kleiner.  Die  Glocken- 
form  hat  über  dem  Hälfe  einen  fcharfen  Knick  als  Uebergang  zur  Haube 
und  biegt  lieh  erft  ziemlich  weit  unten  ftark  aus,  um  dann  mit  fcharf  abwärts 
gehendem  Kranze  zu  fchliefsen.  Das  ift  die  diefer  Zeit  beliebte  Form.  Das 
Ornament  am  Streifen  der  Halsumfchrift  befteht  aus  Blättern  und  kleinem 
Kartufchenwerk  in  Wiederholung,  aufserdem  finden  wir  verfchiedene 
Trennungszeichen  zwilchen  den  einzelnen  Wörtern,  kleine  unkenntliche  Fi- 
guren. Münzen  und  dergl.1  Die  Technik  ift  eine  ganz  vorzügliche  und  lieht 
weit  über  der,  welche  die  heutige  Glockengiefserei  durchfchnittlich  liefert, 
ebenfo  wie  die  Form  eine  weit  edlere  ilt.  als  die,  welche  der  Fabrikbetrieb 
jetzt  erzeugt. 

Aufser  diefen  drei  Glocken  zum  Läuten  hat  die  Kirche  noch  eine 
Schlagglocke,  weichein  dem  örtlichen  Dachreiter  hängt.  Sie  mifst  0,75"  im 
Durchmelfer,  ift  von  breiter  häfslicher  Geftalt  und  flammt  aus  der  Ro- 
cocozeit.  Ihrer  langen,  bedeutungslofen  Infchrift  entnehmen  wir,  dafs 
Friedr.  Aug.  Becker  in  Halle  fie  gegolten  hat. 

Im  Chor  der  Kirche  ift  eine  Anzahl  von  bemerkenswerthen  alten 
Chorftühlen  Fig.  73  erhalten.  Je  eine  fechsfitzige  Reihe  lieht  an  der  chorfiühlc. 
Xordwand  und  Südwand,  an  welch  letzterer  fich  noch  eine  zweite  Reihe  weiter 
weltlich  befindet.  Mancherlei  Veränderungen  haben  von  der  Form  der 
alten,  aus  Eichenholz  gefchnitzten  Stühle  nur  wenig  geladen.  Die  Rück- 
lehnen mit  den  Baldachinen  find  erneuert,  zugleich  auch  die  Sitzbretter:  die 
Mifericordien  und  Füfse  find  befchädig.t  und  verändert.  Immerhin  erkennt 
man  noch,  dafs  die  Anfertigung  in  eine  Zeit  fällt,  in  der  die  Gothik  noch 
nicht  ausgeartet  war.  Jedenfalls  haben  wir  hier  die  alterten  ihresgleichen 
zu  Halle.  Sie  gehören  muthmaafslich  dem  Ende  des  14.  Jahrhunderts  an. 

Man  bemerkt  an  ihnen  keinerlei  den  Eigenfchaften  des  Holzes  zuwider 
laulende  oder  übertriebene  Beanfpruchung:  allerdings  mag  das  Gellühl  als 
das  einer  Bettelmönchskirche  nicht  reich  gefchnitzt  worden  und  alfo  in  diefer 
llinficht  eine  besondere  Gelahr  nicht  vorhanden  gewefen  fein.  Für  Holz- 
profilirungen  im  gothifchen  Stile  find  die  Reite  diefes  Stuhlwerkes  brauch- 
bare Vorbilder.2 

Unter  den  Kunftwerken  folgt  dem  Alter  nach  das  Taufgefäfs,  ein  raufkeffel. 
broncener  Keffel,  der  in  der  Achfe  des  llauptfchiffes  des  um  eine  Stufe  er- 

* Vcrgl.  auch  von  Dreyhaupt  I,  1053. 

- Ein  folcher,  aber  rieht  ungiftrichcner  Sit*  befindet  fich  im  Privalbefiu  des  Herrn  Pro- 
feffor  H.  Hcydcmann  hier. 


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i88 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAAI.KKEIS 


F'R-  7»- 


Choiftiihlc. 


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DIE  ST.  ILRICHSKIRCIIE. 


189 


höheten  Theiles  aufgellellt  worden  ill,  in  der  Form  jenem  der  Marktkirche 
ganz  ähnelt  und  nur  durch  das  Fehlen  der  Oefen  mit  dem  Mandtuchreifen, 
in  den  Figuren  und  in  der  Umfchrift  ein  Wenig  abweicht.  Indem  wir  daher 
l>ezüglich  der  allgemeinen  Gellalt  auf  das  bei  der  Marktkirchenbefchreibung 
Gefagte  verweilen , haben  wir  hier  nur  diele  Abweichungen  zu  befprechen. 
Unter  den  vier  kefleltragenden  Figuren  giebt  es  dreimal  diefelbe  weibliche 
Gellalt,  die  in  der  Marktkirche  zweimal  vorhanden  ill.  Eine  vondiefen  dreien 
hält  auf  dem  linken  Arme  ein  Kind  und  kennzeichnet  fich  dadurch  als 
Maria;  in  ihrer  rechten  Hand  befand  fich  demnach  wohl  urfprünglich  ein 
l.ilienfcepter.  Den  beiden  anderen  fehlt  gleich  denen  der  Marktkirche  jetzt 
jede  Beigabe.  Die  vierte  F igur  ill  die  eines  hübfchen  jugendlichen  Bifchofs  mit 
lockigem  Haar.  Eine  Mitra  (line  circulo  et  titulo)  bildet  die  Kopfbedeckung. 
F.in  fchlichtes  Mefsgewand  und  darunter  die  Alba  dient  als  Bekleidung.  In 
der  Rechten  hält  der  Bifchot  ein  Buch,  in  der  hinken,  die  er  geöffnet  vor- 
hält, ill  jetzt  nichts  mehr.  An  dem  Marktkirchenkeffel  findet  lieh  diefe 
Figur  überhaupt  nicht.  An  ihr  fallen  die  wunderlichen  Verhältniffe.  diedem 
Stile  diel'er  Zeit  eigen  find,  befonders  Hark  aut,  z.  B.  ill  namentlich  der  linke 
Oberarm  viel  zu  kurz.  Aus  diefen  Figuren  und  den  vieren  der  Marktkirche 
fcheint  hervorzugehen,  was  lieh  freilich  mit  Gewifsheit  nicht  fagen  läfst, 
dafs  der  Meifter  eine  Anzahl  Modellfiguren  befafs  und  diefelben  nur  mit 
anderen  Beigaben  verfah,  je  nachdem  er  eine  bellimmte  Heiligenfigur  dar- 
llellen  wollte;  an  beiden  Keffeln  kommt  ein  und  diefelbe  weibliche  Statue 
zufammen  tüntmal  vor;  die  männlichen  find  zwar  verfchieden,  aber  beifpiels- 
weife  ill  die  des  Bifchots  fo  allgemeiner  Natur,  dafs  lie  je  nach  den  Attri- 
buten jeden  beliebigen  Bifchof verliehen  könnte.  Ein  gewiffer  fabrikmäfsiger 
Betrieb  diefes  Grapengehterhandwerks  kann  aus  alledem  erfehen  werden 
um  fo  mehr,  da  auch  die  kleinen  Statuen  unter  der  Blendarkade  um  den 
Keffei  diefelben  in  beiden  Kirchen  find.  Die  Reihenfolge  ill  aber  in  der 
Ulrichskirche  folgende,  wenn  wir  mit  Chriili  Statue  beginnen  und  nach 
rechts  herum  gehen:  Chrillus,  Johannes,  Andreas , Simon  — es  ill  nicht 
mit  Gewifsheit  zu  fagen,  ob  diefe  Figur  Simon  oder  Thomas  fein  foll;  ob- 
wohl ihr  tlie  Beigaben  beider  lehlen  und  lie  llatt  deffen  ein  Schwert  hält, 
kann  fie  nur  einen  diefer  Apollei  darltellen,  tla  fich  die  übrigen  durch  ihre 
Beigaben  ziemlich  licher  beltimmen  laffen  — Jacobus  der  Altere,  Philippus, 
Matthäus  (?)  Mathias,  Judas  Thaddäus,  Jacobus  der  Jüngere,  Bartholomäus, 
Paulus,  Petrus,  Maria.  Die  Minuskelumfchrift  unter  diefen  F'igürchen  lautet 
hier  alfo: 

j fliio  t bni  < tu  1 rrrc  1 jrr  i jp  t mr  1 

lubolfus  1 na  ( brüryifc  / nbr  < rin  ( ronr  1 fjiriß  1 
tjr  1 ttlioft  ) fo  1 ntflflifiifliorrf!  t’ 

1 Wir  vc r weifen  auf  das,  was  über  diefe  Infchrift  bei  der  Bcfprcchung  des  Marktkirchen* 
kirffels  gefugt  ift,  namentlich  auch  bezüglich  des  . mf. 


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Altar. 


1Q0  DIF.  STADT  HALLE  ti.  d.  SAALKREIS. 

Auch  diofer  KefTel  iß  wie  jener  der  Marktkirche  anfangs  vergoldet 
gewefen  und  zwar  wohl  an  denfelben  Stellen,  welche  noch  heute  eine  Ver- 
goldung haben.  Die  jetzige  iß  indeflen  eine  Erneuerung  wahrfcheinlich  des 
17.  Jahrhunderts  und  durch  einen  Firnifs  von  folcher  dicken  Maße,  dafs  lie 
den  feinen  Linien  fchadet.' 

Wir  kommen  zu  der  Befchreibung  des  Altares.  SeinTifch  aus  Sand- 
ßein.  wie  es  die  Regel  will,  iß  vielleicht  noch  älter  als  der  Tauf kelfel,  nämlich 
vom  Jahre  1339  oder  doch  aus  den  nächßfolgenden  Jahren.  Des  nicht-. 
Vorderfeite,  durch  fünf  niedrige  Kleeblattbögen  in  Blendenmaafswerk  belebt, 
zeigt,  wenngleich  neuerdings  nachfcharrirt.  wohl  den  Stil  jener  Zeit,  eben  io 
die  Profilirung  der  Deckplatte.  Das  ehemalige  Grab  für  die  Reliquien  iß 
noch  erhalten  aber  jetzt  leer;  es  zeigt  hier  infofern  eine  abweichende  Form, 
als  vorn  ein  kleines  sigillum  liegt  und  nach  hinten  ein  ungewöhnlich 
grofses  daranßöfst,  während  unter  beiden  das  eigentliche  Loch  für  das  Rc- 
liquiengefäfs  gleich  grofs  iß.  Es  gewinnt  den  Anfchein,  als  habe  man  mit 
der  hinteren  grofsen  Marmorplatte  prunken  wollen ; vielleicht  lagen  unter 
ihr  die  Heiligthümer  der  alten  Ulrichspfarrkirche,  nachdem  diefelbe  ab- 
gebrochen war,  und  unter  der  vorderen  kleineren  die  des  Kl  öfters  der 
Marienknechte.  Aufserdem  iß  ein  verfchlofsenes  Loch,  von  hinten  in  den 
Altar  hineingehend,  belafsen  wohl  nicht  zur  Bergung  von  Reliquien.  Hinten 
auf  derTifchplatte  erhebt  lieh  über  der  Predella  ein  hölzerner  Wandl'chrein 
ein  Wandelaltar  mit  zwei  feiten2  und  zwei  beweglichen  Flügeln,  ge  fc  hm  Geht 
mit  Tafelmalerei  und  farbigem  Schnitzwerk  und  ebenfalls  mit  bemalter 
Holzfchnitzerei  bekrönt.  Die  Anordnung,  aus  der  die  Verwandlungen 
zu  erkennen  find,  iß  nun  folgende: 


1 Der  von  von  Dreyhaupt  erwähnte  gefchnitzte  Deckel  zu  dem  TaufgefäfsC,  welcher  wahr- 
fcheinlich  aus  dem  16.  Jahrhundert  flammte,  ift  nicht  mehr  vorhanden,  gleicherweife  der  eben 
da  erwähnte  Crucifixus,  der  vielleicht  dem  17.  Jahrhundert  angehürt  haben  wird  und  ebenfo 
merkwürdig  wie  widerwärtig  ausgefehen  haben  mufs. 

2 Es  ift  möglich  und  wahrfcheinlich,  dafs  diefe  feft  behenden  Klügcl  anfangs  beweglitb 
und  fo  an  der  Vorderkante  des  Schreines  angebracht  waren,  wie  die  äufscren,  beweglichen  Jet 
Altares  zu  St.  Moritz,  auf  deren  Aufsenfeite  ebenfalls  die  vier  grofsen  Kirchenlehrer  gemalt  find. 


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DIR  Sr.  ILR1CHSKIKCHK. 


IQI 


GefchlolTenPr  Zuftand: 


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1 

1 

1 

Verkündigung 

Mariae 

Gtburi 

Christi 

\ Anbetung 
! der  Könige 

Darrtellung 

iniTempd 

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1 

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Maria 

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1 

An  der  Predella  find  in  halber  Figur  auf  Holz  in  Oel  gemalt  die  BildnilTe 
von  Pechs  heiligen  Frauen  jede  mit  feiner  Goldkrone  auf  dem  Haupte.  Es 
lind,  wenn  wir  links  anfangen:  die  h.  Agnes,  an  einem  Lamme  vor  ihr 
erkennbar;  fie  blickt  in  ein  offenes  Buch,  welches  fie  hält.  Ihr  folgt  die 
h.  Margaretha  mit  einem  Kreuz  in  der  Linken;  darauf  kommt  die 
h.  Maria  mit  dem  Kindlein,  welches  ohne  Nimbus  ift;  die  folgende  ift  die 
h.  Dorothea,  fie  hat  vor  lieh  ein  Körbchen  mit  Rofen.  Die  vorletzte,  die 
h.  Urfula,  hält  einen  Pfeil,  und  die  letzte  ift  die  h.  Barbara,  kenntlich  an 
einem  Getängnifsthurme,  in  deften  Thür  ein  Kelch  mit  der  Hoftie  fteht,  weil 
ihr  das  Sacrament  von  einem  Engel  in  den  Kerker  gebracht  wurde.  Zu 
von  Dreyhaupt's  Zeit  ift,  wie  aus  feiner  Befchreibung  des  Altares  fich  er- 
giebt.  die  Predella  durch  drei  neuere  dem  17.  Jahrhundert  angehörige  Bilder 
verdeckt  gewefen,  die  jetzt  in  einem  Kirchftübchen  der  Südfeite  fich 
befinden. 

Der  Profpect,  den  der  Altar  bei  gefchlofTenem  Zuftande  feiner  beweg- 
lichen Flügel  darbietet,  fetzt  fich  aus  folgenden  vier  Bildern  zufammen: 
links  am  feftftehenden  Flügel  ift  Mariae  Verkündigung  gemalt.  Von 
links  her  naht  der  Engel  Gabriel  in  ehrfurchtsvoller  Haltung  der  Maria, 
die  rechts  vor  einem  Pulte  mit  aufgefchlagenem  Buche  fitzt.  Er  ift  in  ein 
weifses  Gewand  und  einen  rothen,  befetzten  Mantel  gekleidet;  er  ift  blond 
und  hat  mädchenhafte  Züge.  In  der  Hand  den  fcepterähnlichen,  oben  kreuz- 
förmigen I.ilienftengel  kündet  er  der  Jungfrau  den  himmlifchen  Grufs:  ÄVH 
MARIE  • GRATIA  • PL€I?Ä  • DOfllllPVS  ■ TedVfll,  welcher  zum  Theil 
lesbar  in  traditioneller  Weife  auf  ein  Spruchband  gefchrieben  fteht.  Diefesgeht 
von  feinem  Munde  aus  und  umfchlingt  das  Scepter.  Maria,  die  Linke  noch 
auf  dem  Buche,  wendet  fich  nach  ihm  um  und  erhebt  dabei  ein  Wenig  die 
Rechte.  Hier  wie  in  den  drei  anderen  Bildern  trägt  fie  ein  carminrothes 
augenfcheinlich  verblafstes)  Kleid,  einen  dunkelen  Mantel  undlofes,  blondes 
Haar.  Das  nächlle  Bild  auf  dem  linken  F'lügel  des  eigentlichen  Schreines 
zeigt  nun  die  Geburt  Chrifti.  Links  kniet  Maria  betend  über  dem  Kinde, 


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1Q2  IMF.  STADT  1IAI.IE  u.  d.  SAALKREIS. 


das  vor  ihr  auf  ihres  Mantels  Spitze,  — eine  Krippe  fieht  man  gar  nicht  — 
liegt  und  ganz  von  einem  goldenen  1 Ieiligenfcheine  hier  fo  paffend  in  der 
Form  der  Mandorla  umflrahlt  wird.  Hin  Goldreifennimbus  mit  Kreuz  um- 
giebt  aufserdem  noch  das  Haupt  des  Kindes.  Von  der  anderen  Seite  her 
kniet  auch  Jofeph,  ein  älterer  Mann  in  grauem  Kleide  und  rothem  Mantel 
und  beforgfam  ernfl  blickt  er  aul  den  Heiland  nieder.  Zwifchen  Maria  und 
ihm  wird  im  Hintergründe  ein  Efelskopf  fichtbar.  Hinter  Maria  treten  von 
links  zwei  Hirten,  der  erlle  mit  Kapuze  und  Tafelte  angethan,  in  die  Thür. 
•Sie  blicken  zu  den  drei  Engeln  auf,  die.  ein  Buch  haltend,  über  der  Scene 
fchweben  und  fingend  die  frohe  Botfchaft  verkünden.  Letztere  find  in  lange 
Gewänder  gekleidet  und  ihre  Flügel  zeigen  noch  ganz  gothifchen  Schnitt. 
Nun  folgt  auf  dem  nächften  Bilde  die  Anbetung  der  heiligen  drei 
Könige.  Inmitten  fitzt  die  Gottesmutter  und  hält  auf  dem  Schoofse  das 
Kind,  vor  dem  von  links  her  Cafpar,  der  ältefie  der  Könige,  entblöfsten 
Hauptes  anbetend  niederkniet.  Er  trägt  einen  rothen,  feitlich  gefchlitzten 
Talar,  unter  dem  eine  prachtvolle  Rüftung  zum  Vorfchein  kommt.  Vor  ihm 
liegt  feine  mit  goldener  Krone  umgebene  Mütze.  Ihm  gegenüber  fleht  der 
junge  Mohrenkönig  Melchior  und  hält  feine  Weihrauchl'pende  in  einem  kelch- 
artigen Gefäfse  von  Gold.  Sein  Aeufseres  macht  einen  fremdartigen 
Eindruck,  er  hat  fpitze  Sandalen  an  den  Füfsen,  enge  rothe  Bein- 
kleider, einen  weifsen  gemufterten  Mantel,  ein  dunkeles  fonderbar  häfsliches 
Geficht  und  über  einem  um  den  Kopf  gefchlagenen  Tuche  die  Krone. 
Hinter  Cafpar  fleht  der  dritte  König  Balthafar,  ebenfalls  mit  einem  kelch- 
artigen Behältnifs  in  den  Händen.  Eriflmit  einem  langen,  gemullerten  Mantel 
bekleidet  und  hat  über  einer  turbanartigen  Kopfbedeckung  die  Krone.  Die 
Darltellung Chrilli  im  Tempel  fieht  man  auf  dem  letzten  Bilde  desPro- 
fpectes.  Um  einen  altarartigen  Tifch,  der  auf  einer  Stufe  fleht,  teppichbehangen 
und  von  einem  weifsen  Tuche  überdeckt  ifl,  gruppiren  fich  die  Figuren;  vom 
links  fleht  Maria  mit  zufammengeleglen  Händen,  ein  weifses  Tuch  umhüllt 
ihren  Kopf,  auch  geht  der  Mantel  hinten  hoch  am  Kopfe  hinauf.  Hinter 
ihr  fleht  Hanna  und  Jofeph,  der  das  Taubenpaar  auf  den  Tifch  fetzt.  Hinter 
Jofeph  lieht  noch  eine  weibliche  Figur  (eine  Dienerin?)  Mitten  hinter  dem 
Tifche  lehen  wir  den  Hohenpriefler  mit  einem  Lichte,  ein  rothes  Koptband 
mit  hebräifcher  Auffchrift  umgiebt  fein  Haupt.  Neben  ihm  befinden  fich 
noch  drei  Schrittgelehrte  und  Priefter  mit  häfslichen  Gelichtern.  Vor  ihnen 
an  der  rechten  Seite  des  Bildes  bringt  der  greife,  bärtige  Simon,  bekleidet 
mit  roth  gemullertem  Mantel,  das  Kind,  welches  ohne  Nimbus  ifl,  dar:  an 
der  Tifchtuchkante  lefen  wir  feine  Worte: 

i?ai?a  • DimiTTis  • seRvam. 

Vorn  an  der  Stufe,  auf  welcher  alle  diefe  Figuren  liehen,  liefl  man  als 
die  Jahreszahl  der  Kntllehung  der  Bilder  I 1 / Ä I 8 f 8 I,  fie  ill  grofs  und  fo 
gemalt,  als  fei  fie  in  den  Stein  eingehauen.  Alle  diefe  vier  Bilder  haben 
einen  gleichartigen  architektonifchen  Hintergrund  in  der  Form  eines  ge- 
wölbten gothifchen  Chores;  durch  die  offenen  F'enller  fieht  man  ein  wenig 
von  unbedeutender  I-andfchaft  und  darüber  goldene  I.ult.  Die  beiden  mittleren 


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DIF.  ST.  ULRICHSKIRCHE. 


193 

Bilder  zeigen  ganz  vorn  im  Pflaßer  an  Stelle  eines  ausgehobenen  Steines 
eine  mehrblätterige  Pflanze,  angeblich  das  Zeichen  des  unbekannten  Malers. 

Auf  der  Rückfeite  der  beiden  feltßehenden  Flügel  find  die  vier  grofsen 
Kirchenlehrer  gemalt;1 2  auf  dem  nördlichen  Flügel  erblicken  wir  den  Papß 
Gregorius  im  Mantel  und  auf  dem  Kopfe  die  hohe  dreifache  Krone;  er 
hält  ein  Doppelkreuz  und  Buch.  Rechts  neben  ihm  fleht  Hieronymus  in 
feiner  rothen  Cardinaistracht,  der  cappa  magna,  und  mit  dem  gelerus  nuber 
auf  dem  Kopfe,  hier  mit  nicht  mehr  als  drei  Quarten  an  jedem  Kinnbande. 
Ein  Löwe,  der  an  ihm  auffpringt  und  zu  dem  er  niederfieat,  ifl  fein  Attribut. 
Die  Rückfeite  des  füdlichen  feilen  P'lügels  enthält  das  Bildnifs  des  Erz- 
bifchots  Ambro fius,  der  ein  Buch  mit  einem  runden  Gegenftande  hält, 
auf  dem  eine  Taube  fitzt,  er  blickt  in  das  offene  Buch  des  Bifchofs 
Auguftinus.  Beide  tragen  einen  rothen  Mantel,  eine  weifse  Mitra  und  den 
Hirtenftab.* 


Geöffneter  Zultand: 


Nach  derOeffnung  der  beweglichen  Flügel  erblickt  man  fowohl  in  den 
Flügeln  als  im  Schrein  lebensgrofse,  ho  Izgefc  h ni  tzt e St a tuen,  umrahmt 
von  kraufen  Schnitzornamenten  auf  Säulen;  den  Hintergrund  bis  zur 
Schulterhöhe  hinauf  giebt  ein  goldgemufterter  Teppich  ab,  darüber  ifl  ein 
blauer  Himmel  mit  goldenen  Sternen.  Die  Mitte  des  ganzen  Profpectes 
nimmt  ein  Maria,  auf  einem  Throne  zur  Rechten  Chrilli  fitzend, 
der  fie  fegnet  und  in  der  Linken  die  kreuzbekrönte  Weltkugel  hält, 
während  fie  die  Hände  betend  zufammenlegt.  Beide  tragen  hohe  Kronen 
auf  dem  Kopfe,  gemufterte  Kleider  und  wie  alle  anderen  Figuren  fchlicht 
goldene  Mäntel.  Man  bemerkt  an  der  Wand  des  Hintergrundes  drei  Engels- 

1 Dicfe  Bilder  find  nicht  mit  Firnifs  überzogen  und  bereits  ziemlich  unfeheinhar,  jeden- 
falls aber  der  Erhaltung  werth. 

2 von  Dreyhaupt  nennt  ftatt  Gregor  und  Ambrofius  den  Paplt  Clemens  und  den  Bifchof 
Wolfgang.  Warum  ift  nicht  erkennbar ; letzterer  pflegt  eine  Kiiche  oder  auch  ein  kurzes  Beil 
als  Beigabe  zu  haben,  und  Clemens  macht  fleh  als  fulcher  auch  nicht  kenntlich.  Ebcnfo  fehlt 
dein  h.  Auguftin  hier  das  durchpfcilte  Herz,  und  Ambrolius  hält  Attribute,  die  bei  ihm  un- 
gewöhnlich find.  Auch  unfere  Bcftimmung  ifl  mithin  nicht  ganz  licher. 

B.  D.  d.  Bau-  u.  Kunstd.  K.  F.  1.  1 j 


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104 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


köpfe  mit  Klügeln  über  der  zu  Maafswerk  durchbrochenen  Thronlehne. 
Neben  diefer  Gruppe  lieht  auf  jeder  Seite  ein  Bifchof  im  Ornat,  links  der 
h.  Ulrich;  er  war  Bifchof  zu  Augsburg  und  hält,  weil  er  in  den  Fallen 
Fleifch  in  Fifch  verwandelte,  zugleich  mit  einem  Buche  einen  Fifch.  Sein 
Mantel  iß  golden,  die  Dalmatica  gemuftert,  die  Alba  filbern  mit  rothem 
viereckigen  Befatz.  Rechts  lieht  der  h.  Ludger  (?)  mit  einem  Buche  in  der 
Linken.  Er  trägt  eine  goldene  Cafel,  dieMitra  und  den  K rumnillab.  Der 
linke  (nördliche)  P'lügel  enthält  links  die  h.  Katharina  mit  dem  Rieht- 
fchwert  und  mit  dem  vom  Blitz  zerfchlagenen  Rade  zuPüfsen.  Eine  Krone 
fchmückt  ihr  den  Kopf,  ihr  Mantel  ill  golden  und  ihr  Kleid  gemuftert.  Die 
andere  ill  wohl  die  h.  Genovefa:  fie  ill  ebenfo  bekleidet  wie  die  vorige 
und  mit  einer  Krone  gefchmückt;  ein  Buch  hält  fie  in  der  Rechten  und  in 
der  Linken  ein  Licht.  In  dem  anderen  Flügel  (füdlich)  befindet  Pich  links 
der  h.  V i c tor 1 (?):  er  ill  blond  und  bärtig  und  in  goldenem  1 lamifch,  über  dem 
nach  hinten  fein  Mantel  herab  lällt;  er  hält  einen  Schild  und  eine  Lanze.  Sein 
Nachbar  ill  der  h.  Moritz,  der  auch  in  voller  Rüllung  dalleht,  eine  I-an/e 
(wohl  P'ahnenftange)  und  einen  kleinen  Schild  mit  einem  Kreuz  darauf 
haltend. 

In  dem  holzgefchnitzten,  pyramidalen  Aufbau  über  dem  Schreine  lieht 
unter  Baldachinen  eine  Anzahl  kleinerer  Statuen,  mitten  die  gekrönte  Maria 
mit  dem  Kinde  auf  dem  Arme  und  das  Lilienfcepter  haltend.  Neben  ihr 
links  (vom  Befchauer)  die  h.  Barbara,  gekrönt  und  mit  dem  Ilollienkelche. 
Sie  lieht  ein  Wenig  niedriger  als  Maria  und  ebenfo  etwas  niedriger  auf  der 
linken  Seite  der  Maria  lieht  eine  weibliche  Heilige  mit  einer  Krone,  die 
aus  ihren  Beigaben,  einem  Schwerte  und  Buche,  nicht  beftimmt  zu  ermitteln 
ill.  Die  Gruppe  diefer  drei  Frauen  wird  auf  jeder  Seite  noch  durch  eine 
männliche  Figur,  die  wiederum  niedriger  als  jene  lieht,  abgefchloflen;  links 
ill  Mo  fes  mit  den  Gefetzestafeln  und  aut  der  andern  Seite  Johannes  der 
Täufer,*  zu  defTen  bis  zu  den  Knien  blofsen  Füfsen  das  Lamm  liegt;  feine 
Stellung  ill  äufserft  bewegt,  tlieatralifch.  Die  beiden  letztgenannten  Figuren 
haben  einen  flammenden  Nimbus.  Höher  im  Aufbau  über  der  Maria  lieht 
im  Mafsllabe  kleiner  C hriftus  mit  der  Dornenkrone  und  wiederum  über 
ihm  als  oberfter  Abfchlufs  des  Ganzen  noch  einmal  etwas  kleiner  Chrillus 
triumphirend  mit  der  Siegesfahne  in  der  Hand. 

Obwohl  man  aus  den  Darftellungen  am  Altäre  zwar  den  haupt- 
fächlichllen  Zweck,  die  Verherrlichung  der  Maria,  erkennt,  fo  ill  doch 
der  Gedankengang  nicht  überall  klar.  Vielleicht  lag  es  von  vornherein  gar 
nicht  in  der  Abficht,  einen  beftimmten  Gedanken  in  der  Zufammenflellung 
der  einzelnen  Heiligen  auszulprechen , fondern  nur  fie  durch  Aufftellung 
ihrer  Bilder  an  diefer  geweihten  Stelle  verehren  zu  können;  das  bezieht  fich 
auf  die  fechs  Heiligenbilder  der  Predella  und  alle  Sculpturen.  Mir  fcheint 

1 Nach  von  Drcyhaupt**  Angabe. 

2 Nach  von  Drcyhaupt’s  Angabe  wäre  es  „Chriflus  mit  dem  Evangclio“,  das  ift  nickl 
richtig,  weil  Mofes  und  Johannes  als  erfter  und  letzter  Prophet  eine  beliebte  ZufammeD' 
Heilung  bilden. 


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U1K  ST.  ULRICHSKIRCMK. 


•95 


indelTen,  dafs  in  der  Schreinbekrönung  anfangs  die  Maria  drei  mal  über 
einander  flehend  lieh  jedes  Mal  herrlicher  und  vollkommener  wiederholte  an 
Stelle  der  (zweimaligen)  Ge  Halt  Chrilti  (aus  protellantifcher  Zeit.)  Jetzt  ift 
unter  den  verfchiedenzeitigen  — darüber  wird  gleich  gefprochen  werden  — 

Figuren  kein  rechter  Zufammenhang.  Dagegen  ift  in  den  Gemälden  das 
Verdien (1  der  Maria  klar  und  umftändlich  dargethan,  und  auf  der  Rückfeite 
der  feftftehenden  Flügel  die  Ermahnung  an  die  Klofterbrüdcr  gerichtet,  den 
grofsen  Lehrern  der  Kirche  nachzufolgen. 

Die  Beurtheilung  des  Stiles  bezw.  des  Kunllwerthes  diefes  Altares  Slil  «"<•  "’«rih. 
iß  um  deswegen  erfchwert,  weil  fich  nicht  überall  beftimmt  fagen  läfst, 
welche  Stücke  bei  den  verfchiedenen  Renovationen,  die  der  Altar  erlebt 
hat  ..fonderlich  iCbo1',  verändert  worden  find.1  In  den  gefchnitzten  Ornamenten 
erkennt  man  folche  allerdings  unfehwer  an  dem  Charakter  der  Formen, 
trotzdem  die  erneuerte  blanke  Vergoldung  alle  gleichartig  überzieht.  Die 
Ornamente  im  Schreine  find  am  bellen  erhalten  und  von  grofser  Zierlichkeit. 

Auf  dünnen,  gewundenen  Säulen  zwifchen  den  Statuen  bildet  fich  über 
efelsrückenförmigen  Bögen  ein  maafswerkliches  Geflecht  aus,  in  welches  fich 
auch  naturaliftifche  Blätter  und  Zweige  einflechten.  „Die  Pelicane  in  denen 
Windflügeln,  fo  das  Wapen  Provinciae  Saxoniae  Ordinis  Servorum Mariae 
gewefen",  die  von  Dreyhaupt  erwähnt,  find  nicht  mehr  vorhanden,  folche 
finden  fich  aber  aufTälligerweife  im  Ornament  des  Moritzkirchenaltares.  An 
den  Scheidewänden  neben  der  Mittelgruppe  (Maria  und  Chrillus)  und  über 
diefer  find  fünf  baldachinüberdeckte  Plätze,  in  denen  anfänglich  fich  ver- 
muthlich  kleine  Statuen  befanden,  die  jetzt  aber  ein  Ornament  des  17.  Jahr- 
hunderts ausfüllt  in  der  Form  eines  Reliquienbehältniffes,  aber  aus  Holz 
gemacht  und  nur  für  das  Sehen  aus  der  Feme  berechnet.  Die  erwähnten 
drei  geflügelten  Engelsköpfe  an  der  Wand  hinter  diefer  Mittelgruppe  find 
ebenfalls  beftimmt  erft  aus  dem  17.  Jahrhundert  und  desgleichen  die  Laub- 
fägezierrathe  und  Knöpfe  im  Aeufseren  auf  den  Flügelrahmen.  Ob  das 
gothifche  aufgeheftete  Maafswerk  oben  in  den  Bildern  des  erllen  Profpectes 
alt  oder  fpäter  nachgemacht  ift,  mufs  unentfehieden  bleiben.  In  der  auf- 
gebauten Bekrönung  fieht  man  fogleich,  dafs  die  Baldachine  über  Mofes 
und  Johannes  plumpe  Nachahmungen  find,  während  das  übrige  zierlich 
gothifche  Schnitzwerk  wohl  alt  ift,  aber  fich  mancherlei  Umänderung  nament- 
lich vielerlei  Befeitigung  von  ganzen  Partien  hat  gefallen  laffen  müffen. 

Die  Statuen  im  Schreine  dürften  fämmtlich  alt  fein,  wenn  auch  mit  einzelnen 
neuen  Theilen  (Schwert,  Licht,  Lanze,  Kreuz)  und  neuer  Bemalung  und  Ver- 
goldung mancher  alten  Theile;  im  Aufbau  jedoch  find  nur  die  drei  weib- 
lichen Figuren  alt,  welche  noch  gothifche  Proportionirung,  die  conventionelle 
S-linienftellung  und  grofsfaltige  Gewandung  haben,  während  die  übrigen 
dafelbft  fowohl  durch  ihre  bewegte  Haltung  als  auch  durch  die  fehr  natur- 
richtige Bildung  des  Nackten  und  der  Gewänder,  fich  (fo  viel  man  erkennen 
kann  bei  dem  entfernten  Standpunkte)  als  gute  Arbeiten  der  RenaifTance 

1 In  der  Renovation  der  Heiligenfiguren  an  diefer  Stelle  und  zu  diefer  Zeit  bekundet  fich 
eine  Toleranz,  über  welche  man  fich  heute  leider  wundert. 


»3 


DIK  STADT  HALLS  u.  d.  SAAI.KRF.IS. 


iq6 

kennzeichnen.  Die  alten  Figuren  find  in  grofsartigem  Stile  gehalten,  wenn 
auch  in  den  F.inzelheiten  nicht  fo  durchgeführt  dafs  fie  als  vorzügliche 
Werke  der  Kunft  gelten  dürfen.1  Bei  allen  ift  noch  die  unnatürliche 
S-linienhaltung  angenommen  und  die  fpätgothifche  Proportionirung  durch- 
geführt; namentlich  wirkt  das  Verhältnifs  der  Körpertheile  bei  den  Frauen 
durch  viel  zu  hoch  liegende  Taillen  und  eine  dadurch  viel  zu  kleine  ßruft, 
über  welcher  dann  der  wohl  proportionirte  Kopf  fitzt,  anflöfsig,  wiewohl  der 
Künftler  auf  folche  Weife  das  Zarte,  Weibliche  zu  charakterifiren  in  Abficht 
hatte.  Glücklicherweife  verhüllt  diefe  zeitgemäfsen  Verftöfse  gegen  alle 
gefunde  Empfindungsweife  der  Mantel  fo  fehr,  dafs  'fie  in  ihrer  wahren 
Schärfe  nicht  leicht  gefehen  werden  können.  Die  männlichen  Figuren  haben 
gut  charakterifirte  Kopfe  und  befonders  die  der  beiden  Bifchöfe  machen 
einen  guten  Eindruck.  Chriftus  ifl  mager  und  nicht  fchön.  Die  Gefichtszüge 
der  Frauen  find  wefentlich  gleich  und  nicht  häfslich,  wenn  auch  nicht  eben 
fein  z.  B.  nicht  von  der  Feinheit  der  beiden  Marien  im  Altar  der  Moritz- 
kirche. Die  Gewandung  aller  ift  gut  und  noch  ohne  Knitterfalten.  Wir 
bezweifeln,  dafs  alle  Statuen  von  Anfang  an  einen  goldenen  Mantel  hatten, 
die  gemufterten  Kleider  werden  ihrem  Mufter  nach  in  urfprünglicher  Weife 
belaßen  fein.  Trotz  aller  Reilaurationen  haben  die  alten  Statuen,  wie  aus 
unferen  Bemerkungen  erfehen  wird  im  wefentlichen  noch  einen  gothifchen 
Charakter;  dafs  die  Formen  weniger  bizarr,  hingegen  fchmiegfamer  und 
weicher  find  als  die  der  Hochgothik,  kann  nicht  verkannt  werden,  von 
wirklichen  Anzeichen  der  Renaiflance  ift  jedoch  noch  nichts  zu  bemerken. 

Die  Gemälde  find  unverändert  geblieben.  Sie  find  auf  Holztafeln  von 
2,12®  Höhe  zu  1,13“  Breite  (im  Lichten  zwilchen  den  Rahmen  gemeflenl  in 
Oelfarbe  ausgeführt  und  wenn  auch  etwas  verblafst  bez.  verdunkelt  doch 
unbefchädigt,  ohne  Renovationszufätze  und  bis  in  die  Einzelheiten  gut  er- 
kennbar. Ihr  Stil  ift  dem  der  Sculptur  ähnlich,  befonders  der  Gefichtsaus- 
druck,  nur,  da  die  Farbe  dem  Maler  eine  gröfsere  Freiheit  in  der  Be- 
wegung geftattet  als  das  Holz  dem  Bildhauer,  ift  in  den  Bildern  eine  feinere 
Beftimmung  vornehmlich  der  Gefichtszüge  möglich  gewefen.  Uebrigens 
haben  die  Frauen  auch  hier  im  Wefentlichen  nicht  fehr  verfchiedene Köpfe, 
deren  fchlichter  Ausdruck  nicht  hervorragend  fchön,  aber  auch  nicht  häfslich 
ift.  Die  Männer  dagegen  find  je  nach  ihren  Eigenfchaften  vortrefflich  natur- 
wahr gezeichnet.  Wir  erinnern  an  das  beforgliche  Gefleht  des  Jofeph  in 
dem  Bilde  der  Geburt,  an  die  Hirten  ebendafelbft,  hauptfächlich  aber  an  die 
fprechend  wahren  Phyfiognomien  der  Priefter  auf  der  Tafel  mit  der  Dar- 
bringung Chrifti.  Wie  gefagt  ift  das  Material  von  Einflufs  aut  den  Stil,  aut 
welchen  Umftand  es  denn  auch  zurückzuführen  fein  mag,  wenn  in  den  Ge- 
mälden fowohl  die  Körperformen  als  auch  die  Bewegung  und  Haltung 


* Kuglet:  kl.  Schriften  II.  30  Tagt,  dafs  die  Schnitxwerke  „hoch ft  bedeutend“  feien. 
Wir  ftitnmcn  keineswegs  mit  ihm  durchweg  überein,  namentlich  nicht  darin,  dafs  er  meint , der 
Kindruck  des  Ganzen  fei  klar  und  harmonifch:  denn  die  Zuthaicn  aus  fpälcrcr  Zeit,  Figuren 
und  Ornamente,  verleugnen  ihren  fpatcien  Stil  nicht  und  disharmoniren  alfo  trotz  der  faibigen 
Uebereinftimmung  mit  jenen  urfprünglicheu  Stücken. 


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Sacramentsh.’luschcn. 


DIE  ST.  CT.RICHSKIKCHF.. 


IQ7 


weniger  unwahr  und  die  Falten  der  Gewandung  noch  weicher  erfcheinen 
als  in  den  Sculpturen.  Die  Farbenzufammenftellungen  find  hin  und  wieder 
vielleicht  etwas  hart,  im  Allgemeinen  aber  gut,  wenngleich  nicht  mit  dem 
Gefchmacke  gewählt,  der  fich  in  den  beiten  Bildern  des  Altares  der  Moritz- 
kirche gefchweige  denn  in  denen  der  Marktkirche  kundgiebt.  Die  Technik 
ilt  forgfamer  als  die  zu  St.  Moritz,  die  befonders  in  den  äufseren  Flügeln 
eine  (lottere,  leichtere  Pinlelfiihrung  zeigt  und  dabei  dennoch  falt  effectvoller 
ilt.  Die  Auffaffung  und  Behandlung  des  geiltigen  Stoffes  zeigt  mancherlei 
Abweichungen  von  dem  traditionellen  Arrangement.  Wir  können  hier  näher 
nicht  darauf  eingehen,  machen  aber  einige  Abweichungen  namhaft.  Vor- 
nehmlich tritt  in  der  Auffaffung  jeder  Scene  das  lliltorifche  Hark  hervor, 
woher  es  vielleicht  kommt,  dafs  die  F'iguren  aufser  dem  eben  geborenen 
l'hriltkinde  ohne  Heiligenfehein  find.  Allerdings  finden  die  Scenen  alle  in 
gleichen  Räumen  flatt,  die  mit  nichten  zu  einer  rein  hillorifchen  Auffaffung 
paffen  (Chor  einer  gothifchen  Kirche  anllatt  des  Stalles),  ln  diefer  Hinficht 
ilt  es  auch  auffällig,  dafs  das  Kind  nicht  aut  der  Streu  einer  Krippe,  die 
gänzlich  fehlt,  fondern  nach  der  Geburt  auf  der  Schleppe  Marias  liegt.  Der 
Meilter  fucht,  das  erkennt  man  hieraus  fowie  aus  der  Haltung  der  Figuren  etc., 
nach  Neuerungen,  doch  ohne  fich  felblt  fchon  über  das  Ziel  klar  zu  fein. 
Namentlich  ilt  der  Meilter  nicht  bekannt ; hat  er  auch  nicht  wohl 
beides,  Schnitzereien  und  Gemälde,  eigenhändig  ausgefuhrt,  l’o  tragen 
beide  doch  zu  fehr  übereinltimmende  Fiigenfchaften , als  dafs  wir  nicht 
denfelben  Geilt  und  diefelbe  Oberleitung  bei  der  Herllellung  darin  erblicken 
müfsten.  Der  Altar  wird  eben  aus  einer  jener  fabrikartigen  Werkftätten 
des  fpäten  Mittelalters,  in  denen  Maler  und  Bildhauer  befchäftigt  wurden, 
hervorgegangen  fein.  Den  Kunltwcrth  des  urfprünglichen  Werkes  mag 
man  erkennen,  wenn  man  bedenkt,  dals  fich  hier  eine  der  Renaiffance  fchon 
näher  kommende  Auffaffung  zeigt,  als  in  den  Bildern  der  inneren  Flügel 
zu  St.  Moritz,  welche  doch  um  mehr  als  zwei  Jahrzehnte  fpäter  entbanden, 
während  dann  bereits  nach  weniger  als  abermals  zwei  Jahrzehnten  die  Re- 
naiffance  in  den  Bildern  der  Marktkirche  fich  mächtig  durchgerungen  und 
prächtig  entfaltet  hat.  Nach  unferen  Erörterungen  dürften  der  Altar  zu 
St.  Ulrich  und  St.  Moritz  an  Kunftwerth  etwa  mit  einander  concurriren. 

Das  Sacramentshäuschen  Fig.  ill  nicht  nur  als  das  einzige  zu 
nennen,  deffen  Schmuck  fich  in  den  hallefchen  Kirchen  ziemlich  erhalten 
hat,  fondern  es  verdient  auch  eben  feiner  Ausbildung  wegen  Beachtung. 
Es  ift  ein  höchft  wunderliches  Gebilde  der  Kleinarchitektur  in  Sandftein  und 
könnte  in  lUliffifcher  Hinficht  gewiffermaafsen  als  ein  Gemifch  von  gothifchen, 
Renaiffance-  und  naturalillifchen  Formen  angefehen  .werden.  Nördlich  in 
der  erften  ftumpfen  Chorecke  erhebt  fich  über  fchlicht  vierkantigem  Steine, 
der  neu  ift  als  Erfatz  eines  wahrfcheinlich  reich  gegliederten  l-ufses  oder 
einer  Stufe,  ein  Baumftamm  mit  ganz  kurz  abgelagten  oder  abgefchnittenen 
Aeften  naturaliftifch  in  Stein  gehauen.  Zwei  Aefte  wiederum  mit  ab- 
gefchnittenen  Zweigen  gehen  feitlich  ab,  um  eine  der  beiden  vielgliederigen 
Säulen  aufzunehmen,  von  denen  das  verkröpfte  Verdachungsgefims  des 
eigentlichen  Schrankes  unterftiitzt  und  letzterer  fiankirt  wird.  Der  Schrank 


Sacramenls- 

häaschcn. 


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DIE  STADT  HALLE  »•  J-  SAAI.KKKIS. 


108 


liegt  bündig  im  Mauerwerk  der  etwas  abgeftumplten  Ecke  und  hat  eine 
halbrunde,  tifchartig  vorgekragte  und  von  dem  Hauptflamme  unterftützte 
Platte  vor  lieh,  deren  vielgliedrige  Profilirung  fich  auch  an  den  runden 
Zwifchenftücken  zwifchen  den  Säulen  und  den  unterllützenden  Aeflen  um- 
zieht. Die  Schranköffnung  ift  von  einem  Gewände  in  noch  halb  gothifcher 
Profilbildung  umgeben,  oben  das  Verdachungsgefims  tragend  und  flachbogig 
gebildet.  Ein  eifernes  Gitter  mit  vergoldeten,  zierlich  zu  Rosetten  aus- 
gebildeten  Knöpfen  Eig.  75  und  dahinter  eine  Eifenblechthür  mit  aus- 
gefchlagenen  Ornamenten  (Dreiblatt.  Kreuz)  in  Eeldern  dienen  als  Verfchluls 
der  Oeffnung.  Ueber  dem  Häuschen  fetzen  lieh  die  freigearbeitelen  Aefte 


fort,  theilen,  durchflechten  und  vereinigen  fich  wieder,  um  aufs  Neue  aus- 
einander und  durcheinander  zu  gehen  und  fchliefslich  im  Gipfel  zufammen 
zu  laufen  in  das  Nell  eines  Pelikans,  der  feine  Jungen  mit  dem  eigenen 
Blute  nährt.  Diefes  Symbol  findet  fich  neben  wenigen  anderen  gewöhnlich 
an  den  Sacramentshäuschen  und  ili  hier  gewifs  auch  mit  Bezug  auf  das 
Wappen  provinciae  Saxoniae  ordinis  Servorum  Mariae  angebracht.  Ift  nun 
auch  manches  von  der  gekünftelten  Arbeit  diefes  Schreines  zerftört  worden 
im  Laufe  der  Zeit,  fo  kann  man  fich  den  Totaleindruck  doch  noch  fehr  wohl 
vorftellen,  fogar  in  der  farbigen  Ausftattung,  die  lediglich  in  einer  ftellen- 
weife  angebrachten,  matten  Vergoldung  beftanden  hat. 

Da  hauptfächlich  die  Säulenform  und  die  Profilirung  der  Simsplatten 
unzweifelhaft  machen,  dafs  der  Meifter  der  erften  Renaiffancearbeiten  in 


F>g- 75- 


Gitter  der  Thür  des  Sacramenlshäuschens. 


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DIE  ST.  ULRICHSKIRCHE. 


99 


Halle,  deren  wir  in  der  Dombefchreibung  unitländlicher  Erwähnung  thun, 
auch  diefes  Saeramentshäuschen  verfertigt  hat,  — das  Entllehungsjahr  ill 
treilich  nicht  bekannt  — fo  können  wir  bezüglich  des  Stiles  auf  das  dort 
Gefagte  verweilen.  Einige  Worte  über  diefes  befondere  Stück  find  aber 
doch  nicht  überflüITig,  weil  hier  klarer  denn  je  fich  die  Art  des  Uebergangs 
zur  RenaitTance  und  zwar  durch  das  ZufammentrefFen  fcheinbar  von  ein- 
ander unabhängiger  Factoren  zeigt.  Wiewohl  derMeitler  etwas  Neues,  der 
Gothik  Entgegengefetztes  fchaflen  will,  bedient  er  fich  dazu  doch  unbewufst 
und  naturgemäfs  eines  Motivs  des  formbildenden  Ideenkreifes,  in  welchem 
er  während  feiner  Lehre  und  feiner  Gefellenzeit  gelebt  hat;  feine  Er- 
findung knüpft  alfo  unmittelbar  an  die  Formen  an,  welche  der  fpäteften 
Gothik  geläufig  find,  fucht  nun  aber  diefelben  d.  h.  ihren  geiltigen  Gehalt 
gewilTermaafsen  noch  zu  überbieten;  hatte  man  bisher  dürres,  todtes  Laub- 
und Allwerk  als  Vorwurf  zu  bauomamentalen  Sculpturen  genommen,  fo  geht 
unfer  Künlller  noch  einen  Schritt  weiter,  nimmt  unbedenklich  einen  ganzen 
Baum,  wie  ihn  die  Natur  gefchaffen  hat,  fchneidet  ihm  die  Blätter 
alle,  die  Zweige  bis  auf  wenige  ab,  verfchlingt,  verbindet,  trennt  kurz  ordnet 
folche  ganz  nackten  Aefte  und  Zweige  nach  feinem  Gefallen,  fetzt  hinein 
das  fchreinförmige  Behältnifs  des  Sacraments  und  als  Bekrönung  ein 
traditionelles  Symbol,  das  Nell  eines  Pelikans,  bildet  alles  getreulich  in  Stein 
nach  und  das  ill  fein  Kunllwerk.  Zu  folchem  Gebilde  kommt  dem  Künlller 
der  fymbolifch  darzullellende  Gedanke  in  jeder  Ilinficht  entgegen:  Das 
Leben  der  Serviten  fei  gänzlich  der  opferwilligen  Liebe  (Pelican)  geweiht, 
alle  anderen  Triebe  werden  befchnitten,  es  grünt  nicht  und  blüht  nicht,  ill 
traurig  und  freudlos.  Dadurch  aber,  dafs  der  Baum  — vielleicht  ein  Wein- 
llock  — das  Behältnifs  für  die  Himmelsfpeife  birgt,  ill  aut  den  Werth  eines 
folchen  entfagungsreichen  Lebens  hingewiefen.  Ueberhaupt  liegt  der  Dar- 
llellung  ein  tiefer  Sinn  zu  Grunde,  fie  ill  die  fichtbare,  bis  in  das  Einzelne 
wohl  durchdachte  Ermahnung  an  ein  gottfeliges  Leben  hier  auf  Erden. 

Die  Kanzel  diefer  Kirche  fordert  in  mehrfacher  Hinficht  Beachtung.  Kanzel. 
Gleich  ihre  Stellung  im  vierten  Joche  von  Wellen  her  an  der  Südwand  und 
ihr  Zugang  mittelll  einer  Thür  in  diefer  Aufsenmauer  aus  dem  Obergefchofs 
des  Klollerganges  find  merkwürdig.  Ihre  Vorgängerin  in  katholifcher  Zeit 
Itand  ihrem  Platze  gegenüber  an  einem  Pfeiler  der  Nordfeite.  Laut  einer 
Infehrift  über  ihrer  Thür  in  der  Kirche  ill  fie  1588  gemacht;  ob  diefe  Infchrift 
noch  aus  eben  diefem  Jahre  flammt,  ill  zweifelhaft;  fie  wird  wahrfcheinlich 
für  eine  ältere  hierher  gefetzt  fein,  als  1645  der  Schalldeckel,  der  „allzu 
fchmal"  war1  ganz  neu  gemacht  und  im  Uebrigen  die  Kanzel  fo  gründlich 
renovirt  wurde,  dafs  ihr  heutiges  Ausfehen  im  Wefentlichen  diefer  fpäteren 
Zeit  entfpricht.  Sie  belleht  fammt  dem  Schalldeckel  ganz  aus  bemalter  und 
vergoldeter  Holzfchnitzerei.  An  die  Wand  fich  lehnend,  fodafs  drei  Seiten 
ihrer  Achtecksform  fehlen,  wird  fie  von  einer  korinthifchen  Säule  getragen, 
welche  auf  einem  Pollamente  lieht  und  über  fich  Confolen  zur  Ueberleitung 
in  die  Kanzelbrüllung  hat.  Die  fünf  Seiten  des  unvolllländig  achteckigen 

1 Vergl.  von  Dreyhaupt  I.  1054. 


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200 


DTE  STADT  HAI.LF.  u.  d.  SAAI.KRFJS. 


Grundrifles  der  letzteren  find  durch  vorgekragte  Säulchen  gefchieden  und 
tragen  in  tiefer  liegenden  Bogenfeldem  Reliefbilder,  denen  jederfeits  noch 
eine  ausgekragte,  flügelförmige  Relieftafel  an  der  Wand  liegend  zugefügt 
ifl.  Und  fo  finden  lieh  hier  folgende  mit  Unterfchrift  > erfehene  Darftellungen, 
wenn  wir  links  beginnen:  am  Seitenflügel  die  Geburt:  Maria  und  hinter 
ihr  Jofeph  befinden  lieh  links,  das  Kind  liegt  in  einem  ftreugefüllten  Korbe, 
rechts  knien  zwei  Hirten  anbetend,  im  Hintergrund  flehen  Ochs  und  Efel. 
Das  erfte  Feld  an  der  Kanzel  enthält  den  Evangeliften  Matthäus,  er  hat 
einen  Stift  zum  Schreiben  in  der  Hand;  fein  Symbol  der  Engel  hält  einen 
Kelch.  Es  folgt  im  nächften  Felde  Marcus,  dem  der  Löwe  das  Buch 
trägt.  Als  mittleres  Kanzelbild  ifl  die  Kreuzigung  dargeftellt.  Neben 
dem  Kreuze  links  (alfo  zur  Rechten  Chrifti)  fleht  Mofes  (facies  cornuta)  und 
legt  die  Rechte  auf  ein  offenes  Buch,  aut  der  anderen  Seite  weift  Johannes 
der  Täufer,  halb  bekleidet,  mit  erhobener  Rechten  aut  den  am  Kreuze 
Hangenden  hin;  alfo  wie  am  Altäre  der  Ulrichskirche  findet  fich  auch  hier 
eine  Darftellung  des  erften  und  letzten  Propheten,  die  übrigens  unter  dem 
Kreuze  häufig  nicht  Vorkommen  dürfte,  und  dafelbft  vielleicht  erft  in 
proteftantifcher  Zeit  gemacht  worden  ifl.  Die  Unterfchrift  lautet  „Gefetz 
und  Evangelium.“  Unten  amFufse  desKreuz.es  fitzt  auf  einem  Todtenkopfe 
mit  Knochen,  dem  Befchauer  fich  zuwendend  eine  gänzlich  unbekleidete 
weibliche  Figur  mit  aufgelöftem  Haar.  An  eine  Perfonifieation  der  Erde  ill 
hier  wohl  diefer  Zeit  nicht  mehr  zu  denken,  indeflen  macht  die  unbefangene 
Haltung  diefer  Figur  auch  zweifelhaft,  ob  lie  Maria  Magdalena  fein  könne.1 
In  dem  nächften  Felde  fitzt  Lucas  der  Evangelift  mit  feinem  Symbol,  dem 
Stier.  Dann  folgt  der  Evangeliftjohannes,  mit  feinem  Adler  unter  einem 
Baume  fitzend.  Die  letzte  Darftellung  wiederum  an  einem  ausgekragten 
Flügel  ift  die  Auferftehung;  inmitten  fteht  Chriftus  fegnend  aut  feinem 
Grabe  und  von  Wolken  umwallt  ; neben  ihm  etwas  zurück  fchwebt  ein  weifs 
gekleideter  Engel,  auch  bemerkt  man  in  den  Wolken  Engelsköpfe,  drei 
Kriegsknechte  mit  lebhaften  Gellen  fahren  erfchreckt  empor.  Hinter  der 
Kanzelbrüftung  wird  die  Wand  neben  und  über  der  Thür  bis  zum  Schall- 
deckel von  Täfelung  bekleidet.  Ueber  dem  Thürfturz  find  zwei  Felder  mit 
je  einem  Wappen  und  den  Buchftaben  links  I R rechts  A S zu  fehen,  aufser- 
dem  vertheilt  lieh  auf  diefe  beiden  Felder  die  Jahreszahl  1588  dergeftalt.  dafs 
15  im  linken  88  im  rechten  floht.  Ueber  den  Feldern  fehen  wir  noch  zwei  tür 
eine  Kanzel  wohl  paffende  Bibelflellen.  Ob  die  Buchftaben  und  Wappen 
fich  aut  Donatoren  oder  auf  die  Verfertiger  beziehen,  ift  ungewifs.  Es  wäre 
jedoch  nicht  unmöglich,  obwohl  die  Täfelung  mit  Wappen  Zahl  und  Schrift 
den  F ormen  nach  erft  1645  entftand,  dafs  man  in  den  Buchftaben  I.  R.  jenen 
Meifter  wiederfände,  der  am  Gottesacker  und  den  Marktkirchenemporen 
nach  der  Mitte  des  16.  Jahrhunderts  gearbeitet  hat,  hier  aber  fich  in  Holz 
verflicht  hätte,  während  alsdann  mit  Ä S der  Name  des  Meifters  von  1645 
begonnen  haben  könnte. 

Der  Schalldeckel  von  der  der  Kanzel  entfprechenden  Grundrifs- 

1 von  Dreyhaupl  Tagt  es  fei  „ein  fündiger  Mcnfch.“ 


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DIE  ST.  IXRICHSKIRCHF.. 


201 


form  bildet  lieh  durch  ein  Gebälk,  welches  auf  den  Ecken  als  Bekrönung 
kleine,  graziöfe.  muficirende  Engel  und  zwifchen  denfelben  Kartufchenwerk 
trägt,  während  die  Unterficht  als  CalTette  mit  der  Sonne  inmitten  aus- 
gebildet ift.  Ueber  dem  Kran/.fimfe  erhebt  fielt  das  Dach  abfatzweife  und 
in  gefchwungenen  Linien  auch  mit  freien  Voluten  verziert;  auf  feiner  Spitze 
trägt  es  die  Figur  des  verherrlichten  Chriftus;  er  fitzt  auf  einem  Reifen, 
der  den  Regenbogen  darftellt.  unter  feinen  F'üfsen  liegt  die  Weltkugel  und 
fegnend  erhebt  er  die  Rechte.1  Unfere  Befchreibung  vervollftändigend  fügen 
wir  nach,  dafs  alle  Theile,  Podament,  Säulen,  Confolen,  Wandflächen, 

Simfe  u.  f.  w„  mit  Kartufchen  auf  das  Zierlichfte  und  Reichfte  ausgeführt 
lind ; und  nicht  genug,  dafs  die  Gliederungen  und  vegetabilen  Stücke  bis  in 
die  zarteften  Einzelheiten  fielt  tlteilen,  diefe  Einzelheiten  felblt  find  meill  noch 
weiter  verziert  mit  eingeritzten  Flach-  und  Bandmuftem,  welche  nur  in  der 
Nähe  erkannt  werden  können.  Die  ganze  Kanzel  ill  gefärbt.  Zwar  dominirt 
eine  tveifse  Grundfarbe  mit  goldenen  Ornamenten,  aber  diefe  duldet  neben  fich 
doch  noch  eine  folche  Menge  von  andersfarbigen  Knöpfen,  Rofetten  Spitz- 
quadern fowie  die  lichten  Farbentöne  der  Reliefs,  dafs  eine  immerhin  be- 
friedigende Wirkung  entliehen  möchte,  wenn  nicht,  fei  es  durch  den  I-'arben- 
lloff  felbft,  fei  es  durch  den  I.acküberzug.  jede  Feinheit  der  Sculptur  an 
Gebilden  in  fo  kleinem  Maafsflabe  verloren  gegangen  wäre. 

Einer  Erläuterung  des  erfichtlichen  Gedankenganges  der  Bilder  an 
diefem  proteftantifchen  Kunllwerke  bedarf  es  nicht. 

Ueber  den  Stil  bemerken  wir.  dafs  er  trotz  der  Zeitdifferenz  von  Stil. 
Kanzel-  und  Deckelherftellung  durch  die  Renovation  der  Kanzel  kaum 
verfchiedenartig  ift.  Es  fcheint.  als  ob  man  1045  fich  den  alten  F'ormen 
nach  Möglichkeit  angefchlofsen  habe,  wenigftens  find  andere  Werke  diefer 
Zeit  meill  fchon  bedeutend  barocker.  Die  Reliefbilder  find  in  ftrengen, 
edlen  Linien  gehalten  und  keineswegs  überftark  vortretend,  auch  werden 
di-  l’erfonen  nicht  mit  übertriebenem  Pathos  dargeftellt,  wie  es  z B.  fchon 
an  , en  vier  männlichen  Figuren  namentlich  den  beiden  oberen  der  Altar- 
bekrönung wahrgenommen  werden  mag. 

Der  Kun  ft  werth  der  Bilder  ift  nicht  zu  unterfchätzen,  weil  der  F'arben- 
überzug  jetzt  die  F'einheiten  der  Sculptur  verdeckt ; er  liegt  weniger  in  einer 
idealen  als  geiftreichen  Aulluftung  der  darzuftellenden  Gedanken  und  in  der 
gefchickten  und  (luftigen  Zeichnung  der  Details.  Letzteres  gilt  auch  von 
den  Ornamenten;  fie  find  meiftentheils  laubfägeartig  flach  und  nicht  eigentlich 
fie  felbft  fondern  aufgefetzte  Knöpte.  Quadern  u.  f.  w.  geben  die  Silhouette. 

An  dem  ganzen  Kunllwerke  zeigt  lieh  keine  Spur  mehr  von  Befchränkung 
nach  mittelalterlichen  Satzungen,  wohl  aber  dasBeftreben  die  nunmehr  über 
ein  Säculum  als  Richtfchnur  anerkannten  Schranken  der  Natur  fchon  wieder 
zu  durchbrechen. 

Im  Chor  der  Kirche  befinden  fich  einige  Epitaphien,  die  Interefte  Epitaphien, 
haben.  Das  bedeutendfte  unter  ihnen  ift  das  örtlichere  der  beiden  an  der 


1 von  Dreyhaupt  meldet,  dafs  hinter  ( hrifto  „in  einem  von  Wolken  vermengten  Sonnen* 
Uboa  der  Nähme  Jehovah"  gefunden  habe,  eine  Verzierung,  die  jetzt  nicht  mehr  vorhanden  ift. 


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202 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKKKIS. 


Südwand.  Es  ift  ganz  in  weifsem  Marmor  (AlabafterV)  mit  gelblichen  Figuren 
und  röthlichen  Säulen,  auch  mit  ftellenweife  angebrachter  Vergoldung  aus- 
geführt  und  bei  allem  Reichthum  der  feinen  Details  auch  höcltft  fauber  ge- 
arbeitet. Unten  fleht  man  über  einem  Todtenkopte  mit  F'lügeln  und  Stunden- 
glas (jetzt  abgebrochen)  auf  einem  fchwarzen,  ovalen  Medaillon  eine  goldene 
Infchrift,  die  nur  noch  ftellenweife  zu  lefen  ift.  Zu  jeder  Seite  daneben 
wird  von  je  zwei  Confolen  mit  Löwenköpfen  ein  Gebälkftück  getragen, 
delfen  weit  ausladendes  Kranzfims  mittelft  Verkröpfung  auch  über  der  In- 
fchriftstafel  durchläuft.  Den  Gebälkfries  über  den  Confolen  ziert  jederfeits 
eine  Kartufche  mit  einem  Wappen  darauf.  Das  Gefims  befteht  imWefeni- 
liehen  aus  einer  convexlinigen  Sima  mit  üppigfter  Verzierung  und  hat  nur 
ganz  unbedeutende  Unterglieder,  eine  F'orm,  die  vor  1600  kaum  Vorkommen 
dürfte,  dann  aber  fehl  beliebt  wird  (vergl.  den  Schalldeckel  der  Kanzel  in 
der  Moritzkirche).  Die  weite  Ausladung  des  Gefimfes  hat  zum  Zweck,  fünf 
freigearbeitete  F'igürchen,  drei  Männer  und  zwei  F'rauen,  im  Coftüm  der 
Zeit  und  in  knieend  betender  Haltung  zu  tragen.  Hinter  ihnen  baut  fich 
die  Architektur  in  dem  durch  die  beiden  Kröpfe  gegebenen  Schema  weiter 
auf.  Ueber  jedem  Kropfe  fteht  auf  einem  Pollamente  von  gefuchter  Zeichnung 
und  vor  einer  leeren  Nifche  eine  Säule;  lie  trägt  ein  verkröpftes  Architrav- 
ftück,  welches  mittelft  Confole  das  weit  ausladende  Gefims  darüber  ftüut. 
Die  Säule  vor  einer  Nifche  ift  ein  beliebtes  Motiv  der  RenaifTance,  fchon  in 
ihren  erften  Regungen  zu  Halle  kommt  es  vor  z.  11.  in  dem  ehemaligen 
Prunkfaale  des  Kühlen  Brunnen,  hier  aber  ift  die  Anordnung  durch  zwei 
Karyatiden  (Allegorien),  die  jede  Nifche  tlankiren  und  das  Gebälk  anPilailer- 
ftelle  tragen,  viel  prächtiger  gebildet.  Die  Mitte  zwifclien  diefen  beideD 
architektonifchen  Gruppen  nimmt  eine  reliefirte  Darftellung  der  Auf- 
erftehung  ein,  während  rechts  und  links  von  den  Gruppen  länglich  runde 
Medaillons  mit  Relieffüllungen  ausgekragt  find  und  zwar  links  „die  drei 
heiligen  F'rauen  zum  Grabe  Chrifti  gehend'*  rechts  „die  £r- 
fcheinung  des  Herrn  den  Jüngern  zu  Emaus."  Die  Gebälkkröpfe 
über  den  Säulen  haben  Nifchen-  und  Volutenbekrönung  und  ehemals  ohne 
Zweitel  einen  Figurenauffatz  als  Abfchlufs  gehabt;  letzterer  mufs  auch  über 
den  feitlichen  Medaillons  kleinen  Poftamenten  zufolge  als  F'igurenfchmuck 
vorhanden  gewefen  fein.  Am  Friefe  des  Mittelftückes  bemerkt  man  noch 
ein  Wappen.  Den  Abfchlufs  des  Ganzen  bildet  ein  fich  über  der  Mitte  er- 
hebendes, kartufchenumrahmtes  Medaillon,  welches  die  Himmelfahrt 
Chrifti  darftellt.  Das  ganze  Werk,  wenn  es  vielleicht  auch  fchon  vor  den 
ftrengften  Schönheitsgefetzen  nicht  mehr  beftehen  könnte,  ift  doch  noch  ein 
Kunftwerk  und  von  fo  hoher  Vorzüglichkeit,  dafs  es  in  der  That  weit  mehr 
Beachtung  verdient  als  man  ihm.  wie  den  Arbeiten  des  17.  Jahrhunderts  im 
Allgemeinen,  entgegenbringt.  Es  ift  aber  auch  noch  ganz  zu  Beginn  diele, 
Säculums  gemacht  worden,  da  der  Tod  Henning  Hammel ’s,1  dem  es 
Stil,  gewidmet  ift,  1602  fällt.  Die  Einzelheiten  der  Reliefs  find  zu  wenig  erkennbar 
an  dem  jetzigen  Platze  — zuerft  war  diefes  Epitaphium  über  der  „fchwarzen 


1 S.  von  Dreybaupt  11.627. 


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L)IE  ST.  IXKICHSKIKCHK.  20j 


Thür“  d.  i.  der  kleinen  Thür  in  der  Südwand  des  Hauptfchiffes  angebracht  — 
und  leider  auch  zu  fehr  zerftört.  als  dafs  eine  Detailbefchreibung  möglich 
wäre:  fo  viel  aber  läfst  (ich  fehen,  dafs  diefe  Stücke  von  aufserordentlich 
guter  Compofition  und  Ausarbeitung  find  und.  wiewohl  völlig  zu  Hochreliefs 
ausgemeifselt,  doch  das  richtige  Maafs  kaum  irgendwo  überfchreiten.  Maafs 
gehalten  hat  der  Künftler  auch  in  der  Darftellung  der  Bewegungen;  man 
mufs  geliehen,  dafs  die  Hand  eines  Meifters  fie  abgemeffen  hat,  der  freilich 
bis  an  die  Grenze  des  Erlaubten  zu  gehen  wagte,  aber  lie  doch  wohl  noch 
nicht  überfchritt.1  Genau  dasfelbe  gilt  von  den  architektonifchenGruppirungen 
und  Ornamenten ; es  find  üppige,  faft  überreiche  Gebilde,  fehbare  Superlative, 
aber  in  höchft  edlen  Verhältnifsen  durchgebildet  und  mit  Liebe  bis  in  die 
feinden  Details  ausgeftattet.  Um  nur  Eins  zu  nennen,  machen  wir  auf  die 
Kartufchen  aufmerk fam ; wohl  haben  fie  fchon  Anfätze  zu  jenen  unförmig 
kaldaunenartigen  Gebilden,  die  charakteriftifch  für  das  17.  Jahrhundert  find 
und  bei  einem  dicht  neben  diefem  Epitaphium  hängenden  zweiten  in  ihrer 
Häfslichkeit  vollauf  kennen  gelernt  und  zu  einem  intereflanten  Vergleich 
herangezogen  werden  können,  aber  wir  finden  ihre  Ausbildung  hier  noch 
nach  dem  Gefetze  des  Rhythmus,  der  Steigerung,  kurz  nach  Schönheits- 
regeln geordnet,  alfo  nicht  finnlos  d.  h.  formlos  wie  in  dem  nachbarlichen 
Stücke.  Hiernach  mag  der  Stil  und  der  Kunftwerth  des  Werkes  gefchätzt 
werden,  nachdem  wir  hinzugefügt  haben,  dafs  diefer  Architektur  doch  nicht 
im  Allgemeinen  das  Wort  geredet  werden  full,  weil  feiten  ein  Meilier  fein 
möchte,  deffen  Kunft  bei  fo  lebhaften  Aeufserungen  auch  gleicherweife 
Maafs  zu  halten  wüfste. 

Das  hierauf  zu  befchreibende  Epitaphium  ilt  foeben  fchon  erwähnt;  es 
befindet  (ich  an  derfelben  Wand  weltlich  neben  dem  genannten  und  befteht 
aus  veifsem  und  fchwarzem  Marmor  mit  röthlichen  Säulen  und  einiger  Ver- 
goldung, eine  Farbenzufammenftellung,  die  etwas  trifte  und  jedenfalls  härter 
wirkt  als  die  des  anderen  Werkes.  Auch  hier  ift  zu  unterft  ein  fchwarzes 
oval  s Medaillon  mit  goldener  Schrift;  zwei  hermenartige,  fifchfchwänzige 
Engel  rahmen  es  ein.  Darüber  folgen  Confolen  und  das  weit  ausladende 
Gefims  von  der  bekannten  flachconvexen  Profilirung  für  Figuren  bellimmt, 
die  jetzt  verfchwunden  find.  Während  fich  auf  diefes  Sims  zu  den  Seiten 
je  eine  gewundene  Säule  mit  Gebälkkropf  aufbaut,  bildet  fich  mitten  durch 
zwei  Figuren  auf  runden  Poftamenten  ein  Rifalit.  Die  fo  difponirte  Ar- 
chitektur dient  nun  mit  zahlreichen  Kartufchen  und  Ornamenten  als  Um- 
rahmung für  Reliefs,  die  fo  erhaben  gearbeitet  find,  dafs  fie  fich  ftellenweife  von 
ihrem  Grunde  zu  freien  Gebilden  ablöfen  und  den  Charakter  des  Reliefs  mithin 
illuforifch  machen.  Das  Hochbild  in  der  Mitte  ßellt  das  Martyrium  des 
h.  Laurentius  dar,  welcher  aut  einem  Rolfe  gebraten  wird.  Das  Bild 
rechts  foll  nach  Olearius  — jetzt  ift  die  Zerftörung  fchon  fo  arg,  dafs  man 
es  nicht  entziffern  würde — „die  Steinigung  Stephani",  links  St.  Johannes 


1 Allerdings  ifl  für  das  Erlaubte  und  Unerlaubte  hier  ein  anderer  Ma-if.flub  anzulegen 
wie  an  die  Werke  des  16.  Jahrhunderts:  werden  doch  auch  diefe  nach  andern  Kückfichtcn  be- 
attkiit  als  die  der  Antike. 


Zweites 

Epitaphium. 


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204 


DIE  STADT  HALLE  U.  d.  SAALKREIS. 


Hölzerne  Kefle 
von  Epitaphien. 


in  Oel  gefotten"  vorllellen  und  das  ganz  oben  befindliche  foll  „die 
ltiltoria  der  unfchuldigen  Kindlein“  fein.  Die  Unterfchriften  diefer 
Reliefs  theilt  Olearius  (Coemeterium  Hallenfe  S.  1O9)  ebenfalls  mit,  fie  find 
hier  ohne  IntereflTe.  Dagegen  ilt  noch  zu  erwähnen,  dafs  zahlreiche  Einzel- 
figuren auf  Confolen  und  Poftamenten  neben  und  über  den  Hochbildem 
Itehen  und  den  unruhigen  Eindruck  des  Ganzen  verftärken.  Neun  aufser 
kleineren,  rein  ornamentalen  Engelchen  haben  fich  erhalten;  vier  davon  füllen 
fcheinbar  die  Evangeliften  fein,  die  übrigen  haben  allegorifche  Bedeutung. 
Diefes  Epitaphium  hat  1O30  Laurentius  Hoffmann  für  fich  machen  lallen. 
Wir  wundern  uns,  diefer  Zeit  hier  noch  einmal  Darftellungen  zu  finden,  die 
fich  doch  eigentlich  auf  katholifche  Lehren  beziehen.  Da  Hoffmann'  in 
Italien  lludiert  hatte,  mögen  katholifche  Anfchauungen  bei  ihm  Eingang 
gefunden  haben  und  feines  Vornamens  wegen  mag  er  dem  h.  Laurentius 
befonders  als  feinem  Schutzpatron  zugethan  gewefen  fein.  Durch  die  An- 
bringung eines  folcherweife  gezierten  Kunllwerkes  in  der  proteftantifchrn 
Kirche  tritt  die  religiöfe  Toleranz  jener  Zeit  wieder  in  recht  intereffantrr 
Weife  zu  läge.  Schon  in  der  Befchreibung  haben  wir  auf  die  Verftöfse 
gegen  einen  guten  Stil  aufmerkfam  gemacht;  es  geht  daraus  hervor,  dafs 
das  Maafshalten  hier  nicht  mehr  llattfindet.  Sowohl  die  einzelnen  Figuren 
als  auch  die  der  Reliefs  find  von  fo  bewegter  Haltung,  dafs  fie  ein 
malerifches  Ausfehen  bekommen,  und  dasfelbe  gilt  von  der  Omamentation, 
in  der  von  Gefetzmäfsigkeit  nichts  mehr  zu  finden  ift.  Vor  allem  widert 
uns  an  das  weichlich  tormlofe  und  doch  bizarre,  gar  nichts  Tagende 
Schnörkelwerk,  welches  fich  mit  Gedärmen  am  beiten  vergleichen  läfst.  Die 
Kunft  ilt  hier  bereits  aul  erlchreckliche  Wege  gerathen  und  die  Itaunens- 
werthe  Bemeilterung  der  technifchen  Schwierigkeiten,  die  die  Ausarbeitung 
folcher  Reliefs  und  Schnörkel  fordert,  bietet  keinen  Erfatz  für  den  Rück- 
fchritt.  Wir  bewundern , aber  ohne  Begeilterung.  Wirkungsvoll  ift  die 
architektonifche  Gruppirung  trotz  der  vielen  widerlichen  Details,  ebenfo  die 
auf  den  Itärkften  Eindruck  berechnete  Compofition  der  Reliefs,  aber  es 
mifslällt,  dafs  das  Material  in  einer  feinen  Eigen  fchaften  unzulä  fügen  und 
übertriebenen  Weife  beanfprucht  ilt,  mit  einem  Worte  es  mifsfällt  die 
Künftelei. 

Aufser  diefen  Marmorepitaphien  lind  noch  Reite  von  einigen  hölzernen 
vorhanden.  Hinter  dem  Altarfchrein  und  zwar  an  ihm  felbli  hängt  ein  um- 
rahmtes Gemälde,  die  Taufe  darltellend;  es  ilt  vermuthlich  der  Reit  des 
Epitaphiums  Johann  Trautenbuhl’s  (oder  Trauterbuhl*)  welches  ehemals  über 
derSacriltei  hing  und  1587,  zwei  Jahre  nach  dem  Tode  diefes  Mannes  gemacht 
ilt.  Gegenüber  an  der  Oltwand  des  Chores  find  noch  zwei  lnfchrifttafeln 
mit  Kartufchenwerk  aufgehängt,  ebenfalls  die  Ueberbleibfel  von  Epitaphien. 
Rechts  ilt  das  Balthafar  Brunner’s,3  der  1610  geftorben  ilt  und  links  das 


1 S.  von  Drcyhaupt  1 1 . 640. 

2 S.  von  Drcyhaupt  1 1 . 740. 

3 S.  von  Drcyhaupt  ll.  595. 


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IMF  ST.  Ur.RICHSKIRCIIE. 


205 


von  Georg  Laurea.1  welches  der  eben  genannte  Brunner,  fein  Schwieger- 
fohn.  ihm  hat  fetzen  laffen.  Aus  diefem  Umftande  erklärt  fich  die  Aehn- 
lichkeit  beider  Bruchtlücke:  die  Ornamente  find  flott  gezeichnet,  doch  fchon 
zu  barock,  auch  ift  die  Technik  nicht  mehr  fo  vorzüglich  wie  zu  Ende  des 
vorhergegangenen  i(>,  Jahrhunderts. 

Anden  Wänden  hängen  noch  verfchiedene  Portraitsin  Oel  von  Paftoren  Portraits. 
und  Gelehrten  feit  dem  17.  Jahrhundert.  Der  Kunftwerth  derfelben  ift  zwar 
verfchieden,  aber  wohl  nicht  ganz  ohne  Bedeutung. 

Schliefslich  kommen  wir  auf  die  fchon  genannten  Bilder  der  Predella  Abendmahl  von 
zurück,  die  im  Jahre  1661  gemalt  find  und  bis  in  die  neuefte  Zeit  die  jetzt  Heller, 
nieder  fichtbaren  alten  Heiligenbilder  verdeckt  haben.  Ein  Gemälde  ßellt 
das  Abendmahl  dar  und  wird  wie  diefelben  Bilder  der  Moritz-  und  Markt- 
kirche von  Johann  Volkmar  Heller  gemalt  worden  fein,  weil  auch  hier 
Portraits  der  Kirchenvorfteher  und  Prediger  zu  den  Gelichtern  der  Jünger 
verwendet  worden  find;  ein  eigentlicher  Kunftwerth  ift  dem  Bilde  nicht 
beizulegen. 

Man  fieht  in  den  Kirchenftübchen  verfchiedene  lederüberzogene  Seffel,  Stühle, 
die  als  kunßgewerbliche  Arbeiten  nicht  zu  unterfchätzen  find.  Das  Leder 
ift  durch  Prellung  verziert  worden  und  zwar  find  es  zumeift  Wappen  mit 
reichlichem  Laubwerk  umgeben,  die  als  Motive  dienen,  aber  auch  Engelchen 
und  Bänder  mit  Sprüchen  wie  z.  B.:  die  Gnadenkrone  bey  Gott  zum  lohne, 
bemerkt  man.  Die  Entftehungszeit  diefer  Lederarbeiten  reicht  von  der 
fpäteren  Renaiflance  bis  zum  Rococo. 

Bekannt  ift  zu  Halle,  dafs  die  Ulrichskirche  in  ihren  heiligen  Gefäfsen  Gcfäfse. 
das  fchönfte  „Gefchmeide"  befitzt  unter  den  drei  alten  Pfarrkirchen.2  Hat 
fie  folchen  Ruf  auch  in  erlb-r  Linie  einem  unfehätzbaren  Kelche  des  17.  Jahr- 
hunderts zu  verdanken , fo  würden  doch  vielleicht  auch  fchon  ihre  anderen 
Geläfse  als  meift  vorzügliche  Arbeiten  der  Goldfchmiedekunft  hinreichen, 
ihr  diefen  Ruf  zu  fichern.  Das ältefte Stück  ift  ein  fpätgothifcher  Kelch 
aus  vergoldetem  Silber  mit  einem  fechsblätterigen  Eufse,  welcher  von  einem 
aulrecht  flehenden  Bande  belebt,  mit  einem  Maafswerksmufter  umgeben 
wird.  Ein  frei  gearbeiteter  Crucifixus  ift  dem  Eufse  als  Signaculum  auf- 
geheftet. Unter  und  über  dem  Nodus,  welcher  ziemlich  platt  ift,  durch- 
brochenes Maafswerk  als  Füllung  feiner  Fifchblafenzierrathe  hat  und  an 
der  Vorderfläche  feiner  fechs  Zapfen  die  Buchftaben  des  Wortes  i ? S II  S 
trägt,  befindet  fich  ein  Band  von  flach  erhabenem  fpätgothifchen  Blätter- 
werke. Die  Cuppa  ift  glatt.  Eine  Patena  mit  Signaculum  und  ein  fiebartiger 
Löffel  gehören  zu  ihm. 


' S.  von  Dreyhaupt  1 1.  657. 

2 Und  zwar  nach  folgendem  Reime,  aus  welchem  man  das  fchöne  „Teutfch"  beurtheilen 
möge,  welches,  wie  Zeillcrus  (in  feinem  itinerario  Geimaniac  MDCXXXII)  pag.  145  fchreibl.  in 
diefer  Stadl  geredet  wird: 

„St.  Moritz  hat  das  fchönfte  Gebäude, 

St.  Marien  das  fchünHc  Gcleutc, 

St.  Ulrich  das  fchunftc  Gefchmeide.*' 


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ftölffis 


I 


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DIE  ST.  ULRICHSKIRCHE. 


207 


Der  Zeit  nach  folgt  eine  gut  vergoldete  Hoftienbüchfe  aus  Silber. 

F'ig.  75  und  76.  Ihre  runde  Form  ift  oben  und  unten  von  unbedeutenden 
Gliedern  um/.ogen.  Der  Deckel  ift  ganz  platt  mit  einem  elegant  geformten 
Knopfe  inmitten,  auf  dem  eine  mit  einem  Fufse  kniende,  unbekleidete 
Kinderfigur  als  Bekrönung  angebracht  ift.  Da  ihr  die  Hände,  und  was  (ie 
darin  gehalten  haben  mag,  fehlen,  fo  läfst  fich  ihre  Bedeutung  nicht  mehr 
erfehen.  Sowohl  um  die  Gefäfswandung  als  auch  imKreife  auf  dem  Deckel 
ift  ein  Bandgefchlinge  mit  Ranken  in  der  Niellomanier  des  Peter  Flötner 
eingravirt , in  welchem  Ornamente  fich  feitlich  und  oben  je  drei  umkränzte 
Rundtheile  jedes  mit  einem  Crucifixe  eingravirt  befinden.  Unter  dem  Boden 
lieft  man  in  einem  von  zwei  concentrifchen  Kreifen  gebildeten  Bande: 

DIE  • ZEIT  • DIE  • ALTER  • LEVTTE  ■ DAVIT  • KOGE  • HANS  . 

SCHMIT  -10  5.830. 

Im  Deckelinneren  ift  ein  ornamentumkränztes  Bild,  die  Hochzeit  zu  Cana 
darftellend,  eingravirt;  die  Gruppirung  in  demfelben,  nicht  aber  feine  Zeich- 
nung ift  zu  loben. 

Die  Weinkanne,  Fig.  77,  78,  79  und  80,  die  jetzt  zu  befchreiben  ift,  Kanne, 
gehört  mit  der  eben  genannten  Büchle  in  die  gleiche  Zeit,  wiewohl  auf  der 
Infchrift,  die  fie  trägt,  fich  gerade  die  Zahl  ihrer  Verfertigung  verwifcht  hat, 
fodafs  fie  mit  Sicherheit  nicht  mehr  datirt  werden  kann;  jedenfalls  ift  fie  der 
Ornamentation  nach  aus  derfelben  Werkftatt  hervorgegangen,  aus  welcher 
die  Büchle  ftammt;  der  Name  des  Meifters  ift  leider  unbekannt  geblieben. 

Ueber  einem  kräftigen  und  originell  profilirten,  runden  Fufse  fleht  ein 
vafenartiger  Hals,  über  welchem  alsdann  das  eigentliche  Behältnifs  von 
becherartiger  Form  mit  unten  einem  Harken  Wülfte  fich  aufbaut.  Die  Gefäfs- 
form  zieht  fich  oben  ein  wenig  ein,  um  darüber  mit  einem  fich  verbreiternden 
Rande  abzufchliefsen,  an  welchem  einerfeits  ein  kleiner  Ausgufsanfatz. 
andererfeits  der  Griff  befindlich  ift.  Der  Deckel,  mit  einigen  Ausbauchungen 
verfehen.  ift  flachgebogen  und  hat  in  feiner  Mitte  denfelben  Knopf,  wie  die 
vorbefchriebene  Hoftienbüchfe.  Ein  Crucifixus  bildet  die  Bekrönung.  Aufser- 
dem  befindet  fich  an  der  oberen  Endigung  des  Griffes  die  reliefirte  Dar- 
ftellung  der  Dreieinigkeit;  Gott  Vater,  ein  langbärtiger,  alter  Mann  mit 
einer  hohen,  (tiaraförmigen)  Kronenmütze  aut  dem  Haupte,  fitzt  auf  einem 
prächtigen  Throne  mit  reiflichen  Engelsfiguren  und  hält  einen  Crucifixus 
vor  fich,  auf  dem  oben  eine  Taube  befindlich.  Diefe  Darftellung  ift  fahr 
glücklich,  fie  erinnert,  wenn  man  von  den  fpeziell  chriftlichen  Symbolen  z.  B. 
dem  Crucifixe,  der  Mütze  Gott  Vaters  u.  f.  w.  abfieht,  ftark  an  die  heidnifche 
Auffaffung  der  Statue  des  thronenden  Zeus  z.  B.  der  chryselephantinen 
Statue  von  Phidias  zu  Olympia,  von  der  wir  freilich  nur  Befchreibungen  und 
variirende  Copien  haben.1  An  dem  Bauche  des  Behältniffes  lieht  man  drei  von 
erhabenen  Kränzen  umgebene,  runde  Reliefs,  das  eine  ftellt  eine  fitzende  Figur 
dar,  die  in  der  Rechten  eine  Wagfchale,  in  der  Linken  ein  blankes  Schwert 


1 Diefelbe  Daiftcllung  an  einer  gleichzeitigen  Kanne  ilcr  Keumaiklkirchc  Ul  etwas 
kräftiger  modellirt. 


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Z08 


DIR  STADT  HALLE  u.  SAALKREIS. 


\C\ 


i; 


hält,  das  andere  zeigt  eine  Figur  mit  einem  runden  Gegenflande  (Kugel 
Apfel r)  in  der  Hand,  zu  ihren  Seiten  bemerkt  man  je  eine  Kindergellalt 
die  Figur  des  dritten  Rundftückes  hält  einen  Kelch  mit  Oblate  in  der 
Hand  und  vor  ihr  liegt  ein  Kreuz.  Hin  viertes  Relief  von  runder  Form, 
das  eine  diefen  dreien  gleiche  Conception  hat,  befindet  lieh  im  Inmren 
des  Deckels  und  zeigt  eine  aut  oder  vor  einem  Löwen 
Hg-"8-  fitzende  Figur,  die  in  den  Armen  das  obere  Stück 

einer  Säule  hält,  während  um  den  unteren  Säulentheil 
der  neben  ihr  lieht,  lieh  eine  Schlange  windet.  Diele 
offenbar  allegorifchen  Bilder  licher  z.u  deuten,  ver- 
mag ich  nicht ; in  der  erft  genannten  wird  jedoch  die 
Gerechtigkeit,  in  der  dritten  der  Glaube  perfonificirt 
worden  fein.  Oben  auf  dem  Kannenfufse  fehen  wir 
als  knopfartig  vortretende  Rundtheile  die  vier  Evan- 
gelillen  mit  ihren  Symbolen  reliefirt.  An  der  Kanne 
kommen  aufserdem  noch  eine  Anzahl  Figuren  vor,  fo 
zwifchen  Gefäfs  und  F'ufs  Hermen,  am  Behältnifs  und 
auf  dem  Deckel  Köpfe,  am  Griffe  unten  als  Endigung 
ein  hiibfcher,  geflügelter  Frauenkopf,  darüber  nach  aus- 
wärts zwei  unbekleidete  Figuren  in  Nifchen  flehend  mit 
verfchiedenen  faunartigen  Masken  dazwischen,  alle  diele 
jedoch  dürften  irgend  welche  allegorifche  oder  fymbolifche 
Bedeutung  nicht  haben,  hindern  lediglich  ornamentaler 
Natur  lein , wie  lie  denn  auch  zumeiil  mit  dem  Kar- 
tufchenwerk,  von  dem  beinahe  alle  gröfseren  Flächen 
überzogen  werden,  auf  das  Inniglle  zufammengehrn. 
Die  Zeichnung  der  Kartufchen  ill  fchon  etwas  wild  oder 
wenigflens  falopp  ausgeführt,  doch  veriäfst  die  Modellirung 
die  Fläche  nur  in  einigen  Fruchtbündeln  und  Masken, 
die  ein  kaum  nennenswerthes  Relief  bekommen  haben. 
Zweimal  ill  eine  Ausnahme  gemacht  worden;  man  ficht 
an  dem  Hälfe  zwifchen  Fufs  und  Behältnifs  und  at. 
der  Aufsenfeite  des  Henkels  Hochreliefs.  Indefien  hier- 
für erklärt  fich  der  Grund  fogleich;  man  lieht,  der  Meilier 
Goldfchmidt  war  auch  ein  feinfinniger  Künfller  in  feinen. 
Handwerk:  denn  es  find  gerade  diefe  Theile  nicht  glatt, 
weil  an  ihnen,  die  für  die  Handhabung  beftimmt  lind, 
die  Finger  weniger  leicht  abgleiten  (ollen.  Das  Yer- 
lländnifs  des  Meifters  für  eine  Ililgemäfse  Bildung  der 
Kunftform  d.  h.  für  diejenige  Bildung,  welche  vornehm- 
lich den  Eigenfchaften  des  Materials  und  den  An- 
forderungen des  Zweckes  Rechnung  trägt,  läfst  lieh  noch  mehrfach  zeigen 
z.  B.  an  der  Ornamentirung  des  Fufses,  der  mit  einer  einfachen,  (Irene 
rhythmifch  geordneten  Verzierung  anfängt  und  dann  von  einer  breiten, 
gänzlich  fchmucklofen  Zone  umgeben  wird,  wodurch  fich  das  Ausfehen  aut 
das  wirkungsvolllle  hebt,  ferner  an  der  zweckentfprechenden  Form  des  Bi- 


ll 


Vordcranficht  des 
Griftes  der  Wcinkannc. 


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niE  ST.  ULRICHSKIRCHE. 


2og 


hältniffes,  fowie  überhaupt  an  dem  Contur  der  Kanne,  allein  es  mufs  ge- 
nügen , hier  ohne  ein  weiteres  Eingehen  darauf  hinzuweifen,  wie  fruchtbar 


L'ig,  79. 


Deckel  «ler  Weinkanne. 


es  fein  wird,  aus  diefen  äflhetifchen  Gefleht spunkten  die  Kanne  eines  ein- 
gehenderen Studiums  zu  würdigen.  Es  erübrigt  noch  hervorzuheben , dafs 
B.  D.  d.  Bau-  u.  Kunful.  N.  F.  I.  14 


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DIE  STADT  HALLE  u.  <1.  SAAl.KKP.tS. 


210 


auch  die  plafiifchen  Stücke  lammtlich  von  fchöner  Zeichnung  und  Modellirunir 
find  bez.  gewefen  find;  denn  durch  die  Benutzung  haben  gerade  diefe  viel 
gelitten.  Eine  Infchrift  findet  fielt  unter  dem  Eufsrande  eingravirt;  fie  heilst: 

DIE  • ZEID  • DIE  • ALDERLEVDE  • DAVID  • KOGE  • HANS  • 
SCHMID 

Das  Letzte  der  Infchrift,  ohne  Frage  die  Jahreszahl,  ift  leider  bis  zur  Un- 


Fit:  80. 


kenntlichkeit  abgefcheuert.  Auch  diefe  Infchrift  bezeugt,  dafs  die  Kanne 
in  der  Entftehungszeit  der  HolVienbüchfe  alfo  um  1580,  ob  nun  einige  Jahre 


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die  st.  ijlkichskirche. 


21! 


fpäter  oder  früher  ift  ohne  Belang,  angefertigt  iß.  ln  kunftformaler  Hinficht 
ift  fie  eine  der  fchönllen,  vielleicht  die  fchönfte  in  Halle,  und  ficherlich  ein 
würdiges  Vorbild  für  ähnliche  kunftgewerbliche  Arbeiten  der  heutigen  Zeit. 

Das  werthvollfte  aller  hallefchen  Kirchengeräthe  ift  der  eipaillirtc  Emailkelch, 
goldene  Kelch  nebft  zugehöriger  goldener  Patena  diefer  Kirche, 
weniger  allerdings  durch  den  abfoluten  Kunftwerth  als  vielmehr  durch  die 
llaunenswerthe  technifche  i.eiftung,  die  die  Herftellung  erfordert  hat.  Die 
Form  lehnt  lieh  wie  die  aller  Kelche  des  17.  Jahrhunderts,  dem  er  angehört,  an 
die  voraufgegangene  mittelalterliche  an,  wird  jedoch  nicht  edler,  fondern 
erhält  durch  Abfchleifung  der  Kcken  und  fcharfen  Kanten  einen  wefentlich 
weicheren,  ja  plumperen  Charakter.  Hierdurch  ift  nicht  gefagt,  dafs  der 
Fufs,  Schaft,  Knauf  und  die  Cuppa  unter  einander  im  MifsverhältnilTe 
liehen  müfsten , im  Gegentheil  diefe  MafTenvertheilung  ift  eine  durchaus 
glückliche,  nur  die  Einzelheiten  find  weniger  fchön.  Kin  breiter,  fechs- 
blätteriger  F'ufs,  aus  einem  Plättchen,  dann  einem  Harken,  doch  mart  pro- 
filirten  Wülfte  und  wiederum  einem  Plättchen  beftehend,  geht  mit  concaver 
Biegung  in  einen  fechsfeitigen  Stilus  über,  an  dem  der  nicht  fehr  Harke 
und  etwas  plump  runde  (gegenüber  dem  mittelalterlichen  ziemlich  platten) 

Nodus  mit  fechs  Zacken  dergeftalt  fitzt,  dafs  unter  und  über  ihm  durch  je  zwei 
l’chwach  erhabene  Rundftäbe  ein  Band  eingerahmt  wird,  gleichfam  die  Ver- 
bindung des  Knaufes  unterleits  mit  dem  Fufse,  oberfeits  mit  der  Cuppa  ver- 
iinnbildlichend.  Die  Profillinie  der  Cuppa  ill  unten  rund  und  geht  dann 
jederfeits  fo  in  eine  Grade  über,  dafs  beide  mit  einander  divergiren.  Diefe 
Form  des  Kelches  hat  nun  eine  Ausfchmückung  von  vielfarbigem  Glas  Aufs 
bekommen,  die  in  der  That  unfere  Bewunderung  in  hohem  Grade  erweckt. 

Der  Wulft  des  Fufses  ift  mit  zwei  gleichen  Bandmotiven  fo  umzogen,  dafs 
zwifchen  denfelben  noch  ein  breiterer  Streif  verbleibt,  auf  dem  man  die 
Worte  lieft: 

Nehmet  hin  Und  trincket  Das  Ist  das  Blut  Unsers  Herren  Jesu 

Christi  für  Euhre  Sünde  in  Todt  gegeben. 

Auf  drei  F'ufsblättern  ift  je  ein  Frucht  bündel  in  üppig  Her  F arbenpracht  und 
basreliefartiger  Ausbildung  angeordnet,  auf  den  drei  anderen  mit  jenen  in 
abwechfelnder  Ordnung  fieht  man  je  ein  Wappen  mit  der  Unterfchrift  derer, 
denen  diefelben  zugehören,  nämlich: 

— ANNA  RAVSCHEN BACHIN  — ANNA  SEIFFARTIN  - MATH/EVS 

MVLLER  OBERBORNMEISTER. 

Noch  eine  Infchrilt  erwähnen  wir,  die  ganz  unten  am  Rande  des  Fufses 
lieht  und  fall  nur  mit  der  Lupe  gut  zu  fehen  ift;  fie  befteht  aus  dem  hallefchen 
Stadtwappen  mit  den  beiden  Buchilaben  C • K . Nun  ziehen  lieh,  als  Mitte 
die  Kanten  des  Schaftes  annehmend,  blaltreiche  Ranken  empor  bis  an  das 
Band  unter  dem  Knaufe,  welches  auch  mit  Blattwerk  gefchmückt  ill.  Der 
Knauf  felber  trägt  an  den  emaillirten  Vorderfiächen  feiner  fechs  Zapfen, 
die  quadratifch,  nicht  wie  an  den  gothifchen  Kelchen  breiter  als  hoch,  find 
und  die  zur  Wagerechten  übereck  liehen,  in  Gold  die  Buchilaben  des  Namens 

•4* 


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212 


H1F.  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


[£S  VS,  fodafs  aul  jedes  Feld  ein  Buchllabe  kommt  und  das  feehfte  Feld  noch 


für  ein  Kreuz  mit  der  Jahreszahl  iOj4  in  diefer  Anordnung 


verbleibt 


Der  Knauf  ifl  übrigens  unterhalb,  wohin  kaum  ein  Blick  fallen  kann,  mit 
wenig  Blattwerk,  hingegen  oberhalb  wie  der  F'ufs  wiederum  mit  den  Üppiglien 
basreliefirten  Fruchtbündeln  geziert.  Auch  das  Band  zwifchen  Knauf  und 
Cuppa  hat  wie  das  entfprechende  am  Schafte  unter  dem  Knaufe  etwas 
Blätterfchmuck.  Die  Cuppa  felber  trägt  die  wohl  am  fchönften  gezeichneten 
Ornamente.  Es  find  vier  in  der  fenkrechten  Richtung  ovale  Medaillons 
zunächll  mit  einem  Bande  umzogen  und  weiter  nach  aufsen  mit  einem  Krame 
von  immer  verfchiedenen,  vielblumigen  Ranken  eingefafst.  Zwifchen  diefen 
Gruppen  lleigt  überall  eine  fich  nach  ohen  verbreiternde  Ranke,  ebenfalls 
an  Blumen  und  Blüthen  reich,  auf,  fo  jedoch,  dais  zwifchen  jedem  Medaillon 
und  ihr  ein  unornamentirter  gleichbreiter  Streif  verbleibt,  wie  denn  auch 
der  ganze  Ornamentgürtel  der  Cuppa  nach  oben  gegen  den  Rand  und  nach 
unten  gegen  den  Schaft  einen  gewilTen  Ab  Hand  von  gleicher  Breite  bewahrt. 
Dem  glatten  Charakter  der  Cuppa  entlprechend  tritt  auch  ihre  Emailver- 
zierung nicht  eigentlich  reliefartig  vor  die  Fläche,  fondern  ifl  derfelben  nur 
dünn  autgemalt.  ln  den  Medaillons  find  Gegenltände,  die  in  der  Leidens- 
gefchichte  Chrifti  eine  Rolle  fpielen,  und  die  Marterwerkzeuge  dargellellt. 
ln  einem:  Schweifstuch,  Beutel,  Silberlinge,  Kanne  und  Becken;  in  einem 
anderen:  der  Hahn  auf  der  Säule,  Schwert,  Ohr,  Ruthe,  Spiefs,  Stange. 
Fackel,  Laterne  und  ein  mir  nicht  erklärlicher  Gegenftand;1  in  dem  dritten 
Kreuz  (der  Titulus  ir.ri  ift  nur  angedeutet  nicht  gefchrieben)  I^eiter.  Spiefs 
Schwamm,  Zange,  Hammer,  Nägel;  in  dem  letzten;  Dornenkrone,  Rock. 
Würfel  und  Kelch  mit  Oblate. 

Der  Befchreibung  des  Kelches  möge  gleich  die  der  Patena  folgen. 
In  ihrer  Gellalt  weicht  auch  das  Oblatenfchüffelchen  von  der  diefer  Zeit 
allgemein  üblichen,  einfachen  Tellerform  nicht  ab.  Zierrathe  finden  fich 
ausfchliefslich  auf  feinem  Rande,  und  fie  find  nur  eingedrückt  aufser  dem 
Signacu  um , welches  wieder  in  farbenprächtigem  Schmelz  ausgeführt  ill. 
Das  Randornament  belicht  in  folgender  lnfchrift,  die  von  drei  Wappen  in 
gleichen  Ablländen  unterbrochen  wird: 


Nehmet  hin  und  esset  das  ist  der  Leib  Jesu  Christi  für  Eure  Sünde 
in  den  Todt  ge  — . 

Ktben. 


MM  OB 

Dem  einen  Wappen  find  die  Buchllaben  A R,  dem  anderen  ^ 

dem  letzten  A S hinzugefügt.  Auch  an  der  Patena  finden  fich  nebll 
dem  hallefchen  Stadtwappen  die  Buchllaben  C K und  zwar  an  der  Unter- 
reite eingeflempelt. 


1 L.  Hildenhagen  halt  ihn  in  der  Extrabeilage  des  Hallefchen  Tageblattes  (als  Beilage  tu 
No.  28  des  Anzeigers  für  die  cvangelifchcn  Gemeinden  der  Stadt  Halle  und  des  Saalkrcifc*) 
für  eine  umgeftürzte  Papftkrone  (tiara?). 


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1J1F.  Kl.  IIKICIISKIKCIIK. 


DieGedanken,  welche  fielt  in  den  bildlichen  Darllellutigen  am  Kelche 
auslprechen  füllen,  bedürfen  einer  weiteren  Erklärung  nicht ; findet  man  doch 
genau  diefelben  Gedanken  in  Bildern  an  den  Gefäfsen  diefei  Zeit  mit  Vor- 
liebe wiederholt,  auch  find  fie  hier  keineswegs  in  irgend  einer  befTeren  Weife 
vorgetragen  als  gewöhnlich.  Wenn  1 lildenhagen  in  feiner  Befchreibung  des 
Kelches  (flehe  oben  die  Annt)  meint,  der  Künlller  habe  mit  tief  religiöfem 
Gefühle  „vorherrfchend  Todten-  und  Baflionsblumen,  auch  Nelken“  gemalt, 
fo  bezweifle  ich  doch,  mögen  auch  die  Blumenformen  mit  den  genannten 
Blumen  zumeill  Aehnlichkeit  haben,  ob  derzeit  bereits  eine  Blumenfprache 
oder  Symbolik  in  Anwendung  der  Blumen  ausgebildet  gewefen  ill,  auf  Grund 
deren  der  Künlller  hier  feine  Auswahl  getroffen  hätte.  Zuerfl  fleht  im 
Widerfpruch  damit,  dafs  zugleich  auch  die  reizvollflen  Gebinde  der  volle 
Lehensluft  athmenden  Blumen  und  Früchte  als  „Aepfel,  Birnen,  Ananas, 
Melonen.  Kirfchen.  Vergißmeinnicht.  I.ilien,  Tulpen“  Vorkommen,  und  dann 
dafs  man  neben  den  vielen  Naturalismen  doch  ebenfo  viele  Detailformen 
lieht,  die  noch  der  ftreng  flilgemäfsen  Art  der  helfen  deutfchen  Renaiflance 
entfprechen  und  mithin  kaum  etwas  mit  wirklich  in  der  Natur  vorkommenden 
Gebilden  zu  thun  haben.  Diefe  Todten-  und  I’aflionsblumen  und  Nelken 
lind  meines  Trachtens  mehr  das  aus  der  fpätgothifchen  Zeit  überkommene 
Granatäpfelmoliv  in  feiner  allmählichen  mannigfachen  Umgeftaltung : das 
ganze  Ornament  hat  überhaupt  mit  Ausnahme  der  Fruchtbündel  in  feiner 
Maffenvertheilung  und  felbfl  in  der  Weichlichkeit  der  Rankenlinien  mit  den 
fpätgothifchen  manches  gemein;  feine  Details  natürlich  find  artmuthiger, 
weniger  fcharf.  aber  ebenfo  mit  naturaliftifchen  Elementen  durchfetzt. 

Wir  haben  hierdurch  bereits  angefangen  den  Stil  der  Ornamentik  Sill, 
zu  charakieriliren  bezüglich  der  Zeichnung,  die  hier  durch  die  Färbung 
eigentlich  erll  fchön  wird.  Ja  daskann  man  wohl  fagen,  denn  die  Erfindung 
der  Zierrathe  würde  ebenfo  wenig  wie  die  der  ganzen  Kelchform  unter 
lnt-refTe  in  befonderem  Maafse  erregen  ohne  diefe  colorilfifchen  Zuthaten, 
welche  allerdings  überreichen  Frfatz.  bieten  für  die  weniger  vorzügliche 
Ornamentcompofition.  Wir  fagen  damit  nicht,  dafs  die  Compofition  unfchön 
ill,  fondern  nur,  dafs  lie  lieh  über  das  Niveau  derjenigen  diefer  Zeit  kaum 
erhebt  und  dafs  in  diefer  Zeit  die  Zeichnung  felbfl  der  bellen  Ornamente 
nicht  mehr  auf  der  hüchllen  Höhe  Hellt,  fodafs  eine  üppigere  Colorirung 
wie  zum  Erlätz  dafür  gewilferntaafsen  nöthig  wurde.  So  wird  denn  auf 
Köllen  der  F'ormen  die  F'arbe  bevorzugt,  ein  Umfland,  der  allerdings  zu 
mufterhaften  Farbencompofit tonen  führt,  indeffen  dem  oberflen  Gefetze  der 
Schönheit  zuwiderläuft.  Die  Blüthezeit  der  Renailfance  war  eben  fchon 
vorüber  und  daher  war  wie  zu  allen  Verfallszeiten  bedeutender  Kunflepochen 
das  Beftreben  vorhanden,  durch  Quantität  die  Qualität  zu  erfetzen.  Hier- 
durch hat  es  gefchehen  können,  dafs,  wie  auch  fl.  Heydemann  in  feiner 
Befprechung  des  Kelches1  fehr  richtig  bemerkt,  der  Maafsllab  für  die 

1 H.  Heydemann  in  I.iitzow’s  Zeitfchrift  für  bildende  Kunft  1882  S.  207.  Dafelbft  findet 
lieh  auch  eine  Abbildung  dt  » Kelches  und  einiger  Details  der  Ornamentik.  Eine  Abbildung 
fleht  auch  in  Ortwein:  Deuifche  Kcnaiffance,  Heft:  Halle. 


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214 


I>IE  STADT  HALLE  u.  d.  SAAI. KREIS. 


Technik  <lcs 
fcmails. 


Ornamentation  zu  klein  angenommen  ift.  Und  das  ift  das  zweite  Bedenken, 
welches  wir  hier  der  Meinung  gegenüber  ausfprechen  müden,  als  hätte  man 
es  mit  einem  Kunstwerke  erden  Ranges  zu  thun.  Gerade  der  verfehlte 
Maafsdab  macht  uns  klar,  dals  der  Verfertiger  bereits.  — ein  Symptom  des 
Verfalls,  — die  Kündelei  für  die  Kund  gehalten  hat. 

Um  uns  hiervon  völlig  zu  überzeugen,  id  es  nöthig,  noch  einige  Worte 
über  die  Technik  zu  Tagen.  Von  den  verfchiedenen  Arten  des  Emails 
find  hier  drei  zur  Verwendung  gekommen:  i.  der  G rubenfchmelz , email 
cloissonne,  (Nodus/.aplen,  Signaculum  der  Patena,  doch  könnte  man  letzteres 
auch  als  Zellenfchmelz  anfehen,  fodafs  wir  alsdann  fogar  vier  Arten  hätten' 
2.  der  Kelieffchmelz,  email  translucide  (die  durchfichligen  Blätter  und  Blumen 
am  Fufs,  Knauf  und  an  der  Cuppa),  3.  der  limoliner  Schmelz,  email  limousin, 
(die  undurchfichtigen  reliefartig  aus  der  Fläche  tretenden  Fruchtbündel  und 
Blumen).  Man  fieht.  dem  Verfertiger  find  eben  alle  Schinelzarten  bekannt 
und  geläufig  gewefen,  ein  Umlland,  der  ihn  von  vorn  herein  als  einen  der 
tüchtigften  Leute  feines  Faches  erfcheinen  läfst.  Sieht  man  lieh  nun  fein 
Werk  in  Hinficht  auf  die  technifche  Ausführung  an.  fo  will  es  uns  kaum 
glaublich  dünken,  wie  es  möglich,  eine  fo  durchaus  untadelige  Arbeit  in  fo 
kleinem  Maafsfiabe  herzuflellen , und  was  noch  mehr  Tagen  will,  in  diefem 
Stoffe  fo  nach  Belieben  die  teinllen  Farbennüancirungen  mit  Sicherheit 
hervorzubringen.  Denn  gerade  dies  ift  dem  Verfertiger  fomeifterlich  geglückt, 
dafs  es  vielleicht  überhaupt  kein  Stück  giebt,  an  dem  diefe  fchwierige 
Technik  in  gleich  tadellofer  und  umfangreicher  Weife  nachweisbar  ift.  Und 
in  diefer  llinficht  zollen  wir  dem  Werke  auch  unfere  höchfte  Bewunderung, 
jedoch  mit  dem  Bedauern,  dafs  fo  viel  Mühe,  die  faft  nur  unter  der  l.upe 
völlig  erkannt  werden  mag,  allerdings  wohl  unter  Firftaunen  erregen,  aber 
das  Herz  nicht  erwärmen,  uns  nicht  begeiftern  kann.  Und  gewiflermaafsen 
weil  man  die  Lupe  gebrauchen  mufs,  damit  es  möglich  lei,  den  F’leifs  und 
das  Gefchick  des  Fierftellers  anzuftaunen,  kann  die  künftlerifche  Aut- 
faffung  und  Conception  über  das  gewöhnliche  Maafs  nicht  hinausgehen  d.  h. 
eine  folche  fein,  die  nicht  allein  den  Geift,  fondern  vielmehr  die  Sinne  ge- 
fangen nimmt.  Wir  halten  es  für  geboten,  an  diefer  Stelle  den  wahren 
Werth  der  Kunftleiftung.  die  diefer  Kelch  bietet,  um  fo  mehr  uns  klar  zu 
machen,  als  derfelbe  bei  weitem  überfchät/t  zu  werden  pflegt,  weil  man  ihn 
für  den  Werth  der  allerdings  einzig  daftehenden  technifchen  Leiftung 
nimmt.  Diefe  hat  in  der  That  unfehätzbaren  Werth,  und  keineswegs  etwa 
nur  für  den  Liebhaber,  der  Unica  fammelt,  fondern  für  die  gefammte 
WifTenfchaft  und  Kunft,  die  ein  lntereffe  daran  nehmen  mufs,  dafs  die 
Technik  der  Emailmalerei  nicht  verloren  gehe,  fondern  uns  in  folchen 
Stücken  erhalten  bleibe,  an  denen  lie  das  Vollkommenfte  geleiftet  hat. 

Was  wir  noch  über  den  Kelch  zu  Tagen  haben  ift.  dafs  die  drei  Wappen 
die  des  Donators  und  feiner  beiden  Frauen  find.  Wie  aus  chronicalen  An- 
gaben erhellt,  hat  Müller  das  Gold,  „fo  er  an  goldenen  Ketten  und  andren 
Gefchmeide  von  feinen  3 (wohl  ein  Druckfehler  für  2)  Weibern  ererbet  " 
wie  von  Drevhaupt  Ichreibt,  zu  dem  Kelche  und  der  Patena  hergegeher 
Die  unverblümte  Art,  in  der  er  fein  Andenken  dafür  auf  feinem  Gefc henke 


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IUE  ST.  IMUCHSKIKCHE. 


2>5 


hat  verewigen  laffen,  wirft  ein  interefTantes  Licht  vielleicht  weniger  auf  ihn 
als  auf  feine  Zeit;  und  ebenfo  charakteriftifch  ift  andererfeits  die  iibor- 
befcheidene  Art,  in  der  der  Verfertiger  des  Kelches  auftritt;  denn  auf  ihn 
find  die  Buchftaben  C K bei  dem  hallefchen  Stadtwappen  zu  beziehen,  wie 
fich  aus  einem  amtlichen  Inventarium  der  Kirche  vom  Jahre  1668  erweifen 
läfst.  aus  welchem  wir  glücklicherweife  auch  den  vollen  Namen  des  braven 
Goldfchmiedes  kennen  lernen.  Es  heifst  dafelbll;  der  Kelch  „ift  zu  Malle 
allhier  von  K . . . . Knitteln  Goldfchmieden  gemacht  worden.“  Ueber 
diefen  Io  tüchtigen  Mann  ift  leider  weiter  nichts  bekannt.  Hildenhagen  fagt. 
dafs  er  wahrfcheinlich  ein  Schüler  von  (r.  Strauch  in  Nürnberg  fei,  doch  ift 
darüber  nichts  nachgewiefen , fodafs  wir  uns  einftweilen  damit  begnügen 
muffen,  feinen  Namen  zu  kennen. 

Eine  filberne  Kanne  in  der  im  1;.  Jahrhundert  gewöhnlichen  Seidel-  Amlere  Oefifse 
lorm  mit  Ausgufsanfatz  hat  unter  letzterem  nebil  einem  Wappen  die  Infchrift:  uml  l,e,a'll< 

„Arnold  Christoph  Neffe  D.  Anno  1668“  und  ift  werthlos. 

Eine  ähnliche,  aber  kleinere  K anne  von  Silber  trägtauf  dem  Deckel 
die  Jahreszahl  1673. 

Ein  filberner  Crucifixus  von  1675  hat  auch  keinen  Werth. 

Das  Ende  des  Jahrhunderts  hat  der  Kirche  noch  einige  gute,  beachtens-  Barocke 
werthe  Stücke  geliefert;  zuerft  nennen  wir  ein  mächtiges  Tautbecken,  raiiffchaalc. 
welches  von  Silber  mit  ftellenweifer  Vergoldung  gemacht  ift  und  0,65  “ im 
Durchmeffer  hat.  Sein  Rand  zerfällt  in  zwei  fchinale,  glatte  Streifen  und 
einen  breiteren  mit  üppiglter  Ornamentik,  der  von  jenen  beiden  eingerahmt 
wird.  Der  äufsere  fchmale  Streif  ift  gewellt  oder  etwa  fo  unregelmäfsig 
geknickt,  wie  untere  Frauen  den  Kleiderbefatz  falten;  wir  finden  an  gleich- 
zeitigen Arbeiten  (Kanne)  zu  St.  Lorenz  in  Halle  diefelbe  Weife.  Der  breite 
Miltelftreit  hat  zwifchen  feinen  fehr  kräftig  vorgetriebenen  vegetabilen 
Ornamenten  vier  ovale  Medaillons  mit  Bibelfprüchen,  während  der  fchmale 
zweite  Streif  folgende  Infchrift  trägt: 

Dem  Allerhöchsten  Gott  zu  Ehren  und  der  Kirchen  zum  Zierath, 
hat  Herr  Christoff  Sander,  Raths  Verwantder  und  Pfänner 
100  Rthl.  und  eine  Gott  bekante  Weibs  Person  20  Rthl.  Wie 
auch  die  Sei;  Fr.  Margrets  Hambsterin  32  Rthl.  und  die  Sei; 

Fr.  Catharina  Heinin  35  Rthl.  aus  guten  Gemüthe  zu  diesen 
Silbern  Giesskan  und  Tauffbecken  Ver  Ehrt,  das  übrige  aber  die 
Kirche  zu  St.  Ulrich  alhier  in  Halle  Von  ihren  eignen  Mitteln 
dazu  gethan  A 1682. 

Den  Boden  verziert  ringsum  ein  erhabener  Kranz  als  Rahmen  zu  der  Relief- 
darftellung  inmitten,  der  Taufe  Chrifti.  Chriftus  fleh*,  mit  einem  Schurz 
bekleidet  im  Jordan,  Johannes  kniet  rechts  mit  einem  Beine  auf  das  Ufer- 
geftein  und  träufelt  ihm  mitlelft  hohler  Hand  das  Walter  auf  den  Kopt;  er 
hält  in  der  andern  Hand  ein  Kreuz  mit  Fahne  (?).  Unweit  liegt  ein  Lamm 
mit  einem  Engelchen:  auch  zwei  Schriftgelehrte  (?)  liehen  als  Zufchauer  auf 
diefer  Seite  etwas  zurück,  der  eine  ift  bärtig  und  angethan  mit  einer  turban- 


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2 |6 


Dil  STAUT  MAIXfc  u.  d.  SAAI.KKKIS. 


artigen  Kopfbedeckung,  der  andere  tränt  eine  Mütze  und  bürgerliche 
Kleidung.  Auf  dem  gegenüberliegenden  Jordanufer  halten  zwei  grofso  und 
zwei  kleine  Engel  das  Handtuch  bereit,  Ueber  der  Scene  lieht  Gott  Vater 
als  Greis  mit  der  Weltkugel  atts  den  Wolken , unter  denen  die  Taube  von 
Strahlen  umgeben  fchwebt.  So  kraus  die  ornamentalen  Formen  im  Einzelnen 
auch  find,  fo  wirken  fie  doch  durch  ihre  wohl  abgewogene  MalTenvertheilung 
gut ; gleicht  rweife  ilt  das  Reliefbild  von  guter  Compofition  und  auffälligerweife 
haben  die  Eiguren  keine  befonders  theatralifchen  Stellungen,  wie  man  diefer 
Zeit  erwarten  follte.  Es  verlieht  lieh,  dafs  die  Harke  Silhouette  des  Beckens 
keineswegs  zweckentfprechend  ill  und  darin  liegt  ha  upt  fachlich  der  geringere 
Kunftwerth  diefes  barocken  Erzeugnifses  in  Vergleich  zu  den  Arbeiten  der 
IIochrenailTance  begründet. 

Ttaiocke  Kanne.  Wie  aus  derfelben  E'ormengebung  hervorgeht,  gehört  zu  diefem  Becken 
eine  filberne  und  theilweife  vergoldete  Kanne.  Ihr  runder  Eufs  verbindet 
lieh  mittelll  eines  kräftigen  Schaftes  dem  Behältnifse.  welches  etwa  eiförmig, 
jedoch  im  Grundrifs  nicht  rund,  fondern  in  der  Richtung  zwifchen  Henkel 
und  Ausgufs  etwas  oval  ill.  Ein  Wappen  am  unteren  Ende  des  Griffes  ill 
ohne  lnfchrift.  Der  Deckel  hat  einen  gewellten  Rand  und  belleht  wie  der 
Eufs  hauptfächlich  aus  einem  Harken  Wul He.  An  inm  fowie  an  dem  Gefäfs- 
bauche  lieht  man  wiederum  volles,  llark  erhabenes  Pflanzenornament,  in 
dem  lieh  jederleits  ein  in  der  Senkrechten  ovales  Medaillon  für  eine  Dar- 
Heilung  auslpart.  Man  fleht  einerfeits  die  Verkündigung.  Maria  (itzt 
links  hinter  einem  Pulte  und  hält  in  der  Rechten  ein  auf  demfelben  liegendes 
offenes  Buch,  während  fie  die  Linke  betroffen  auf  die  Brüll  legt.  Sie  blickt 
geradeaus  auf  den  Engel  Gabriel,  der  ihr  in  Diaconenkleidung  naht  und  den 
l.ilienfiengel  reicht:  flrahlen verbreitend  fchwebt  die  Taube  darüber,  ein 
llärkerer  Strahl  fällt  herab  auf  Maria.  Man  bemerke  wohl  den  wefent- 
lichen  Unterfchied  der  Aufladung  diefer  biblifchen  Scene  im  17.  Jahr- 
hundert von  der  im  15.  Auf  unferem  Bilde  wendet  Maria  dem  Engel  nicht 
den  Rücken  zu,  um  fich  nach  ihm  umzufehen,  wie  auf  alten  Bildern,  Hindern 
fie  ifi  von  vorn  herein  fo  placirt,  dafs  fie  ihn  bei  feinem  Eintritt  direct  anfehen 
mufs.  Meines  Erachtens  hat  der  Vorgang  dadurch  an  Natürlichkeit  ge- 
wonnen und  an  Innigkeit  nichts  eingebüfst.  Man  wird  indeden  darüber 
verfchiedener  Meinung  fein  können.  Auf  der  antleren  Seite  des  Behältnifses 
ill  die  Geburt  reliefirt.  Maria  beugt  fich  rechts  über  ihr  Kind,  welches 
in  einem  Korbe  liegt,  während  links  ein  anbetender  Engel  kniet  und  ein 
zweiter  hinter  ihm  herzutritt.  Jofeph  fehlt.  Ochs  und  Efel  liehen  im  Hinter- 
gründe hinter  Maria.  Die  Aufladung  und  Ausführung  beider  Bilder  ill  zu 
loben  und  diefelbe  natürliche  Einfachheit,  die  an  dem  Bilde  des  Beckens 
bemerkt  wurde,  mufs  auch  hier  erwähnt  werden. 

Leuchter.  Ebenfalls  zu  dielen  beiden  Stücken  gehören  zwei  filberne  Leuchter 
von  gleicher  Form.  Ueber  drei  etwas  zu  plumpen  Pulsen  erhebt  fich  ein 
nicht  übel  filhouettirter  Schaft.  An  vielfachen  Gliedern  mit  erhabenge- 
arbeiteten Ornamenten  und  angehefteten  Blättern  ill  nicht  gefpart  worden, 
auch  Engelsköpfe  fleht  man  am  Schatte  lowie  über  den  E’üfsen,  zwifchen 
denen  in  vollem  Rankenwerk  je  ein  kleines  Medaillon  ausgefpart  ilL  Eins 


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D!K  ST.  CLKICHSKIKCIIK. 


2,7 

derfelben  an  jedem  Leuchter  trägt  folgende  Infchrift:  Diese  beiden  Altahr 
Leichter  hat  Fr.  Maria  Cathar.  geb.  Drachstetin  Herrn  Oberbornm.  Philip 
Wesners  Seel.  Witbe  in  die  Kirche  zu  St.  Ulrich  alhier  in  Halle  verehrt 
A.  1683. 

Eine  filberne  lloftienbüchfe,  die  vergoldet  gewefen  und  von  einem  Andere  Geflihc. 
Crucifixe  bekrönt  ifl,  hat  auf  der  Unterfeite  ihres  Bodens  ein  Wappen  mit 
diefer  Ueberfchrift: 

JOHAN  AUGUST  SCHUBART  Ao.  1689. 

Eine  Kanne  mit  der  Infchrift:  Verehret  Dorothea  Sophia  Kettnerin  Gebohrene 
Drachstedtin  Halle  den  2.  Sept.  1726  ifl  werthlos;  ebenfo  eine  andere  vom 
Jrhre  1762. 

Wenn  wir /.um  Schlufs  noch  drei  ganz  gleiche  meffmgene  Taufbecken 
erwähnen,  die  im  Boden  die  bekannte,  noch  in  mittelalterlicher  Aufladung 
gehaltene  Darftellung  der  Verkündigung  zeigen,  während  die  ebenfalls 
bekannten,  aber  unleferliehen  Minuskeln  dazu  die  Umrahmung  bilden, 
fo  gefchieht  es,  um  darauf  hinzuweifen , dafs  diefe  Becken  nicht  Originale 
fein  werden,  weil  das  wenig  fcharfe  Gepräge,  welches  nicht  etwa  eine 
Folge  von  Abnutzung  ift,  zeigt,  dafs  fie  mit  nachgemachten  und  zwar 
von  bereits  abgegriffenen  Becken  abgeformten  Stempeln  verziert  fein 
niülfen. 


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Die  Domkirche. 


Kinleitung. 


Gcfchichie. 


D ie  beiden  Kirchen,  die  in  ihren  baulichen  Formen  den  großartigen 
Kampf  zwifchen  dem  niedergehenden  Mittelalter  und  der  entfiehendwi 
Neuzeit  zur  Schau  Hellen,  der  Dom  und  die  Marktkirche,  unterfcheiden 
fich  nicht  unwetentlich.  Die  Marktkirche  ifi  der  formale  Ausdruck  der 
Wirkung  reformatorifcher  Ideen  auf  das  Volk,  die  Domkirche  der  auf  die 
Gebildeten.  Dafs  von  letzteren  die  Neuerungen  einige  Jahrzehnte  früher 
begriffen  werden  als  von  der  Malfe  des  Volkes,  iff  erklärlich,  ebenfo  daf- 
ihre  formale  Ausdrucksweife  dieler  Neuerungen  im  Allgemeinen  geifireicher 
fein  mufs.  IndefTen,  was  die  Gebildeten  hei-vorgebracht  haben,  gleicht  noch 
zarten  Treibhauspflanzen,  deren  Samen  zu  Hark  wurzelnden  Bäumen  erft  in 
dem  natürlichen  Boden  ausfchlagen  konnte,  den  die  breite  Volksmenge 
bildet.  Diele  Vorbemerkungen  zur  Hinweifung  auf  die  Befchaffenheit  deffen. 
was  in  der  Befehreibung  der  Domkirche  InterefTantes  zu  erwarten  ifi. 

Schon  der  Erzbifchof  Ernst,  der  Vorgänger  des  Cardinais  Albrecht  ' 
trug  fich  mit  dem  Gedanken  zu  Halle  ein  Collegiatftift  anzulegen  d.  h.  rin 
klofterähnliches  Vereinshaus  nebft  Kirche  für  gelehrte  Männer  (canonici 
communis  vitae)  zum  Zwecke  des  Unterrichts  befonders  in  theologifchen 
Sachen.  Seinen  Bemühungen  Hellten  fich  feitens  des  Domcapitels  in 
Magdeburg  Schwierigkeiten  entgegen,  und  er  Harb  151.5,  ohne  feinen  Plan 
verwirklicht  zu  haben.  Jedoch  hatte  er  die  Angelegenheit  foweit  gefördert, 
dafs  bei  feinem  Ableben  die  päpHliche  Zullimmung  von  Rom  her  fchon 
unterwegs  war  und  Albrecht  bei  feinem  Amtsantritte  fie  fogleich  in  Empfang 
nehmen  konnte.  Einfiweilen  richtete  diefer  nun  das  Stift  in  der  Kapelle 
auf  der  Moritzburg  ein  mit  dem  Gedanken,  es  bald  möglichfi  an  einen 
anderen  Platz  zu  verlegen.  Er  betrieb  die  Sache  um  fo  eifriger,  weil  er  in 
ihr  das  wirkfamfie  Mittel  fah  gegen  die  namentlich  zu  Halle  fchnell  fich 
ausbreitenden  Lehren  Luthers.  Weit  beffer  als  dieKlöfier  voll  unwitfender 
und  fittlich  verkommener  Mönche  vermöge  ein  Inllitut  von  Gelehrten  durch 
die  Macht  der  theologifchen  WifTenfchaft  diefe  neuen,  das  Beflehende  um* 
Hürzenden  Lehren  zu  widerlegen,  fo  vermeinte  der  gebildete  und  von  Herren 
wohl  friedliche  Mann.  Dazu  kam  noch  ein  wichtiger,  vielleicht  der  einzig  wahre 
Grund  zu  all  feinen  vielfachen  Neuerungen  — Geld  brauchte  der  Cardinal  und 
wiederum  Geld  für  feine  luxuriöfer.  BedürfnilTe,  und  das  fand  er  in  denun- 
liebfamen  KlöHern.  Diefe  alfo  umändern  zu  dürfen,  erllrebte  er  vor  allem,  und 
natürlich  fand  man  fowohl  Gründe  als  auch  Eürfprecher,  die  bei  den  weltlichen 
undgeiHlichen  Machthabern,  bei  Kaifer  und  PapH,  ihm  die  Erlaubnifs  dazuthal- 
fächlich  erwirkt'  n.  Wir  zählen  die  Klöfier  nicht  auf,  deren  Exillenz  oder  Ein- 


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DIE  DOMKIRCHE. 


2tg 


richtung  er  nun  auf  hob,  für  den  vorliegenden  Zweck  iß  es  nur  erforderlich  zu 
wifTen,  dafs  hauptlächlich  das  begüterte  Moritzklofter  feine  Blicke  auf  fich  zog, 
fodafs  er  deffen  Mönche,  fofern  er  fie  nicht  zu  Collegiatftiftlern  brauchen 
konnte,  irgendwie  verforgte,  uni  das  leer  gewordene  Gebäude  den  Dominikaner 
Predigermönchen  zur  Wohnung  überweifen  zu  können,  deren  Klofter  zum 
h.  Kreuz  fein  Collegiatftift  werden  follte.  Gelegen  war  diefes  Klofter  an 
der  Saale  bei  der  Neumühle  auf  der  Stelle  der  jetzigen  Klinik  und  zwar  fo. 
dafs  feine  Kirche  zum  h.  Kreuz,  die  als  das  Gotteshaus  von  Bettelmönchen 
weder  grofs  noch  mit  Luxus  ausgeftattet  gewefen  fein  wird,  im  Norden  der 
Claufur  fich  befand,  während  im  Wellen  am  Walter  hin  fich  die  Wohnräume 
anfchlolTen,  von  denen  noch  Refte  (liehe  im  Grundrifse  die  Nordweftecke 
des  Domes)  zu  fehen  find.  Ob  im  Oden  nur  ein  Kreuzgang  etwa  an  der 
Stelle  einer  hier  noch  erhaltenen  Arkade  die  Claufur  bildete,  oder  ob  auch 
hier  Gebäude  gelegen  haben,  mag  dahingeftellt  bleiben,  ebenfo  wie  die  Süd- 
feite ausfah  und  wie  weit  füdlich  fie  gelegen  haben  mag.  Im  Allgemeinen 
wurde  die  Nordfeite  des  Hügels,  den  das  Terrain  hier  bildet,  von  dem 
Klofter  occupirt,  während  auf  der  Südfeite  desfelben  fich  das  alte  Hofpital 
S.  Cyriaci  am  Wafier  entlang  zog.  So  war  die  Situation,  als  Albrecht  das 
Klofter  räumen  und  zur  Wohnung  für  die  Collegiatftiftler  einrichten  liefs. 
Die  unfeheinbare  Klofterkirche  genügte  natürlich  nicht  mehr.  Albrecht 
beablichtigte  durch  ein  grofsartiges  Bauwerk  der  Bedeutung  feines  Stiftes 
Ausdruck  zu  geben,  und  fo  wurde  der  Dom  an  der  Südfeite  der  Claufur 
zwifchen  dem  Klofter  und  dem  Hofpitale  am  28.  Juni  1520  zu  bauen  an- 
gefangen. Schon  nach  drei  Jahren  war  man  foweit  damit  fertig,  dafs  am 
23.  Auguft  des  Jahres  1523  von  Albrecht  felber  die  Einweihung  vor- 
genommen werden  konnte.  Das  Stift  fammt  der  Kirche  wurde  hauptlächlich 
dem  h Moritz  und  der  h.  Maria  Magdalena  geweiht:  es  erhielt  ferner 
den  Zunamen  „zum  Schweifstuch  des  Herrn"  (ad  velum  aureum  sive 
ad  sudarium  domini)  und  endlich  war  auch  der  Bifchof  Erasmus  Mit- 
patron.1 

Nicht  lange  währte  das  mit  fo  viel  Aufwand  ins  Werk  gefetzte  neue 
Stift,  aus  dem  fogar  eine  Univerfität  erwachfen  follte.  da  zudiefem  Zwecke 
152g  an  Stelle  des  Hofpitals,  deffen  Schmutzwalfer,  unter  den  Eenllern  der 
Stiftsherrn  vorbeifliefsend , letzteren  zu  unangenehm  roch,  das  „neue  Ge- 
bäude" (die  jetzige  Refidenz)  gebaut  wurde.  Ueberall  fchon  hatte  die 
evangelifche  Lehre  Eingang  gefunden,  und  fonderbar,  gerade  diefe  Kirche 
erlebte  es  ein  Jahr  nach  ihrer  Weihung,  dafs  ihr  Pfarrer  Georg  Winkler 
als  der  erde  zu  Halle  das  Evangelium  rein  predigte  und  bei  dem  Abendmahle 
den  Kelch  reichte.  Bis  zum  Jahre  1341  blieb  das  Stift  beftehen,  dann  aber 
unmuthig  über  das  Mifslingen  feiner  Einrichtung  liefs  der  Cardinal  Albrecht 
die  Kirche  fchliefsen,  nahm  alle  ihre  vielen  Schätze  an  fich,  gab  den 
Predigermönchen  ihr  altes  Heim  wieder,  zog  felber  nach  Mainz,  feinem 
anderen  F.rzftifte,  und  kam  niemals  wieder  nach  Halle.  Geraume  Zeit 
blieb  die  Kirche  mit  nicht  nennenswerthen  Ausnahmen  unbenutzt.  158g  ( 1 546 ?) 

* Die  Gründe  der  Wahl  Tür  diefe  Patrone  fiehe  bei  von  Dreyhaupt  !.  p.  847. 


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220 


IMF.  STADT  HÄUF  u.  <1.  SA'iLKKKtS. 


hat  dann  feiner  Frau  /.um  Gefallen  der  Adminillrator  Joachim  Friedrich 
fie  „repurgiret“  und  „zur  heiligen  Dreifaltigkeit”  genannt.1  Dann  kam  der 
dreißigjährige  Krieg  und  es  gefchah,  daß  die  Kaiferlichen  fie  wieder  aut 

I einige  Tage  katholifch  machten,  „wobei  die  Kantzel  und  Altar  mit 

Ruthen  gelirichen  wurde.“  Erft  1644  machte  der  Adminiftrator  Herzog 
Auguft,  der  auf  der  Relidenz  wohnte,  fie  zur  Hofkirche,  fchmückte  lie  nach 
dem  Gefchmacke  jener  Zeit  reich  aus,  und  fortan  blieb  fie  bis  heute  in 
Benutzung. 

Cirundrir».  Der  Grundrifs  des  Domes  F'ig.  81  ift  der  einer  dreifchiffigen  Hallen- 
kirche von  acht  vollftändigen  Jochen.  Dem  Mittelfchiff  ift  zur  Bildung 
eines  um  zwei  Stufen  erhöhten  Chores  örtlich  noch  ein  neuntes  Joch  zugefügt  , 
und  ihm  dann  durch  fünf  Seiten  eines  Achteckes  ein  polygonaler  Schluf»  I 
gegeben,  während  die  Seitenfchiffe  mit  dem  achten  Joche  von  Wellen  her 
rechtwinklig  endigen.  Die  Weftfront  entbehrt  jetzt  der  Thürme.  Sie  ift 
durch  eine  gradlinige  Giebelwand  gefchlofsen,  in  deren  Mitte  unten  ein  ver- 
mauerter Eingang  liegt.  Uebrigens  follen  bis  zum  Jahre  1541  hier  zwei 
ftattliche  Thürme  geftanden  haben,  doch  find  fie  fo  fchlecht  fundamentirt 
gewefen,  dafs  fie  im  genannten  Jahre  wieder  abgetragen  haben  werden 
müffen.*  Das  ift  denn  fo  gründlich  gefchehen.  dafs  heute  nicht  einmal  mehr 
die  Fundamente  zu  fehen  find.  Die  weltliche  Kirchenfront  und  die  Südwand 
des  erden  Joches  werden  jetzt  von  den  Predigerhäufern  umgeben,  an  welche 
lieh  gegen  Norden  Räume  der  Gebäude  des  alten  Klofters  bez.  deren 
Hinzufügungen  unter  Albrecht  anfchliefsen.  Ein  Kreuzgang  führte  an  der 
Nordfeite  der  Kirche  hin;  fowohl  Ueberrefte  als  auch  die  durchbrochenen 
Strebepfeiler  laffen  diefen  Gang  noch  erkennen.  Oeftlich  am  Ende  der 
nördlichen  Kirchenwand  liegt  die  Sacriftei,  ein  hübfeher,  kapellenartiger 
Anbau  mit  einem  Kreuzgewölbe  überdeckt  und  mit  einer  aus  fünf  Achtecks* 
feiten  gebildeten  Aplide  örtlich  gefchloflen.  Weltlich  vor  der  Sacriftei  und 
von  ihr  aus  zugängig  liegt  bis  zum  nächften  Strebepfeiler  aufsen  an  der 
Kirchenmauer  ein  fchmaler  niedriger  Raum.  Seine  ehemalige  Beftimmung 
ift  nicht  klar. 

Das  Kircheninnere  wird  durch  zwei  Reihen  von  fchlichl  achteckigen 
Pfeilern  in  drei  Schiffe  zerlegt  und  zwar  fo,  dafs  das  Mittelfchiff  über  zwei- 
einhalbmal  fo  breit  ift  wie  jedes  Nebenfchiff.  Die  Joche  lind  nicht  glcich- 
mäfsig  weit  wohl  in  Folge  einer  unachtfamen  Ausführung.  Dafs  das  zweite 

* Oleariu*  meldet,  daf»  eine  Infcriplion  hinter  der  Kanzel  die»  befat-e,  welche  laute: 
Repurgat  et  renovat  cnn»ecralum,|iic  S.  Trinitali  A.  C.  MItl. XXXIX.  XV  Cal.  Septemb. 
Diefe  Infchrift  ift  nicht  aufznhndcn  gewefen. 

- Oleariu*  macht  die  Bemerkung,  dafs  „die  von  Magdeburg**  bei  dem  Herabholen  der 
grofsen  Glocke  Susanna  den  Domthurm  zu  Grunde  gerichtet  hätten.  Das  hätte  alfo  fchon  1 533» 
als  diefe  Glocke  herabgelaflcn  fein  full,  gefchehen  fein  muffen.  Allein  feine  Angaben  find 
un/.uverläfsig;  er  fprichl  von  einem  Thürme  auch  von  einem  neuen  Thürme  und  ift  nicht 
licher,  ob  die  Beendigung  feiner  Hcrftcllung  auf  1525,  t «uler  1 535  zu  fetzen  ift.  Es  hat 
hiernach  den  Anfchein,  als  ob  nur  ein  Thurm  wirklich  fertig  geworden  ift.  — Der  Dachreiter, 

«len  die  Kirche  flau  der  Thürme  alsdann  gehabt  hat,  ift  nach  Oleariu*  Angabe  1626  durch  den 
grofsen  Wind  abgeworfen. 


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DIE  EOllKIKCHE. 


221 


Joch  von  Werten  her  fo  auffällig  grofs  ift  im  Vergleich  zu  den  anderen, 
dürfte  darin  begründet  fein,  dafs  man  nördlich  die  Wand  des  Klofters  gleich 
als  Strebepfeiler  mitbenutzen  wollte.  Auf  eine  wenig  forgfame  Ausführuug 
läfst  auch  die  Unregelmäfsigkeit  der  Joche  an  und  für  lieh  fchliefsen,  welche 
durch  die  Stellung  der  Pfeiler  zu  einander  und  zu  den  Strebepfeilern,  die 
fich  einander  ebenfalls  nicht  entfprechen,  bedingt  ift.  ln  die  Südweft-, 

Südort-  und  Nordoftecke  find  Wendeltreppen,  die  zu  den  Emporen  hinauf- 
führen, eingebaut.  Die  Nordweftecke  ift  innen  ein  wenig  abgefchrägt,  ohne 
dafs  ein  zwingender  Grund  dafür  erfichtlich  wäre.  Aus  unferer  Grundrifs- 
zeichnung (Fig.  8 1 ) ift  auch  die  Art  der  Ueberwölbung  erfichtlich.  Sie  er- 
innert an  die  frühgothifche  Einfachheit  in  der  Ausbildung.  Die  Joche,  durch 
Gurten  getrennt,  haben  nur  von  Diagonalrippen  getragene  Kreuzgewölbe- 
kappen. Ein  complicirtes  netzartiges  Rippenmufter,  wie  es  doch  fo  beliebt 
war  um  diele  Zeit  (f.  Ulrichskirche,  Moritzkirche  und  Marktkirche)  findet 
fich  nicht.  Welcher  Grund  Vorgelegen  hat,  im  Schiffe  örtlich  den  Eufsboden 
um  eine  Stufe  zu  erhöhen,  ift  unbekannt. 

Zwei  llaupteingänge  führen  auf  der  Südfeite  in  das  Innere;  fie  liegen 
im  dritten  und  fiebenten  Joche  von  Werten  her  gerechnet.  Anfangs  wirklich 
von  aufsen  zugängig,  jetzt  in  die  Pfarrhäufer  eingebaut  giebt  es  noch  eine 
dritte  Thür  an  diefer  Südwand  und  zwar  ini  errten  Joche,  wo  fie  zunächll 
in  den  Raum  der  füdweftlichen  Wendeltreppe  geht,  welcher  dann  durch  eine 
zweite  Thür  mit  dem  Kirchenraume  communicirt.  Die  Nifche  auf  unferer 
Grundrifszeichnung,  welche  im  zweiten  Joche  liegt,  ift  die  einer  vermauerten 
Thür,  die  alt  ift  und  einem  auf  die  alte  Empore  vermitteln  einer  aufsen  an- 
gebauten  Treppe  führenden  Separataufgange  gedient  hat.  Es  hat  den 
Anfchein.  als  ob  ein  Eingang  durch  die  vermauerte  Thür  der  Weftfeite  nie 
ftattgefunden  hat,  wohl  aber  kann  man  auf  die  weltliche  Empore  auch  jetzt 
noch  von  den  Paftorenhäufern  durch  eine  darüber  gelegene  Thür  gelangen. 

Gegen  Norden  ift  ein  fpitzbogiges  Portal  im  erften  Joche  vermauert;  es  ift 
wohl  jenes,  welches  ehemals  den  Stiftsherren  als  Kircheneingang  diente.  Die 
klein*-,  daneben  befindliche  Thür  wird  wie  die  unweit  der  Kanzel  befindliche 
er  ft  l'päter  eingebrochen  fein;  dagegen  liegt  im  dritten  Joche  von  Orten  her 
an  diefer  Nordfeite  eine  vermauerte  Thür,  welche  urfpriinglich  fein  dürfte 
und  wohl  noch  einen  Eingang  für  die  Laien  abgab. 

Ohne  zunächft  über  diefen  Grundrifs  die  Bemerkungen  zu  machen,  die  Aeufsert*. 
für  das  Verftändnifs  nöthig  find,  gehen  wir  zu  der  Betrachtung  des 
Aeufseren  der  Kirche  über.  Fig.  82.  Die  Umfaffüngsmauer  des  Domes 
lüft  fich.  wie  aus  dem  Grundrifse  hervorgeht,  nach  gothifcher  Art  in  Strebe- 
pfeiler und  Eenfter  auf,  wobei  zwifchen  den  Fünftem  eine  Wandfläche  von 
durch fchnittlich  der  doppelten  Gröfse  des  Fenfterlichten  verbleibt,  eine  felbft 
für  Hallenkirchen  ungewöhnliche  Anordnung.  Ueber  einem  Sockel-  und 
K affgelimfe,  hinter  denen  beide  Male  das  Mauerwerk  fowohl  der  Wand  als 
auch  der  Strebepfeiler  zurückfpringt,  erheben  fich  letztere  einhüftig  und 
ohne  zierende  Gliederungen  bis  zum  Dachfimfe.  Hier  hat  anfangs  an  den 
meiften  die  etwas  concave  Abdeckungsplatte  einen  nach  vorn  weit  vor- 
tretenden Waflerfpeier  gehabt,  es  find  jetzt  davon  nur  noch  zwei  erhalten 


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222 


niF.  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


an  der  Südfeite.  Die  Strebepfeiler  an  der  Wedfeite,  die  den  Schub  der 
Arkadenbögen  bekommen,  und  die  ihnen  benachbarten  Eckpfeiler  find 
breiter,  unten  fämmtlich  und  theilweife  auch  oben  von  Thüröffnungen  durch- 
brochen. Wo  an  der  Nordfeite  der  Kreuzgang  lag,  mufsten  die  Pfeiler  zu 
drehenden  Bögen  werden,  die  (ich  frei  über  das  Pultdach  des  Ganges  hinweg 
gegen  die  Mauer  wölbten,  wo  fie  fich  dann  als  Pfeiler  bis  zum  Dache  hinauf- 
zogen. Keiner  diefer  Bögen  id  intact  geblieben ; bis  auf  einen  find  fie  der 
Hauptfache  nach  ziemlich  unverdändlich  erneuert  d.  h.  nicht  in  der  höchft 
rationellen  urfprünglichen  Art,  von  der  wir  vielleicht  nichts  mehr  willen 
könnten,  wenn  man  jenen  einen  Pfeiler  zu  erfetzen  nicht  für  überflüfTig  er- 
achtet hätte.  So  blieb  das  obere  an  der  Wand  gelegene  und  in  guten 
Quadern  ausgeführte  Pteilerdück  bedehen,  während  der  zufammengedürzte 
Bogen  entfernt  wurde;  aber  auch  von  diefem  blieb  der  Empfänger'  als  da- 
unterde  Quaderllück  der  erhaltenen  Partie  an  feinem  Platze.  Die  rationelle 
Condruction  bedeht  nun  darin,  dafs  der  Pfeiler  vom  Dache  bis  zur  Abdeckung 
des  Bogens  vorn  eine  Rinne  hat.  in  welche  das  grade  über  ihr  vom  Dache 
zufammendrömende  Wader  hineinfiiefst  und  bis  auf  die  Deckdeine  des 
Bogens  gelangt.  Diefe.  nach  beiden  Seiten  abgefchrägt,  haben  oben  wiederum 
eine  am  Empfänger  erhaltene  odene  Rinne,  in  welcher  das  Wader  über  das 
Pultdach  des  Kloderganges  weg  wahrfcheinlich  durch  einen  vorkragenden 
Waderfpeier  weit  ab  vom  Gebäude  zur  Erde  geleitet  wurde.  An  allen 
Pfeilern  fcheint  diefe  Waderableitung  indeden  nicht  dattgehabt  zu  haben 
z.  B.  nicht  an  folchen,  welche  nicht  genau  unter  dem  Zwifchenraume  von 
zwei  Giebeln  danden,  wo  eben  eine  Waderanfammlung  dattfindet.  Der 
Kreuzgang  mit  feinem  Pultdache  und  die  Strebebögen  darüber  hin  müden 
dem  Dome  vom  Kloder  aus  in  etwas  das  Ausfehen  einer  Kathedrale  gegeben 
haben. 

Die  Fender,  meidens  der  Emporen  wegen  (aber  auch  am  Chor)  etwas 
vermauert,  gehen  an  der  Nordfeite  bis  auf  das  des  dritten  Joches  von  Olh-n 
her  nicht  /ur  K aftfimshöhe  herab  wegen  der  Anbauten,  die  hier  lagen. 
Deretwegen  fehlt  im  wedlichden  Joche  das  Fender  an  diefer  Seite  über- 
haupt; weshalb  es  aber  auch  feit  Anfang  in  dem  zweiten  Joche  von  Oden 
her  gefehlt  hat,  id  nicht  zu  erweifen.  Alle  Fender  find  durch  zwei  Pfoften 
dreigetheilt  und  gehen  oben  in  ein  Alaafswerk  über,  welches  auf  den  erden 
Blick  an  frühgothifche  Anordnung  erinnert.  Denn  es  bedeht  über  den  Spitz- 
bögen der  Pfolten  aus  drei  fich  tangirenden  Kreifen  Fig.fQund  im  nächden  Fender 
datt  deren  aus  drei  (kleeblattförmigen)  DreipäfTen;  aber  merkwürdig,  diefe 
beiden  Müder  wiederholen  fich  der  Gothik  ganz  zuwider  in  Alnvech  fei  urig 
durch  fämmtliche  Fender  bis  auf  das  ödlichde  im  Chor,  welches  allerdings 
ein  reicheres  Maafswerk  aber  von  fchwacher  Erfindung  hat;  hier  ruht  über 
den  Pfollenbögen  ein  grofser  dernartiger  Kreis,  welcher  in  feiner  Bildung, 
z.  B.  durch  treppenförmige  Zacken,  eine  ebenfolche  Geidloligkeit  documentirt, 
wie  fie  fich  in  der  Wiederholung  von  Maalswerksmullern  zu  erkennen  giebt. 

' So  nennt  man  den  in  der  Wand  gelegenen  yuader,  gegen  den  lieh  der  Strebebogen 
wölbt,  der  a!fo  deffen  Widerftandskraft  (Gegenfchub)  empfangt  und  dem  Gewölbe  mitthcilt. 


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niK  domkikche. 


22} 


Uebrigens  verlauft  fich  der  mittlere  der  Pfollenbögen  unter  den  dreiteiligen 
Maafswerken  kaum  merklich  als  Efelsrücken,  hierdurch  fowie  durch  andere 


hin-  Sj- 


Ken  ftermaafs  werk. 


Details  feine  wahre  Geburt,  nämlich  in  fpätgothilcher  /.eit,  nur  /.u  deutlich 
verralhend. 

Das  Profil  des  F'enftergewändes  F'ig.  8j  uml  fotnit  der  Pforten 
belicht  in  einfachen,  glatten  Schrägen,  und  damit  auch  hier  die  verkommene 
Kunlt  lieh  nicht  verleugne,  haben  die  Plollen  eine  zu  ihrer  Breite  lehr  geringe 
Tiefe,  wodurch  von  den  drei  Lichtweiten  viel  verloren  geht  und  die  Pforten 
an  Kraft  gegen  den  Winddruck  verlieren.  Wenn  wir  Ichliefslich  noch  er- 
wähnen. dals  dem  Fenrterbogen  jede  Abdeckung  durch  ein  Sims  oder  durch 
einen  Wimperg  fehlt,  fo  kommen  wir  damit  fehon  zu  der  Bildung  der 
Wand. 

Letztere  ill  ohne  irgend  eine  Decoration  und  belicht  wie  die  Strebepfeiler 
bis  zum  Hauptlimle,  fo  weit  es  anging,  aus  Bruch Iteinmauerwerk  von  nicht  allzu 
forgfältiger  Ausführung.  Dabei  lind  die  Fenftergewände,  die  Pfeilerecken 
und  andere,  der  Haltbarkeit  wegen  nicht  wohl  in  Bruchfteinen  auszuführende 
Theilein  Quadern  bergertellt.  Das  11  a uptgefi  ms  ill  am  Chor  F'ig.  8j  anders 
geformt  als  am  Schiff  und  auch  hier  nimmt  es  wunderlicher  Weife  ver* 
Ichiedene  Formen  an.  Fig.  80  und  87. 


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224 


ME  STAUT  HALLK  U.  d.  SAALKREIS. 


Das  Merkwürdigde  am  ganzen  Kirchenäufsereti  idnun  der  Kranz  von 
cbelkranz.  Giebeln,  die  aus  Backfteinen  gemacht,  über  dem  Hauptfimre,  das  Dach 
fad  verdeckend,  rings  um  den  Bau  laufen.  An  fich  unglaublich  häfslich  und  in 
ihrer  Gefammtheit  den  Dom  ebenfalls  nicht  fchmückend  find  fie  doch,  weil  für 
das  Weichbild  der  Stadt  nicht  minder  als  für  die  Silhouette  des  Domes  fo  charak- 
teridifch,  intereflant.  Ihre  Anordnung  id  fo,  dafs  über  je  einem  Fenfter  ein 
Giebel  lieht;  ausgenommen  find  die  beiden  Fender  füdlich  und  nördlich  am  Chor, 
über  die  zufammen  jederfeits  nur  ein  Giebel  gefetzt  id.  Der  einzelne  G'n-bel  id 
derart  gebildet,  dafs  über  dem  llauptgefimfe  ein  rechteckiges  Stück  mit 
zwei  verhältnifsmäfsig  kleinen,  rundbogigen  Fendern  mit  geringer  Eckver- 


Hr  84. 


t-m  f \ T--r  r i ? r r--r 

Fenfterprofil. 


brechung  als  Gewände  aufgemauert  id  und  zwar  fo  dicht  neben  den  beiden 
nachbarlichen  dafs  dasGefims,  welches  diefes  Stück  oben  abdeckt,  ununter- 
brochen über  die  Zwifchenräume  hinwegläuft,  ln  den  engen  Zwifchenraum 
etwa  in  der  Mitte  eingeklemmt  id  ein  Hachbogiges  Steinllück;  auf  zweien 
derfelben  am  Chor  liegt  eine  runde  F’rucht  mit  Blättern  von  barockem  Aus- 
reiten. In  den  Giebeln  am  Chor  gefeilt  lieh  zu  den  beiden  Fendern  noch 
ein  etwas  darüber  gelegenes,  kreisrundes  Fender.  Ueber  je  fo  eit»em  vier- 
eckigen Mauerllücke  erhebt  lieh  ein  mit  einem  dreitheiligen  Blendenfender 
belebtes,  halbkreisförmiges  Mauerdück  als  Bekrönung.  An  der  Wedfeite, 
wo  fich  das  Dach  nicht  abwalmt,  fondern  mit  einem  Giebel  fchliefst . hat 
man  denfelben  aus  fünf  diefer  kleinen  Giebelchen  in  dufenformiger  An- 


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|>IF.  nOMKIKL'IIK. 


2*5 


Ordnung’  ohne  Zwifchenräume  hergeffcellt  Eine  etwas  vor  die  Fläche  tretende 
I )ecoration  in  Rundbogen  untl  Kreifen  belebt  diefe  Giebelchen.  Das  durch- 
gehende  Gefims  fallt  hierbei  weg  und  mithin  die  horizontale  Theilung.  Da 
etwa,  wo  die  Unterkante  der  Dächer  hinter  den  (riehein  das  Dach  des 


Fig.  85.  Hig.  KO.  Fig.  87. 


fatllrh.  wwtlirh 

Hatiptgcliimprolil  am  Chor.  l*rolilc  <lc*  H.iupIgOimfos. 


Schiffes  trifft,  ill  die  Fläche  des  letzteren  concav  geknickt.  Ks  entlieht 
diefer  Knick  dadurch,  dafs  man  eigentlich  nur  iiher  dem  Mittelfchiffe  ein 
Satteldach  conllruirt  hat.  wie  es  über  dem  Chore  ja  auch  zum  Vorfchein 
kommt,  und  dafs  dann  die  Nebenfchiffe  mit  Satteldächern  lieh  dem  Haupt* 
dache  anlegcn.  Die  Kindeckung  ill  ganz  in  Ziegeln  bewirkt.  Man  kann 
nicht  leugnen,  dafs  der  Giebelkranz  pomphaft  wirkt,  andererleits  aber  ilt 
feine  Ausbildung  roh  und  lieht  befremdlich  zu  der  übrigen  Architektur. 

Sind  alle  diefe  Backlteingiebel  urfprünglirh  oder  wann  hat  man  fie  auf* 
jgefetzt?  Die  an  ihnen  befindlichen  Bauformen  lind  in  der  That’fo  wenig 
charakterillifch.  dafs  es  fchwer  wird,  fie  zu  datiren.  Unmöglich  kann  ihre 
heutige  Gellalt  noch  aus  dem  dritten,  vierten  oder  fünften  Decennium  des 
16.  Jahrhunderts  Hammen,  das  ift  wohl  z.u  fehen;  allein  es  kann  nicht  daran 
gezweifelt  werden,  dafs  der  Dom  gleich  anfangs  ringsum  Giebel  gehabt 
hat.  denn  alle  Chroniften  find  darin  einig  und  Olearius  führt  l'ogar  das  Jahr 
1525.  '531  oder  1 535  als  das  ihrer  Fertiglteflung  an.  Nun  willen  wir  aus  der 
Cielchichte  des  Baues,  dafs  nach  dem  Eingehen  des  Stiftes  die  Kirche 
hundert  Jahre  lang  fo  gut  wie  unbenutzt  blieb.  Zwar  hatte  der  Adminillrator 
Joachim  Friedrich  fie  repariren  lallen,  es  kam  aber  der  dreißigjährige  Krieg 
und  was- er . zerllört  hatte,  wurde  dann  gegen  fein  Ende  durch  den  Herzog 
Augull  wieder,  fo  gut  es  möglich  war.  erneuert.  Aufser  dem  Dache  werden 
natürlich  hauptfächlich  die  Giebel  fo  fchadhaft  gewefen  fein,  dafs  keine 
Rellauration,  fondern  eine  totale  Erneuerung  und  zwar  in  den  zeitgemäfsen 
Formen  vorgenommen  werden  mufste.  Für  die  Erneuerung  des  Daches 
B.  D.  d.  Buii*  u.  Kimstd.  N.  F.  I.  15 


Inneres. 


22Ö  l>Ih  STAflT  HALI.E  tl.  <f.  SAAI.KKK.1S. 


um  (liefe  Zeit  fpricht  die  geringe  Dachhöhe,  die  Conftruction  des  Gefpärres 
und  die  Ziegeleindeckung',  für  die  der  Giebel  zunächll  nur  die  allgemeine 
Form  derfelben:  namentlich  find  ihre  grofsen,  unbelebten  Flächen  und  die 
langweilige  Form  der  rundbogigen  FenfteröfTnungen  oder  Blenden  bezeichnend. 
Das  fie  horizontal  theilende  Sims  ill  nichtsfagend,  auch  die  den  Zwifchen- 
räumen  eingeklemmten  Bögen  würden  nicht  entfcheidend  fein,  wenn  nicht 
wenigfiens  zwei  erlichtlich  der  Barockzeit  ar.gehörige  Stücke,  jpne  Früchte 
auf  zweien  diefer  Bögen  am  Chor,  lieh  erhalten  hätten.  Sie  find  nicht  zufällig 
hierher  gefetzt,  londern  es  find  die  letzten  Ueberbleiblel  einer  completen 
barocken  Decoration  wie  man  aus  der  Abbildung  des  Domes  bei  von  Dreyhaupt 
lieht,  wo  folche  Stücke  als  Bekrönung  lieh  nicht  nur  auf  allen  dielen  Bögen, 
fondern  auch  überall  auf  den  Ecken  der  Giebel  und  aut  deren  Gipfel  finden. 
Ueberdies  lieht  man  bei  einer  Unterfuchung  der  Giebel  im  Dache  noch  die 
unterllen  Schichten  der  älteren  Giebel,  wenn  auch  keine  Kunflform  mehr 
übrig  geblieben  ift.  Auch  die  erften  Giebel  find  von  Backfleinen  gewefen 
und  haben  zweifelsohne  eine  ähnliche  Ausbildung  gehabt  wie  der  Rathhaus- 
giebel vor  feiner  diesjährigen  Erneuerung  und  die  der  Häufer  welllich  am 
Moritzkirchhof.  Was  die  Bogenfriefe  auf  der  von  Dreyhaupt'fchen 
Zeichnung  anbetrifft,1  die  unter  dem  horizontalen  Simle  hin  und  um  die 
1 lalbkreislinie  der  oberen  Stücke  laufen,  fo  find  fie  bei  einer  fehr  durch- 
greifenden Renovation  um  1839  befeitigt  worden;  damals  hat  man  die  halb- 
kreisförmigen oberen  Theile  ganz  und  die  unteren  zum  gröfseren  Theil  neu 
gemauert. 

Am  Kirchenäufseren  wären  noch  die  Portale  zu  befchreiben.  Nur  die 
beiden  an  der  Südfeite  haben  eine  beachtenswert!«-  Ausbildung.  Uebor  das 
örtliche  wird  heller  weiter  unten  zu  handeln  fein : das  weftliche  hat  ein  viel- 
gliederiges.  fchon  der  fpäteren  Golhik  eigenes  Gewände,  das  aber,  ohne 
Profildurchdringungen  zu  formiren,  glatt  bis  zum  Scheitel  des  ziemlich  ftolzen 
Spitzbogens  hinaufgeht. 

Aus  unferer  Befchreibung  geht  wohl  fo  viel  hervor,  dafs  das  Gefammt- 
bild  vom  Aeufseren  des  Domes,  ob  mit  oder  ohne  jenen  Giebelkranz  gedacht, 
kein  erfreuliches  ift.  Die  Architektur  greift  auf  Formen  zurück,  die  dem 
tö.  Jahrhundert  bereits  fremd  geworden  find.  Ihr  Sinn  ift  ihm  nicht  mehr 
verftändlich  und  fo  reproducirt  es  fie  in  einer  fichtlich  unverftändigen  Art. 
Das  gilt  hauptlachlich  von  den  Fenrtern,  die  noch  die  meirten  Kunftformen 
zeigen,  während  die  Wände  und  Pfeiler  fchon  ihres  Bruchfteinmateriales 
wegen  auf  eine  belfere  Ausbildung  verzichten  und  die  Kunft  ihrer  Ent- 
ftehungszeit  als  eine  ziemlich  herabgekommene  kennzeichnen.  Mehr,  als 
durch  diefe  Bemerkungen  gefchieht,  wollen  wir  über  das  Aeufsere  einftweilen 
nichts  Tagen,  fondern  zuvörderft  noch  die  Befchreibung  des  Inneren  folgen 
lallen.  Fig.  K8. 

Nicht  minder  unerfreulich  als  aufsen  ift  der  Anblick  der  Kirche  innen. 
Abgefehen  von  den  barocken  Einbauten  bietet  fich  dem  Auge  ein  Quodlibet 
von  Formen,  zu  dem  wenigftens  drei  Jahrhunderte  derZeit  vor  der  Kirchen- 

t Sic  füllen  von  Stuck  eewefen  fein. 


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DIE  DOMKtKCHE. 


erbauung  beigetragen  haben.  Wir  wiederholen  nicht,  was  bezüglich  der 
Einfachheit  der  ßispofilion  des  Grundrißes,  der  Pfeiler,  der  Gewölbetheilung, 
der  Fender  u.  f.  w.  gefügt  id.  fondern  wenden  uns  zu  der  Conllruetion  und 
Ausbildung  der  Details,  zunächd  zu  denen  der  Gewölbe.  Die  Gewölbe, 
bedehen  aus  Bruchfleinen  in  reichlichem  Mörtel,  fodafs  fie  lad  ein  Gufswerk 
bilden.  Das  Profil  der  Diagonalrippen  und  Gurten  id  verfchieden  wie  an 
älteren  gothifchen  Bauten , aber  felbd  wenn  noch  das  einfache  Birnenprofil 
der  Grate  Fig.  8g  an  einen  belferen  Stil  erinnern  könnte,  .fo  doch  gewifs 
nicht  das  der  Gurten,  F'ig.  90  welche,  gebildet  durch  eine  flache  Unterficht 
mit  zwei  feitliclvn  fchrfig  flehenden  Hohlkehlen,  nüchtern  ausfehen.  In  den 
Xebenfchiflen  haben  die  Diagonalen  eine  andere  Form  Fig.  gi;  ihr  unfchünes 
Profil  gleicht  etwa  einem  Keile  mit  gerade  abgefchnittener  Spitze,  über 
dolfen  oberem  dicken  Ende  jederfeits  ein  Plättchen  hervortritt,  um  die  Kappen 
zu  tragen.  Wo  die  Gurten  und  Rippen  an  den  Pfeilern  und  Wänden 
zufammentreffen,  bemerkt  man  die  Verbind  ungsflelle  zwifchen  den  erden 
gleich  bei  der  Herdellung  der  Pfeiler  augelegten  Wölbfchiehten  und  dem 
fpäter  ausgelührten  Gewölbe.  Da  die  Pfeiler  keine  Dienfle  zur  Aufnahme 


Kitt.  9i. 


Fig.  89. 


Fig.  <10. 


Profil  der  Grate  in  Profil  der  Grate  im  Profil  der  Garten, 
den  SeitenfchiiTcn.  MitlcirdiifT. 


der  Aructiven  Gewölbeglieder  haben,  fo  hat  man  fowohl  an  ihnen  als  auch 
an  den  Wänden  dazu  Confolen  vorgekragt,  fo  wie  es  die  fparfamen  Bettel- 
mönche in  ihren  Kirchen  wohl  zu  machen  pflegten,  und  an  den  verfchiedenen 
Fixem  plaren  diefer  Confolen  fieht  man  wunderbarerweife  die  Stilformen  der 
Jahrhunderte  vom  13.  bis  zum  (6.  In  dem  Theile  des  Octogons  am  Chor,  wo 
ausnahmsweile  einfache  Dreiviertel  faulen  an  tler  Wand  bez.  in  den  Ecken 
herabgehen,  finden  wir  diefelben  mit  frühgothifchen  Capitälen  (Aatt  der 
Confolen)  gefchmückt,  deren  noch  nicht  gebuckeltes  Epheublattwerk  aus  dem 
Stamme  hervorwächfl  und  (ich  zu  einem  gefälligen,  frifchen  Kranz«'  gruppirt. 
Aehnlich  id  der  Gurt  über  dem  Anfänge  des  Chores  unterflützt,  F'ig.  92.  nur 
dafs  hier  die  Säule  dreigetheilt  id  und  nur  aut  eine  gewifle  Länge  an  der 
Wand  herabgeht,  oben  ein  Capitäl  der  befchriebenen  Art  trägt  und  fielt 
auf  eine  diesem  ähnlich  gebildete  Capitällorm  aut  fetzt.  Letztere  läuft  unter 

>5* 


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.NiSfci&S 


1)1  K DOMKIKCIIK. 


229 


«lern  Fpheukranze  in  drei  gabelförmige,  halb  aus  der  Wand  vortretende, 
lang«;  Zinken  aus.  Bezüglich  der  letzten  Form  geht  fowohl  aus  der  ab- 
Ibnderlichen  Gellalt  wie  auch  aus  der  technifchen  Behandlung  die  fpätere 
Umgellaltung  der  frühgothifchen  Capitäle  hervor.  Daslelbe  fehen  wir  an 
den  Abaken  dieler  Capitäle  bez.  Confolen,  welche,  weit  entlernt  zu  dem 
Blattwerke  in  Verhältnifs  zu  liehen,  oft  ganz  fchief,  zu  grofs  oder  zu  klein 
darübergefetzt  find.  Fig.  9,3  (vergl.  auch  Fig.  92.)  AuftäUigerweife  geht  diefe 
Art  der  Unterflützung  der  Gewölbeglieder  durch  ein  dreitheiliges  Halbfäulen- 
llück  auch  an  der  ganzen  Südwand  entlang,  allerdings  mit  Capitälen  und 
Confolen  aus  den  verfchiedenen  gothifchen  Zeiten,  während  fie  lieh  an  der 
Nordwand  und  an  den  Pfeilern  nicht  findet,  liier  find  nur  wirkliche  Confolen 
angeordnet,  deren  Stil  fo  verfchieden  ilt,  wie  es  eben  in  den  voraufbezeich- 
neten  Zeitgrenzen  fein  kann.  Wir  haben  darunter  noch  an  das  Romanifche 


l-'ie-  ot- 


Ffcilerconfolc  im  Hauptfchillc. 


erinnernde  Rankengewinde,  trifche.  frühgothifche  Blätter,  dann  llärker 
gebuckelte  aus  der  Blüthezeit  der  Gothik,  Fabelgethier  bizarrer  Art.  Fig.  94. 
nüchternes  llalaktitenartiges  Maafswerk.  Fig.  93,  unheimliche  Fratzen  und 
endlich  fchablonenhaftes,  geilllofes  Pflanzengewirr  von  ganz  roher  Arbeit. 
Uebcr  die  Pfeiler  möchte  noch  zu  fagen  fein,  dafs  ihr  glatter,  achtfeitiger 
Schaft  unter  den  Confolen  bis  auf  einen  nicht  hohen  Sockel  von  derfelben, 
doch  etwas  breiteren  Form  herabgeht  und  diefem  lieh  durch  ein  fchwächlich 
gebildetes  Sockelgefims  verbindet.  Ueber  den  Confolen  geht  der  Schaft 
örtlich  und  weltlich  unvermittelt  in  die  Arkadenbögen  über,  wobei  in  die 


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beiden  fehrägen  Seiten  des  Bogenproliles  eine  rechtwinklige  falzartige  Ver- 
tiefung eingehauen  iil,  die  hart  wirkt.  Die  Wände  lind  völlig  fchmucklus 
Mit  dem  Baul'ylleme  haben  die  m den  Ecken  angelegten  Wendeltreppen 
eigentlich  nichts  gemein;  die  in  der  Nordolteck«,  ilt  wohl  1644  mit  den 
jetzigen  Emporen  angelegt,  aber  die  beiden  anderen  find  mit  dem  Bau 
gleichzeitig  ent  Randen;  (ie  tragen  die  Zeichen  des  Stiles  diel'er  Zeit.  Die 
lüdölllichlte , nur  von  dem  Schiff  aus  /ugängig,  hat  von  künltlerifch 
unbedeutenden  Hifengittern  gefchlofTene  Fenlter  und  Thüröffnungen.  Da- 
Ausfallen  ihrer  protilirten  Sandltein  Rücke  /.  15  der  EenRerptoften  und  -gewandt- 
ilt  der  öden,  fchattigen  Kehlen  wegen  ein  gar  fchauerliches,  aber  es  verrätli 
recht  die  altersfchwache  Gothik.  An  der  füdwefllichen  Treppe  hat  nur  die 
Thür  von  der  Kirche  aus  einige  Kunllformen.  nämlich  einen  Efelsriicken. 
der  (alt  zur  wagrrechlen  Linie  wird  und  ein  matt  gezeichnetes  Gevvände- 
protil.  Diele  beiden  Treppen  betveifen.  dafs  über  dem  Tödlichen  Seitenfchiffe 


Fi«.  9> 


l'fcilcrconfolc  im  ftitllichcn  Miltclfchiff. 


gleich  anfangs  eine  Empore  angelegt  worden  ilt,  und  es  hat  InterePTe  zu 
beobachten,  wie  man  dadurch  unbewufst  dem  BedürtnilTe  derZeit  d.  h.  hier 
dem  proteRantilehen  BedürtnilTe  nach  Emporenanlagen  Zugeltändniffe  macht. 
Ehe  Empore  felbll  war  freilich  noch  kein  organifcher  Theil  des  BaulyRemes 
und  ilt  daher  auch  noch  von  Holz  gewefen,  aber  fie  bekommt  hier  feiern 
tnaffive  Aufgänge,  um  nur  wenige  Jahre  fpäter.  als  die  proteltantifchen 
Ideen  im  Volke  mehr  Platz  gegriffen  hatten,  an  dem  Bau  der  Marktkirche 
in  mafliv  monumentaler  Ausbildung  gleichfam  exillenzberechtigt  aulzutreten. 
Ueber  dem  nördlichen  Nebenfchitfe  wird  lieh  keine  Empore  befunden  haben. 


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Olli  UOMKIKCHK. 


-31 


Die  Sacriftei  ift  ein  gar  herrlicher  Raum.  Ihren  Formen  nach  glaube  Sacriftei. 
ich,  dal’s  in  ihr  eine  der  alten  Kapellen  Halle 's,  die  Albrecht,  um  Bau- 
material /u  gewinnen,  abbrechen  liefs,  mutatis  mutandis  erhalten  ist.  Die 
Fenlterge wände  (Fig.  96).  sind  durch  eine  Hohlkehle  belebt,  die  Gewölbe- 
rippen haben  ein  gutes  Birnenprofil,  die  Capitälchen.  denen  oft  die  Säule 
fehlt,  fodafs  fie  zu  Confolen  geworden  lind,  haben  gut  geordnete,  flark  be- 
wegte und  mit  einem  abgelchnittenen  Alle  an  den  Stamm  geheftete  Blätter, 
ein  Schlufsftein  ift  mit  dem  Relief,  welches  das  Lamm  mit  der  Fahne  dar- 
llellt,  gefchmückt  — alle  diese  Stücke  lafTen  auf  die  Mitte  des  14.  Jahrhunderts 
als  Fntstehungszeit  fchliefsen.  Einige  Abaken  mögen  jünger  oder  bearbeitet 
sein.  Ob  der  Schlufsftein  der  beiden  lieh  kreuzenden  Diagonalrippen, 
welcher  als  tlachreliefirte  Rofette  ausgebildet  ift,  auch  dem  14.  Jahrhundert 
angehört,  will  ich  bestimmt  nicht  sagen. 


Fig.  06. 


Fenfterprotil  der  Sacriftei. 


lieber  die  farbige  A usfeh  mückung  des  Kircheninneren  läfst  sich  Färbung, 
aus  alten  Beschreibungen,  die  freilich  ftark  übertreiben,1  fchliefsen,  dafs  fie 
eine  üppige  war.  Bis  in  diefes  Jahr  hatten  fielt  davon  Spuren  erhalten, 
nämlich  an  den  Capitälen  im  Chor;  die  Farben  mochten  gleich  den  Formen 
fchon  der  frühgothischen  Zeit  entllammem.  Sie  waren  kräftig  und  dabei 
harmonisch,  die  Blätter  vergoldet,  der  Grund  (Hals)  indischroth,  der  Abakus 


1 Was  der  Dichter  Sabinus  in  diefer  Hinlicht  leiftet,  indem  er  die  Herrlichkeiten  des 
Domes  bcfmgt,  gefchah,  um  dem  Erbauer  zu  fchmeichcln  und  kennzeichnet  vielleicht  ziemlich 
gut  den  Ton  am  erzbifchöflichcn  Hofe.  Sein  Gedicht  beweift  imleffcn  klar,  dafs  der  Dom  im 
Innern  ein  durchaus  farbiges  Ausfehen  (pavimento  versicolore  ultet  u.  f w.)  gehabt  haben  mufs. 
Dafs  der  Dichter  in  feiner  Befchreibung  hinzuzufugen  für  nöthig  halt: 

Nulla  sed  effigies  iftic  obscoena  nec  ullutn 
Spurca  locum  turpis  matcr  amoris  habet. 

ilürfte  auch  nicht  unwefcntlich  fein.  Vermehrt  wird  der  farbige  Eindruck  des  Innern  nament- 
lich durch  die  Gemälde  an  den  Altären  und  Wän  len  fein,  die  von  Meiftcrn  wie  Dürer,  Kranach, 
Gruncwald,  Bcham,  Holbein,  Burckmcler,  Hans  Baidung  Grün  u.  f.  w.  gemalt  gewefen  fein 
follcn. 


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IHK  STADT  II ALI, K u,  d.  SAAI.KKKIS. 


|)ci  Stil  uml  feine 
llc^riinüung. 


|iM^  'v 


dunkelblau  (etwas  gebrochen).  Alle  Zeiten,  felbft  die  des  Barocks,  haben 
Verftändnifs  genug  für  die  Schönheit  diefer  Stücke  gehabt,  um  iie  zu 
fchonen,  im  letzten  Sommer  aber  lind  fie  geweifst  worden ! ! — 

Diefer  Befchreibung  des  GrundrilTes  und  Aufbaues  der  Domkirche 
lind  einige  erläuternde  Bemerkungen  zuzufügen,  nämlich  über  die  durchgängig 
erfichtliche  architektonifchc  Einfachheit,  ja  Roheit,  in  der  fchliefslich  alle 
auffälligen  Einzelheiten  begründet  find.  Die  Architektur  des  ganzen  Bau- 
werkes, d.  h.  die  das  Conffructionsprincip  ausfprechende  Eormengebung  ill 
geilfig  inhaltlos;  denn  fie  bietet  nicht  Selbfterfundenes,  sondern  Compilation 
sowohl  in  Bezug  auf  die  Conllruction  als  auch  auf  die  Ornamentation;  in 
erllerer  zeigt  Iie  fich  reactionär,  indem  Iie  ihre  Inhaltsloligkeit  hinter  einer 
nur  zu  durchfichtigen  Maske  von  gothischen  Conllructionen  verftecken 
möchte,  in  letzterer  befchränkt  fie  lieh  auf  ein  Minimum  in  der  Verwendung 
von  Kunlfformen , und  die  unentbehrlichen  entlehnt  fie  meill  ebenfalls  ver- 
gangenen Zeiten.  Die  Gründe  hierfür  au-tzufuchen  liegt  uns  ob;  fie  finden 
fich  wie  immer  in  den  Verhältniflen  der  Zeit,  des  Orts,  der  Perfoiten 
u.  f.  w.,  von  denen  der  Bau  fein  Dafein  hat.  Der  Cardinal  Albrecht  begrift 
als  ein  an  Bildung  aut  der  Höhe  feiner  Zeit  Ifehender  Mann  fehr  wohl, 
dafs  das  Mittelalter  fich  nunmehr  überlebt  hatte,  und  die  Anlegung  dis 
Stiftes  ill  dafür  ein  Beweis,  andererfeits  ill  diefelbe  aber  auch  ein  Beweis 
dafür,  dafs  er  nicht  begriff,  es  fei  eine  Wandlung  der  Dinge  nöthig.  weil 
die  thatfächlichen  Machtverhältnifle  lieh  geändert  halten.  Die  wirkliche 
Macht  lag  nicht  mehr  in  der  lland  der  Geilllichkeit,  die  allmählich  von 
ihrer  ehemaligen  durch  Sittlichkeit  und  Bildung  erworbenen  oder  doch 
berechtigten  Stellung  herabgekommen  war,  fondern  in  der  des  Volkes,  das 
in  eben  diefer  Zeit  fich  auf  eine  ebenfo  hohe  Stufe  der  allgemeinen  Bildung 
gehoben  hatte.  Alorecht  aber  wollte  jener  die  Autorität  wahren  und  das 
grofsartige  Bauwerk,  der  Dom,  follte  Zeuge  deffen  fein.  Dazu  bedurfte  es 
freilich  der  Mittel,  und  wir  haben  gefehen,  wie  er  folche  durch  die  Auf- 
hebung der  Klöller  und  Kirchen  und  durch  die  Einziehung  ihrer  Güter  zu 
liefchaffen  wufste.  Ohne  Abficht  kam  er  dem  Zeitgeille  dadurch  entgegen, 
die  mannigfachen  Veränderungen  riefen  bei  Vielen  Unzufriedenheit  hervor. 
Die  Mifsllimmung  wurde  einerfeits  niedergehalten . indem  Albrecht  das 
öffentliche  Leben  durch  die  lebhafte  Bauthätigkeit  aufregte,  andererfeits 
dadurch,  dafs  er  in  der  kurzen  Zeit  von  drei  Jahren  ein  mächtiges  Bauwerk 
vor  aller  Augen  erlichen  liefs.  Wohl  war  der  Dom  bei  feiner  Einweihung 
noch  nicht  lertig.  aber  zum  wenigllen  war  der  öllliche  Thcil  unter  Dach 
und  nun  fah  man  doch  den  Eortgang,  man  fah  vor  allem  — und  darauf 
kam  es  eben  dem  Cardinal  an  wie  nützlich  die  Mittel  verwendet  wurden, 
die  aus  fo  tief  greifenden  und  fo  fchwer  zu  rechtfertigenden  kirchlichen 
Veränderungen  in  feine  Tafelte  geflofien  waren.  Es  follte  fo  fchnell  als 
möglich  feinen  Namen  zu  verherrlichen  ein  Bauwerk  vor  aller  Augen  da- 
liehen , das  nach  etwas  Grofsem  aus  Iahe,  aber  nichts  oder  doch  möglichll 
wenig  körten  durfte,  das  ill  der  geheime  Gedanke  Albrecht’s,  den  alle  Bau- 
theile  ausfpreclien  und  den  wir  jetzt  in  der  Dispolition,  in  den  Details  und 
in  der  technilchen  Ausführung  nachweifen  werden. 


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DIE  upMKIKCHK. 


-33 


Von  allen  hallefchen  Kirchen  hat  der  Dom  fogar  noch  ohne  die  Ihürme 
die  bedeutend  fte  Länge  (68,50”  ),  während  er  andererfeits  die  geringde  Breite 
hat  (wobei  die  Ulrichskirche  noch  durch  ein  füdliches  Seitenfchiff  vervoll- 
fiändigt  gedacht  ill).  Mich  diinkt,  die  Abficht  ifl  wohl  zu  durchfchauen,  es 
war  auf  die  Wirkung  der  Längenperfpective  abgefehen.  Dabei  ifl  die  Dis- 
|x>lition  die  denkbar  einfachlle.  Im  Gegenfatze  zu  den  gefuchten  Choraus- 
bildungen  an  anderen  Kirchen  fpätgothifcher  Zeit  bildet  hier  nur  das 
Mittelfchiff  eine  Apfis,  die  im  gothifchen  Sinne  kaum  einfacher  gemacht 
werden  kann.  Ein  Querfchiff,  ein  Kapellenkranz,  ein  Umgang  der  Neben- 
fchiffe,  felbll  ein  aplidialer  Schluls  der  letzeren  fehlt.  Sie  fchliefsen  dumpf 
und  erfcheinen  durch  ihre  geringe  Breite  fad  nur  wie  Gänge.  Der  grofse 
Kaum  der  Kirche  id  durch  verhältnifsmäfsig  wenig  Joche  gegliedert,  wo- 
durch weniger  Pfeiler  und  Fender  nöthig  werden.  So  entdehen  auch  die 
ungewöhnlich  grofsen  Wandflächen,  die  folort  den  Verfall  der  Gothik  ver- 
rathen,  da  fie  deren  Geide  fo  wenig  entfprechen.  Eine  einfachere  Pfeiler- 
form ifl  auch  kaum  denkbar,  doch  lag  diefelbe  an  voraufgegangem  n Bauten 
bereits  vor;  fie  wurde  hier  wiederholt,  obwohl  der  Gewölbeausbildung  wegen 
eine  vielgliedrige  Gellalt  mit  Dienden  erforderlich  gewefen  wäre;  da  aber 
Zeit  und  Geld  gefpart  werden  füllten,  fo  genügte  es  ja  wie  in  den  Bettel- 
mönchskirchen Rippen  und  Gurten  auf  Confolen  zu  fetzen;  aber  felbll  diele 
Confolen  Hellte  man  nicht  neu  her,  fondern  fuchte  (ich  folche,  die  etwa 
paffend  erfchienen.  aus  denen  älterer  Bauten  heraus  und  richtete  fie  lall  immer 
roh  für  ihren  neuen  Platz  zu;  nur  wenige  und  zwar  die  fchlechtellen  find 
Machwerke  diefer  Zeit.  Dafs  Albrecht  das  Material  älterer  Bauwerke 
hierzu  fowie  zu  feinen  übrigen  Neubauten  z.  B.  zur  Refidenz  verwendet  hat, 
wifTen  wir  aus  den  Chroniken;  es  braucht  nur  an  die  Lampertikapelle  am 
Kornmarkte,  an  die  alte  Ulrichskirche  zwifchen  der  grofsen  und  kleinen 
Ulrichsdrafse,  an  das  prachtvolle  Kloder  zum  Neuen  Werk  erinnert  zu 
werden,  um  begreiflich  zu  finden,  wie  hier  die  verfchiedenartigen  Form- 
gebilde  vereinigt  werden  konnten.  Freilich  wäre  möglich,  einzuwerfen,  dafs 
der  Abbruch  der  genannten  Bauwerke  doch  zumeid  erll  lange  nach  der  Ein- 
weihung des  Domes  flattfand,  aber  wie  wir  nicht  bedimmt  willen,  was  alles 
auf  den  Willen  Albrecht’s  abgebrochen  wurde  und  welcher  Zeit  es  ange- 
hörte, fo  id  es  auch  nicht  ficher,  ob  bei  der  Einweihung  des  Domes  1523 
alle  Gewölbe  fertig  waren;  vielmehr  find  diefelben  und  mit  ihnen  die  Ein- 
fügung der  Confolen  und  Capitäle  aller  Wahrfcheinlichkeit  nach  erd  viel 
fpäter  in  Angriff  genommen,  zu  einer  Zeit,  wo  eben  der  Abbruch  jener 
Bauten  die  palTenderfcheinenden  Stücken  geliefert  hatte.  Das  Streben  nach 
Erfparung  in  Arbeit  und  Material  durch  Anlehnung  an  frühgothifche  Con- 
llructionen  id  befonders  an  den  Gewölben  erlichtlich;  ganz  im  Gegenfatz 
zu  der  zeitgemäfsen  Netzform  find  fie  auf  die  einfachlle  Art  von  zwei  Dia- 
gonalrippen mit  einem  runden  Schlufsdeine  belebt.  Nur  die  Rippen  im 
llauptfchiff  haben  ein  ziemlich  gutes  Profil,  die  der  Nebenfchiffe  und  alle 
Gurten,  fowie  namentlich  die  der  Arkadenbögen  fprechen  den  rohen 
Charakter  der  Bauweife  deutlich  aus.  Bei  den  E’enflern  fehen  wir  in  der- 
selben Abficht  die  Profile  und  Maafswerke  möglichst  einfach  nach  früh- 


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234 


DIE  STADT  HALLE  o.  d.  SAALKREIS. 


gothil'cher  Art  gebildet,  aber  weder  die  Profil/eichnung  noch  die  Maaf- 
werkscompofition  trägt  hier  den  wahren  Character  jener  Epoche;  völlig 
ungothilch  aber  ilt  die  Weife,  nur  zweierlei  Maafswerksmulter  in  rhythmifcher 
Ordnung  fich  wiederholen  zu  lalfen,  und  alles  nur,  damit  auch  hierin  Müh* 
und  Zeit  zum  Erfinnen  neuer,  verfchiedener  Compolitionen  gefpart  werde. 
Dasfelbe  gilt  von  dem  befchriebenen  Portale;  vielleicht  lind  deffen  Steine 
fämmtlich  einer  anderen  Kirche  entnommen.  Die  Details  des  Aeu (seren 
find  kaum  nennenswerth.  Die  der  krönenden  Giebel  würden  zumeifl  Beach- 
tung verdienen,  wenn  von  ihnen  noch  etwas  erhalten  wäre.  Allerdings 
find  die  Giebel  an  und  für  fich  eine  überflüffige,  rein  decorative  Zuthat. 
wenigllens  ist  nicht  anzunehmen  nach  der  fonltigen  Conftructionsweife,  dafs 
fie  in  dem  Bewufsifein  ihrer  thatlachlichen  F'unction,  als  Beladung  zu 
dienen,  gemacht  worden  find,  aber  fie  Tollten  eben  dem  Baue  durch  ihre 
Menge  ein  pomphaftes  Ausfehen  geben,  und  dabei  tritt  doch  auch  an  ihnen 
die  Sparfamkeit  zu  Tage;  man  mufste  ihren  Flächen  doch  irgend  welche 
Ausbildung  geben  und  fo  nimmt  man  nicht  Anftand  hier  plötzlich  ein 
anderes  Material  zu  verwenden,  ftatt  in  Quadern  Hellt  man  eine  Decoration 
billiger  und  fchneller  in  Backftein  her,  unbekümmert,  dafs  dadurch  die 
Einheitlichkeit  des  Baues  verloren  geht  und  dafs  diefer  Stoff  feiner  Natur 
nach  fo  viel  plumper  ilt.  Solche  Weife  ilt  diefer  Zeit  hier  gewöhnlich,  in  folchem 
Umlänge  und  an  einem  fo  hohen  Zwecken  dienenden  Bauwerke  aber  dürfte 
fie  nicht  wieder  Verwendung  gefunden  haben.1  Aul'ser  den  beiden  übrig- 
gebliebenen WafTerfpeiern,  die  wir  hier  unberückfichtigt  laffcn  kpnnen.  weil 
fie  fpäter  zu  erwähnen  fein  werden,  ilt  es,  abgefehen  von  den  unbedeuten- 
den Fufs-,  Kaff-  und  andern  Simfen  nur  das  Hauptfims,  welches  am  Aeu- 
fseren  der  Kirche  einige  Kunitformen  zeigt;  aber  feine  verfchiedenen 
Partien,  die  unvermittelt  an  einander  gelegt  find  und  die  nach  Welten  zu 
an  Werth  geringer  werden,  befagen  offenbar,  dafs  die  Steine  dazu  von  ver- 
fchiedenen Bauwerken  herrühren.  Nur  die  letzten,  weltlichlten  haben  viel- 
leicht befonders  hergellellt  werden  müffen.  Zahlreichere  Kunitformen  am 
Aeufseren  find  fchon  wegen  des  Materials  ausgefchloffen.  das  aufser  der 
Quaderung  an  den  Ecken  und  einigen  anderen  exponirten  Stellen  durchweg 
und  fogar  mit  Einfchlufs  der  Gewölbekappen  aus  Bruchlleinen  belteht,  den 
Geilt  verrathend,  der  diefen  Bau  getrieben  hat:  denn  einfacher,  billigerund 
fchneller  als  in  diefem  Material  war  allerdings  die  Herltellung  wohl  nicht 
möglich.  Auch  dafs  die  Thürme  fobald  wieder  abgebrochen  werden  mufsten. 
ilt  einBeweifs,  dafs  „der  Bau  übereilet  worden"  ilt,  wie  von  Dreyhaujtt 
fchreibt,  und  die  ziemlich  faloppe  Technik  des  Bruchlteinmauerwerkes  be- 
itätigt das.  Doch  ilt  es  ungewifs,  ob  es  der  Eile  oder  der  technifchen  Un- 
kenntnifs  zugefchrieben  werden  mufs,  wenn  z.  B.  die  zu  Strebebögen  ge- 
wordenen freien  Pfeiler  an  der  Nordfeite  unten  von  nicht  gerade  groben 
Bruchlteinen  hergellellt  waren,  fodafs  ihr  fchneller  Ruin  vorhergefehen 
werden  konnte. 


1 Natürlich  ilt  das  über  diele  Giebel  Gefaxte  nur  zutreffend,  wenn  deren  Ausfehen  Io 
war,  wie  wir  zuvor  als  am  wahrfcheinlichften  hingcflelll  haben. 


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I 


HIE  DOMKIKCHK.  235 

Aus  alle  dem  dürfte  man  wohl  die  Triebfeder  erkennen  können,  die 
(liefen  Hau  veranlafst  und  feine  Ausführung  geleitet  hat.  Wahrlieh  der 
Cardinal  gleicht  Leuten,  wie  fie  durch  das  Hauunternehmerlhum  unferer 
modernen  Grofsllädte  alltäglich  erzeugt  werden;  wie  dielen  dient  ihm  das 
Hauen  dazu,  Geld  in  die  Hände  zu  bekommen,  und  indem  er  fortgefetzt 
bauliche  Unternehmungen  mit  dem  unausgefprochenen  Wahlfpruche  „billig 
und  fchlecht"  entrirt,  gelingt  es  ihm.  fich  gleichfam  eine  /eit  lang  über 
WafTer  zu  halten,  bis  endlich  der  Bankerott  über  ihn  hereinbricht,  den  wir 
hier  nicht  weiter  zu  befprechen  haben. 

Dafs  Alhrecht  nebenbei  ein  Feinfchmecker  in  künlllerifchen  Dingen 
war,  foll  keineswegs  geleugnet  werden,  und  im  weiteren  Verlaufe  unferer 
Befchreibung  des  Domes  werden  wir  hinlänglich  (ielegenheit  haben,  ihn  als 
folchen  kennen  zu  lernen.  Gerade  .liefe  feine  Eigenfchatt  ill  es,  die  dem 
Dome  interelTante.  originelle  und  werthvolle  Stücke  gegeben  hat.  jene  Stücke, 
auf  die  fich  unfere  einleitenden  Bemerkungen  allein  beziehen,  da  nur  fie 
erkennen  lalfen,  was  die  Kunll  diefer  Zeit  am  Dome  im  poßtiven Sinne  d.  h. 
durch  felblt  erfundene  Gebilde  leiftet.  während  fie  fonft  nur  im  entgegen- 
gefetzten Sinne  producirt  hat,  indem  fie  an  Stelle  von  Neugebilden  einfach 
ältere,  fertige  Stücke  wieder  verwendet  (Capitäle,  Confolen  u.  a.)  oder  fich 
mit  fchlecht  vorhandenen  Copien  behilft  (Eenfter.  Gewölbe  u.  f.  w.) 

Bevor  wir  zu  der  weiteren  Befprechung  fchreiten,  mufs  gefügt  werden,  Allere  Korrelier, 
dafs  bisher  diefe  älteren  Bauten  entnommenen  Stücke  den  l'orfchern  fatal 
geworden  find.  Alle1  find  der  Meinung,  der  Chor  gehöre  wirklich  einer 
älteren,  der  frühgothifchen  Zeit  an,  das  Schiff  fei  etwa  aus  dem  1 1.  Jahr- 
hundert und  1520-23  fei  die  Kirche  von  Albrecht  nur  durchweg  rellaurirt; 
das  fei  der  Grund  ihres  jetzigen  unfehönen  Ausfehens.  Was  nach  unferer 
bisherigen  Befprechung  hierüber  bez.  dagegen  noch  gefagt  werden  foll,  ill, 
dafs  es  rückfichtlich  der  anderen  chronicalen  Aufzeichnungen  über  hallefche 
Bauwerke  einfach  als  unmöglich  angefehen  werden  mufs,  es  könne  ein 
fo  grofses  Bauwerk,  felbfl  unvollendet  oder  in  feinen  Anfängen , von  den 
Chronilten  unerwähnt  geblieben  fein.  Aller  Meldungen  llimmen  überein 
und  aufserdem  fehlt  es  ja  auch  nicht,  ganz  abgefehen  von  den  noch  zu 
befchreibetiden  beiden  Weihtafeln,  an  untrüglichen  Documenten  aller  Art. 

Um  aber  aus  dem  Bau  felbll  den  Gegenbeweis  zu  erbringen,  fo  ill  es 
gewifs,  dafs  bis  zur  Blüthe  der  Gothik  man  kein  Bruch  Hein  genauer  für 
einen  folchen  Bau  genommen  hätte,  dafs  auch  das  Bruchlleinniauerwerk 
nicht  am  ganzen  Baue  gleichartig,  wie  es  doch  ill,  fein  würde,  wenn  feine 
Theile  verfchiedenen  Zeiten  angehörten,  und  dafs  endlich  keine  Rellauration, 


1 1.  B.:  Olle:  Archäologie  S.  570.  Lübke:  Gefchichtc  der  Kenaiffancc  in  DcMfchland 
(11.  Auflage. I S.  356.  {,,Dcr  Dom  oder  die  Predigerkirche  ift  keineswegs,  wie  man  wohl  gcfagl 
hat,  von  ihm  (dein  Cardinal  Albrecht)  erbaut  worden;  vielmehr  zeigt  der  Chor  eine  flrengc, 
friihgothifchc  Compolition  in  edlen  Formen  vom  Anfang  des  1 4,  Jahrhunderts,  während  das  Schiff 
ttwas  fpäler  eniftanden  zu  fein  feheint.**)  — Siehe  auch  den  Auffatz  R.  Muther’s  in  den  Grcnz- 
boten  Nr.  25,  S 586  des  Jahres  »884  und  vergleiche  als  Gegenbeweis  den  Auffatz  des  Vei« 
faffers  in  der  Beilage  der  Münchener  Allgemeinen  Zeitung  Nr.  260  des  Jahres  1884. 


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DIE  STADT  HALLE  U.  d.  SAALKKKIS. 


236 


EinzeHhnlc : 
Die  Arbeiten  de» 
Renaiffancc- 
meifters. 


Waffe  rfpeier. 


Kenuiffancc- 
|>ortal  der  Süd- 
feile. 


und  fei  fie  noch  fo  durchgreifend  gewefen,  vermocht  haben  würde,  das 
Ouadermauerwerk  in  ein  Gemäuer  von  Bruchfteinen  zu  verwandeln  1 

Wer  war  der  Baum  ei  Iler  des  Domes?  Wir  willen  es  nicht;  keine 
Chronik  meldet  von  ihm,  keine  Infchrift  nennt  ihn.  kein  Schild  mit  Meiller- 
Zeichen  ill  aufzulinden.  Hans  Schönitz  war  damals  erll  zwanzig  Jahr  alt. 
alfo  wohl  noch  zu  jung,  als  dafs  er  fchon  über  diefem  Baue  anfangs  feint- 
fchützende  Hand  gehalten  haben  könnte.  So  feheint  denn  in  der  That  ein 
irgendwie  fähiger  oder  namhafter  Baumeifler  nicht  an  der  Spitze  gellanden 
zu  haben,  da  in  diefem  Falle  trotz  alle  den  Einfitifsen  von  Seiten  des  Bau- 
herrn eine  fo  wenig  anmuthende  Leillung  doch  wohl  nicht  zu  Tage  gekommen 
wäre,  wie  der  Bau  zeigt,  foweit  wir  bis  hierher  ihn  befchrieben  haben. 

In  dem.  was  hierauf  zu  befchreibon  ill.  wird  lieh  ein  erfreuliches  Bild 
der  Kunllent Wickelung  am  Dome  darllellen.  wie  wir  vorauslchicken  können. 
Es  werden  nicht  mehr  die  ecklen  Todeszuckungen  einer  eingehenden,  lor.dem 
die  naiven,  kindlichen,  oft  noch  plumpen  Regungen  einer  fröhlich  zu  leben 
beginnenden  K unItepoche  fein,  denen  wir  unfere  Aufnxerkfamkeit  zuzuwenden 
haben.  Es  find  die  Stücke,  an  denen  nun  eine  wirkliche  Eortentwicklunc 
der  Kunll  erfcheint  und  fie  gehören  theils  noch  dem  Baue  als  folchem  an. 
theils  Hellen  fie  gefundene , aber  zur  (decorativen)  Ausllattung  gemachte 
Kunllwerke  vor.  Wir  betrachten  lie  zufammen,  weil,  wie  wir  fehen  werden, 
ein  Geilt  in  ihnen  wohnt  d.  h.  nicht  nur  der  eines  neuen  Stiles,  der 
Renailfance,  fondern  auch  der  eines  Künftlerindividuums.  Als  zum  Bau 
felbll  gehörig  nennen  wir  die  beiden  an  den  Strebepfeilern  der  Südfeite  er- 
haltenen Walferlpeier,  das  öltliche  Portal  an  der  Südfeite  und  die  Thür 
zwilchen  dem  Kircheninneren  und  der  Sacrillei;  für  lieh  bellehende  Kunli- 
werke  find:  zwei  Weihtafeln  innen  an  der  Nordwand,  die  Kanzel  und  1;  lcbens- 
grofse  Standbilder,  an  den  Pfeilern  etwa  in  Emporenhühe  gegen  das  Mittel* 
fchiff  zu  angebracht. 

Von  den  WarTerfpeiern  kann  nur,  nachdem  man  die  genannten  andern 
Arbeiten  kennt,  aus  einigen  Details  (z.  B.  aus  dem  kerbartigen  Bandmolivc 
der  Renailfance)  erfehen  werden,  dafs  fie  von  demfelben  Meiller  erfunden 
find.  Sie  befinden  lieh  fo  weit  vom  Auge,  felbll  noch  wenn  man  aus  den 
Dachlucken  lieht,  und  find  theilweife  fo  fchadhaft,  dafs  ein  Urtheil  über  dir 
Arbeit  oder  eine  nutzenbringende  Befchreibung  nicht  wohl  möglich  ill. 

Die  Verfchiedenartigkeit  der  Formen  zwifchen  diefen  in  Rede  (leitenden 
Erltüngsltücken  der  Renailfance  und  jenen  gothi fehen  des  eigentlichen  Baues 
tritt  am  kralfellen  zu  Tage  durch  den  Vergleich  der  Portale  an  der  Südfeite. 
War  das  wellliche  grofs,  fpitzbogig  überwölbt  und  nur  durch  ein  glieder- 
reiches, übrigens  fchntucklofes  gothi fches  Gewände  geziert,  fo  i II  das  örtliche 
klein,  gradlinig  überdeckt  und  überreich  an  zierlichen  Details  der  Gewände. 
Zunächll  bildet  ein  noch  an  gothifche  Art  erinnerndes  Profil  aus  Kehlen 
und  Rund-  oder  Viertellläben  mit  Plättchen  bellehend  und  nicht  bis  zum 


I Oie  unter  der  Tünche  nicht  wohl  mehr  erkennbaren  Steinmetzzeichen  find  ziemlich  grub 
und  hüben  fj.äte  Formen,  namentlich  den  Contur  eines  Beiles  lieht  man  häutig. 


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DU  DOMKIKCHK. 


M7 

Iiotlen  hinabgeliend  die  Umrahmung  der  oblongen  Thüröffnung.  Am  Sturz 
ill  einer  Hohlkehle  des  Profils  noch  ein  Perlenflnb  von  fehr  feiner  Durch- 
bildung eingelegt,  fodafs  andererfeits  hierdurch  wieder  jeder  Gedanke  an 
gothifche  Weife  verfcheucht  wird.  (Jeher  dem  Sturze  zieht  fich  ein  völliges 
Gebälk  hin;  es  wird  durch  Säulen  jederfeits  der  Thüröffnung  getragen.  Im 
Einzeln  ill  diele  verftändige  Anordnung  noch  recht  wunderlich.  Die  Säulen 
gruppiren  fich  zu  je  einem  Händel  an  jeder  Thürfeite,  welches  aus  einer 
vortetenden  Drei  viertel  faule  inmitten  und  noch  jederfeits  einer  dahinter  ge- 
legenen pilafterartigen  Ein  viertel  faule  belleht.  Solche  (iruppe  lieht  auf 
einem  gradfeitigen  Pollamente,  welches  den  einzelnen  Säulen  entfpricht  und 
unten  einige  breitere  Abfät/e  hat.  Die  Poftamentfeiten  lind  alle  vertieft  uml 
mit  arabeskenartigem  Hlätterfchmuek  gefällt.  DieSäulchen  felber  find  nicht 
allein  gliederreich,  hindern  auch  ringsum  von  oben  bis  unten  mit  feinen 
ornamentalen  Details  ausgeftatlet,  mit  Gehängen,  Bändern,  Perlenfrhnüren. 

Blättern,  Masken  u.  f.  W'.  Die  Capitäle  fehen  wie  ein  Gemifch  maurifcher 
und  korinthifclier  Capitällorm  aus.  Eine  Abakusplatte  mit  concaven  Seiten 
ill  vorhanden,  aber  die  Volutenranken  der  Ecken  biegen  fich  nach  oben  und 
lind  von  unverfiandener  fchwüllliger  Form.  Auch  ein  Hlätterkelch  ill  nicht 
recht  ausgebildet.  Auf  den  Säulengruppen  ruht  eine  den  Säulen  entfprechende 
alfo  dreifache  Gebälk  Verkröpfung.  Auffälligerwoile  fetzen  fich  die  drei  Theile 
des  Gebälkes  beiderfeits  neben  dielem  Kropfe  noch  ein  Stück  an  der  Wand 
fort.  Das  Gebälk  felber  befieht  wohl  aus  Architrav,  Fries  und  Kranz,  aber 
der  Architrav  und  Kranz  haben  ein  im  welentlichen  fall  gleiches  Ausfehen. 

Jeder  wird  durch  ein  fimentürmiges,  (larkos  Glied  mit  einigen  unbetleutenden 
Untergliedern  gebildet.  Für  den  Architrav.  der  nach  unten  mit  dem  Sturze 
durch  einige  Glieder  in  Verbindung  lieht,  ifi  diefe  Form  viel  zu  kräftig  untl 
für  den  Kranz  zu  matt,  namentlich  bedingt  durch  das  Fehlen  des  Wefent- 
lichRen,  tler  Hängeplatte.  1m  F'riefe  leien  wir  links  an  der  nicht  mehr  unter- 
llützten  Verlängerung  feitlich  über  den  Kropf  hinaus: 

1525,  über  der  Thür  zwilchen  den  Verkröpfungen:  DOMV  • TVA  • 

DECE1  • S — TITVDO  dann  jenfeits  des  zweiten  Kropfes:  D — NE  • 

z\us  von  Dreyhaupt’s  Abbildung  des  Domes  ifi  zu  fehen,  dafs  noch 
zu  feiner  Zeit  ein  halbkreisförmiger  Auffatz,  mit  einem  Wappen  geziert, 
mitten  über  dem  Kranzfimfe  Hand  und  daneben  über  jedem  Krople  pin 
Figürchen.  Fis  mufs  noch  bemerkt  werden,  dafs  an  (liefern  Portale  fehr  viele 
Stücke  gut  erneuert  lind  mit  genauem  Anfchlufs  an  die  urfprüngliche  Form. 

Sollte  nun  ein  Urtheil  über  den  Stil  des  Portales  gegeben  werden,  fo  Stil  des  Portal*, 
ill  klar,  dafs  die  Gefammtcompolition  und  die  Einzelheiten  bereits  die 
F'ormenfprache  der  Renaiflance  reden.  Nur  feiten  noch  wird  ein  mittel- 
alterlicher Laut  vernommen.  Der  Renailfanceftil  ill  hier  gleich  einem  Kinde; 
feine  fröhlichen,  lachenden  Laute  mögen  uns  entzücken,  doch  geben  fie 
noch  keine  geregelten  Sätze,  gefchweige  denn  eine  wohldurchdachte,  ver- 
lländige,  finnreiche  Rede:  das  will  Tagen,  den  F'ellons,  den  Bändern,  Perl- 
fchnüren,  den  üppigen  Ranken,  den  frifchen  Blumen  und  Blättern,  den 


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Saerifteithür. 


238  DIR  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 

Palmetten,  Masken  und  was  fonfi  die  Elemente  der  Decoration  der  Renaifiance 
fein  mögen,  fehlt  noch  die  klare  Ordnung,  den  Profilen  der  fehbare  Zweck 
ihrer  Form  (z.  B.  dem  Architrav),  den  Verhältniffen  das  richtige  Maafs 
(z.  B.  find  die  Säulen  zu  fchwach  gegenüber  dem  zu  plumpen  Gebälke,  etwa 
wie  die  Beine  eines  Kindes  zum  Kopfe  unverhältnifsmälsig  fchwach  find, 
und  allen  zufammen  fehlt  der  conllructive  Ernft,  Denn  der  Meiller  vermeint, 
die  neueKunll  beftehe  haupt  fachlich  darin,  zu  ornamentiren  mit  ihren  Mitteln, 
und  feine  Arbeiten,  das  mul’s  man  zugeben,  verliehen  zu  felTeln,  aber  da« 
Wefen  der  Renaifiance,  die  neuen  Conllructionsprincipien,  deren  Sinn  fein? 
Zierrathe  doch  eigentlich  zu  verdeutlichen  hätten,  hat  er  eben  noch  nicht 
erfafst.  Ich  kann  hier  fchliefslich  nicht  unerwähnt  lallen, -dals  unfere  lhür 
Aehnlichkeit  mit  der  am  Capitelfaal  der  Kathedrale  von  Toledo,  foviel  eine 
kleine  Abbildung  derfelben  erkennen  läfst.  zu  haben  fcheint.  Die  decorative 
Ueberfchwänglichkeit,  die  durchbrochene  Arbeit  und  namentlich  die 
maurifchen  Anklänge  fprechen  dafür,  dafs  der  Künlller  das  damals  noch 
fo  blühende  Spanien  gefehen  hat. 

Diefem  Portale  ganz  ähnlich  ill  die  etwas  minder  reiche  Sacrillei- 
thür  Fig.  97.  Auch  hier  umfchliefst  ein  gothifch  profilirtes  Gewände,  in 
defTen  Hohlkehle  am  Sturz  lieh  eine  Perlenfchnur  hinzieht.  dieThüröflnum; 
Der  Sturz  ruht  hier  noch  auf  zwei  Confolen,  die  die  oberen  Ecken  der  Thür- 
öffnung austüllen.  Die  Conllructionsweife  ill  alfo  rach  gothifch,  dabei  aber 
ill  die  Ausbildung  der  Confolen  durch  Masken  und  füllende  Blätter  völlig 
der  Renaifiance  gemäfs.  Die  thatfächliche  Conllruction  des  wagerechnn 
Sturzes  llimmt,  wie  wir  aus  dem  Fugenfchnitt  erfehen,  mit  der  durch  ihr 
Form  ausgefprochenen  nicht  überein;  der  Sturz  belicht  nämlich  aus  drei 
Stücken,  von  denen  das  mittlere,  da  es  nicht  keilförmig  ill,  herabfallen 
würde,  wenn  es  nicht  durch  Dübel  oder  durch  ein  anderes  verdecktes  Con- 
llructionsmittel  gehalten  würde.  Hier  lieht  auf  jeder  Thürfeite  nur  eine 
Säule.  Sie  wird  ebenfalls  von  einem  Poflamente  in  verfchiedenen  Ab- 
llufungen  und  mit  überall  vertieften,  omamentgefüllten  CafTetten  an  den 
Seiten  unterllützt.  Zahlreiche  Gebilde  von  Plättchen,  Kehlen,  Wulllen  mit 
Bandzierrathen  aller  Art,  mit  Blättern,  Gehängen,  Ringen,  Köpfen  um! 
dazu  wieder  ein  wunderliches  maurifch-korinthifches  Capital  machen  die 
Säule  aus.  Sie  trägt  den  Kropf  eines  über  dem  Sturze  hinlaufenden  (>e- 
bälkes.  Letzteres  bezeugt  auch  hier,  dafs  dem  Meiller  die  Function  von 
Architrav  und  Kranz  noch  nicht  zum  klaren  Bewufstfein  gekommen  ili: 
beide  haben  wiederum  die  gleiche  Form,  eine  Harke  Sima  oben  mit  Plättchen 
unten  mit  einem  kleinen  Zahnfchnitt.  Der  F'ries  ill  niedrig  und  glatt.  Das 
ganze  Gebälk  geht  auch  hier  noch  ein  Stück  über  den  Kropf  beiderfeitsander 
Wand  hinaus.  Auf  jedem  Kropfe  liegt  eine  Harke  Kugel  zu  einer  Maske 
von  durchbrochenem,  faH  frei  gearbeitetem  Laubwerk  ausgehauen.  Diele 
Stücke  erinnern  wieder  lebhaft  an  die  fpanifche  filigranartige  Goldfehmiede- 
weife,  die  man  dort  auf  die  baulichen  Ornamente  übertragen  hatte.  Die 
Kugel  rechts  mufste  bei  dem  Einbau  der  Wendeltreppe  um  1644  abgenommen 
werden,  um  nicht  im  Mauerwerk  zu  verfchwinden.  Sie  Hegt  wahrfcheinlich 
fchon  feitdem  als  Knopf  auf  dem  oberen  Spindelpfofien  der  Treppe  in  der 


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*'«•  97- 


DIK  »OXtKIKCHF.. 


239 


Südoftecke.  Zwifchen  den  Kugeln  krönt  ein  hier  erhaltener  halbrunder 
Giebelauffatz  das  Gebälk.  Das  Ornamentftück  auf  der  Giebelfpitze  hat  eine 
jetzt  ganz  unkenntliche  Form.  Dargeltellt  in  dem  Auffatze  ifl  als  Relief 
Gott  Vater  (oder  Chriftus?)  ohne  Heiligenfehein.  Im  langen  Barte,  die 
Rechte  fegnend  erhoben,  in  der  Linken  die  Weltkugel  (jetzt  ohne  Kreuz) 
haltend  tritt  er  zur  Hälfte  aus  den  Wolken  hervor;  ringsum  fchweben  ge- 
flügelte Kngelsfigürchen  und  halten  feinen  weiten  Mantel.  Die  Sculptur  i II 
l>ei  weitem  belfer  als  lie,  unanfehnlich  geworden  durch  den  modernen  Kalk- 
farbenanllrich,  zu  fein  fcheint. 

Von  den  felblländigen  K unitwerken  diefes  Meillers  der  FrührenailTance  Die  Wcihufcln. 
find  zuerft  die  Weihtafeln  zu  nennen,  die  der  Nordwand  eingelafien  find. 

Die  bedeutendere  i 1t  die  örtliche  unweit  der  Kanzel  befindliche.  Kin  bal- 
dachinartiges Gehäufe  umfchliefst  hinten  und  feitlich  des  Cardinais  Wappen, 
unter  dem  die  eigentliche  Weihinfchriftstafel  angebracht  ift.  Die  Einzel- 
heiten bilden  fich  fo.  dafs  ein  etwa  halbrundes,  niufchelföriniges  Dach,  ehe- 
mals wohl  von  Zierrathen  bekrönt,  vom  auf  zwei  Säulen  ruht.  Diele  find 
ähnlich  bunt  ornamentirt  und  profilirt  wie  die  an  den  befchriebenen  Portalen, 
aufserdem  umringen  unten  am  F'ufse  einer  jeden  zwei  Engelein  den  Schaft 
(die  beiden  an  der  linken  Säule  find  nur  noch  aus  Bruchftücken  zu  erkennen). 

Zwifchen  den  Säulen,  von  denen  jede  auf  dem  Kropfe  einer  wagerecht 
durchgehenden  Simsplatte  lieht,  befindet  fich  grofs  in  prachtvolllfer  und 
feinfter  Ausführung  das  Wappen  Albrechts.  Links  daneben  lieht  der 
h M oritz  als  geharnifchter  Ritter  und  rechts  die  h.  Magdalena  in  der 
Tracht  der  edlen  Frauen  jener  Zeit;  ihr  Attribut,  das  Salbgefafs,  hält  fie 
in  der  Hand.  Hinter  dem  Wappen  gruppiren  fich  zwei  gekreuzte  Schwerter, 
der  Hirtenftab  in  deren  Mitte  aufrecht  und  darüber  der  Cardinaishut  mit 
feinem  (funfzehnquaftigen?)  Schnürengefiecht  zufammen.  Diefe  Stücke 
lammt  den  Schnüren  des  Hutes  find,  foweit  man  fie  über  und  unter  dem 
Wappen  fehen  kann,  ganz  frei  gearbeitet.  Als  Confole  für  den  die  Säulen 
tragenden  Simskropf  dient  je  eine  Halbfigur  ganz  nach  gothifcher  Tradition; 
diefelbigen  endigen  jedoch  unten  nicht  hintereinem  Wappen,  fondem  laufen 
in  einen  herabhängenden  Zapfen  von  bewegter  Protilzeichnung  und  üppiger 
Decoration  aus;  leider  find  diefe  Zapfen  zumeilt  abgeftofsen.  Die  eine  Halb- 
figur Hellt  den  Bifchof  Erasmus  dar  mit  feinem  Marterwerkzeuge,  der 
darmbewickelten  Winde,  die  andere  ill  eine  Heilige  mit  langen,  fliegenden 
Haaren;  fie  hält  ein  Buch,  ill  aber,  weil  ihr  jetzt  andere  bezeichnende  Attri- 
bute fehlen  nicht  wohl  zu  beftimmen.  Zwifchen  beiden  Confolen  gerade 
unter  dem  Wappen  befindet  fich  die  Infchriftstafel;  auf  ihr  lieht  in  ver- 
tiefter Schrift: 

DEO  ■ OPT  • MAX  • DIVOQUE  • MAVRICIO  • AC  • MAGDALENAE  . 

TVTELARIBVS  • ALBERTVS  • CVIVS-  HAEC-  SIGNA-  DIGNITATE  • 

GENVSQVE  DECLARANT  • HANC  • AEDEM  • IPSE  • DEDICAVIT  • 

AN  • CHRISTI-  M • D • XXIII  • IX-  KAL  • SEBTEM  • 


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240 


DIE  STADT  HALLE  n.  <1.  SAALKREIS. 


Polychromirt  fcheint  nur  das  Wappen  gewefen  zu  fein;  auch  die  Eleifch- 
theile  des  h.  Moritz  find  dunkel  gefärbt;  übrigens  ill  nur  Hellen  weife  Ver- 
goldung zu  bemerken. 

An  diefer  Arbeit  tritt  uns  der  Stil  des  Meifters  in  einer  Weife  ent- 
gegen. die  etwas  Fabelhaftes  hat;  denn  es  i ft  unglaublich,  dal's  (ich  lie- 
bilde  in  dem  Materiale  des  Sand  deines  haben  ausführen  laden,  wie  beifpiels- 
weife  die  Gruppe  der  Schwerter,  des  1 lirtenllabes  und  des  Hutes  mit  feiner 
Schnuren  Verzierung,  wo  die  dünnen  Stäbe  und  Schnüren  auf  Verhältnis- 
mäfsig  zu  lange  Strecken  frei  und  dalx-i  höchft  delicat  und  lein  gearbeitet 
Das  Material,  worden  find.  Eine  Prüfung  des  Materials  ergiebt  denn  auch,  dafs  wir  es 
in  der  That  gar  nicht  mit  Sandllein,  wie  an  den  Thürgewänden,  zu  thun 
haben,  fondern  mit  einer  fehr  leichten,  graugelben  SteinmalTe,  die  (ich  vor- 
züglich gut  auf  der  Drehbank  und  mit  dem  Meder  hat  bearbeiten  laden. 
Die  Unterfuchung1  hat  ergeben,  dafs  ein  vulkanifches  Product,  eine  Trafs- 
art  vom  Rheine,  zu  diefem  Stücke  genommen  ifl.  Die  Kigenfchaften  diele. 
Stoffes  würden  indeffen  allein  den  Anforderungen  des  Künftlers  nicht  haben 
gerecht  werden  können , wenn  derfelbe  fich  nicht  noch  zu  verfchiedenen 
Hilfsmitteln  bequemt  hätte,  die  wenig  mit  der  beanfpruchten  Monumenta- 
lität feiner  Schöpfung  im  Einklang  liehen.  So  hat  der  Stein,  an  fich  zu 
den  verfchiedenen  jener  feinen,  freien  Hab-  und  Ilrick förmigen  Theile  nicht 
haltbar  genug,  einen  Kern  von  Eifendraht  bekommen,  der  jetzt  meifien- 
theils  verrollet  ifl,  anfangs  aber  dem  Ganzen  einen  feilen  Halt  gegeben  hat. 
indem  er  gleichfam  das  Gerippe  gewefen  ilt,  durch  welches  die  feinen  Theile 
Stabilität  erlangten.  Allerdings  ifl  diefes  Eifengerippe  in  der  Folge  ver- 
derblich geworden,  denn  gerade  das  heute  an  diefen  zarten  Stücken  Zer- 
(lörte  dürfte  vielleicht  nicht  mehr  durch  äufsere  Gewalt  als  durch  das 
Eifenfkelet  felhfl  zugrunde  gegangen  fein;  indem  let/eres  nämlich  in  der 
Folge  allmählich  verrollet  ill.  hat  es  die  Fertigkeit  beeinträchtigt,  nicht  ge- 
ftärkt.  Die  Herllellung  der  einzelnen  Theile  aus  einem  Stücke  wäre  eben- 
falls kaum  in  der  ausgeführten  Sauberkeit  möglich  gewefen.  hätte  man 
fie  nicht  vielfach  für  fich  gearbeitet  und  dann  durch  ein  Bindemittel,  z.  B. 
Pech  und  Asphalt,  zufammengefügt  oder  dem  Haupttheile  angefetzt. 
Auch  diefe  Weife  hat  gefchadet  indem  viele  diefer  Theile  abgeflofsen 
und  für  immer  verloren  gegangen  find.  Geber  den  Eintluls,  den  dir 
Eigenfchaflen  des  Stoffes  und  diefe  Technik  des  Künlllors  auf  den  Stil 
der  Arbeiten  nothwendigerweife  haben  mufsten,  wird  weiter  unten  zu 
handeln  fein. 

Die  zweite  Weihtafel  befindet  fich  an  derfelben  Seite  ziemlich  hört 
in  der  Wand  des  wefllichflen  Joches  angebracht.  Die  Anordnung  ill  im 
wefentlichen  diefelbe,  das  Ganze  indeffen  kleiner  und  viel  einfacher.  Al- 
brecht's  Wappen,  zu  deffen  Seiten  der  h.  Moritz  als  Ritter  mit  der  Fahne 
und  die  h.  Magdalena  mit  der  Salbbüchfe  liehen,  findet  fich  auch  hier. 


1 Diefclbc  ifl  in  lieliencwiirdiger  Weife  fiir  unfern  Zweck  durch  Herrn  Prof.  Dr.  v.  Krill’ 
angeftclll  worden. 


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IHR  HOMKIkCIIK. 


241 


aber  die  umrahmende  Baldachinurehitrklur  und  dm  übrigen  Zuthaten  fehlen. 

Die  Infchrift  unter  dem  Wappen  lautet: 

DEO  • OPT  • MAX  • AC  • DIVIS  • MAVRICIO  . ET  • MAGDALENAE  • 

TVTELARIB  • ALBERTVS  . CVIVS  • HAEC  . SIGNA  • DIGNITATEM  . 

GENVSQVE  • DECLARANT  . HÄC  • AEDEM  • IPE  . DEDICAVIT  • 

ANNO  . CHRISTI  . M • DXXIII  • 

Dazugefiigt  lieht  unter  dem  Simfe  und  ill  nur  in  nächder  Nähe  licht  bar: 

ET  • XXIII  AVGVSTI  • Auch  dieles  Stück  dürfte  aus  demfelben  Stoffe  beliehen 
wie  das  befchriebene. 

Gehen  wir  zu  der  Befchreibung  der  Kanzel  über,  welche,  getragen  Die  Kanzrl. 
von  einer  Säule,  an  dem  vierten  freien  Joche  von  Oden  her  gerechnet  liegt. 

Eine  Treppe  windet  fich  um  den  Pfeilerfchaft  zu  ihr  hinauf  und  fall  am 
Fufspunkte  derfelben  ill  durch  zwei  Pfeiler  mit  Gebälk  eine  Aufgangsplorte 
placirt.  Die  einzelnen  Theile  diefer  Dispofition  find  nun  von  dem  Künlller 
mit  allen  Mitteln  feines  Ornamentenfchatzes  gefchmückt  worden.  Die  Pfeiler 
der  Pforte  beliehen  hauptfächlich  in  Bündeln  von  fall  ganz  glatten,  rund- 
liabähnlichen  Säulchen  mit  über  den  Capitälen  vortretenden  Thierfiguren, 
die  an  Waüerfpeier  erinnern.  Stark  ausladende,  gliederreiche  Simfe 
ohne  dominirende  Hängeplatte  und  in  den  Theilen  überhaupt  noch  unver- 
llanden  componirt , faden  den  Sturz  Fig.  98  ein,  über  dem  fich  ein  Auffatz 
in  der  fchon  von  den  Thüren  her  bekannten  Halbkreisform  hefindet.  Der 
unter  der  Kreuzeslali  niederfinkende  Chrillus  ili  in  dem  Giebelfelde 
aut  der  Eingangsfeite  reliefirt.  Ein  Kriegsknecht  fchlägt  auf  ihn  los, 

Simon  von  Kyrene  nimmt  ihm  das  Kreuz  ab.  In  dem  Giebelfelde  auf  der 
Treppenfeite  ili  ein  ecce  homo.  wie  auf  dem  Rande  gefchrieben lieht,  dar- 
geliellt.  Chrillus  ohne  Glorie  mit  der  Dornenkrone  auf  dem  Kopfe  und  im 
Arme  das  Kreuz,  fitzt  gebeugt  da.  Seine  riefenhafte  Körperbildung  fällt 
auf.1  Zu  einer  Seite  des  Giebelauffatzes  lieht  auf  dem  Gefimfe  die  frei- 
gearbeitete Statuette  eines  Engels,  der  eine  Säule  hält : das  Figürchen,  welches 
auf  der  andern  Seite  diefem  entfprechend  wahrfcheinlich  mit  einem 
Kreuze  im  Arme  Hand,  ill  abgebrochen.  Die  Treppenbrüliung,  deren  oberes 
und  unteres  Gefims  in  den  Figg.  99  und  100  dargeliellt  find,  ill  durch  viel- 
gliedrige  Säulchen  von  kandelaberartigem  Aufbau  und  nicht  feiten  von 
pikanter  Wirkung,  jede  oben  durch  einen  muficirenden  Engel  gekrönt,  in 
vier  Felder  getheilt  Auf  rankengeziertem  Hintergründe  liehen  darinnen  als 
Relief  die  vier  grofsen  Kirchenlehrer,  jeder  mit  einem  Buche.  Zu 
unterll  der  Erzbifchof  Ambro fius,  defien  Name  in  feinem  Nimbus  lieht. 

Er  ili  in  feinem  prielierlichen  Amtsornat  und  hält  den  Hirtenllab.  Es  folgt 
im  zweiten  Felde  der  h.  Augullinus  als  Bifchof.*  Er  ili  auch  in  der 


* Dafs  hier  auf  beiden  Giebelfeldern  das  Leiden  Chrifti  dem  Prediger  vor  Augen  geführt 
wird,  während  die  fpatcren  Kanzeln  protefrantifcher  Zeit  den  fegnenden  Chriftus  mit  der  Welt- 
kugel an  der  Eingangszeile  der  Kanzel  zeigen,  verdient  durchaus  Pracht ung  in  Bezug  auf  die 
••eränderte  Anfchauungswcifc  der  Mcnfchcn. 

2 Warum  der  Bifchof  hier  über  den  Erzbifchof  gefetzt  ift,  hat  vielleicht  darin  feinen  Grund, 
B.  D.  d.  Bau*  u.  Kunstd.  N.  F.  I-  10 


X '"V 

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*4*  DIE  STADT  HALIT  11.  d.  SAAI.KKEIS. 


Amtstracht  aber  ohne  Nimbus.  Sein  Buch  hängt  vermitteln  eines  Riemens 
an  feiner  Hand,  die  mit  dem  rofettenverzierten  Handfchuhe  bekleidet  iil 


Fig.  98.  Fig  99. 


Stnrzprnfil  der  Kanzelihür.  Profil  der  Treppenwange. 


An  dem  pfeildurchlfochenen  Herzen  in  feiner  Linken  ifl  er  kenntlich.  Zu 
feinen  Füfsen  fpielt  ein  Knäblein  («eil  ohne  Flügel  wohl  nicht  ein  Engel' 


Fig.  100. 


Profil  der  Kanzel-  und 
Treppenbriiftung. 


mit  einem  pfannenförmigen  Geräthe.  Auf  ihn  folgt 
der  h.  Hieronymus;  er  ifl  ohne  Heiligenlchein; 
feine  Kleidung  ilt  die  des  Cardinais  (cappa  magna 
und  auf  dem  Kopfe  galerus  ruber.)  Zu  feinen 
Füfsen  fehen  wir  einen  Löwen,  fein  Attribut.  Da« 
letzte  Treppenfeld  füllt  die  Figur  des  h.  Gregorius 
aus;  fein  Name  fleht  im  Heiligenfeheine,  die  Tiara 
und  das  mehrfache  Kreuz,  welches  zwar  abge- 
brochen ifl,  aber  Reffe  hinterlalTen  hat,  kenn- 
zeichnen ihn  als  Papll.  An  der  Treppenwange 
lieht  ganz  unten  in  einem  frei  fich  abzweigenden, 
fchwüllligen  Akanthusblatte  ein  Mann  von  unter- 
fetzter  Statur  mit  geflügelter  Kopfbedeckung  und 
in  einem  kriegerifchen  Anzuge ; er  hält  fich  mit 
den  Händen  an  der  Wange  feil,  gegen  die  er  fich 
lehnt.  Seine  Bedeutung  ifl  nicht  klar,  denn  die 
kriegerifche  Kleidung  fchliefst  wohl  aus,  dafs  der 
Künlller  hier  dargellellt  fei,  eine  Annahme,  zu 


welcher  man  fich  fonft  zuerfl  hinneigen  würde.  Die  Wange,  als  ein  von  zwei 


Simfen  eingefafster  Fries  gebildet,  trägt  eine  Infchrift  und  ifl  an  der  Unter- 


dafs  die  Bedeutung  Auguftins  für  die  Gottesgclahrtheit  als  bedeutender  gekennzeichnet  werden 
follte;  wenigftens  ift  kein  anderer  Grund  erfindlich. 


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IHK  DOMKIKCHK. 


•243 


kante  mit  einem  vegetabilen,  lieh  nach  oben  gegen  die  Kanzel  zu  ver- 
jüngenden Ornamente  befetzt,  aus  dem  auch  Engelchen  in  allerlei  Stellungen 
hervorfehen.  Die  Abdeckung  der  Treppenbrüllung  gefchieht  durch  ein 
Gebälk  in  den  kräftigen,  gliederreichen,  aber  unklaren  Simfen  diefes  Meifters 
und  zwar  mit  jedesmaliger  Verkröpfung  über  den  Theilungsläulchen.  Zu 
bemerken  ift  noch,  dafs  fich  die  Stufenunterlicht  als  eine  anlteigende  Fläche 
darflellt.  Sie  ift  dann  zu  Ca  (fetten  ausgehauen  und  diefe  find  mit  feinen  Ornamen- 
ten gefüllt;  ebenfo  hat  der  Pfeiler,  jedoch  nur  unter  der  Treppe,  eine  Bekleidung 
von  omamentirten  Calfettenftücken  erhalten.  Wie  die  Treppenbrüllung  ift 
auch  die  der  Kanzel  durch  Säulchen  getheilt  und  von  denfelben  Simfen  unten 
wie  oben  eingefafst.  In  dem  erften  Felde  rechts  alfo  unmittelbar  an  der  Treppen- 
brüftung  fehen  wir  Petr  us  (Name  im  Nimbus)  mitSchlülfel  und  Buch,  ihm  folgt 
Paulus  (PAVLVS  AP.  fleht  im  Nimbus)  mit  Schwert  und  Buch,  dann  S.  Jacobus 
M.  (fo  im  Nimbus  bezeichnet)  mit  einer  Fahne  an  feinem  Pilgerftabe  und  mit 
einem  Buche,  darauf  Johannes,  der  auf  feinem  Buche  den  Kelch  liehen 
hat,  aus  dem  fich  eine  ziemlich  grofse,  jetzt  abgebrochene  Schlange  hervor- 
windet, der  letzte  ift  Judas  (Thaddäus)  mit  der  Keule  und  einem  Buche. 
In  halber  Figur  fehen  aus  vegetabilem  Ornament  an  dem  bauchigen  Boden 
der  Kanzel  hervor  — wir  fangen  wiederum  rechts  neben  der  Treppenbrüllung 
an:  — Matthäus  mit  Buch,  neben  ihm  feinSymbol,  der  Engel,  Lucas  mit 
dem  Stiere,  Marcus  mit  einer  damals  modernen  Mütze  auf  dem  Kopfe  hat 
neben  fich  den  Löwen  und  Johannes  den  Adler;  dielen  vier  Fvangelilten 
ill  noch  Mofes,  der  als  Gefetzgeber  des  alten  Teftamentes  die  beiden 
Gefetzestafeln  hält,  hinzugefügt  als  ein  ftarkbärtiger  Greis.  Die  fünf  letzt- 
genannten I falbfiguren  haben  lammtlich keinen  Heiligen fchein.  Der  überaus 
reich  und  mit  den  reizendften  Details  im  bunteften  Wechfel  ausgezierte 
Säulenfchaft  hat  an  der  Stelle  eines  Capitäls  gothifirende,  krillallinifche 
Gebilde,  darunter  folgen  Blätter  und  Traubenfeftons,  auch  Bänder  und  Netze 
umgeben  hier  den  Stamm.  Unter  dielen  läuft  um  ein  Streif,  gebildet  von 
Engelfigürchen , Fig.  101,  die  fich  im  keckellen  Uebermuthe  tummeln  und 
raufen  und  nicht  im  minderten  um  die  Heiligkeit  des  Ortes  bekümmert  find. 
Unter  ihnen  laufen  Perlenfchnüre  und  Streifen  mit  Akanthusblättern  um 
den  Schaft,  dann  wieder  ein  Streif  von  muficirenden  Engeln,  Reifen  folgen, 
Plättchen,  Perlen,  bis  unten  ein  breiter,  vierfeitiger  Fufs  fich  aus  pfianzlichen 
Elementen  in  fall  verwirrendem  Durcheinander  zufammenfetzt.  Auf  feiner 
Vorderfeite  fitzt  noch  eine  Engelsfigur  (weinend?).  Ungefähr  in  der  Mitte 
des  Säulenfchaftes  gegen  den  Kirchenpfeiler  zu  und  auf  diefe  Weife  fchlecht 
fichtbar  ift  ein  Wappenfchild  befindlich.  Da  keine  erhabene  oder  vertiefte 
Darllellung  auf  ihm  zu  fehen  ift,  fo  wird  muthmaafslich  eine  folche  in  Farben 
vorhanden  gewefen  fein.  Die  Infchrift,  welche  fich  in  dem  unteren  Simfe 
an  der  Kanzel  und  an  der  Treppenwange  hinab  findet,  lautet; 

OMNIS  • SERMO  • DEI  • IGNITVS  • CLYPEVS  • EST  • OMNIBVS  • 

SPERANT1BVS  • IN  • SE  • NE  • ADOAS  • (bis  hierher  an  der  Kanzel, 

das  Folgende  an  der  Wange)  QVIDQVAN1  • VERBIS  • ILLIVS  • ET  • 

QIE 

ARGVARIS  • INVENIARIS  • MENDAX  V PROVER  • 3 • 

IO» 


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Sinn  der  Kanzd- 
reliefs. 


’44  IHK  STADT  ItAt.LK  11.  d.  SAALKKEIS. 

Hier  durchbrechen  der  Kopf  und  die  Hände  des  kriegerifchen  Mannes 
den  Fries:  dahinter  jedoch,  nahe  an  dem  Portale,  lieht  noch  die  Jahres- 
zahl 1526,  ohne  Frage  in  Bezug  auf  die  Entliehung  der  Kanzel.  Ehemals 
hat  fich  auf  alle  Theile  eine  vielfarbige  Bemalung  mit  Vergoldung  aus- 
gedehnt  und  zwar  in  duften  und  dabei  kräftigen  Farben.  Später,  zuerll 
wohl  im  17.  Jahrhundert  find  alle  diefe  Farben  in  einer  barbarifchen  Weile 
erneuert  worden,  indem  fie  andere  Töne  und  vielfach  .Glanz  bekommen 
haben  oder  unter  einem  weifsen  Anliriche  gänzlich  befeitigt  find,  ebenfo  ill 


Fig.  101. 


Puttengruppe  an  der  Kanzellaule. 


der  befcheidene  Glanz  des  ächten  Goldes  durch  eine  dicke,  prunkende  Lack- 
farbe tjufgefrifcht;  auch  ili  durchweg  die  lloffliche  Farbenmafie  fo  liark  auf- 
getragen, dafs  unter  ihr  die  leinen  Conturen  des  Reliefs  verdeckt  find. 

Es  verlohnt  fich,  auf  den  Sinn  der  Darftellungen  an  der  Kanzel 
mit  einigen  Worten  einzugehen.  Aufser  den  zahlreichen  Figuren,  die  gleich 
dem  Ornament  meiftentheils  einen  anderen  Sinn  als  den  zu  fchmücken,  d.h. 
felll ich.  lebensfroh  zu  Itimmen.  wohl  nicht  haben,  ferner  aufser  der  einzelnen 


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DIE  riOMKIKCHE.  ’45 

Figur  am  F'ufspunkte  derTreppenwange  in  einer  Ornamentranke,  deren  Be- 
deutung (ich  nicht  erklären  liefs,  und  endlich  aufser  den  Giebelfelddarftel- 
lungen  über  dem  Eingänge,  die  den  Prediger  bei  dem  Betreten  und  Ver- 
laden an  das  Leiden  des  Heilandes  erinnern  und  ihn  davon  zu  predigen 
gemahnen  Collen,  aufser  diefen  mehr  nebenfäohlichen  Figuren  und  Gruppen 
beziehen  fich  alle  anderen  Reliefs  auf  die  Entftehung  und  Ausbreitung 
theologifchen  Wittens  fowohl  der  rein  biblifchen  als  auch  der  kirchlichen 
Lehren.  Dabei  ift  die  Vertheilung  der  Partien  fo  gefchehen,  dafs  fie  finn- 
reich  aut  denjenigen  gehen,  der  auf  der  Kanzel  zu  fprechen  hat.  Wer 
nämlich  von  hier  herab  die  chriftlichen  Lehren  weiter  verkündigt,  dem  dient 
Mofes.  der  Gefetzfchreiber  des  alten  Teftamentes,  und  die  vier  Evangeliften, 
die  die  Satzungen  des  neuen  Teftamentes  aufgezeichnet  haben,  als  Grund, 
aul  dem  er  flehen  mufs;  auf  der  Kanzel  gehört  er,  indem  er  dafelbft  von 
den  Apofteln , den  gewaltigften  Verkündigern  des  Wortes  Chrifti,  umgeben 
wird,  gewiflermafsen  zu  ihnen,  ift  (oder  fei)  ebenfalls  ein  wahrer  Apoftel; 
emporgeftiegen  aber  ift  er  zu  diefer  ausgezeichneten  Stelle  erft  durch  die 
Lehren  der  vier  grofsen  Kirchenlehrer.  Das  ift  etwa  in  Kurzem  der  Ge- 
dankengang in  den  Reliefbildern  der  Kanzel,  die  für  die  gelehrten  Stifts- 
herren beftimmt  war.  Wir  unterlafTen.  weiter  auf  den  Sinn  der  Einzelheiten 
einzugehen,  wollen  folches  aber  als  lohnend  empfehlen.  Als  Grund,  wes- 
wegen Johannes  einmal  als  Evangelilt  und  ein  anderes  Mal  als  Apoftel 
dargeftellt  ift,  haben  wir  eben  wohl  diefe  feine  doppelte  Eigenfchaft  als 
Aufzeichner  und  als  Verkündiger  der  Lehre  Chrifti,  die  hier  ausgefprochen 
werden  follte,  anzufehen.  Welche  Gründe  übrigens  die  Auswahl  jener 
genannten  Apoftel  veranlafst  haben,  läfst  lieh  nicht  angeben. 

Die  Kanzel  ift  trotz  ihres  Ornamenten-  und  Figurenreichthums  nicht  in 
dem  Stoffe  der  Weihtafeln  ausgeführt,  fondern.  foviel  man  aus  der  Bruch- 
ftelle  eines  abgeftofsenen  Stückes  der  Figur  an  der  Treppen wange  erfleht, 
aus  einem  faft  weifsen  Kalkftein.  Ob  zu  einigen  Theilen  nicht  auch  ein 
feiner  Sandftein  genommen  ift,  mag  dahingeftellt  fein.1 

Wir  kommen  zu  dem  bedeutendllen  Werke  des  Meifters,  zu  den  lebens-  Pfeilcrliatucn. 
grofsen  Figuren  an  den  Pfeilern.  Es  find  Chriftus,  dreizehn  Apoftel2 
und  die  drei  Titelheiligen  der  Kirche.  Sie  flehen  aufConfolen  und  über 
ihnen  ift  je  ein  grofser  Baldachin,  der  einer  kleinen  Figur  auf  einer  Confole 
als  Gehäufe  dient.  Die  grofsen  Statuen  ftellen  dar,  wenn  wir  am  Chor 


1 Der  Grund  zur  Wahl  de«  härteren  Steines  feheint  zu  fein,  dafs  die  auf  dem  Boden 
ftehende  Kanzel  Berührungen  und  Stöfsen  mehr  ausgefetzt  ift  als  die  Weihtafeln  (und  die 
Ffeilcrfigurcn , die  auch  aus  Trafs  lieftehen),  welche  weit  über  Menfchenhöhc  in  der  Wand 
angebracht  lind. 

2 Die  Zahl  dreizehn  deshalb,  weil  für  Juda>  Ifcharioth  hier  nicht  nur  Paulus,  fondern 
auch  Matthias  cingcfügt  worden  ift.  Wenn  wir  die  Figuren  richtig  beftimmt  haben,  was  in 
Hinlicht  auf  die  vielen  Bcfchädigungen  und  fehlenden  Beigaben  nicht  feft  behauptet  werden 
kann  — es  könnten  z.  B.  auch  die  Evangeliften  Marcus  oder  Lucas  unter  den  Apofteln  dar- 
gcftcllt  fein  — fo  hat  man  hier  aut  die  myftifchc  Zahl  12  — vielleicht  ein  Zeichen  der  Neu- 
zeit — keinen  Werth  mehr  gelegt,  wie  cs  doch  in  den  voraufgegangenen  Jahrhunderten  ftets 
gefchah. 


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246 


DIE  STADT  HALLE  u.  4.  SAALKRK1S. 


mit  der  Süd  feite  anfangen,  zuerft  den  Heiland,  Chriftum;  er  hält  die  Welt- 
kugel — das  Kreuz  fehlt  ihr  jetzt  — in  der  Linken  und  erhebt  zum  Segnen 
die  Rechte;  ihn  bekleidet  ein  einfaches  langfaltiges  (tunicaförmiges)  Gewand, 
auf  defTen  Bordüre  am  Hälfe  SALVATOR  . MVNDI  gefchrieben  fteht;  auch 
der  untere  Saum  des  Rockes  hat  eine  Infchrift,  welche  durch  einen  im 
Sommer  1883  ausgeführten  Kalkfarbenanftrich  unleferlich  geworden  ift.  Die 
ganze  Figur  ift  ziemlich  einfach  in  der  Haltung  und  im  Gefichtsausdruck, 
welch’  letzterer  den  Geift  nicht  verleugnet,  der  dem  Heilande  der  Welt 
innewohnt.  Ihm  gegenüber  an  derXordfeite  fteht  Petrus  mit  dem  Schlüffe! 
und  einem  Buche.  Am  nächften  Pfeilerpaare  fteht  ludlich  Paulus,  der 
wohl  in  feiner  jetzt  abgebrochenen  rechten  Hand  ein  Schwert  gehalten  hat; 
in  der  Linken  hält  er  ein  Buch.  Nördlich  am  entfprechenden  Pfeiler  fehen 
wir  Andreas  mit  einem  Buche  und  hinter  ihm  befindet  fich  das  fchräge 
(Andreas-)Kreuz.  Dann  kommt  wieder  füdlich  Johannes,  jung  und  bart- 
los und  mit  langem  Lockenhaar  dargeftellt;  von  dem  Kelche  in  feiner  Hand 
ift  nur  noch  der  Fufs  vorhanden.  Sein  Gegenüber  ift  Jacobus  d.  A.;  er 
ift  im  Pilgerkleide;  Hut,  Stab,  Mufchel  und  Tafche  vervollftändigen  die 
Tracht.  Es  folgt  Bartholomäus,  kenntlich  an  der  abgefchundenen Haut, 
die  er  hält;  das  Meller  in  feiner  Rechten  fehlt  jetzt.  Auf  der  Nordfeite 
fteht  Thomas;  fein  Attribut,  das  Winkelmaafs,  ift  abgefchlagen.  Nun 
kommt  Matthias,  von  defTen  Beile  nur  noch  der  Stiel  in  feiner  Hand  ill 
Nördlich  gegenüber  dürfte  Matthäus  fein;  der  Stab  in  feiner  Hand  war 
wohl  anfangs  eine  Hellebarde.  Er  ift  bartlos.  Philippus  am  folgenden 
Pfeiler  hielt  urfprünglich  einen  götzenumftürzenden  Kreuzftab,  welchem  jetzt 
das  Kreuz  fehlt;  auch  feine  rechte  Hand  ift  abgefchlagen,  die  er  wie  zur 
Predigt  erhoben  hatte.  Ihm  entfpricht  die  Statue  des  Simon  mit  der  Säge. 
Es  kommt  weiter  Judas  Thaddäus,  der  eine  Keule  führt.  Auf  der 
nördlichen  Seite  fteht  Jacobus  d.  J.,  welcher  früher  einen  Walkerbaura 
gehalten  hat.  Am  folgenden  Pfeilerpaare  fehen  wir  füdlich  den  h.  Moritz, 
F'ig.  102,1  ganz  in  einem  Ilarnifch  von  Eifen,  nach  damaliger  Art  verziert; 
er  hält  in  der  Rechten  feine  Fahne.  An  der  Confole,  auf  der  er  fteht. 
Fig.  103,  ift  die  Halbfigur  des  bärtigen  Meifters  (?)  (jetzt  ziemlich  zerftört 
angebracht  und  darunter  ein  Wappenfchild  mit  der  Infchrift:  ANNO  • DOM  ■ 
MDXXV  • An  dem  gegenübergelegenen  Pfeiler  fteht  die  h.  Magdalena 
in  der  Tracht  der  damaligen  Frauen,  Fig.  104.  Sie  hält  das  Salbgefäfs 
Durch  die  Orgelempore  find  die  letzt  genannten  beiden  Statuen  ziemlich 
verbaut.  Mehr  noch  wird  durch  die  Bretterverfchläge  der  Orgel  die  Figur 
des  h.  Erasmus  verdeckt,  der  in  bifchöflicher  Tracht  und  mit  der 
Mitra  auf  dem  Kopfe  an  dem  füdlichen  Halbpfeiler  der  Weftwand  und  zwar 
gegen  Often  hin  fteht.  Die  Statue  ift  arg  verftümmelt;  auch  können  unter 
den  Verfchlägen  die  Beigaben  nicht  weiter  gefehen  werden.*  Diefer  letzten 
F'igur  entfpricht  an  dem  nördlichen  Halbpfeiler  keine  mehr;  auch  eine 

1 Welch  ein  Untcrfchied  zwilchen  diefer  Statue  des  Heiligen  und  der  um  14  Jahre  älteren 
in  der  St.  Moritzkirchc,  f.  Fig.  57! 

8 Wie  man  lieht,  lind  alle  Statuen  im  Laufe  der  Jahrhunderte  mehr  oder  minder  ftark 


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IMF.  DOMKIKCHF.. 


247 


andere  Darftellung , z.  14.  des  Schweifstuches,  ift  dafelbft  nicht  vorhanden. 
Warum  die  Figuren  des  Johannes  uml  Jacobus  um  fall  1,0"  und  die  Figur 
des  Judas  Thaddäus  um  etwa  0.50"  höher  liehen  als  die  andern,  ift  jetzt 
nicht  recht  einzufehen. 

Die  kleinen  Figuren  oben  in  den  Baldachinen  lind  weder  voll- 
ftändig  an  der  Zahl  noch  gut  erhalten,  überdies  jetzt  wegen  des  Anftriches 
fchlecht  zu  erkennen.  Ueber  dent  Heilande  lieht  eine  gekrönte  weibliche 
Figur,  über  Petrus  Maria  mit  dem  Kinde,  über  Paulus  ift  Chriftoph,  dem 
aber  jetzt  das  Kind  auf  der  Schulter  fehlt.  Ueber  Bartholomäus  lieht  der 
h.  Albanus  als  Bifchof  mit  einem  Buche  in  den  Händen,  auf  dem  fein  ab- 
gefchlagenes  Haupt  liegt.  In  den  übrigen  Baldachinen  lind  die  Figuren 
unkenntlich  oder  überhaupt  nicht  mehr  vorhanden. 

Die  Confolen  unter  den  grofsen  Statuen  lind  alle  verfchieden  aus- 
gebildct.  Sie  haben  unten  ineillens  eine  runde  oder  vierfeitige  zapfenartige 
Form,  die,  zu  verfchiedenen  Malen  in  vier-  und  andere  Mehrecke  fich  über, 
fetzend,  oben  eine  vierfeitige  Platte  trägt.  Mit  der  Rück  feite  hängt  diele 
Form  an  einer  mehrere  Finger  dicken  Platte,  vermitteln  deren  fie  fich  erll 
mit  dem  lleinemcn  Pfeiler  verbindet.  Aut  welche  Weife  letzteres  gefchieht, 
ift  freilich  nicht  fichtbar;  eine  Einmauerung  hat  nicht  llatt;  es  wird  fich  in 
der  Mitte  der  Platte  ein  Ei fen  befinden,  das  einerfeits  in  dieConfole,  anderer- 
feits  tiel  in  den  Pfeiler  hineingeht.  Gewifs  ift.  dafs  die  Anbringung  erft  nach 
der  F'ertigllellung  der  Pfeiler,  nicht  mit  der  Herllellung  derfelben  gefchehen 
fein  kann,  mithin  müfsten  die  Pfeiler  und  zwar  bis  zur  Statue  des  h.  Moritz 
um  15:25  fertig  gewefen  fein.  Die  bcfchriebene  Confolenform  ift  nun  mit 
weitausladenden  Simfen  in  RenaifTancegliedern,  mit  Perlenftäben , Kerb- 
fchnitten  und  anderen  Bandmotiven,  dann  mit  Akanthusblättern  und  Pal- 
metten, aber  auch  mit  freien,  dünnen  und  dickeren  Ranken  in  maafswcrks- 
ähnlicher  Anordnung,  mit  Kreuzblumen  und  Krabben,  dann  auch  mit 
graciöfen,  fifchfchwänzigon  Nixen  und  ernlten  Wappenhaltem,  kurz  mit 
allen  Decorationsmitteln  der  Renailfance  und  der  Gothik  ausgellattet. 
Fig.  105  Hellt  eine  von  den  einfacheren  und  am  wenigften  befehädigten  dar, 
kennzeichnet  aber  den  Stil  fehr  gut.  Sie  befindet  fich  unter  der  Statue 
der  h.  Magdalena. 

Auch  die  Baldachine  find  alle  verfchieden.  fie  zeigen  im  Aufbau 
wefentlich  gothifche  Art.  Zunächft  bilden  fich  meiftens  Efelsrückenbögen 
mit  dem  zierlichften , ganz  durchbrochenen  Maafswerke  darin  als  Füllung. 
Darüber  (leigen  äufserft  dünne  Pfollen  in  gothifcher  Protilirung  auf.  fchliefsen 
fich  oben  durch  mancherlei  Bogenformen,  die  wiederum  mit  dem  feinllen 
Maafswerk  ausgefüllt  find,  zufammen  und  geben  fo  für  die  kleinen  Figuren 
auf  in  Renaifianceornamenten  gehaltenen  Confolen  das  Gehäufe  ab.  Ueber 
letzterem  erheben  fich  drei  dünne  Grate  und  lauten  zu  einer  fchlanken. 
fchwach  gedrehten  Spitze  zufammen',  die  mit  einer  Kreuzblume  über  einem 

befchädigt.  So  fehlt  allen  jetit  auch  der  Heiligcnfchein . den  jede  gehabt  haben  wird,  weil 
man  io  dem  Kopfe  aller  oben  ein  Loch  findet,  das  nur  *ur  BefcftigiKig  eines  folchen  Scheines 
von  wahrfcheinlich  vergoldetem  Metall  gedient  haben  mag. 


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DIK  STAUT  HAI.I.K  u.  d.  SAAI.KKK1S. 


248 


Bunde  nach  gothifcher  Weife  fchliefst.  Alle  vegetabilen  Einzelheiten , fo 
die  Krabben  und  Kreuzblumen,  tragen  den  Akanthusblattcharakter , auch 


Fig.  102. 


Statue  des  h.  Moritz. 


wird  das  Maafswerk  oft  ganz  naturaliftifch  und  erhält  Akanthusblätter.  So 
viel  es  angeht,  treten  auch  in  den  anderen  Einzelheiten  RenaifTance- 
motive  auf. 


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IHK  llOMKIKCHk. 


240 


Leider  lind  an  (liefen  Architecturftücken,  die  fall  für  Holz,  geschweige 
denn  für  Stein  zu  zierlich  gemacht  erfcheinen,  die  Ornamente  vielfach  nicht 


Statue  der  h.  Magdalena. 

mehr  vorhanden,  eine  Folge  theils  von  äufserer  Gewalt,  namentlich  von 
verfländnifslofer  Anllreicherei,  theils  aber  auch  des  Materials,  aus  dem  Sowohl 


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2.5° 


DIE  S I AI)  I HALLE  u.  il.  SA  ALKKE1S. 


die  Ornamente  als  auch  die  Statuen  he  flehen,  nämlich  jenes  poröfen.  rau- 
gelben  rheinifchen  TralTes,  den  wir  fchon  bei  der  gröfseren  Weihtafel  als 
Material  verwendet  gefunden  haben  und  delTen  Verwendungsweife  auch 
hier  diefelbe  ilL  Aufser  der  Zuhilfenahme  von  Iiifen  findet  man  auch  hier, 
dafs  viele  kleine  Ornament  Itücke,  /„  B.  gedrehte  Zapfen,  Knöpfe,  Rofetten 
für  fich  gearbeitet  und  dann  durch  einen  pechartigen  Kitt  der  Hauptform 
angeheltet  lind,  jedoch  llets  fo,  dafs  die  Fuge  nicht  bemerkt  wird.  Alle 
Figuren  und  Zierrathe  waren  vielfarbig  bemalt  und  bis  aut  einige 
Figuren,  deren  Gefleht  letzthin  leider  mit  dem  Meller  bearbeitet  worden  ilt. 


Fi«  103, 


Cocfolc  unter  ilei  Statue  des  h.  Moritz. 


befinden  lieh  auch  jetüt  noch  die  alten  Farben  unter  dem  Kalkanflriclie. 
Sie  lind  äufserli  lebhaft,  doch  ficherlich  in  der  Gefammtwirkung  harmonifch. 
Ich  Iah  die  Haare,  den  Bart  und  die  Augenbrauen  dunkel  gefärbt,  das 
Geficht  fleifchfarben,  die  Lippen  kräftig  roth,  die  Gewänder  in  verfchiedenen 
Farben.  Schon  ältere  Anllriche  hatten  die  Figuren  unanfehnlich  gemacht 
itn  Sommer  1883,  wie  bereits  erwähnt  ilt . hat  man  unter  unvermeidlicher 
Zerllörung  von  feinen  Ornamenten  den  Anltrich,  der  nun  alle  Feinheit 
verdeckt,  durchweg  wiederholt. 

Nachdem  wir  hiermit  die  Befchreibung  der  Werke  des  erden  RenaifTan- 
cilten  in  Halle  beendet  haben,  wollen  wir  den  Stil  derlelben  befprechen; 
hierdurch  mufs  uns  ja  Auffchlufs  gegeben  werden , warum  und  in  welcher 
Weife  hier  an  die  Stelle  der  Ideen,  welche  die  Lebens-  und  Kunftformen 
im  Mittelalter  gellaltet  haben,  nun  diejenigen  treten  mufsten,  die  feither  die 
formbildenden  geworden  find,  und  welches  überhaupt  diefe  neuen  Ideen  find. 
Da  nämlich  der  Stil  in  den  bildenden  Kunden  nichts  anderes  ilt.  als  die 


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1)1  K DOilKIKCHK. 


-’5« 


formale  Ausdrucksweife  defTen,  was  ein  Volk  oder  ein  Meifter  zu  einer 
bollimmten  Zeit  gedacht  oder  erllrebt  hat,  fo  Werden  wir  ihn  kennen  lernen, 
wenn  wir  die  Uebereinftimmung  diefer  Gedanken  und  Beftrebungen  mit 
jener  Ausdrucksart  nachweifen.  Indern  uns  fo  auch  zu  dem  VerftändnilTe 
der  Kunftwerke  verholfen  wird,  d#  h.  dazu,  in  ihnen  den  Geilt  ihrer  Zeit 
oder  ihres  Schöpfers  zu  begreifen,  kann  ihre  Betrachtung  erlt  bildend  fein. 


t'K- 105. 


Confblc  unter  der  Statue  der  h.  Mandate  tu. 


Die  erde  Krage  wäre,  warum  nicht  auch  die  Arbeiten  diefes  KenaifTance- 
meifters  gleicherweife  wie  der  Bau  felber  zufammengeltückelt  find,  oder 
umgekehrt,  warum  nicht  auch  der  ganze  Dombau  in  diefer  üppigen  Re- 
naifTance  ausgefuhrt  worden  ift.  Was  der  Cardinal,  der  die  Haltloligkeit 
der  Zuftändc  feiner  Zeit  einfah  und  durch  die  Anlegung  des  Stiftes  zu  ihrer 
Verbeflerung  feinerfeits  beitragen  wollte,  unternahm,  entfprach  nicht  den 
BedürfnilTen  der  Zeit,  es  war  eben  reactionär,  nicht  revolutionär  wie  Luthers 
Thefen.  Da  fich  nun  eine  andere,  dem  Zeitgeille  gemäfse  Ordnung  der 
Dinge,  namentlich  der  kirchlichen,  noch  nicht  gefertigt  hatte,  fo  konnte 


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IHK  STAIIT  HALLK  u.  . SAALKKKIS. 


252 


auch  ein  neues  Kirchenbauprogramm,  nach  dem  hier  der  Dom  zu  errichten 
gewefen  wäre,  nicht  da  lein;  im  Gegentheil,  die  reactionären  Bedrohungen 
des  Cardinais  gingen  ja  dahin,  die  längft  vergangenen  Machtverhältnille 
wiederherzuftellen  und  zwar  unter  Verwendung  alter  Inftitutionen  und  Formen. 
Nun  wohl,  lefen  wir  das  alles  nicht  aus  dem  baulichen  Syfteme  des  Domes, 
aus  den  damals  längft  nicht  mehr  üblichen  Conftructionen  (Fenftergewölbe , 
aus  der  directen  Benutzung  eines  alten  Klofters,  aus  der  Zufammenftoppelung 
von  Formen  vergangener  Zeiten?  Dem  gegenüber  ift  nichts  natürlicher, 
als  dals  er  den  veränderten  Anforderungen  der  Zeit,  foweit  fie  feine  reactiv 
nären  Ablichten  nicht  durchkreuzten,  gern  Rechnung  trug,  und  dafs  er,  der 
geiftig  hochgebildete  Mann , lieh  lieber  an  geiftreichen  Neuerungen  erfreute 
und  fie  beförderte,  als  Altes  feftzuhalten  lieh  beftrebte,  welches  bedeutungs- 
los für  ihn  war,  wenn  feine  materiellen  Interefien  davon  nicht  tangirt  wurden. 
Und  hier  offenbart  fich  Albrecht  eben  als  Feinfchmecker  in  künftlerifcht-n 
Dingen.  Da  die  Kirche  felbft  „an  Haupt  und  Gliedern"  zeitgemäfs,  alfo 
den  that fachlichen  Macht verhältnifien  gemäfs,  umzugeftalten  gegen  feine 
Interefien  war  und  über  feine  Kraft  ging,  fo  pafste  es  ihm  doch  fehr,  die 
nebenfächlichen  Einzelheiten  in  derfelben  der  Zeit  entfprechen  zu  laden 
durch  neuere  interefiantere  Formen , darauf  verfchwendete  er  Gelder  in 
Menge,  denn  das  reizte  ihn.  und  fo  entftanden  diefe  erften  Renaiffance- 
arbeiten,  die  er,  wie  fich  verlieht,  von  einem  Künlller  ausführen  liefs,  der 
den  geilligen  Anfprüchen  der  Bildungsftufe  des  Cardinais  genügen 
konnte.  Damit  wäre  das  Warum  und  Wie  die  neuen  Formen  hier  entftanden 
beantwortet,  eigentlich  ohne  Rückficht  auf  den  Stil.  Das  Voraufgehende 
mufste  gefegt  werden,  weil  die  dritte  Frage  nach  dem,  was  die  Formen 
ausfprechen,  dadurch  verftändlieher  zu  beantworten  ift  und  dann  die  Ant- 
wort auf  die  beiden  erften  rückfichtlich  des  Stiles  fich  von  felbft  ergiebt. 

Das  Schiboleth  der  Neuzeit  ift  (warum  gerade  diefes  und  kein  anderes 
dürfen  wir  hier  nicht  unterhielten)  im  Leben  das  Naturgemäfse  zur  Richt- 
fchnur  zu  machen  da,  wo  die  Zeiten  des  Mittelalters  hindurch  alles  Streben 
lediglich  auf  das  Uebernatürliche  gerichtet  gewefen  war;  indefien  fo  weit 
es  hier  Formen  gebildet  hat,  ift  es  keineswegs  fchon  zur  allgemeinen  An- 
erkennung gelangt,  fondern  lediglich  erft  von  den  ausgezeichnetften  Geiftern 
begriffen.  Freilich  gab  es  ein  Bedürfnifs  nach  neuen  Formen  im  ganzen 
Volke,  da  hinter  den  alten  jetzt  kein  Sinn  mehr  ftak,  aber  wie  zu  allen 
Zeiten  waren  nur  die  Gebildetften  fähig  es  auszufprechen  im  Leben  wie  in 
der  Kunft.  Das  ift  der  Grund,  warum  wir  zu  Halle  den  erften  Künftler 
der  Neuzeit  nicht  an  einem  Bürgerhaufe,  fondern  im  Dome  thätig  finden, 
dem  Baue  eines  illuftren  Kirchenfürllen , bei  allen  reactionären  Tendenzen 
Albrechts  doch  auf  fein  Geheifs  an  einem  Baue,  der  ja  für  das  Volk  eine 
„Baftille  des  Geiftes“  werden  füllte.  F'anden  wir  hier  im  Dome  nicht  auch 
den  erften  Prediger,  der  bei  dem  Abendmahle  den  Kelch  reichte?  Das 
freilich  war  ein  Anzeichen  der  Neuzeit,  welches  für  Jedermann  verftändlich 
die  Veränderung  der  wirklichen  Machtverhältniffe  darthat  und  fomit  dem 
Cardinale  nicht  zufagen  konnte,  während  jene  fteinemen  Zeichen  der  Kunft 
ihm  gefielen,  die,  wie  fich  gleich  zeigen  wird,  noch  einer  Coteriefprache 


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DTK  DOMKIKCHF. 


2.5.3 


gleich  von  einem  Gebildeten  an  Gebildete  gerichtet  waren  und  nur  von 
folchen  verbanden  wurden.  Die  Formenfprache,  die  diefer  moderne  Künlller 
lührte  und  die  man  in  Halle  noch  nicht  vernommen  hatte,  war  nämlich 
deswegen  nicht  in  den  Ausdrücken  gehalten,  die  fich  dem  Volksverlländnifs 
anpafsten,  weil  ja  feine  Arbeiten  zunächft  den  gebildeten  Bellellern,  dem 
Cardinal  und  feinen  Stiftsherren,  Genufs  bieten  Tollten  und  nicht  eigentlich 
an  das  Volk  gerichtet  waren,  wie  jene  einige  Decennien  fpäteren  Erftlings- 
werke  der  Renaiffance  in  der  Marktkirche,  die  vom  Volke  bellellt  durch 
Nickel  Hofman,  den  Künlller  aus  dem  Volke,  für  das  Volk  ausgelührt 
wurden.  Erft  gegen  die  Mitte  des  16.  Jahrhunderts  fing  auch  das  Volk  an 
der  RenaifTance  Gefchmack  abzugewinnen,  was  wir  daraus  erfehen,  dafs 
diefer  Meiller  aus  dem  Dome  für  hallefche  Bürger,  foviel  wir  wilTen,  über- 
haupt nicht  nur  gar  nichts  ausgeführt  hat,1  fondern  dafs  fich  auch  die  Gothik 
bis  zur  Mitte  des  Jahrhunderts  an  den  Bürgerhäufern  nachweislich  erhielt 
(fiehe  die  Portale  Schmeerllrafse  Nr.  31  vom  Jahre  1520  und  grofse  Ulrich- 
ftrafse  Nr.  19  vom  Jahre  1548).  Danach  ill  auch  ziemlich  gewifs,  dafs  unfer 
Meifler  kein  hallenfer  Kind,  fondern  von  auswärts  zu  diefen  Arbeiten  be- 
rufen war  und  zwar  wahrfcheinlich  aus  Süddeutfchland,  wo  das  Verftändnifs 
für  die  RenaifTance  fich  etwas  früher  Bahn  gebrochen  hatte;  auch  wird  er 
fich  in  der  Welt  umgethan  haben.  Wie  man  aus  feinen  Arbeiten  lieht,  war 
er  vermuthlich  in  Spanien  oder  Italien.  Nur  ein  folcher  Künlller  konnte 
das  bieten,  was  der  Cardinal  und  feine  Umgebung  an  den  von  ihnen  be- 
llellten  Kunllwerken  beanfpruchten.  Diefes  Meillers  Arbeiten  mit  denen 
Hofman ’s  verglichen  lalTen  denn  auch  in  der  That  fogleich  erkennen,  dafs 
ihre  Ausdrucksweife  in  viel  höherem  Grade  geillreich  lebhaft  und  reizend  ill 
als  die  fpäteren  Arbeiten  des  einheimifchen  Künlllers.  Und  obwohl  letztere 
fpäter  find,  erfcheinen  fie  doch  denen  unferes  Meillers  gegenüber  matt  in 
der  Erfindung  und  fall  handwerklich  in  der  Ausführung,  andererfeits  aber 
find  fie  weniger  bombaftifch,  vielmehr  klar  und  verlländig  componirt  und 
als  Erzeugniffe,  die  von  dem  urwüchfigen  Boden,  dem  Volke,  nicht  von 
üppigen,  befonders  präparirten  Beten,  den  Gebildeten,  hervorgebracht  find, 
gewifiermaafsen  gefunder,  kräftiger  und  nun  auch  geeigneter  zur  natur- 
gemäfsen  Fortpflanzung.  Bei  beiden  Meillern  ill  zu  den  verfchiedenen  Zeiten 
das  Verftändnifs  für  die  Idee  der  RenaifTance  etwa  gleich  weit  entwickelt, 
beide  find  noch  aus  den  mittelalterlichen  Anfchauungen  hervorgegangen, 
aber  da  fich  in  dem  Geifte  des  fähigeren  Meillers  aus  dem  Dome  die  Schön- 
heitsidee der  Zukunft  'mit  viel  intenfiveren  Farben  und  üppigeren  Formen 
darftellt  als  in  dem  des  fpiefsbürgerlichen  Hofman.  fo  protellirt  er  natürlich 
auch  in  einem  viel  leidenfchaftlicheren  Tone  gegen  alle  traditionelle  Autorität; 
beides,  nicht  nur  die  Form,  fondern  fogar  der  Stoff,  der  den  Geilt  der  Ver- 
gangenheit dargeftellt  hat,  der  harte,  ungefügige  Stein  hat  ihm  nicht 
überall  genügt,  um  die  Bilder  feiner  überfprudelnden , von  diefer  neuen 

1 Wenn  auch  nicht  für  den  einzelnen  Bürger,  fo  hat  doch  der  Meiftcr  für  die  Stadt  in 
fofern  gearbeitet,  als  die  Confole  unter  der  Moritiftalue  am  Kathhaulc  und  der  Baldachin  über 
ihr  (fie  fei b ft  aber  nicht)  unzweifelhaft  feine  Arbeit  lind. 


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IHK  STADT  HALLS  u.  d.  SAALKKEJS. 


Schönheitsidee  fo  mächtig'  erregten  Phantafie  wiedergeben  zu  können.  Er 
griff  daher  zu  verfchiedenen  Materialien  und  nahm  zu  den  feineren,  belferen 
Arbeiten,  den  Weihtafeln  und  Statuen,  das  getügigfte,  bildfamfte,  nämlich 
jenen  fern  vom  Rheine  geholten  Trafs,  den  wir  befchrieben  haben.  Dies 
war  eben  der  am  meiften  geeignete  Stoff  zur  Darllellung  der  extravaganten 
Bilder  in  des  Künftlers  Kopfe  und  er  genügte  ihm  kaum. 

Ill  es  einerfeits  die  neue  Schönheitsidee,  die  den  Stil  hervorruft,  fo  ili 
es  nun  andererfeits  diefer  gefügige  Stoff,  der  ihn  gellaltet,  indem  er  dem 
Künftler  geftattet  weit  über  die  Grenzen  hinauszugehen,  welche  ihm  von 
dem  Sandfteinmateriale  gedeckt  wmrden.  So  reichen  hier  die  Idee  und  der 
Stoff  wie  fo  häufig  einander  die  Hand  zum  Dienfte  der  Kunft.  Beide  find 
indelfen  noch  unvollkommen.  Der  neue  Begriff  vom  Schönen,  der  noch 
nicht  fogleich  ftreng  nach  antikem  Princip  die  Formen  bildete,  unterlag  der 
F.ntwickelung,  weswegen  auf  feinem  gegenwärtigen  Standpunkte  die  Formen 
noch  direct  der  Gothik  entwachfen  und  zwar,  indem  fie  deren  Art  in  Con- 
ftruction  und  Dispofition  zumeift  beibehalten,  dagegen  in  der  Ornamentation 
fich  ganz  neu  gellalten.  Statt  der  weiten,  öden  Hohlkehlen  find  es  üppig 
gefchwungene , fchwellende  Kümata  mit  mancherlei  Theilung,  llatt  des 
welken  und  todten  Blätterwerkes  fehen  wir  lebenvolles  und  frifch  wachfen- 
des;  doch  zeigen  die  Ranken  noch  nicht  die  rechte  Kraft,  ihre  Bewegung 
ill  ziemlich  ungelenk  und  fchwerfällig  und  die  Blätter,  obwohl  mit  fcharf- 
gefchnittenen  Spitzen  (mehr  dem  griechifchen  als  dem  römifchen  Akanthus 
ähnlich),  haben  noch  ein  lappiges  und  in  ihrer  Malfenhaftigkeit  fchwüllliges 
Ausfehen  (vergl.  die  Ranken  unter  der  Kriegerfigur  an  der  Kanzel).  Die 
gothifchen  Ueberbleibfel , die  mehr  tektonifcher  und  krillallinifcher  Natur 
find,  müffen  fich  durch  die  keckllen  Windungen  zu  Conceffionen  verliehen, 
durch  die  fie  ihre  Bedeutung  oft  gänzlich  verlieren.  Sie  werden  noch  viel 
dünner,  fchlanker,  man  kann  Tagen  tleifchlofer  als  in  den  gewagteilen  fpät- 
gothifchen  Arbeiten  aus  dem  Sandlleinmateriale.  Auf  die  Sandlleinarbeiten 
des  Meillers  bezieht  fich  alfo  das  Letztgefagte  auch  nicht  in  dem  Maafse.  fo 
übermüthige  Weife  ill  nur  in  der  viel  weicheren  Malfe  des  Traffes  möglich. 
Zugleich  treten  auch  die  heterogenen  Elemente  von  antiker  Bildung  hinzu, 
befonders  in  den  kleinen  Simsprofilen;  wie  lachende  Laute  durchtönen 
fie  die  letzten  Seufzer  des  wunderlichen  Maafs Werks  der  verfcheidenden 
Gothik.  Wohl  find  die  decorativen  Formen  der  jungen  Kund  überreich 
und  bunt  durcheinander  fich  mengend,  aber  dennoch  im  Einklang  fo- 
dafs  fich  hier  dem  Auge  die  reizendlle.  nicht  gerade  fchönlle  Formenwelt 
darbietet,  höchll  fympathifch  unferer  jetzigen  Zeit,  die  das  Reizende  auch 
mehr  als  das  Schöne  liebt.  Befinden  auch  wir  uns  in  einem  Uebergangs- 
zullande?  — 

Was  ich  eben  von  der  Ornamentation  gefugt  habe,  gilt  theilweife  auch 
wohl  von  der  Sculptur  im  engeren  Sinne,  alfo  namentlich  von  dengrofsen 
Statuen.  Aber  die  Bildhauerei  ill  der  ornamentalen  Baukunll  doch  weit 
voraus.  Die  Figuren  find  fämmtlich  hoch  aufgefafste  Geftalten  im  grofs- 
artigflen  Stile,  dabei  von  gefundem  Realismus  in  der  Behandlung,  fodafs 
fie  einen  lebenswahren,  ja  lebenswarmen  Eindruck  hervorrufen.  Es  giebt 


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DIE  DOMKIKCHK.  255 


ohne  Frage  kein  bedeutenderes  Sculpturenwerk  in  Halle,  nur  die  Kanzel 
der  Moritzkirche  ift  ihm  an  Geiß  und  Kunftwerth  vergleichlich. 

Die  Haltung  diefer  Figuren  erinnert  zwar  zuweilen  leile  an  die  ver- 
gangene Zeit  z.  B„  wo  der  Künftler  das  Weiche,  Weibliche  in  der  Figur  der 
h.  Magdalena  ausdrücken  will,  giebt  er  ihrer  Stellung  die  Form  der  conven- 
tionellen  S-Linie,  im  ganzen  jedoch  ift  fie  ganz  naturgemäfs.  nirgends  ift  mehr 
Steifheit  oder  unwahre  Bewegung,  jedeGefte  ift  l'prechend,  jede  Hauptfalte 
ganz  dem  Körper  und  Stoffe  gemäfs,  gothifcherEinflufs  gab  den  Gelichtern 
den  feelifchen  Ausdruck,  antiker  die  Kraft  und  Ruhe,  fo  haben  wir  lauter 
herrliche  Charakterköpfe,  auf  deren  Mienen  man  die  Gedanken  lefen  kann.1 
Wenn  nicht  bewufst,  fo  fühlte  der  Meifter  diefer  frühen  Zeit  doch  inftinctiv, 
worauf  es  von  nun  ab  ankomme,  wie  wir  foeben  gefehen  haben,  allein  alle 
die  vielen  Nebenfragen  waren  doch  noch  nicht  gelöft.  Daher  wird  der 
ruhige  Flufs  der  Hauptfalten,  die  uns  über  die  Körperform  gar  nicht  im 
Unklaren  laffen.  durch  viele  kleine,  willkürliche  F'alten  (fogenannte  Knitter- 
falten! unterbrochen,  welche  den  Eindruck  unruhig  machen.  Das  ift  eine 
natürliche  Eigenfchaft  für  diefe  aufknolpende  Kunft,  welche  fich  die  Natur 
zur  Lehrmeifterin  genommen  hatte,  in  diefem  Streben  nun  aber  fowohl  bei 
der  architektonifchen  Ornamentirung  als  auch  bei  diefem  Faltenfchmuck 
über  das  Ziel  hinnusfchofs.  Auch  die  peinlich  genaue  Wiedergabe  der 
Details  an  unferen  Statuen  ift  auf  das  gleiche  Streben  zurückzuführen.  So 
ift  z.  B.  die  Rüftung  des  h.  Moritz  mit  jedem  Niethe  genau  der  Wirklich- 
keit nachgeahmt,  ebenfo  find  die  Mufter  der  Bordüre  an  den  Röcken 
der  h.  Magdalena  ganz  naturgetreu  copirt,  von  folchen,  die  damals  gerade 
Mode  waren.  Diefe  Standbilder  find  übrigens  fchon  ächte  Kinder  der  Neu- 
zeit; verfchwunden  find  die  zu  kurzen  Arme,  die  langen,  mageren  Hände, 
die  zu  fchmalen  Schultern ; nicht  mehr  Sentimentalität  und  Askefe,  nicht  das 
Gefühl,  fondern  der  Geift  fpricht  aus  diefen  Geftalten.  Es  ift  die  verkörperte 
Proteftation  gegen  den  Betrug,  durch  den  Hinweis  auf  das  Jenfeits  dem 
Diesfeits  feine  Freuden  zu  nehmen. 

Bei  einem  Vergleiche  aller  diefer  Renaiffancearbeiten  im  Dome  fallen 
nun  doch  einige  Verfchiedenheiten  auf.  Dafs  alle  Statuen  und  die  Dedica- 
tionstafeln  von  einer  Hand  herrühren,  ift  wohl  nicht  zweifelhaft,  weil  fie  in 
ganz  gleicher  Weife  und  aus  demfelben  eigenartigen  Materiale  gemacht 
find.  Kanzel  und  Thüren  fowie  die  Wafferfpeier  beftehen  aber  aus  Kalk- 
ftein  und  Sandftein,  und  wenn  auch  fonft  derfelbe  Geift  aus  ihren  Formen 
fpricht,  fo  ift  doch  die  Ausführung  minder  exact;  es  finden  fich  weniger 
gothifche  Extravaganzen  und  mehr  ruhige  Simfe  der  Renaiflance;  ferner 
find  die  Figuren  und  das  Ornament  meiftens  ganz  flach  reliefirt  und  erftere 
zeigen  in  der  Bewegung  und  Haltung  hin  und  wieder  Härten,  die  in  den 
Standbildern  an  den  Pfeilern  nicht  Vorkommen.  Das  Ornament  ift  auch 
ziemlich  handwerksmäfsig;  es  finden  fich  zahlreiche  Ungenauigkeiten  nicht 
nur  im  Laubwerk,  fondern  z.  B.  auch  an  den  beiden  Confolen  in  der  Oeff- 

l Auch  Lubke  in  feiner  Gefchichte  der  Renaiffance  in  Dcutfchland  S.  357  ift  gleicher 
Anficht. 


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OIF.  STAUT  HALLE  n.  '<  SAALKKKIS. 


2SÖ 

nungvder  Sacrißeithür,  welche  an  Gröfse  und  Form  nicht  ganz  gleich  lind: 
ferner  auch  an  den  Perlenßäben  des  Thürßurzcs.  Die  einzelnen  Perlen  lind 
dafelbß" nicht!  durchweg  von  gleicher  Gröfse  und  haben  auch  ungleiche 
Intervalle.^  Solche  Verfchiedenheit  lediglich  dem  zweierlei  Material  unter- 
zufchieben,  kann  ich  mich  nicht  entfchliefsen:  ich  meine  daher,  dafs  der 
Entwurf  zu  alle  diefen  Krftlingswerken  der  Renailfance  im  Dome  von  dem- 
felben  Meißer  herrübrt,  die  technifche  Ausführung  aber  in  verfchiedenen 
Händen  lag.  Diefer  Schlufs  bellätigt  lieh,  wenn  man  berücklichtigt,  dafs 
die  Ausführung  in  der  knappen  Zeit  von  3 bis  4 Jahren,  in  welcher  eines 
Mannes  Hände  die  datirten  Stücke  (1523  die  beiden  Weihtafeln,  1523  das 
äufsere  Portal  und  die  Statuen.  1526  die  Kanzel)  fertig  gemacht  hätten, 
unmöglich  iß.  Ueberdies  liegt  es  wohl  ganz  in  der  Natur  der  Sache,  dal's 
der  Meißer  felber  die  intereflantere  Hauptarbeit  übernahm,  die  Statuen. 
Hier  in  dem  gefügigeren  Stoffe  konnte  er  feiner  Phantafle  die  Zügel  fchiefsen 
laßen,  während  der  fpröde  Sandßein  ihn  in  läßige  Gefetze  gebannt  hätte; 
feine  Bearbeitung  überliefs  er  all'o  den  Gehilfen;  doch  fieht  man  wohl,  wo 
des  Meißers  Hand  bei  fchwierigen  Partien  geholfen  hat.  und  folche  lind 
dann  ebenfalls  unvergleichlich  fchön,  z.  B.  die  Putten  an  dem  Säulenlchafte 
der  Kanzel,  die  fich  prügeln. 

Der  Meifter.  Wer  war  nun  der  Meißer  diefer  Kunßwerke?  Wie  wir  fchon  er- 
wähnten, hat  er  fich  an  der  Confole  unter  der  Statue  des  h.  Moritz  als 
Wappenhalter  in  ballier  Figur  porträtirt.  Abgeffofsen  find  ihm  freilich  die 
Nafe,  die  Arme  und  mit  letzteren  das  Werkzeug.  Zirkel,  Meifsel,  Hammer 
oder  dergl.,  welches  er  wahrfcheinlich  hielt,  aber  der  ganze  Habitus  der 
F'igur  läfst  keinen  Zweifel  darüber,  dafs  wir  hier  wirklich  des  Meißers  Biki- 
ni fs  vor  uns  haben.  Weder  fein  Name  noch  fein  Zeichen  iß  auf  zufindet! 
gewefen. 

Das  Geftüht,  Zur  ferneren  Ausßattung  der  Kirche  gehört  das  hölzerne  Ge- 
ßühl  an  den  Wänden  der  Neben fchiffe  entlang.  F'ig.  106.  Die  Sitze,  welche 
an  der  Südwand  von  der  füdößlichen  Treppe  bis  zum  nächßen  Portale 
ßehen,  und  die  ößliche  Partie  derer  an  der  Nordwand  find  gleichzeitig  und 
zwar  mit  dem  Dome  felbß  entßanden.  Wir  haben  allen  Grund  anzunehmen, 
dafs  fie  anfangs  ihren  Platz,  im  Chore  hatten,  weil  fich  dafelbß  keine  mehr 
befinden  und  wenigßens  die  an  der  Südwand  jetzt  vor  einer  urlpriinglichen 
Eingangsthür  ßehen,  die  fpäter  erß  vermauert  worden  iß.  Diefe  genannten 
Stuhlreihen  haben  zu  der  urfpriinglichen  Ausßattung  der  Stiftskirche  ge- 
hört, weil  fie  fich  in  ihren  eichengefchnitzten  Zierrathen  ganz  dem  Stile  der 
eben  befchriebenen,  ßeinernen  Arbeiten  anlehnen,  ja  wir  gehen  vielleicht 
nicht  fehl,  anzunehmen,  dafs  auch  zu  diefen  Holzarbeiten  der  unbekannte 
Meißer  jener  die  Angaben  in  Bezug  auf  die  Compofition  gemacht  hat.  Die 
moderne  Zeit  hat  ihren  Kunßwerth  verkannt,  und  das  fchöne  Eichenholz 
iß  mit  Oelfarbe  angeßrichen  worden , überdies  iß  mancherlei  Schädigung 
nicht  ausgeblieben.  Vor  allem  fehlt  der  höher  hinauf  gehenden  Rückwand 
der  Stuhlreihe  an  der  Wand  jetzt  die  Bekrönung,  die  baldachinartig  nach 
vorn  überhing.  Die  allgemeine  z\nordnung  gleicht  der  gewöhnlichen  an 
den  Chorßühlen  älterer  Zeit ; die  hintere  der  beiden  Reihen  iß  ein  Wenig 


X 


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MF.  DOMKIKCHF. 


Li  7 


höher  als  üie  vordere,  beide  haben  Mifericordien  und  aulklappbare  Sitze. 
Die  Profilirung  und  die  Ornamentation  trägt  im  wefentüchen  noch  gothifchen 
Charakter.  Lebhafter  Wechfel  der  lichten  und  tietfchattigen  Partien  und 
ebenfo  anziehende  wie  lehrreiche  Profilcompufitionen  zeichnen  diefe  Stühle 
vor  ganz  ähnlichen  in  der  Ulrichskirche  aus.  welch  letztere  in  ihren  älteren 
Stücken  zwar  den  llrengeren  Stil  einer  etwas  früheren  Zeit  voraus  haben 
und  vollere  und  nicht  fo  bizar  eckige  Formen  zeigen,  dafür  aber  an  geift- 
reicher  C'onception  den  unferigen  nachllehen.  Wohl  mit  Ablicht  ili  als 
vegetabiles  Ornament  zur  Belebung  der  Koplbretter  der  Stuhlreihen  öfter 
Weinlaub  reliefirt  worden;  die  Reben  lind  ziemlich  naturaliliirch  gefchnitz.t 
und  dabei  ftets  noch  in  gothifcheni  Sinne  geordnet.  In  den  Figuren  dagegen 
macht  lieh  auffällig  die  gleiche  Auffalfung  und  Behandlung  wie  an  den 
fteinemen  der  Kanzel  bemerkbar.  Sie  find  immer  am  Ende  einer  Reihe 
angebracht,  ganz  frei  gearbeitet,  in  halber  Figur  als  Bekrönung  des  Seiten- 
brettes. Die  befchränkte  Stärke  des  Bohlenltückes,  aus  dem  fie  gefchnitzt 
werden  mufsten,  macht  lieh  zuweilen  dadurch  unangenehm  fühlbar,  dafs  die 
Figuren  Ilellenweife  platt  gedrückt  ausfehen. 

Dargeftellt  ili  im  nördlichen  Seitenfchiffe  bei  dem  Sacrilleieingange 
der  h.  Auguftinus  in  feiner  bifchöflichen  Tracht  mit  der  Mitra  auf  dem 
Kopfe  und  mit  dem  Hirtenliabe,  dem  die  Krümmung  abgebrochen  ili,  in 
der  Linken  (f.  Fig.  itb).  Man  erkennt  ihn  an  dem  pfeildurchllochenen 
Merzen  auf  einem  Buche,  das  er  im  rechten  Arme  hält.  Kbendafelbll  an 
dem  Seitenbrette  der  hinteren  Stuhlreihe,  welches  hoch  bis  zu  dem  ehemaligen 
Baldachin  hinaufgeht,  fehen  wir  als  Reliel  gefchnitzt  unten  eine  ornament- 
umrankte  Säule  und  auf  derfelben  die  h.  Magdalena,  zwar  kleiner  im 
Maafsllabe  aber  in  ganzer  Figur.  Sie  hält  eineSalbbüchfe.  Zwei  gekreuzte 
llolzfcheite,  mit  einem  runden  Behältnifse  zu  einem  Gehänge  vereinigt, 
lieziehen  fich  wohl  auf  ihre  Legende.  An  den  Stühlen  diefes  Seitenfchiffes 
ifi  ferner  dargeftellt  als  bekrönende  Halbfigur  ein  Ritter  mit  dem  Schwerte, 
vielleicht  der  Patron  der  Reifenden,  der  h.  Georg.  Vor  fich  hält  er  eine 
fehr  kleine,  mit  einem  Mantel  bekleidete  Figur,  die  jetzt  fo  zerftörl  ift,  dafs 
fich  nicht  erfehen  läfst,  ob  fie  einen  Armen,  einen  Mönch  oder  überhaupt 
im  Allgemeinen  einen  Reifenden  darftellen  foll.1  Die  letzte  Halbfigur  hier 
ift  der  Apoftel  Johannes.  Er  ift  bartlos,  hat  llark  lockiges  Haar  und  hält 
den  Kelch,  dem  fich  die  jetzt  abgebrochene  Schlange  entwindet.  Im  Töd- 
lichen Nebenfchiff  findet  fich  gefchnitzt  der  h.  Chriftophorus  mit  dem 
Kindlein  auf  der  Schulter  und  mit  einem  Baumftatnm  in  der  Rechten. 

Weniger  bedeutend  ift  die  Stuhlreihe,  welche  die  weftliche  F’ortfetzung 
diefer  hefchriebencn  Stühle  im  nördlichen  Seitenfchiff  bildet.  Sie  gehört 
wohl  dem  Ende  des  16.  Jahrhunderts  an  und  wird  gemacht  fein,  als  der 
Adminiftrator  Joachim  Friedrich  den  Dom  wieder  etwas  herftellen  liefe.  Es 
finden  fich  hier  nicht  mehr  im  geringllen  gothifclie  Anklänge  in  den  Details. 
Wir  fehen  üppige,  etwas  geleckte  Akanthusblätter,  vielfach  Kerbfchnitte 
als  Bandmotiv  fowie  hübfeh  gedrechfelte  Docken  zur  Unterftüt/.ung  der 


* Mögliclicrwcifc  könnte  es  auch  der  h.  Martin  fein. 

B.  D.  d.  Hau-  u.  Kunstd.  N.  F.  I.  i; 


IMF  STADT  HALLK  U.  d.  SAAI.KKI  IS. 


Geftühl. 


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- 


IHK  OOMKIKCIIK. 


*59 


Mifericordien.  Der  Vergleich  der  älteren  Stühle  mit  dielen  i!t  interelTant 
durch  die  erfichtliche  Weife  der  Umgollaltung  folcher  Mobilien. 

Zu  der  Kirchenausffattung  gehören  auch  die  durch  den  Herzog  Auguli.  Barocke 
den  letzten  Adminillrator  des  Erzftiftes  Magdeburg,  um  die  Mitte  des  Ar,,'l,e" 
17.  Jahrhunderts  eingebauten  hölzernen  Emporen  und  der  Altar,  beides, 
wie  von diefer Zeit  wohl  zu  erwarten  ilt,  von  geringem  Kunftwerth.1  Palm- 
blätter und  Palmbäume.  Stoffgehänge,  zahlreiche,  lange,  nichtsfugende 
Infchriften,  unförmige  Engel-  und  Weiberfiguren  mit  flatternden  Bändern 
und  Kleidern  in  theatralischen  Stellungen,  alles  pomphaft  bemalt  und  von 
(fold  überladen,  das  find  die  Schmuckmittel  der  rohen  Kunft  jener  ver- 
wilderten Zeit  nach  dem  dreifsigjährigen  Kriege.  Stipes  und  Menfa  des 
Altares  find  fchmucklos,  der  koloflale  Aufbau  hat  eine  Anzahl  nicht  ganz 
fchlechter  Oelgemülde.  Unten  links  fehen  wir  den  Stifter  Herzog  Auguli 
mit  feinen  fünf  Söhnen,  rechts  feine  Frau  mit  fechs  Töchtern*  zwilchen 
beiden  Bildern  ilt  das  Abendmahl  dargeltellt,  über  diefem  Chrillus  am 
Oelberge,  wolkenumwallt  vor  ihm  die  lichte  Engelfigur,  ganz  oben  Chriftus 
in  feiner  Herrlichkeit. 

Die  letzten  zur  kirchlichen  Ausftattung  gehörigen  Stücke  würden  die  Glocken, 
drei  Glocken  fein,  die  auf  dem  Kirchehboden  über  der  Aplis  hängen,  1 80.5 
von  Carl  Friedrich  Ulrich  in  Apolda  infchriftlich  gegolTen  find  und  die 
Durchmeffer  o.pz",  1,10*  und  1,30"  haben. 

Mit  der  Kirche  felblt  nichts  gemein  haben  verschiedene  Epitaphien  an  Epitaphien, 
der  Nordwand.  Unter  ihnen  ilt  das  ältefle  ein  (teinernes,  zu  ebener  Erde 
der  Wand  des  orflen,  weltlichen  Joches  neben  der  vermauerten  Thür  ein- 
gelalfen.  Es  gehört  dem  Stile  nach  der  gothifchen  Spätzeit,  etwa  dem 
Beginn  des  15.  Jahrh.  an.  Unter  einem  Kleeblattbogen  mit  einem  Wappen 
in  jedem  Zwickel  fteht,  in  der  Vorderanficht  in  ziemlich  Itarkem  Relief  dar- 
geliellt,  eine  lange,  weibliche  Figur  im  Mantel  und  mit  einem  Gürtel  um 
den  Leib.  Nach  gothifcher  Weife  ilt  unter  ihren  Füfsen  ein  Unthier.  Sie 
hält  in  der  Hand  ein  Wickelkind,  ein  Umfland,  der  mich  vermuthen  läfst. 
es  fei  der  Grabltein  einer  vornehmen  Frau,  die  im  Wochenbette  geltorben 
ilt.  Jede  Infchrift  fehlt.  Trotz  der  dicken  Kalktünche  erkennt  man,  dafs 
die  Arbeit  eine  gute  ilt. 

Von  den  anderen  Epitaphien,  die  fich  meilt  über  der  nördlichen  Empore 
befinden,  ilt  zu  erwähnen  ein  aus  fchwarzem  und  weifsem  Stein  gemachtes, 
der  erlten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  angehörig.  Es  ilt  in  der  Art  der 
Epitaphien  im  Chor  der  Ulrichskirche  gehalten  und  wohl  auch  von  dem 
Meifter  des  fpäteren  derfelben  gefertigt.  Unten  wird  die  Infchrift  von 
fchwülltigem  Ornament  umrahmt,  darinnen  find  Eingelsköpfe  mit  wild 
flatternden  Haaren;  ein  Engel  hält  ein  Stundenglas,  ein  anderer  einen 


1 Nur  die  Chorfchrnnken  verdienen  einige  Beachtung,  weil  fic  eine  gewandte  Technik 
bekunden.  Leider  kann  diefelbe  unter  dem  jetzigen  weifsen  Oclfarbenanftrich  nicht  hinreichend 
erkannt  werden,  und  fo  wird  der  Werth  der  Stücke  meid  unbeachtet  gclaffen. 

2 Unverhüllter  kann  fich  «1er  Donator  wohl  nicht  verewigen,  als  cs  hier  gefchchcn  ift; 
doch  lag  folchc  Weife  wohl  im  Geiftc  der  Zeit, 

»7* 


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Predigerhäufer. 


260  1 >1 R STADT  HALLE  U.  d.  SAALKKKIS. 


Todtenkopf.  Das  unterlle  Relief  Hellt  die  Verkündigung  dar.  Wir  lehen 
Maria  mit  offenen  Armen  und  den  Erzengel  Gabriel;  Strahlen  brechen 
durch  zahllofe  Wolken  und  herabfliegt  die  Taube.  Engelchen  fchweben 
über  der  Scene,  den  Hintergrund  bilden  Architekturen.  Das  weit  aus- 
ladende Gefinis  trägt  vier  betende  Figuren  in  kniender  Stellung,  jedenfalls 
lind  es  der  Entfchlafene  und  feine  Angehörigen.  Zwifchen  verkröpf'ten 
Säulen,  die  weibliche  Figuren  tragen,  befindet  (ich  ein  Relief",  die  Geburt 
Chrifti  mit  den  anbetenden  Hirten  darllellend.  Wolken  und  Lichtftrahlen 
find  auch  hier  reichlich  in  fchablonenhafter  Weife  angebracht.  Ganz  oben 
ift  die  Kreuzigung  reliefirt.  Da  der  Stil  der  Arbeit  dem  an  den  erwähnten 
Epitaphien  der  Ulrichskirche  gleicht,  fo  verweifen  wir  auf  das  dort  über 
denfelben  Gefagte. 

F.in  anderes  Epitaphium  ebendafelbft  hat  die  Form  eines  Oel- 
bildes  auf  Leinwand  gemalt  und  ift  holzumrahmt.  Die  mit  Wappen 
bemalte  Architektur  des  Rahmens  ift  unbedeutend.  Auf  dem  Gemälde  felbft 
ift  oben  ein  Wappen  zu  fehen  und  darüber  der  Name  Polschnitz  1625.  Das 
Bild  ftellt  Chriftum  mit  der  Dornenkrone  dar,  das  Kreuz  tragend;  in  feiner 
voraustaftenden  Hand  fehen  wir  das  Nagelmal,  ein  Engel  mit  einer  Zange 
eilt  vorweg.  Der  Hintergrund  ift  fehr  dunkel.  Die  faltige  Leinwand  und 
die  verblafsten  Farben  beeinträchtigen  das  Ausfehen;  diefer  Umftand  und 
der,  dafs  die  Linien  der  Zeichnung  fchon  fo  bewegt  find,  läfst  anfangs  aut 
ein  weniger  gutes  Bild  fchliefsen;  allein  die  Darftellung  ift  doch  meifterlich 
und  in  ihrer  Wirkung  packend . überdies  ift  die  Malerei  bis  in  alle  Details 
mit  Liebe  und  Sorgfalt  ausgeführt.  Noch  ein  anderes  Oelbild,  von  reicherer 
und  fpäterer  Architektur  umrahmt,  dient  als  Epitaphium.  Chriftus  erweckt 
den  Jüngling  von  Nain.  Unter  den  Nebenfiguren  fehen  wir  auch  den,  dem 
das  Grabmal  gewidmet  ift,  fammt  feiner  Frau,  beide  in  der  Tracht  ihrer 
Zeit  und  genau  porträtirt.  Die  Darftellung  ift  äufserft  lebhaft  und  barock  (an 
RubensTche  Art  erinnernd),  doch  hat  auch  fie  noch  künftlerifches  Intereffe. 

Als  Anhang  zu  der  Befchreibung  des  Domes  erwähnen  wir,  dafs  die 
zugehörigen  Predigerhäufer  ebenfalls  aus  dem  Anfänge  (?)  des  16.  Jahr- 
hunderts (lammen.  Es  befinden  fich  in  ihnen  noch  einige  gut  profilirte 
Balkenträger  bez.  Deckenträger,  die  wie  im  Thalhaure  aus  drei  einzelnen 
Balken  zufammengefetzt  fein  werden,  auch  etwas  Deckentäfelung  fieht  man. 
Beachtenswerther  ift  die  Fortfetzung  der  Pfarrwohnungen  gegen  Norden 
und  an  der  Nordfeite  der  Kirche.  Durch  diefe  Gebäudepartie  ift  noch  ein 
Stück  des  Klofters  und  Kreuzganges  erhalten.  Sie  hat  zwei  in  Kreuz- 
gewölben mit  wappenverzierten  Schlufsfteinen  überdeckte  Gefchoffe,  von 
denen  das  untere  jetzt  zu  Lagerräumen  benutzt  wird,  während  in  dem  oberen 
fich  das  Kirchenarchiv  befindet. 

Von  technifchem  Intereffe  ift  unten  das  Bruchftück  eines  Ziegels,  der 
die  unterften  (Kämpfer-)  Schichten  einer  Kappe  erfetzt  hat;  man  fcheint 
hier  demnach  zu  folchem  Zwecke  grofse  Ziegeln  befonders  geformt  und 
gebrannt  zu  haben.  Im  Obergefchofs  giebt  es  einige  fteinerne  Thürgewände, 
unter  denen  ein  fpätgothifches  mit  naturaliftifcher  Ausbildung  der  Rundftäbe 
(Zweig  mit  abgefchnittenen  Trieben)  als  intereffant  erwähnt  werden  mufs. 


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in K ixj.mkikciii:. 


’6l 


Zum  Schlufs  mache  ich  noch  darauf  aufmerkfam,  dafs  im  Pfarrgarten  Capitälc. 
unter  Epheu  gebettete  Capitäle  liegen,  die  von  den  zum  Dombau  aus 
anderen  Kirchen  zufammengetragenen  übrig  gewefen  fein  werden.  Sie  lind 
natürlich  fertig  ausgearbeitet  und  zwar  weift  ihr  Stil  auf  die  Mitte  des 
14.  Jahrhunderts  hin. 


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Die  Ncumarktkirchc. 


Einleitung.  \ V enn  von  Droyhaupt  darin  Recht  hat,  dafs  der  Flecken  Neumarkt 
Hau« tkhu lue.  ,jje  vor  [ lalle  erbauten  } läufer  derer  entftanden  ifl . welche  von  dem 

Klofter  zum  Neuen  Werk  „ihre  Nahrung  gehabt“  haben,  fo  miillen  die 
Umftände,  welche  das  Kmporbliihen  des  Ortes  bedingten,  fehr  günflige 
gewefen  fein;  denn  das  Klofter  zum  Neuen  Werk  wurde  mö  gegründet, 
die  Gemeinde  aber  war  fchon  ein  Vierteljahrhundert  fpäter  fo  angewachfcn. 
dafs  fie  eine  eigene  Pfarrkirche  erhielt.1  Man  habe  1570,  fo  berichtet 
von  Dreyhaupt,  den  Altar  umgefetzt,  ohne  Zweifel  an  die  Stelle,  die  er 
noch  heute  inne  hat;  dabei  habe  man  die  ReliquienbehältnilTe  und  an  diefen 
das  Siegel  Conrads  gefunden,  des  Erzbifchofs  von  Magdeburg  in  den  Jahren 
1135  — 114z.  Im  Jahre  1241  wurde  die  Kirche,  die  dem  h.  Lorenz  geweiht 
war  und  deswegen  auch  heute  noch  die  Luuren ti uski rche  lieifst,  fowie 
ihre  Pfarre  dem  Klofter  zum  Neuen  Werk  förmlich  incorporirt.  Die 
romanifchen  Formen  der  älteften  Theile  des  auf  unfere  läge  gekommenen 
Baues  widerfprechen  der  Annahme  einer  Gründung  in  diefer  Zeit  nicht; 
es  geht  aus  ihnen  hervor,  dafs  die  Kirche  von  der  Gröfse  der  meiden 
gleichzeitigen  Dorfkirchen  der  Umgegend  gewefen  ifl,  deren  fchlichtes 
Ausfehen  fie  anfangs  auch  gehabt  hat,  indem  fie  aus  einem  regelrecht 
oricntirten  Schiffe  mit  weltlich  vorgebautem,  von  Norden  nach  Süden  ob- 
longem Thurme  beftand  und  in  einem  forgtältig  in  vollen  Mörtel  gebetteten 
Bruchlleinmauerwerk  mit  Eckquaderung  ausgeführt  war.  Welchen  Chor- 
fchlufs  das  Schiff  gehabt  hat.  nämlich  einen  ftumplen  oder  eine  Apfide, 
kann  nicht  mehr  erfehen  werden,  da  man  die  Kirche,  als  fie  für  die  Menge- 
der Befucher  zu  klein  wurde , nach  Ollen  zu  durch  einen  neuen , mit  drei 
Achtecksfeiten  fchliefsenden  Chor  verlängerte,  deffen  Formen,  namentlich 
das  im  Dachboden  noch  Achtbare  Hohlkehlenhauptlims  auf  die  fpätgothifche 
Zeit  fchliefsen  lallen.  Auch  eine  fpitzbogige  Thüröffnung,  die  an  der  Nord- 
reite einige  Meter  über  dem  Terrain  in  der  Thurmmauer  angelegt  ift.  mufs 
in  die  fpätgothifche  Zeit  gefetzt  werden.  Ob  endlich,  wie  wir  glauben,  das 
gothilch  profilirte,  fpitzbogige  Gewände  der  Thür  gegen  Ollen,  die  durch 
eine  Wand  der  Barockzeit  führt,  trotz  feines  gut  erhaltenem  Zullandes  alt 
ift,  oder  ob  es  vielleicht  erll  in  unferem  Jahrhundert  nachgebildet  ift,  lalfen 
wir  dahingellellt,  weil  fich  aus  dem  bereits  Angeführten  hinlänglich  ergeben 
dürfte,  dafs  fchon  in  fpätgothifcher  Zeit  eine  nicht  unbedeutende  bauliche 


* Sind  daher  die  erften  Ncumärkter  vielleicht  die  Werklcutc  bei  dem  Baue  des  Klofter* 
«um  Neuen  Werke  gewefen? 


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OIE  NEUMAKKTKIKCHE.  263 


Veränderung  behufs  Vergröfserung  llatt  gehabt  haben  mufs.  Und  das 
wird  vollends  erwiefen  dadurch,  dafs  1570,  wie  wir  wirten . der  Altar  von 
feinem  urfprünglichen  Platze,  der  ja  weiter  weftlirh  als  der  jetzige  gelegen 
haben  mufs,  an  den  gegenwärtigen  verfetzt  worden  ift,  was  nur  gefehehen 
fein  kann,  wenn  eben  diefer  dreifeitig  fchliefsende  Verlängerungsbau  vor- 
handen war.  Diefer  umlländliche  Nachweis  ift  nöthig,  weil  wunderbarer- 
weife die  Chronillen  über  diefe  Bauveränderung  fchweigen.  Dahingegen 
berichten  fie.  dafs  1582  (wegen  Baufälligkeit?  aus  von  Dreyhaupt  s dies- 
bezüglichen Worten  geht  das  nicht  mit  Gewifsheit  hervor)  ein  Kirchenbau 
hat  gefehehen  foilen,  dafs  die  fromme  Frau  Katharina  des  Markgrafen 
Joachim  Friedrich  folches  Werk  hat  fubventioniren  wollen,  dafs  Nickel 
llofman1  bereits  einen  Koftenanfchlag  gemacht  hat  und  dafs  der  Plan  der 
unerfchwinglichen  Köllen  (3000  Gulden)  wegen  nicht  zur  Ausführung 
gekommen  ift.  1611  jedoch  foll  die  Kirche  wenigftens  ausgebelfert  fein, 
wobei  fie  „inwendig  geändert  und  weiter  gebauet  worden"  ift.  Diefe  Worte 
lalTen  fich  nur  auf  die  Mauern  beziehen,  von  denen  das  alte  romanifche 
Schiff  mit  feinem  gothifchen  Chor  umfchlolfen  wird  und  durch  welche  der 
Innenraum,  nachdem  die  alten  Wände  unten  zu  einer  flachbogigen  Arkade 
mit  achtfeitigen  Pfeilern  durchbrochen  waren,  gleichfam  dreifchiftig  geworden 
ill  und  zwar  fo,  dafs  das  an  die  Nordleite  angebaute  Stück  tiefer  als  das 
an  der  Südfeite  ift.  Da  nun  aber  zu  diefer  Zeit,  um  1611,  die  Formen  der 
Fenfter-  und  Thürgewände  allerdings  nicht  paften,  fondern  erft  dem  Ende 
des  17.  Jahrhunderts  angehören  können,  und  da  thatfächlich  aus  dem  letzten 
Decennium  des  17.  Jahrhunderts  uns  an  einem  folchen  nordöftlich  vermauerten 
Gewändellücke,  einem  korbbogigen  Sturz  mit  Medaillonbekrönung,  folgende 
Infchrift  erhalten  ift: 

Gott  zu  Ehren  der  Kirchen  zur  Zierde  und  Verbesserung  ist 

dieser  Bau  angef3ngen  und  glüklich  vollendet  worden  Anno 

Christi  1690, 

fo  könnte  man  glauben,  die  Mauern  entflammten  wirklich  erft  dem  Ende 
des  17.  Jahrhunderts,  wenn  nicht  unter  anderen  bereits  1656  ein  Täfelchen 
ziemlich  hoch  der  Nordoftwand  eingelalfen  wäre  mit  der  Angabe,  Jemand 
hätte  im  genannten  Jahre  dort  Linden.  Birken  und  andere  Bäume  gezeuget. 
Auf  die  Epitaphien  früherer  Zeiten  fleh  zu  berufen,  die  man  in  der  Wand 
lieht,  ift  unthunlich,  weil  wenigftens  nicht  alle  fogleich  zu  ihrer  Entftehungs- 
zeit,  fondern  erft  zu  irgend  einer  fpäteren  Zeit  z.  B.  16  n dort  Platz  gefunden 
haben.  Um  1690  hat  alfo  der  Infchrift  zufolge  wiederum  eine  bauliche  Ver- 
änderung llattgefunden  und,  wie  gefagt,  müffen  die  Thür-  und  Fenfter- 
gewände  diefer  Zeit  zugefchrieben  werden,  vielleicht  auch  die  Thurmanbauten 
im  Norden  und  Süden  und  anderes  nicht  gerade  beftimmt  zu  erweifendes. 
Uebrigens  lefen  wir  auf  dem  erwähnten  Sturze  noch  eine  zweite  Schrift 
und  zwar  während  die  genannte  in  dem  Medaillon  der  Bekrönung  lieht,  ill 
diefe  der  Archivolte  eingemeifselt,  wahrfcheinlich  als  das  ganze  Steinllück 

* Hiernach  alfo  lebte  dcrfelbe  1582  noch. 


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I»IK  STADT  HALLK  u.  d.  SAALKKE1S. 


K«»manifchc. 

Thcile. 


Glocken. 


264 

feinem  eigentlichen  Beftimmungsorte  entnommen  ward  und  mit  Rückficht 
auf  die  erftgenannte  Infchrift  aus  Gnaden  an  feine  jetzige  Stelle  zur  Er- 
haltung kam;  fie  heifst:  Anno  1751  ist  diese  Kirche  repariret  und  auf  der 
Mitternacht -Seite  erhöhet  worden.  Hieraus  ergiebt  fich,  wann  die 
romanifche  Nordwand  auch  oben  zu  einem  zweiten  GefchofTe  durchbrochen 
ift  und  die  oberen  (Empor-)  Stuben  diefer  Seite  eingerichtet  find.  Auf  die 
moderneren  Reparaturen  gehen  wir  nicht  weiter  ein. 

Diefe  Gefchichte  des  Baues,  der  wie  wohl  zu  allen  Zeiten  fo  noch  heute 
inmitten  feines  ftillen  Friedhofes  liegt,  ergiebt  hinlänglich,  dafs  von  einer 
Befchreibung  der  Refte,  welche  von  feiner  erften  Geftalt  übrig  geblieben 
find,  und  ebenfo  von  der  der  verfchiedenzeitigen  Zulatze  Abftand  genommen 
werden  kann,  um  fo  mehr,  da  die  Kunftformen  fart  bedeutungslos  find.  Nur 
in  dem  oberften  Thurmgefcholle,  der  Glockenftube,  finden  fich  noch  einige 
bemerkenswert  he  Kunftformen  der  älteften  Zeit,  wie  fich  denn  überhaupt 
merkwürdigerweife  diefe  obere  Thurmpartie  in  ihrer  urfprünglichen  ro- 
manifchen  Ausbildung  zumeift  erhalten  hat,  während  die  untere  durch  die 
fpäteren  Renovationen  entweder  befeitigt  oder  erneuert  worden  ift ; wir 
erinnern  nur  an  die  hochgelegene,  fpitzbogige  Thür  in  der  nördlichen 
Thurmwand.  Die  erwähnenswerthen  rotnanifchen  Formen  der  Glocken- 
ftube finden  fich  in  den  F’enftern  oder  Schallöchern  F'ig.  107,  deren  es  dort 
anfangs  fechs  gab,  fo  geordnet,  dafs  je  zwei  nach  Ollen  und  Wellen  und  je 
eins  nach  Süden  und  Norden  lagen.  Ohne  auf  die  Veränderungen  der 
fpäteren  Zeiten  einzugehen,  durch  die  (latt  der  beiden  welllichften  eins  in 
^ie  Wandmitte  gelegt  ift  und  auch  lonll  neue  Theile  zugefügt  worden  lind, 
bemerken  wir  über  die  urfprünglichen,  wenn  auch  verwitterten  F ormen  des 
12.  Jahrhunderts,  dafs  jedes  Fenller  nach  innen  mit  einem  grofsen,  nach 
aufsen  mit  zwei  kleinen  Rundbögen  überdeckt  ift.  Letztere  einerfeits  ohne 
Kämpferauszeichnung  von  der  Laibung  des  Fenllers,  deren  Breite  die  ihrige 
nicht  hat,  fich  loslöfend,  ar.dererfeits  aut  einem  Säulchen  aufftehend.  durch 
welches  die  ganze  Oeffnung  inmitten  getheilt  wird,  laften  das  Fenller 
von  aufsen  gekuppelt  erfcheinen.  Die  Säule  hat  über  einer  viereckigen 
Platte  eine  attifche  Balis  in  der  romanifchen  Proportionirung  d.  h. 
ihre  beiden  Wülfte  und  die  dazwifchen  liegende  Kehle  find  weniger 
ausladend  und  dem  Säulenfchafte  gegenüber  viel  gröfser  als  in  der  Antike. 
Der  Schaft  hingegen  ift  beträchtlich  kürzer  und  dark  nach  oben  verjüngt. 
Das  Capital  endlich,  aus  einem  Würfel  nach  unten  zu  kelchartig  gearbeitet, 
verknüpft  fich  dem  Schafte  durch  einen  Rundllab,  ift  mit  Hach  anliegenden, 
falop  gearbeiteten  Blättern  ziemlich  nichtsfagend  gefchmückt  und  nimmt 
mittelll  einer  viereckigen  Abakusplatte  die  beiden  überhöhten  Bögen  auf. 

Indem  wir  uns  nun  zu  den  einzelnen  Kun  ft  werken  wenden,  finden 
wir  gleich  hier  oben  in  der  Glockenftube  das  ältelle,  welches  diefe  Kirche 
belitzt  und  welches  unter  Seinesgleichen  das  ältelle  in  Halle  überhagpt 
fein  wird,  nämlich  die  kleinfte  Glocke  von  den  drei  hier  hängenden. 
Sie  hat  einen  unteren  DurchmelTer  von  0,60“,  eine  dadurch  etwas 
plumpe  Form,  dafs  ihr  Kranz  weit  ausladet,  während  ihre  Haube  ver- 
hältnifsmäfsig  klein  ift  und  fich  mit  dem  Hälfe  gliederlos  in  weicher 


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DIB  N'KUMAKKTKIKCHK 


Linie  verbindet.  Oben  wird  die  Glocke  von  folgender  Majuskel fchrift 
umgeben : 


o • Rax  • v(ii?i  • avm  • i*a 


(Gfi  ifl  zu  ergänzen  und  fehlt,  weil  der  Schreiber  den  Raum  nicht  gut  ab- 


Romanifchc*  Fcnftcr  tlcr  Glockenltube  (von  dirfcr  aus  jjefchcn). 


getheilt  hatte,  fodafs  er  nicht  mehr  auskam).  Die  Buchllaben  find  durch 


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TaufAcin. 


266  I >1 K STADT  HALLK  u.  d.  SAAI.KKUS. 


fchwaches  Einritzen  in  den  Mantel  entlianden.  Zu  einem  breiten  Hände 
ausgebildet  wird  die  Umlchrift  durch  je  zwei  flache,  fie  oben  und  unten 
begleitende  Parallelftreifen  (Riemen),  nicht  durch  gedrehte  Bänder,  ln  An- 
betracht diefer  Geftalt  fcheint  mir  die  Glocke  noch  in  der  erllen  Hallte  des 
14.  Jahrhunderts  gegoflen  fein. 

Die  zweite  Glocke  mit  einem  DurchmeUer  von  1,18“  hat  wegen  ihrer 
Halsumfchrift  in  Minuskeln  Intereffe,  welche  lautet: 

o ronfiilflr  . oioa  . Uro  . mortna  . prflo  . noriou  . anno  . Domini  . ■ . 

tat  . Iioti 1 . 

Die  dritte  Glocke  mil'st  1.13“  im  unteren  Durchmefler  und  gehört  der 
Renaiflancezeit  an.  Aus  ihren  Auffchriften  hat  für  uns  InterelTe  ihr  um 
den  Hals  gehender  Spruch: 

ICH  RUFE  DIE  LEUT  MIT  MEINEM  KLANG  IN  DIE  KIRCH 
ZVM  WORT  VND  GESANG  ferner  das  Jahr  der  Entftehung: 
ANNO  DOMINI  MDCII  und  das  unten  am  Kranze  Stehende: 
GEORG  WOLGAST  GOSS  MICH. 

Unter  ihrer  Halsumfchrift  zieht  (ich  ein  aus  Blättern  und  kleinen  Kartufchen 
bellehendes  Gehänge,  das  diefelbe  Form  hat,  wie  lie  lieh  an  den  übrigen 
von  diefent  Giefser  hergeftellten  Glocken  befindet  z.  B.  an  der  gröfsten 
Glocke  zu  S.  Ulrich.  Aufserdem  ift  mitten  auf  der  Glocke  noch  ein  Crucitixus 
in  erhabener,  gut  modellirter  Arbeit  zu  l'ehen. 

Wir  kommen  zu  einem  anderen  Werke  der  Kleinarchitektur,  dem 
alten  Tauffteine,  Eig.  108,  den  man  in  moderner  Zeit  durch  einen  neuen 
erfetzen  zu  müflen  fürnöthig  befunden  hat.  Und  obwohl  man  einen  folchen 
alten  Stein,  Jahrhunderte  lang  ein  geweihtes  Stück,  an  dem  die  Ahnen  und 
Urahnen  der  Gemeindemitglieder  in  die  chriltliche  Kirche  aufgenommen 
lind,  ohne  eine  gewille  Ehrfurcht  nicht  wird  betrachten  können,  fo  hat  man 
ihn  dennoch  aus  der  Kirche  verwiefen,  damit  er  nunmehr  vor  derfelbcn 
diene  als  — Blumentopf!  Er  ift  aus  einem  Stein  gehauen  und  gleicht  etwa 
einem  niedrigen,  einfachen  Kelche,  indem  fein  mehrfeitiger  Fufs  durch 
Vermittelung  eines  Rundltabes  concavlinig  in  den  breiten,  runden  Bauch 
des  von  oben  gehöhlten  Gefäfses  übergeht.  Den  Bauch  fchmückt  ein 
krältig  reliefirter,  doch  unfehöner  Kranz  von  fpätgothifchen , gebuckelten 
Blättern;  aufserdem  lieht  man  an  dem  Steine  den  h.  Laurentius,  als  Diacon 
gekleidet,  in  aufrechter  Stellung  mit  dem  Rolfe,  feinem  Marterwerkzeuge, 
in  der  Rechten  und  einer  Siegespalme  in  der  Linken.  An  dem  oberen 
Rande  zieht  lieh  rings  ein  breiter,  glatter  Streif  um,  auf  dem  man  über  der 
Lorenzfigur  die  Jahreszahl  m . ttft  | Imill  | lieft;  plalfifch  lind  jedoch  nur 
die  eingerahmten  Zahlzeichen,  während  die  anderen  aufgemalt  find.  Mag 


* Nach  von  Dicyhaupt’s  Angabe  wäre  fie  1464  gegoffen. 


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IHK  NI  I M tKK  I KIKCIII:. 


267 

nun  auch  die  Farbengebung , die  lieh  über  den  ganzen  Taufflein  erftreckt, 
nicht  mehr  die  erfte  fein,  Hindern  Auffrifchungen  erfahren  haben;  fo glauben 
wir  doch  annehmen  zu  dürfen,  ilal>  der  l-'ul's  bis  zu  dem  Rundftabe 
urfprünglieh  rothbraun  und  der  Ci  rund  darüber  blau  war,  während  das 
Rankemverk,  die  Figur  und  der  obere  Rand  (?)  Vergoldung  hatten.  Die 
ganze  Ausführung  und  Krfindung  iil  handwerksmäfsig. 

Wenn  wir  hierauf  die  beiden  Sitzrelle  eines  gothifchen  Chorgeftühls 
erwähnen  die  hinter  dem  Altäre  liehen,  fo  geschieht  es  nur,  weil  lie  denen 
in  der  L'lricliskirche  ähnlich  und  vielleicht  mit  ihnen  gleichzeitig  find. 

Wir  gellen  zu  der  Ilefprechung  des  Altares  der  Kirche  über.  Wie 
fehon  erwähnt  iil,  lieht  er  fett  1570  nicht  mehr  an  der  Stelle,  die  ihm  bei 
der  Kirchengründung  gegeben  war,  hindern  ili  mehr  nach  Werten  verletzt 
worden.  Das  gilt  aber  nur  von  der  Menfa,  der  man  dabei  auch  ihre 


Kitf.  t öS . 


Reliquien  genommen  hat.  Das  für  unlere  Retrachtung  Intereffante,  der 
Schrein  aut  diefer  Menfa  iil  erli  in  dem  Jahre  1570  aus  der  Templerkirche 
zu  Mücheln  an  der  Saale  bei  Wettin  als  ein  Gefchenk  des  Kanzlers 
Trautcnbuhl,  dem  damaligen  Befitzer  Müchelns,  in  die  Neumarktkirche 
gekommen.  Der  Schrein  iil  ein  Triptychon,  de  (Ten  Flügeln  aufsen  die  Ver- 
kündigung Mariae  aulgemalt  ili,  während  nach  Hoffnung  der  Flügel 
das  Schreininnere  einen  Profpect  farbiger  llolz.fculpturen  darbietet.  Von 


1. -horftühle. 


Altar. 


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268  IHK  STADT  HALLK  u.  d.  SAALKKKIS. 

der  Malerei  — auf  einem  Flügel  ift  Maria,  auf  dem  anderen  Gabriel  dar- 
geftellt  — wäre  nur  zu  fagen,  dafs,  nachdem  fie  eine  Uebermalung  in  (M 
erlebt  hat  — fie  war  auf  Holz  in  Temperafarben  ausgeführt  — fie  jetzt 
völlig  werthlos  ift;  man  erkennt  jedoch  aus  den  Linien,  dafs  hier  noch 
gothifche  Auffüllung  den  Pinfel  geführt  hat.  Bei  geöffneten  Flügeln  fleht 
als  erfte  Figur  links  Johannes  der  Täufer,  bärtig  in  härenem  Unter- 
gewande  und  ein  Buch,  auf  dem  das  Lamm  liegt,  haltend.  Neben  ihm  fleht 
ein  Heiliger  in  Diaconentracht  mit  Schwert  und  Buch;  ich  vermuthe, 
dafs  er  diefe  Attribute  nicht  immer  gehabt  hat,  fondern  dafs  er  einen  Roll 
hielt  und  alfo  der  Titelheilige  der  Kirche  Laurentius  war.  Aus  feinen 
jetzigen  Beigaben  ift  nicht  ficher  anzugeben,  wer  er  fein  Toll-  Die  nächlle 
Figur  fleht  bereits  in  dem  unbeweglichen  Mittelftücke  des  Schreines;  es  ift 
die  h.  Katharina,  weil  fie  ein  zerbrochenes  Rad  hält.  Nun  folgt  als  die 
Hauptfigur,  und  deshalb  gröfser  im  Maafsftabe  gehalten,  Maria  mit  dem 
Kinde.  Die  nun  folgende  ift  die  h.  Barbara;  fie  hält  einen  Kelch,  ln 
dem  anderen  Flügel  folgt  der  h.  Moritz  als  völlig  geharnifchter  Mohr  mit 
Fahne,  und  neben  ihm  fleht  ebenfalls  ein  geharnifchter  Krieger,  der  wohl  j 
ein  h.  Victor  oder  Alexander  aus  der  thebailchen  Legion  fein  fod. 
Eine  weiter  gehende  Befchreibung  ift  überflüffig,  da  186g  der  ganze  Altar- 
fchrein  eine  Reflauration  erfahren  hat,  bei  der  an  Glanzgold,  Ultramarin- 
blau u.  f.  w.  nicht  gefpart  ift.  Ueberdies  ift  als  Predella  ein  holzreliefirtes 
Abendmahl  Und  in  einem  neuen  architektonifchen  Aufbau  eine  Chriftus- 
llatue  mit  je  einem  Heiligen  (Laurentius  und  Stephanus)  zur  Seite  zugefügt 
worden.  Ein  Vergleich  diefer  Zuthaten  mit  den  zuvorgenannten  alten 
Statuen  wird  dem  Befchauer  fogleich  klar  zum  Verftändnifs  bringen,  ob  die 
modernen  Holzfchnitzer  von  den  alten  noch  etwas  lernen  können.  Wir 
kommen  noch  einmal  auf  die  befchriebenen,  alten  Figuren  im  Schreine 
zurück,  um  zu  fagen,  dafs  fich  unter  ihnen  die  drei  weiblichen  auszeichnen, 
ein  hübfches  ovales  Geficht,  ein  lieblicher  Mund,  eine  hohe  Stirn,  guter 
Faltenwurf  und  die  hier  nicht  unangenehm  wirkende  S-linienhaltung  find 
ihnen  charakteriftifch.  Sie  machen  den  Eindruck,  als  ob  fie  etwas  älter 
wären  als  die  männlichen  und  nicht  viel  fpäter  als  um  die  Mitte  des 
15.  Jahrhunderts  entllanden  fein  könnten.  Es  ift  jedoch  durch  die  Renovation 
ein  ficheres  Urtheil  überhaupt  unmöglich  gemacht.1 


1 Hs  itt  auffällig,  dafs  von  Dreyhaupt  und  neuere  Autoren  1.  B,  Knaulh:  (Heimathsbunde) 
und  vom  I lagen  in  den  Klügeln  die  heiligen  drei  Könige  und  den  Evangeliften  Matthäus 
nennen;  die  genannten  neueren  Schriftfteller  bezeichnen  die  Figuren  auch  als  fteinerne.  Letztere» 
ift  wohl  nur  ein  Irrlhum,  aber  ob  nicht  vielleicht  erft  186g  bei  der  Renovation  an  Stelle  der 
Könige  und  des  Matthäus  die  jetzigen  getreten  find,  vermögen  wir  nicht  zu  fagen.  Dafs  dei 
Altar  unter  Eintlufs  des  der  Ulrichskuxhc  cnl (landen  fein  foll,  wie  Kuglcr:  Kleine  Schriften  II.  2g. 
ohne  crfichtlichc  Merkmale  an/ufiihrcn , meint,  kann  ich  nicht  einfehen.  Im  Gcgcntheil  glaube 
ich,  dafs  die  urfprünglichcn  Stücke  zu  St.  Lorenz  älter  als  die  zu  St.  Ulrich  und  ,,im  Ganzen“ 
jedenfalls  geeignet  find  bcz.  gewefen  lind,  mit  letzteren  „«auf  gleicher  Stufe  zu  ftehen**,  wa* 
Kugler  ebenfalls  bcflreitet.  Der  Nachweis  würde  hier  zu  weit  führen;  es  fei  jedoch  auf  den 
Vergleich  der  Körperproportionirung  und  des  Faltenwurfes  als  befonders  kennzeichnend  bei 
einer  Vergleichung  hingewiefen. 


\ 


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DIR  NIU'MAKKTKIKCHK.  269 

Bemerkt  mag  mich  werden,  dals  auf  dem  Altäre  eine  Bibel  vom  Jahre  Bucheinband. 
1703  liegt,  die  ihrer  fchwungvoll  gezeichneten  Metallbefchläge  wegen  kunß- 
gewerbliches  InterelTe  hat.  Kinem  ovalen  Medaillon  mit  der  Darllellung 
des  die  Gefetzestafeln  haltenden  Mofes  an  der  Vorderfeite  entfpricht  auf 
der  Rück  feite  ein  ebenfolches  mit  Chrißo,  der  «las  geöffnete  Evangelienbuch 
hält,  doch  ilt  allem  Anfchein  nach  diefes  Medaillon  eine  fpätere  Arbeit. 

Von  kunlfgewerblichem  InterelTe  ifl  auch  ein  Schemel,  welcher  in  Schemel, 
einem  Raume  hinter  dem  Altäre  lieht  und  wohl  mehr  Beachtung  verdient, 
als  man  ihm  gegenwärtig  fchenkt.  Er  hat  eine  phantaßilch  zu  Masken  und 
Kartufchen  ausgefchnitzte  I,ehne  und  gehört  ohne  Zweifel  in  die  Mitte  des 
17.  Jahrhunderts.  Kaum  noch  einige  Beachtung  verdient  dag«»gen  der 
hölzerne  Crucifixus  aus  dem  Ende  des  17.  Jahrhunderts!?),  welcher  auf  Crucifimis. 
dem  Kirchenboden  liegt. 

Unter  den  Grablleinen  aufsen  an  den  Kirchenwänden  hat  jener  an' Grabaeine, 
der  Nordweflecke  zumeill  Werth.  Zwar  i(!  die  Umfchrift  nicht  mehr  überall 
leferlich.  aber  das  kräftige  Relief  eines  gehamifchten,  fchwertumgürteten 
Ritters,  lebensgrofs  in  etwas  theatralifcher  Stellung,  den  Helm  zu  Füfsen, 
einen  Hammer  (?)  in  der  Rechten  haltend  und  neben  lieh  vier  Wappen,  läfst 
mit  Rückficht  auf  die  gute  Arbeit  ficher  auf  die  letzten  Decennien  des 
16.  Jahrhunderts  fchlielsen. 

An  der  Nordwand  eingemauert  un«i  fall  verdeckt  durch  ein  werthlofes  Chriftu«. 
Epitaphium  ill  auch  ein  kleines,  beinahe  frei  gearbeitetes  Relief  der  Figur 
Chrilli  (im  Elend?).  Chrillus  legt  die  Hände  über  der  Brüll  zufammen,  ill 
bis  auf  einen  Schurz  nackt  und  hat  einen  fcheilxmartigen  Nimbus  hinter 
dem  Kopfe.  Die  Arbeit  gehört  der  gothifchen  Zeit  des  15.  Jahrhunderts 
an  und  ill,  wiewohl  befchädigt  und  verwittert,  doch  noch  von  einer  Vor- 
züglichkeit namentlich  in  der  Haltung  und  den  Körperproportionen,  wie 
man  es  nur  feiten  an  anderen  gleichzeitigen  Stücken  lieht. 

Unter  den  Geräthen  der  Kirche  ill  das  hedeutentWe  ein  Kelch,  der  GeGifte. 
feinen  Formen  nach  auch  das  ältelle  darunter  fein  dürfte  und  in  der  letzten 
Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  gemacht  fein  mufs.  Er  ill  äufserll  fchwer  in 
vergoldetem  Silber  ausgeführt.  Ein  verhältnifsmäfsig  breiter,  fechsblättriger 
Fufs  geht  in  einen  runden  Stilus  über,  an  dem  ein  platt  gedrückter,  fechs-  * 
zapfiger  Nodus  fitzt.  DieCuppa  ill  glatt.  Der  Stilus  trägt  über  dem  Notlus 
die  Schrift  aut  marin  unter  demfelben  jratifl  |llflt  (offenbar  für  plena).  An 
«ler  Vorderfeite  der  fechs  Noduszapfen  lieht  in  emaillirtem  Felde  je  ein 
Buchllal>e  des  Wortes  i I)  f 6 II  S • Uebrigens  zieren  den  Knauf  Felder 
mit  eingeritzten  Ornamenten  von  guter  Zeichnung,  die  unteren  find  nur 
vegetabilen  Charakters,  die  oberen  haben  abwechfelnd  pflanzliche  Motive 
untl  geflügelte  Unthiere.  Der  Fufs  iß  zwar  oberhalb  glatt  und  nur  mit 
einem  frei  gearbeiteten  und  dann  aufgehefteten  Crucifixe  als  Signaculum 
verfehen.  ihn  umläuft  aber  ein  Banti  als  durchbrochen  gearbeitetes  Ranken- 
ornament, aus  deffen  Blumen  Engelsköpfchen  erblühen. 

Von  ebenfo  Harkern,  vergoldetem  Silber  wie  der  Kelch  iß  auch  die 
fchlicht  belaffene  Patena,  die  zu  ihm  gehört.  Ihr  eingravirtes Signaculum 
hat  eine  ungewöhnliche  Zeichnung. 


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270 


t)IF.  STADT  HAt.LE  u.  ci.  SAAt.KKF.IS. 


Ein  zweiter  Kelch  von  vergoldetem  Silber  mit  umdieCuppa  gelegtem 
durchbrochenem,  filbernem  Ornament  gehört  wohl  dem  Ende  des  17.  Jahr- 
hunderts an.  Vor  den  Nodusfpitzen  (teilt:  J ^ ■ ß • $ • U • S-  Iler 
Fufs  ift  mit  einpunktirten  Ornamenten  überzogen,  in  denen  wir  den  Hahn 
auf  der  Säule,  den  Rock  und  die  Würfel  föwie  den  Kelch  neblt  Patern' 
als  drei  Gruppen  dargeflellt  finden.  Auch  das  durchbrochene  Silberornament 
um  die  Cuppa  gliedert  lieh  zu  drei  Gruppen;  in  der  einen  finden  lieh  Leiter. 
Hefen.  Beutel,  in  der  anderen  Schweifstuch.  Kreuz  und  Nägel,  in  der  letzten 
Hahn,  Stricke  und  Hammer  vereinigt.  Die  zugehörige  Patena  ift  völlig  un- 
bedeutend. 

Ein  dritter  Kelch  von  vergoldetem  Silber  ift  eine  ziemlich  werthlofe 
Arbeit  wohl  fchon  aus  dem  Anfänge  des  18.  Jahrh.  Sein  fechsblätteriger 
Fufs  hat  einen  erhaben  gearbeiteten  Crucitixus  als  Signaculum;  an  den 


4e 


Eine  werthlofe 


Nodusfpitzen  lieht  -f  i f S I)  S und  an  der  Cuppa 
Patena  gehört  zu  ihm. 

Ein  Stück,  welches  fich  durch  feine  Formen  auszeichnet,  ift  die  ältere 
der  beiden  Weinkannen  derKirqhe.  Ueber  einem  runden,  mehrgliedrigen 
F'ufse  lieht  auf  einem  Hälfe  mit  Knauf  inmitten  ein  langes,  becherartiges 
Behältnifs  mit  einerfeits  einem  Griffe,  andererfeits  einem  Ausgufsanfatze; 
es  ift  oben  von  einem  mehrgliedrigen  Deckel  gelchloffen.  Die  grölsen-n 
F'lächen  an  F ufs,  Bauch  und  Deckel  find  von  Kartufchen  in  wenig  erhabener 
Arbeit  überzogen,  den  Griff  fchmückt  liilrichtig  ein  Bandmotiv;  vor  dem 
unteren  Griffende  ift  ein  Wappen  beteiligt,  auf  dem  man  die  Buch  Italien 
A . S . und  einen  Zweig  mit  drei  Dreiblättern  lieht.  Oben,  da  wo  der  Griff 
fich  mitGefäfs  und  Deckel  verbindet,  ift  eine  Darftellung  der  Dreieinigkeit 
reliefartig  dergellalt  gebildet,  dafs  Gott  Vater  als  Greis  auf  einem  Throne 
fitzt  und  einen  Crucifixus  vor  fich  hält,  auf  dem  man  oben  eine  Taube  fieht.  Su 
unmöglich  es  auch  fcheinen  mag,  die  Dreieinigkeit  fichtbar  darzuftellen,  fo  ill 
die  Aufgabe  hier  doch  in  einer  fo  finnigen  und  verlländlichen  Weife  gelölt 
dafs  man  zugleich  überrafcht  und  erfreut  wird.  Mitten  auf  dem  Deckel 
lieht  die  frei  gearbeitete,  nur  mit  einem  Schurz  bekleidete  Figur  Chrilli  mit 
der  Dornenkrone,  das  Kreuz  (jetzt  abgebrochen)  im  Arme  haltend.  Die 
Figur  wird  im  Deckelinnern  durch  einen  .eingefafsten  Stein  (oder  ein  Glas- 
llück)  gehalten,  in  dem  ein  Wappen  eingravirt  ift  mit  den  Buchllaben  I D, 
welche  darüber  liehen.  Auf  der  oberen  Hälfte  des  wagerecht  getheilten 
Wappens  lieht  ein  halber  Drache.  Hat  fich  der  Verfertiger  hier  verewigt 
und  hiefs  er  vielleicht  Drachftedt?  Das  von  DrachliedtTche  Wappen  ill 
allerdings  nicht  ganz  fo  bei  von  Dreyhaupt  gezeichnet.  Ein  fchmaler,  glatter 
Streif  bildet  den  Deckelrand,  auf  dem  ringsum  lieht: 


DIE  THVGENTSAME  ANNA  SPEFERS  HAT  DIESE  KANNE?)  DEN 
ALTAR  ZV  S.  LORENTS  VOR  EHRET  ANNO  MDXCII. 

Der  jetzige  Ausgufsanfatz  ilt,  wie  der  Augenfehein  lehrt,  nicht  der  ur- 
1 Oder  ift  cs  Becken  und  Kanne? 


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DIK  KKL’MAKKTKIKCHE. 


*7 


fprüngliche,  welcher,  um  dem  Charakter  des  Ganzen  zu  entfprechen , wahr- 
fcheinlich  eine  doppelt  gebogene  Profillinie  hatte.  Die  Silhouette  der  Kanne 
ift  meifterhaft  gezeichnet  und  die  Verhältnifle  find  mit  gröfsefler  Zartheit 
geftimmt,  fodafs  die  Arbeit  ein  kunltge werbliches  Meifterftück  genannt 
werden  darf.1 

Der  Fufs  der  zweiten  Kanne  ift  nur  als  ein  um  den  Boden  des  Be- 
hältnilTes  umlaufendes  Profil  gebildet,  fodafs  die  Kannenform  feidelähnlich 
ausfieht.  Auch  der  Griff  diefer  Kanne  hat  vor  feiner  unteren  Endigung  ein 
Wappen,  doch  ohne  Eingravirung;  die  Bekrönung  des  Deckels  lehlt  und 
übrigens  ift  das  Aeufsere  glatt;  nur  fteht  auf  der  Deckelmitte; 

Soli  Deo  gloria  und  rings  am  oberen  Getafsrande:  Vasculum  hoc 
e.  (wohl  et)  calicis  atque  patenae  sacre  scoliis  vulcani  flammis  Ao. 
167a  mens.  Martio  a.  3 ejusdem,  qui  erat  Domin:  Reminiscere  fere 
consumtis  in  JEde  D:  lauten tij  Natoforenium  (forensium?)  Prope 
Halam  pia  liberalitate  Dm.  Christofori  Beckeri  ludicis  et  ./Edilis  hij 
Loci  reparatum  Stat.  Fest(o?)  paschat:  Fenia  | (feria?) 

Die  ältere  der  beiden  Hoftienbüchfen  derKirche  ift  filbern  und  hat 
eine  kaum  nennensvverthe  Ornamentation.  Ihre  Form  ift  einfach;  die  alte 
Deckelbekrönung  fehlt.  Aut  dem  Deckel  fteht: 

IESVS 
CHRISTVS 
SALVS  NOSTRA 

am  Deckelrande: 

LORENTZ  • VON  • HETLINGK  • VND  • SEIN  • WEIB  • BARBARA  • 
SMITS  • VOR  • EHREN  • DIS  • IN  • S • L • K • l(»05  • 

Die  zweite  Hoftienbüchfe  gehört  der  Barockzeit  an.  Sie  beliebt  aus  ver- 
goldetem Silber  mit  filbernen.  durchbrochen  gearbeiteten  und  aufgelegten 
Ornamenten,  ähnlich  der  Weife,  die  wir  fchon  an  einem  der  Kelche 
befprochen  haben.  In  den  fchwülftigen  Pflanzenzierrathen  um  das  Behältnifs 
fparen  lieh  vier  runde  Medaillons  aus,  in  denen  fich  die  vier  Evangeliften 
nebft  ihren  Symbolen  dargeftellt  finden.  In  dem  Deckelzierrath  giebt  es 
zwei  längliche,  ovale  Felder,  eines  mit  der  Darftellung  der  Kreuzigung , das 
andere  mit  der  des  Abendmahles;  als  Bekrönung  dient  ein  liegendes 
Lamm  mit  der  (abgebrochenen)  Fahne.  Die  Deckelmitte  im  Innern  nimmt 
ein  kranzumgebenes  Wappen  ein,  über  dem  ein  Todtenkopf  mit  der  Jahres- 
zahl 1684  fteht,  während  wir  als  Unterfchrift  lefen:  GOTTFRIDT  SCHEVRING. 

Es  find  fchliefslich  noch  zwei  fiebartige  Löffelchen,  die  Oblaten  zu 
nehmen,  zu  erwähnen.  Der  kleinere  wird  noch  zu  Beginn  des  17.  Jahr- 

1 Vcrmuthlich  King  diefes  Stück  aus  dcrfclbcn  Werkftatt  hervor,  in  welcher  die  Kanne 
zo  St.  Ulrich,  welche  wir  in  den  Figuren  77 — 80  dargeftellt  haben,  gefertigt  worden  ift.  Es 
find  dietelbcn  Motive  der  Ornamentik,  und  fogar  diefelbe  Darftellung  der  Dreieinigkeit  findet 
fich  an  der  nämlichen  Stelle  angebracht. 


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DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


hundert*  gemacht  fein.  Er  hat  einen  vielgliedrigen  achteckigen  Stil,  deffen 
Abfchlufs  die  gut  gearbeitete  Büße  eines  Mannes,  vermuthlich  des  Donators, 
bildet.  In  formaler  Hinficht  verdient  er  Beachtung.  An  dem  gröfseren 
Löffel,  der  gewifs  fchon  dem  18.  Jahrhundert  angehört,  lefen  wir  die  Buch- 
Haben  AK  aut  der  Rückfeite  feines  flachen  Stieles,  vorn  dagegen  iß  ihm  eine 
Rebe  (?)  eingravirt,  deren  Spitze  das  Lamm  mit  der  Kahne  bildet.  Ein 
Blutßrom,  der  Bruß  des  Lammes  entfpringend,  fällt  in  einen  Kelch. 
In  den  breiten,  fiebartigen  Lößei  iß  ein  Crucifixus  hineingravirt  (man 
hat  lieh  hier  diefer  Zeit  fchon  erlaubt  den  linken  F'ufs  Chrißi  über  den 
rechten  zu  legen)  und  auf  die  Rückfeite  der  h.  Laurentius,  welcher  lieh 
auf  einen  Roß  ßützt  und  die  Siegespalme  hält.  Diefe  Zeichnungen  lind 
mangelhalt. 


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Die  Glauchaifche  Kirche. 


Die  Gründung  der  dem  h.  Georg  geweihten  Glauchaifchen  Pfarr-  Einleitung, 
kirche  geht  in  das  12.  Jahrhundert  zurück,  da  diefes  Gotteshaus  bereits  bei  der  GefchicMc. 
Stiftung  des  Klollers  der  Ciltercienfernonnen , Marien-Kammer  genannt, 
welche  durch  den  Erzbifchof  Wichmann  gefchah,  vorhanden  war.  fbdafs  der 
Erzbifchof  Albert  II.,  als  er  1231  diefes  Klofter  neben  der  Kirche  erbaute, 
fie  zugleich  zur  Kirche  des  Klollers  machte.  So  viel  aus  dem  perfpectivifchen 
Plane  Halle’s  bei  von  Dreyhaupt  hervorgeht,  hat  das  alte  romanifche 
Kirchengebäude  in  gothifcher  Zeit  Zulatze,  einen  Dachreiter,  vielleicht  auch 
eine  Chorverlängerung  bekommen.  Ueber  die  Gellalt  der  alten  Kirche 
läfst  lieh  fonll  nichts  weiter  angeben,  weil  fie  am  6.  Januar  1740  durch 
Feuer  derartig  zerllört  wurde,  dals  man  an  Stelle  der  alten,  eine  neue 
Kirche  zu  bauen  lieh  entfchlofs.  Wir  nehmen  an  diefem  Kirchenbau 
InterelTe,  weil  er  uns  die  allfeitig  durchgebildete  I.öfung  einer  protellantifchen 
Kirchenanlage  zeigt.  Den  Protellanten  ifl  die  Hauptfache  ihres  Gottes- 
dienlles  die  Predigt.  Es  mufs  alfo  in  ihren  Kirchen  möglichll  viel  (Sitz- 
Plätze  geben,  von  denen  aus  man  des  Predigers  Wort  gut  verliehen  kann. 

Dem  hierin  ausgefprochenen  protellantifchen  Bauprogramm  wird  durch 
eine  centrale  Anlage  mit  ein-  oder  mehrgefchoffigen  Emporen,  alfo 
durch  eine  theaterartige  Anordnung  am  bellen  genügt.  In  der  That  hat 
man  es  befonders  in  neueller  Zeit*  nicht  an  Verfuchen,  in  diefer  Richtung 
die  protellantifche  Kirche  auszubilden,  fehlen  lallen ; wir  können  darauf  nicht 
eingehen,  fondem  wollen  nur  durch  das  Gefagte  den  Standpunkt  angeben, 
von  welchem  aus  hauptfächlich  der  Grundrifs  der  Glauchaifchen  Kirche  zu  Grundrifs. 
betrachten  ifl.  Derfelbe  bildet  nämlich  annähernd  ein  griechifches  Kreuz, 

— annähernd,  weil  der  weltliche  Schenkel  unbedeutend  länger  iß  als  die 
anderen,  — über  delTen  örtlichem  Schenkel  der  Thurm  mit  der  Sacriftei 
im  Erdgefchofs  lieht,  während  die  drei  anderen  Schenkel  mit  zweigefchofligen, 
hölzernen  Emporen  ausgebaut  find.  Diefer  Zeit  hat  man  fich  alfo  nicht  mehr 
um  die  Regel  gekümmert,  den  Thurm  im  Werten  der  Kirche  anzulegen, 
fondem  man  hat,  wie  der  Augenfehein  an  Ort  und  Stelle  lehrt,  darauf 
Rückficht  genommen , wie  und  wo  fich  der  Thurm  dem  Auge  am  bellen 


1 z.  B. : Gropius  und  Schmieden. 
B.  D.  d.  Bau-  u.  Kunftd.  N.  F.  I. 


18 


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*74 


DIE  STAKT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


Altar 


Srlim  irdrei  fcn- 
arlicilen. 


Glocken. 


Gefiifse. 


darbieten  würde  d.  h.  man  hat  ihn  in  durchaus  gerechtfertigter  Weife  tum 
Zielpunkte  der  Strafsen  gemacht.  Diele  Situirung  und  die  in  barocken 
Linien  nicht  unfehön  gezeichnete  Silhouette  des  Thurmes  verdient  Erwähnung. 
Die  Einfachheit  der  Details  im  Aeufseren  wie  im  Inneren  macht  eine  ße- 
fprechung  iiberflünig.  Nur  auf  die  Lage  der  Kanzel  über  dem  Altäre  ill 
als  charakteriAifch  in  Hinficht  auf  das,  was  wir  vorausgefchickt  haben,  hin- 
zuweifen. fo  wie  denn  auch  diefe  ganze  Altar-  und  Kanzelpartie  rückfichtlich 
ihrer  architektonifchen  Ausbildung  durch  Säulen  und  Pilafter,  mit  ab- 
gebrochenen Rundgiebeln , mit  I'igurenbekrönung  und  Ornamenten  in  den 
fchwüllligen  Formen  und  Farben  jener  Zeit  zweifellos  einen  gewiffcn 
Werth  hat. 

Als  wirklich  werthvolle  Arbeiten  der  Kunfl  jener  Zeit  haben  wir  nur 
zwei  der  Schmiedeeifentechnik  angehörende  zu  nennen,  das  Schlofs  der 
Sacrifleithür  und  aufsen  vor  dem  Sacrilleifenfter  das  Gitter,  an  welchem 
man  den  Namen  IESVS  unter  einer  baldachinartigen  Krone,  ein  Monogramm 
J v G.  (des  Donators  oder  des  Schmiedemeiflers?)  und  das  Entllehungs- 
jahr  1744  angebracht  findet.  Namentlich  auf  diefem  Gitter,  das  nur  eine 
Künlflerhand  fo  fertigen  konnte,  ruht  unfer  Auge,  nachdem  es  an  dem 
ganzen  Baue  nur  handwerkliche  Formen  zu  fehen  bekommen  hat,  mit 
befonderer  Freude. 

Kaum  würde  ich  den  (leinemen,  mit  der  Kirche  gleichzeitigen  und  zu 
ihrer  Architektur  genau  palTenden  Taufllein  erwähnen,  wenn  ihn  nicht 
das  fall  unglaubliche  Mifsgefchick  getroffen  hätte,  1883  ohne  Grund  vor  die 
Thür  gefetzt  zu  werden,  um  einem  neuen,  hölzernen (!),  alfo  tveit  weniger 
monumentalen,  Platz  zu  machen,  über  deflen  Schönheit  und  flilillifche  Zu- 
gehörigkeit zum  Baue  wir  kein  Urtheil  abzugeben  haben. 

In  demThurme  hängen  zwei  Glocken,  die  von  Friedrich  Augufl  Becker 
in  Halle  1755  gegolTen  find  und  im  unteren  Durchmelfer  1,50°*  und  1,3:* 
haben ; zwei  andere  find  von  G.  G.  Becker  gegoiren , und  zwar  die  Schlag- 
glocke mit  einem  Durchmelfer  von  0,88  im  Jahre  1797,  die  andere  mit  einem 
Durchmelfer  von  0,67  im  folgenden  Jahre  1798. 

In  der  Sacrillei  lieht  eine  Truhe  mit  fpätgothifchen  Befchlägen,  in 
welcher  die  Geräthe  aufbewahrt  werden.  Das  ältelle  unter  letzteren  ill  ein 
Kelch  in  vergoldetem  Silber.  Sein  fechsblätteriger  Fufs  ill  wenig  concav 
gebogen  und  nimmt  nach  oben  fogleich  eine  runde  Form  an,  auf  der  über 
jedem  F ufsblatte  eine  für  lieh  gearbeitete,  reliefartige  Darllellung  aufgeheftet 
ill;  zunächll  als  Signaculum  ein  Crucifixus  mit  Maria  zur  Rechten  Chrilli 
und  Johannes  zur  Linken,  der  wie  gewöhnlich  hier  ein  Buch  hält,  dann  das 
agnus  dei,  über  dem  dritten  Blatte  Chriflus  aus  dem  mit  gothifchem 
Maafswerk  verzierten  Grabe  auferllehend,  die  Rechte  fegnend  erhoben, 
in  der  Linken  die  (jetzt  abgebrochene)  Siegesfahne;  die  über  dem  vierten 
und  fünften  Blatte  befindlichen  F'iguren  gehören  zulämmen.  Es  ill  die 
gekrönte  Maria,  die  auf  einem  bankartigen  Throne  mit  betend  zufammen- 
gelegten  Händen  fitzt  und  fich  gegen  Chriftum  wendet,  der  lie  fegnet 
und  in  der  Linken  die  kreuzbekrönte  Weltkugel  hält.  Die  Geburt  bildet 
die  letzte  der  Darllellungen.  In  Windeln  liegt  das  Kind  vor  der  Maria  in 


\ 


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DIR  GLAUCHA  ISCHL  KIKCHK.  27J 


der  Krippe  und  ein  Ochs-  und  Efelskopf  fchauen  darüber  her.  An  dem 
runden  Stile  über  dem  Knaufe  lieht  in  Minuskeln: 

fjilf  | goi  I b ( (diefes  b heilst  vielleicht  durch). 

an  dem  Zapfen  des  flachen  und  breiten  Nodus  im  Majuskeln:  4-  fllÄKIÄ 
Der  Knauf  ill  mit  maafswerkgetiillten  Fifchblafenfeldern  oben  und  unten 
verziert.  Die  Cuppa  ill  glatt.  Es  fcheint  mir  nicht  ausgefchlolTen,  dafs 
diefer  Kelch  bereits  vor  dem  15.  Jahrhundert  exillirt  und  gegen  Ende 
desfelben  durch  eine  gründliche  Renovation  mit  Zufätzen  feine  jetzige  Form 
erhalten  hat. 

Ein  anderer  Kelch  mit  + I6S?IS  am  Knauf,  mit  einem  Signaculum 
am  Fufs,  und  im  F'ufsinnern  mit  der  Infchrift:  Aedi  Glauch.  Schol.  lat.  con- 
secravit  MDCCLXXV!  hat  keine  Bedeutung. 

Von  geringer  Bedeutung  ill  auch  eine  Kanne,  die  ähnlich  der  von 
1592  in  der  Neumarktkirche  aus  einem  becherartigen  Gefäfse  mit  Crueifix- 
bekröntem  Deckel,  einem  Griffe  mit  oben  angebrachter,  reliefärtiger  Dar- 
llellung  Chrifli,  der  die  Weltkugel  hält,  einem  Ausgufsanfatze  und  aus 
einem  knauflofen  Hälfe  zwifchen  dem  Gefäfse  und  dem  felblländigen  F'ufse 
belleht.  Den  an  den  gröfseren  F'lächen  eingravirten  Ornamenten  läfst  fich  eine 
gewilTe  llilgemäfse  Eleganz  nicht  abfprechen,  die  Silhouette  des  Ganzen  ill 
fchon  etwas  plump.  An  Infchriften  lefen  wir  am  oberen  Rande  des  Getäfses: 

SANGVIS  JESV  CHRISTI  FILII  DEI  EMVNDAT  NOS  AB  OMNI 
PECCATO  Joh.  X. 

ferner  im  Inneren  des  Deckels  als  Umfchrift  eines  Wappens: 

Ao.  1644  . ex  DONO  • DNI  • SECR  . Paul  • Götze. 

Eine  andere  Kanne  ill  die  ganz,  genaue,  etwa  einhalbmal  vergröfserte 
Copie  der  foeben  befchriebenen , nur  fehlt  die  innere  Deckelverz.ierung  und 
Schrift,  dafür  aber  lieht  im  Fufsinneren: 

Kirche  zu  Glauche  an  Halle  ao  1713. 

Eine  dritte  Kanne  in  Rococoformen  wird  von  einem  Crucifixe  bekrönt 
und  hat  die  Infchrift : 

Aedi  Glauch  . S . Georg  . post  depulsum  ab  domicilio  suo  incendii 
periculum  grata  in  Deum  mente  consecrarunt  Alumni  Scholae 
latinae  Orphanotr.  clo  lo  cclxxvi. 

Eine  Hollienbüchfe  hat  als  Bekrönung  eine  geflügelte,  nur  fchurz- 
bekleidete  Figur,  die  in  der  Linken  eine  Kugel  hält  und  in  der  Rechten 
einen  Balken  (vielleicht  ein  abgebrochenes  Kreuz),  fie  tritt  auf  eine 
Schlange  (?).  Sollte  fie  etwa  Chriftum  vorllellen?  An  dem  Gefäfse  lieht: 
VEIT  BECHTILT  1629.  Die  Abbildung  eines  Fifchkorbes  mit  zwei  Fifchen 
weift  darauf  hin,  dafs  diefer  Mann,  wohl  der  Donator,  ein  Fifcher  war. 

Zwei  Patenen  mit  Signaculum  find  ganz  unbedeutend. 

18* 


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2-6 


DIK  STAUT  HAIXK  u.  d.  SAALKHKIS. 


Diu  Kirche  hat  auch  ein  melTingenes.  fchmalrandiges  aber  tiefes  Tauf- 
becken. Der  Boden  iil  durch  geHanzte  Ornamente  belebt.  In  der  Mitte 
lieht  man  einen  liegenden  Hirfch  (wohl  mit  Bezug  auf  die  bekannte  Bibel- 
Helle).  Ein  Ornamentenkranz  zieht  fich  um  diefc  Darllellung,  dann  eine  jener 
räthfelhaften  Minuskelfchriften.  die  ausfchliefslich  an  folchen  Tautbecken 
gefunden  werden,  und  endlich  ein  vielleicht  in  der  Barockzeit  mit  Anlehnung 
an  ein  fpätgothifches  Ornament  componirter  Kranz.  Eine  Wiederholung 
einer  Schale  mit  diefer  Dat  Heilung  ill  mir  in  der  Umgegend  noch  nicht 
vorgekommen. 


V. 


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Der  Rothe  Thurm. 


D er  bauliche  Grundgedanke  zu  zwei  hallefchen  Bauwerken  (lammt,  Einleitung 
obgleich  fie  beide  rein  in  deutfehen  Formen  durchgebildet  lind,  unverkennbar 
aus  Italien;  diefe  Bauwerke  find  der  rothe  Thurm,  ein  deutfeher 
Campanile,  und  der  alte  Stadt -Gottesacker,  ein  deutfeher  campo  Santo. 

Beide  Bauten  find  für  ihre  Zeit  und  diefe  Stadt  ziemlich  bedeutende 
Leillungen,  namentlich  auch,  weil  man  fie  trotz  längerer  Bauzeit  in  der  Haupt- 
fache  einheitlich  durchgeführt  hat,  ein  Umftand,  der  ein  günftiges  Licht  auf 
den  beharrlichen  Sinn  der  Erbauer,  der  hallefchen  Bürger,  wirft.  Man 
fleht,  die  Hallenfer  waren  für  das  Gute  anderer  Länder  nicht  blind,  ver- 
llanden  vielmehr  ohne  ihre  deutfehe  Eigenart  aufzugeben,  es  fich  zu  Nutze 
zu  machen;  ohne  Zweifel  ergiebt  fich  aber  auch,  dafs  zu  den  Zeiten  der 
Erbauung  beider  Werke  ein  lebhafter  Verkehr  Ilalle's  mit  Italien  flatt- 
gefunden  hat.  Auch  ohne  folchen  wäre  die  Anlage  des  Gottesackers  im 
1 6.  Jahrhundert  wohl  verlländlich,  weil  damals  ja  überhaupt  eine  Revolution 
der  Kunll  von  Italien  nach  Deutfchland  hereinfluthete;  für  den  Anfang  des 
ij.  Jahrhunderts  indelTen.  dem  der  Entwurf  des  rothen  Thurmes  angehört, 
ifl  folcher  Verkehr  bemerkenswerth ; damals  fand  beinahe  noch  das  Um- 
gekehrte llatt,  deutfehe  Bau  weife  wirkte  noch  wie  fchon  feit  mehreren  Jahr" 
hunderten  auf  die  Italiens  ein,  fodafs  man  fchwerlich  daran  denken  kann, 
es  fei  die  Veranlagung  zu  diefer  italienifchen  Thurmanlage  von  dem  Bau- 
meiller  felber  ausgegangen.  Woher  konnte  aber  fonll  der  Gedanke  dazu 
kommen?  Die  Bauherren,  die  mächtigen  Bürger  der  blühenden  Handels- 
iladt  Halle  werden  hier  das  Bauprogramm  aulgellellt  haben;  zogen  fie  doch 
fo  oft  gen  Süden  und  brachten  alsdann  heimkehrend  nebft  ausländifchen 
Waaren  gewifs  auch  manche  hierorts  unbekannte  Anlchauungen  und  Sitten 
mit  zurück.  Nichts  natürlicher,  als  dafs  auch  fie.  um  es  ihren  reichen  Ge- 
fchäfistreunden  jenfeits  der  Alpen  namentlich  in  Venedig  gleich  zu  thun. 
auf  ihrem  Marktplatze  einen  gewaltigen  Thurm  neben  ihrer  Kirche,  wie  ihn 
jene  hatten,  aufzuführen  befchlolTen,  wenngleich  ein  Bedürfnifs  dazu  kaum 
vorliegen  mochte,  da  ja  die  Marktkirche  zwei  Bauliche  Harke  Thürme  hatte. 
Dergellalt  fcheint  mir  die  Errichtung  des  rothen  Thurmes  als  eines  frei  für 
lieh  bellehenden  veranlagt  worden  zu  fein.  Die  Chronillen  fchweigen 
darüber  und  die  Infchrift  des  Thurmknopfes  bemerkt  nur,  dafs  das  Bauwerk 
diene:  zum  Lobe  des  allmächtigen  Gottes  und  der  ganz  unbefleckten  Jung- 
frau Maria,  auch  aller  himmlifchen  Bürger  fowie  zur  Zierde  der  hochbe- 
rühmten Stadt  Halle  und  alles  delTen,  was  zu  ihrer  Gemeinde  gehöre,  und 
felbll  der  Umgegend. 


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278 


OIK  STAUT  HALLE  u.  d.  SAALKKE1S. 


Lage,  Name  etc.  Der  Unterfchied  zwilchen  einem  italienischen  campanile  und  einem 
deutfehen  Kirchthurme  belicht  darin,  daSs  erlter  lediglich  ein  Glocken- 
thurm ili,  der  mit  dem  baulichen  Organismus  Seiner  Kirche  nichts  zu  thun 
hat  und  deshalb  irgendwo  iSolirt  neben  ihr  lieht,  während  unSere  Kirch- 
thürme  integrirende  Stücke  des  SyliematiSchen  KirchengrundriSTes  Sind  bez. 
ursprünglich  haben  Sein  Sollen.  Und  So  ili  denn  der  rothe  Thurm  ein  frei- 
liehender,  etwa  im  Nordollen  der  abgebrochenen  Marienkirche  und  für  diefe 
errichteter  Glockenthurm,  welcher  aufser  Seinem  kupfereingedeckten  Holz- 
helme ganz  aus  Sandliein  belieht  und  von  1418  — 1506  gebaut  worden  ili. 
Fig.  tog.  Die  Infchritt  feines  Knopfes  vom  Jahre  1506  befagt,  dafs  man 
ihn  anfangs  den  Neuen  Thurm  genannt  hat;1  in  den  Chroniken  finden  wir 
ihn  auch  als  den  „thorm  Unfer  Lieben  Frauen“*  bezeichnet;  woher  er  a-ber 
feinen  jetzigen  Namen,  der  rothe  Thurm,  bekommen  hat,  ili  mit  Gewifsheit 
nicht  anzugeben,  derfelbe  kommt  feit  dem  17.  Jahrhundert  ausfchliefslich 
vor.  v.  Dreyhaupt  meint,  die  anfänglich  rothe  Farbe  der  kupfernen  Helm- 
eindeckung hätte  diefen  Namen  veranlafst  und  derfelbe  fei  dann  geblieben, 
wiewohl  das  Kupfer,  lügt  er  hinzu,  bald  Grünfpan  angefetzt  habe,  fodafs  er 
jetzt  ..wohl  der  grüne  Thurm  heiffen  möchte.“  Von  der  Bedeutungslosigkeit 
feiner  Erklärung  Scheint  er  mithin  Selber  überzeugt  zu  fein,  und  wir  find 
es  um  So  mehr,  als  wir  nachweifen  können,  dafs  die  Bezeichnung  roth  mit 
dem  Blute  in  Zusammenhang  zu  bringen  ili,  welches  von  Rechts  wegen  auf 
der  Stelle  des  Thurmes  oder  neben  ihm  vergoITen  wurde,  als  von  1341  1513 

und  wieder  nach  1547! — 1718)  die  Statue  des  Rolands  allda  liand,  alfo  die 
Gerichte  über  Leben  und  Tod  auf  jenem  Platze  liattfanden.  Nach  einer 
Stelle  in  den  Aufzeichnungen  des  Marcus  Spittendorff  (bearbeitet  von 
Prof.  Dr.  Julius  Opel)  S.  416  weifete  man  147g  „die  neuen  Schöppen  in  die 
banck  vor  dem  Rohlande  und  den  neuen  greffen  Karlen  von  Einhaufen 
hinder  dem  rothen  thorme  in  die  banck.“  Hier,  wo  Spittendorff  das  einzige 
Mal  in  feinen  Aufzeichnungen  von  einem  rothen  Thurme  Spricht,  kann  das 
in  Frage  flehende  Bauwerk  nicht  gemeint  Sein,  weil  Sich  aus  einem 
Manufcripte  der  Magdeburgifchen  Stadtbibliothek  ergiebt,  dafs  die  Ge- 
richtsbank hinter  dem  rothen  Thurme  d.  h.  der  Thalgerichte  im 
Gegenfatze  zu  der  vor  dem  Rolande  d.  h.  der  Berggerichte  gar  nicht 
hinter  dem  rothen  Thurme,  Sondern  weltlich  von  den  blauen  Thürmen  Stand. 
Die  Stelle  des  genannten  Schriftftückes  lautet: 

„Anno  etc  (14)64  wart  un.b  senth  Gerdruden  Kirchhoff  zeu  Halle  gein 
das  tal  eyn  mure  geleith  und  die  dingkbangk  des  talgerichtes  hinder 
dem  roten  thorme  genant.  Stund  uf  dem  Kirchhof  hinder  senth  Gerdruden 
tormen  gein  dem  mittelhusz  beider  torme  nach  dem  dale  uff  umb  die 
masze  (um  die  masze  = ungefähr),  als  itzundt  die  mure  am  Kirchhofe 


1 Das  findet  feine  Betätigung  durch  eine  Urkunde  des  Jahres  14*10,  die  v.  Dreyhaupt  1.  1034 
millheilt  und  in  der  auch  nur  von  „dem  groffen  neuen  Thurm"  gefproeben  wird. 

2 So  im  Manufcript  der  magdeburger  Stadtbibliothek  von  1509,  flehe  Opel:  Marcu, 

Spittendorf  S.  483. 


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Ntf.  ICK). 


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Rother  Thurm. 

Aeufsere  Anficht  von  Often  her. 


I >KK  KOI  HK  llll'KM. 


279 


uff  diefTiet  dom  slinge  lieth,  da  men  vom  Kirchhofe  in  die  Tunczerie 
(was  darunter  zu  verftehen  iff.  läfst  fich  nicht  Tagen)  gehit,  diefelbe 
dingkbangk  wart  uffgenommen  und  wart  benebin  an  den  Kirchhof  uff 

die  egke  an  die  koth  gefatzt “ 

I)a  die  Thalgerichtsbank  ■ 464  nicht  mehr  hinter  dem  rothen  Thurme  ff  and, 
anfänglich  abet  doch  einmal  hinter  einem  rothen  Thurme  geflanden  haben 
mufs  ihrer  Benennung  wegen,  fo  ill  zu  unterfuchen,  zu  welcher  Zeit  letzteres 
noch  Ifatt  hatte. 

„Drie  botdingh  sal  der  Salczgreue  litzen  In  dem  Jare.  Das  erlfe  botdingh, 
das  iff  achte  tage  nach  olfern,  das  sal  man  litzen  uf  sante  Gertrude 
Kirchhoue  hinder  den  roten  thormen,  dar  follen  alle  die  zcu  körnen,  die 
pfhenner  sien;  wer  dar  nicht  enqweme,  der  wetthet  dem  greuen  drie 
pfhennige  ....  ." 

fo  Ifeht  in  einem  Manufcripte  des  königl.  Provin/.ialarchives  zu  Magdeburg 
über  das  ältelfe  bekannte  Thalrecht,  welches  ca.  1360,  jedenfalls  aber  noch 
im  1 j.  Jahrhundert  gefchrieben  iff  — (veröffentlicht  von  Dr.  Lambert  in  den 
Neuen  Mittheilungen  des  Thüring.-Sächfifchen  Vereins  XI.  435)  — und  die 
ältelfe  Erwähnung  eines  hallefchen  rothen  Thurmes  enthält.  Alfo  fchon  int 
i).  Jahrhundert,  als  an  den  Bau  unferes  Glockenthurmes  noch  gar  nicht 
gedacht  wurde,  iff  das  Thalgericht  und  der  rothe  Thurm  in  Verbindung 
genannt  worden.  Allein  auch  fchon  um  diefe  Zeit  fcheint  die  Benennung 
„hinter  den  roten  thormen  ‘ nicht  mehr  zutreffend  gewefen  zu  fein ; auf  der 
Stelle  des  jetzigen  kann  der  letztgenannte  rothe  Thurm  wenigffens  nicht 
geftanden  haben,  weil  er  lieh  alsdann  ja  auf  dem  S.  Marien-  und  nicht  auf 
S.  Gertrudenkirchhofe  befunden  hätte.  Man  fieht,  der  erlfe  rothe  Thurm 
diente  Gerichtszwecken,  wohl  möglich  alfo,  dafs  der  in  die  Wage  verbaute 
Thurm  (fiehe  weiter  unten  die  Befchreibung  der  Wage),  der  Ifets  als  Ge* 
fängnifs  diente,  in  älteffer  Zeit  als  rother  Thurm  bezeichnet  worden  ilt, 
zumal  ja  auch  der  Roland  (flehe  delfen  Befchreibung  weiter  unten)  in  feiner 
Nähe  gelfanden  hat;  zu  SpittendorfFs  Zeit  hatte  er  freilich  feine  Benennung' 
bereits  verloren  gehabt,  weil  er  in  deffen  Aufzeichnungen  flets  nur  als 
„thorm  neben  der  wage“  bezeichnet  wird.  Aus  allen  diefen  Erwähnungen 
des  Namens  „rother  Thurm“  geht  hervor,  dafs  auch  für  unferen  Glocken- 
thurm die  Bezeichnung  roth  von  der  Thalgerichtsbarkeit  herzuleiten  ilt, 
wenngleich  das  Wie  noch  nachzuweifen  bleibt.1 

Rückfichtlich  des  Namens  möchten  wir  fchliefslich  auch  eine  Quelle 
nicht  unerwähnt  lafTen,  die  früher  an  der  Nordfeite  des  Thurmes  (zeitweife?) 

1 Siehe  auch  vom  Hagen  I.  238.  Haitaus  in  feiner  biffertation:  De  lurri  rubra  Ger* 
manurum  medii  aevi,  I.ipltae  1757  ift  meines  Wiffcns  der  erfte , welcher  die  Meinung  hat, 
dafs  die  rothen  Thurme,  deren  es  in  verfchiedenen  Städten:  Meifsen,  Hannover,  Mainz,  Prag, 
Wien  u.  f.  w.  giebt,  von  dem  ßlutbanne,  der  vor  ihnen  verliehen  wurde  und  von  den  Blut- 
geeichten,  die  vor  ihnen  gehalten  wurden,  ihren  Namen  bekommen  hätten.  Neben  ihm  habe 
meid  auch  die  Roiandsftatuc  geftanden.  Von  den  Gerichten  komme  auch  die  Benennung 
„rothes  Thor“  zu  Magdeburg,  Wiirzburg,  Goslar  u f.  w.,  der  Name  „rulher  Graben“  in  Zeitz, 
„das  rothe  Buch“  auch  wohl  das  Acht*  und  Blutbuch,  welches  das  Verzeichnis  der  Malclicanten 


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28 o 


!»IE  STAli  1‘  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


(irundrifs 
uiul  Aufbau. 


zu  Tage  getreten  ift  und  als  „Hungersquelle“  bekannt  war,  weil  man  au-  [ 
ihrem  Abtiufs  Theuerung  und  „wohlfeile  Zeit“  weiflagete. 

An  dem  Thurme  füllt  in  Bezug  auf  feine  Bauart  zumeift  der  Grundrifs 
auf,  der  nicht  quadratifch,  wie  man  für  einen  freiftehenden  Thurm  erwarten 
follte,  fondern  oblong  ift,  indem  er  in  der  Richtung  von  Norden  nach 
Süden  etwa  15“  und  von  Orten  nach  Werten  etwa  iu*  mifst  und  fich  zu  unterll 
als  ungegliedertes  Rechteck  F'ig.  1 10.  dar  hellt.  Der  über  folchem  Grund- 
riffe  fich  erhebende,  maffive  Mauerkörper,  den  Chroniken  nach  auf  einen 
eichenen  Pfahlroh  fundamentirt,  hat  ganz  glatte  Wände  und,  foweit  man 
jetzt  von  aufsen  fehen  kann,  nur  gen  Norden  eine  nicht  grofse,  fchmale 
fpitzbogige  Fenheröffnung.  F>  heigt  aus  einem  etwa  bis  zur  Hälfte  feiner 
Höhe  aufreichenden,  ringsumgehenden  Anbau  des  Jahres  1825  auf.  Diefer 
legt  fich  mit  einem  Pultdache  gegen  ihn,  ih  von  Backheinen  mit  Sandftein- 
limfungen  gemacht  und  in  gothifchen  Formen  fo  durchgebildet,  wie  es  fich 
von  jener  Zeit  erwarten  läfst,  die  in  Schinkel’fcher  Weife  den  Geill  der 
Gothik  verband  oder  vielmehr  mifsverhand.  Von  feiner  Befchreibung  fehen 
wir  daher  ab,  nur  müflen  wir  hinzufügen,  dafs  1854  die  aus  dem  18.  Jahrh. 
hammende,  häfsliche  Rolandshatue  an  der  Südohecke  autgehellt  worden  ilb 
Der  Anbau,  zu  Wachhuben,  l.äden  und  anderen  hierher  kaum  fchicklichen 
Räumen  ausgebaut,  ih  der  Nachfolger  eines  noch  weniger  fchönen,  weit 
ungleichmäfsigeren  Budenkranzes  aus  älteher  Zeit.  Olearius  fchreibt,  dafs 
die  Läden  unter  dem  rothen  Thurme  1532  zu  bauen  angefangen  feien,  um 
Frfatz  zu  fchaffen  für  die,  welche  an  der  alten  Marienkirche  handen  und  in 
diefem  Jahre  durch  den  Abbruch  derfelben  verloren  gingen.  Auf  Anbauten 
hat  man  aber  ohne  Frage  fchon  bei  der  Thurmanlage  Rücklicht  genommen, 
da  das  Mauerwerk  hier  unten  auf  mehrere  Meter  über  der  Erde  aus  kleinen, 
unregelmäfsigen  Steinen  behebt,  rauh  und  unanTehnlich  ift  und  erft  über 
dem  Pultdache  des  Anbaues,  alfo  fobald  es  zu  Tage  tritt,  gröfsere,  glatt 
behauene  und  gut  gefügte  Quadern  hat.  Da  nun  das  gute  Quadergemäuer 
nicht  durchweg  in  gleicher  Höhe  anfängt,  fo  mögen  freilich  anfangs  nicht 
aut  allen  Seiten  oder  doch  nicht  überall  gleich  hohe  Anbauten  vorhanden 
gewefen  fein.  Dies  ift  erweislich  für  die  füdweftliche  Thurmecke;  man 
bemerkt  nämlich,  wenn  man  im  Dachboden  des  jetzigen  Anbaues  fteht,  wo 
an  befagter  Fcke  das  Gemäuer  durchweg  gut  ift,  dicht  unter  einer  fpäter 
zu  erwähnenden  Infchrift  von  1 146,  jetzt  aufsen  unmittelbar  über  dem  Dache 
zu  fehen,  noch  Spuren  von  einem  Baldachine,  welcher  zu  einer  frei  auf 
einer  Confole  behenden  Statue  (gleich  denen  am  Rathhaufe  und  Raths- 
keller) gehört  hat  und  daher  fammt  feiner  Figur  früher  nicht  verdeckt 
gewefen  fein  kann.  Die  Statue,  die  längft  verfchwunden  ift,  wird  wahr- 
fcheinlich  ein  Marienbild  gewefen  fein,  das  gerade  an  diefe  Ecke  gefetzt 
wurde  mit  Bezug  auf  die  ihr  gegenüberliegende  Marienkirche,  zu  der  doch 


enthielt,  in  Braunfchweig.  Die  „rolhe"  oder  Blutfahne  fei  die,  welche  zu  einem  hochpeinlichen 
Halsgcricht  ausgehängt  wurde.  Schon  feit  1 34 1 habe  es  in  Halle  einen  rothen  Thurm  gegeben, 
nämlich  den  in  die  Wage  eingebauten,  und  daneben  habe  der  Roland  geftanden  und  feien  die 
„Berggerichte"  gehalten  worden. 


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2»2 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAAI.K.KEIS, 


der  Thurm  gehörte.  Auf  allen  vier  Seiten  diefes  unterden  GefehofTes  iß 
ein  grofses  Zifferblatt  der  Uhr  inmitten  fo  angebracht,  dafs  davon  das  Gurt- 
fims  noch  durch  fchnitten  wird. 

Ueber  letzterem  fetzt  lieh  die  vierfeitige  Grundrifsform  in  ein  dann  bis 
zum  Dache  aufgehendes  Achteck  Fig.  m dergedalt  um,  dafs  durch  Ab- 
dumpfung  der  Kcken  unter  einem  Winkel  von  45"  fechs  gleiche  kleinert 
und  zwei  gleiche,  einander  gegenübergelegene,  längere  Seiten  entliehen. 
Die  Ueberführung  aus  dem  Viereck  in  das  Achteck  gefchieht  in  einer  nicht 
fonderlich  fchönen  Weife,  indem  eine  wohl  etwas  kleine  Fiale  auf  der  Ab- 
deckungsfchräge  jeder  Ecke  dicht  an  der  Wand  und  zu  ihr  übereck  gellellt 
lieh  erhebt  und  nothdürftig  den  Raum  füllt.  Diefe  achteckige  Thurmpartie 
wird  durch  ein  leichtes  Gurtgefims  in  zwei  Theile  zerlegt.  Der  untere  Theil 
ill  der  kleinere.  Seine  Hauptfeiten,  den  Himmelsgegenden  entfprechend. 


find  von  Fendern,  oder  wenn  man  will,  von  Schalllöchern  durchbrochen , je 
eines  nach  Norden  und  Süden  und  je  zAvei  nach  Oden  und  Wellen.  Dir 
vier  Eckreiten  bleiben  voll  und  ungegliedert.  Jede  der  vier  Fenderöffnungen 
in  den  längeren  Seiten  hat  durch  zwei  Pfoden  eine  Dreitheilung  erhalten, 
die  beiden  anderen  find  nur  zweitheilig,  bei  allen  entwickeln  lieh  aus  den 
Ptoden  oben  Maafswerksgebilde  in  den  Motiven  der  fpäteren  Gothik. 
namentlich  find  es  Fifchblafen  der  verfchiedenartigllen  Gedalt.  Das  Ge- 
wändeprofil F'ig.  112,  nach  innen  einfach  fchräg,  wird  nach  aufsen  durch 
zwei  Harke  Hohlkehlen  , die  ein  Birnenprofil  trennt  und  die  von  Plättchen 
gefäumt  werden,  gebildet;  an  feine  Spitze  fetzt  fich  die  Hälfte  eines  Poden- 


Fig.  1 1 2. 


<3 


m-t  f r r r r t 1 1 t« 


Fcnftcrprofil. 


\ 


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DKK  HOTHK  THI'KM. 


*»3 

grundriffes,  der  nach  aufsen  und  innen  je  zwei  keilförmig  zu  einander 
Sehende  Flachkehlen  mit  dumpfer  Spitze  und  inmitten  eine  gefalzte  Platte 
hat.  Der  obere,  höhere  der  beiden  achtfeitigen  Thurmtheile  hat  gegen 
Orten  und  Werten  je  ein  mächtiges  Fenller  mit  prachtvollfter  Maalswerks- 
tüllung  auf  drei  Pforten,  von  denen  der  mittlere  (ältere)  ftärker  als  die  beiden 
anderen  ift.  Von  den  übrigen  Seiten  werden  durch  ein  einpfoftiges,  alfo 
zweitheiliges  Fenfter,  deffen  Scheitel  ein  wenig  niedriger  liegt  als  der  der 
beiden  vorgenannten,  durchbrochen  die  Nord-  und  Nordoft-,  fowie  die  Süd- 
und  Südweftfeite;  die  Südortfeite  dagegen  hat  nur  ein  mit  Blendenmaafswerk 
geziertes  Blindfenfter,  deffen  Unterkante  auch  höher  liegt  als  die  der  wirk- 
lichen Oeffnungen,  und  die  Nordweftfeite  irt  gänzlich  glatt  bei  affen.  Als 
ürund  für  die  abweichende  Bildung  diefer  beiden  Seiten  werden  wir  fpäter 
eine  Wendeltreppenanlage  im  Inneren  kennen  lernen.  Die  Profilirung  der 
Gewände  gefchieht  hier  durch  eine  weite  Hohlkehle , der  fich  das  halbe 
Pfoftenprotil  vorfetzt.  Dasfelbe  gleicht  zwar  dem  der  unteren  Fenfter,  wird 
aber,  um  die  ftärkeren  Mitielpfoften  der  beiden  Breitfeitenfenller  zu 
fonniren,  nach  aufsen  und  innen  durch  eine  Wiederholung  der  flachkehligen 
Keilform  verftärkt  und  fetzt  fich  in  diefer  ftärkeren  Form  halbirt  an  die 
Spitze  aller  Gewändeprofile.  Die  Pforten  der  zweitheiligen  Fenfter  und  die 
fchwächeren  der  viergetheilten  behalten  natürlich  das  in  diefem  llaupt- 
ploftenprofil  enthaltene,  organilch  ablösbare,  bekannte  Profil.  Es  verbleibt 
noch  die  befondere  Erwähnung  des  oberen  Fenfters  in  der  Weftwand. 
Schon  feines  originellen  Maafswerks  wegen  würde  es  folche  verdienen, 
denn  der  Mittelpforten  unterllützt  den  Schlul'sllein  eines  in  feiner  Profilirung 
gehaltenen  Flachbogens,  der  etwa  in  Kämpferhöhe  des  Fenfters  liegt  und 
über  fich  F'ifchblafengebilde  hat,  während  unter  ihm  durch  ein  wagerechtes 
Stück  im  Profil  der  kleineren  Pforten  vier  etwa  quadratifche  Felder  ent- 
liehen. In  jedem  der  beiden  mittleren  Felder  nun  — und  dies  eigentlich  ift 
die  llaupturfache  der  Erwähnung  — fieht  man  die  Büfte  eines  Mannes  mit 
lockigem  Haar;  man  erkennt  auch,  dafs  die  des  nördlichen  gröfser  ift,  aber 
lür  die  Beurtheilung  der  Details  ift  der  Aufftellungsort  zu  fern  und  überdies 
vom  Inneren  nicht  zu  erreichen,  fodafs  fich  nur  vermuthen  läfst,  es  fei  der 
Baumeiller  mit  feinem  Parlirer,  Gehilfen  oder  einer  derartigen  Perfon,  der 
lieh  an  diefem  nicht  auffälligen,  doch  ausgezeichneten  Orte  verewigt  hat. 
Ich  meine,  dafs  fich  in  der  Nähe  diefer  Bütten,  wenn  auch  nicht  der  Name,  fo 
doch  das  Meifterzeichen  der  Dargeftellten  finden  dürfte  und  dafs  es  möglich 
fein  würde,  durch  Vergleichung  defselben  mit  anderen,  hierorts  gleichzeitigen, 
zur  Kenntnifs  der  Perfonen  zu  gelangen.  Jede  der  dumpfen  Ecken  des 
achtfeitigen  Thurmllückes  ift  bereits  von  unten  auf  mit  einem  Harken  Rund- 
Habe  befetzt,  welcher  in  dem  oberllen  Gefchoffe  mittelft  einer  Confole  in 
eine  gleichfam  angeklebte  Fiale  übergeht.  Der  krabbenbefetzte  Riefe  der 
letzteren  endet  unter  dem  Hauptgefimfe.  Die  F orm  deftelben  belicht  im  wefent- 
lichen  aus  einem  fchrägen  Plättchen  mit  einem  Wulft  darunter,  an  dem  fich  eine 
Harke,  unterfchneidende  Hohlkehle  mit  einigen  Untergliedern  fetzt.  Darunter 
her  zieht  fich  ein  üppiger  kleeblattlörmiger  Spitzbogenfries,  welcher  auf 
jeder  Seite  die  Mitte  durch  eine  .Abweichung  in  der  Bogenausbildung  betont. 


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LUK  STAD  f HALLE  u.  d.  SAALKKKIS. 


Bevor  wir  in  unferer  Befchreibung  weiter  gehen,  fei  noch  über  dir 
vielen,  viereckigen  Löcher  am  Gemäuer  — jeder  gröfsere  Stein  zeigt 
nämlich  ein  folches  — gefagt,  dafs  fie  von  der  mittelalterlichen  Verfetzung- 
weife  der  Quadern  herrühren.  Man  bediente  lieh  zum  Verfetzen  eine? 
ei  fernen  Werkzeuges  in  der  Form  einer  Zange,  die  den  Stein  beiderfeits 
fafste,  eine  Methode,  die  aufser  anderen  Uebellländen  auch  den  Nachthei! 

hat , dafs  eben  einer  der  Angriffspunkte  der  Zange  fpäter 
äufserlich  fichtbar  bleibt,  lft  nun  zuweilen  auch  aus  der 
Noth  eine  Tugend  gemacht  worden,  indem  man  diefe  Löcher 
decorativ  verwerthet  hat,  fo  hat  die  Weife  des  Mittelalters 
doch  einer  anderen  weichen  muffen,  die  mittelft  eines  von  oben 
f J in  den  Quader  eingelaffenen  Wolfes  oder  fchwalbenfchwanz- 
törmigen  Kifens  den  Vortheil  bietet,  dafs  die  unvermeidlichen 
C ■»--  P Löcher  durch  die  folgende  Querfchicht  wieder  völlig  ver- 
"T  deckt  werden. 

Das  Dach  oder,  wenn  man  will,  der  Thurmhelm,  aus  Holz  mit 
Kupfereindeckung  beftehend.  Hellt  fich  zu  unterft  als  ein  allfeitig  abgewalmte? 
Satteldach  dar.  Aul  der  Dachfchräge  über  jeder  der  vier  Eckfeiten  erhebt 
fich  ein  achtfeitiges  Thürmchen.  Seine  architektonifchen  Bellandtheile  find 
ein  niedriger,  geputzter  Fachwerkslaib  mit  drei  kleinen  Gardinenbogen- 
fenllern,  darüber  ein  umlaufendes  Gefims  mit  einem  Kranze  von  Giebelchen 
in  efelsrückenförmig  gebogenen  Linien  und  aus  diefem  Kranze  autfehiefsend 
eine  fchlanke  Spitze  mit  Knopf.  Mitten  auf  der  Fläche  des  Hauptdaches 
befindet  fich  über  jeder  Langfeite  eine  Lucarne . an  einem  mächtigen 
quadratifchen  Dachreiter  anliegend,  der  fich  mitten  über  dem  Satteldache 
aufbaut.  Oben  umzieht  diefen  ein  Gefims  und  über  jeder  Seite  lieht  ein 
gradliniger  Giebel.  Auf  das  fo  entftandene  kreuzförmige  Dach  fetzt  lieh 
gewiffermaafsen  ein  als  Dachreiter  des  Dachreiters  zu  bezeichnender  Aulbau 
von  achtfeitiger  Form  und  mit  Wänden,  die  fo  weit  fie  über  den  Firften  des 
anderen  Daches  liegen,  ringsum  offen  find.*  Ueber  diefem  offenen  Theile 
läuft  wieder  ein  Sims  um.  und  ein  Kranz  von  concavlinigen  Giebeln  um- 
giebt  den  Fufs  der  nun  bis  zum  Knopfe  pyramidal  aulfteigenden  achtfeitigen 
Spitze.  Den  Knopf  zieren  „246  Stacheln  jeder  einer  halben  Elen  lang" 
nach  von  Dreyhaupt's  Angabe:  fie  find  gerade  fo  hechelartig  angebracht 
wie  an  den  blauen  Thürmen.  Ihr  Zweck  ifl  mir  nicht  bekannt,  doch  wage 
ich  die  Vermuthung  auszufprechen,  dafs  fie  in  etwas  abergläubifcher  Weile 
zur  Abwehr  haben  dienen  füllen  gegen  das.  was  in  folgendem  Paffus  der 
fammt  mehreren  Reliquienportionen  dem  Knopfe  eingelegten  Infchrilt  aus- 
gemalt wird: 

„ . . . Praesertim  tempore  ymbrium,  Tempestatum,  fulgurum  et  chorus- 
cationum,  cum  pavet  omne  celum , minantur  Astra , concurrit  condensus 
aer,  Jubarque  rabidum  et  omnis  illa  volitansper  au  ras  nephandissimorum 
Spirituum  turba  illic  religata  quiequam  virulentie  sue  in  Xpsti  famulos 
audeat,  . . . .“ 


Die  OcfFnungen  find  jetzt  annähernd  quadrutifch  und  zeigen  oben  eine  leite  Andeutung: 


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HER  ROTHE  THURM. 


285 

Um  nach  diefer  Befchreibung  des  Aeulseren  eine  Würdigung'  des  Stil. 

Stiles  und  der  Kunftleiftung  zu  verfuchen,  werden  zunächft  nicht  die 

einzelnen  Kunftformen  und  Ornamente,  welche  letztere  doch  ziemlich  fpar- 

fam  verwendet  worden  find  , fondern  der  einheitlichen  Durchführung  des 

Ganzen  wegen  vornehmlich  die  Proportionen  der  Hauptpartien  und.  was  Proportionen. 

fall  gleichbedeutend  ift,  die  MafTenvertheilung  zu  unterhielten  fein.  Und  da 

ift  es  natürlich  hauptlachlich  wieder  der  Grundrifs,  der  dem  Thurme  feinen 

eigenartigen  Charakter  giebt.  Da  der  Plan  nicht,  wie  für  einen  ifolirten 

Thurm  zu  erwarten,  quadratifch  ift,  fondern  genau  das  anderthalbfache 

feiner  Breite  zur  Länge  hat,  fo  befchäftigt  folche  ungewöhnliche,  ja  wirklich 

unmotivirte  Geftalt  fogleich  die  Gedanken  des  Befchauers  dadurch,  dafs 

diefer  bemüht  fein  wird,  eben  den  Grund  für  die  Abweichung  von  der 

natürlichen  Form  aufzufinden.  Vergebliche  Mühe!  Gerade  diefes  und  nur 

diefes  Interelfe,  welches  man  auf  folche  Weife  dem  Thurme  fogleich  zu 

fchenken  genöthigt  wird,  ift  meines  Erachtens  die  einzige  oder  doch 

die  Hauptabficht  des  Baumeifters  für  die  Wahl  des  fonderbaren  Grund- 

rilTes  gewefen.  Man  erinnere  fich,  dafs  zu  Anfang  des  15.  Jahrhunderts, 

dem  doch  der  Entwurf  unferes  Thurmes  entflammt,  die  Gothik  fchon  verfiel 

und  dafs  alfo  an  die  Stelle  des  gewiflermaafsen  Selbftverftändlichen  das 

Gefuchte,  an  Stelle  des  Schönen  das  Reizende,  Intereftante  treten  mufste, 

wie  es  gleichzeitig  im  allgemeinen  Leben  und  wie  es  überhaupt  zu  den 

Verfallzeiten  aller  Stilperioden  der  Fall  gewefen  ift.  Gerade  weil  ein 

folcher  Grundrifs  nicht  zu  erwarten  war,  war  er  für  den  Zweck  des  Meifters 

zu  intereffiren  geeignet.  Er  erzeugt  eine  ungeahnte  Lebhaftigkeit  in  dem 

Gefammtbilde  des  Thurmes;  denn  je  nachdem  man  den  Standpunkt  nimmt, 

gewinnt  man  eben  ein  anderes  Verhältnifs  der  Höhe  zur  Breite  des  Thurmes. 

Hinzuweifen  ift  vornehmlich  auf  die  beiden  zumeift  verfchiedenen  Bilder. 

Schon  die  Oft-  und  Weftanficht  wirkt  nach  acht  deutlich  gothifcher  Art  vor- 
zugsweife in  der  verticalen  Richtung  mächtig  aufwärts  zum  Himmel  ftrebend 
wie  der  deutfehe  Geilt  jener  Zeit  felber,  allein  es  fteigert  fich  die  Wirkung 
und  nimmt  dann  geradezu  einen  fabelhaft  gigantifchen  Charakter  an,  wenn 
man  von  Süden  (aus  der  Schmeerftrafse)  oder  Norden  (aus  Kleinfchmieden) 
herkommt.  Das  Wunderbare,  Unglaubliche  liegt  in  der  fcheinbaren  Un- 
möglichkeit bei  fo  geringer  Breite  der  Grundfläche  die  Höhe  des  Bau- 
werkes fo  gewaltig  zu  fteigern.1  Beide  Thurmanfichten  bafiren  überhaupt 
zum  Zweck  momentaner  Täufi:hung  auf  Scheinwefen;  während  die  eine  den 
Thurm  ftärker  erfcheinen  läfst,  als  er  doch  ift,  giebt  ihm  die  andere  eine 
viel  fchlankere  Form,  als  er  wirklich  durchweg  hat. 

Im  Aufrifs  fallen  da,  wo  der  Grundrifs  fich  ändert,  indem  er  aus  dem 
Viereck  in  das  Achteck  übergeht,  und  da,  wo  das  Dach  anfängt,  die  Haupt- 


der  F.felsrückenlinie.  Auf  dem  Bilde  bei  von  Dreyhaupt  ficht  man  jede  Seite  zu  zwei  Rund- 
bogenötfnungen  aufgeliift.  Wenngleich  diefc  letztere  Form  alfo  älter  ift,  halte  ich  fie  nicht  für 
die  urfprüngliche , fondern  für  eine  zeitweilige  Zuthat,  die  jetzt  wieder  befeitigt  worden  ift. 

1 Als  Parallele  machen  wir  auf  die  Minarets  bei  den  Muhamedancrn  aufmerkfam,  dem 
Lefer  den  Vergleich  bez.  die  Verfchiedenheit  aufzufuchcn  übcrlaffend. 


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286 


MF.  STADT  HALLE  u.  d.  SAAI.K.K EIS. 


UifTeaver* 

theiltmg. 


cäfuren.  Das  Proportionsgefetz  hier  aufzufinden  will  nicht  gelingen.  Von 
den  beiden  fo  oft  zur  Verwendung  gekommenen,  dem  der  Quadratur  und 
dem  des  goldenen  Schnittes,  ift  das  erlle  einige  Male,  das  andere  aber  nicht 
genommen;  und  fo  müffen  wir  uns,  da  die  Kenntnifs  diefer  Materie  noch 
durchaus  in  den  Windeln  liegt,  befcheiden.  dasgerade  Auffallende  anzuführen. 
Das  viereckige  Thurm ftiick  ift  dem  achteckigen  in  der  Höhe  etwa  gleich: 
annähernd  im  goldenen  Schnitt  fteht  die  Breite  der  Langfeite  zur  Höhe  des 
unteren  Theiles,  mithin  auch  diefelbe  Breite  des  achtfeitigen  Stückes  zu 
der  Höhe  desfelben.  Nicht  ganz  im  goldenen  Schnitt,  vielmehr  in  einem 
fchwereren  VerhältnilTe  liehen  auch  die  Höhen  der  beiden  Stücke  des  acht- 
feitigen  Theiles  zu  einander  und  in  demfelben  VerhältnilTe  ein  unteres 
Fenfter  der  Breitfeite  zu  einem  oberen.  Wie  der  fteinerne  Bau  zerfällt  auch 
der  Helm  in  zwei  gleich  hohe  Theile,  deren  Cäfur  das  Gefims  am  Fufse  der 
achtfeitigen  Spitze  abgiebt.  Seine  ganze  Höhe  fteht  zu  der  des  ganzen 
Unterbaues  in  demfelben,  dem  goldenen  Schnitte  angenäherten  VerhältnilTe 
wie  die  der  zwei  achtfeitigen  Theile  aus  Sandftein  und  wie  die  erwähnten 
Fenfter.  Im  einzelnen  dürften  fich  zweifelsohne  noch  weitere  Theilungen  nach 
einfachem  Gefetze  befonders  in  der  reizvollen  Ausgeftaltung  des  Helmes 
nachweifen  lallen,  doch  genügt  das  Gefagte,  um  überhaupt  eine  wohl  über- 
legte Proportionirung  des  Ganzen  zu  erweifen,  deren  unbekanntes  Gefetz 
fcheinbar  ein  dem  des  goldenen  Schnittes  verwandtes  ift. 

Klarer  läfst  fich  die  Regel  tür  die  Vertheilung  der  MalTen  erkennen, 
nämlich  das  Beftreben  letztere  nach  oben  leichter  zu  geftalten.  Das  vier- 
feitige  Untergefchofs  hat  aufser  einem  unbedeutenden  Fenfter  weder  Zier- 
rathe  noch  Durchbrechungen.  Die  Zifferblätter  gehören  zum  baulichen 
Organismus  nicht.  Darüber  werden  nur  die  Hauptfeiten  von  mäfsig  grofsen 
Fendern  durchbrochen,  während  die  vollen  Eckwände  in  der  Silhouette 
durch  die  vorgefetzten  Fialen  noch  verftärkt  erfcheinen ; in  der  letzteren 
fteinernen  Partie  find  eigentlich  alle  Seiten  wenigftens  durchbrochen  gedacht 
und  namentlich  die  grofsen  Fenfter  gegen  Ollen  und  Wellen  wirken  durch 
ihre  breiten,  dunkeln  Partien,  im  Verein  mit  dem  hier  üppigeren  Schmucke 
durch  Maarswerk,  Fialen  und  ßogenfries,  Hark  die  MafTe  des  Materials  er- 
leichternd. Dafs  das  Dach  mit  den  mancherlei  Spitzen  und  Giebeln,  vor 
allem  den  vier  auf  fchiefsenden  Eckthürmchen  und  mit  dem  lebhaften  Wechfel 
der  Flächen,  durch  die  Ueberfetzungen  hervorgerufen,  eine  gar  leichte 
Bekrönung  giebt,  braucht  kaum  hervorgehoben  zu  werden. 

Gewifs  kann  man  den  Thurm  als  ein  durch  Schönheit  ausgezeichnetes 
Werk  feiner  Zeit  bezeichnen,  indeffen  mit  anderen  verglichen  fpricht  fich 
in  ihm  doch  ein  befonderer  Charakter  aus;  diefen  fowohl  wie  dasjenige, 
welches  dem  Baue  den  Charakter  aufgeprägt  hat,  kennen  zu  lernen,  er- 
fordert noch  einige  Bemerkungen.  Für  diefe  Zeit,  die  im  Omamentiren 
fich  nicht  genug  thun  konnte  und  für  ein  Werk,  das  in  fo  gutem  Materiale 
und  eigentlich  doch  nur  des  Luxus  wegen  gebaut  wurde,  nimmt  es  Wunder, 
eine  fo  grofse  Mäfsigung  im  Omamentiren  zu  finden  und  fogar  eine  im 
ganzen  ziemlich  zaghafte,  fad  nüchterne  Silhouette,  welche  erll  am  Helme 
lebhafter  wird.  Strebepfeiler,  die  Wände  zu  verftärken  fehlen;  letztere  find 


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DER  ROTHE  THURM.  287 


unverziert  und  dark  genug  fchon  in  (ich.  Keck  vortretende  WafTerfpeier 
oder  frei  flehende  Fialen  zur  Belebung  der  Umrilfe  fleht  man  nicht;  die 
vorhandenen  Fialen  drücken  (ich  dicht  an  das  Gemäuer  an,  als  feien  fie 
ängltlich,  das  Relief  möge  zu  bewegt  werden.  Durch  das  Fehlen  folcher 
pikanten  Details  lieht  der  Thurm  fchlicht,  beinahe  geleckt  aus  und  jeden- 
falls thut  fein  immerhin  herrliches  Gefammtbild  mehr  den  veriländigen, 
vielleicht  profaifchen  Sinn  als  die  Schwärmerei  des  Mittelalters  kund;  das 
wird  auch  durch  die  Solidität  der  Conliruction  und  die  Einheitlichkeit  des 
Materials  beflätigt,  beides  gleichfam  baare  Münze  für  fein  Exillenzrecht. 

Die  Urfache  folches  Auslehens  liegt  nicht  lern.  Ill  der  Thurm  nicht  jenen 
fchlichten,  kaufmännifch  nüchternen,  doch  Holz  aufllrebenden  Stadtarillokraten 
der  alten  Handelslladt  vergleichlich,  die  feine  Erbauung  veranlafst  halten? 
Mächtig  wie  fie.  llark  und  folide  lieht  er  da,  und,  wiewohl  er  hoch  nach  des 
Mittelalters  Weife  zum  Himmel  aufragt,  bleibt  fein  Contur  doch  klar  und 
ziemlich  einfach  und  unlerfcheidet  fleh  dadurch  von  den  phantallifch  durch- 
brochenen Steinthürmen  der  Dome,  die  in  ihren  lichten  Helmen  dem  Stoffe,  dem 
irdifchen  Wefen.  jede  Berechtigung  abfprechen  möchten.  Der  rothe  Thurm 
ill  demnach  der  bauliche  Ausdruck  delfen,  was  die  Gedanken  der  feinen, 
aber  einfachen  und  nüchternen  Stadtarillokratie  des  15.  Jahrhunderts  zu 
Halle  bewegt  hat.1  Das  Rathhaus  verdankt  dem  gleichen  Ideenkreife  feine 
urfprüngliche , in  Quadern  ausgeführte  Gellalt.  Es  ill  überflüffig  hiernach 
auf  die  Einzelheiten  einzugehen,  die  hier  nicht  wefentlich  anders  als  an  den 
ührigen  Bauten  diefer  Zeit  gebildet  find,  alfo  die  Zeit  charakterifiren  und 
nicht  auch  erweislich  das  Lokal.  Eine  Beurtheilung  der  gelammten  Kunll- 
leillung  wird  immer  günllig  ausfallen  mülfen,  nicht  weil  das  durch  das 
Kunllwerk  Gefagte  von  hervorragender  Bedeutung  ill,  fondern  weil  das  Ge- 
l'agte  mit  dem  Zufagenden  trefflich  übereinllimmt ; je  eingehender  man  den 
Bau  aus  diefem  Gelichtspunkte  lludirt,  um  fo  richtiger  wird  man  feine  Vor- 
züglichkeit würdigen. 

In  das  Innere  des  rothen  Thurmes  führt  eine  nicht  grofse,  gothifch  tnneres. 
profilirte  Thür  auf  der  Mittagsfeite.  Sie  liegt  mehrere  Meter  über  dem 
Terrain  und  ifl  heute  nur  aus  dem  Obergefchofs  des  Anbaues  zugängig- 
Ob  diefer  Glockenthurm  wegen  des  fo  hoch  wie  an  den  mittelalterlichen 
Vertheidigungsthürmen  angelegten  Einganges  auch  für  eine  eventuelle  Ver- 
theidigung  follte  dienen  können,  mag  dahingeltellt  fein.  Da  die  Thurm- 
mauern an  diefer  Eingangsllelle  eine  Stärke  von  3,40 " haben,  fo  gleicht  die 
Thüröffnung  völlig  einem  Gange,  der  dann  in  einen  von  drei  Kreuzgewölben 
auf  Diagonalrippen  überfpannten  Raum  führt,  wie  man  in  Fig.  1 10  lieht. 

Da  derfelbe  ohne  InterefTe  ill,  fo  wenden  wir  uns  einer  in  dem  Gange  welt- 
lich gelegenen  Thüröffnung  zu.  Hier  führt  uns  eine  Wendeltreppe,  mitten 
im  Mauerwerke  ausgefpart,  eine  Strecke  empor  zunächll  zu  dem  Raume 
der  Uhr.  Wiewohl  1468  der  Thurm  noch  nicht  fertig  war,  ill  doch  ein  Uhr-  Uhr. 


1 Es  macht  nichts,  dafs  der  Helm  aufgefetzt  wurde,  als  ihre  Hcrrfchaft  fchon  gebrochen 
war,  denn  ausgefiihrl  ift  er  ohne  Frage,  wie  er  im  Riffe  ftand.  Das  Mauerwerk  war  fchon 
fertig,  bevor  die  Volkspartei  die  Oberhand  erhielt. 


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288 


IMF.  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKKEIS. 


werk  bereits  in  diefeni  Jahre,  in  welchem  auch  eine  Schlagglocke  dazu  ge- 
golTen  wurde,  hier  aufgellellt  worden1  und  zwar  wohl  als  Rathsuhr,  dem 
1508  liels  der  Rath  zu  Halle  einen  nawen  feyger  auf  Unfer  Lieben  Frauen 
Thurm  fetzen , welcher  Zeiger  400  Gulden  koftete.*  Die  Wendeltreppe 
zieht  fich  nun  mehr  nach  Orten  hin  und  fteigt  alsdann  bis  zu  dem  acht 
feitigen  Thurmtheile  auf,  wo  fie  fich  gegen  den  hier  gelegenen  Raum  für 
die  Glockenläuter  öffnet.  Es  intereffirt  in  demfelben  nur  die  Decke  oder 
vielmehr  die  hier  gut  fichtbare  Conftruction  des  Fufsbodens  für  das  nächlie 
Gefchofs.  Die  mittelalterliche  unterfcheidet  fich  dadurch  von  der  fpäteren 
und  heutigen , dafs  man  die  Balken  nicht  mit  ihren  Enden  in  das  Mauer- 
Decken-  werk  hineinlegt,  fondem  einen  Kranz  von  Confolen,  welche  hier  von  der 
conftruction.  einfachften,  kantigen  und  unten  abgerundeten  F'orm  find,  auskragt,  fie  rings- 
um durch  eine  Schwelle  verbindet  und  nun  die  Balken  von  der  Länge  des 
Raumlichtenmaafses,  alfo  ftumpf  vor  die  Wand  ftofsend,  darauflegt.  Darüber 
find  Bohlen  zum  Fufsboden  geftreckt.  Man  mufs  geliehen,  dafs  diefe  Con- 
ftruction eine  höchft  gefunde  ift,  und  in  der  That  macht  fchon  das  vor- 
liegende Beifpiel  rohefter  Ausbildung  den  angenehmflen  Eindruck,  weil 
gleich  der  erfte  Blick  von  der  Zweckmäfsigkeit  der  Anordnung  überzeugt. 

Die  Wendeltreppe  fetzt  fich  in  der  Südoftwand  als  .angehängte  fort, 
da  nämlich  ein  Theil  ihres  Grundrißes  in  den  Innenraum  vortritt,  wie  Fig.  in 
zeigt.  Sie  mündet  auf  dem  eben  befchriebenen  Fufsboden  des  oberften  Ge- 
fcholTes,  der  eigentlichen  Glockenftube,  aus,  was  fich  auch  am  Aeufseren  des 
Thurmes  durch  jenes  Blindfenfter  bemerkbar  macht,  defien  Nifche  eben 
diefer  Treppe  wegen  nicht  zu  gleicher  Tiefe  herabreichen  konnte  wie  die 
Glockenftube.  Oeffnungen  der  wirklichen  F'enfter.  Die  Glockenftube  reicht  bis  zur 
Dachbalkenlage  hinauf.  In  ihr  fleht  ein  alter,  wahrfcheinlich  um  1580  ge- 
machter und  durch  feinen  Holzverband  interefTanter  Glockenftuhl  mit  zwei 
koloffalen  Glocken.  Die  kleinere  mifst  1,59“  im  DurchmelTer  und  ifl 
die  ältere.  Sie  hat  eine  Halsumfchrift  in  Majuskeln,  welche  nicht  durch 
Einritzen,  fondern  durch  Wachsmodelle,  die  dem  Hemde  aufgeklebt 
werden,  entftanden  find  und  etwa  in  Papierftärke  aufliegen.  Sie  find  daher 
fo  fchwer  lesbar,  dafs  bisher  nicht  ein  einziger  der  Chroniften  alter  und 
neuer  Zeit,  von  welchen  die  Glocke  gemeflen  und  übrigens  eingehend 
befchrieben  worden  ift,  den  Verfuch  dazu  gemacht  hat.  Die  Schrift8 
lautet: 

M<3  • UÄIHPÄRä  • PIC  • R6S0RKS  • S2IB  • ItORORe  ■ fllÄRIC  • 

eine  Aufschrift  kurz  und  gehaltreich  ganz  im  Geifte  des  blühenden  Mittel- 
alters. Um  den  Hals  zieht  fich  dann  noch  ein  Band  von  Medaillons,  Cruci- 
fixen  und  dergl.  erhabene  Zierrathen,  von  denen  auch  einzelne  auf  der 

1 Olearius  zum  Jahre  1468  und  von  Dreyhaupt  I.  1016. 

3 Hall.  Chron.  in  der  Stadtbibi,  zu  Magdeburg  abgedruckt  bei  Opel:  M.  SpittendoriT. 
Anm.  zu  S.  220. 

3 Hier  wie  fo  oft  bei  der  Unterfuchung  von  Glockenauffchriftcn  lind  neben  der  örtlicher. 
Unzugänglichkeit  die  Licht-  und  Schattenreflexe  mehr  hinderlich  fiir  die  Erkennung  der  Schrift 


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OKU  R0T1IV  nit'KM. 


289 

(»locke  angebracht  find.  Man  darf  aus  der  Schrilt  und  der  Glockenform 
überhaupt  fchliefsen.  dafs  der  Gufs  bald  nach  der  Mitte  des  14.  Jahr- 
hunderts fällt.  Jedenfalls  gehört  die  Glocke  nicht  erll  dem  15.  Jahrhundert 
an  und  kann  alfo  urfprünglirh  nicht  gleich  für  den  rothen  Thurm  beftimmt 
gewefen  fein,  fondem  wird  zuvor  fchon  eine  Zeit  lang  auf  einem  anderen 
der  Maria  geweihten  Thurme,  vermuthlich  auf  einem  der  1 lausmannsihürme, 
sich  befunden  hahen. 

Die  andere  Glocke  i ff  die  gröfsclV  in  Halle;  ihr  DurchmelTer  beträgt 
2.1,5"*.  Sie  ill  mit  figürlichen  Darilellungen  gefchmückt.  Man  fieht  einen 
hochreliefirten  Crucifixus  mit  Maria  und  Johannes  daneben,  ferner  in  etwas 
grösserem  Maafslfabe  eine  weibliche  Figur  mit  Scepter  und  Buch,  eine 
andere  mit  einem  Schwerte  (Katharina?),  dann  Maria  mit  dem  Kinde  und 
fchliefslich  eine  weibliche  Figur  mit  einem  Kreuze;  fie  reitet  auf  einem  Un- 
thiere  und  diefes  hält  ihr  Kleid  im  Maule;  es  ill  vielleicht  Margaretha.  Die 
Deutung  diefer  F'iguren  ift  nicht  mit  Sicherheit  möglich.  Wir  lefen  folgende 
Minuskelumfchrift  um  den  Hals; 

mtn«  - üonini  w • utflm  ■ mit  • »rr  - hülfe  ■ gotis  ■ »Bi  - ii  • örr  - rrr  - 
«nfrr  • lihrn  • frinn  • 

Es  könnte  gleichgiltig  fein,  dafs  die  (»locke  bereits  t|(><>  gegolfen . ge- 
fprungen.  umgegoffen  und  1 |Ho  zum  andern  male  umgegoften  ill,  wenn  lieh 
nicht  daraus  ergäbe,  dafs  die  Glocken  anfangs  wohl  ein  Gefchofs  tiefer 
hingen  und  erft  feit  dem  letztgenannten  Jahre  ihren  jetzigen  Platz  erhielten, 
weil,  wie  unten  noch  zu  Tagen  ift,  um  14OO  die  heutige  Glockenftube  über- 
haupt noch  nicht  gebaut  war. 

Die  Wendeltreppe  führt  von  hier  nicht  in  der  Südoftmauer  höher.  Gefpärre. 
fondem  fetzt  lieh  wiederum  in  das  Thurminnere  vorlpringend,  in  der  Nord- 
weftwand  fort,  von  welcher  wir  wilTen.  dafs  fie  aufsen  ganz  voll  und  glatt 
ift.  Man  mufs  alfo  die  Glockenftube  von  Südoft  nach  Nordweft  durch- 
fchreiten.  um  nachdem  Helme  hinaufzulleigen.  Ueher  einer  mehrfachen 
Dachbalkenlage  baut  fich  das  Gefpärre  auf  , der  Conftructionsregel  eut- 
fprechend,  ohne  mit  dem  Mauerwerk  Verband  zu  haben.  Starke,  lange 
Hölzer  aus  einem  Stücke  beftehend.  gehen  hoch  hinauf  und  find  mit  vielen 
Streben  überall  zu  feilem  Dreiecksverbande  geordnet.  Das  viele  Holz  werk 
des  Dachverbandes  gellattet  nur,  mittelll  einer  Leiter  höher  zu  fteigen,  bis 
man  zu  dem  durchbrochenen,  achteckigen  Untertheile  der  Spitze  kommt,  in 
welchem  zwei  Schlagglocken  hängen.  Beide  find  ohne  Schlägel,  .alfo  wohl  Schlagglocken. 
fchon  im  Gulfe  zu  Schlagglocken  beftimmt  worden.  Die  gröfsere  von  ge- 
drückter Form,  wie  fie  für  Schlagglocken  beliebt  gewefen  zu  fein  Icheint, 


als  die  Undeutlichkeit  des  Gepräges.  Ich  habe  mich  hier  nach  Reinigung  der  Buchftal.cn  von 
Staub  eines  Lichtes  bedient,  um  den  Contur  der  llachen  Buchftaben  erkennbar  zu  machen,  Da 
das  Licht  nämlich,  je  nachdem  cs  erforderlich  ift.  gehalten  werden  kann,  fo  laffen  lieh  Schlug- 
fchatten  erzeugen  fn  kräftig,  wie  es  .las  Relief  überhaupt  geftattet  Auch  ein  Spiegel,  zu- 
weilen fchon  ein  weifses  Blatt  Rapier  ift  fiir  «liefen  Zweck  ausreichend. 

B.  D.  d.  Bau-  11.  Kunsld.  N.  K.  I.  10 


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2Cp 


IHK  STADT  HAI.LK  U.  d.  SAALKRKIS. 


Baiigefchichte. 


mil'st  t ,|5  “ in)  DurchmelTer  und  hat  folgende  Halsamfchrift  in  Minuskeln 
nach  Wachsmodellen. 

dum  • tangor  • audite  • distinguo  • tempora  • rite  • ad  • laudem  • 
dei  • cursum  ■ noctis  • atque  • diei  • und  die  Jahreszahl  ihres 
(iulfes  1468.  1 

Wenn  fie  nun  auch  1468  gegolten  „und  fampt  dem  Uhrwerck  und  Sphaera 
lunari  angerichtet  worden",  fo  wird  lie  doch  erll  1580  diefen  Platz  bekommen 
haben.  Im  15.  Jahrhundert  Hand  der  Helm  nämlich  noch  nicht  und  die  Be- 
merkung des  Olearius  zu  letztgenanntem  Jahre,  es  habe  am  18  Juni  (kr 
Zeiger  auf  dem  rothen  Thurme  zum  erden  male  gefchlagen,  kann  unter 
den  vorliegenden  Verhältnilfen  wohl  nichts  anderes  heifsen,  als  dals  dir 
Glocke  zum  erden  male  da  oben  an  einem  neuen  Orte  gefchlagen  hat*-. 
Die  daneben  hängende  Glocke  id  audällend  klein;  fie  hat  einen  DurchmelTer 
von  nur  0.39“;  ebenfo  auffällig  id  ihre  fehr  fchlanke,  infchriftslofe  Form 
Ohne  Klöppel  und  mit  dem  Uhrwerke  nicht  in  Verbindung  dient  fie  viel- 
leicht fchon  manches  Jahr  gar  keinem  Zwecke  mehr.  Welcher  Zeit  fie  an- 
gehören mag,  id  nicht  zu  bedimmen ; die  Form  würde  am  eheden  auf  da- 
15.  Jahrhundert  fchliefsen  lalTen.  Mitteid  Leiter  kann  man  fchliefslich  in 
die  achtteilige  Spitze  deigen.  die  indeflen  nur  condructives  InterelTe  bietet. 

Dieter  Baubefchreibung  tchlietsen  wir  die  Baugefc  hichte  des  rothen 
Thurmes  an.  Von  Werth  find  zumeid  die  Intchriften.  Ueber  die  Zeit  des 
Bauanfanges  giebt  vom  Hagen  I.  23 9 „folgende  gelegentlich  des  Abbruchs 
des  alten  Budenanbaues  1825  auf  der  Abendfeite2  unter  dem  unterftrn 
Kranzgefimfe  (toll  wohl  Gurtgefims  oder  noch  wahrfcheinlicher  Sockelgefims 
heilsen)  rechter  Hand  entdeckte,  in  Stein  gehauene  Infchrift“  an: 

Anno  Domini  MCCCCXVIII  est  ista  turris  incepta. 

Die  Infchrift  läfst  (ich  nicht  mehr  auffinden;  fie  id  durch  den  heutigen  An- 
bau wahrfcheinlich  wieder  verdeckt  worden.  Trotzdem  hier  ausdrücklich 
1418  als  das  Anfangsjahr  des  Baues  bezeichnet  wird,  fo  hege  ich  doch 
Zweifel,  weil,  um  den  Infchriftdein  überhaupt  legen  zu  können,  fchon  vcr- 
Ichiedene  Jahre  an  dem  für  einen  folchen  Thurm  immerhin  beträchtlichen 
F'undamente,  das  fogar  auf  einem  Pfahlrode  ruhte,  gearbeitet  fein  mufstc 
Mit  Bedimmtheit  wird  hierdurch  allerdings  die  Angabe  der  Infchrift  nicht 
widerlegt,  weil  die  Infchrift.  was  freilich  unwahrfcheinlich  id,  Ipäter  als 
1418,  nämlich  erd,  als  der  (Quader  verfetzt  wurde,  eingehauen  fein  könnte. 
In  welcher  Weife  der  Bau  vorwärts  ging,  ergiebt  eine  Infchrift  an  der 
Wedfeite,  die  unmittelbar  über  dem  Dache  des  jetzigen  Anbaues  und  dem 

* Wenn  ich  auch  die  Glocke  habe  meffen  können,  fo  ift  es  doch  der  örtlichen  Unru- 
g’inglichkeil  wegen  nicht  möglich  gewefen,  die  Infchrift  ringsum  zu  verfolgen,  weshalb  ich  öc 
hier  nach  von  Dreyhaupt’*  Angabe  herfet/.en  mufs. 

- Vielleicht  ift  auch  für  (liefe  wie  für  die  beiden  anderen  bei  vom  Hagen  angcfubr.rn 
lufchrifcrn  di  Himmelsgegend  unrichtig  angegeben  worden. 


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HER  ROTHE  Till  KM. 


2g  I 


erwähnten  Baldachin reih:  in  einen  Quader  diefer  Siidweßecke  in  Minuskeln 
eingehauen  lieht  und  lautet: 

anno  Domini  milirsimo  rrrc*lni  locatus  rot  lapis  istr. 

Dafs  man  zu  der  Herßellung  diefes  unterßen  Theiles  faß  drei  Decennien 
gebrauchte,  erklärt  fich,  wenn  man  beriickfichtigt,  dafs  die  Mauern  hier  die 
riefige  Stärke  von  faß  viertehalb  Meter  haben  und  ganz  mafliv  find.  Zu 
jener  Zeit  dachte  ntan  noch  nicht  daran,  fo  dicke  Mauern  hohl  zu  machen 
und  dadurch  faß  um  die  Hälfte  an  Material  zu  fparen.  wie  wir  es  heute  zu 
gleichem  Zwecke  ja  ohne  Zweifel  thun  und  dadurch  nicht  weniger  dauer- 
haft ronßruiren  würden.  Die  nun  folgende  Infchrift  befindet  fich  zwilchen 
dem  öfteren  Gurtfims  und  der  Unterkante  des  oberßen  Fenßers  der  Süd- 
wand und  hat,  in  Minuskeln  gefchrieben,  folgenden  Wortlaut: 

anno  ■ Domini  • m * crrrl«  lorotns  rot  lopio  iotr  p ■ 3ol)  • roD  ■ 

Durch  fie  wird  aufser  Zweifel  gehellt,  dafs  die  hier  beginnende  Glocken- 
ßube  um  1466  und  1467,  zu  welcher  Zeit  ja  nach  der  Chronißen  Angabe 
die  grofse  Glocke  aut  den  Thurm  „gezogen  und  geläutet“  worden  iß,  that- 
lächlich  noch  nicht  exißirt  hat,  fo  dafs  nur  anzunehmen  übrig  bleibt,  der 
Glockenßuhl  müfTe  anfangs  ein  Gefchols  nietlriger  geßanden  haben.  Ueber 
die  Herßellung  des  letzten  Mauerßückes,  der  Glockenßube,  erfahren  wir 
durch  Olearius,  dafs  fie  nur  die  kurze  Zeit  von  vier  Jahren  beanfprucht  hat, 
denn  1474  fei  die  Mauer  an  Unfer  Lieben  Frauen  Thurm  vollbracht  „biss 
an  das  Tach.“  Die  Beendigung  des  ganzen  Thurmes  durch  die  Richtung 
des  Helmes  und  die  feierliche  Knopf auffetzung  fällt  erß  in  das  Jahr  1506. 
Das  erhellt  fowohl  aus  den  Chroniken  als  auch  namentlich  aus  der  nebst 
Reliquienportionen  dem  Knopfe  eingelegten  Pergamentfchrift,  die  165g  und 
1825  neue  Zulagen  erhalten  hat.1  Weder  die  Reliquienportionen  in  dem 
Knopfe  noch  die  246  fufslangen  Spitzen  auf  demfelben  fcheinen  der  „turba 
nephandissimorum  Spirituum  volitans  per  auras,“  wie  es  in  der  Infchrift 
heifst,  befondere  Furcht  eingeflöfst  zu  haben,  denn  Ichon  1535  hat  ohne 
Zweifel  in  Folge  von  Witterungsunbilden  die  Spitze  „von  neuem  müssen 
gesetzet  werden.“2  Auch  fpäter  z.  B.  1660  iß  das  Dach  mehrfach  durch 
Sturm  belchädigt  w orden,  ohne  jedoch  bei  den  Reparaturen  feine  alte  frhöne 
(ießalt  einzubüfsen. 

Nur  eine  Veränderung,  nämlich  an  den  Eckthü r mch en,  hat,  wie 
mir  fcheint,  ßattgefunden.  Wenn  ich  auch  nicht  fagen  will,  dafs  diefe 
Thürmchen  nicht  im  urlprünglichen  Plane  gelegen  haben,  wiewohl  fie  bei 
genaueßer  Prüfung  der  Gefammtarchitektur  das  Thurmbild  fo  fehr  beleben, 
dafs  fie  zu  der  übrigen  fchlichten  Bauweife  kaum  paffen,  und  wiewohl  das 
Charakterißifche  diefer  Bauweife  durch  ihr  Fehlen  an  Einheitlichkeit  nur 
gewinnen  würde,  fo  möchte  ich  doch  befiimmt  annehmen,  dafs  fie  ihre 


1 vom  Hagen  I.  S.  239  11.  240. 

2 Olearius  zum  Jahre  1535. 

19* 


Zeit  der 
Thürmchen  an 
den  Ecken. 


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2<)2 


DIE  STAUT  HALLE  n.  <1.  SAALKKFIS. 


Ilanmrifter. 


jetzige  (ieftalt  anlänglich  nicht  gehabt  haben.  Ich  kann  nicht  glauben,  dafs 
man  jener  Zeit  diefem  maffiven  Thurm  vier  Thürmchen  und  zwar  nur  diefe 
in  Kachwerk  angeflickt  haben  follte;  entweder  würde  man  fie  auch  ausSand- 
llein  wie  den  Unterbau,  oder  man  würde  fie  wie  das  Dach  von  Holz  ganz 
mit  Metallumkleidung  gemacht  haben,  und  in  letzter  Weife  werden  fie  an- 
fangs vielleicht  ausgeführt  gewefen  fein.  Dazu  kommt,  dafs  ihre  gegen- 
wärtige Form  an  und  für  fich  nicht  befonders  gut  propnrtionirt  ift:  Der 

kurze,  dicke  Rumpf  ift  zu  dem  fpitz  auffchiefsenden  Helme  zu  plump,  eine 
Disharmonie,  die  namentlich  durch  die  Krone  von  F.felsrückengiebeln  her- 
vorgerufen wird.  Denkt  man  fich  einmal  diefe  Kronenarchitektur  fort,  die. 
das  läfst  fich  doch  nicht  leugnen,  zu  der  übrigen,  noch  ftreng  gothifchen 
Architektur  nicht  pafst,  fondern  erft  einige  Decennien  fpäter  an  Stelle  der 
concavgiebligen  Krone  hierorts  durch  N.  Hoftnan  eingebürgert  wurde,  denkt 
man  fich  dafür  aber  die  Spitzen  der  Thürmchen  mit  ftarken  Autfchieblingen 
am  Fufse,  wie  es  ganz  im  fpätgothi fchen  Gefchmack  ift  (vergl.  das 
Thürmchen  auf  der  Weftfpitze  der  Ulrichskirche),  verleiten,  fo  würde  die 
F.inheitlichkeit  der  /Vrchitektur  und  namentlich  eine  beffere  Proportionirung 
der  Thürmchen  felber  fogleich  hergeftellt  fein.  Da  wir  nun  willen,  dafs 
■ 535  eine  Dachreparatur  gefchah  und  N.  Hofman  gerade  damals  mit 
dem  Bau  der  jetzigen  Marienkirche  zu  thun  hatte,  fo  ift  es  wohl 
annehmbar,  dafs  die  heutige  Geftalt  der  Thürmchen,  falls  fie  nicht  über- 
haupt 1535  erft  zugefügt  wurden,  aus  diefem  Jahre  und  von  N.  Hofman 
herftammt. 

Zum  Schlufs  fprechen  wir  über  die  Baumeifter  des  rothen  Thurmes 
Völlig  unbekannt  ift  leider  der  Name  delfen,  der  den  Rifs  gemacht  und 
wahrfcheinlich  auch  noch  den  Aufbau  der  unteren  GefchoITe  geleitet  hat. 
Nicht  einmal  fein  Meifterfchild  ift  aufzufinden  gewefen.  1470  leitete  den 
Bau  Johannes  Rod  nach  der  Angabe  der  oberften  Infchrift  und  er  dürfte 
lin  wohl  bis  unter  Dach  geführt  haben.1 

quoad  fastigium  pinnamque  ejusdem  eflectum  omni  dili- 
gentia robore  et  decore  manu  discreti  fidelissimique  Viri  Archi- 
tecti  Hanszen  Wulkensteyn  civis  Hallensis,  qui  et  ultro  se  velud 
loco  testamenti  obtulit  ad  tarn  periculosum  opus  decoris  . . . . .*• 

meldet  die  Knopfinfchrift , aus  welcher  alfo  klar  hervorgeht,  dafs  Wulken- 
fteyn  nur  der  Zimmermeifter  des  Helmes,  keineswegs  aber,  wie  gemeiniglich 
angenommen  wird,  der  Erbauer  des  Thurmes  beziehungsweife  der  Iiau- 
meifter  ift.  der  den  Rifs  (die  Vifirung)  erdacht  hat.  Da  nun  in  der  Knopf- 
infchrift fich  noch  folgender  1‘affus  findet: 

- „Quibus  tum  Consilio  tum  Auxilio  dati  existerunt  Egregii  ac  dis- 
creti Viri  in  adminiculum  supradictis  (nämlich  zweien  vitricis 
ecclesie)  ad  hoc  opus  rite  electi  dicti  Octoviri,  videlicet  — 


1 Er  und  fein  Parlircr  werden  alfo  wahrfcheinlich  in  dem  nherften  grofsen  Weftfcnfter 
porlraitirt  fein. 


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IM-  K KOI  III  I III  KM. 


-’93 

nun  folgen  neun  Namen  diefer  Octovirorum.  unter  denen  als  die  letzten 
ifenannt  werden:  Hans  Zcobericz  de  consulato,  nec  von  Hans  Bruwer 
Amfoo  Architecti  subsequentis  operis,“  fo  trägt  es  lieh,  was  denn  eigentlich 
diele  beiden  Bauleute  mit  dem  Werke  zu  thun  gehabt  haben.  Ich  ver- 
muthe,  dals  fie  den  anderen  heben  Achtermännem  als  technifcher  Beiralh 
namentlich  für  die  1 lelmconllruction 1 zugefellt  waren  und  in  der  letzten 
Bauzeit  die  Aullicht  hatten  über  die  richtige  Ausführung  des  alten,  vielleicht 
in  ihrem  Gewahrfam  befindlichen  Planes  und  über  den  ordnungsmälsigen 
Fortgang  der  Bauarbeit  überhaupt.  Sie  wären  demnach  die  letzten  in  der 
Reihe  derer  gewefen.  welche  an  des  verdorbenen  Baumeillers  Stelle  für  die 
unveränderte  Ausführung  feines  Entwurfes  zu  forgen  hatten  und  dadurch 
würde  lieh  auch  die  Einheitlichkeit  der  Architektur  trotz  der  langen  Bauzeit 
wohl  erklären. 


I In  Kress  Chronicou  0 5.  wird  berichtet:  ,,dafs  der  Rath,  da  die  hohe  Spitze  im 
Jahre  I auf  dem  Thurm  gefetzt  wurde  und  der  Hau  vollendet  war,  400  Fl.  zur  Hülfe  ge- 
neben habe.*’  Daher  denn  auch  die  Beauflichtiguni'  von  Seiten  des  Raths. 


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Die  Betfftule. 


A 

Kinlciiun-.  z Vuf  der  örtlichen  Seite  des  Leipziger  Platzes  ragt  aus  Bulchwerks- 
Flau.  anlagen  ein  Beinernes  Mal  empor,  welches  fowohl  durch  Gertalt  und 
Schmuck  als  auch  durch  eine  lnfchrift  feine  nicht  profane  Bertimmung 
kund  thut.  Fig.  113  und  114. 

Hefdircibung.  Ueber  einer  nicht  hohen,  oben  etwas  abgefch ragten,  quadratifchen 
Sockelplatte  bauen  fich  mehrere,  im  Grundrifs  quadratifche  Quadern  mit 
ftarker  Verjüngung  nach  oben  auf,  um  hier  einen  Stein  aufzunehmen . der 
von  der  oberen  Stärke  des  letzten  Quaders  lieh  nach  Norden  und  Süden 
durch  einen  Viertelbogen  mit  einer  gothifchen  Xafe  verbreitert  und  an  den 
Kanten  fchwach  gekehlte,  an  dem  pyramidalen  Unterbau  lang  auslaufende 
Fafen  hat.  Diefer  Stein  trägt  einen  viereckigen  anderen  von  etwas  ge- 
ringerer Stärke  aber  gleicher  Breite  und  von  einer  etwas  gröfseren  Höhe 
als  Breite.  Die  plattenähnliche  Geftalt  diefes  letzten  Steines  wird  auf  ihren 
gegen  Werten  und  Orten  gerichteten  Breitfeiten  von  je  einem  relielirten 
Bildwerke  gefchmückt,  zu  deren  würdiger  Aufftellung  diefes  Monument 
überhaupt  dienen  foll.  Als  Abfchlufs  des  Ganzen  läuft  zunächft  ein  Sims, 
aus  Hohlkehle  mit  zwei  fchrägen  Plättchen  gebildet  ringsum,  über  welches 
fich  dann  als  Krone  ein  Maafswerksgebilde  fetzt.  Die  Kleeblaltbögen  des 
letzteren,  die  nach  unten  zu  gefchlagen  find,  alfo  ihre  Schenkel  empor- 
ftrecken,  ftehen  gewifTermaafsen  aut  dem  Kopfe  und  fehen  daher  abenteuerlich 
genug  aus,  wie  überhaupt  an  diefem  Werke  die  mittelalterliche  Wunder- 
barkeit fo  recht  zu  fichtbarem  Ausdrucke  kommt. 

Das  Reliefbild  zeigt  inmitten  einen  Crucifixus  — ein  egyptilches 
Kreuz,  wie  gewöhnlich  im  fpäten  Mittelalter,  — zu  de  (Ten  rechter  Seite 
(alfo  links  vom  Befchauer)  Maria  mit  über  den  Kopf  gehendem  Mantel  in 
einem  faltenreichen  Kleide  fleht,  während  fich  auf  der  anderen  Seite  die 
etwas  lange  Geftalt  des  lockigen  Johannes  befindet.  Unten  am  Kreuze 
kniet  Maria  Magdalena  und  umiafst  den  Kreuzesllamm.  Auf  dem  Steine 
unter  dem  Bilde  lefen  wir  in  Minuskeln: 

»“  b’  m“  tttt"  lu  ab  fjonorfm  iljstts  rjii  stnljtl*  • 

Das  Relief  der  gegen  Orten  gerichteten  Rückfeite  ftellt  den  kreuz- 
tragenden Chriftus  dar.  dem  ein  Kriegsknecht  voraufgeht,  während  ihm 
drei  Frauen  (die  drei  Marien?)  und  ein  Mann  (Johannes?)  folgen. 

Eine  künftlerifch  fich  auszeichnende  Leiftung  liegt  uns  in  dem  Werke, 
Stil,  das,  wie  gefugt,  die  Kennzeichen  feiner  Zeit  hat,  nicht  vor;  den  Stil  zu 
befprechen  mülTen  wir  Abftand  nehmen,  weil  es  augenfällig  ift,  dafs  eine 


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HIE  BKIMl'U. 


*95 


KiR.  IIJ.  Kij;.  114. 


Vordcranlulll.  Sritciunftcht. 


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Haken. 


Bezeichnui)}*  und 
Zweck. 


296  IMK  STAUT  HALLE  u.  (I.  SAALKKhIS. 

1840  ftädti  fcherfeits  vorgenommene  Renovation  (ich  namentlich  auch  aut 
den  figuralen  Theil  (durch  Abfcharriren)  erftreckt  hat. 

Wir  haben  noch  auf  einen  befonderen  Funkt  aufmerk  fam  zu  machen. 
Auf  jeder  der  beiden  Schmalfeiten  des  reliefirten  Steines  ift  über  der  Mitte 
ein  eiferner  Haken  eingebleit.  der  indelfon  nicht  /.um  Auf  hängen  eines 
Gegenftandes  gedient  haben  kann,  weil  feine  Spitze  fich  abwärts  biegt. 
Haben  diefe  beiden  Haken  bereits  feit  1455  hier  gefelTen?  Vielleicht;  doch, 
da  fie  in  diefent  Falle  ftärker  verroftet  fein  würden,  müfsten  fie  inzwi fchen 
einmal  erneuert  worden  fein,  wozu  für  die  letzten  Jahrhunderte  ein  Grund 
kaum  vorliegt;  länger  als  feit  1840  befinden  fie  fich  jedenfalls  an  ihrem 
Platze,  wie  das  aus  einer  Zeichnung  des  Monumentes  von  dem  Baumeifter 
Stapel  hervorgeht.  Wann  alfo  find  fie  eingefetzt  und  überhaupt  zu  welchem 
Zwecke?  Ich  mufs  die  F'rage  unbeantwortet  lallen. 

Schliefslich  ift  noch  zu  bemerken,  dafs  einige  Schritte  in  (udwefllicher 
Richtung  von  dem  Monumente  ein  das  hallefcho  Stadtwappen  tragender 
(Grenz-?)  Stein  fleht,  der  dem  Stile  nach  mit  dem  Monumente  gleichzeitig 
entftanden  ift. 

Wir  haben  diefes  (Denk-)Mal  nach  der  allgemein  üblichen  Weife  als  Bet- 
fäule bezeichnet,  wiewohl  ja  weder  eine  Säulenform  vorhanden  ist,  noch  feft- 
lleht,  ob  es  urfprünglich  als  Betfäule  d.  h.  als  eine  auf  den  kleinften  Raum 
reducirte  Kapelle  zum  Gebet  für  Jedermann  gedient  hat.  Immerhin  ift 
thatfächlich , wie  Infchrift  und  Bild  nicht  zweifelhaft  laden,  hier  gebetet 
worden,  und  es  fragt  lieh  nur  von  wem,  wann  und  unter  welchen  Umlländen. 
Da  hier  vor  dem  alten  „Galgthore"  feit  vielen  Jahrhunderten  der  Galgen 
geftanden  hat,  fo  wird  angenommen,  die  Verurtheilten  hätten  an  diefer  Stelle 
ihr  letztes  Gebet  verrichten  können.  Diefe  Erklärung  hat  für  mich  befonders 
des  naheftehenden  Grenzfteines  wegen  außerordentlich  viel  Wahrfcheinliches. 
da  jedoch  ihre  Richtigkeit  nicht  zu  beweifen  ift,  fo  kann  ich  nicht  umhin, 
auch  noch  darauf  aufmerkfam  zu  machen,  dafs  Olearius  zu  dem  Jahre  1510 
folgende  Bemerkung  macht:  „Nachdem  eine  Gewohnheit  gewefen,  dafs  man 
das  Evangelium  auff  St.  Marcs  Tage  vorm  Ranifchen  Thore  gelefen,  fo  hat 
der  Rath  zur  Andacht  ein  Crucifix  mit  zwey  Bildern  des  Orts  fetzen 
laden.“  Könnte  nun  nicht  auch  aus  Anlafs  einer  ähnlichen,  unbekannt  ge- 
bliebenen „Gewohnheit“  diefes  Reliefbild  errichtet  worden  fein? 


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B.  Profane  Bau-  und  Kunstwerke. 


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Die  Moritzburg. 


F 

-L  ehemals  und  zwar  fchon  feit  uralter  Zeit  lag  an  Stelle  der  Moritz-  Gvlchichte. 
bürg,  alfo  am  rechten  Saalufer,  nord weltlich , hart  an  der  hallefchen  Stadt- 
mauer, aber  wohl  noch  aufserhalb  derfelben,  das  „fchwarze  Schlofs.“ 

Man  weifs  über  feine  Erbauungszeit,  über  fein  Ausfehen  und  die  Herkunft 
feines  Namens  Beltimmtes  nicht.  Es  giebt  Gründe,  die  es  wahrfcheinlich 
machen,  dafs  wir  es  hier  mit  jenem  ErankenfchlolTe  zu  thun  haben,  welches 
König  Karl,  der  Sohn  Karls  des  Grofsen,  in  diefer  Gegend  „ad  locum 
qui  vocaturHalla"  angelegt  hat  und  delTen  im  Jahre  806  gefchehener 
Gründung  im  Chronicon  Moifliacenle  Erwähnung  gefchieht.1  Wiewohl  im 
Mittelalter  ohne  Bedeutung,  mufs  das  Schlofs  doch  bewohnbar  gewefen  fein, 
da  die  Burggrafen,  wenn  fie  in  Halle  waren,  fich  in  ihm  einzuquartieren 
pflegten.  Als  es  1478  dem  Erzbifchofe  Ernlt  von  Magdeburg  gelungen  war 
lieh  der  Stadt  zu  bemächtigen  und  fie  dadurch  um  ihre  Freiheit  zu  bringen, 
fuchte  er  auch  fogleicn  nach  einem  geeigneten  Platze  für  den  Bau  einer 
Burg,  um  die  grollenden  Bürger  fortgefetzt  niederhalten  zu  können.  Schon 
hatte  man  auf  dem  Martinsberge,  als  der  Stelle,  von  welcher  aus  das 
Weichbild  der  Stadt  offenbar  am  bellen  zu  überwachen  und  ein  Aufltand 
zu  unterdrücken  war,  angefangen,  die  Zwingburg  zu  fundamentiren,2  als 
der  Baugrund  hier  fich  untauglich  zeigte,  fodafs  von  diefem  Platze  abgefehen 
werden  mufste.  Man  nahm  darauf  den  Petersberg  zwifchen  dem  Stein-  und 
Ulrichsthore  in  Ausficht,  aber  auch  hiervon  kam  man  wieder  ab,  um 
fchliefslich  den  Platz,  auf  dem  das  fchwarze  Schlofs  lag,  zu  erwählen 
1484  am  25.  Mai  wurde  unter  Feierlichkeiten  der  Grundltein  gelegt  und  an 
ebendem felben  Tage  des  Jahres  1503  die  Burg  dadurch  als  fertig  erachtet- 
dafs  ihr  Erbauer  mit  feinem  Hofe  zum  erften  Male  in  ihr  Quartier  nahm' 

Nur  die  Kapelle  wurde  erft  150g  vollendet  und  der  h.  Maria  Magdalena 
geweiht.  Das  ganze  Bauwerk  habe  150,000  Gulden  gekoftet,  „darzu  von 
allen  Unterthanen  niemands  einen  Pfennig  contribuiren  noch  fröhnen  dörfen“, 
wird  erzählt,  und  Ern II . fchreibt  Olearius,  „wil  keinen  Stein  de  bonis  sub- 
ditorum  darzu  genommen  haben,  wie  Friedrich  II.  König  von  Dennemark 

1 vom  Hagen  1.  4 in  dem  von  Hertzherg  gefchriebenen  Ucberblicke  über  die  GcCchichtc 
Uer  Stadt  Halle. 

2 Es  wird  ein  Baumeiftcr  Namens  Hanfdike  erwähnt,  der  viele  Polucken  zum  Bau  der 
Burg  auf  dem  Martinsberge  angenommen  hatte.  Ob  derfelbe  auch  fpiiter  dem  Baue  der  Moritz- 
bürg  vorgeftanden  hat,  ift  nicht  bekannt. 


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300 


DIE  STAUT  HALLE  u.  J.  SAALKKKIS. 


zur  Cronenburg.“ 1 Die  Burg,  die  damals  als  „arx  infuperabilis,"  oder  ,,ar\ 
muiiitiffima''  galt,  wurde  nach  dem  Patron  des  Erzftiftes,  dem  h.  Moritz, 
dem  zu  Ehren  fie  aufgetührt  war  und  delTen  Statue  auch  über  dem  auf  der 
Nordfeite  belegenen  1 laupteingange  Hand,  die  Moritzburg  genannt.  Wie 
für  das  Erzftift  feheint  auch  für  die  Burg  als  Compatronin  die  h.  Katharina 
betrachtet  worden  zu  fein,  da  ihr  über  dem  zweiten  gegen  Ollen  gelegenen 
Burgthore  ein  Standbild,  welches  noch  heute  an  feinem  Platze  lieht,  gefeta 
wurde.  Nach  dem  Erbauer,  delTen  Herz  in  der  Kapelle  beigefetzt  ill,  — fein 
Leib  ruht  in  der  Kapelle  U.L.  I-' rauen  (sub  turribus)  des  magdeburger  Domes, 
refidirte  der  Erzbilchof  Albrecht  von  Brandenburg  aut  der  Moritzburg.  Seine 
Hofhaltung  war  die  glanzvolllle  damaliger  Zeit  in  Deutfchland,  und  in  welcher 
Weife  man  lebte,  erhellt  daraus,  dafs  Luther  einmal  in  feiner  unverblümten 
Sprache  die  Moritzburg  das  Huren  haus  des  Erzbifchofs  nennt.2  Sogleich 
nach  feinem  Regierungsantritte  weihte  Albrecht  1514  die  Kapelle  zur  Kirche 
des  Neuen  Stiftes  ein,  zu  delTen  Anlegung  er  die  fchon  von  Emil  erbetene 
päpllliche  Genehmigung  erhalten  hatte,  und  die  Schlofskapelle  blieb  dann 
auch  bis  zum  Jahre  1523,  bis  der  Dom,  die  neu  erbaute  Stiftskirche,  zur 
Weihung  fertig  war,  als  Gotteshaus  des  Stiftes  bellehen.  Von  Albrecht 
foll  auch  1514—17  der  Thurm  über  dem  Olleingange  der  Burg  ausgebaut 
worden  fein,  weswegen  man  über  der  Nebenpforte  des  Portales  fein  Wappen 
findet.  Die  bekannte  Baulull  diefes  Kirchentürllen  — man  könnte  freilich 
ebenfo  wohl  und  im  Hinblick  auf  feine  wirklich  ausgeführten  Neubauten 
mit  noch  mehr  Recht  von  feiner  Lull  am  Zerllören  von  Bauwerken  reden  — 
bekundet  (ich  auch  bei  der  Moritzburg  infofern,  als  er  1536  die  beiden 
Häuferreihen  der  (alten)  Schimmelgaffe  auf  dem  Neumarkte,  welche  fich 
von  dem  alten  Juden triedhofe  (?)  auf  dem  nördlichen  Theile  des  jetzigen 
Paradeplatzes  bis  zur  Saale  hinabzog,  abbrechen  und  dafür  einen  Schutz- 
wall,  den  jetzigen  Jägerberg  aufwerfen  liefs.  Das  auch  von  ihm  erbauti- 
Reithaus  nördlich  am  Paradeplatze,  fpäter  in  ein  Ballhaus  (nach  franzölifcher 
Weife)  umge wandelt,  ifl  nicht  mehr  vorhanden.  Sein  Nachfolger  Johann 
Albert  liegt  in  der  Schlofskapelle  begraben.  Ihm  folgte  E’riedrich  und 
dann  als  der  letzte  Erzbifchof  Sigismund,  welcher  ebenfalls  in  der  Kapelh- 
beigefetzt  ifl. 

Seine  protellantifchen  Nachfolger,  Adminilfratoren  des  Erzftiftes  ge- 
nannt, waren  feit  1567  Joachim  Friedrich  und  dann  fein  Sohn  Chrilfian 
Wilhelm,  zu  delTen  Zeiten  der  dreißigjährige  Krieg  losbrach.  Natürlich 
war  jetzt  die  Burg  ein  viel  umftrittenes  Stück  und , je  nachdem  der  Sieg 
fiel,  zeitweife  von  Kaiferlichen,  zeitweife  von  fchwedifchen  Soldaten  befetzt. 

1 Dazu  wird  in  WinnigliäiH’s  halberflädter  Chronik  eine  Gcfchichtc  erzählt  , die  auch  ic 
Fr.  Knauth’s:  „Die  Morit/burg"  abgedruckt  ifl.  Vcrgl.  übrigens  auch  v.  Dreyhaupt  I..  S.  1 82, §20. 

2 Luthers  Grobheit  war  berechtigt;  man  weifs,  dafs  Albrecht,  der  Cardinal,  fich  nicht 
feheute  in  Proccflion  den  Leichnam  feiner  Maitreffe  in  einem  goldenen  Sarge  aul  die  Moritr- 
bürg  tragen  und  ihn  dafclbft  gleich  den  Reliquien  verehren  tu  laffen.  Das  helle  Licht,  welche' 
durch  diefe  Thatfache  den  Gcift  der  damaligen  Zeit  erkennbar  macht,  wird  gleichfam  tum 
Schlüffel  für  das  Verftändnifs  ihrer  und  der  lieh  dann  entwickelnden  /uftände,  namentlich  auch 
in  Bezug  auf  die  bildende  Kund. 


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DIU  M0R1TZIURG. 


301 


Schliefslich  fand  die  Harke  Felle  durch  die  Unvorfichtigkeit  der  InfalTen 
felher  ihre  Zerllörung.  Es  war  des  Morgens  um  7 Uhr  am  7.  Januar  des 
überaus  kalten  Winters  1637 , als  man  aus  den  Burgfenllem  (vermuthlich 
zuerft  im  nördlichen  Flügel)  helle  Flammen  fchlagen  fah  und  es  nun  ausser 
Zweifel  Hand,  dafs  eine  Feuersbrunlt  auf  der  Burg  zum  Ausbruch  gekommen 
war.  Es  wird  erzählt,  der  grofsen  Kälte  wegen  habe  in  einem  der  Säle  der 
Trommler  ein  Wachtfeuer  auf  dem  Eflrichtufsboden  angelegt,  jedoch  erft 
nachdem  der  Koch  als  Sach  verßändiger  hinzugezogen  war  und  ein  folches 
Feuer  für  gefahrlos  erklärt  hatte.  Durch  die  Gluth  hatten  gar  bald  die  Balken 
unter  dem  Ellrich  und  dann  auch  namentlich  die  gerade  unter  diefer  Stelle 
aufgel'peicherten  Heu-  und  Strohvorräthe  Feuer  gefangen,  fodafs  nun  an 
eine  Bewältigung  des  Brandes  nicht  mehr  zu  denken  war.  Als  dann  die 
beiden  Anllifter,  um  lieh  zu  flüchten,  an  einer  Lunte  in  den  Burggraben 
hinabzukommen  fuchten,  fei  das  nur  dem  Trommler  gelungen,  hingegen 
habe  der  Koch,  weil  die  Lunte  gerilfen  wäre,  das  Genick  gebrochen.  Der 
Schnee,  der  durch  das  Feuer  gefchmolzen  und  als  Waffer  vom  Dache  auf 
ihn  herabgetropft  fei.  habe  ihn  völlig  mit  Eis  überzogen  gehabt,  als  er 
dann  aufgefunden  worden.  Obwohl  durch  diefen  Brand  gar  vieles  zerftört 
war,  l'o  namentlich  die  Ausllattung  der  Säle  und  der  Kapelle,  ferner  die 
nicht  maffiven  Decken  der  oberen  Gefchofle  fowie  die  Dächer,  verlor  die 
Burg  doch  erft  dadurch,  dals  der  füdweftliche  Eckthurm  von  der  Neumühle 
aus  unterminirt  und  in  die  Luft  gefprengt  wurde,  ihre  Bedeutung  als  Ver- 
theidigungsplatz . und  der  völlige  Ruin  hatte  ftatt,  als  1703  die  Steine  zum 
Ausbau  des  ehemaligen  reformirten  Gymnaliums  genommen  werden  durften. 
Uebrigens  hatte  fchon  der  letzte  Adminiftrator  Herzog  Auguft,  welcher 
1638- — 1O80  regierte,  die  Moritzburg  nicht  wieder  bezogen  fondern  zunächll 
im  Oberbergamt  am  Domplatze  und  dann  in  der  von  ihm  zur  Hofhaltung 
neu  ausgebauten  und  eingerichteten  Refulenz  gewohnt.  Die  Schlofskapelle 
hat  er  jedoch  1648  nothdürftig  wiederherftellen  laffen.  Als  dann  bei  feinem 
Tode  die  Regierung  an  das  Haus  Brandenburg  überging,  blieb  feitdem  die 
Moritzburg  als  Ruine  ohne  eigentlichen  Zweck  liegen.  1087  fing  die 
franzöfifche  reformirte  Gemeinde  in  einem  Raume  des  Thurmes  über  dem 
örtlichen  Eingänge  ihren  Gottesdienft  an,  für  welchen  fie  ibqo  die  Schlofs- 
kapelle bekam  und  einweihte.  1727  wurde  der  Raum  der  ehemaligen  Pracht- 
fäle  in  Gärten  verwandelt.  1777  entftand  das  auf  derüftfeite  gelegene  und 
an  die  Kapelle  ftofsende  Gebäude,  welches,  als  Lazareth  für  Soldaten  ge- 
baut, jetzt  zu  anderen  mililairifchen  Zwecken  ausgenutzt  wird.  Als  1809  die 
deutfehen  und  franzöfifchen  Reformirten  in  der  Domgemeinde  vereinigt 
wurden , vermiethete  man  die  Kapelle  als  Niederlage  für  Tonnenreifen. 

1847  kaufte  fie  Friedrich  Wilhelm  IV.  und  1832  gelangte  die  ganze  Burg, 
auf  die  inzwifchen  Private  Anfprüche  bekommen  hatten,  durch  Kauf  in  den 
Befitz  des  Staates  zurück.  Theilweife  vermiethet  harrt  fie  nun  der  würdigen 

Reftauration  und  des  würdigen  Zweckes. 

Das  Gebäude  der  Moritzburg  nimmt  den  Platz  eines  nicht  ganz  recht-  Situation, 
winkligen  Viereckes  ein,  das,  obwohl  die  Südfeite  kürzer  als  die  Nordfeite 
ill  und  beide  kürzer  als  die  im  Ollen  und  Werten  find,  fich  dem  Quadrate 


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IMF.  STAUT  HALLF  u.  H.  SAAt.KKFIS. 


GrundrifTc  und 
muthmaafäl  che 
Befümmung 
der  Räume. 
OftTeilc. 


302 

nähert.  Die  vier  F.cken  lind  durch  runde  Thürme.  deren  Peripherie  nur 
etwa  auf  ein  Viertel  in  das  Viereck  einfehneidet,  verllärkt.  Die  an  der 
W eftfeite  entlang  fliefsende  Saale  hat  wohl  ehemals  das  Mauerwerk  befpült 
und  den  Graben  rings  um  das  Schlofs  zeitweife  mit  Waller  gefüllt.  Der 
Haupteingang,  in  der  Nordfeite,  etwa  auf  ein  Drittel  ihrer  1-änge  von  Ollen 
her  gelegen  und  früher  durch  eine  Zugbrücke  über  den  Graben  zu  er- 
reichen, liegt  jetzt  unbenutzt , während  das  zweite  alte  Thor  inmitten  der 
Oftfeite  eine  fteinerne  Brücke  von  mehreren  Bögen  (im  18.  Jahrhundert- 
erhalten  hat  und  heute  den  Zugang  bildet.  Die  Situation  der  Gebäude  im 
Bezirke  der  Burg  felber  ift  nun  fo,  dafs  ftch  ringsum  zwei-  bez.  drei- 
gefchoffige  Flügel  ziehen,  ausgenommen  ift  die  örtliche  Hälfte  der  Südfeite 
und  die  (udliche  der  Oftfeite,  welche  Strecken  nur  mit  einer  Harken  Ver- 
theidigungsmauer  umzogen  find  Inmitten  des  ganzen  Vierecks  der  Burg 
verbleibt  alsdann  noch  ein  ziemlich  geräumiger  Hof. 

Um  nun  die  Burg  eingehender  zu  befchreiben,  gehen  wir  aut  die 
Grundriffe  ihrer  einzelnen  Seiten  näher  ein  und  beginnen  im  Orten,  von 
wo  aus  man  heute  eintritt.  Durch  den  Eingang  zerfällt  diefe  Seite  in  zwei 
Theile;  der  nördliche  von  ihnen  wird  von  jenem  bereits  erwähnten  Militair- 
gebäude  des  vorigen  Jahrhunderts  eingenommen  und  diefes  bietet  kein 
InterelTe.  Ob  hier  schon  ein  älteres  Gebäude  geftanden  hat  oder  nur  pine 
Harke  Mauer,  wie  wir  lie  fogleich  auf  der  ludlichen  I lälfte  diefer  Burgleite 
kennen  lernen  werden,  kann  zwar  nicht  beftimmt  angegeben  werden.  al**r 
wenn  nicht  das  Erftere  der  Fäll  gewefen  ift,  IV)  müfste  wenigftens  ein  Theil 
der  in  F'rage  flehenden  Strecke  und  zwar  von  Norden  her  unter  Dach  ge- 
legen haben,  weil  fonft  gewilTe  Thüren  der  Kapelle,  gegen  welche  hier  die 
Oftfeite  ftöfst,  in  das  Freie  geführt  hätten  und  weil  ferner  die  Keller  der 
Nordfeite  fich  noch  eine  Strecke  unter  die  Oftfeite,  die  übrigens  nicht  unter- 
kellert ift.  hinziehen  und  endlich  weil  eine  breite  Treppe,  die  am  Thurme 
der  Nordoftecke  im  Keller  beginnt  und  jetzt  auf  der  halben  Höhe  ver- 
fchüttet  ift.  hier  in  der  Oftfeite  ihren  Austritt  gehabt  haben  mufs. 

Der  Eingang  der  Oftfeite  befteht  aus  einem  weiten  Thore  für  Reiter 
und  Wagen  und  einem  fchmalen  Pförtlein  links  daneben.  Ueber  dem  Ein- 
gänge erhebt  fich  ein  fechsfeit iger  Thurm,  der  fo  gerichtet  ift,  dafs 
eine  feiner  Ecken  mitten  über  das  Hauptthor  (in  der  Fluchtmauer  der  Oft- 
feite  gelegen)  fällt  und  daher  hier  erft  im  ObergefchofTe  zur  Entwickelum: 
kommt,  während  die  gegenüberliegende  Ecke  im  Hofe  bis  zum  Terrain 
herabgeht  und  nun,  da  auch  fie  in  der  Achfe  des  Thores  liegt,  die  Durch- 
fahrt nach  einer  Seite,  hier  gegen  Norden,  abzulenken  zwingt.  Es  hat  diefrr 
Umftand  feine  Wichtigkeit,  weil  durch  ihn  nicht  nur  der  Einblick  in  den 
Hof  erfchwert  wird,  fondem,  was  mehr  noch  ift,  das  Eindringen  der  feind- 
lichen Gefchütze  und  des  Feindes  felber.  Der  Südfeite  des  Thurmes,  den 
im  Erdgefchoffe  ein  Netzgewölbe  überdeckt,  ift  eine  Wendeltreppe  vor- 
gelegt, welche  zu  den  beiden  jetzt  ruinenhaften  Obergefchoften  mit  Balken- 
decken und  von  nicht  grofsen,  gekuppelten  Fenftem  durchbrochen  führt. 
Ihr  Grundrifs  bietet  nichts  Bemerkenswerthes.  Unzweifelhaft  war  der  an- 
fängliche Zweck  des  Thurmes,  ftändig  von  ihm  aus  die  Stadt,  zu  deren 


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IMF.  MOK1TZHCR0. 


Niederhaltung  ja  der  Bau  überhaupt  diente,  bewachen  zu  laden,  damit  kein 
unvermutheter  Ueberfall  von  Seiten  der  Bürger  die  Zwingburg  in  deren 
Hand  bringen  könne.  Vornehmlich  feine  Lage  nicht  im  Norden  über  dem 
Haupteingange  zur  Burg,  fondern  da,  von  wo  her  ein  Angriff  der  Bürger 
(ich  erwarten  liefs  und  andererfeits  wo  die  gegen  die  Stadt  gerichteten 
Gefchütze  der  Burg  (landen,  fowie  feine  Höhe  und  teile  Bauart  fprechen 
für  den  angegebenen  Zweck. 

Diefer  Wachtthurm  wird  mit  dem  Südollthurme  durch  eine  fehr 
Harke  Mauer  verbunden,  welche  allerdings  eigentlich  kaum  noch  als  Mauer 
gelten  kann,  da  de  nur  aus  ungleichartigen  Pfeilern  mit  dazwifchen  ge- 
fpannten  Kappen  und  einer  mäfsig  Harken  Ausmauerung  an  der  äufseren 
Seite  beffeht.  Die  fo  entHehenden  Räume,  nach  aufsen  mit  Schiefsfeharten 
verfehen.  gaben  fichere  Gefchütz.Hände  ab,  und  über  ihnen  her  zog  fich 
hinter  Crcneluren  mit  befonderen  Schiefsfcharten  ein  offener  Laufgang  als 
/weiter  Platz  für  die  Gefchoffe.  Hie  Schiefsfcharten  in  dem  Thurme  an  der 
Südoffecke  find  im  Laufe  der  Zeit  fo  fehr  verändert,  dafs  man  kaum  ihre 
Plätze  aufzufinden  vermag:  es  dünkt  mich,  dafs  lie  ebenfo  wie  im  Nordoll- 
thurm.  wo  lie  heller  erhalten  find,  angebracht  waren  und  zwar  lag  zwifchen 
einem  Kranze  von  Schiefsfcharten  zu  ebener  Erde  und  einem  anderen  in 
Terrainhöhe  des  Burghofes  noch  ein  dritter  und  ein  vierter  in  Höhe  des 
genannten  Laufganges  der  Mauer.  An  maffive  Zwifchendecken  in  dielen 
fiefchoffen  darf  man  wohl  nicht  denken,  weil  es  keine  Spuren  davon  gieht. 

Wenn  auch  diefer  Thurm  und  ebenfo  der  Nordollthurm  ein  hohes  Dach 
nicht  gehabt  haben  mögen,  fo  waren  fie  doch  nicht  ohne  Dach,  aber  mit 
Zinnen  umkrän/t.  wie  man  wohl  gemeint  hat.  Man  kommt  unter  Zuhülle- 
nahme  der  Relle  des  Nordoffthurmes  zu  der  Meinung,  dafs  der  letzte  Schiefs- 
fchartenkranz  dicht  unter  einem  Dache  mit  der  Neigung  eines  Winkels  von 
etwa  45  Grad  lag.  Unter  fich  wurden,  fo  viel  man  fieht.  die  einzelnen 
Gefchoffe  durch  eine  maffive  Treppe  nicht  verbunden. 

Auch  die  erfie  Strecke  von  diefem  Thurme  aus  an  der  Südfeite  wird  Südfciic. 
nur  von  einer  Harken  Vertheidigungsmauer,  wie  die  befchriebene  iff.  ein- 
gefafst.  Dann  folgt  ein  Gebäude,  welches  zwar  alt  iff,  jedoch  durch  fpätere 
Veränderungen  über  feine  ehemalige  Bellimmung  kaum  noch  einen  Schlufs 
zulaffen  würde,  wenn  nicht  aus  einem  Umftandc  taff  mit  Beftimmtheit 
hervorginge,  dafs  wir  hier  die  Lage  der  Wirthfchaftsräume  wenn  nicht  auch 
der  Stallungen  anzunehmen  haben.  In  diefem  Gebäude  liegt  nämlich  der 
Brunnen.  Lagen  die  Wirthfchaftsräume  in  den  beiden  oberen  Gefchoffen, 
die  durch  eine  alte  maffive  Treppe  rechts  im  Flur,  indem  auch  der  Brunnen 
liegt,  verbunden  werden,  fo  könnten  die  Keller  zu  Ställen  eingerichtet 
gewefen  fein,  obwohl  man  weder  F.ingänge  noch  Rampen,  durch  die  diefelben 
zugängig  gewefen  fein  müfsten,  erkennt;  die  Untergefchoffe  hier  find  über- 
haupt jetzt  unzugänglich.  Auch  weil  eine  Communication  mit  dem  weltlichen 
Hügel  nur  durch  einen  fchmalen  Gang  Hellenweife  mit  Treppe,  der  im 
Mauerwerk  der  Offwand  des  Weftffügels  ausgefpart  iff,  ftattfindet.  darf  man 
hier  die  Lage  der  Küchen  u.  f.  w.  annehmen,  nicht  aber,  wie  Knauth  in 
feiner  Befchreibung  der  Moritzburg  ohne  Beibringung  von  Gründen  meint. 


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DIF.  STADT  IIAI.LF  u.  <1.  SAALKKF'S. 


Weft  feite. 


3°l 


die  Wohnungen  der  höheren  Offiziere.  Solche  dürften  lieh  mit  gröfster 
Wahrfcheinlichkeit  in  der  Nähe  der  Eingänge,  namentlich  des  örtlichen,  und 
alfo  in  dem  Gebäude  zwifchen  dielem  und  der  Kapelle  vermuthen  lallen 
Ich  bin  auch  nicht  der  Meinung,  dafs  die  Capitelllube.  die  für  die  Stifts 
herren  des  Domes  zu  Magdeburg  eingerichtet  war  und  Händig  für  fie  bereit 
Helten  mufste.  lieh  hierher  verlegen  läfst : denn  ifl  es  nicht  unwahrfcheinlich. 
dafs  ein  folcher  ausgezeichneter  Raum  fo  abfeits  von  den  übrigen  Sälen 
und  (iemächern  und  ohne  eine  gute  Verbindung  mit  diefen  gelegen  haben 
follte?  — 

Die  ganze  WeHfeite  der  Burg  iH  von  einem  zwei-  bez.  zweieinhalb- 
gefchoffigen,  durchwegs  unterkellerten  Gebäude  eingenommen.  In  den  Hol 
vor  fpringt  ein  Rifalit  mit  zwei  Thüren  unten.  Durch  die  linke  kommt  man 
auf  einer  breiten,  gewundenen  Treppe  zu  den  beiden  ObergefchoHen.  durch 
die  rechter  Hand  vermitteln  einer  breiten,  geraden  und  einarmigen  Treppe 
zu  den  Kellereien  hinab.  Aufserdem  fuhren  noch  mehrere  Eingänge  vom 
Hofe  aus  zu  befonderen  Kellerabtheilungen,  die,  bald  höher  bald  tiefer  ge- 
legen, labyrinthartig  fich  unter  diefem  Flügel  hinziehen.  Auf  der  Keller- 
treppe im  Rifalit,  welche  von  Heigenden  Kreuzgewölben  überdeckt  ill 
kommt  man  zuerH  an  kleineren,  meifi  dunkelen,  nur  von  der  Treppe  aus 
zugänglichen  und  in  verfchiedenen  Höhen  gelegenen  Räumen  vorbei,  deren 
Zweck  unklar  iH.  Am  Treppentufse  liegt  ein  von  Nonien  nach  Süden 
länglicher,  rechteckiger  Raum,  von  einem  Netzgewölbe  ganz  irregulärer 
Ausbildung  iiberfpannt  und  durch  ein  quadratifches  FenHer  erhellt.  Ein 
Kamin  befindet  fich  etwa  in  der  Mitte  der  Wefiwand.  fodafs  der  Raum 
zum  Aufenthalte  für  Menfchen  gedient  haben  mufs  und  gewifTermaafsen  der 
Vorraum  zu  den  übrigen  unteren  Kellerabtheilungen  diefes  Flügels,  in 
welche  von  ihm  aus  gegen  Norden,  Süden  und  Ofien  I hüren  gehen,  gewefen 
zu  fein  fcheint.  Beriickfichtigt  man  auch  die  belfere  Ausßattung  des 
Raumes  und  feine  Lage  unweit  des  Einganges  zu  den  Sälen  und  fürfilichen 
Gemächern,  die  in  den  ObergefchoHen  diefes  Flügels,  wie  noch  zu  zeigen 
fein  wird,  gelegen  haben,  fo  ergiebt  fich,  dafs  man  in  dem  Vorraum  fehr 
wahrfcheinlich  die  Wachtfiube  der  I.eigbarde  zu  erblicken  hat;  für  die 
Mannfchaften  hätten  alsdann  die  dunkelen  Räume  neben  der  Treppt*  zum 
Schlafen  gedient.  Die  Thür  gegen  Süden  führt  vermitteln  einer  Treppe  in 
einen  noch  etwas  niedriger  gelegenen  Keller  hinab,  welcher  die  gan/r 
Gebäudetiefe  einnimmt  und  fich  bis  zu  der  füdlichen  Aufsenmauer  erfireckt. 
Eine  Reihe  von  vierfeitigen , einfachen  und  fehr  kräftigen  Pfeilern  inmitten 
von  Norden  nach  Süden  macht  den  Keller  zweifchiffig  und  trägt  Gewölbe, 
die  als  einfache  Kreuzgewölbe  angefehen  werden  können.  Es  würde  hier 
völliges  Dunkel  herrfchen,  liefsen  nicht  einige  Schiefsfeharten  nahe  am 
Boden  ein  fpärliches  Licht  einfallen.  Diefer  Keller  ohne  einen  anderen 
Zugang  als  durch  den  Vorraum  mufs  ein  Speicher  für  Munition  oder  dergl. 
gewefen  fein.  Neben  der  Treppe,  auf  welcher  man  in  der  Nordwefiecke 
diefes  Kellers  vom  Vorraume  herabgefiiegen  iH,  liegt  unten  eine  Thür  zu 
einem  noch  unter  dem  Vorraume  befindlichen  Gelade.  Dafselbe  iH  völlig  finfi**r 
und  erhält  nur  durch  einige  effenartige  Luftlöcher  in  feinem  Gewölbe,  einem 


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305  ^ 

fpitzbogigen  Tonnengewölbe,  von  oben  her  Luft.  Einen  Kerker  zu  ver- 
muthen,  id  fchwerlich  angängig,  weil  keinerlei  Ankettungs Vorrichtungen 
in  den  Wänden  aufzufinden  find,  wohl  aber  könnte  hier  die  Münze 
eingerichtet  gewefen  fein,  deren  Schomllein  direct  in  den  des  darüber 
belegenen  Kamins  Abzug  hatte,  und  die  hier  nicht  nur  ziemlich  ver- 
deckt, fondern  auch  von  den  Leuten  der  Wachtllube  wohl  verwahrt  lag.1 
lieber  dem  grofsen,  zweifchiffigen  Keller  liegt  ein  anderer  ebenfalls  zwei- 
fchiffiger,  welcher  direct  vom  Hofe  feinen  Zugang  hat.  Seine  Pfeiler  find 
achteckig  und,  wiewohl  aus  Sandlleinen  in  guter  Fügung  beftehend  und 
mit  breiterem  Sockel,  doch  fcheinbar  etwas  zu  fchwach  für  die  Lall  der 
ßackdeinkreuzgewölbe  und  der  ehemaligen  ObergefcholTe.  Jetzt  ill  ein 
Theil  diefes  Kellers  im  Süden  durch  eine  Mauer  aus  fpätererZeit  abgetrennt 
und  unzugänglich.  Diefen  Kellereien  auf  der  Südfeite  des  Treppenhaufes 
im  Rifalit  des  weltlichen  Gebäudeflügels  entfpricht  eine  fall  ebenfo  aus- 
gebildete Anlage  gegen  Norden  Durch  eine  Zwifchenwand  ill  fie  von  den 
Kellern  des  Nordflügels  getrennt,  mit  denen  anfänglich  eine  Verbindung 
llattgefunden  hat.  In  der  Nordwellecke  findet  lieh  ein  kleiner  Raum;  hier 
dürfte  der  Zugang  zu  einer  die  GefchofTe  verbindenden  Wendeltreppe 
gewefen  fein.  Endlich  fei  bemerkt,  dafs  auch  im  Rifalit  ein  kleiner  Keller 
von  aufsen  zugänglich  ift. 

Das  erlle  Obergefchofs  des  Weftflügels,  um  einige  Meter  über 
Terrain  gelegen . ill  vom  Hofe  aus  durch  jene  erwähnte  Wendeltreppe  im 
Rifalit  zu  erreichen.  Da  das  Dach  und  die  Zwifchendecke  beider  Ober- 
gefcholTe, ebenfo  alle  Zwilchenwände  bei  dem  Brande  zerltört  oder  fpäter, 
um  den  ganzen  Flügel  in  einen  Garten  zu  verwandeln , befeitigt  worden 
lind,  fo  kann  über  die  Anzahl  und  Dispofition  der  Räumlichkeiten  allerdings 
nichts  Bellimmtes  angegeben  werden,  indefTen  unterliegt  es  keinem  Zweifel, 
dafs  hier  die  fürltlichen  Wohngemächer  und  die  F'e II fäle  gewefen 
fein  müden.  Hätten  fie  ficherer  liegen  können  als  hier,  wo  fie  einerfeits 
durch  die  Saale,  andererfeits  durch  den  Schlofshof  und  die  Oflfeite  der  Burg 
gedeckt  waren?  Die  Harken  Aufsenmauern  liehen  fall  noch  biszumllaupt- 
gefimfe  und  find  in  beiden  GefchofTen  von  Fendern  durchbrochen,  gegen 
den  Hof  zu  von  wenigen,  aber  gen  Weden,  wo  fich  jenfeits  des  F'lufles  in 
die  zur  Burg  gehörigen  Gärten  und  in  die  weite  Landfchaft  dahinter  eine 
liebliche  Ausficht  bot,  von  je  einer  dattlichen  Reihe  in  jedem  GefchofTe. 

Diefe  F'ender,  verfchieden  in  den  beiden  GefchofTen,  aber  in  jedem  gleich- 
förmig, liegen  in  beiden  immer  fenkrecht  über  einander,  doch  haben  fie  ver- 
fchiedene  Achfenweiten ; ihre  Stellung  id  erfichtlicherweife  der  inneren 
Raumeintheilung  angepafst  worden.  Erwägt  man  dazu,  dafs  die  Fender 
unten  zweitheilig  und.  wie  wir  noch  befprechen  werden,  von  einfacher  Aus- 
bildung, oben  hingegen  ungetheilt  und  üppiger  gedaltet  find,  ferner  dafs  die 

1 Diefen  Kaum  fcheint  Knnuth  zu  meinen,  wenn  er  fugt . dafs  man  hier  unten  in  den 
Kellern  ,,mit  gröfseftcr  Be  B i m m l hei  t “ auch  die  .Münzftalle  wiedererkenne,  welche 
*oo  dem  letzten  Adminiftrator  de*  Kr/ftifl L'S  am  2.  Mürz  1608  auf  der  Moritzburg  neu  ein* 
gerichtet  fei. 

B.  D.  J.  Hau-  U:  Kunstd.  N.  F.  1.  20 


'WA  RVÄftD 

</  mb 

niE*TcoKmm?R?r? 


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306 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


Höhe  des  erften  GefchoITes  gröfseren  Räumen  fchwerlich  genügt  haben 
kann,  während  die  Decke  des  letzten  GefchoITes  noch  beliebig  höher  in 
den  Dachboden  hinein fchneiden  durfte,  fo  kann  man  vielleicht  noch  einen 
Schritt  weiter  gehen,  um  in  das  erfte  Gefchofs  die  Wohnzimmer,  in 
das  andere  die  Felträume  zu  verlegen.  Diefe  Annahme  zu  betätigen, 
tritt  noch  hinzu,  dafs  es  aus  conftructiven  Gründen  glaublicher  ifl,  der  Fufs- 
boden  der  Säle  fei  von  den  zahlreichen  Wänden  der  Wohngemächer  unter- 
ftützt  worden,  als  dafs  die  auf  lange  Strecken  fich  frei  tragenden  Balken 
der  Saaldecken  noch  obendrein  von  den  Wänden  der  kleineren  Zimmer 
belaftet  worden  wären.  Allein  war  denn  die  Zwifchendecke  der  Ober- 
gefcholTe  des  Weftflügels  überhaupt  eine  Balkendecke  oder  war  fie 
nicht  vielleicht  gewölbt?  Letzteres  nicht,  weil  fich  die  Kämpfer  einer 
mafliven  Decke  noch  mehrfach  durch  Reite  an  den  Wänden  erkennen 
lafTen  würden,  was  nicht  der  Fall  ift.  Nur  an  einer  Stelle  gewahrt  man 
folche  Reite,  Rippen  von  guter  Profilirung,  nämlich  an  der  Südmauer  des 
Flügels  im  erlten  Obergefchofs.  Man  kann  nur  annehmen,  dafs  hier  ein 
vor  den  übrigen  Gemächern  ausgezeichneter  Raum  gelegen  hat.  Welcher  : 
Die  ilolirte  Lage  ganz  am  Ende  der  Wohnzimmerreihe  und  die  würdigere 
Ausftattung  lafst  mich  an  die  Capitelltube  denken,  die  Knauth  als 
in  dem  Südflügel  belegen  annimmt,  zu  dem  man  ja  diefen  Theil  auch 
noch  rechnen  könnte,  wiewohl  er  aufser  durch  den  genannten  fchmalen 
und  in  der  Wand  verflechten  Gang  mit  dem  Gebäude  der  Südfeite  nicht 
weiter  communicirt.  In  der  Weftfront  kragen  fich  mehrfach  Confolen  aus. 
Sie  werden  theil  weife  nicht  nur  Balkons  getragen  haben,  fondem  gefchlofsene 
Häuschen  wenn  auch  nur  von  Holz,  die  Aborte  der  Burg.  Mit  Gewifsheit 
möchte  man  dem  jetzt  herabgefallenen  mafliven  Anbau  durch  beide  Ober- 
gefchoffe  diefen  Zweck  beilegen,  allein  wozu  die  nicht  weit  vor  die  Flucht 
tretende  dicke  Mauer?  Möglicherweife  lag  hier  eine  fchmale  Wendeltreppe 
von  einem  GefcholTe  in  das  andere,  die  einen  Theil  des  Umganges  von  Ge- 
fchütz  zu  Gefchütz  bildete  und  wohl  die  Säle  und  Wohnräume  dabei  zu 
berühren  vermied.  Auch  andere  Partien  eines  folchen  Ganges  entdeckt 
man  im  Mauerwerk.  In  den  Ecken,  welche  die  Weftmauer  an  ihren  Enden 
mit  den  runden  Thürmen  bildet,  fieht  man  den  Raum  einer  runden,  nicht 
kleinen  Wendeltreppe,  die  ehemals  die  GefcholTe  des  Gebäudes  und  der 
Thürme  verbunden  hat,  deren  Stufen  jetzt  aber  fämmtlich  dicht  vor  dem 
Mauerwerk  abgebrochen  find;  wie  es  fcheint,  ift  es  den  Eroberern  bei  der 
Demolirung  der  Burg  darauf  angekommen,  die  Verbindung  der  Räumlich- 
keiten auf/.uheben.  Aus  den  voraufgegangenen  gefchichtlichen  Bemerkungen 
erhellt,  dafs  der  Südwertthurm  nicht  mehr  vorhanden  ifl.  Er  wird  das  Aus- 
rehen des  an  der  Nordweftecke  flehenden  gehabt  haben,  von  dem  fich  fogar 
noch  viele  Steine  des  Dachfintfes  an  Ort  und  Stelle  befinden.  Schmale, 
hohe  Schiefsfcharten  in  den  Kellern,  darüber  fchmale,  fchiefsfchartenartic 
Fenfteröffnungen  und  ganz  oben  gekuppelte  Fenfter  durchbrechen  fein 
ftarkes  Mauerwerk.  Die  Kellergewölbe  haben  fich  erhalten.  Der  untere,  von 
einem  Kuppelgewölbe  überdeckte  Raum  ifl  feiner  drei  Schiefsfcharten  wegen 
unzweifelhaft  nicht  das  Burgverliefs,  für  das  man  ihn  wohl  ausgegeben  hat. 


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DIF.  MORITZBURG. 


30? 


Hohes  InterefTe  bietet  der  Nord flügel.  Er  hat  unten  zwei  ungetheilte  Nordscite. 
zweifchiffige  KellergerchofTe,  deren  Pfeilerreihe  im  oberen  GefchofTe  ein 
wenig  fchwächer  gehalten  ill  als  im  unteren,  in  dem  (ich  wieder  einige 
Schiefsfeharten  vorfinden.  Es  iß  richtig,  dafs  in  das  obere  Kellergefchofs 
eine  rampenartige  Treppe  führt  und  zwar  von  einer  nahe  der  nordwelllichen 
Hofecke  gelegenen  Thür  aus;  wenn  nun  aber  daraus  gefchlolTen  wird 
(Knauth),  dafs  fich  hier  die  Stallungen  befunden  hätten,  fomufs  darauf  hin- 
gewiefen  werden,  dafs  die  genannte  Thür  für  das  Einbringen  von  Pferden 
kaum  hoch  genug  gewefen  fein  dürfte,  ganz  abgefehen  davon,  dafs,  da  der 
Brunnen  im  Südflügel  lag,  alles  Waffer  für  das  Vieh  über  den  ganzen 
Burghof  getragen  werden  mufste.  Wo  die  genannte  Treppe  in  ihrer  Fort- 
fetzung  nach  unten  gegen  die  Nordmauer  llöfst  und  hier  fich  zurückwendet, 
wird  fie  von  einem  Gewölbe  unterftützt,  das  fich  vom  Boden  auf  im  Viertel- 
kreife gegen  die  Nordwand  fchlägt.  Da  der  fo  entftehende  niedrige  Raum 
ohne  Fenfter  iß,  nur  einen  niedrigen,  engen  Eingang  hat  und  daher  einen 
unheimlichen  Eindruck  macht,  fo  vermuthet  man  in  ihm  vielleicht  nicht  mit 
Unrecht  einen  Kerker.  In  feiner  Südweßecke  gewahrt  man  noch  eine  fehr 
fchmale,  thürartäge  Oeffnung,  die  jetzt  verfchüttet  worden  iß  und  ihrer 
tieferen  Lage  wegen  zu  einem  zweiten,  tiefer  gelegenen  Raume  geführt  zu 
haben  fcheint.  Der  Nordoßthurm,  jetzt  ohne  Dach,  wird  wie  der  Südoß- 
thurm  kein  bedeutend  höheres  Mauerwerk  als  das  noch  ßehende  gehabt 
haben,  was  einestheils  aus  Spuren  feines  ehemaligen  Daches  an  der  Kapelle 
gefchloßen  werden  kann,  anderentheils  daraus  hervorgeht,  dafs  das  nord- 
ößliche  Kapellenfenßer,  als  im  Thurm  gelegen,  wenigßens  äufserlich  unaus- 
gebildet  geblieben  fein  würde.  Auf  gewölbte  Zwifchendecken  läfst  nichts 
fchliefsen.  Die  Schiefsfcharten  fitzen  in  vier  Gefchoflen.  Bei  dem  Thurme 
beginnt  die  erwähnte,  oben  verfchüttete  Treppe,  die  hier  zunächß  die  Keller 
der  Nordfeite  verbindet  und  ihren  Austritt  dann  in  dem  Oßftügel  gehabt 
haben  mufs.  Die  Aufsenwände  des  Nordflügels  find  etwa  bis  zur  Hälfte  des 
letzten  der  drei  Obergefchofle,  die  fich  hier  finden,  erhalten  und  haben  nur 
gegen  den  Hof  zuF'enßer,  die  übereinander  liegenden  von  durchweg  gleicher 
Form.  In  der  Nordmauer  liegen  nur  Schiefsfcharten  und  ganz  unbedeutende 
Fenßerchen  zum  Ausfpähen.  Solche  Ausbildung  erßreckt  fich  nur  auf  den 
Weßtheil  des  Flügels,  den  ößlichen  nimmt  die  Kapelle  ein.  An  ihrer  Weß- 
mauer  im  erßen  Obergefchofs  liegt  die  ehemalige  Durchfahrt  des  Haupt- 
einganges, welche,  wie  diefes  Gefchofs  der  Weßpartie  des  Flügels  über- 
haupt, wohl  überwölbt  gewefen  iß.  Der  Eingang  in  der  Nordwand  hat  die 
Form  des  an  der  ößlichen  Burgfeite,  beßeht  alfo  aus  einem  weiten  Thore  und 
einer  links  daneben  gelegenen  Pforte,  beide  ehemals  mitteiß  einer  Zugbrücke 
über  den  Graben  zugänglich;  in  den  Hof  fuhrt  nur  ein  Thor.  Was  (ür 
Räumlichkeiten  weßlich  von  der  Durchfahrt  gelegen  waren,  läfst  fich  nicht 
lagen;  die  Gewölbe  find  theilweife  eingefallen  und  das  Durchfahrtsthor 
gegen  den  Hof,  fowie  eine  in  diefes  Gefchofs  führende  Thür  daneben  und 
die  Fenßer  find  vermauert.  Die  Fenßer  der  drei  GefcholTe  ßehen  axial 
über  einander  und  find  meiß  zweitheilig;  gegen  die  Kapelle  zu  kommen 
auch  ungetheilte  und  gekuppelte  vor,  jedenfalls  in  Folge  der  inneren  Raum- 

zo* 


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308 


DtE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKKE1S. 


eintheilung.  Auch  in  diefem  Flügel  find  weder  Innenmauern  noch  Zwifchen- 
decken  (ehemals  wohl  nicht  maffiv)  in  den  beiden  oberften  Gefchofien  er- 
halten; der  ganze  Raum  ift  jetzt  ebenfalls  ein  Garten.  Somit  kann  die 
Dispofition  und  Beftimmung  der  Räume  nicht  mehr  ficher  nachgewielen 
werden.  Zieht  man  jedoch  die  I-age  der  F'enfter  gegen  den  Hof  zu,  die 
Sicherung  des  Flügels  nördlich  .durch  eine  fenrterlofe  Mauer,  ludlich  durch 
den  vorliegenden  Hof  und  örtlich  durch  die  Kapelle  in  Betracht  und  berück- 
fichtigt.  dafs  die  gleichartigen  F'enfter  ziemlich  üppig,  wie  noch  zu  befchreiben 
fein  wird,  ausgebildet  waren,  fo  kommt  man  zu  dem  Schluffe,  dafs  hier 
Räume  von  einiger  Bedeutung  und  zu  gleichen  Zwecken  müfiTen  gelegen 
haben.  Ich  fchliefse  n.ich  daher  der  gemeinen  Angabe  an,  dafs  es  die  „Ertz- 
bifchöfliche  Liberey  oder  Bibliothec,  die  Wallenftein  im  dreyffigjährigen 
Kriege  (nämlich  als  er  am  12.  und  13.  Juni  des  Jahres  1626  hier  war)  weggefchlept 
und  Pinnovio  gefchenkt"  hat,  gewefen  irt , die  hier  ihren  Platz  hatte.  Wo 
aber  „die  Regierung  und  Landes-Archiv  in  einigen  feuerfellen  Gewölbem" 
untergebracht  war,  ob  etwa  in  dem  Erdgefchoffe  diefes  Flügels,  mufs  unent- 
fchieden  bleiben.  Da  diefes  wichtige  Archiv  aber  weder  in  den  lichtlofen 
unterften  K ellern  noch  in  den  direct  vom  Hofe  aus  zugänglichen  gelegen  ge- 
wefen fein  kann,  fondern  in  nächfter  Nähe  der  Bibliothek  und  mit  ihr  in  Ver- 
bindung gewefen  fein  wird,  fo  bleibt  nichts  übrig,  als  eben  das  Erdgefchob 
diefes  Flügels  für  dafselbe  in  Anfpruch  zu  nehmen,  fo  dafs  nun,  während 
der  Weftflügel  der  Burg  die  tu  rill  i eben  Räume  für  profane  Zwecke.  Wohn- 
zimmer und  Vergnügungslaie,  fafste,  in  diefem  die  höheren  Zwecken 
dienenden  Räume,  Bibliothek,  Archiv  und  Kapelle  zufammen  gelegen 
gewefen  fein  würden.  Erwähnt  fei  noch  ein  an  der  Nordfeite  weltlich  von 
dem  Portale  befindlicher  rifalitartiger  Ausbau,  welcher  von  der  Sohle  de? 
Grabens  bis  zum  Dache  reichte,  jetzt  aber  nur  noch  durch  ReJle  an  der 
Hauptmauer  erkennbar  irt.  Wie  weit  er  vortrat,  kann  nur  eine  Unterfuchung 
der  Fundamente  ergeben.  Man  lieht,  dafs  fein  Inneres  zwei  Abtheilungen, 
eine  kleinere  gegen  Wellen  und  eine  gröfsere  gegen  Ollen  hatte.  Ver- 
muthlich  war  fein  Zweck,  den  etwa  gegen  den  Eingang  anltürmenden  Feind 
von  hier  aus,  alfo  auch  feitlich  befchiefsen  zu  können,  was  örtlich  von  dem 
Eckthurme  aus  gefchehen  konnte,  weltlich  jedoch  der  gröfseren  Entfernung 
des  nordwelllichen  Eckthurmes  wegen  nicht  mehr  mit  ausreichender  Sicher- 
heit möglich  war.  Ob  in  diefem  Ausbau  nicht  aufserdem  auch  ein  Abort 
für  die  in  der  Bibliothek  Befchäftigten  belegen  gewefen  fein  mag,  kann 
nicht  entfehieden  werden;  auch  eine  Wendeltreppe  liefse  fich  hier  ver- 
muthen. 

Von  dem  Haupteingange  bis  zum  nordöltlichen  Thurme  erllrockt  lieh 
die  Kapelle.  IhrGrundrifs,  Fig.  115  und  116.  vor  allem  irt  merkwürdig 
Man  kann  ihn  als  den  einer  dreifchiffigen,  thurmlofen  1 lallenkirche  anfehen 
welche  aus  drei  Jochen  belteht  und  einen  örtlichen  Schlufs  der  Aufsen- 
mauern  durch  drei  Seiten  eines  Achtecks  hat.  Die  Schifte  werden  jederlei!? 
durch  eine  Reihe  runder  Pfeiler  gebildet,  die  auch  im  Chor,  den  Ecken 
entfprechend,  Helten,  fo  dafs  hier  gewilfermaafsen  ein  Umgang  irt.  Allein, 
da  die  Pfeiler,  die  unten  noch  nicht  ein  Meter  weit  von  der  Wand  entfernt 


N 


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IHK  MOKIIZIIOKU. 


y*> 


liegen,  mit  diefer  durch  Ausmauerung  des  Zwifchenraumes  verbunden  find, 
fo  entliehen  unten  ilatt  wirklicher  Seitenfcliiffe  nur  nifchenlörmige  Ver- 
tiefungen zu  dem  Mittelfchiffe,  welche  in  der  Höhe  von  einigen  Metern 
durch  flachbogige  Gewölbe  überdeckt  werden,  die  fich  zu  einer  Emporen- 
bildung zwifchen  die  Wände  Ipannen.  Erft  über  dielen  Emporen  entwickeln 
fich  diePteiler  ringsum  frei,  fodafs  man  erft  hier  Umgang  halten  kann.  Die 
nordöftliche  und  füdöftliche  Chorfeite  haben  unter  den  Emporen  eine  mit 
der  Hinterkante,  die  öftliche  Chorfeite  eine  fall  mit  der  Vorderkante  der 
Pfeiler  fluchtende  Ausmauerung  erhalten.  Nach  Norden  zu  liegt  in  jedem 
Joche  eine  Schiefsfcharte.  In  der  Nordwcftecke  führt  zur  Empore  hinauf 
eine  hölzerne  Wendeltreppe,  aus  dem  17.  Jahrhundert  flammend.  Sie  liegt 
am  Ende  eines  Vorraumes  für  die  Sacriftei,  für  welche  man  hier  in  das 
Mittelfchiff  vorgebaut  hat.  Ein  runder  Pfeiler,  unten  wie  die  übrigen  ge- 
bildet, fleht  an  der  Ecke  der  Sacrifteiwände,  geht  aber  nur  bis  zur  Empore 
auf,  die  fich  hier  um  den  Vorfprung  der  Sacriftei  verbreitert.  Der 
Zulland  der  Wellfeite  unten  im  Kircheninneren  ift  fchwerlich  der  anfängliche ; 
wie  diefer  aber  war,  läfst  fich  nicht  mehr  tellllellen.  Die  rohen  Verftärkungs- 
pfeiler  der  Wand,  auf  denen  jetzt  hier  die  Empore  ruht,  find  neueren 
Datums,  jedoch  mufs  auch  gleich  anfangs  an  diefer  Seite  eine  Empore  vor- 
handen gewefen  fein,  weil  eine  alte  Thür  mit  fchönem  Gewände,  welche 
aus  dem  weltlichen  Theile  des  Elügels  in  die  Kapelle  führt,  in  Emporenhöhe 
liegt.  In  der  Südwand  des  erllen  Joches  befindet  fich  die  durch  einen 
Pfeiler  inmitten  /.weitheilige  Thür.  In  den  beiden  anderen  Jochen  derfelben 
Wand  lieht  man  innen  nur  die  verbauten  Fenflernifchen.  Eine  Thür  in  der 
Südoflwand  verbindet  heute  wieder  wie  ehemals  die  Kapelle  mit  dem  an- 
liegenden Gebäude  der  Oftfeite.  Auch  in  der  Nordoltwand  liegt  eine  Thür, 
durch  welche  man  auf  einer  im  Mauerwerk  ausgefparten  Treppe  zur  Empore 
kommt.  Vielleicht  hat  fchon  unten  bei  ihrem  Antritte  eine  Thüröffnung  den 
Thurm  mit  der  Kapelle  in  Verbindung  gefetzt,  bei  ihrem  Austritte  ift  folche 
Verbindung  noch  gut  erkennbar. 

Wie  fchon  angedeutet  (teilt  fich  der  Grundrifs  über  der  Empore 
als  ein  anderer  dar,  wenigftens  infofern,  als  hier  erft  das  Svltem  der 
Architektur  klar  erkennbar  ift.  Die  Wände  fetzen  fich  nicht  unbedeutend 
zurück,  fodafs  der  Zwifchenraum  zwifchen  Pfeiler  und  Wand  überall  für 
einen  bequemen  Durchgang  ausreicht.  I Her  lind  auch  die  Kenlteröffnungen 
wirklich  frei  und  verglaft.  Es  liegen  jedoch  nur  im  Süden  und  am  Chor 
hohe,  oben  maafswerkgefüllte  Kirchenfenlter  mit  zwei  Pfölten.  Das  Eenller 
der  Südoftfeite  fehlt  eigentlich,  oder  es  kommt  vielmehr  erft  ganz  oben  zur 
Entwickelung,  während  in  Höhe  der  Empore  eine  alte  Thür  die  Verbindung 
wie  unten  mit  dem  Anbau  herftellt.  Diefe  Thür  und  das  Eenfter  verrathen, 
dafs  auch  anfangs  hier  ein  Bau  der  Oftfeite  an  die  Kapelle  ftiefs.  Das  Süd- 
fenlter  im  erllen  Joche  von  Olten  her  ift  natürlich  verbaut,  jedoch  fpenden 
die  beiden  anderen  Eenller  im  Süden  und  die  am  Chor  reichliches  Licht. 
Abweichend  ilt  die  Anbringung  der  Verglafung  (und  formt  die  Stellung  der 
Pfolten);  letztere  liegt  nicht  regelrecht  in  der  Mitte  der  Wandftärke,  fondern 
ift  möglichlt  weit  nach  aufsen  gerückt.  Fig.  117.  Wahrfcheinlich  wollte 


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DIK  STADT  HAI.I.I:  u.  <1.  SAALKKK1S. 


3'o 


man  dadurch  die  an  fich  fchmale  Empore  thunlichd  verbreitern,  und  diefe 
rein  praktifche  Rückficht  übt,  wie  wir  fehen  werden,  fogleich  auf  den  Stil 
ihren  Einfiufs.  An  der  Nordfeite  hat  jedes  Joch  erd  ganz  oben  je  ein 
Fender,  welches  aber  nur  von  der  Gröfse  und  Ausbildung  der  gegen  den 
I lof  gelegenen  Fenller  des  weltlichen  Theiles  diefes  Flügels  id.  Sowohl  die 

Hg.  115. 


Kapcllengrundrifs  in  Krdgcfchofshöhc. 


inöglichd  hohe  Lage  als  auch  die  Verringerung  der  Fendergröfse  war 
nöthig,  weil  diefe  Seite  nicht  wie  der  Chor  durch  den  Nordodthurm  und 
die  Südfeite  durch  den  Anbau  und  den  Hof  gedeckt  wurde,  fondern  ex- 
ponirt  lag.  Oben  an  den  Pfeilern  erkennt  man,  dafs  zur  Ueberdeckung  der 
Schiffe  durchweg  ein  Gewölbe  projectirt  gewefen  id,  und  es  id  auch  wohl 


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UIE  MOKITZIIUKG. 


3" 


möglich,  dafs  ein  folches  in  reichlfem  Netzmuller  und  mit  unvermittelt  aus 
den  Rundpfeilern  erwachfenden  Rippen  wirklich  ausgeführt  wurde,  denn 
die  mächtige  Stärke  der  Mauern,  der  gegenüber  die  winzigen  Strebepfeiler 
an  den  Chorecken  fofort  als  iiberflüfiige,  ja  fall  lächerliche  Zuthat  er- 
fcheinen  — überträgt  fich  doch  der  Schub  eines  folchen  Netzgewölbes 

Fig.  1 1 6. 


Kapellenjjrundrifs  iu  Kmporcnhohc. 


ohnehin  nicht  mehr  auf  einzelne  Punkte,  fondern  gleichmäfsig  auf  die  Mauer  — 
würde  dem  Gewölbefchube  ausreichenden  Widerlland  entgegenfetzen, 
wohl  möglich  alfu,  dafs  einmal  über  dem  ganzen  Kapellenraume  ein  Ge- 
wölbe vorhanden  war.  Jetzt  finden  fich,  fei  es,  dafs  das  Gewölbe  im  Mittel- 
fchiff  bei  dem  Brande  der  Burg,  der  auch  die  Ausllattung  der  Kapelle  ver- 


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3'2 


DIE  STADT  HALLE  u.  <1.  SAALKHKIS. 


zehrte,  einfiel,  fei  es,  dafs  man  thatfächlich  nie  zu  feiner  Ausführung  kam, 
nur  die  gangartigen  Nebenfchiffe  gewölbt  und  zwar  mit  einem  Rippen- 
gewölbe, defTen  Müller  an  den  drei  Chorfeiten  um  ein  Geringes  abweicht: 
die  Ueberdeckung  des  Mittelfchiffes  dagegen  gefchieht  jetzt  durch  eine 
wagerechte,  einfachll  verfchalte  Balkendecke,  über  welcher  der  Dach- 
boden liegt. 

Wäre  hiermit  die  Befehreibung  des  Grundrifles  der  verfchiedenen 
Bauten  und  ihrer  Räumlichkeiten  beendet  und  der  urfprüngliche  Zweck 
derfelben  zu  bellimmen  verfucht,  fo  gehen  wir  nunmehr  zur  Befprechung 


Fic.  1 1 7. 


Profil  der  K.ipellenfcnfler. 


I 

| 

i 


Architektur:  der  Architektur  des  Aeufseren  und  Inneren  der  Burg  über,  indem 

Ka|ielltt,  wjr  4|amjt  antangen,  dafs  wir  in  der  Befehreibung  der  Kapelle  als  des- 
jenigen Stückes,  welches  zumeill  intact  geblieben  ift.  fortfahren.  Auch  die 
Kapelle  ill  aus  Bruchileinen  aufgeführt  wie  alle  übrigen  Theile  der  Burg, 
nur  die  llruktiven  und  ornamentirten  Glieder  als  Pfeiler.  Simfe,  F’enllcr- 
und  Thürgewände  beftehen  aus  Quadern.  Die  Strebepfeiler  an  den  vier 
Chorecken  find  fchlicht  rechteckig  bis  oben  hinauf,  ohne  Kafffims  und  nur 
einhüftig.  Auf  ihre  Nutzlofigkeit  in  Vergleich  zu  der  Mauerftärke,  die  in 
llinficht  auf  den  fortificatorifchen  Zweck  bedeutend  und  zwar , wie  es  der 
Fall  ift.  im  Norden  und  Ollen  beträchtlicher  als  im  Süden  fein  mufste.  ill 
bereits  aufmerkfam  gemacht,  und  es  erübrigt  nur  noch  daraut  hinzuweifen 
dafs  man  an  der  durch  die  Oft-  und  Südoltwand  gebildeten  Ficke,  wo  der 
Pfeiler  weder  in  den  Kckthurm  noch  in  den  Oftflügel  trifft,  fondern  hinab- 
geführt fein  müfste  bis  zur  Sohle  des  Grabens,  ihn  ohne  Bedenken  auf  eine 


□ 


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IHK  MOKITZBL’KU. 


3'3 


Confole  in  Terrainhöhe  gefetzt  hat.  Die  dreitheiligen  Feniler  haben  ein 
Pfollenprofil  in  der  Form  eines  Doppelkeiles,  der  in  der  Mitte  einen  Falz 
iür  die  Verglafung  hat,  an  den  Seitenflächen  flach  gehöhlt  ift  und  an  der 
Spitze  nicht  ftumpf,  fondern  durch  zwei  Schrägen  fcharfkantig  endet  (vergl. 
Fig.  117).  Zur  Bildung  des  Gewändes  fetzt  fich  an  die  Hälfte  diefes  Profiles 
äufserlich  noch  eine  F'lachkehle  mit  Plättchen  und  darauf  ein  in  eine  Hohl- 
kehle übergehender,  im  Bogenfcheitel  fich  überfchneidender  Rundftab  an. 
während  im  Inneren  nach  ebenfalls  einer  Flachkehle  mit  Plättchen  noch 
einmal  eine  etwas  gehöhlte  F'läche  mit  entfprechend  breiter  Schräge  als 
Abfchlufs  folgt.  Auffälligerweife  ift  das  Maafswerk  in  allen  grofsen  Fenftern 
aufser  in  dem  der  Nordoftwand,  welches  erfichtlich  in  Folge  einer  Reftauration 
ohne  folches  ift  und  ein  einfacheres  Pfollenprofil  hat,  gleichförmig  und  zeigt 
ein  an  die  Weife  des  franzöfil'chen  Flamboiantftiles  erinnerndes  Mußer. 
Dafs,  wie  wir  erwähnten,  die  Pfoften  nach  Möglichkeit  in  die  äufsere  Flucht- 
linie gerückt  find,  bewirkt  eine  aufsen  flache  Gewändeprofilirung(  die  alfo 
auch  eine  nur  wenig  fchattige  Wirkung  geben  kann,  was  namentlich  bei 
dem  ziemlich  beträchtlichen  F'enllerlichten  dem  (reifte  der  fonft  fo  fchatten- 
krättigen  gothifchen  Profilzeichnung  nicht  mehr  völlig  entfpricht  und  dadurch 
jedenfalls  den  Verfall  des  Stiles  bekundet.  Die  drei  F’enfter  der  Nordwand, 
Fig.  1 18,  haben  einen  flachen  Fenfterbogen,  der  fich  aus  vier  nach  unten 
gefchlagenen  Bögen  zufammenfetzt.  Durch  einen  Pfoften  in  der  Fenfter- 
mitte,  der  fich  oben  zu  einem  K reife  mit  Spitze  nach  unten  und  oben  theilt 
entlieht  ein  Stückchen  Maafswerk,  welches  den  Schlufsftein  unterftützt.  Das 
Plollen-  und  Gewändeprofil  befiehl  nur  aus  einigen  Plättchen.  Schrägen  und 
liaupt fachlich  aus  fcharf  ohne  Steg  zufammenfchneidenden  F'lachkehlen.  und 
e>  ill  klar,  dafs  folche  Bildung  die  l.icht-  und  Schattenpartien  grell  markiren 
mufs.  Die  fpitzbogigc  Thür  aut  der  Südfeite  hat  ein  in  urfpriinglicher  Art 
ftellenweife  erneuertes  Gewände  aus  Rundftäbcn,  1 lohlkehlen,  Plättchen  u.  f.  w. 
zufammengefetzt.  Der  Mittelpfollen  in  der  Thür  läl'st  zwei  Oeffnungen  ent- 
liehen. olien  mit  einer  jener  gekünllelten  Sturzbildungen  der  Spätgothik 
überdeckt:  ein  wagerechter  Sturz,  wird  in  den  Ficken  noch  einmal  durch  je 
einen  Viertelbogen,  der  lieh  plötzlich  nach  oben  umknickt,  unterftützt.  fodafs 
alfo  ein  Gebilde  halb  Bogen,  halb  Sturz,  ganz  dem  Charakter  der  merk- 
würdigen Zeit  der  Vorbereitung  der  Renaiffance  entfprechend,  entlieht.  Das 
lympanon.  getragen  von  diefem  Mittelpfeiler  und  diefem  Sturze,  belleht 
aus  drei  Platten,  von  denen  das  urfpriingliche  Reliefbild,  eine  Mittelfigur, 
der  fich  jederfeits  eine  andere  P'igur  zuneigt,  darllellend,  jetzt  abgemeifselt 
ift.  Vorzüglich  erhalten  hat  fich  das  reichgegliederte  und  aufserordentlich 
lauber  gearbeitete  Gewände  der  Weftthür,  die,  jetzt  vermauert,  aus  der 
Bibliothek  (?)  auf  die  weltliche  Empore  führte.  Kein  Stück  der  Architektur 
der  Moritzburg  läfst  fich  diefer  Thür  in  Rücklicht  auf  die  Feinheit  der 
Verhältniffe.  hauptlachlich  der  Höhe  zur  Breite,  der  Gewändebreite  zum 
lhürlichten  u.  f.  w.  vergleichen.  Das  Auge  ruht  mit  Wohlgefallen  auf 
diefem  Stücke,  nachdem  es  die  Disharmonie  fo  vieler  anderer  Details  hat 
ertragen  müden. 

Im  Kapelleninneren  find  die  runden  Pfeiler  beachtenswert!!.  Ihr 


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3 14  DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


Sockel  ift  /u  unterll  quadratifch,  wird  dann  durch  Abfchräyung'  der  licken 
achtfeitiif , darüber  verfchiebt  fich  die  Achtecksform  um  eine  halbe  Seiten- 


i.-i  r r f r f-r-r  r * ~ r T t t t-t  t-t  r~ 

Fender  im  Nordflügt'l. 


länge,  fodafs  die  licken  des  oberen  aut  die  Seitenmitten  des  unteren  Acht- 


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DIK  MORITZBURG. 


3'5 


ecks  zu  flehen  kommen,  nimmt  zugleich  concavlinige  Seitenflächen  an  und 
geht  darauf  fchliefslich  in  die  glatte,  runde  Schaftform  über.  Als  Ver- 
mittelung zwifchen  den  einzelnen  Sockelpartien  dienen  über  den  Ecken 
Glieder  aus  Kehlen,  Wulften  und  Plättchen.  Leider  hat  fleh  kein  Pfeiler- 
fuls  in  diefer  feiner  üppigen  Ausbildung  völlig  gut  erhalten;  die  Ecken  find 
im  Laufe  der  Zeit  faß  an  allen  abgeftofsen.  Unter  fich  find  die  Pfeiler  einer 
Reihe  durch  Arkadenbögen,  die  ohne  verknüpfendes  Glied  in  Form  eines 
Capitäls  oder  einer  Confole  aus  dem  Schafte  hervorgehen,  verbunden,  und 
die  rohe  Bearbeitung  ihrer  oberen  Partie  gegen  das  Mittelfchiff  läfst  eben 
auf  ein  Gewölbe  für  letzteres  fchliefsen.  Die  Rippen  der  fchmalen  und 
flachen  Nebenfchiffgewölbe  find  durch  jederfeits  zwei  Elachkehlen  und  mit 
Itumpfer  Spitze  keilförmig  gebildet,  wie  die  Rippen  diefer  Zeit  in  der  Regel. 

Der  Ausbau  der  Kapelle  ringsum  mit  Emporen  ift  originell.  Hier  mag  dazu 
weniger  das  Bedürfnifs,  Platz  zu  fchaffen  — wiewohl  folcher  ja  keineswegs 
überreichlich  vorhanden  war  — als  vielmehr  die  Rückficht  darauf,  eine  in 
Kriegszeiten  ausreichende  mehrgängige  Verbindung  des  nördlichen  Flügels 
mit  dem  örtlichen  zu  bekommen,  die  VeranlafTung  gegeben  haben.  Dafür 
fpricht  die  geringe  Breite  der  Emporen  und  ihre  mehrfache  Verbindung 
durch  'l'hüren  mit  jenen  Flügeln;  zu  denen,  die  fchon  genannt  find,  müffen 
wir  noch  einen  fchmalen,  jetzt  vermauerten  Zugang  in  der  Nordweftecke 
der  Kapelle  nennen,  der  offenbar  nur  bei  einer  Verteidigung  Werth  gehabt 
hat  und  benutzt  worden  ift.  Was  nun  die  Conftruction  der  Emporen  anbe- 
langt, fo  ift  fie  gefchehen,  indem  man  von  Pfeiler  zu  Pfeiler  flache,  unver- 
zierte  Kappen  gefchlagen  hat,  deren  Stirnfeite  gegen  das  Mittelfchiff  glatt 
bez.  gefchrägt  worden  ift,  aufser  bei  den  beiden  Bögen  des  Mitteljoches  und 
bei  der  über  dem  nordwelllichen  Aufgange  belegenen  Emporenkappe,  wo 
man  Protilirung  findet.  Ein  Grund  für  folche  Auffälligkeiten  läfst  fich  nicht 
erkennen,  ja  man  kann  kaum  auf  die  Vermuthung  kommen,  dafs  hier  für 
diftinguirte  Perfünlichkeiten  Plätze  beftimmt  waren,  weil  übrigens  nichts 
weiter  darauf  hinweift.  Die  Emporenbrüftung  fcheint  völlig  erneuert  zu 
fein  und  beftand  wohl  anfangs  aus  durchbrochen  gearbeitetem  oder  wie  in 
der  Marktkirche  nur  aus  einem  Blendenmaafswerke.  Die  gothifirende 
Malerei  an  der  jetzigen  ift  keinesweg  alt,  fondern  vielleicht  vor  hundert 
Jahren  gemacht;  die  Alten  haben  die  decorative  Malerei  niemals  zum  Er- 
lügen einer  plaftifchen  Wirkung,  wie  es  hier  ftatthat,  gemifsbraucht.  Die 
Sacrillei,  ein  Raum,  der  gegen  das  Schiff  örtlich  und  liidlich  eine  fenfter- 
artige  Oeffnung  hat,  die  ihm  ein  fecundäres  Licht  geben,  hat  nichts  ln- 
tereflantes. 

Der  Brand  hat,  wie  gefegt,  alle  Stücke  der  inneren  Einrichtung  Wcihufcln. 
vernichtet  und  was  er  von  der  allen  Ausmalung,  ohne  welche  in  jener  Zeit 
die  Kapelle  nicht  gedacht  werden  darf,  übrig  gelaffen  haben  füllte,  ift  in 
fpäterer  Zeit  übertüncht  worden.  Nur  zwei  Stücke  der  inneren  Ausftattung 
findet  man  noch  an  ihrem  Platze,  aber  fie  find  äufserft  entftellt.  Oben  noch 
hoch  über  der  Empore  ift  in  die  Wert  wand  ein  fteinernes  Relief  einge- 
lalTen,  welches,  foviel  man  jetzt  unter  dem  dicken  Kalkanftriche  erkennen 
kann,  das  Wappen  des  Erbauers,  des  Erzbifchofs  Ernft,  mit  der  unterge- 


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.5 '6 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKKF.IS. 


fchriebenen  Jahreszahl  der  Einweihung  1500  zeigt.  Das  andere  Stück, 
ebenfalls  eine  Weihtafel,  ift  der  Nordwand  des  mittleren  Joches  unter 
der  Empore  eingelaflen  und,  obgleich  arg  zerftört,  ein  in  hohem  Grade  für 
die  locale  Entwickelung  der  Kunlt  diefer  Zeit  d.  h.  für  den  Uebergang  der 
Gothik  zur  RenailTance  in  Halle  bedeutendes,  ja  unfchätzbares  Stück.  Zu 
einer  völlig  frei  gearbeiteten  Relief darltellung,  deren  Grund  hinter  die 
Mauerflucht  tritt,  bildet  jederfeits  ein  aus  fchrägem  Plättchen.  llohlkehJ-  i 
und  Rundftab  beftehendes,  alfo  noch  durchaus  gothifches  Profil,  die  Ein-  ' 
rahmung  Eig.  ti().  Oben  läuft  diefe  Profilirung  zwar  rechtwinklig  um,  aber 
der  Rundftab  zweigt  fich,  nachdem  er  durch  ein  nach  fpätgothifcher  An 
detaillirtes  Kapitälchen  zu  einem  Säulchen  geworden  ift,  zu  einem  Halbkreis- 
bogen  ab,  fodafs  nun  oben  jederfeits  ein  Bogenzwickel  entlieht.  Aus  den 
beiden  letzteren  lieht  die  halbe  Geftalt  je  eines  Engelchens,  frei  gearbeitet 
hervor.  Die  Darftellung  inmitten  zeigt  das  Wappen  des  Cardinais 
Albrecht,  welches  gehalten  wird  linker  Hand  von  der  Figur  des  h.Moritz 
und  rechts  von  der  eines  Bifchofs.  der,  da  ihm  jetzt  der  Kopf  fehlt  und 
die  kennzeichnenden  Attribute  verftümmelt  find,  nicht  namentlich  anzu- 
geben ift.  Dahinter  befindet  lieh  ein  Schwert  (?)  mit  zwei  (?)  Hirtenftäben  zu 
einer  Gruppe  vereinigt.1  Moritz  ift  als  fchwarzer,  kräftiger  Ritter  in  voller 
goldener  Rüftung  (Harnifch)  dargeftellt,  auch  hat  er  anfänglich  zweifels- 
ohne eine  Fahne  gehalten;  der  Bifchof  hingegen  ift  eine  fchlanke,  fchmächtigi 
Figur,  deren  Körperformen  unter  der  F'altenmenge  des  Mantels,  der  Al  tu 
und  der  Dalmatica  völlig  verfchwinden.  Unter  diefer  llauptdarftellung 
zieht  fich  oben  und  unten  von  wagerechten  Gefimfen  eingefafst  ein  gewilTer- 
maafsen  als  Sockel  wirkender  F'ries  hin,  in  deffen  Mitte  wir  eine  InfchntLs- 
tafel  fehen,  während  rechts  die  halbe  Figur  eines  heiligen  Mannes, 
links  die  einer  in  der  Fracht  der  Zeit  gebildeten  heiligen  F'rau,  beide 
ohne  Kopf  und  kennzeichnende  Beigaben,  angebracht  lind.  Aut  dir 
Tafel  lieht: 

OPT.  MAX  ° AC-  DIVE  • MAGDALENE  • TVTELARI  • ALBERTVS  • 

CVIVS  • HEC  • SIGNA  • DIGNITATE  • GENVSQVE  • DECLARÄT  . HÄC- 

EDEM-  IPSE-  DEDICAVIT.  AN  - CHRI ; M D-  Xllll  • KAL-  AVGXF- 

Fis  bleibt  noch  zu  bemerken,  dafs  die  ganze  Arbeit  durchweg  gefärbt  war 
vielleicht  in  den  F'arben.  aber  ficher  nicht  in  den  Tönen,  die  man  jetzt  lieht 
Fis  ift  auf  den  erften  Blick  klar,  dafs  wir  es  hier  mit  einer  Bildhauer- 
arbeit ganz  in  der  Weife  derer,  die  Albrecht  in  die  nördliche  Wand  des 
Domes  hat  einfetzen  lallen,  zu  thun  haben.  Und,  da  lieh  nun  auch  bei  der 
Unterfuchung  des  Materials  herausftellt , dafs  es  derfelbe  Traft  vom 
Rheine  ift,  welchen  wir  dort  finden,  fo  kann  es  durchaus  keinem 
Zweifel  unterliegen,  dafs  diefes  Stück  gleichfalls  von  jenem  Meiller 


1 Noch  nicht  bemerkt  man  den  C'ardinalshut,  wie  auf  der  Dedicationstafcl  im  Dome,  da 
Abrecht  er  fr  nach  der  Zeit,  in  welche  die  Herftcllung  diefes  Werkes  fällt,  Cardinal  wurde. 


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ntE  MORrrznrKG. 


3'7 


herrührt,  den  wir  bei  feiner  fpäteren  Befchäftigung  für  den  Cardinal  im 
Dome  ein  fo  glänzendes  Talent  entfalten  fehen.  Hätten  wir  hier  eine  Arbeit 
des  Meiflers.  den  wir  bei  der  Dombefchreibung  als  den  erden  Renailfanciflen 
in  Halle  nachweifen,  bereits  aus  dem  Jahre  1514  aufgefunden,  ein  Werk 
alfo,  welches  fchon  ein  Decennium  älter  als  jene  Domarbeiten  id,  fo  darf 
dafselbe  um  fo  mehr  Anfpruch  auf  unfere  Beachtung  erheben,  als  es,  das 
erde  noch  erhaltene  Stück  der  RenaifTance  zu  Halle  überhaupt,  nicht  nur 
hinfichtlich  des  Entwicklungsganges,  den  die  Kund  diefes  Meiders,  fondern, 
was  mehr  fagt,  rückfichtlich  des  Weges,  den  die  Kundentfaltung  der  Re- 
naidänce  hierorts  genommen  hat.  den  Anfang  markirt.  Ich  fage,  diefe 
Arbeit,  um  ein  Decennium  älter  denn  die  Stücke  im  Dome,  fei  das  erde 


Fig.  i;o. 


Wage  rechte 


Fig.  1 1 q. 


Umrahmung. 


Fig.  121. 


(iiinler. 


W c i h t * f e 1 profilc. 


Werk  der  RenaifTance  in  Halle;  ich  hätte  vielleicht  beffer  Tagen  follen,  die 
nachweislich  ältedo  Arbeit  des  erden  RenaifTanciden  in  Halle.  Denn  erinnern 
wir  uns  an  die  voraufgefchickte  Befchreibung,  fo  id  dafelbd  das  Vorkommen 
von  Renai  fTanceelementen  an  diefer  Weihtafel  gar  nicht  erwähnt  worden. 
imGegentheil  geht  aus  ihr  hervor,  dafs  ein  gothifches  Profil  mit  gothifchem 
Capital  die  Umrahmung  bildet,  dafs  befonders  die  Eigur  des  Bifchofs  noch 
tfothifche  Aufladung  in  Haltung  und  Gewandbehandlung  darthut,  dafs  die 
Anbringung  von  aus  der  Wand  tretenden  Halbfiguren  eine  gothifche  Weife 
ft,  fo  würde  das  Ganze  richtiger  vielleicht  noch  als  ein  gothifches  Werk  auf- 
zufaffen  fein.  Doch  nicht.  Wohl  hat  fich  der  Renaitfancemeifler  noch  nicht 
aus  feinen  gothifchen  Schulregeln  zur  Selbddändigkeit  einer  ganz  individuellen 
Aufladung  durchgerungen,  aber  feine  Arbeit  id  nichtsdedoweniger  bereits 
ein  Renaiflancewerk , weil  der  Gei  fl  diefes  Stiles  in  ihm  lebt,  den  die 


318 


die  stadt  hallf  u.  <t.  saalkkeis. 


gothifchen  Formen  zwar  verfchleiern,  aber  nicht  verbergen  können.  Woran 
das  erkennbar  wird?  Zuerft  aus  der  Gefammtordnung:  ftatt  Confole  und 
Baldachine  findet  lieh  ein  friesartiger  Sockel  und  ein  Rundbogen  mit  einem 
gradlinigen  Sims  darüber  als  Abfchlufs:  die  Anordnung  dreier  wagerechter 
Gefimfe  fchwächt  überhaupt  die  Wirkung  der  feinen  gothifchen  Glieder  in 
verticaler  Richtung  bedeutend  ab.  und  der  ruhige  Halbkreisbogen  vermehrt 
folche  Schwächung.  Ferner  kündet  lieh  der  Geift  der  RenailTance  auch  m 
diefen  Simfen  felbll  an.  Ganz  abgefehen  von  ungothifchen  Bandmotiven 
zeigen  fie  eine  gothifche  Compofition  jedenfalls  nicht  mehr,  wenn  ihre 
Zufammenfetzung  aus  renailfanceartigen  Gliedern  auch  noch  nicht  verftäniii? 
zu  nennen  ift.  Fig.  120  und  12 1.  Als  folche  Glieder  find  anzuführen  gröfsere 
und  kleinere  Platten,  Hohlkehlen  und  ein  mager  gezeichnetes,  fimenartiges 
(ilied,  wie  es  auch  an  den  Domarbeiten  beliebt  ift,  dafelbft  aber  eine  üppige, 
faß  plumpe  Geftalt  angenommen  hat.  Wenn  ein  folches  Gefims  gelegentlich!! 
von  einer  fteilen  Schräge,  die  wohl  an  die  Gothik  (Waflernafe)  gemahnt, 
abgedeckt  wird,  fo  hebt  die  Form,  Zahl  und  Zierlichkeit  der  Unterglieder 
den  Eindruck  doch  fogleich  wieder  auf  und  fo  geht  es  durchweg  bei  allen 
diefen  Architekturtheilen.  Die  Mifchung  der  ftilverfchiedenen  Elemente 
ift  eine  innige,  aber  wie  man  vergleichsweife  Tagen  könnte,  keine  chemifche. 
fondern  eine  nur  mechanifche!  Endlich  dürfte  der  Geift  der  RenailTance 
noch  in  den  Figuren  zu  erkennen  fein,  zu  deren  gothifchen  Eigenfchaften 
fich  aus  der  Behandlung  der  Proportionen,  des  Faltenwurfes,  der  Details u.  f. w 
folche  anführen  liefsen,  die  eben  fchon  der  RenailTance  eigen  find,  allein, 
da  die  Köpfe  und  viele  andere  wichtige  Stücke  fehlen,  unterlaßen  wir  Be- 
ftimmtes  aus  den  F'iguren  zu  folgern.  Die  RenailTance  liegt  hier  gcwiff-r- 
maafsen  noch  in  den  Windeln,  in  gothifchen  Windeln,  ift  unbeholfen,  und 
keineswegs  fchon  zu  der  Freiheit,  dem  Uebermuth  der  Bewegung  gekräftigt, 
welche  wir  fie  im  Dome  entfalten  fehen,  wo  beifpielsweife  anftatt  der 
gothifchen,  zarten  Umrahmung  des  Jahres  1514  die  grofse  Dedicationstafel  von 
1523  freie  Säulchen  hat,  die  gebildet  find  in  ungeftümfter  Häufung  von  Re- 
nailTancegliedem  mit  freien,  kräftig  kecken  Putten  an  den  Säulenfufsen  und  als 
Nifchenüberdeckung  mit  dem  üppigften  Mufchelbaldachine,  und  wo  hier- 
durch bei  ganz  ähnlicher  Dispofition  eine  Silhouette  des  Ganzen  entlieht, 
der  gegenüber  die  Silhouettirung  diefer  älteren  Arbeit  wie  die  Geftalt  eines 
Kindes  fich  etwa  zu  der  einer  blühenden  Jungfrau  verhalten  mag.  Und  diefer 
Vergleich  fixire  den  Kunftwerth  der  Arbeit,  die  darnach  abfolut  weniger 
als  relativ,  nämlich  in  Bezug  auf  die  Entftehungsgefchichte  der  RenailTance. 
zu  fchätzen  fein  dürfte. 

Architektur  der  Nach  diefem  Einfchiebfel  über  das  einzige  und  zugleich  bedeutende 
Bur»;.  Kunftwerk  der  Kapelle  fahren  wir  fort,  die  Architektur  der  Burg  zu 
betrachten,  ohne  zuvor  die  der  Kapelle  nach  ihrem  Werthe  zu  unterfuchen. 
Indem  wir  zunächft  über  das  Aeufsere  der  ganzen  Burg  Umfchau  halten, 
fällt  in  die  Augen,  dafs  das  Material  der  Aufsenwände  nicht  durchweg 
dafselbe  ift.  Wenn  auch  überall  Bruchfleine  mit  reichlicher  Speife  zur  Ver- 
wendung gekommen  find,  To  hat  man  doch  den  Weftftügel  vornehmlich  aus 
mehr  oder  minder  grofsen,  hellen,  gelblichen  und  grauen  Sandfteinen  hcr- 


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DIF.  MORITZI1URO. 


3‘9 


gellellt,  aus  denen  auch  eine  Strecke  der  Nordwand  befteht;  der  gröfsere 
(öltliche)  Theil  der  Nordfeite  fowie  die  ganze  Oft-  und  Südfeite1  beftehen 
aus  dunkelrothen,  nicht  eben  grofsen  Porphyrftücken.  Auffällig  ift,  dafs  an 
der  Nordfeite  der  Porphyr  und  Sandftein  fich  in  fall  fenkrechter  Linie,  jedoch 
mit  geringer  Abtreppung  der  Sandßeinpartie  an  einander  fetzen,  ein  Um- 
Hand,  aus  dem  man  wohl  mit  einigem  Rechte  fchliefsen  darf,  dafs  derWeft- 
flügel  bei  der  Bauarbeit  zuerft  in  Angriff  genommen  wurde.  Erwägt  man 
ferner,  dafs  fich  viele  Steine  der  Weftfeite  finden,  die  fo  ausfehen  (reguläre 
Form,  abgewitterte  Ecken  u.  f.  w.)  als  feien  fie  nicht  frifch  gebrochen, 
fondem  bereits  einmal  vermauert  gewefen,  fo  möchte  fich  weiter  ergeben, 
dafs  in  dem  Weftflügel  das  Baumaterial  des  fchwarzen  Schloffes  fleckt. 
Dafs  man  deffen  Steine  hier  fogleich  wieder  und  zwar  zuerft  vermauert 
hat,  ift  kaum  zu  bezweifeln;  es  fragt  fich  nur,  ob  des  Namens  wegen  die 
dunkleren  Steine  alfo  die  rothen  anzunehmen  nicht  mehr  Wahrfcheinlich- 
keit  für  fich  hätte.  Bis  jetzt  ift  keinerlei  Anhalt  dafür  vorhanden,  dafs  der 
Name  fchwarzes  Schlofs  von  dem  Ausfehen  der  Steine  hergekommen  fein 
müffe;  im  Gegentheil,  wenn  das  Schlofs  nach  ihnen  benannt  wäre,  würde 
nicht  gut  einzufehen  fein,  warum  es  nicht  ebenfo  wohl  oder  vielmehr  beffer 
das  rothe  Schlofs  geheifsen  habe.  Wahrfcheinlich  waren  die  Steine  des 
alten  Gebäudes  auch  lagerhafter  und  daher  nahm  man  fie  für  den  Haupt- 
Hügel  gern,  deffen  Wände  — nicht  nur  die  weltliche  und  die  der  Thürme, 
fondem  auch  die  nördliche  und  füdliche  — überdies  noch  durch  einen  grau- 
gelben Mörtelbewurf  einen  verfchönernden,  noch  vielfach  zu  fehenden  Putz 
erhalten  haben,  während  der  Bewurf  an  den  übrigen  Aufsenmauern  fcheinbar 
weniger  ftark  und  gut  gewefen  ift.  Bemerkenswerthe  Kunftformen  giebt  es  an 
der  Oftfeite  der  Burg  nur  am  Eingänge  und  deffen  Thurme.  Das  Portal  nebll 
Pforte  hat  man  etwas  vor  die  Mauerflucht  vorgekragt,  indem  ziemlich  tief 
darunter  drei  Confolen  mit  zwei  Bögen  dazwifchen  den  VoHprung  unter- 
llützen.  (Diefe  Conftruction  ift  jetzt  der  Brücke  wegen  nicht  gut  zu  fehen.) 
Das  Thor  etwa  quadratifch  ift  in  feilen,  gut  behauenen  Quadern  mit  flach- 
bogiger  Ueberwölbung  ausgeführt.  Man  bemerkt  vorn  rings  einen  Harken, 
oben  gradlinigen,  alfo  nicht  der  E'lachbogenlinie  der  Oeffnung  folgenden 
Falz  für  den  Verfchlufs  mittelft  Zugbrücke.  Letztere  mag  man  fich  etwa 
als  eine  in  den  F'alz  paffende,  alfo  nach  aufsen  fchlagende  Klappe  von 
Harkern  Holze  gemacht  vorftellen,  die  unten  jederfeits  mit  einem  Zapfen  in 
das  Mauerwerk  greift,  lodafs  fich  nun  durch  eine  Drehung  um  diefe  Zapfen 
d.  h.  durch  ein  Nieder-  und  Auf  klappen  des  Flügels  das  Oeffnen  und 
Schliefsen  des  Portales  bewerkltelligen  läfst.  Diefer  fich  vertical  drehende 
Flügel  hat  in  geöffnetem  Zuftande  natürlich  irgend  eine  von  der  gegenüber- 
liegenden Seite  des  Grabens  kommende  Fortfetzung,  die  ihn  eben  zur 
Brücke  macht.  Damit  nun  diefe  Brücke  die  Tendenz,  von  felbft  herab- 
zufallen, habe,  ift  ihr  Falz  unten  tiefer  als  oben,  fodafs  die  Thür  in  ge- 
fchloffenem  Zuftande  fchräg  lieht  und  keines  Anftofses  bedarf , wenn  der 
Plörtner,  fie  zu  öffnen,  die  Ketten  lölt.  Die  fchmale  Pforte  links  neben  dem 

1 Diefe  aber  nur  bis  zum  Weftflügel. 


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DIE  STADT  HALLE  U.  d.  SAALKREIS. 


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DIE  MORITZHUKO.  3’I 

Thore.  die  wohl  für  den  alltäglichen  Verkehr  ausreichte,  ifi  niedriger  und 
fpit/bogig  überdeckt.  Die  Zugbrücke  jedoch,  durch  die  fie  ficli  fchlofs, 
inufste  von  der  Höhe  der  des  Thores  fein,  um  geöffnet  ebenfo  weit  zu 
reichen  als  diefe,  nämlich  zu  dem  von  jenfeit  des  Grabens  kommenden 
Vorbau,  und  Co  lieht  man  denn  auch  hier  den  fchrägflehenden  Falz  bis  zu 
l'olcher  Höhe  emporgeführt  und  oben  geradlinig  abfchlicfsen.  Die  maffive 
Brücke  aus  fpäterer  Zeit  hat  die  unterden  Theile  des  Thores  verdeckt,  an 
der  Pforte  aber,  die  vermauert  id,  fieht  man  noch  die  zerflörten  Zapfen- 
lager in  den  Seitenquadern.  Jedenfalls  zum  Schutze,  ohne  dafs  fich  gerade 
angeben  liefse  in  welcher  Weife,  mufs  auch  der  Rückfprung  im  Mauerwerk 
!>ei  der  Pforte  gedient  haben.  Hier  über  dem  kleinen  Eingänge  hat  auch 
der  Cardinal  Albrecht  fein  Wappen  mit  der  Devife  SOLI  • DEO  • GLORIA  • 
anbringen  laden,  als  er  den  Thurm  ausbaute  bez.  erbaute. 

Ueber  der  Portalmitte  lieht  eine  Thurmecke,  an  welcher  hier  unten  die 
Figur  der  h.  Katharina  angebracht  ilt.  Es  fehlen  ihr  zwar  die  Hände  und 
die  kennzeichnenden  Attribute,  welche  fie  hielt,  aber  Rede  weifen  darauf 
hin,  dafs  fie  ein  Schwert  gehabt  hat:  überdies  gewahrt  man  zu  ihren  E'üfsen 
liegend  ein  Stück  des  vom  Blitze  zertrümmerten  Mederrades,  welches  fie 
beftimmt  als  h.  Katharina  kenntlich  macht.  Warum  diefer  Heiligen  Pfeile 
in  der  Brult  decken,  id  auch  mir,  wie  anderen  die  über  diefe  Figur  ge- 
fchrieben  haben,  nicht  verdändlich.  Allein,  da  die  Haltung  der  Figur  eine 
völlig  ruhige,  unbefangene  id  und  auf  diefe  Pfeile  nicht  im  geringden  Rück- 
ficht nimmt,  fo  wäre  nicht  unmöglich,  dafs  diefelben  eine  fpätere  Zuthat 
find.  Die  Heilige  trägt  das  Modecodüm  der  damaligen  Zeit.  Die  Behandlung 
der  Sculptur  id  eine  auf  dem  Naturdudium  fufsende  und  von  mehr  realidifcher 
Auffadung  ausgehende;  die  Statue  verdient  Beachtung. 

Rechts  und  links  von  diefem  Standbilde,  aber  noch  unter  dem  Thurm- 
anfange  liegen  je  zwei  Confolen,  deren  Zweck  ausfindig  zu  machen  mir  nicht 
gelungen  id.  Der  Thurm  id  gut  gebaut  und  hat  in  feinen  beiden  Ober- 
gefcholTen  nicht  gerade  grofse  Gardinenbogenfender.  „DasTach  und  Ober- 
theil“  id  nach  der  Meldung  des  Olearius  „1659  den  27.  Augudi  früh  umb  3 Uhr“ 
eingefallen.  In  Folge  der  befonderen  Erwähnung  des  Obertheiles  und  in 
Rückficht  auf  den  Zweck  des  Thurmes  zur  Wache  liefse  fich  annehmen, 
dafs  er  anfangs  noch  eine  Zinnenbekrönung  hatte,  hinter  oder  über  welcher 
das  Dach  lag.  Erwähnt  fei  auch  das  oben  an  der  nordwedlichen  Thurmwand 
befindliche  Wappen  des  Erzbifchofs  Johann  Albert  mit  der  Infchrift:  VON 
GOTTES  - GNADEN-  JOHANNES  ALBERTVS  • ERZBISCHOF  - ZV-  MAGDEB- 
MARGGRAF  . ZV  • BRANDENBVRG  • OBIIT  ANNO  MDL. 

Die  Südfeite  der  Burg  bietet  nichts  Merkwürdiges  aufser  einer  Reihe  südfeite, 
von  Confolen,  die  darauf  hindeuten,  dafs  hier  ein  Anbau  gelegen  war, 
deden  Pultdachfirilpfette  fie  unterdützten.  Die  Wedfront  hat  durch  die  Wertteile, 
beiden  Fenderreihen  der  oberen  Gefchode  die  reichde  Ausbildung  und 
das  dattlichde  Anfehen.  Allerdings  Tagen  unferem  Gefchmacke  die  beliebig 
veränderten  Achfenweiten  und  die  beliebig  angeordneten  Ausbauten  nicht 
zu,  ein  Abort  in  der  Hauptfront  eines  SchlofTes  wäre  jetzt  eine  Unmöglichkeit, 
die  damalige  Zeit  hat  darin  nichts  Andöfsiges  gefunden,  wie  man  fieht.  Die 
ß.  D.  d.  Bau- u.  Kunstd.  N.  F.  I.  21 


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DIP  ST AI)1'  HALLE  u.  <1.  SAALKKKIS. 


NordVcUc. 


Hof. 


322 

Fender  für  die  Keller  find  erfichtlicherweife  nicht  urfprünglich ; die  alten  haben 
alle  Sandlleingewände.  Die  getheilten  Fender  des  erden  Oberg efchoffes 
haben  über  jeder  Flälfte  einen  zweitheiligen  Gardinenbogen  Fig.  1 22  f.  S.  jiu. 
Ihr  Gewände  zeigt  nach  aufsen  nur  eine  Fafe.  nach  innen  aber  reicher- 
Protilirung.  Der  fad  halbkreisförmige  (iardinenbogen  der  oberden  F'ender 
bedeht  aus  vier  nach  unten  gefchlagenen  Bögen.  Sie  haben  eine  durch 
darke  Hohlkehlen  höchd  kräftig  wirkende  Profilirung,  deren  Glieder  ein- 
ander durchdringen,  um  dann  plötzlich  zu  endigen.  Die  F'enllergedaltung 
würde  alfo  auch  felir  wohl  zu  unferer  Annahme  paffen,  dals  im  letzten  G>- 
fchoffe  die  F'edfäle  gelegen  gewefen  wären  und  unter  ihnen  die  Wohngemächer. 
Das  Hauptfims,  von  dem  lieh  Stücke  auf  dem  Nordwedthurme  erhalten 
haben,  zeigt  eine  nüchterne  Kehle.  Ueber  ihm  haben  lieh  wohl  weder  an  den 
Thürmen  noch  an  der  Langfeite  Zinnen  befunden,  jedoch,  wie  auch  alte 
redaurirende  Abbildungen  die  Burg  zeigen,  wahrlcheinlich  verzierte  Back- 
lleinerkner,  geformt  wie  der  gleichzeitige  Giebel  am  Rathhaufe  und  folche. 
die  auch  fonfit  noch  jener  Zeit  angehörig  lieh  in  der  Stadt  finden.  Hinter  den 
Erknern  lag  das  Dach,  ficherlich  ein  hohes  und  Heiles  Satteldach  in  Schiefer- 
deckung. Die  Thurmhelme  diefier  Seiten  zeigen  auf  alten  Abbildungen 
intereffante  Formen.  Eine  Laterne  mit  Spitze  krönt  lie  und  hat  wohl  den 
Zweck  gehabt,  den  Wächtern  von  hohen  Standpunkten  aus  Umfchau  zu 
gewähren. 

ln  der  Nordfeite  der  Burg  liegen  ödlich  oben  die  drei  befchriebenen 
Kapellenfender,  und  ebendafelbll  befindet  (ich  eine  breite  Nifche  im  Mauer- 
werk mit  Harken  Confolen  Hier  fcheint  zur  fieitlichen  Vertheidigung  des  Nord- 
einganges ein  balconartiger  Ausbau  gelegen  gewefen  zu  fein.  Wir  haben  bei 
der  Kapellenbefchreibung  deffen  nicht  erwähnt,  weil  die  Anlage,  auch  nach 
gleich  hoch  im  Kapelleninneren  dort  angebrachten  Confolen  zu  fchliefsi-n 
erd  in  der  Zeit  der  Renaiffance  zugelügt  ilt.  In  Dispofition  und  Condruction 
unterfcheidet  lieh  der  Haupteingang,  der  ja  an  diefier  Seite  liegt,  nicht  von 
dem  der  Odfeite;  aut  Confolen  und  Bögen  vorgekragtes  Mauerwerk.  da> 
tiachbogige  Thor,  links  davon  die  kleine  Plorte,  den  fchrägen  Falz  u.  f.  w. 
findet  man  auch  hier.  Die  Oeffnungen  unterhalb  des  Einganges  werden 
nicht  urfprünglich  fein.  Eine  Auszeichnung  ilt  dem  Thore  durch  fünf  dark 
reliefirte  Wappen  geworden,  die,  gefchützt  von  einem  Gelimfe,  über  ihm  an- 
gebracht find.  Es  lind  die  fünf  Wappen  des  Erbauers,  des  Erzbifichots 
Ernd,  der  aus  dem  fächlifchen  Haufe  dämmte.  Ueber  dem  mitten  darüber 
befindlichen  Wappen  mufs  unter  einem  Baldachine  die  Statue  des  h.  Moritz 
ihren  Platz  gehabt  haben.  Sie  fiowohl  als  auch  der  Baldachin  und  fondiger 
umrahmender  Schmuck  find  aufser  einem  Steine,  in  welchem  man  die  ver- 
zierte Balis  eines  feinen  Runddabes  jederfeits  lieht,  verfichwunden. 

Im  Schlofshote  zeigt  lieh  aufser  dem  Thurme,  den  wir  fchon  kennen 
gelernt  haben,  keinerlei  architektonifch  lntereffantes.  Die  fpitzbogige  Thür 
und  andere  Detailsrede  des  Gebäudes  der  Südfeite  find  nicht  eben  bedeutend, 
was  unfere  Annahme  bezüglich  derBeltimmung  des  llaufes  zu  Wirthfchafts- 
zwecken  nur  bedärken  kann.  Der  Wedflügel  hat  etwa  inmitten  der  Strecken 
jederfeits  vom  Treppenhausrifialite  eine  breite  Kellerthür  von  wenig 


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L>IK  MOKITZMJRG. 


323 


intereflanter  und  fchlecht  erhaltener  Ausbildung.  In  die  Keller  gehen  ge- 
kuppelte quadratifche  Fenfter,  die  vermauert  find.  Die  Obergefchofle  haben 
hierher  nur  wenige  Fenfter.  zweitheilig  und  mit  Gardinenbögen  überdeckt. 
Intereflant  durch  feine  Architektur  ift  das  in  den  Hof  herausgebaute  Treppen- 
haus, conftruirt  im  Aeufseren  wie  im  Inneren  aus  wohl  behauenen  Quadern. 
Die  fpitzbogige  Thür  zum  Keller  ift  niedrig  und  weniger  ausgezeichnet  im 
Profil  als  die  Aufgangsthür  für  die  oberen  Gefchoffe.  Diefe  ift  nicht  nur 
reich  profilirt,  fondern  auch  von  einer  gefuchten,  aber  ihren  Zweck  als 
Treppenhausthür  wohl  ausdrückenden  Form.  Während  ihr  Profil  nämlich 
durch  das  erfte  Obergefchofs  hoch  hinaufgeht  und  dort  mit  einem  ganz 
fchlanken  Efelsrückenbogen  fich  überdeckt,  ift  die  eigentliche  Thüröffnung 
nur  mäfsig  hoch  und  zwar  dadurch,  dafs  das  Profil  fich  zu  einem  mehrfach 
geknickten  Bogen  in  Höhe  des  erften  Obergefchofsfulsbodens  abzweigt. 
Die  Oeffnung  der  fo  entftandenen  Oberpartie  der  Thür  ift  durch  einen 
fteinernen  Mittelpfoften  mit  einem  in  Folge  fpäterer  Ausmauerung  jetzt 
nicht  mehr  Achtbarer.,  vielleicht  auch  zerftörten  Maafswerke  gefüllt  und  hat 
fo  mit  Verglafung  ein  Fenfter  zur  Erhellung  der  Stufen  für  das  erfte  Ober- 
gefchofs  abgegeben.  Es  erhellt,  dafs  auch  damals  für  die  Haupttreppe  eine 
gute  Beleuchtung  Bedingung  war.  Im  Inneren  des  Weftflügels  fieht  man, 


KiE-  < 23- 


lr'E-  IZ4- 


Rippenprofil  im  Keller 
gegen  Wcfteu. 


Rippenprofil  oben  im  Weftflügel  gegen 
Süden.  (Capitelftubr.) 

dafs  der  Treppengang,  welcher  in  der  Oftmauer  liegt,  von  dem  Tödlichen 
Hügel  herkommt  und  zum  oberften  Gefchofle  hinaufgeführt  hat.  Wo  nach 
unferer  Meinung  die  Capitelftube  der  Magdeburger  Stiftsherren  lag,  geht 
ein  grofses,  breites  Fenfter  nach  Süden  zu,  fehr  wohl  einem  folchen Raume 
«•ntfprechend.  Sein  Gewände  ift  nicht  mehr  vorhanden.  Die  Rippenftücke 
'23)  2u  dem  flachen  Netzgewölbe  diefes  Raumes,  noch  an  ihrem  Platze 
befindlich,  erwähnen  wir,  weil  ihr  keilförmiges  und  jederfeits  mit  zwei 

21* 


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324  DIB  STADT  HALLE  u.  ü.  SAALKKKIs 

Kehlen  verfehenes  Profil  zwar  der  in  dieferund  fpäterer  Zeit  gebräuchlichen 
zweikehligen  Form  ähnelt,  aber  durch  einflark  vorfpringendes,  nafenartiges 
Plättchen  zwifchen  den  Kehlen  jeder  Seite  doch  ein  bei  weitem  pikanteres  Aus- 
fehen  erhält.  Auch  das  Rippenprofil  im  Kellerraume  diefes  Flügels  (Fig.  124 
hat  infofern  nicht  die  gewöhnliche  Form,  dafs  feine  obere  Kehle  viel  gröfser 
als  die  untere  ift.  An  der  Hoffeite  des  Nordflügels  mündet  nahe  der  Kapelle 
die  niedrige,  einfach  gehaltene,  flachbogige  Thür  der  Durchfährt.'  Sie  ill 
gleicherweife  wie  die  Thür,  die  in  einiger  Entfernung  links  neben  ihr  liegt, 
jetzt  vermauert.  Letztere  ift  jedoch  fehr  prächtig  ausgeziert  durch  ein  viel- 
gliedriges  Gewände  und  ift  mehr  noch  wegen  ihrer  mehrfach  geknickter, 
feltfamen  Bogenform  beachtenswerth.  Faft  die  gleiche  Ausbildung  hat  jene 
Thür  nahe  der  Nordweftecke,  durch  welche  man  zu  jener  rampenartigen 
Treppe  der  Keller  kommt.  Dafs  die  über  einander  liegenden  Fenfter  diefes 
Flügels  in  allen  drei  ObergefcholTen  gleichartig  find  und  dafs  die  nicht  ge- 
kuppelten oder  eintheiligen  wie  die  befchriebenen  drei  nördlichen  Kapellen- 
fenfter  ausfehen,  ift  fchon  gefagt  worden;  wir  fügen  dem  noch  hinzu,  dals 
das  Gewände,  aufsen  und  innen  gleich,  aus  Hohlkehlen  und  Plättchen,  die 
lieh  an  den  Schnittpunkten  der  verfchiedenen  Bögen  durchdringen,  com- 
ponirt  ift. 

Stil  4er  Das  Urtheil  über  den  Stil  der  Architektur  der  Moritzburg  wird 

Architektur,  abhängig  fein  von  der  Erwägung  des  kriegerifchen  Zweckes,  dem  ja  das 
Bauwerk  dienen  Tollte;  und  diefe  Beftimmung  giebt  ihm  natürlich  einen  eniften. 
fintieren  Charakter,  weil  (ich  die  Gefammtdispofition  und  alle  Detailbildung 
den  durch  die  Rücklicht  auf  Fertigkeit  und  möglich!!  grofse  Vertheidigungs- 
fähigkeit  des  Platzes  bedingten  Forderungen  unterzuordnen  hatten.  Int 
Aeufseren  find  es  die  gewaltigen  Baumaflen  mit  ihrer  geringen  Gliederung 
und  mit  ihren  riefigen  Wandflächen  ohne  Durchbrechung  in  rauhem 
lelfenartigen  Bruchfteinmaterial  meift  von  dunkeier  F'arbe,  welche  der 
Architektur  einen  ihrer  Beftimmung  gemäfsen  Ernll  verleihen,  und  darin 
unterftützt  werden  fie  von  den  Details.  Nicht  dadurch,  dafs  diefelben  auch 
ungegliedert,  roh  bearbeitet  und  von  riefigen  oder  plumpen  VerhältnilTen 
wären,  Tondern  vielmehr  dadurch,  dafs  die  gefammte  Schmuckweife  an 
Thüren,  Fenftern,  Treppen,  Pfeilern,  Rippen  u.  f.  w.  fich  lediglich  in  ganz 
ftrengen,  rein  kriftallinifch-tektonifchen  Gebilden  bewegt,  denen  zwar  eine 
Gelenkigkeit  ohne  Gleichen  aufgezwungen  ift.  die  aber  dennoch  niemals 
aus  ihrer  Rolle  fallen,  indem  fie,  pflanzliches  oder  figurelles  Ornament  untcr- 
mil'chend  , — wir  nehmen  die  beiden  Statuen  mit  ihrer  Umrahmung  aus  — 
fich  ihrer  ernften,  kalt  objectiven  Structurfprache  begäben.  In  den  Details 
tritt  uns  überall  noch  eine  rein  gothifche  Weife  entgegen,  nirgends  eine 
Zuthat  der  bereits  vor  der  Thür  ftehenden  RenailTance ; aber  die  Gothik  zeigt 
fich  uns  hier  in  ihrer  denkbar  gröfseften  Verkommenheit.  AlleBaukunft  hört 
auf,  fobald  die  Conllruction  durch  die  Decoration  ihrer  F'ormen  nicht  fichtbar 
. unterftützt  wird  oder  gar  mit  ihr  fichtbar  in  Widerfpruch  lieht;  und  das 
eben  ift  hier  der  Fall.  Zum  Beweife  wollen  wir  nicht  einmal  die  dienftlolen 
Kapellenpfeiler  ohne  Capitäl,  die  doch  Arkadenbögen  und  Gewölberippen 
tragen  müden,  anführen,  auch  nicht  die  fchwächlichen  Chorftrebepfeiler.  die 


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IMK  MOKITZIIUKG.  325 

hier  nur  eine  conventionelle,  durchaus  überflüfifige  Zuthat  lind,  da  fie  einen 
(iewölbedruck  nicht  bekommen,  ja  einen  Widerdand  gar  nicht  einmal  alle 
leiden  könnten  — oder  welche  Kraft  hat  jener  auf  Confolen  flehende 
Strebepfeiler,  der  doch  nicht  die  Wand,  fondern  den  erd  die  Wand  hält?  — 
wir  weifen  nur  hin  auf  Formen,  von  denen  auch  der  Nichttechniker  fogleich 
die  Widernatürlichkeit  einfehen  kann,  nämlich  auf  die  verfchiedenen 
Thüren  und  Fender.  Es  id  klar,  dafs  die  Bogenlinien  ihrer  Ueberwölbung, 
die  fich  nach  unten  biegen,  die  Vordellung  von  der  wirklichen  Conllruction 
des  Bogens  nicht  zum  Ausdruck  bringen,  fondern  ihr  widerfprechen.  Die 
natürliche  Einfachheit  hat  ihren  Reiz  verloren:  die  mehrfach  gebrochenen 
Bogenlinien  möchten  eben  etwas  ganz  anderes  vorllellen,  als  der  wirklich 
condruirte  Bogen  vermag;  alfo  Scheinformen,  nichts  als  lichtbare  leere 
Redensarten  find  alle  diefe  prunkfüchtigen,  gliederreichen  Kundgebilde. 
Wie  jene  überfchwengliche  Begeiderung  für  die  Ideale  der  Blüthe- 
zeit  des  Mittelalters  längd  aus  der  Welt  verfchwunden  war,  um 
einem  Scheinwefen  im  Leben  Platz  zu  machen,  fo  giebt  es  nun  auch  in  der 
Kund  nur  noch  Scheinwefen.  Ihre  widernatürlichen  Gebilde  find  eine  ficht- 
bare  Predigt  der  Gefetzlofigkeit.  Die  Reformation  und  die  RenailTance 
folgten.  Hiernach  bedarf  es  kaum  noch  einer  Aeufserung  über  den  Werth 
der  Architektur  an  der  Moritzburg:  an  fich,  lieht  man,  id  er  ein  geringer, 
aber  ein  bedeutender  in  kundgefchichtlicher  Hinficht:  die  Moritzburg  id  für 
Halle  das  Schwanenlied  der  Gothik. 

Zum  Schlufs  noch  einige  Bemerkungen  über  die  eigentlichen  forti- 
ficatorifchen  Anlagen  der  Burg,  die  zwei  unterfchiedlichen  Forderungen 
des  Bauprogramms  gerecht  werden  mufsten:  die  Burg  Tollte  ein  jedwedem, 
feindlichen  Angriffe  trotzender  Plafz  fein,  hatte  aber  auch  den  Zweck  — 
und  deshalb  war  fie  überhaupt  angelegt  worden  — einem  Damoklesfchwerte 
gleich  dändig  Leben  und  Gut  der  hallefchen  Bürger  zu  bedrohen.  Sie 
mufste  alfo  aufser  allen  möglichen  Anlagen  zur  Abwehr  auch  folche  zum 
Angriff  auf  Halle  haben.  Vertheidigungsanlagen  find  der  Wall  und  Graben, 
welch  letzterer  theilweife  unter  Waller  gedanden  haben  wird.  Von  den 
Eckthürmen  aus  laden  fich  immer  nach  zwei  Richtungen  hin  die  Langfeiten 
der  Burg  bedreichen.  Ein  Angriff  auf  letztere  mufs  denn  auch  weniger 
opportun  erfchienen  fein  als  auf  einen  Thurm,  wie  man  aus  der  Sprengung 
des  füdwedlichen  lieht.  Die  Aufsenmauern  der  Langfeiten  find  bis  zum 
Terrain  des  Hofes  undurchbrochen  aufser  von  ganz  kleinen  Auslugsfendern 
und  von  Schiefsfeharten  etwas  über  Grabenfohle,  die  ein  Eindringen  nicht 
gedatten.  Die  Schiefsfeharten  find  nun  fo  geordnet,  dafs  zunächd,  fo  weit 
fich  Kellereien  zu  ebener  Erde  befinden,  hier  ein  Gürtel  von  ihnen  nament- 
lich in  den  Thürmen  liegt.  Ein  zweiter  Gürtel  mehr  oder  minder  weit  aus- 
einander gelegener  Schiefsfcharten  umzieht  die  Burg  in  Höhe  des  Hofes 
bez.  in  Fufsbodenhöhe  des  erden  Obergefchoffes.  Ein  Gang,  dellenweife 
im  Mauerwerk  ausgefpart  oder  auch  wie  am  Chor  der  Kapelle  vor  dasfelbe 
gekragt,  verbindet  die  Gefchützdände  unter  einander.  Die  Thürme  haben 
noch  eine  Anzahl  Schiefsfcharten  zwifchen  diefem  unteren  und  oberen  Gürtel, 
auch  find  ihre  Obergefchofsfender  fehiefsfehartenartig.  Pechnafen, 


DieBefcftigungs- 
an  lagen 
der  Burg, 


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326 


l>IK  STAUT  HALLE  u.  d.  SAALKKKIS. 


Creneluren  u.  f.  w.  lalfen  fich  nicht  mehr  nachweifen.  Es  kommen  zweierlr: 
Arten  von  Schiefsfcharten  vor.  Die  in  der  Weftfeite  und  ihren  naheliegenden 
Thiirmen  find  aufsen  mit  guten  Quadern  eingefafst  und  von  langer,  fchmaler 
Form  der  äufseren  Anlicht.  Ihre  fchmalfte  Stelle  (im  Grundrifs)  ift  ziemlich 
weit  nach  aufsen  verlegt.  Hinter  der  fchmalften  Stelle  lieht  man  eine 
fchwache  Schutzmauer  mit  drei  oder  vier  etwa  quadratifchen  Löchern  neben 
einander  für  die  verfchiedene  Stellung  des  Gefchützes  eingefugt.  Es  hat 
den  Anlchein,  als  fei  diefelbe  erft  nachträglich,  wenn  auch  bald  eingezogen 
worden.  Die  Schiefsfcharten,  welche  in  den  beiden  bez.  drei  Thürmen  gegen 
Oflen,  in  der  Oflmauer  und  in  den  örtlichen  Theilen  der  Nord-  und  Südfeite 
liegen,  haben  eine  weiter  in  das  Mauerwerk  zurückgelegte  fchmale  Stelle 
und  werden  in  Folge  defTen  nach  aufsen  breiter  als  die  befchriebenen.  Auch 
find  lie  aufsen  etwa  quadratifch  oder  gar  breiter  als  hoch  und  oben  flach- 
bogig  mit  mehreren  Mauerfteinbögen  hintereinander  überwölbt.  Die  An- 
lagen zum  Angriff  auf  die  Stadt  mufsten  natürlich  an  der  gegen  Halle  ge- 
kehrten Oft-  und  Südfeite  gelegen  fein.  Fis  find  daher  diefe  Partien  der 
Burg  wenigftens  gegen  den  Südoftthurm  zu  auch  nicht  von  Gebäuden  be- 
fetzt,  fondem  haben  fehr  ftarke  Mauern  mit  zwei  Reihen  folcher  Plätze  er- 
halten, die  zur  Aufftellung  von  fchweren  Gefchützen  für  die  Befchiefsung 
der  Stadt  vortrefflich  geeignet  waren. 


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Die  Stadtmauern,  Thore  u.  f.  w. 


I3ereits  in  der  Einleitung  ilt  gefagt,  dafs  die  Ringmauern  I lalle's 
wahrfcheir.lich  fchon  zu  Anfang  des  12.  Jahrhunderts  annähernd  die  l.inie 
gebildet  haben,  welche  fie  bis  zu  ihrem  Verfalle  hatten  und  die  fich  noch 
heute  an  Ueberrellen  erkennen  läfst.  Wohl  kein  auf  uns  gekommenes  Stück 
kann  mit  Beftimmtheil  als  diefer  frühen  Zeit  angehörig  nachgewiefen  werden ; 
eine  genaue  Unterfuchung  lehrt  jedoch,  dafs  das  noch  vorhandene  Gemäuer 
aus  wefentlich  verfchiedencn  Zeiten  Hammen  mufs;  zum  gröfseren  Theile 
freilich  gehört  es  erlt  dem  fpäteren  Mittelalter  und  dem  16.  Jahrh.  an. 

Der  in  der  Halygraphia  des  Olearius  gegebene  perfpectivifche  Elan 
der  Stadt  im  17.  Jahrhundert  zeigt  noch  im  Ganzen  das  getreue  Bild  der 
mittelalterlichen  Beteiligung.  Weltlich,  wo  die  Saale  oder  doch  einer  ihrer 
Arme  der  Stadt  Schutz  bot.  genügte  eine  Mauer  am  rechten  Ufer  entlang, 
fofem  hier  nicht  fchon  niaflive  Gebäude  erbaut  waren.  An  den  anderen 
Seiten  war  die  Beteiligung,  wenn  auch  (tellenweife  verfchieden,  fall  überall 
von  drei  Mauern  gebildet,  von  denen  die  äufsere  etwa  1,0“  Hark  und  j.o* 
bis  5,0“  hoch  gewefen  iH.  Im  Oden  und  Nordollen,  wo  das  Terrain  des 
Martins-  und  Petersberges  anHeigt  und  eine  höhere  Mauer  kaum  Zwecke 
haben  konnte,  wurde  die  äufsere  Mauer  zur  Futtermauer.  Sie  ill  durchweg 
ohne  Thürme  gewefen.  Zwifchen  ihr  und  der  zweiten  Mauer  befand  fich 
ein  Graben  von  40“  (und  darüber)  Breite,  welcher  im  Mittelalter  überall 
fumptig  war,  dann  .aber,  als  die  Befeltigung  ihre  Bedeutung  verlor,  zu 
Gärten,  Schiefsfiänden  und  dergl.  ausgenutzt  wurde  und  fchliefslich  in  den 
letzten  Jahrzehnten  ausgefüllt  iH,  um  ein  Hädtifcher  Promenadenweg  zu 
werden.  Der  Graben  führte  je  nach  den  verfchiedenen  Partien  feinen 
N’amen  als  (Moritz-)Zwinger  und  Stadtgraben.  Von  der  zweiten  Mauer  hat 
fich  kaum  noch  ein  Stück  erhalten:  fie  iH  überhaupt  nicht  hoch,  vielleicht 
manneshoch  gewefen;  jedoch  fieht  man  aus  dem  genannten  Stadtplane, 
dafs  fie  mehrfach  von  Thürmen  unterbrochen  war.  Nur  wenige  Meter  von 
ihr  entfernt,  lag  die  letzte  Mauer,  die  höchfie  und  Itärkfie.  Sie  hatte  in  der 
Höhe  von  ca.  8,0“  eine  Crenelurenkrone  mit  Laufgang  von  einem  zum 
anderen  der  zahlreichen  Thürme,  die  rings  zu  ihrer  Verllärkung  dienten.1 

* Zwifchen  den  beiden  inneren  Mauern  lag,  wie  es  der  Zeichnung  des  Olearius  nach 
feheint,  ein  hoher  Wall  nicht.  — Als  folche  Thürme  nennt  M.  Spittemlorfl'-  den  Bäckerthurm, 
den  Kramerthunn,  den  Schrammen  Thurm,  Valentin  Kochs  Thurm;  es  ift  aber  nicht  lichcr,  ob 
diefe  Thürme  wirklich  alle  in  der  Kingmauer  lagen. 


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PIK  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKKEIS. 


Bevor  wir  in  die  Detailbefchreibung  eingehen,  fei  noch  erwähnt,  dafs 
auch  die  Vororte  durch  Mauern  mit  vielen  „äufseren  Thoren“  eingefchloflen 
waren;  ob  aber  fchon  im  Mittelalter,  möchte  fraglich  fein.  Diefe  Mauern, 
meift  zugleich  die  Mauern  der  Gehöfte  bildend,  können  kaum  aus  einem 
anderen  Materiale  als  Stroh  und  Lehm  Viellanden  haben;  es  hat  lieh  von 
ihnen  faß  nirgends  eine  Spur  erhalten.  Die  Stadtmauern  dagegen  behänden 
aus  mehr  oder  minder  gut  gemauerten  ßruchlleinen , und  zwar  wird  man 


Fig.  125. 


OIK  STAIUMAL’kKN,  TIIOKK  u.  f.  w. 


,3-Q 


Steinen  der  Klauskapelle,  und  es  verbleibt  hier  nur  noch  anzutühren, 

(dafs  diefes  Thorgebäude  wohl  das  einfachfte  unter  den  hallefchen  gewefen 
fein  mag:  es  befland,  fo  viel  fich  aus  der  Zeichnung  des  Olearius  erkennen 
läfst,  nur  aus  einem  Gebäude  mit  einer  Durchfahrt  im  Erdgefchoffe  und 
einer  darüber  gelegenen  Pförtnerwohnung  und  war  mit  einem  Satteldache 
zwifchen  einem  Oft-  und  Weftgiebel  gedeckt.  Etwas  weiter  füdlich  gelangte 
man  zur  Kuttelpforte  mit  einer  auf  die  Strohhoffpitze  führenden  Brücke. 
Sie  hat  ihren  Namen  davon  bekommen,  dafs  die  hallefchen  Fleifcher,  welche 
unweit  auf  dem  Strohhofe  ein  Gebäude  für  ihre  Schlachtochfen  hatten 
igewifTermaafsen  ein  Schlachthaus),  an  diefer  Pforte  die  Gedärme  des 
gefchlachteten  Viehes,  Kutteln  genannt,  zu  reinigen  pflegten.  Südlich  neben 
der  Pforte  findet  man  einen  Mauerthurm  von  Schalenform,  man  fieht  an 
dem  bereits  in  den  unterften  Schichten  aus  Bruchfteinen  und  ßackfteinen 
gemifehten  Gemäuer,  dafs  die  Erbauung  erft  zu  Ende  des  Mittelalters  ge- 
fchehen  fein  kann.  Die  Mauer,  welche  fich  von  hier,  die  Halle  weltlich  be- 
grenzend, bis  zu  dem  Johannis-  und  fpäteren  Cyriacihospitale  hinzieht,  wird 
in  ihren  unteren  Mauerfchichten  in  das  frühe  Mittelalter  zurück  zu  datiren 
fein.  Die  Sandfteinplatten  der  Schiefsfeharten  hier  find  (ammtlich  fort,  aber 
die  Schiefsfchartenplätze  erkennt  man  noch  ftellenweis.  Die  Mauer  wird 
an  der  Halle  von  der  Körber-  und  Saalpforte  durchbrochen,  die  man 
ebenfalls  noch  fieht;  aufserdem  bemerkt  man  eine  hohe  Schale,  die  auf- 
fälligerweile weder  auf  dem  Plane  des  Olearius,  noch  auf  dem  des 
von  Dreyhaupt  aus  dem  Jahre  1745  fich  vorfindet,  jedoch  fchon  zu  Ende  des 
Mittelalters  entftanden  fein  mufs,  wie  man  aus  der  Mauertechnik  und  der 
Form  einiger  Schiefsfeharten  — von  letzteren  geben  wir  in  Fig.  125  eine 
höchft  originelle  — erkennt.  Die  letzte  Strecke  amWafTer  entlang  nehmen 
ein  das  Hospital,  die  Moritzkirche  und  die  Moritzkloftergebäude  mit  der  den 
Kloftergarten  umgebenden  Mauer,  die  fich  an  das  Moritzthor  anfchliefst. 
Diefe  Mauer  ift  ziemlich  intact;  fie  bildet  eine  Reihe  von  Flachbögen,  über 
denen  ein  I.aufgang  hinter  einer  Schiefsfehartenreihe  hergeht.  Wie  fich  aus 
der  Form  der  SchiefsöfFnungen  Fig.  126  ergiebt,  kann  die  Mauer  erft  gegen 
Ende  des  Mittelalters  entftanden  fein.  Später  find  dann  noch  jene  Schiefs- 
fc harten  Fig.  127  eingebrochen,  welche  aus  Mauerfteinen  beftehen  und 
tiefer  als  die  genannten  liegen,  nämlich  in  der  die  unteren  Bogennifchen 
nach  aufsen  fchliefsendcn  Wand.  Das  Moritzthor  hat  aus  einem  äufseren 
Gebäude  von  unten  quadratifcher , oben  achtfeitiger  F'orm  und  aus  einem 
inneren  einfachen  mit  Satteldach  beftanden.  1457  wird  es  erneuert  fein: 
1471  ift  ebenfalls  an  ihm  gebaut  worden,  1572  jedoch  ift  erft  der  äufsere 
Thurm  vollendet.1  Zwifchen  den  beiden  Thorgebäuden  lag  die  Moritzpforte, 
durch  welche  man  auf  einen  nach  Glaucha  führenden  Damm  kam.  1710  ift 
ein  neues  Thor  angelegt. 

Hier  verläfst  die  Stadtmauer  den  Saalarm  und  wendet  fich,  jetzt  drei- 
fach und  mit  Graben,  gegen  Often  zunächft  bis  zum  Rannifchen  Thore  Es 
haben  fich  einige  Mauerftücke  erhalten;  die  Häuferflucht  hält  genau  die 


1 Ueber  die  Infchriften  und  den  Bafilisk  flehe  bei  v.  Dreyhaupt  1.  (>6S. 


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330 


DIB  STADT  HALLK  u.  d.  SAALKRKIS. 


Stadtmauerlinie  inne.  Von  der  äufseren  Mauer  fieht  man  noch  Reftc  in 
die  zwifchen  Mauergafte  und  Moritzzwinger  liegenden  I läufer  verbaut.  I )a- 
Kannifche  Thor,  urfprünglich  das  rodebellifche,  radewellifche  genannt,  be- 
iland aus  zwei  einfachen  Häufern  mit  Durchfahrt  die  jedoch  fo  zu  einander 
lagen , dafs  die  Achfen  der  Thore  nicht  zufammenfieien.  Nachdem  da- 
„krumme  Thor"  1461  am  Rannifchen  eingefallen  war,  veranftaltete  man  im 
nächllen  Jahre  einen  Neubau.1  Auf  der  Strecke  bis  zur  Oftfeite  der  Stadt 
(licke  der  Volksfchule)  hat  lieh  das  Gemäuer  an  mehreren  Stellen  fall  ganz 


Fig.  126. 


Scbiefslchartc  in  der  Mauer  am  Wäger  füdlich  der  Moritzkirche. 


in  der  ehemaligen  Höhe  mit  Creneluren  und  Schiefsfcharten  erhalten;  wir 
finden  auch  eine  Schale  Fig.  128,  deren  Entllehung  ziemlich  tief  in  da- 
15.  Jahrhundert  zurückgehen  dürfte  und  weiter  ölllich  einen,  wie  es  fcheint. 
erft  im  t6.  Jahrhundert  gemauerten,  eckigen  Thurm  von  geringer  Ausladung. 
1458  foll  der  Graben  vom  Steinthore  bis  zum  Rannifchen  Thore  angelegt 
fein.  Ob  hier  zuvor  ein  folcher  überhaupt  noch  nicht  vorhanden  war  ? Die 
Ecke  der  Süd-  und  Oftfeite  ift  von  einer  umfangreichen  Schale  in  der 
Mittelmauer  eingenommen  gewefen. 

Es  folgt  an  der  Oftfeite  das  Galg-  (jetzt  Leipziger-)  Thor,  weiche- 
feinen Namen  von  dem  Wege,  welcher  zum  Galgen  hinaustührte,  bekommen 

1 Siehe  die  Jnfchrifi  bei  v.  Drcyhaupt  I.  669. 


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DIE  STADTMAUERN,  THOKE  u.  C.  w. 


331 

hat  und  1573  erbaut,  jedenfalls  wieder  neu  erbaut  fein  foll.  Ks  belland  aus  drei 
zwilchen  der  äufseren  und  inneren  Mauer  belesenen  Gebäuden  mit  Durch- 
lahrten  und  wurde  von  einem  unmittelbar  an  dem  äufseren  Gebäude  nördlich 
gelegenen  runden  Thurrae,  der  fich  bis  heute  erhalten  hat.  gedeckt  Fig.  129. 
F.s  ilt  diefer  runde  Thurm  ganz  ifolirt  aufgeführt;  feine  Mauern  find  unten 
2.80 m dark  und  der  untere  Ourchmeder  des  Lichten  beträgt  3,30“  Oie 
Zwifchendecken  Xind  von  Holz.  Merkwürdig  ilt,  dafs  die  cvlindrifche  Geltalt 
des  Thurmes  im  Aeufseren  eine  Entalis  bis  etwa  zur  Mitte  der  unteren  un- 


FiK.  127. 


Uchicfsfcliartc  in  der  Mauer  am  Waffcr  fiidlich  von  der  Moritzkirche. 

gegliederten  Partie  hat,  in  welch  letzterer  gegen  Wellen  eine  kleine  fpitzbogige 
Kingangsthür  liegt,  und  welche  aufserdem  von  einigen  fchmalen,  auch  wohl 
maafswerkgefüllten  Fenlterchen  durchbrochen  wird.  Oben  kragt  lieh  ein 
niedriges  Gefchofs  aus.  durchbrochen  von  Schiefsfcharten  Fig.  130,  welche 
von  origineller  Ausbildung  lind  und  dem  Aeufseren  einige  Belebung  geben. 
Oie  jetzige  Helmform  ifl  die  urfprüngliche  nicht:  folche  wird  allerdings  der 
runden  Hauptform  mit  Harken  Aulfchieblingen  etwa  entfprochen  haben, 
aber  die  4 Lucarnen  l’owie  die  Laterne  mit  der  „welfchen  Haube"  können 
erll  der  Renaidance  angehören;  es  ilt  aber  wohl  an/.unehmen,  dafs  Lucarnen 


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33* 


l»IK  STADT  HALLK  u.  d.  SAALKKI  IS. 


und  Laterne  in  anderer  Ausbildung  bereits  anfänglich  vorhanden  waren 
Die  Herltellung  ilf  ganz  in  Bruchffeinen  mit  Sandfleinen  für  die  Ifructiven 
oder  ornamentalen  Theile  (Thür-  und  Fenltergewände,  Schiefsreharten. 
Simfe)  gefchehen.  Der  Helm  ilf  in  Schiefer  gedeckt.  Neben  der  Befchützuni: 
des  Galgthores  hat  der  Thurm  urfprünglich  unzweifelhaft  als  Wartthurm 
gedient.  Ohne  ihn  würde  man  den  Feind,  welcher  von  Olfen  kommt,  wo 


Fig.  128. 


Stadtmauerthurm  (Schale)  an  der  Neuen  Promenade. 


das  Terrain  Ifetig  Ifeigt,  nicht  früh  genug  gewahr  geworden  fein.  Wohl 
fchon  feit  dem  16.  Jahrhundert  hat  der  Thurm  auch  als  Uhrthurm  mit  einer 
Schlagglocke  in  feiner  Laterne  gedient.  Diefe  Glocke  von  0.73“  Durch- 
inelTer  ilt  umgegofTen  worden  — campana  haec  refusa  est  per  Joh.  Jacob 
Hoffmann  anno  Domini  MDCLXXIX  mense  Febr.  wie  die  übrigens  intereflV- 


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DIE  STADTMAUERN,  THORE  u.  f.  w. 


333 


Fig.  i:-j. 


Runder  Thurm. 


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33- 


Schiefsfcharte  im  runden  Thurme  (von  innen  gefehen  ) 

erlte  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  zu  fetzen;  jede  chronicale  Notiz  hierauf 
bezüglich  fehlt. 

In  der  Mauer  vom  Galgthore  bis  zum  Steinthore  lagen  verfchiedene 
Thürme,  unter  denen  fleh  jener  bereits  1 1 18  zugleich  mit  der  S.  Jacobikapelle 

1 Siehe  bei  Olearius  zu  (liefern  Jahre. 


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DIF.  STAOTMAl'KRN,  THORS  u.  f w. 


3.55 


errichtete  befunden  haben  mufs.  Bis  zur  Anlegung  der  Pollllrafse  ill 
unweit  der  Mündung  der  RathhausgafTe  auch  ein  als  Mufikantcnthurm1 
lienannter,  fchalentörmiger Thurm  vorhanden  gewefen.  Beträchtliche  Stadt- 
inauerrefte  find  noch  im  Hofe  der  Biirgerfchule  füdlich  zu  fehen,  und  in  folchen 
haben  fich  Schiefsfeharten  von  einfacher  Form  erhalten  Fig.  131  Ilellt  eine 
folche  dar  — , die  vielleicht  in  das  14.  Jahrhundert  zurückgehen;  überhaupt 
ill  das  Gemäuer  folide  und  deutet  auf  eine  relativ  frühe  Kntllehung.2  Als 
l'uttermuuer  gegen  den  Martinsberg  lieht  man  auch  noch  lange  Strecken 


biK.  '3'- 


Schicfsfcharle  in  der  Mauer  an  der  Poftftrafsc.  (Knabenfchule.) 


der  äulseren  Mauer.  Das  Steinthor  befiand  aus  drei  zwifchen  der  äufseren 
und  inneren  Mauer  belegenen  Gebäuden.  Aus  einer  Zeichnung  des  innerlten 
Thorgebäudes,  die  der  Baumeilter  Stapel  nicht  lange  vor  Abbruch  desfelben 
«•■macht  hat,  ergiebt  fich,  dafs  es  in  gothilcher,  vielleicht  in  frühgothifcher 
/-•■it  entllanden  ill.  aber  keine  Kunllfortnen  hatte,  die  von  der  1 1 82  erwähnten 
..porta,  quae  dicitur  lapidea“  herrühren  können.3  Unten  bildeten  Bruchfteine 

* Es  wohnte  in  ihm  der  Stadlnnificus. 

* Darnach  wäre  es  fraglich,  ob  auch  diefes  Stück  zu  der  „fteinernen  Pastey  /wifchen 
«lrm  Galgthore  und  dem  Kornhaufe“,  die  1538  angefangen  und  im  folgenden  Jahre  vollendet 
ift.  gehörte,  f.  Olcarius  zu  diefem  Jahre 

3 Vergleiche  auch,  was  v.  Dreyhaupt  1.  669  über  die  Kntftchung  des  Namens  Steinthor  Tagt. 


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DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKKEIS. 


336 

mit  Sandlleinfockei  und  Sandlleinecken  ein  vierfeitiges  Erdgefchofs,  während 
die  Obergefchoffe  ausBackfteinen  (?)  beltanden  und  achtfeitig  waren.1  Vom 
Steinthore  bis  zum  Ulrichsthore  fcheinen  nur  zwei  Mauern  mit  dazwifchen 
gelegenem  Graben  beltanden  zu  haben.  Von  der  äufseren  liegen  zwei  Rede 
am  Theater  und  an  der  Weltfeite  des  Häufercomplexes  zwilchen  Scharren- 
gaffe und  alter  Promenade.  Von  der  inneren  Mauer  haben  lieh  füdlich  vom 
Univerfitätsgebäude  Rede  erhalten,  deren  Technik  aul  eine  fpätmittel- 
alterliche  Entllehungszeit  fchliefsen  läfst.  Das  ehemalige  Barfüfserklolter 
bildete  einen  Theil  diefer  Mauer.  Das  Ulrichsthor  hat  feinen  Namen  von 
der  unweit  gelegenen  alten  Ulrichskirche  bekommen  (jetzt  Geillthor);  es 
belland  aus  drei  zwifchen  den  Stadtmauern  gelegenen  Gebäuden,  von  denen 
das  innerlle  thurmartig  war.  Die  weltliche  Verbindungsmauer  diefer  Thor- 
gebäude war.  wie  es  fcheint,  die  noch  vorhandene  Mauer  an  der  Univerfitäts- 
reitfchule  und  dem  zugehörigen  Garten.  1461  ifl  die  ,.Stadt-Mauer,  der 
Graben  und  Pforte  am  Ulrichsthor“  erbaut,  berichtet  von  Dreyhaupt.  jedoch 
wird  nicht  klar,  ob  öftlich  oder  weltlich  vom  Thore  gemeint  ift.  Bis  zum 
Bau  der  Moritzburg  dürfte  die  Stadtmauerlinie  füdlich  von  deren  Platze, 
auf  dem  ja  das  fchwarze  Schlofs  Hand,  gelegen  gewefen  fein  und  nördlich 
von  der  Neumühle  die  Saale  getroffen  haben.  Es  geht  das  namentlicli  aus 
chronicalen  Bemerkungen  über  die  I-age  des  Judendorfes  (aufserhulb  der 
Stadtmauern  um  das  fchwarze  Schlofs)  hervor;  aufserdem  wird  eine  Pforte 
in  einem  Walle  zwifchen  dem  Hügel  der  Moritzburg  und  dem  des  Domes 
erwähnt.  Die  Moritzburg,  als  eine  Zwingburg  für  die  Stadt,  wurde  natürlich 
mit  in  die  Stadtmauern  gezogen. 

1 Eine  Aufnahme  des  Steinthores  befindet  lieh  in  der  nachgclaffenen  Zeichnung  des  Bau- 
mcifters  Stapel. 


I 


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Das  Rathhaus. 


7 

t sn  den  älteften.  \vf*nn  auch  nur  noch  theilweife  erhaltenen  Profan-  <»• -Muckte, 
bauten  Halle’s  gehört  das  Rathhaus,  I* 132.  welches  den  gröfscren  Theil 
der  Oftfeite  des  Marktplatzes  einnimmt.  Seine  älteften  Formen  lallen  auf 
die  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  als  Entftehungszeit  fchliefsen.  Allerdings 
ift  das  gegenwärtige  Gebäude  weder  das  ältefte  auf  diefer  Stelle  noch  das 
ältefte  hallefche  Rathhaus  überhaupt.  Die  Chroniken  und  mündliche  Ueber- 
lieterungen  melden,  dafs  die  Stadt,  als  fie  noch  von  ihrem  erften  engeren 
Mauerringe  (f,  Einleitung!  umgeben  war.  alfo  bis  etwa  zum  Anfänge  des 
12.  Jahrhunderts,  bereits  am  alten  Markte  ein  Rathhaus  gehabt  habe,  und 
zwar  fei  dasfelbe  auf  der  Stelle  des  Haufes  No.  36  gelegen  gewefen. 

Freilich  ift  keine  Spur  von  ihm  auf  unfere  Zeit  gekommen;  das  Haus  No.  36 
ill  im  ib.  Jahrhundert  neu  erbaut  bis  in  feine  Fundamente,  und  gerade 
dasjenige,  was  man  in  Undicht  des  Alters  als  merkwürdig  hat  bezeichnen 
wollen,  nämlich  einen  Pfeiler  mit  einem  August us  umfehriebenen  BiklnilTe 
— jetzt  vermauert  ift  eine  neuere  Conftruction,  ein  ornamentirter  Fenfter- 
pfeiler,  charakteriftifch  für  die  Zeit  der  RenaifTance.  Immerhin  mag  hier 
dennoch  das  erfte  Rathhaus  geftanden  haben,  aber  nicht  als  ein  maftiv 
monumentales  Bauwerk,  fondern  als  ein  Fachwerksbau  mit  Schnitzerei  und 
lebhafter  Bemalung,  wie  die  älteften  Profanbauten  Halle's  zu  fchmücken 
Regel  gewefen  fein  wird.  Wann  llatt  diefes  erften  Rathhaufes  ein 
neues  an  der  Stelle,  die  das  heutige  inne  hat.  gebaut  ift,  wifTen  wir  nicht, 
erinnert  man  fich  indeffen.  dafs  1312  fall  die  ganze  Stadt  eingeäfchert  wurde’ 
fo  wird  man  es  wahrfcheinlich  linden,  dafs  auch  das  erfte  Rathhaus  bei 
diefer  Gelegenheit,  wenn  nicht  fchon  in  dem  grofsen  Brande  113O,  feinen 
Untergang  fand.  War  dem  fo.  dann  erklärt  fich  die  Wahl  des  Bauplatzes! 
zu  einem  Neubau  an  dem  jetzigen  Markte  als  dem  Verkehrsbrennpunkte 
des  inzwifchen  aus  der  Salzftadt  zur  I landelslladt  gewordenen  Ortes  fehr 
wohl.  Dafs  das  Rathhaus  bereits  1 366 1 2 genau  an  feiner  jetzigen  Stelle 
gelegen  gewefen  ift,  und  dafs  fchon  damals  die  Kapelle  S.  Crucis  — nicht 
alnge  vor  >327  erbaut  — in  ihm  bez.  an  ihm  gelegen  war,  kann  nach 
den  älteften  Erwähnungen  gar  nicht  zweifelhaft  fein;-’  über  fein  Ausfehen 

1 Ob  in  einer  auf  «lic  Kreuzkapclle  bezüglichen  Urkunde  von  1327  das  Kathhaus.  wie 
tu  vermuther.  ift,  auch  fchon  erwähnt  wird,  kann  ich  nicht  angeben,  weil  ich  den  Text  diefer 
t'rkunde  nicht  habe  lefen  können.  1 366  wird  das  Kathhaus  in  einer  bei  von  Dreyhaupt  I.  93 1 
No.  920  abgedruckten  Urkunde  erwähnt. 

2 Opel:  Denkwürdigkeiten  des  M.  SpittcndorfT  S.  14,  Anm.  lieft  das  Gegcnthcil  aus  den 
Erwähnungen  des  Rathhaufes  bei  von  Dreyhaupt  f.  931  , 932,  197  und  in  dem  Schöppenbache 
Bd.  V.,  S.  16*. 

B.  D.  d.  Bau-  u.  Kunstd.  N.  F.  I.  22 


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.138  DIE  STADT  HALLE  II.  (1.  SAALKREIS. 

Ausfehen  kann  jedoch  Bedimmtes  nicht  angegeben  werden.  Es  hebt  zu  ver- 
muthen.  dafs  auch  der  erde  Bau  aut  diefer  Stelle  nur  ein  Holzbau  war  wie 
jener  am  alten  Markte;  denn  wozu  hätte  es  1401  oder  fchon  1341  eines 
befonders  Harken,  maffiven  Thurmes  — jetzt  die  füdweftliche  Ecke  des 
Wagegebäudes  bildend  — „zu  E.  E.  Rathes  Archiv  und  fogenannter 
Claulur“  bedurft,  welcher  vom  Rathhaufe  — und  wahrfcheinlich  nur  von 
dielem  — durch  eine  fpitzbogige  Ueberbriickung  der  RathhausgafTe  zugängig 
war?  Wann  diefes  Fachwerksgebäude  durch  ein  maflives  erfetzt  i ff,  lalTen 
die  älteden  Bauformen  des  jetzigen  Rathhaufes  erkennen;  fie  geboren,  wie 
fchon  gefagt  ilf,  etwa  der  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  an.  Es  fällt  auf,  dafs 
diefer  Rathhausumbau  von  den  Chroniken  nicht  ausdrücklich  erwähnt  wird: 
wir  willen  aber  bellimmt,  dafs  1466  die  Keller  unter  dem  Rathhaufe  an- 
gelegt find1  und  M.  Spittendorff  gebraucht  1478  zweimal  in  feinen  Auf- 
zeichnungen den  Ausdruck  „das  neue  Haus“  in  der  Weife,  dafs  man  nur 
an  das  Rathhaus  und  zwar  an  defTen  ludlichen,  vom  Thurme  bis  zur  Süd- 
wellecke gelegenen  Theil  denken  kann.2 

Nunmehr  läl'st  lieh  an  der  Hand  noch  vorhandener  Formen,  die  wir 
befchreiben  wollen,  die  Unterfuchung  fortfetzen.  Wir  betrachten  zunächll 
das  Aeufsere  des  mehrfach  veränderten  Baues.  Den  nördlichen  Theil 
nimmt  ein,  was  von  der  Kapelle  zum  h.  Kreuz  übrig  geblieben  ill.  Die 
Gründung  diefes  Gotteshaufes  fällt  vor  das  Jahr  1 3 17 ; wir  fügen  hinzu, 
dafs  1501  das  Schiff  neu  und  wahrfcheinlich  höher  eingewölbt  wurde 
zugleich  mit  einer  Verlängerung  nach  dem  Marktplatze  zu  nämlich  um 
den  Vorfprung,  den  man  auch  heute  noch  erkennt.  Bis  zur  Reformation 
hatte  die  Kapelle  der  fchönen  Sitte  gedient,  welche  dem  Rathe  vor 
feinen  Sitzungen  eine  Mefie  zu  hören  ermöglichte;  nachdem  auch  fie  wie  l’o 
viele  Kapellen  im  16.  Jahrhundert,  eingegangen  war,  wurde  ihr  Inneres 
durch  einen  auf  neuen  Gewölben  liegenden  F'ufsboden  in  zwei  Gefchofle 
getheilt  und  tür  profane  /wecke  hergerichtet.  Vor  einigen  Jahrzehnten 
ill  auch  die  polygonale  Chorpartie  abgebrochen,  als  man  den  Flügel  für 
die  jetzige  Polizeiverwaltung  bauen  wollte.  Es  befindet  lieh  ein  gröfserer 
Theil  der  Werklleine  diefer  Kapelle,  namentlich  viele  Maafswerksllücke, 
noch  wohl  erhalten  im  Garten  des  Haufes  gr.  Märkerflrafse  1 1 , wohin  fie 
defTen  ehemaliger  Belitzer,  der  verdorbene  Dr.  G.  Schwetfchke,  ein  Freund 
der  Alterthümer  der  Stadt,  nach  dem  Kapellenabbruche  hat  bringen  laden.3 
An  die  Kapelle  fchlofs  fich  gegen  Süden  das  eigentliche  Rathhaus  an, 
welches  aber  im  Gegenfatze  zu  dem  heutigen  eine  gerade,  mit  der  Wedfeite 
der  Kapelle  bündige  Front  hatte  und  (udlich  wohl  rechtwinklich  fchlofs. 
Ein  Stück  der  Architektur  des  bald  nach  1466  ganz  maffiven  Gebäudes  hat 
fich  ziemlich  unberührt  erhalten,  jedoch  mufs  man  fich  die  Dachfläche  von 

1 Handfchrift  des  Schöppen  Hane  von  1591. 

2 Siehe  dazu  die  Anm.  Opel’s  S.  316  in  welcher  ebenfalls  angenommen  wird,  dafs  ein 
Theil  des  jetzigen  Rathhaufes  bezeichnet  fei. 

:1  Im  Rathhaufe  werden  zwei  Photographien  aufbewahrt,  welche  von  der  im  Abbruch 
begriffenen  Chorpartie  der  Kapelle  genommen  lind  und  über  die  Architektur  dcrfclbcu  einiget 
erkennen  laffcn. 


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1JAS  RATHHADS. 


330 


einigen  hohen  und  fpit/en  Luken  belebt  denken  (f.  die  Abbildung  bei 
von  Dreyhaupt).  Das  Mauerwerk  diefes  Theiles,  welcher  aus  einem  hoch- 
gelegenen Erd-  und  einem  ObergefchofTe  befleht.  iit  aus  gut  gefügten  Sand- 
lteinquadern von  grauer  Farbe  hcrgeltellt.  Die  Fugen  lind  nach  gothifcher 
Weife  bedeutungslos,  was  lieh  naiv  in  den  flachen  Entlallungsbögen  der 
geraden  Sturze  ausfpricht.  die  die  ziemlich  breiten  Fenlter  überdecken.  Die 
Sturze  find  mit  flach  eingehauenen  F.felsrücken  verziert,  während  die  Ge- 
wände jene  aus  Rundltab,  Kehle  und  Plättchen  beltehende  Profilirung  zeigen, 
die  an  den  Ecken  lieh  überfchneidet  und  die  verfchiedenlten,  reizenden 
Kriltallgebilde  als  F'ufszierrathe  trägt.  Einem  Fenflerquader  im  Erdgefchofs 
ill  ein  F’lachmuller  als  erlter  Verfuch  einer  Renaidancedecoration  eingehauen. 
Wie  noch  heute  lag  inmitten  der  ganzen  Rathhausfront  die  Thür  und  vor 
ihr  ein  „lleinerner  Tritt“1  d.  h.  einige  Iteinerne  Stufen,  wie  folche  noch  vor- 
handen, aber  vom  Thurme  überbaut  find.  Neben  dem  Eingänge  nördlich 
war  der  Fafade  eine  zierliche,  Iteinerne  Laube  vorgebaut,  deren  gut  profilirte 
(iewölberippen  — die  beffere  Profilirung  F'ig.  133  beweift,  dafs  fie  vor  1500 


Profil  der  Gewölberippen  in  Profil  der  Gewölberippen  im  Thurme. 

der  Laube. 


gearbeitet  find  — alles  ilt,  was  lieh  von  ihr  erhalten  hat.  Diefe  offene  Vor- 
halle war  gewifs  wie  an  den  Rathhäufern  anderer  Städte  auf  das  reichlte 
verziert  mit  allen  erdenklichen  Mitteln  der  damaligen  Architektur:  fie  Hand 
unmittelbar  vor  dem  Rathsfaale  und  in  Communication  mit  diefem,  fodafs 
Huldigungen.  Verkündigungen  an  das  Volk  u.  f.  w.  in  bequemer  "Weile  von 
ihr  herab  gefchehen  konnten.  Vermuthlich  reichte  fie  auch  bis  über  die 
eigentliche  Eingangsthür  in  der  Mitte  hinaus,  um  diefer  einen  bedeckten 
offenen  Vorraum  zu  bieten;  wenigltens  könnte  man  so  aus  den  noch  an  ur- 

I Bei  M.  Spiltemlorf  mehrfach  genannt. 

22* 


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34° 


I>1K  STADT  I1A1.LR  u.  d.  SAAIKRTIS 


fprünglicher  Stelle  vorhandenen  Rippen  fchliefsen,  die  theilweife  in  den 
Thurm  vermauert  find.  Am  Ende  der  Gebäudefront  nördlich  neben  der 
Laube  befand  fich  der  Kapelleneingang'.  So  war  das  Aeufsere  des  Rath- 
haufes  in  den  letzten  Decennien  des  15.  Jahrhunderts;  es  ift  immerhin  noch 
als  der  — wenn  auch  letzte  — bauliche  Ausdruck  des  foliden.  feinen  und 
fchlichten  Sinnes  der  begüterten  Stadtarifiokratie  anzufehen,  nach  deren 
Sturze  auch  das  Rathhaus  Wandlung  erfuhr;  wir  werden  noch  die  Gründe 
kennen  lernen. 

Eine  alte  Ilandl'chrift  der  Magdeburgifchen  Stadtbibliothek  berichtet: 
„In  demfelbtn  1500  und  eyn  Jare  in  der  woche  nach  dem  Sontage 
Quasi  modi  geniti  (18  — 24  April)  hat  man  angefangen  die  Capell  sancte 
Crucis  under  dem  Rathaufie  herauf!  lenger  zu  bauwen  mit  einer  vier- 
eckichten  auüladung  und  zcirlichen  Gebille,  auch  daneben  ein  neue  Mure 
am  Rathhaufie  lang  auf!  biü  zum  Tritte,  und  darüber  auch  ein  viereckichte 
ufTladunge  angelegt  und  bil!  under  das  dach  uffgezogen  mit  zcierlicher 
befTerung  und  deffelbigen  Sommer(s)  alfo  volbracht."  Der  fchon  erwähnte 
Kapellenvorfprung  entlland  mithin  1501,  ferner  eine  neue  Mauer  von  der 
Kapelle  bis  zum  Tritte  der  Thür  — natürlich  eine  Erneuerung  der  ja  vor- 
handenen Mauer  — und  fchliefslich  der  Thurm  über  dem  Tritte  vor  der 
Thür,  jedoch  ging  fein  Mauerwerk  nur  etwa  bis  dahin,  wo  das  Dach  an- 
fängt. Was  unter  den  „zcirlichem  Gebilde“  und  der  „zcirlichen  Befierung“ 
zu  verliehen  ift,  kann  nur  die  Bekrönung,  der  obere  Abfchlufs  des  Rifalits 
und  des  Thurmes  fein,  bei  erfteren  bis  zutn  Sommer  1883  noch  fo  weit  vor- 
handen, dafs  eine  llilrichtige  Wiederherllellung  unter  Zuhilfenahme  der 
von  Dreyhaupt'fchen  Abbildung  des  Rathhaules  fehr  wohl  möglich  gewefen 
wäre,  bei  dem  Thurme  aber  im  7.  Decennium  des  16.  Jahrhunderts  wieder 
abgebrochen,  wie  noch  gefagt  werden  wird.  Wie  cs  fcheint,  genügte  der 
neuen  VerfafTungsform  des  Rathes  nun  auch  das  alte  Raumbedürfnifs  im 
Rathhaufe  nicht  mehr;  man  baute  um  diefe  Zeit  — oder  ob  zufolge  einer 
Infchrift  unter  der  Statue  des  h.  Moritz  an  der  Südwellecke  25  Jahre  fpäter. 
bleibt  fraglich  — einen  Flügel  in  der  Leipzigerflrafse  llunipfwinklig  an. 
welcher  aber  nach  200  Jahren  als  gänzlich  baufällig  durch  einen  Neubau 
erfetzt  wurde.1  Diefe  drei  Stücke  von  1501  bez.  1526  find  nicht  mehr 
in  Quadern  ausgeführt  worden,  fondern  in  einem  Gemäuer,  welches  aus 
Bruchlleinen,  Ziegelllücken  und  reichlicher  Speife  belleht  und  nur  zu  den 
Ecken,  Simlen  und  Gewänden  Sand  [lein  vor  Sendung  zeigt,  während  die  Giebel 
fogar  in  Backlleinen  hergcftellt  worden  lind.  Die  Formen  findebenfo  wie  das 
Material  wefentlich  verfchieden  von  den  anfänglichen  Bautheilen.  Die  meltr- 
theiligen  Fender  haben  Gardinenbögen,  ihre  I’rofilirung  hat  keinen  Rund- 
Hab  mehr,  fondern  nur  Kehlen  und  Plättchen,  die  Giebel  aber  als  Treppen- 
giebel ausgebildet  find  durch  eine  Blendenarkatur,  die  fich  über  die  ganze 
Fläche  maafswerkartig  ausdehnt  und  durch  halbfteinftarke  vorgekragte 
L.ifenen  gebildet  wird,  verziert.  Sie  machen  einen  durchaus  malerifchen 

1 Die  Bemerkung  des  Olearius  zumjahrc  1535,  nach  welcher  „die  Schreiberei  lampt  dem 
Capitcl  auflin  Rathhaufe“  verfertigt  ift,  kann  fich  wohl  nur  auf  diefen  Flügel  beziehen. 


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UV.  KMIIIIAIS. 


.541 

Effect,  namentlich  der  Giebel  des  Kapellenrifalits  hatte,  bereichert  durch 
ein  aus  gekreuzten  Hack  (leinen  gebildetes,  wagerecht  durchlaufendes  Hand 
und  von  nur  wenigen  aber  um  fo  pikanter  wirkenden  E’entleröffnungen 
durchbrochen,  ein  originelles,  reizvolles  Ausfehen.  Die  nächlle  Bauver- 
änderung zeigt  uns  fchon  die  voll  zum  Ausbruch  gekommenen  Renaiflance- 
lormen.  1538  baute  Nickel  Hofman,  der  Meiller  der  Marktkirche  und  des 
Gottesackers,1  an  Stelle  der  alten  Laube  eine  neue,  die  halb  fo  weit  ver- 
trat. wie  ihre  zierliche  Vorgängerin,  von  welcher  bei  diefer  radicalen  Ver- 
änderung nur  die  fchönen.  künfllich  gearbeiteten  Rippen,  fo  weit  es  fein 
konnte,  erhalten  blieben;  allein  hatte  man  lie  1501  fchon  theilweife  ein- 
gemauert. fo  wurden  fie  jetzt  fogar  halb  weggefchlagen  und  die  Fetiller  in 
der  Wand  ohne  Rückficht  auf  lie  angelegt  paffend  zu  dem  Saale.  Die  neue 
Laube  beiland  in  einer  zwifchen  Thurm  und  Kapellp  gelegenen  Colonade 
welche  inmitten  einen  rifalitartigen  Ausbau  hatte;  im  Erdgefchofs  waren 
ionifche,  darüber  korinthifche  und  oben  dockenartige  Säulen,  zwifchen  den 
unteren  Säulen  bemerkt  man  Hache  Bögen;  den  oberen  Ablchlufs  bildete 
ein  grofser,  fchieferbehängter  Giebel,  gegen  den  fich  das  kleine  Ilaubendach 
des  Ausbaues  legte.  Die  Briilfung  im  erllen  Obergefchofs  beiland,  fo  viel 
fich  aus  der  von  Dreyhaupt'fchen  Zeichnung  erkennen  läfst,  aus  Steinplatte 
mit  Blendenmaafswerk,  im  zweiten  Obergefchofs  aus  weit  flehenden  Docken.2 
Ebenfalls  von  Nickel  Hofman  wurde  1568  der  Thurm  dadurch  verändert, 
dafs  er  llatt  der  „zcierlichen  befferung“  einen  vierfeitigen  Backfteinauffatz 
und  darüber  einen  achtTeitigen  Fachwerksbau,  mit  Metall  umkleidet  und 
allfeitig  von  je  zwei  Oeffnur.gen  durchbrochen,  fetzte.  Das  Dach  dazu  zeigt 
die  Efelsrückenlinie  und  hat  an  der  Sohle  jederfeits  ein  in  denfelben  Linien 
gehaltenes  Giebelchen  (Blendgiebel).  Was  den  Rathhausflügel  in  der 
Leipzigerllralse  anbetrifft,  fo  mufste  er  170z  wegen  Baufälligkeit  erneuert 
werden.  Die  Mittel  können  damals  nicht  reichlich  gewefen  fein;  man  ver- 
zichtete auf  eine  belfere  Fenllerbildung  und  begnügte  lieh,  allein  dem  Bor- 
tale mitten  in  der  E’a^ade  eine  kräftig  gegliederte  Ausbildung  durch  zwei 
dorifche  Halbfäulen  mit  Gebälk,  unter  dem  der  Thürbogen  liegt,  zu  geben 
und  das  darüber  gelegene  B'enllergewände  durch  Voluten  und  einen  Giebel 
zu  decoriren.  Nachdem  1749  jene  fpitzen  Thürmchen  auf  dem  Dache  ab- 
gebrochen waren,  bot  das  Rathhaus  im  wefentlichen  den  Anblick,  welchen 
es  bis  1883  machte.  Eiine  Beurtheilung  der  Renovirung  1883  lieht  uns  hier 
nicht  zu. 

Kommen  wir  nun  zur  Befchreibung  des  Inneren.  Der  Eingang  liegt  ua5  inn,.It. 
unter  dem  Thurme,  deffen  Erdgefchofs  eine  mit  einem  Netzgewölbe  über- 

* Dieter  M eitler  mufs  in  hiefigrr  tiefend  fehr  bekannt  und  gefugt  gewefen  fein,  hat  er 
doch  auch  die  Südpartie  des  Rathhaufes  zu  Merfeburg  erbaut.  Man  findet  dort  im  Tympanon 
des  Erkners  in  einem  runden,  vertieften  beide 

N * H 

snd  in  der  Fenftcrbriiftunj»  1561. 

- Dicfe  Laube  ifl  nur  im  Allgemeinen  erhalten  geblieben;  fchon  1627  hat  lie  miiffen  aus* 
gtbeffert  werden,  wefcntliche  Veränderungen  lind  mit  ihr  in  den  Vicmgrrjahren  unLrres  Jah- 
hunderts  vorgegangen,  zumeift  aber  hat  fie  1883  zu  leiden  gehabt. 


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deckte  Vorhalle  bildet.  Das  Rippenprofil  hat  jene  bekannte,  beiderfeits  mit 
zwei  Flachkehlen  profilirte  Form  Fig.  134.  ln  der  Xordwand  iß  ein  Wappen 
mit  Kartufchenumrahmung  ziemlich  lederhaften  Charakters  eingefetzt.  Die 
Thür  hat  fpätgothifche  Profilirung,  ilt  aber  einfacher  als  die  ähnliche,  welche 
im  Flur  rechts  liegt.  Man  gelangt  durch  letztere  in  Bureauräume,  die  theil- 
weife  gewölbt  find.  An  der  Treppe  zum  Obergefchofs  hat  fich  eine  originelle 
Dockenbriiftung  der  fpäteren  RenailTance  erhalten.  Man  bemerkt  oben 
einige  Thurmumrahmungen  inStein  aus  der  Entßehungszeitdes  Rathhaufe«, 
auch  im  16.  Jahrhundert  hat  man  dort  Thürgewände  eingefetzt.  Der  über 
der  Treppe  gelegene  Theil  des  Vorplatzes  im  Obergefchofs  iß  mit  einer 
Caffettendecke  in  Holz  überdeckt.  Die  Thüren  gegen  Weßen  fuhren  in 
Bureauräume,  in  denen  fich  die  F'enßer-  und  Thürgewände  durch  eine  fchöne 
fpätgothifche  Profilirung  mit  krißallinifchen  Gebilden  am  F'ufs  auszeichnen. 
Auch  ein  nicht  übel  concipirter  Thürflügel  mit  Intarfiem  in  Renaifiancefonnen 
hat  fich  dort  erhalten;  das  meiße  InterefTe  beanfprucht  jedoch  eine  Heiz- 
decke, welche  ohne  Zweifel  noch  aus  dem  15.  Jahrh.  herrührt  und  derart!? 
ausgebildet  iß,  dafs  durch  Kreuzung  ßarker,  gothifch  profilirter  Balken 
grofse,  von  vier  Kafletten  gefüllte  F'elder  entßehen,  auf  deren  Eckpunkten 
Zapfen  — leideralle  fehlend  — herabhingen.  Auf  diefe  Weife  bildet  fich  eine 
ebenfo  reiche,  wie  überfichtliche  Geßalt  einer  Decke,  die  zweifelsohne  bemalt 
gewefen  fein  wird,  jetzt  aber  mit  Oelfarbe  holzartig  geßrichen  iß.  In  dem 
Gebäudetheile  an  der  Leipzigerßr.  find  einige  barocke  Stuckdecken  das 
Werthvollße.  Der  Raum,  vor  dem  die  Laube  liegt,  zerfällt  durch  eine  Pteiler- 
ßellung  in  zwei  Theile.  von  denen  der  ößliche  ein  fpäterer  Anbau  iß.  Der  ganze 
Raum  dient  jetzt  als  Vorfaal  für  andere  Zimmer,  anfänglich  und  auch  noch 
im  16.  Jahrhundert  lag  hier  der  Rathsfaal.  Zunächß  iß  auch  von  hier  aus  das 
Obergefchofs  des  l'hurmes  durch  eine  Thür  mit  einem  Gewände  in  plumpen 
F'rührenaiffanceformen  zugängig;  neben  diefer  Thür  liegt  ein gleichermaalsen 
verzierter  Kamin.  Der  Thurmraum  bildet  das  „Syndicatsßübchen;"  ein 
prächtiges  Sterngewölbe  überfpannt  diefes  trauliche  Gemach,  dem  moderner 
glänzender  Oelfarbenanßrich  freilich  viel  von  feiner  Behaglichkeit  geraubt 
hat.  Eine  zweite  Thür  an  der  weltlichen  Vorfaalfeite  mit  rechts  urd  links 
einem  F'enßer  führt  auf  die  Laube  hinaus  wie  zu  alten  Zeiten;  nur  dafs 
anfangs  Laube,  Thür  und  Saal  im  Erdgefchofs  lagen.  Eine  dritte  Thür  an 
der  nördlichen  Vorfaalfeite  geht  in  den  oberen  1301  gewölbten  Kapellen- 
theil.  heute  die  Rathsbibliothek  bildend.  Es  find  ausfchliefslich  die  nüchternen 
Wölbungen,  die  einiges  InterefTe  beanfpruchen.  Der  im  Vorläale  flehende 
Schrank  in  RenailTance  formen  (Intarlien,  Architekturen  darßeilend)  ma? 
hier  ebenfalls  erwähnt  werden.  Was  nun  den  Vorfaal  anbetrifft.  fo  hat  et 
Pfeiler  von  achtfeitigem  Grundrifs,  zwifchen  denen  Flachbögen  liegen. 
Vermitteln  einiger  Architekturglieder  (meiß  Kehlen)  gefchieht  die  lieber- 
führung  in  die  von  ihnen  getragene  einfeitig  flärkere  Wand.  Die  Deck-- 
iß  wiederum  eine  gothifch  profilirte  Caffettendecke  mit  gleichen  Gefacht-n 
aus  Holz  wie  über  der  Treppe.  Die  F'enßer  gegen  dem  Hof  find  ähnlich 
denen  nach  dem  Markte  zu  profilirt  und  mit  Gardinenbögen  überdeckt,  aber 
fie  haben  mattere  F'ormen. 


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DAS  KAIHIIALS. 


343 


Von  der  ehemaligen  Grundrifsordnung  ift  nach  fo  mannichtacher  Orundrif*. 
Umgeftaltung  nicht  viel  mehr  zu  erkennen.  Zweifellos  nahm  der  Rathsfaal, 
die  „grofse  Dömtze“  in  frühefter  Zeit  den  gröfseren  Theil  des  Gebäudes 
ein.  Sie  erftreckte  lieh  von  der  Kapelle  bis  zum  T reppenanfange  und  in 
der  Tiefe  von  der  Front  bis  zu  der  naehgehends  in  die  achtfeitigen  Pfeiler 
des  befchriebenen  Vorfaales  aufgelöftetl  Hofwand.  Der  Fufsboden  lag  in 
der  Höhe  des  Erdgefchoffes,  mithin  um  die  Stufen  des  fteinernen  Trittes 
über  dem  Marktplatze.  Von  der  Ausftattung  der  „Dörntze“  hat  (ich  nichts 
erhalten;  vielleicht  gehörte  jedoch  eine  confolartige  Halbfigur  zu  ihr,  die 
vor  einigen  Jahren  aut  dem  Rathhausboden  gefunden  ift  und  jedenfalls  einen 
ausgezeichneten  Platz  inne  gehabt  haben  mufs.  Sie  ift  in  llolz  gefchnitzt 
und  durchaus  farbig;  fie  ftellt  einen  bärtigen  Mann  dar,  der  das 
ftädtilche  Wappen  hält.  Die  Arbeit  ift  fehr  gut  und  verweilt  auf  die 
zweite  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts.  In  den  Aufzeichnungen  des  M.  Spitten- 
dorff  gefchieht  „eines  Schrankes'*  d.  h.  einer  Schranke  Erwähnung;  es  bleibt 
jedoch  ungewifs,  ob  diefelbe  im  Saale  zu  denken  ift  oder  draufsen.  Im 
erfteren  Falle  würde  man  an  eine  lofe  Barriere  zu  denken  haben,  die  einen 
Theil  der  „Dömtze“  bei  Berathungen  und  Gerichtsverhandlungen  abgrenzte,1 
im  anderen  F’alle  würde  an  die  I-aube,  die  von  einer  Schranke  in  maafs- 
werklicher  Ausbildung  umgrenzt  wurde,  zu  denken  fein.  Der  übrige  füd- 
liche  Theil  des  Rathhaufes  war  zu  den  wenigen,  damals  nöthigen  Kanzleien 
und  Gefchäftszimmern  eingerichtet,  die  dann  zu  Beginn  des  16.  Jahrhunderts 
durch  den  Bau  des  Seitenflügels  in  der  T.eipzigerftrafse  erweitert  wurden. 

Wann  man  die  erften  Veränderungen  an  diefer  Ruumdispolition  vomahm, 
läfst  (ich  nicht  beftimmt  angeben;  vermuthlich  gefchah  es  1501  oder  1505. 

Die  Hofwand  des  Saales  wurde  zu  den  befchriebenen,  bogentragenden 
Pfeilern  aufgelöft.  der  Zeit  gemäfs  in  ebenlb  unfynimetrilch  unfehöner  wie 
unconftructiver  Weife  und  ein  Anbau  dahinter  im  Hofe  zur  Saalerweiterung 
aufgefuhrt.  Zugleich  legte  man  den  Fufsboden  um  ein  Gefchofs  höher, 
erneuerte  wahrlcheinlich  die  Decke  fo,  wie  fie  befchrieben  ift  u.  f.  w.  Der 
Rathfaal  hatte  nun  eine  Ausdehnung  von  der  Kapelle  bis  zum  Austritt  der 
jetzigen  Treppe  und  von  der  Gebäudelront  bis  zur  jetzigen  Hofwand.  Als 
Beweis  hierfür  diene,  dafs  die  Decke  über  der  Treppe  und  dem  Vorfaale 
gleichartig  und  erfichtlicherweife  ehedem  zufammenhängend  gewefen  ift, 
dafs  ferner  auch  die  Wand  zwifchen  dem  Treppenraume  und  dem  Bureau 
gegen  den  Marktplatz  ein  ausgemauerter  Bogen  gleich  jenen  im  Vorraume 
ift,  und  endlich,  dafs  die  Kunftformen,  welche  bei  Gelegenheit  diefer  Bau- 
veränderungen im  Inneren  entftanden.  nämlich  die  Pfeiler,  die  Flachbögen 
und  einige  Confolen  fowohl  an  den  Pfeilern  im  Saale  als  auch  an  folchen 
im  Erdgefchoffe  unmittelbar  vor  der  Treppe  nur  um  diefe  Zeit  können  ent- 
ftanden fein.  Eine  weitere  Bellätigung  finden  wir  in  folgender  Notiz:-  „Es 
wart  auch  daff  nauehaufT  ubir  defT  raths  dorntze  in  deine  jare  uffgehauen." 

(1505).  vorausgefetzt,  dafs  wir  den  Sinn  diefer  Worte  richtig  alfo  deuten:  Es 

* Siehe  Referat  über  einen  Vortrag  C.  W.  Hafe’s  in  der  deutfehen  Bauzcilung  1882  S.  418. 

'•*  Handfchrifl  in  der  Magdeburger  Stadtbibliothek  vom  Jahre  1 5°5* 


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1,1h  M'ADI  HAI.I.F,  u.  d.  SAAI.KKKIS 


Figuren. 


.344 


wurde  /u  einem  Neubau  hinter  bez.  über  dem  Rath.sfaale  das  Holz  werk  auf- 
gefchlagen.1  Wir  haben  noch  nachzuholen , dafs  unter  den  Bureauräumer 
des  alten  Rathhaufes  lieh  die  „Themnitz“  befand,  jene  Gefängnilfe,  in  denen 
mancher  Unfchuldige,  der  der  mittelalterlichen  Rechtspflege  zum  Opfer 
gefallen  war,  feufzend  und  fluchend  gefeiten  haben  mag.  „Wirdellu  alliier 
wetzen  — Szo  wird  man  dich  — in  die  Themnitz  fetzen  15.20“  ftand  dort 
bis  zum  Sommer  1883  in  einen  Quader  eingehauen;  dann,  hat  man  den 
Spruch  abfeharrirt.  An  die  rohen  Rechtszullände  alter  Zeit  erinnert  auch 
die  Nordweftecke  des  Thurmes,  an  welcher  lieh  das  Haiseifen  für  folchi- 
Uebelthäter  befand,  die  der  Pöbel  auf  Rathskoften  mit  faulen  Eiern  bewerfen 
durfte.  An  Gefängniflen  hat  es  im  Rathhaufe  überhaupt  nicht  gemangelt; 
es  gab  vornehmlich  eine  gut  ausgeflattete  Folterkammer  — fie  lag  vielleicht 
auf  der  Stelle  der  jetzigen  treppe;  bei  deren  Anlegung  hat  man  dort 
nämlich  ein  fchauerliches  Gefängnifs  gefunden  — dann  einen  „bürgerlichen 
Gehorfam,"  für  Weiber  die  „Blandinftube,“  für  „honoratiores“  eine  „gelbe 
Stube“  u.  f.  w. 

Zwei  Sculpturen  haben  fich  am  Rathhaufe  erhalten.  An  der  Leipziger- 
ftrafsenecke  lieht  auf  einer  Confole,  welche  über  einem  von  zwei  Figürchen 
gehaltenen  Wappen  ausgekragt  ili  und  wie  diefe  eine  Blattornamentik  zeigt, 
die  jedenfalls  dem  Meifter  der  Sculpturen  im  Dom  zugelchrieben  werden 
mufs,  die  Figur  des  h. Moritz.  Sie  toll  itSoder  Stadt  von  dem  Magdeburger 
Domcapitel  gefchenkt  worden  fein.  Ich  bezweifle  jedoch,  ob  es  noch  eben 
jene  gefchenkte  Statue  ili,  die  wir  hier  fehen,  meine  hingegen,  dafs  auch 
fie  erli  1 52(1  zugleich  mit  ihrer  Confole  und  ihrem  Baldachine  und  zwar  von 
jenem  Meilier  des  Domes  angefertigt  worden  ili.  Eine  genaue  Prüfung  und 
Vergleichung  der  Domfculpturen  mit  diefem  Stücke  läfst  das  lehr  wohl  er- 
kennen. Man  achte  befonders  auf  die  Profilirung  der  Fufsplatte,  aut  das 
Blattwerk  am  Schilde  und  dergl.  Die  Sculptur  zeichnet  fich  durch 
realiliifche  Autfalfung  aus,  hat  jedoch  einen  höheren  Kunliwerth  kaum,  ob- 
wohl die  Arbeit  recht  fauber  ausgeführt  ili  An  der  Nordweliecke  des 
Kapellenrifalits  ebenfalls  auf  einer  Confole  und  unter  einem  Baldachine  lieht 
die  andere  Figur,  angeblich  die  h.  Katharina:  fie  hat  im  rechten  Arme 
ein  Kreuzt?)  oder  doch  einen  Balken,  der  fi-nkrecht  lieht  und  in  der  Linken 
ein  Buch;  eine  Metallkrone,  früher  vergoldet,  fafs  auf  ihrem  Haupte,  doch  ili 
folche  feit  der  Renovation  des  Rathhaufes  1883  verfchwunden.  Als  Katharina 
macht  fich  die  Heilige  durch  ihre  Attribute  nicht  kenntlich,  und  daher  ili  es 
wahrfcheinlicher,  dafs,  da  die  F’igur  doch  an  der  Kreuzkapelle  lieht,  es 
vielleicht  die  h.  Helena  ili,  welche  das  Kreuz  Chrilti  und  die  Nägel,  die  zwar 
jetzt  nicht  mehr  vorhanden  find,  wieder  aufgefunden  hat.  Diefe  Sculptur  ili 
belfer;  grofse  reichliche  Falten  verhüllen  zwar  die  Körperfornu-n  noch 
all/ufehr.  aber  die  Bildung  des  üppig  vollen  Fleifches  an  Gefleht  und  Hand 
zeigt  eine  bereits  der  Renailfance  zuneigende  Weife. 

1 Ohne  Nolh,  , Hinkt  mich,  vcrmulhct  m;in  (Opel:  M.  Spiltrruiorfi I , dafs  „ulTpehaucn“  ah 
Schreibfehler  für  ,,uftßeb.iuen*‘  an/ufehen  fei.  Es  findet  lieh  nämlich  in  der  LchmannYcheft 
Chronik  der  Stadt  Delit/fch  /.um  Jahre  1664  der  Ausdruck  „atifhaucn“  in  einem  Sinne  gebraucht, 
der  dem  modernen  „auffchlagen“  von  Fach  werkswänden  vollii*  enifpricht. 


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PK  OK  VN  HAU  1 KN. 


345 


lm  Hofe  des  Rathhaufes  ift  ein  altes,  kleines  Fach  werksgebäude  bis  /ur 
Frbauung  des  Flügels  für  die  Polzeiverwaltung  vorhanden  gewefen.1  An  der 
(Weite  des  Holes  liegt  noch  jet/.t  ein  in  Bruchlleinen  ausgeführtes  Gebäude 
mit  Backlteingiebeln  und  fpätgothifchen  Thürgewänden  von  fpitzbogiger 
Form,  der  Marllall  genannt,  weil  des  Käthes  Pferde  unten  darin  ftanden, 
während  oben  Schutt-  und  Getreideböden  waren;  es  ilt  1516  nach  Olearius 
Angabe  errichtet,  hat  aber  keine  Bedeutung. 


Andere  Profanbauten. 

Der  Rathskeller  ift  ebenfalls  ein  aufAnlafs  des  Käthes  ausgeführter  Ratskeller. 
Profanbau,  der  der  Zeit  nach  dem  des  Rathhaufes  folgt.  Nach  von  Drey- 
haupt's  Angabe  hatte  der  Rath  fchon  1464  die  Nothwendigkeit  zur  Krrichtung 
eines  folchen  Gebäudes  hauptfächlich  zu  Zwecken  des  ftädtifchen  Wein- 
und  Biermonopols,  aber  auch  wohl  zu  Verfammlungen  und  Fellen  erkannt; 
indeffen  erll  148b  kaufte  er  an  der  Ecke  der  gr.  Märkerftr.  gelegene  Bürger- 
tiäufer  zum  Abbruch,  um  hier  den  Rathskeller  zu  errichten.'-’  1501  war  der 
Bau  fertig.3  Nach  Aufhebung  des  Monopols  lind  zwar  die  Räume  theil- 
vveife  auch  ferner  bis  heute  zur  Wirthfchaft  vermiethet  gewefen,  haben  aber 
auch  theilweife  anderen  Zwecken  dienen  müllen. 4 Der  Bau  nimmt  die 
öftliche  Partie  der  Südfeite  des  Marktplatzes  ein,  ift  in  Bruchlleinen  mit 
Quaderecken  ausgeführt  und  befteht  aus  zwei  KellergeichofTen.  einem  hoch 
gelegenen  Erd-  und  einem  Obergefchoffe.  Vom  Markte  aus  führen  zwei 
gothifche  Thüren  — fpäter  verändert  — , vor  denen  je  ein  Tritt  mit  Iteinernen 
Stufen  wie  am  Rathhaufe  liegt,  in  das  Erdgefchofs,  welches  grofse,  fall 
quadratifche  Fenller  hat.  Der  Sturz  ift  wagerecht  und  wie  das  Gewände 
reich  gegliedert  in  gothifcher  Weife.  Das  Dach  zierten  Giebel  und  fpitz- 
behelmte  Luken.  Der  Grundrifs  ift  ganz  verändert;  er  beftand  der  Haupt- 
fache nach  in  einem  wohl  inmitten  gelegenen  Saale,  an  welchen  fich  einige 
Nebenräume  anfchlolTen;  im  Obergefchofs  war  eine  Wohnung  für  den  Wirth. 

Im  Inneren  linden  wir  aufser  einigen  tief  gekehlten  Balken,  auf  denen  eine 
Holzdecke  von  nur  mäfsiger  Ausbildung  ruht,  nichts  Bemerkenswerthes. 

Nachdem  man  1695  einem  Buchbinder  erlaubt  hatte,  zwifchen  den  Thüren 
in  der  Front  einen  barocken  Anbau  anzulcgen,  und  nachdem  in  den 


1 Siehe  von  Orcyhaupl  II.  450. 

- Wenn  M.  SpillemloriT  1478  Ichrciht  if.  S.  416)  »lafs  fich  Jemand  habe  „verlohrcn  zun» 
«ein?  in  da»  neue  haus"  To  kann  an  »len  Rathskcller  wohl  noch  nicht  zu  denken  fein. 

3 Olearius  hingegen  merkt  Folgendes  an:  i486  lfl  der  Bier-  uml  Weinkeller  zu  hauen 
angeiangen  worden,  daran  man  fiinflf  Jahr  zugehracht  — 149?  I ft  der  Stadt-Keil  r zu  bauen 
angefangen,  darauff  A.  1502  tlic  Gibbcl  gefetzt  A.  1507  die  Bilden  gelegt.  — 1502  Beide  Ge- 
wölbe  auff  dem  Kaihs-Kcller  wurden  vollendet,  und  zween  flcincrne  Gibel  »Irauf  gefetzt  . . - 
1407  . . . I)cr  Boden  aulT  »lern  Stadt-Keller  geleget.'*  Aus  »liefen  Angaben  mag  crfchen 
werden,  »vie  unbcftinmit  Olearius  in  feinen  Notizen  ift. 

■*  Siehe  bei  vom  Hagen  ],  228  und  von  Dreybatipl  II.  360. 


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Roland. 


Bürgerhä.ifer. 


Holihüiifcr. 


3|0  DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKKEIS. 

Vierzigerjahren  des  1 8.  Jahrhunderts  die  kühnen  Dachthürmchen  wegen  Bau- 
lälligkeit  allgebrochen  waren,  wurde  178;  das  ganze  Obergefchofs  fowohl 
in  der  Einrichtung  als  auch  in  der  Aufsenarchitektur  verändert.  I)z- 
gothifche  Erdgefchofs  erhielt  ein  langweiliges  Obergefchofs  in  den  Formet 
jener  Zeit  und  darüber  wurde  noch  eine  Manfarde  gefetzt.  Aufser 
unbedeutenden,  als  Köpfe  ausgemeifselten  Confolen  erblickt  nian  an  der 
unten  abgefiumpften  Ecke  in  der  I.eipzigerflrafse  auf  einer  Confole  und 
unter  einem  Haidachine  die  Figur  der  h.  Magdalena  (?).  Sie  hat  langes 
lofes  Haar,  ihr  Gefleht  ilt  wenig  geiflreich,  auch  mangeln  ihr  alle  körperlichen 
Reize;  die  Arbeit  ill  kaum  mittelmäfsig.  Oie  Abltumpfung  der  Gebäude- 
ecke unter  diefer  Sculptur  wird  durch  einen  das  Stadtwappen  tragenden 
Schildhalter  wieder  in  die  fcharfe  Ecke  überführt. 

Bevor  wir  zu  den  Werken  der  Neuzeit  übergehen,  erwähnen  wir 
noch  die  Rolandsllatue  an  der  Südoltecke  des  rothen  Thurmes,  das 
Zeichen  der  Gewalt  über  Leben  und  Tod,  welche  Halle  im  Mittelalter 
hatte.  Urfpriinglich  Hand  als  ein  folches  Zeichen  eine  polychromirtf 
Holzfigur  auf  einer  Erhöhung  des  Bodens  neben  dem  in  die  Waage 
verbauten  Thurme  (?),  von  1311  — 1513  jedoch  in  der  Nähe  des  rothen 
I hurmes , bis  1547  wieder  am  alten  Platze  neben  dem  Waagethurme  und 
darauf  ein  zweites  Mal  am  rothen  Thurme  bis  1718;  in  das  Malz-  und 
Zimmerhaus  gebracht  ging  diefes  Holzbild  im  nächlten  Jahre  durch  Feuer 
zu  Grunde.  1711)  hatte  jedoch  der  hallefche  Bildhauer  Bürger  das  jetzige 
Steinbild  in  Arbeit,  welches  nun  an  dem  Schöppenhaufe  aufgellellt  wurde. 
Von  1817  bis  1854  lag  das  Steinbild  in  Stücken  auf  dem  Rathhaushofe 
und  hat  dann  feine  jetzige  Stelle  bekommen.  Dafs  die  Sculptur  äufserl't 
fehlecht  ift,  braucht  in  Hinblick  auf  die  Zeit  der  Verfertigung  wohl  kaum 
gefagt  zu  werden. 


Mit  dem  16.  Jahrhundert  wird  die  Baukunll  gewilTermaafsen  eine  bür- 
gerliche : das  thut  fich  fogar  in  der  Anlage  der  öffentlichen  Gebäude  unver- 
kennbar kund;  fie  lind  meill  nur  grofsartiger  und  luxuriöfer  ausgefühne 
Bürgerhäufer.  Es  rechtfertigt  fich  daher,  mit  dem,  was  fich  über  die  Bür- 
gerhäufer  fagen  läfst.  zu  beginnen  und  zwar,  da  fich  nur  wenige  HäulVr 
derartig  erhalten  haben,  dafs  fie  gleich  den  communalen  bez.  öffentlichen 
Bauten  eine  gefonderte  Befprechung  erfordern . zufammen/ufaffen . was  fich 
von  den  Stücken  gleicher  Art  hier  und  da  erhalten  hat,  um  aus  ihnen  ein 
Bild  der  bürgerlichen  Wohnungen  zu  Halle  in»  allgemeinen  fich  machen 
zu  können. 

Die  erflen  dauerhaften  Häufer  können  wohl  erft  nach  der  Befefligune 
der  Stadt  durch  eine  Ringmauer  entftanden  fein.  Auch  abgefehen  von 
den  Bränden  113z  und  1312  wäre  es  erklärlich,  dafs  (ich  gar  kein  Reit 
von  diefen  erften  Bauten  erhalten  hat,  denn  felbft  die  dauerhafteren  werden 
nur  von  Holz  gewefen  fein  und  zwar  läfst  fich  vermuthen,  dafs  fie  in 
gleichem  Zahlenverhältnifse,  wie  die  flavifchen  Volkselemente  zu  den 
deutfehen  (landen,  als  Blockbauten  conllruirt  waren.  Erll  mit  der  ton- 


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I’kOI-'AMt  Al'TI-  \ 


347 

fchreitenden  Germanifirung  wird  der  von  landwirthfchaftlichen  Bauten 
der  römifchen  Colonien  ain  Rhein  den  Franken  und  Sachfen  bekannt 
«(•wordene  Fachwerksbau  auch  in  Halle  mehr  und  mehr  die  flavifchen 
ßlockhäufer  verdrängt  haben.  Wie  aber  von  dem  flavilchen  Volks- 
elemente bis  in  die  Neuzeit  hinein  Spuren  zu  finden  gewefen  find , fo  auch 
von  flavifcher  ßauweife;  in  den  Holzhäufern  des  16.  Jahrhunderts  findet 
man  nicht  feiten  Blockwände  (z.  B.  im  Thalhaufe.)  Natürlich  find  die 
diefer  Zeit  ungehörigen  Holzbauten  — mit  Beftimmtheit  lallen  lieh  ältere 


l-'E-  '35- 


Kan/.lci}»affc. 


überhaupt  nicht  nachweifen  — in  Farbwerk  ausgefiihrt  d.  h.  fie  haben  aus 
Schwellen.  Stielen.  Rühm.  Riegeln  und  Streben  eonllruirte  Wände  mit 
lusgeniauerten  oder  ausgellaackten  Gefachen.  Da  fie  wohl  meill  von  den 
weniger  Bemittelten  erbaut  wurden,  hatten  lie  einen  einfachen  Grundrifs, 
wenige,  müglichlt  grofse  Räume  . die  je  nach  Bediirlnils  und  Laune  verändert 
werden  konnten.  Charakteriliifch  lür  das  Aufsere  ill,  dafs  die  GefchofTe. 
die  rückfichtlich  des  koftbaren  Bauplatzes  innerhalb  des  maueriimgebem  n 
Stadtgebietes  zahlreich  und  thunlichll  grofs  hergeftellt  werden  Tollten. 


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3-|8  DIE  M AUT  HAI.I.K  u.  d.  SAALKKKtS. 

einander  überkragen.  Vornehmlich  diefer  Umftand  gab  Anlafs  zu  einer 
kunftformalen  Ausbildung  der  Gebäude,  indem  die  hier  auftretenden  B<- 
Ziehungen  zwifchen  l.all  und  Stütze  dem  Auge  gefällig  klar  gelegt  werden 
konnten  oder  mufsten.  Sehen  wir  ab  von  den  wenigen  noch  gothifchen 
Bügen,  fo  war  die  einfachfte  Art,  die  tragende  Function  des  Balkenkopfes 
anzuzeigen,  dadurch,  dafs  letzterem  ein  dem  entfprechendes  Profil  ein- 


Kie-  136a.  Kig.  136b. 


Ecke  Kühler  Brunnen  und  kl.  Klausfirafse  Nr.  16. 


gefchnitten  wurde.  Kamen  noch,  wie  es  meiftens  der  Fall  ift.  Confolen 
zur  Unterllützung  der  Balken  hinzu,  fo  wurden  auch  diefe  dem  Zwecke  und 
dem  Holzmateriale  angemefTen  profilirt;  fie  mülTen,  was  li il richtige  Formen- 
fchönheit  anbetrifft,  oft  als  muftergiltig  erklärt  werden.  Wir  nennen  die 
fchöne,  richtig  empfundene  Linie  dos  Balkenkopfes  Fig.  137  b und  139b,  welche 
nicht  einfach  rund  ift.  fondern  zeigt,  dafs  lie  der  Künftler  — ein  folcher 
war  der  Zimmermann  — in  dem  Bewufstfein,  der  gegen  die  Laft  empor- 
ftrebenden  Kraft  Ausdruck  geben  zu  mülTen,  gemacht  hat.  Coufolen  der 


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IMtOFANHAUTlN. 


349 


verfchiedenfton  Art  zeigen  die  Figff.  135—  147.  1 )as  Rahmholz  wird  oft  (lil- 
gemäfs  mit  Bandmotiven,  Kerben,  Punkten  u.  dergl.  gefchmückt , während 


(las  zwifchen  den  Balkenköpfen  eingefetzte  Fiillftiick  und  die  aufliegende 
Schwelle  ftets  wenig  llens  gefall  lind  mit  gothifcher  Fafenendigung, 


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SüdflüErl  im  Hofe  der  W, 


Rathhausgaffe  Nr.  13. 


350 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


Fig.  135  und  136.  Aus  der  Gothik  flammend,  hat  fich  auch  lange  Zeit  er- 
hallen und  ill  geradezu  vorherrfchend  gewefen  jener  1 lnhlkehlen- und  Rund- 


llabfchmuck,  der  zwilchen  den  Balkenköpten  faß  immer  gleichartig  an 
Schwelle  und  Füllllück  ausgebildet  worden  ill.  Unzweifelhaft  foll  derfelbe 


PROFAXBAUTEN. 


353 


in  gothifcher  Auffaffung  ein  Band  darllellen , und  das  durch  einander 
gehende  Profil  der  Endigung  den  Knoten,  durch  welchen  der  Balken  ge- 
halten wird,  Fig.  137  — 142  und  Fig.  146.  Dafs  dem  fo  ill,  zeigt  die  Ent- 
wicklung; in  der  Blüthe  der  RenailTance  Ul  nämlich  wirklich  diefer  Theil 
gedrehten  Stricken  gleich  decorirt,  die  oft  fehr  reich  mehrfach  über  einander 


Fig.  144. 


Grafe  weg  Nr.  23. 


liegen , aber  dann  fo  geordnet  find , dafs  die  Bewegungen  der  Kräfte  lieh 
gegen  feitig  auf  heben.  E'ig.  147  und  148.  Die  feinlfe  Ausbildung  zeigt 
F'ig.  149;  hier  verkündet  fich  durch  die  Zierrathe  der  Eierlläbe,  der  Platten  und 
verfchiedener  Bandmotive  die  voll  aufgeblühte  RenailTance.  Ueber  den 
Balkenköpfen  iß  der  Schwelle  diefe  Infchrift  leicht  eingefchnitten  (und 
li  D.  d.  Ban-  u.  Kunstd.  N.  F.  I.  23 


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PKOFANJIAUTEN. 


355 


neuerdings  ift  diefelbe  mit  fchwarzer  Farbe'  aufgefrifcht,  daher  vielleicht 
nicht  ganz  zuverläfTig): 


DIEf . MENSCHE  LIEGEN  GOTT  KAN  NICHT  TRIEGEN  H • C • C 
ANNO  1609  (oder  1600' 

Anfpruch  auf  befondere  Beachtung  dürfen  auch  die  Simfe  am  Thalhnufe 


Trödel  Xr.  io. 


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356 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


Fig.  150  und  151  machen;  fie  vereinigen  Confolen  und  Bandfries  in  fchönfter 
Ausbildung. 


Die  Fach werks wände  felbfl  erhalten  durch  Andreaskreuze,  Kopf- 
und  F'ufsbänder  zwifchen  den  Stielen,  der  Schwelle  und  dem  Rühm 


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i'Koi  ixn  u'n 


,i,i7 


ein  feiles  und  in  kunftformaler  llinficht  mufterhaftes Gefüge;  leider  entzieht 
lieh  hiervon  jetzt  unter  dem  Putze  aus  l’päterer  Zeit  vieles  dem  Auge;  einen 


a Uii. 


Gr.  Uirichftr.  Nr.  38.  (Haus  zum  Schiffchen,  Sommer  1883  abgebrochen.) 

Begriff  mögen  folgende  Reife  geben:  kl.  Brauhausgalfe  Nr.  7,1  Hof  der 
Schäme  Obergefchofs  (vergl.  big.  i|6),  Hof  alter  Markt  Nr.  ’ , Anbau 


Hauptlims  am  Thal  häufe. 


alter  Markt  Nr.  20;  ZenkerffafTe  Nr.  12  jetzt  wieder  verputzt,  aufserdem  an 


* Dicfes  Gebäude  hatte 


bis  vor  Kurzem  noch  die  Au sft.it tu  14;  eines  Zimmers  in  Holzwcrk 


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.558  Dili  STAD'I  IIAI.LI.  11.  (1.  SAALKKK1S. 


der  Halle,  am  Trödel,  fowie  überhaupt  in  diefem  alten  Stadttheile  nahe  der 
Halle  vielerlei  Bruchrtiicke.  Die  GelcholTe  find  niedrig  und  die  Fenfter, 
welche  mit  Butzen-  und  Rauten fcheiben  verglaß  waren,  auch  als  Schiebe- 
fünfter  eine  andere  Eintheilung  hatten  — im  Hofe  RathhausgalTe  Nr.  6 iß 
noch  ein  folches  Fenfter  theilweile  auch  mit  alter  Verglafung  erhalten  — 
von  mäfsiger  Gröfse.  Das  hohe  und  Heile  Dach  wird  durch  gröfsere  Erkner 
und  Luken  — diele  auch  in  Reihen  z B.  gr.  Ulrichftrafse  Nr.  55  — unter- 
brochen, Einen  Totaleindruck  können  die  mehr  oder  minder  un  verfehlte* 
Fachwerksbauten  geben:  alter  Markt  Nr.  18,  welches  Haus  jedoch  1883  durch 
einen  Neubau  erfetzt  ift;  es  gehörte  vielleicht  noch  dem  15.  Jahrhundert  an 


•ög- 15>- 


Bandlims  am  Thalhaufc. 


Statt  der  Confolen  der  RenailTance  fall  man  rein  mittelalterliche  Büge  in 
denkbar  einiaeh der,  fall  roher  Ausbildung,  zugleich  Aermlichkeit  und  gegen 
die  Form  Gleichgültigkeit  bekundend.  Dabei  waren  die  Gefchofle  äufseri 
niedrig  und  weit  ausladend.  Auch  KuhgnlTe  Nr.  7 hat  noch  folche  (gothilche 
Büge  unter  einem  allleitig  trotz  der  engt  n Strafst-  weit  ausladenden  Obtr- 
gelchoffe.  Aus  der  Rlütluveit  der  RenailTance  nennen  wir:  Rannifchellr.  u 
mit  zwei  vorgekragten  Krkm-rn,  gr.  Ulrichftrafse  Nr.  31.  auch  das  Thal- 
haus  (Fig.  -oq).  Trödel  Nr.  10  und  andere  in  diefem  alten  Stadttheile. 

Man  liebte  es  wohl  fclion  in  gotbifcher /i-it  das  F.  rdgcfcho  fs  maffiv 
von  Steinen  und  die  ObergefcholTe  in  Fachwerk  zu  erbauen,  indem 
wo  möglich  ältere,  fclion  vorhandene  Mauern  z.  B.  Stadtmauern  benutz;? 
und  in  diel'elben  Thür-  und  Fenfteröftnungen  einbracli.  So  wenigliens  er- 
klären fich  verfchiedene  Tpitzbogige  Kinfalirtsthore  in  mafliven  ErdgefchelAn 
des  ftiteßen  St udtl heiles.  Fenller  jedoch  aus  gothifcher  Zeit  lind  darum 
feilen,  weil  lie  dem  veränderten  ZeitbedürfnilTe  gemäfs  in  fpäterer  Zf! 
als  das  kriegstüchtige  Mittelalter  einer  humaneren,  den  friedlichen  Befchä'- 


t heil  weife  erhalten  (Thürbekleidung,  Decke,  Gefimfe).  Andreaskreuze  mit  Nafen  lieht  man 
noch  im  erften  Obergefchoffe  diefcs  Haufes  gegen  den  Garten  zu. 


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Ladcnfcnder  in  der  Marienbibliothek. 


gröfserte  Fenlferumgelfaltung  trat  nicht  feiten  noch  einmal  /u  Anfang  des 
l£  Jahrhunderts  ein. 

Die  maffiven  Gebäude,  weniger  leicht  veränderlich  als  jene  von  Suinlwuirn. 
Hol/,  waren  im  Erdgefchofs  vielfach  überwölbt  und  wie  noch  heute  /u 
Läden  und  Magazinen  benutzt.  Schaufenlh-r  freilich  hatte  man  nicht  f<> 
grofsartig  wie  heute;  Fig:  152  zeigt  deren  Anordnung,  und  folche  hat  lieh 
an  diefer  Stelle  als  ein  feltenes  Beifpiel  fall  unberührt -erhalten.  Die  älteren 
gewölbten  Läden  fcheinen  klein  gewefen  zu  fein  nach  den  beiden  Beifpielen 
zu  fchliefsen,  diclich  gr.  UlrichlfrafseNr.  21  und  gr.  Steinlfrafse  12  .ils  folche 
mit  reizenden  Xetzgewölben  möglicherweife  noch  aus  dem  15.  Jahrh. 
erhalten  haben.  Im  16.  Jahrhundert  erweiterte  man  folche  Räume  dadurch 
■Ulfs  man  auch  ausgebildete  Säulen  und  Pfeiler  zum  Tragen  der  nun  ein- 
facheren und  rippenlofen  Kreuzgewölbe  gebrauchte,  fo-  kühler  Brunnen, 
kleine  Klaus  (fraise  Xr.  3.,  Kleinfchmieden  Xr.  1.  gr.  Steinlfrafse  Xr.73.  und 
andere. 

Das  Erdgefchofs  maffiver  Gebäude  war  falt  immer  als  Hochparterre 
angeordnet  und  hatte  wo  möglich  einen  überwölbten  Hausflur,  fo  kleine 
Klausltrafse  Xr.  14.  gr.  Ulrichllralse  Xr.  55,  Rathhausgaffe  Xr.  1(1.  Barfülser- 
Itrafse  Xr.  14.  Balkendecken  aber  linden  lieh:  Rannefehelfralse  Xr. ’o, 
gr.  Ulrichitrafse  Nr.  4,  im  Waagegebäude.  Xeben  folcher  Durchfahrt  liegt 


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360 


DIE  STADT  HALLE  u d.  SAALKKEIS. 


im  Ilofe  ein  Treppenthurm  mit  einer  Wendeltreppe,  deren  Tritte  und 


F>6-  '53- 


Rathhausgaffc  17.  Fenftcr  mit  Gitter. 


Spindel  eine  ornamentale  Ausbildung  erfahren:  gr.  Ulrichllrafse  Nr.  55, 
Marienbibliothek,  kühler  Brunnen,  Waagegebäude,  gr.  Märkerftrafse  Nr.  2: 


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PROFANHAUTKN. 


3f>l 

Leipzigerdrafse  Nr.  4 (jetzt  vom  kl.  Sandberge  aus  zugängig)  u.  f.  w.  Kleinere 
Käufer  haben  die  Treppen  meid  inmitten:  Brüderdrafse  Nr.  8,  (Fig.  202). 

Gr.  Ulrichflrafse  Nr.  4,  Rannifchellr.  Nr.  20 (?) 

Kig.  154.  Die  Einrichtung  der  Erdgefchoffe  zeigt  ein 

Streben  nach  grofsen , weiten  Räumen, 
deren  Ausflattung  befonders  in  den 
fpäteren  Decennien  fich  zu  einer  bis  auf 
unfere  Tage  muderhaften  ausbildete,  weil 
fowohl  der  Stoff  (Holz  und  Zeug)  als  auch 
die  Formen  dem  Klima  und  dem  gemüth- 
lichen  deutfchen  Familienleben  angepafst  find. 
Bis  1882  hatte  fich  ein  folches  im  Thalhaufe 
verhältnifsmäfsig  gut,  fad  volldändig  er- 
halten; das  zweite  Zimmer  ebenda  gehörte 
fchon  in  das  17.  Jahrh. ; ebenfo  id  hier  zu 
nennen  ein  holzvertäfelter  Raum  in  der 
Marienbibliothek.  Decken  von  Holz  find  noch 
mehrfach  auf  unfere  Zeit  gekommen:  Rath- 
hausafle  Nr.  5,  Leipzigerdrafse  Nr.  94,  (wohl 
Ecke  kl.  Ulrichstr.  u-  Dachritzgasse.  von  ejnem  Schüler  des  Meiders,  der  das  Thal- 
hauszimmer 1594  ausgedattet  hat,  gemacht) 
Rannifchedrafse  Nr.  20  (einfach),  in  den  Predigerhäufern  am  Dom  u.  f.  w. 

Am  Aufseren  der  maffiven  Gebäude  erfährt  vornehmlich  das  Portal 
eine  Ausbildung  in  figuralen  und  ornamentalen  Steinmetzarbeiten.  Die 
Fendergewände  bleiben  verhältnifsmäfsig  einfach,  haben  aber  eine  reich- 
gliedrige  Profilirung,  fie  treten  nicht  wie  in  der  Barockzeit  mit  dem  Ge- 
wände vor  die  Wandfläche,  fonderr.  liegen  mit  dem  Verputze  bündig. 
Für  die  Erdgefchofsfenfler  bildete  es  wohl  nach  italienifchem  Vorgänge  die 
Regel,  fie  mit  Gittern  in  Schmiedeifen  zu  verwahren;  F’ig.  153  zeigt  ein 
folches  von  den  wenigen  noch  vorhandenen  und  beffer  durchgebildeten, 
(iurtgefimfe  dürften  erd  nach  der  Mitte  des  16.  Jahrhunderts  gemacht  worden 
fein;  meid  fchliefst  ein  Confolenhauptfims  die  'Päfade  nach  oben  ab. 
Fbrigens  bleibt  die  Wand  der  Fäi^ade  glatt,  und  es  mufs  daher  aller  Wahr- 
icheinlichkeit  nach  ein  malerifcher  Schmuck  in  Sgrafitte  hinzugedacht 
werden,  der  fpäter,  als  alle  Fläufer  ,,egal  gelb“  angedrichen  wurden,  ver- 
loren ging.  Die  Strafsenecken  an  den  Eckhäufern  dumpft  man  — ob  auf 
pizeiliche  Vorfchrift?  — ab,  aber  nur  im  Erdgefchofs,  und  fchmückt  die 
Feberführung  in  die  fcharfe  Kante  durch  einige  den  dructiven  Sinn  aus- 
fprechende  architektonifche  Glieder  Fig.  154.  Das  Obergefchofs  hat  zuweilen 
rin  Erknerthürmchen  an  der  Ecke  oder  wie  ehemals  am  Waagegebäude1 
•chon  von  unten  auf  in  der  F'ront  ausgebaut,  welches  den  malerifchen  Ein- 
druck des  Enfembles  wefentlich  unterdützt.  Fig.  155—157.  Plauptfächlich 
jedoch  id  es  der  Giebel,  der,  zumeid  aus  Backdeinen  bedehend,  durch 
zahlreiche  Simfe,  Lifenen,  Verkröpfungen  und  durch  eine  fehr  bewegte 

1 Siebe  die  Abbildung  bei  v.  Dreyhaupt  II. 


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1 >1 1-:  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKKKIS. 


562 


obere  Abfchlufslinie  diefen  Eindruck  hervorruft,  indem  er  dem  Haufe  eine 
malerifche  Krone  auffetzt  Fig.  158  und  159,  ferner  gr.  Ulrichftrafse  Nr.  tg, 
alter  Markt  Nr.  2 und  andere  mehr.  Bevor  man  aber  zu  diefem  Giebeltypus 


F'g-  '55- 


Erkner  am  Kühlen  Brunnen. 


gelangte,  der  lieh  bezüglich  der  Lilenen  und  Kröpfe  mit  der  Zeit  verein- 
fachte: Marktplatz  Nr.  11.  1.5  und  15.  auch  Giebel  der  Neumühle  — erging 
man  lieh  zu  Anfang  des  Jahrhunderts  in  einer  von  der  Gothik  noch  Hark 


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l'KOKANBAUTKN. 


JÖ3 

beeinflufsten  Decoration,  welche  lediglich  in  KunlUlücken  des  Maurerhand- 
werkes beiland , zu  denen  Zirkelfchläge  und  der  Backllein  ausreichend 


Erkner  Ecke  kl.  Ulrichflr.  und  Berggaffe. 

waren,  Fig  160  und  161,  im  Hof  Marktplatz  Xr.  19.  Ecke  Marktplatz  und 
KühlebrunnengalTe,  namentlich  aber  die  alten  Rathhausgiebel  von  1501 


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DTE  STADT  HALLE  u.  d.  SA  AUCH  EIS. 


Erkner,  Ecke  kl.  und  gr.  STcinftrafsc. 

l.inienziige  find  willkürlich  und  dienen  nur  zur  Belebung  der  fonfi  glatten 
Giebelflächo ; ihre  Wirkung  i ll  wie  die  aller  fpätgothifchen  Producte  nur 
decorativ,  nicht  mehr  confiructiv. 


bez.  1526.  Die  vor  die  Fläche  gekragten,  linienbildenden  Steine  find 
erfichtlicherweife  einer  Conftructionsnothwendigkeit  nicht  entwachfen,  die 


Kg-  « 57- 


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PROFAN HAUT KN. 


365 


Diefer  allgemeinen  Befchreibung  muffen  wir  eine  befondere  der  Por- 
tale folgen  lalTen.  In  kunftformaler  Ausbildung  hat  man  fie  im  16.  Jahrh. 
vor  den  übrigen  Bautheilen  bevorzugt,  untl  fie  haben  (ich  aufserdem  fo 
zahlreich  bereits  feit  den  letzten  Zeiten  der  Gothik  erhalten,  dafs  lieh  an 
ihnen  der  Entwicklungsgang  der  Kunft  fchrittweife  wohl  verfolgen  läfst 


Ki«-  >58. 


Rannifcheftraf.se  Nr.  9.  Kenaiffanccgicbel. 


Zuerß  wäre  das  Portal  am  Haufe  zum  „goldenen  Schlöfschen“  Schmeer- 
firafse  Nr.  12  zu  nennen,  Fig.  162,  welches  Haus  folgende  Minuskelinfchrift 
auf  einer  fimsüberdeckten  Steinplatte  an  der  Nordweftecke  trägt: 

aio  Dili  m crrrizxi  ipa  = ipapav  - paulo  • frcDrir 0 inpraturr  ■ ac  ■ iol)ür 
ard)irpo  magibgsi  laüptius  prrloir;  fSbaoit. 

Die  Thür  ift  einfach  fpitzbogig;  ihr  Gewände  in  gothifcher  Weife  reich, 
aber  noch  recht  verftändig  protilirt,  die  Technik  jedoch  ilt  weniger  gut. 


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|66 


DIE  STADT  HALLE  a.  d.  SAALKREIS. 


> 

n 


5* 

rr 


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•i»Si 


PROFAN  HAUTEN. 


.167 


Uebor  der  Thür  ifl  in  einer  breiten,  flachen  und  flachbogig  überdeckten 
Xifche.  welche  von  einem  Efelsrückenfims  zwifchen  zwei  flankirenden  Fialen 
abgedeckt  wird,  ein  Schlofs  mittelalterlicher  Form  gemeilselt.  Neben 
letzterem  bemerkt  man  jederfeits  eine  als  Kopf  ausgebildete  C'onfole,  wohl 


Kig.  160. 


Moritzkirchhof  Xr.  4 fccn  Orten). 


für  Lichter.  Heiligenbilder  oder  dergl.  bellimmt,  und  auf  dem  Wafferfchlage 
der  Nifche  find  zwei  krokodilartige  Unthiere,  die  fich  miteinander  zu 
fchaffen  machen,  gemeifselt.  Die  Riefen  der  Fialen  und  das  Efelsriicken- 
fims  werden  von  Krabben  verziert  und  von  Kreuzblumen  bekrönt,  welche 


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DIE  STADT  HALLE  U.  d.  SAALKREIS. 


36  8 


der  Zeit  gemäfs  bucklichtes,  welkes  I.aub  haben.  Die  Darftellung  wird 
theilweife  (Schlofs)  vergoldet  gewefen  fein.1 

Darf  man  diefes  Portal  noch  als  ein  rein  mittelalterliches  betrachten 
fo  ill  in  den  jetzt  zu  befchreibenden,  wiewohl  fie  noch  keinerlei  Glieder  der 


Kig.  161. 


Moritzkirchhof  Nr.  4.  (gen  Werten  am  Waffer.) 


RenailTance  aufweifen,  doch  fchon  eine  Abweichung  von  der  gothifchen 
Art  zu  bemerken  dadurch,  dafs  das  Gewände  nur  im  Bogen  ein  Profil  aus 


1 Es  fei  erwähnt,  dafs  am  5.  Augurt  1 545  Dr.  M.  Luther  hei  einem  Bcfuche,  den  er  feinem 
Freunde  Dr.  Jonas  machte,  in  (tiefem  Haufe  (damals  ein  Garthaus)  logirt  hat,  von  dem  Rathe 
aber  ausgclöft  und  mit  einem  goldenen  Becher  befchenkt  wurde. 


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PROFAN'BAUTF.N. 


Portal  2um  „goldenen  Schlofschcn“,  Schracerftr.  Nr.  12. 

mit  Sitzplätzen  ausgebildet  ift.  Hiermit  ift  für  die  Ausgeftaltung  der  Ilaus- 
thüren  ein  Schema  gewonnen,  welches  im  ganzen  iö.  Jahrhundert  unter  ftets 
B.  D.  d.  Bau-  u.  Kunltd.  N.  F.  I.  24 


Rundftäben.  Kehlen  und  Plättchen  hat.  während  es  an  den  Seiten  als  Nifche 


Fig.  11.2, 

. J 


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wechfelnden  Einzelformen  beliebt  bleibt.  Erinnert  man  lieh  der  mittelalter- 
lichen Kirchenportale  mit  ihren  feitlichen  Nifchen  für  Heiligenllatuen.  fo 
wird  die  Form  der  Hausthüren  des  16.  Jahrhunderts  begreiflich  werden:  dir 
Form  jener  wird  für  die  I'hüren  der  Wohnhäufer  beibehalten,  die  Plätze 
aber,  welche  vordem  die  Heiligen  inne  hatten,  werden  jetzt  frei,  und  zwar 
um  für  die  Menlchen  zu  gelegentlichen  Ruheplätzen  zu  dienen.  Als  erlies 
Beifpiel  würde  die  Thür  des  Haufcs  zum  „Lämmchen",  Brüderftr.  Nr.  iz 
zu  nennen  fein.  Fig.  1Ö3.  Man  lieht  eine  fpitzbogige  Oeffnung  mit  einer 
fpätgothifchen  Bogenprofilirung,  die  oben  zu  einem  Efelsrücken  ausläuft 
! und  deren  Rundftäbe.  Kehlen  u.  f.  w.  derartig  lieh  durchdringen,  dafs  eines 
jener  höchft  lebhaften,  reizvollen,  aber  unconllrucliven  Gebilde  entlieht,  die 
in  Halle  am  eftectvollllen  an  den  Marktkirchenportalen  (flehe  F'ig.  7)  aus- 
geführt find.  Die  Bogenfpitze  endigt  in  der  umkränzten  Reliefdarllellung 
des  agnus  dti,  über  dem  ein  als  Band  ausgehauener  Stein  mit  der  Infchrift : 
1558  LAVS  • DEO  • OBLATVS  EST  • QVIA  • IPE  VOLVIT  • eingefetzt  ift. 
Natürlich  gehört  das  Portal  nicht  erll  diefer  Zeit  an.  es  wird  vielmehr  noch 
aus  dem  15.  Jahrh.  flammen  und  zwar  von  der  hier  gelegenen  Kapelle  S.  Paul 
Es  fpricht  dafür  erftens  der  Stil,  dann  die  155S  nicht  mehr  und  namentlich 
an  einem  Profanbaue  nicht  zu  erwartende  Darftellung  des  Gotteslammes 
und  fchliefslich  der  Umftand,  dafs  die  feitlichen  Nifchen.  welche  doch  auf 
eine  Herrteilung  tür  ein  Bürgerhaus  fchliefsen  laflen,  nicht  urfprünglich, 
fondern  erll  fpäter  durch  das  Abmeifseln  des  auch  feitlich  herabgehenden 
Bogenprofils  entllanden  find.  Das  Profil  ging  feitlich  herab,  weil  die 
Rundftäbe  lieh  an  der  Kämpferllelle  nicht  regelrecht  auf  einen  Baldachin 
fetzen,  fondern  plötzlich  llumpf  endigen,  weil  die  Nifche  nur  flach  und 
ohne  Sitz  ill  und  weil  der  innerlle  und  äufserlle  Rundllab  des  Profils  that- 
lächlich  noch  herabgeht , um  unten  mit  verzierter  Balis  zu  endigen.  Vielleicht 
lieht  alfo  das  Portal  fogar  noch  an  feiner  erllen  Stelle  im  Gemäuer  der 
Kapelle  und  ift,  als  diefe  (1558?)  zu  einem  Wohnhaufe  umgebaut  wurde,  in 
der  befprochenen  Weife  verändert  und  mit  der  Infchrift  verfehen.  Ein 
gothifches  Portal  von  ähnlicher,  aber  einfacherer  Ausbildung  des  Bogen- 
profils in  Efelsrückenlinie  findet  fich  im  Seitengebäude  Leipzigerllrafse  Nr.  6 
hier  aber  find  fowohl  Baldachine  als  auch  Sitze  vorhanden , weil  das  Portal 
fogleich  für  ein  Bürgerhaus  beftimmt  war,  delfen  Obergefchofs  auch  eine 
beachtenswerthe  Holzarchitektur  hat.  Das  Portal  gr.  Ulrichllrafse  Nr.  <jt> 
war  ebenfalls  als  Efelsrücken,  delfen  Spite  jetzt  überputzt  ift,  ausgebildet 
originell  und  Hark  an  gothifche  AuffalTung  erinnernd  ift  die  Bildung  des 
Baldachins  aus  fheilen  des  Bogenprofils.  Die  "Sitze  fehlen  jetzt.  Aehnlich 
mit  Efelsrückenlinie,  deren  Spitze  man  ebenfalls  verputzt  hat,  ift  der  Bogen 
des  Portals  Marktplatz  Nr.  .>3,  auch  feine  Baldachine  find  gleicher  weife 
entllanden  aber  beide  verfchiedenartig.  Neben  dem  Efelsrücken  treten 
nun  auch  andere  Bogenlinien  auf.  gebrochene  und  fogar  theilweife  nach 
unten  gebogene,  die  höchft  malerifch  wirken,  aber  dem  Conftructions- 
gedanken  Itracks  zuwiderlaulen.  Man  verfiel  der  Unnatur,  indem  man 
nach  neuen  pikanten  Gebilden  fuchte.  Eine  dahin  gehörige  Thür,  die  fich 
übrigens  noch  in  jeder  Linie  als  gothifches  Werk  verräth.  ill  Sc  h tn cer- 


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DIE  STAUT  HALLE  u.  <U  SAAUCKEIS. 


Fig.  164. 


Portal.  Schmcerstrassc  Xr.  31.  vom  Jahre  1320. 


Fig.  165. 


Amicht  des  Baldachins  und  des  ßogenprohlcs 
au  Fig.  164. 


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I'HOI-  ANHAU  U N. 


Fig.  1 66. 


F»rtal*gr.  Ulrichftrafsc  Nr.  19  vom  Jahre  1548  t?;. 


Fig.  167. 


Anlicht  des  Baldachins  und  des  Bogen- 
prolilcs  von  Fig.  166. 


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.174 


IHK  STAUT  HALLE  u.  (i.  SAA1.KRK1S. 


I'trafse  Nr.  31.  Fig.  1(14  und  165.  Gothifch  flarr,  fcharf  und  eckig'  iß  die 
Proßlirung  der  Sitze  und  des  dünnen  Baldachins,  welcher  vieleckiu  iß. 
unterwärts  ein  Sternmußer  hat  und  durch  Vermittlung  eines  Sockels  die  ver- 


Fi(!.  iWt. 


Portal  gr,  Ulrichflrafsc.  4 t 


zierten  Baten  der  Rundftäbe  des  Bogens  trägt;  gothifch  iß  auch  die  p'orn; 
des  Wappens  mit  einer  Rofe(V)  und  der  Jahreszahl  1520,  welches  über  det 
Bogcnfpitze  hochreliefirt  iß;  die  mehrfach  gebrochene  Bogenlinie  indeffer 
läfst  een  Niedergang  des  Stiles  fogleich  untl  zumeiß  erkennen.  VergU  ich- 


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HKOFANHAUTKN. 


v/  5 


Kic-  160. 


Portal  gr.  Ulrichftrafkc  Nr.  8. 


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37& 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


man  mit  diefem  ein  anderes  Portal  von  fehr  ähnlicher  Ausbildung  in  der 
gr.  Ulrichftrafse  Nr.  ig.  P'ig.  166  und  167.  fo  wird  an  der  auffälligen 
Verfchlechterungen  der  Formen  der  völlige  Ruin  der  Gothik,  und  die 


Fig.  172. 


Pi-rtal  gr.  Märkerftrafsc^Nr.  8.| 


nunmehr  unauthaltfame  Entwicklung  der  Formen  zur  RenailTance  klar  werden 
Hier  lind  die  Liniencon tralle  des  ähnlich  zufammengefetzten Bogens  weil 
matter;  in  der  Ferne  glaubt  man  einen  Flachbogen  zu  fehen;  viel  matter  ili 
auch  der  Bogen  und  Baldachin  profilirt;  die  Sitze  fehlen  jetzt;  dem 
Baldachine  ill  unterwärts  zwar  ebenfalls  ein  Sternmulfer  eingehauen,  aber 


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l’ROFANHAL'TKN. 


er  hat  ftatt  der  vieleckigen  die  weichere  Form  des  Krcifes  angenommen, 
und  bandartige  Zierrathe  umziehen  ihn.  Auch  hier  findet  lieh  ein  \\  appen 
über  der  Thür;  auf  ihm  ilt  eine  Wagfchaale  dargeltellt  und  wir  lefen  aufser 
den  Buchlfaben  B W die  Jahreszahl  1548  Auf  dem  Bogen,  welchen  die 
Säulchen  tragen,  lieht  in  flach  erhabenen  Buchflaben  ZVR  GVLDEN  • 
WAGE  p).  Die  Form  aber  diefes  Wappens  und  feiner  von  dockenartigen 
Säulchen  mit  Flachbogen  gebildeten  Umrahmung  hat  fchon  völlig  den 
Stil  der  Frührenaiffance  (N.  Hofman’fches  Blattwerk),  wie  denn  auch  die 
ObergefchofTe  des  Haules  und  befonders  die  drei  Giebel  gothifche  Anklänge 
nicht  mehr  haben.  Einen  weiteren  Schritt  zeigt  das  Poital  Ratlihaus- 
gaffe  Nr.  5,  delTen  urlprüngliche  Bogenprotilirung  abgemeifselt  und  durch 
eine  unverlüindliche  und  unverftandene  erfetzt  ilt;  über  den  Baldachinen 
lieht  man  noch  die  Anlatze  des  alten  Profils,  liier  ilt  nämlich  wirklich 


Hg  17»- 


Bogcnprolil  des 
Portals  kl.  Rlausflr.6 


i«-  «7 i- 


ein  Rundbogen  gemacht  worden.  Die  Form  und  Verzierung  der  Baldachine 
gleicht  der  der  letztgenannten.  An  dem  Portale  gr.  UlricJiltr.  4 1 (Fig.  1O8 
findet  nun  fchliefslich  wirklich  der  Uebergang  zur  RenailTance  llatt;  wider- 
natürlich und  unconitructiv  ilt  zwar  noch  der  Kleeblattbogen,  aber  die  drei 
von  unten  concaven  Linien  des felben  bedeuten  doch  nicht  gerade  das  Gegen- 
theil  einer  Wölbconltruction ; an  die  Gothik  erinnert  noch  der  aus  Bogen- 
elementen componirte  Baldachin,  aber  die  Profilirung  des  Bogens  felblt  und 
die  Zierrathe  der  Bogenglieder  gehören  fchon  der  RenailTance  an,  lind  lie 
gleich  noch  unverltändig  componirt.  Das  Profil  hat,  aufser  Plättchen  und 
Rundltäben.  lesbifche  Kymaticn,  die  zu  nach  oben  gerichteten  plumpen 
Blättern  ausgearbeitet  lind,  ferner  Zahnlchnitte  mit  rundbogig  verbundenen 
Zähnen;  eine  Hängeplatte  als  dominirendes  Glied  des  Ganzen  fehlt  noch. 
Die  Sitze  find  plump  und  mit  fchwachem  Relief  verziert.  Die  ganze  Arbeit 
macht  einen  etwas  rohen,  fchwülftigen  Eindruck. 


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378 


llli:  STADT  HAI.LIi  u.  d.  SAAl.KKKIS. 


Fig.  174. 


Ehemaliges  lJorial  Kannircheftrafsc  Nr.  20.  (Goldene  Kofe.) 


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I'KOFAN  HAUTEN, 


379 


*'V-  «75- 


Hogenprotii  t- 1 Ki^.  174. 


I-'H.  176. 


Archivohe  des  Portals.  Barfiifscrftrafse  Xr.  14. 


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38o 


DIB  STAUT  HAU.K  u.  d.  SAAMCKEIS. 


Nunmehr  treten  uns  in  den  folgenden  Portalen  die  geläuterten  Gebilde 
der  RenailTance  entgegen;  der  Baldachin,  die  letzte  gothifche  Reminiscenz, 
verfchwindet;  die  halbkreisförmigen  Nifchen  find  in  antiker  Weife  oben 
mufchelförmig.  Die  Bögen  haben  eine  ungefuchte,  natürliche  Linie,  den  Halli- 
kreis,  und  ein  Profil,  welches  keine  Archivolte,  fondern  ein  antikes  Haupt- 
gefimsprofil  ift.  reich  mit  Simen,  Hängeplatten,  Zahnfchnitten,  verfchiedenen 
Kymatien,  Perlftäben,  Plättchen  u.  f w.  verziert.  Die  Kämpfer  haben  ein 
capitälartiges  Profil:  den  Schlufsftein  fchmückt  oft  ein  Löwenkopf.  Solche 
Portale  finden  fich:  gr.  U 1 richftra  fse  Nr.  5 Fig.  169  und  t;o.  DasKämpfer- 
lims  und  die  Sitze  find  hier  fpäter  abgemeifelt.  Gr.  Schlamm  Nr.  6. 


F's-  >77- 


kl.  Klausflraf.se  Nr.  6,  Fig.  171,  vom  Jahre  1658p)  wie  nach  der  Infchrift 
des  Reliefs  über  der  Thür,  welches  einen  Schwan  darllellt,  zu  fchliefsen  wäre. 
Kl.  Sandberg  Nr.  1.  Gr.  Ulrichftrafse  Nr.  4 hat  in  der  Durchfahrt  ein 
derartiges  Portal,  welchem  jederfeits  eine  Confole  oben  zugefügt  ift.  die 
wohl  lür  Lichter  oder  dergl.  dienen  füllte.  Gr.  Märkerftrafse  Nr.  8. 
Fig.  172  und  173,  war  ehedem  viel  reicher.  Wie  fich  aus  einer  Stapel’fchen 
Zeichnung  ergiebt,  war  diefes  Portal  vor  ungefähr  40  Jahren  noch  mit 
einem  Gebälk  gefchmtickt  und  von  dem  Wappen  des  erften  Befitzers  (?)  bekrönt 
mit  der  Jahreszahl  1595.  Ein  Figürchen  diente  als  Abfchlufs  des  Ganzen. 
Nur  noch  die  Zwickelreliefs  find  erhalten,  wie  man  aus  unferer  Zeichnung 
erfieht.  Die  meifte  Aehnlichkeit  hatte  es  mit  dem  jetzt  im  Provinzial- 
Mufeum  wieder  autgebauten,  welches  fich  in  der  Rannifchen  Strafse 
befunden  hat  und  wahrfcheinlich  von  demfelben  Meifler  gemacht  fein 
wird.  Das  Portal  kl.  Sandberg  Nr.  18  vom  Jahre  1568  ift  durch 
fchwungvolles  Reliefornament  in  den  Bogenzwickeln  und  an  den  Nifchen 
bereichert;  originell  ift.  dafs  es  ganz  aus  Holz  befteht.  Rannifcheftr.  20. 
(Fig.  174  und  175)  ift  jetzt  vermauert  und  hat  neue  nifchenlofe  Pfeiler,  in 


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I'KOFASIIAUTIN. 


38  > 


den  Bogenzwickeln  lieht  man  Köpfe  — Portrait^  des  1 lausbefitzers  und 
feiner  Frau?  — ; über  dem  Bogen  enthält  ein  von  Voluten  flankirter  Aufbau 
eine  vergoldete  Rofe ; eine  Infchrift  ilf  auf  die  Flächen  unter  beiden  Voluten 
vertheilt  und  lautet: 

DIS  HAVS  STED  IN  GOTTES  HAND  ZV  DER  GVLDEN  ROSEN 
IST  ES  GENAND  1593 

Diefes  Portal  gehört  fchon  zu  jenen,  die  in  den  auch  mit  Einlahrtst  hören 
verfehenen  Häufern  lagen  und  für  die  Fufsgänger  beftimmt  waren.  Hin 


Kic.  178. 


Portal  kl.  Sandberg  Nr.  15. 


folches  ift  auch  jenes  jetzt  im  Garten  flehende  Portal  RathhausgalTe  Xr.  16, 
welches,  mit  Säulen  und  Gebälk  üppig  ausgebildet,  der  Vollreifen  Re- 
naiüance  angehört.  Der  Form  der  Thore  nähert  lieh  bezüglich  der  Bogen- 
ausbildung die  Thür  Barfüfserltrafse  Xr.  14,  Fig.  17h,  mit  dem  Schlufslleine 
Fig.  177,  und  kl.  Sandberg  Xr.  15  Fig.  178,  weil  ihre  Bögen  wie  bei  diefen  mit 


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Kcnfter. 


384  DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


Brillantquadern  verziert  find.  Das  letztgenannte  Portal  ift  von  glücklichen 
VerhältnilTen  und  einfachen,  aber  wirkungsvollen  Zierrathen.  An  feiner 
Archi volte  lieht: 

COMMENDABO  DOMINO  • VIAS  • MEAS  • ET  • IPSE  • DIRIGET  • " 
GRESSVS  • MEOS  • I • 5 • 8-  9- 

Die  Thore  haben  keine  Nifchen,  dagegen  ftets  in  das  Lichten  vor- 
tretende Prellfteine.  auf  welche  oft  die  (Juaderung  der  Archivolten  herab- 
geht. Wir  nennen  die  Thore  kl.  Klauslirafse  Nr.  0.  gr.  Ulrichltrafse  Nr.  4. 
Barfüfserllrafse  Nr.  15,  Rannifcheftrafse  Nr.  zo,  Fig.  17g,  Barfüfserllrafse  14, 
Fig.  180,  mit  dein  Schlufsfteine  Fig.  181  und  Rathnausgaffe  Nr.  lü.  Bei  diefer 
Aufzählung  find  nur  folche  Portale  und  Thore  berückfichtigt,  die  lieh  an 
übrigens  menr  oder  minder  bedeutungslofen  Bauten  finden  und  keine  Sonder- 
ftellung  einnehmen.  Bei  Gelegenheit  der  Specialbefchreibung  der  Gebäude 
werden  auch  die  in  ihnen  liegenden  Portale  und  Thore  befchrieben  werden 
und  mit  ihnen  zugleich,  paffender  als  hier,  einige  von  febr  reicher  Durch- 
bildung 

Fenfter  haben  lieh  noch  zahlreicher  als  Thüren  erhalten.  Ihr  I.ichten 
ili  klein  und  lall  quadratifch,  wenigftens  in  älterer  Zeit,  während  im  Laufe 


FiK.  in.?. 


Kühler  Brunnen:  Kenflcrprofil. 


des  Jahrhunderts  die  Höhe  zur  Breite  Händig  wächll.  Das  Gewände  ift  in 
architektonifchen,  meid  glatten  Gliedern  gehalten,  die  nicht  bis  zurFenfter- 
fohle  hinabgehen.  Die  Rathhausfenlier  werden  die  älteften  fein,  ihnen  folgen 
die  des  Rathskellers,  (der  Moritzburg),  der  Rathhausanbauten  von  1501  bez. 


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I'KOFANII.U  1 l.\. 


.?»5 


I5-Ö  U. 

tunken 


f.  w.  Für  den  weiteren  Verlauf  der  Umbildung  mögen  die  Zeich- 
Iprechen,  die  wir  demgemäß  geordnet  haben.  Aus  ihnen  ergiebt 


h,  dafs  doch  noch  recht 
armen  feltgehallen  wird. 


1'iR.  187. 


Kronprinz  Anbau. 


Weife  der  Itrengen,  fcharfen 
Nach  einigen  Verfuchen  in 


l'iR.  18b. 


* • r.  Stcinftrafsc  Nr. «». 


lange  die  alte 
Fig.  18’—  iqj. 


•icheren,  fchlafferen  Linien  Fig.  110  kommt  man  dann  /.u  der  mehr  antiken 
iederung  Fig.  191  193;  doch  felbll  bis  ins  17.  Jahrhundert  erhalten  fich 

B.  D-  <!.  Bau- u.  Kunsid.  N.  F.  I, 


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336 


DIF.  STADT  HALLE  H.  d.  SAALKREtS. 


Fig.  '**5- 


Kip.  188. 


Fig.  189. 


Kckc  der  kl.  Sicinflr.  u.  Kaihhausg. 
Rathhausgaffe  Nr.  7.  • 


Fig.  IQO.  Fig.  iqi. 


Fckc  kl  Steinftr.  u.  Briidcrftr.  Waagegebäude, 

zum  Markgrafen. 


Fckc  der  kl.  Ulrichftr.  a. 
Dachritzgaffe. 


Fig-  >93- 


Kckc  kl.  Strinftraf.c  und  pt-  Steinlbif«. 


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PROFANHAUTEN. 


387 


noch  gothifche  Reminiseenzen , wie  Fig.  193  in  der  Durchdringung  der 
Runddäbe  veranfchaulicht. 

Wie  die  Thüren  und  Fenlter  auch  andere  Bautheile  gefondert  zu  be- 
fprechen , empfiehlt  fich  nicht,  weil  dicfelben  weniger  zahlreich  erhalten 
lind,  um  die  Formenumbildung  an  ihnen  gleich  gut  verfolgen  zu  können. 

Wir  gehen  daher  zu  der  Befprechung  einzelner  Bauten  über  und  werden 
dabei  Gelegenheit  finden,  auf  die  F'ortbildung  der  übrigen  Bautheile  fpeciell 
hinzuweifen. 

Der  kühle  Brunnen  id  der  ältede  Profanbau  in  Halle,  an  welchem  Kühler  Brunnen. 
Renaillanceformen  auftreten.  Er  mufs  bald  nach  1522  gebaut  fein,  in 
welchem  Jahre  der  Cardinal  Albrecht  feinem  Gündlingn  Hans  Schönitz 
durch  Scheinkauf1  die  S.  Lampertikapelle  fchenkte  und  diefer  nun  Bürger- 
häufer  auf  deren  Stelle  und  in  der  Nähe  erbaute.  Eines  von  diefen  id  der 
Kühle  Brunnen,  welcher  als  Weinkeller2  diente.  Er  liegt  ziemlich  verdeckt 
am  Ende  einer  vom  Markte  ausgehenden  Galle;  die ObergefchotTe  benutzte 
der  Cardinal  zum  heimlichen  — oder  vielleicht  auch  nicht  fehr  heimlichen  — 

Zufammenfein  mit  dem  fchönen  Gefchlechte.'1  Von  der  prachtvollen  Aus- 
llattung  der  Gemächer  haben  fich  nur  wenige  polychrome  Holzfchnitzereien 
(im  Provinzialmufeuml  erhalten;4  das  „Bifchofsbett”  die  geheime  Treppe 
und  anderes  id  nicht  mehr  vorhanden.  Im  Erdgefchofs  find  die  Räume  mit 
auf  Säulen  ruhendem  rippenlofen  Kreuzgewölbe  überdeckt.  Ueber  der  Thür 
der  vom  Markte  kommenden  Galle  id  ein  Erkner  (erneuert?)  ausgebaut 
(Fig.  155),  delTen  gothifche  Confole  intereflirt.  Im  Hofe  lieht  man  den  Red 
eines  roh  gearbeiteten  Säulenganges  Fig.  194,  delTen  Renailfanceformen 
noch  viel  gothifche  Beimifchung  haben.  Das  beachtenswerthede  Stück  id 
das  Portal  zu  einem  Treppenhaufe  mit  Wendeltreppe.  Pilader  mit  ver- 
tiefter Füllung,  die  inmitten  ein  Rundtheil  haben,  flankiren  die  Oeffnung, 
die  von  einem  Rundbogen,  verziert  mit  Kreifen,  überdeckt  id,  und  tragen 
mitteld  Blätterconfolen  an  Capitäldelle  ein  noch  unverdändig  gebildetes 
Gebälk  mit  Verkröpfungen.  Man  fieht  links  den  Kcpf  eines  Kriegers  (?), 
rechts  einen  weiblichen  Kopf,  beide  in  runder  Umrahmung.  Ueber  den 
Gebälkfimfen  wird  mitten  von  kleinen  Piladern  mit  Sims-  und  Mufchel- 
liekrönung  ein  Feld  eingerahmt,  gegen  welches  fich  feitlich,  einen  Giebel 
bildend,  doppeltgebogene  Simfe  legen.  Die  fo  entdandenen  dreieckigen 
Felder  werden  jederfeits  von  einem  Wappen  ausgefüllt,  während  in  dem 
rechteckigen  mittleren  Felde  das  Wappen  des  Erbauers,  einen  I.öwen,  der 
eine  Krone  hält,  dardellend,  auf  das  Zartede  reliefirt  id.  Eine  männliche 


1 von  Dreyhaupt  I.  940. 

2 Aufser  dem  Rathe,  der  im  Kathskcller  Wein  verfchcnken  liefs,  hatte  bis  zum  Bau  des 
Kühlen  Brunnens  niemand  Weinfclianksrecht. 

3 von  Dreyhaupt  II.  514. 

4 Abbildungen  in  Ortweäns:  Deutfche  Renaiffance  und  in  der  Zeilfchrift  dir  bildende 
Konto  1882  zu  einem  Au  (Tatze  H.  Heydentann**.  — In  «len  Stapcl’fchen  Zeichnungen  find  noch 
Aufnahmen  vcrfchicdencr  vor  40  Jahren  noch  vorhandener  Stücke:  Wandgetäfel,  Caffcttcndeckc 
farbig,  ebenfo  farbiger  Fliefscnfufsbodcn. 

25* 


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388  DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


uml  eine  weibliche  Halbfigur  halten  das  Wappen;  fie  laufen  in  ein  füllendes. 
Ornament  aus,  welches  fo  graziös  geordnet  und  Tauber  gearbeitet  ift,  dafs 
nur  ein  Meifler  e r 11  e n Ranges  fein  Verfertiger  gewefen  fein  kann.  Ueber 
dem  Wappen  lieht  auf  einem  Bande  HANS  SCHENITZ  und  unter  demfelbcn 
zwifchen  den  beiden  in  kleinem  Maafsftube  wiederholten  Wappen  der  Seiten- 
felder folgende  Infchrift: 

FRON!  • WILLIG  • VND  • ZWIL  • VERTRAVEN  • SCHWECHT  • KRENCKT 

VND  • BRYNGT  . GROSSEN  • RAVEN  • ‘ 

Der  Stil  der  Architektur  zeigt  die  Charakterillika  der  F'rührenaiffance,  er- 
innert aber  nur  in  den  figuralen  und  ornamentalen  Theilen  an  den  Meiller 
im  Dom;  das  Wappen  und  delTen  Ornamente  zeigen  einen  fchon  viel  ent- 
wickelteren Stil,  als  diefem  Meiller  eigen  war.  Es  fragt  lieh  noch,  wer  der 
Baumeifter  des  Kühlen  Brunnen’s  gewefen  ift.  Ich  vermuthe  Schönitz  felber. 
Dafs  ihm  der  Cardinal  das  „neue  Baumeifter-Amt  auferlegte",  befagt  freilich 
kaum  etwas,  weil  folches  Amt  wohl  mehr  in  der  Verwaltung  der  Gelder  zu 
Bauzwecken,  als  in  baukünlllerifcher  Thätigkeit  beiland : aber  erwägt  man. 
dafs  Schönitz  viel  gereift2  und  daher  mit  den  Renaiffanceformen  fchon 
bekannt  geworden  war,  als  die  hallefchen  Meiller  noch  wenig  oder  nichts 
davon  verllanden.  fo  ift  es  nicht  unwahrfcheinlich,  dafs  er  namentlich  zu 
feinem  eigenen  Haufe  die  Angaben  und  Rifle  felbll  gemacht  hat  und  zwar 
hat  machen  müfTen,  damit  die  Handwerker  die  noch  unbekannten  Formen 
herllellen  konnten.  Uebrigens  könnte  man  auch  auf  einen  Ausländer 
(Italiener)  fchliefsen,  und  für  die  Holzfchnitzereien  möchte  ich  einen  folchen 
als  Verfertiger  auch  annehmen,  aber  unter  deflen  Leitung  wären  gewifs  die 
gothifchen  Anklänge  vermieden,  denen  wir  trotz  der  geillreichen  Erfindung 
und  einer  an  italienifche  Müller  gemahnenden  Zeichnung  begegnen. 
iteiiJcnz.  Diefe  Ausführungen  beantworten  zugleich  mit  die  Frage  nach  dem 
Baumeifter  des  Gebäudes,  Avelches  wir  jetzt  befchreiben  wollen,  nämlich  die 
Refidenz.  Als  der  Cardinal  Albrecht  das  neue  Stift  fanrmt  der  Domkirche 
erbaute,  kaufte  er  auch  das  ftädtifche  Hofpital  S.  Cyriaci,  an  Stelle  der 
jetzigen  Relidenz,  alfo  Tödlich  vom  Dom  gelegen,  zum  Abbruch  und  er- 
richtete dafelbll  1320  ein  Bauwerk,  welches  zuerll  das  Neue  Gebäude 
genannt  wurde  und  den  Zweck  hatte,  den  Stiftsherren  zu  Vorlefungen 
namentlich  über  katholifche  Theologie  zu  dienen;  es  follte  eben  das 
Collegiengebäude  der  von  dem  Cardinale  bei  dem  Stifte  anzulegen  beab- 
lichtigten  Univerfität  fein.  Als  das  Stift  einging,  blieb  das  Gebäude  un- 


1 Die  Jahreszahl  1332,  die  vom  Hagen  I.  185  am  Portale  gelefen  hat,  wird,  da  fie  jeirt 
nicht  mehr  aufzuhnden  ift,  auf  dem  ftark  abgcmcifscltcn  Bande  des  mittleren  Friesfeides  ge- 
ftanden  haben.  — Falls  nun  in  diefem  Jahre  das  Portal  und  die  Infchrift  gemacht  ift,  fo  kann 
fielt  letztere  unmöglich  auf  die  erft  1535  gcfchehenc  Hinrichtung  Schunilzcs  beziehen,  wie  eben- 
dort S.  18b  A angenommen  wird. 

2 Einkäufe  und  andere  (icfchiiftc  für  den  Cardinal  zu  machen,  ging  er  nach  Italien  und 

den  Niederlanden.  / 


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PROFAN  RAUTEN. 


389 


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Säulengang  ini  Kühlen  Brunnen. 


DIE  STADT  HALLE  u.  tl.  SAALKREIS. 


39° 


benutzt  aufser  bei  Befuchen  hoher  Perfönüchkeiten , die  hier  logirten.1 
Als  im  dreifsigjährigen  Kriege  die  Moritzburg  unbewohnbar  geworden  war. 
richtete  der  Adminilirator  Herzog  Auguft  das  Gebäude  zu  feiner  Hofhaltung 
fürlllich  ein,  feit  welcher  Zeit  es  dann  den  Namen  Refidenz  führt.  Wiederum 
wurde,  als  die  Regierung  darauf  an  das  Haus  Brandenburg  übergegangen 
war,  das  Gebäude  nur  bei  gelegentlichen  Befuchen  hoher  Perfonen  benutzt, 
1735  aber  theilweife  zu  Univerfitätszwecken  eingerichtet,  denen  es  endlich 
gröfstentheils  dienen  mufste.  Heute  find  auch  die  Sammlungen  des 
Provinzialmufeums  dort  untergebracht.  Das  Gebäude  bildet  ein  aus  vier 
Flügeln  beftehendes,  unregelmäfsiges  Ganze.  Den  örtlichen  Theil  feiner 
Nordfeite  nimmt  eine  1537  gebaute  Kapelle  ein  (f.  Einleitung),  die  jetzt  oben 
als  Katholifche  Kirche  dient,  an  der  am  Wärter  gelegenen  Wert-  und  an  der 
Südfeite,  die  beide  gröfserentheils  in  veränderter  Weife  erneuert  find,  befanden 
lieh  die  grofsen  Säle;  die  am  bellen  erhaltene  Oftfeite  hat  nördlich  den 
Eingang  und  verlängert  fich  unregelmäßig  noch  über  die  Kapelle  hinaus 
bis  fall  zum  Dome;  auch  in  diefem  Theile  liegen  Eingänge  und  zwar  für 
den  Kirchhof.  Das  Gebäude  ill  zweigefchoffig  in  verputztem,  fchlechten 
mit  Backfteinen  untermifchten  Bruchfteinmauerwerk,  und  theilweife  (Fenfter 
und  Simfe  im  Obergefchofs)  ganz  aus  Bruchlleinen  beftehend,  ausgeführt 
Im  Aeufseren  interefliren  die  Eingänge,  aus  Thor  und  Pforte  gebildet.  Sie 
haben  ähnliche  Pilafter  mit  vertieften  Feldern  und  mit  Rundtheilen  inmitten, 
die  hier  aber  über  die  Füllung  hinaustreten,  und  ähnliche  dünne  oft  ver- 
kröpfte  Simfe,  fowie  ein  Wappen  als  Autfatz  wenn  auch  weniger  feine 
Motive  wie  fich  an  dem  befcliriebenen  Portale  des  Kühlen  Brunnens  finden. 
Der  Kapellenchor  von  1537  iß  für  das  Studium  der  Formenumgellaltung 
lehrreich;  er  ill  rund  und  hat  runde  (Decorations-) Strebepfeiler,  die  auf 
vierfeitigen  gothifchen  Füfsen  liehen.  Fig.  195.  Im  Hofe  erblickt  man  in 
der  Oft-  und  halben  Wertfeite  unten  die  jetzt  vermauerte  Flachbogenarkade, 
welche  urfprünglich  den  Hof  all  fertig  umgeben  haben  wird.  Höchlt  originell 
geformte,  dockenartige  Säulen  tragen  weite  Flachliogen  mit  vertieften,  von 
Rundtheilen  unterbrochenen  Feldern  gefchmückt.  Fig.  196.  Die  P'ormen- 
feinheit  der  Architekturen  jenfeits  der  Alpen  mangelt  natürlich  diefen 
Erlllingsgebilden  noch,  aber  diefe  Säulen  haben  doch  fchon  ein  weit 
gefälligeres  Ausfehen  als  die  im  Hofe  des  Kühlen  Brunnens.  Die  Gewölbe 
im  Erdgefchofs  der  Kapelle  find  von  einem  Rippennetze  verziert  und 
belieben  fogar  in  den  jederfeits  doppelkehligen  Rippen  aus  Backfteinen  mit 
Putz  überzogen.  Aus  deiulelben  Materiale  beftehen  auch  die  Simfe  und  die 
gekuppelten,  viel  veränderten  Fenller  des  Obergefchofles.  Befondere  Be- 
achtung verdient  das  Portal,  welches  im  Inneren  die  nördliche  Arkade 
gegen  Wellen  abfchliefst.  Es  hat  fpätromanifche  Formen;  die  Säulen 
feines  Gewändes  liehen  auf  attifchen  Baien  mit  Eckblättern,  und  den 
gliederreichen  Rundbogen  fchmückt  eine  Rofettenreihe.  Das  Verhältnifs 

1 Bcfondcrs  zu  nennen  if(  der  zwöinügigc  Bcfuch  Koifur  Karl'!,  V.  1347,  vor  dem  in 
einem  Saale  an  der  Wertteile  der  Landgraf  Philipp  der  Grofsmiilhigo  fufsfällig  Abbitte  that, 
aber  trolzdchi  alsdann  auf  der  MoriUburg  treulofer  Weife  gefangen  genommen  wurde. 


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i‘KOr.\NHAU  ri:\. 


der  Höhe  zur  Breite  des  Thürlichten  ilt  für  ein  romanifches  Portal  reichlich 
fchlank;  es  wäre  daher  nicht  ausgefchloffen , dafs  der  Höhe  des  Ganges  zu 
Liebe  diefes  Portal  um  eine  Ouaderfchicht  erhöht  worden  ift,  als  feine 
Ueberführuny  an  diefe  Stelle  gefchah.  Dafs  der  Cardinal  auch  zu  diofem 


Strebepfeiler  der  Kapelle  in  der  Kelidenz. 


Haue  wie  zu  fall  allen  anderen,  ältere  Bauwerke  abbrechen  liefs,  um  deren 
Material  bef.  die  Kunltförmen  wieder  zu  verwenden,  wird  nicht  nur  andiefem 
Mücke  zur  Kvidenz  klar,  fondern  itt  auch  aus  einer  Anzahl  Kunltförmen 
burtbogen-  und  vielfarbige  Priesltücke)  zu  erkennen,  die  bei  den  baulichen 
Veränderungen  des  Sommers  1885  in, den  alten  Mauern  gefunden  wurden 
und  jetzt  im  Provinzial-Mufeum  aufbewahrt  werden. 

Dafs  der  Baumeilter  des  Kühlen  Brunnens  auch  der  der  Relidenz  ilt, 
unterliegt  rücklichtlich  der  Aehnlichkeit  des  Stils  beider  Bauten  keinem 


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392 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


Fig.  196. 


Säule  der  Arkade  im  Hofe  der  Kciiilcm. 


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PROFAN  BAUTEN. 


393 


Fig.  197. 


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Portal  Brüilerflrafse  Nr.  8. 


394 


DIE  STADT  HALLE  u.  U.  SAALKREIS. 


Zweifel  und  dafs  Schönitz  diefer  Baumeifter  war.  erfcheint  auch  deshalb 
glaublich,  weil  nach  delTen  Tode  1535  die  hier  auftretenden  Stileigenheiten 
an  keinem  anderen  Gebäude  gefunden  werden.1  Dagegen  tritt  nun  jene 
Stilweife  Nickel  Hofman’s,  die  wir  bei  der  Markt-  und  Domkirchenbefchreibung, 
charakterilirt  haben,  auf,  auch  ße  hat  viele  gotliifche  Anklänge,  doch  ift 
fie  weniger  geiftreich.  dafür  aber  in  Halle  um  fo  entwicklungsfähiger. 

Als  einen  Bau  diefer  Art  nennen  wir  das  Bürgerhaus  Briiderftr.  Nr.  8 
unzweifelhaft  von  liofman  und  zwar  in  feinen  jungen  Jahren,  als  er  noch 
felbft  mitarbeitete,  hergeftellt;  es  finden  fich  nämlich  an  den  Werkflücken 

faß  ausfchliefslich  folgende  beiden  Zeichen:  ^ und  5^  von  denen  das 

erfte  das  N.  Hofman’s  ift.  Namentlich  das  Fenfterprofil  hat  noch  Hark 
gothifchen  Charakter,  während  die  Thür,  Fig.  197,  auch  hier  das  decorativ 


Eig.  198. 


bevorzugte  Stück  der  Fai, ade,  durchaus  in  den  neuen  Formen  der  RenailTance 
gehalten  ift  und  als  eine  der  lieblichßen  Schöpfungen  hallefcher  Früh- 
renaiffance  gelten  kann,  Fine  rundbogige  Thür  mit  glattgliedriger  Archivolte. 
deren  Protilirung  in  Fig.  198  gegeben  ift,  und  mit  feitlichen  Nifchen.  denen 
jetzt  die  Sitze  fehlen,  wird  jcderfeits  von  einem  cannelurten  Pilafter, 

1 An  den  Fenfterge  wanden  der  Ol>cr|*cfchoffü  j*r.  Ulrichftrafsc  Nr.  56  licht  man  allerdings 
vertiefte  Felder  mit  Kundtheikn,  aber  die  Entflclnm^-s^eil  kann  nicht  befliinnit  werden. 


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rKOKAMlAUIEN. 


395 

iB'ig.  it)<)  giebt  deflen  Capital  und  Balis»  aul  einem  I’oRamente  mit  relief- 
geiülltem  I-'elde  Big.  ’oo  und  oben  von  einem  wohl  proportionirten  Gebälke 
mit  flachem  Giebel  eingerahmt.  Die  Bogenzwickel  lind  je  von  einem  llark- 
bärtigen,  weit  vortretenden  Männerkopfe  gefüllt,  der  etwa  wie  ein  gothifcher 
iValTerfpeier  wirkt.  Der  Bries  iti  von  einem  in  der  Oompolition  ganz 
reizenden  Blätterornamente  in  Abwechielung  mit  Kartufchen  und  Stier- 
Ichädeln,  alfo  unzweifelhaft  mit  directer  Anlehnung  an  antike  Müller  (Grab- 
mal der  Cacilia  Metella)  gefüllt.  Der  dem  llofman'fchen  Blattwerke  eigen- 


Kij;-  It'i. 


I’iIaRcf kapital  am  Kuf*  zu  Fig.  197. 


thümliche  Ledercharaktea  wäre  wohl  das  B.inzige,  was  an  dem  Portale 
weniger  gut  gefallen  könnte.  Im  Innern  hat  lieh  der  verlud  tnilsmäfsig  grofse 
Hur  erhalten.  Big.  zoi  zeigt  das  neben  der  Thür  befindliche,  aufsen  ver- 
gitterte 1 Blurfenller  mit  zwei  gemauerten  Sitzen.  Kirn;  folehe  Anordnung 
von  Plätzen  war  fehon  im  15.  Jahrhundert  beliebt:  lie  findet  lieh  bereits  an 
ion  Rathhausfen Ilern.  Krll  gegen  das  10.  Jahrhundert  wird  lie  leltener.  In 
l ig.  zoz  erblickt  man  den  Treppenaufgang  aus  dielem  Blure ; in  der  Treppen- 
hauswand ili  eine  kleine  Nilehe  für  das  1 .ielit.  wie  fleh  Iblehe  hin  und  wieder 

1 Von  eiet  ehemals  hiibfchen  Schimcdccifenarbeit  ift  wenig  an  Kunft formen  erhalten. 


I 


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DIE  STADT  HALLE  U.  d.  SAALKKKIS. 


Gruppirlc 

Fenfter. 


3q<> 

noch  erhalten  hat  und  z.  B.  auch  im  Thalhaufe  vorhanden  war.  In  dem 
jetzigen  Laden  des  Haute»  treffen  wir  auf  eine  wenig  conftructive  Au- 
bildung  der  Fenllerpfeiler,  welche  aus  den  Condructionen  des  15.  Jahri. 
(flehe  Moritzburg)  erwachfen  ifl  und  deren  Knt Wicklung  bei  diefer  Gelegenheit 
gezeigt  werden  foll. 

Man  liebt  es  die  Gruppe  von  mehreren  Fendern  auch  im  Innern 
architektonifch  auszufprechen . indem  man  die  fchwachen  Pfeiler  auch  in 
der  Tiefe  von  innen  her  fchwächt.  Durch  ein  Gewändeprofil,  welches  <li< 


Fig.  200. 


Füllung  am  Poltamente  der  Pilafter  fcig,  if)". 


Fender  anfangs  auch  innerlich  zu  umziehen  pflegt,  belebt  fleh  der  1 Meiler, 
fo  Kathhausgaffn  Nr.  18.  gr.  Ulrichdrafse  Nr.  19;  in  fpäterer  Zeit  lädst  man 
die  Pfeilerfläche  glatt  (Fig.  303)  oder  man  haut  auf  ihr  ein  Füllornament 
aus,  wie  im  Laden  Brüderdrafse  Nr.  8,  ferner  im  „Simfon“  genannten 
Zimmer  des  I laufe.»  gr.  Märkerdrafse  Nr.  11,  welches  unzweifelhaft  auch  von 
N.  Hofman  erbaut  worden  id.  Das  zwar  glatte,  aber  in  llinfichtdes  Zweck-  s 
und  der  Lage  aufserördentlich  verdändiggellaltete  Profil  mit  halb  äufserer  halb 
innerer  Eckenfafung  an  der  Hofeinfahrt  duffes  Haufes  hat  die  Jahreszahl 


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l-KOKAMlAUTEN. 


307 


1558  im  Schlufsfteine  Kin  Umbau  zu  Anfang'  des  17.  Jahrhunderts  hat  lieh 
im  Aeufseren  hauptfäehlich  auf  die  Fünfter  erllreckt  und  im  Inneren  neue 
Wandbekleidungen,  Kamine,  die  Treppe  u.  f.  w.  gefchaffen.  Jedenfalls  hat 
auch  im  Ilaufe  alter  Markt  Nr.  3Ü,  dellen  Pfeiler  jetzt  vermauert  ill,  diefe 


Fit;.  101 . 


Fcnfterfitz  im  Huu>t1ur  BriiilcrArafse  Nr.  8. 


v<,rzierte  Ausbildung  eines  Fenflerpfeilers  lieh  befunden.  Oben  verbindet  lieh 
ein  folcher  Pfeiler  durch  architektonifehe  Glieder  oder  (on  Polen  der  ftärkeren 
" and  unconftructiv  genug.  InterelTante  Confolenfurmen  fieht  man  im  eben 
genannten  Simfonzimmer.  ln  der  I lochrenailTance  kehrt  man  ind-ITen  zu 
-Wer  folideren  Conftruction  zurück,  ohne  die  Gruppirung  zu  verlieren;  man 
Wtzt  dem  gefchwächten  Pfeiler  eine  Säule  vor,  welche  die  obere  Mauerlall 
aufnimmt.  Fig.  204. 


1 


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MK  STADT  HALLE  U.  J.  SAALKRF.IT. 


39« 


Weltliche  Ecke 
Marktplatz  und 
Kleinfchmicden 


Wenn  das  Bürgerhaus  an  der  weltlichen  Ecke  Mnrktplatz-K  lein- 
fchmieden  Fig.  205  auch  auf  der  Stelle  des  I-ampertikirchhofes  fteht,  alfo 
vermuthlich  eines  jener  von  Schönitz  nach  dein  Abbruch  der  Kapelle  dort 
erbauten  fein  würde,  fo  glaube  ich  in  Bezug  auf  die  Bauformen  doch  ficher 
annehmen  zu  miilTen,  dafs  es  erlt  fpäter,  jedenfalls  nicht  vor  der  Mitte  des 
16.  Jahrhunderts  entftanden  ift.  Die  von  Schönitz  errichteten  Häufer 
nämlich  hatten  norh  Backlteingiebel,  die  in  gothifcher  Weife  fo,  .wie 
am  Rathhaufe  und  am  Johannishofpitale  auf  dem  Moritzkirchhofe  noch 


Fig.  202. 


Treppenaufgang  von»  Hausflur  Briiderftrafsc  Nr.  8. 


gefehen  wird,  verziert  waren.  Der  nach  der  KühlenbrunnengalTe  gelegene 
Giebel  des  F.ckhaufes  Marktplatz-KühlebrunnengafTe  fowie  jener  Giebel  im 
Hofe  der  Apotheke  zum  Blauen  llirfch  (Zeichnung  im  NachlafTe  Stapels) 
beitätigen  das.  Dagegen  zeigt  das  Eckhaus  Marktplatz-Kleinfchmieden  den 
ausgebildeten  Typus  der  RenaifTancegiebel  und  zwar  in  einer  in  Halle 
nicht  wieder  gleich  üppig  vorkommenden  und  gleich  gut  erhaltenen  Durch- 
bildung. Seine  drei  oder  vielmehr  dreieinhalb  Giebel  mit  ihrer  Flachbogen- 
arkatur  unter  den  Fenltern,  mit  den  zahlreichen  Pilalterkröpfen,  den  kerb- 
fchnittgefchmückten  Bändern,  den  durch  Voluten  dark  bewegten  oberen 


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•)0<J 


IHK  STAUT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


Kig.  :a|. 


MarienbibHothek,  Kenflerp  feiler. 


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PROFAN’nACTEN. 


3 


401* 


\bfchlufslinien  und  alles  das  vor  einer  Heilen  lukenbefetzten  Dachfläche 
gelegen,  können erft  entflanden  fein,  als  in  einer  Anzahl  jener  roh  geformten 


Kcke  Klcinfchmicdcn  und  Marktplatz. 


riebel  der  Typus  der  RenailTancegiehel  gefunden  war.  Das  gut  erhaltene 
.eufsere  des  Ilaufes  bietet  übrigens  nur  InterefTe  dadurch,  dafs  es  ein 
p.  D.  d.  Bau-  u.  Kunftd.  N.  F.  I.  36 


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Wagegebäude. 


4°- 


DIR  STADT  HAUT.  u.  d.  SAALKKK1S. 


ziemlich  vollkommenes  Bild  von  dem  Ausfehen  eines  maffiven  halleichen 
Biirgerhaufes  bald  nach  der  Mitte  des  16.  Jahrhunderts  gewährt. 

Wie  ähnlich,  wenn  auch  üppiger  ausgellattet,  die  öffentlichen  Gebäude 
der  Stadt  denen  der  Privaten  in  der  Anlage  waren,  läfst  das  der  Wage, 
nördlich  vom  Rathhaufe  und  mit  diefein  in  gleicher  Flucht  gelegene,  er- 
kennen, obwohl  ihm  jetzt  wefentliche  Theile  feiner  urfprünglichen  Ausbildung 
fehlen.  Wir  wilTen  ficher,  dafs  an  feiner  Stelle  fchon  zuvor  ein  altes  Wage- 
haus gellanden  hat,  welches,  wie  fich  aus  einer  Bemerkung  des  Oleanu- 
zum  Jahre  1573  ergiebt  „von  Holtzwerk“  gewefen  und  in  das  Hospital  zu 
S.  Georgen  gefetzt  ift,  als  man  1573  — nach  von  Dreyhaupt  fchon  1571  - 
den  Bau  des  jetzigen  maffiven  anting.  1581  foll  es,  wie  beide  angeben.1 
fertig  geworden  fein , nach  von  Hagen  dagegen , der  dem  Hane’fchen 
Manufcript  über  die  1575  erlaHene  Hochzeitsordnung  folgt,  war  es  157s 
bereits  „angerichtet  und  verfertiget“.  Der  Rathsmeilter  Leonhard  Zeife 
und  George  Beutener  werden  als  die  Baumeiller  genannt.  Das  Gebäude 
diente  als  Wage-  und  Hochzeitshaus;  für  die  Hochzeitsfeierlichkeiten  fowie 
für  „Zufammenkünflfte  der  Innungen  und  Bürgerfchafft“  waren  in  den  Ober- 
gefchoffen  grofse  Säle  hergerichtet,  die  im  18.  Jahrhundert  zu  Univerfitäo-, 
feit  1834  zu  Schul-,  und  in  den  letzten  Decennien  zu  Büreauräumen  der 
ffädtifchen  Verwaltung  eingerichtet  find.  Das  Gebäude  belicht  aus  drn 

Flügeln  in  diefer  | | Form.  Der  dreigefchoffige  Hauptflügel  hat  vom 

Markte  her  eine  Durchfahrt  in  den  Hof,  an  deren  Ende  links  eine  Wendeltreppe 
wie  in  den  Bürgerhäufern  liegt.  Die  füdwellliche  Gebäudeecke  nimmt  ein 
Thurm  ein;  äufserlich  fällt  er  als  Thurm  zwar  nicht  auf,  aber  dafs  er  nicht 
mit  dem  übrigen  Bau  entllanden  ift,  erfieht  man  aus  folgender  Minuskel- 
infehrift  an  der  Wellfeite: 

Hau  tun  m • rccct  • rst  inrrpta  isla  tarris  • 

Er  diente  als  Gefangnifs  und  Archiv,  und  fo  war  er  anfänglich  wohl  nur 
vom  Rathhaufe  aus  durch  eine  fpitzbogige  Ueberbrückung  der  Rathhau-- 
gaffe,  die  vor  einigen  Jahren  abgebrochen  und  durch  eine  andere  erfeut 
;ll,  zugängig.  Durch  die  Brücke  ill  dann  auch  das  mafllve  Wagegebäude 
mit  dem  Rathhaufe  verbunden  worden.*  Die  lacade  unferes  Gebäudes 
fchmückten  noch  bis  in  unlcr  Jahrhundert  zwei  von  unten  aufgehende,  reich 
mit  Relief  verzierte  Erknerthürmchen  — f.  die  Abbildung  bei  von  Drey- 
haupt II.  — auch  war  das  Dach  mit  drei  Lukenreihen  verfehen  und  höher. 
Der  Zugang  ill  auch  an  diefeni  Baue  durch  die  Ausbildung  bevorzugt. 
Fig.  20O.  Er  belleht  in  einem  Thore  mit  einer  links  gelegenen  Pforte,  neben 
der  noch  eine  Thür,  jetzt  vermauert,  ehemals  zu  einer  Wendeltreppe 


1 Olcarius  giebl  anfserdem  zum  Jahre  1576  an,  dafs  es  „gantz  fertig11  geworden  fei: 
vielleicht  ift  hier  nur  der  Haupttliigel  gemeint  oder  nur  der  Rohbau,  und  fo  ift  vielleicht  auch 
das  Hanc’fchc  Manufcript  zu  verbellen. 

* *554,  als  der  Thurm  noch  frei  band,  feheint  an  ihm  gebaut  worden  zu  fein,  weil 
Olcarius  zu  diefem  Jahre  anmerkt,  dafs  Montags  nach  Jacobi  der  Thnrm  an  der  Wage  fertig 
geworden  fei. 


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Porta 

(mit  einer  nach  v.  Drevh.iu] 

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■Ilten  Bekrönung 


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PROFANTtAUTEJJ.  403 


führend,  liegt.  Die  rundbogige  Archivolte  des  Thores  hat  einen  Quader- 
fchmuck  und  fetzt  fich  auf  Gewände  mit  noch  gothifchen  Einzelheiten 
(z.  B.  Fufs)  und  mit  Prellfteinen  als  Sockel.  Pilafter  auf  Poftamenten  und  mit 
Gebälk,  welches  auch  von  dem  Schlufsfteine  des  Bogens  unterftützt  wird, 
umrahmen  das  Thor.  Mitten  auf  dem  Gebälke  fleht  ein  von  Pilaftern,  Sims 
und  Giebel  gebildeter  und  von  Voluten  flankirter  Auffatz  für  das  Stadt- 
wappen, daneben  jederfeits  über  den  beiden  llauptpilaftem  — auf  der  von 
Dreyhaupt'fchen  Zeichnung  mit  verkröpftem  Gebälke  — eine  Kriegerfigur. 1 
Ein  geredeaus  fehender  Hark  vortretender  Kriegerkopf2  füllte  das  Feld  des 
Giebels  und  kleine  Figuren  (landen  aut  den  Giebelecken.  Aus  dem  einen 
Bogenzwickel  ragt  ein  männlicher,  aus  dem  anderen  ein  weiblicher  Kopf 
von  fehr  energifchem  Ausdruck  wafrerfpeierartig,  wie  am  Portale  Brüder- 
llrafse  Nr.  8,  weit  vor.  Das  vertiefte  Feld  des  Pilallerpollaments  füllt  je 
ein  in  der  Vorderanficht  gemeifselter  Löwenkopf  aus,  während  die  Pilafter 
durch  leichtes,  reizvolles  Blattwerk,  von  Masken  und  Putten  unterbrochen, 
gefchmückt  find.  Höchft  kunftreich  componirt  und  gearbeitet  ift  auch  das 
aus  denfelben  Motiven  beftehende  Ornament  im  Friefe  und  in  den  Flächen 
neben  den  Voluten  des  Auffatzes.  Der  Stil  diefer  Ornamentik  ift  fehr  edel 
und  zeugt  von  einem  Meifter  mit  ganz  befonderer  künftlerifcher  Begabung. 
Es  darf  jedoch  nicht  verfchwiegen  werden,  dafs  diefer  Meifter  — Zeife  oder 
Beutener?  — mehr  Bildhauer  als  Architekt  gewefen  ift,  da  die  VerhältnifTe 
der  Architektur  des  Portals  weniger  glücklich  find  als  die  Compofition  und 
Ausführung  der  Ornamente.  Die  Pforte  hat  eine  nur  fchlichtgliedrige, 
runde  Archivolte  und  feitlich  Nifchen  mit  Sitzplätzen.  Das  durchaus  ver- 
änderte Innere  bietet  aufser  einem  Pfeiler,  einer  hübfchen  Treppenfpindel 
Fig.  207  im  Thurm  und  den  Thürgewänden  nichts  Bemerkenswerthes.  Ob 
das  kreuzförmig  ohne  Rippen  überwölbte  Untergefchofs  des  Südflügels  der 
Wage  eine  Kapelle  (St.  Annae)  war,  und  ob  die  Statue3  in  der  Hofmauer 
diefes  Flügels,  die  übrigens  kein  bedeutendes  Kunftwerk  und  etwa  um  die 
Mitte  des  15.  Jahrhunderts  gemeifselt  ift,  auf  einer  noch  vorhandenen  Con- 
fole  an  der  Südweftecke  der  Wage  geftanden  hat,  kann  hier  nicht  näher 
unterfucht  werden,  hier  intereffirt  mehr  als  das  unbedeutende  Krdgefchofs 
die  prächtige,  wohl  erhaltene  Holzarchitektur  des  Obergefcholfes  (flehe 
Fig.  138),  welche  ein  Confolenfims  mit  in  Rundftab  und  Hohlkehle  profilirten 
Füllftück  und  gleicher  Schwelle  fowie  mit  vollen,  fächerartig  verzierten 
Fufsbändem4  unten  hat,  während  ein  ähnliches,  leichteres  Confolenfims 
unter  dem  Dache  liegt.  An  einer  unteren,  ziemlich  in  der  Mitte  befindlichen 
Confole  ift  ein  Wappen  mit  durchpfeiltem  Herzen  gefchnit/t,  die  gerade 
darüber  gelegene  Confole  trägt  das  Stadtwappen. 


1 Diefelben  waren  etwa  feit  den  Vierzigerjahren  verfchwunden,  find  aber  1882  wieder  an 
ihren  Platz  gefetzt  worden. 

2 Noch  im  Bcfitze  des  Stuccateurs  Herrn  Rudolph  zu  Halle. 

8 ‘Der  Maria  oder  Anna. 

4 In  Halle  das  einzige  Beifpiel  einer  Kächerhildting,  welche  in  Nicdcrfarhfen  (Hannover, 
Hameln,  Höxter)  fo  häufig  ift. 

26* 


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4°4 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKKEIS. 


Die  Neumühle.  Ein  anderes  ilädtifches  Gebäude  diefer  Zeit,  welches  man  wenig’  ver- 
ändert hat,  ift  die  Neumühle.  1283  erhielt  das  Kloller  zum  Neuen  Werk 
von  dem  Paulinerklofler  das  Terrain  der  Mühle,  welches  in  diefem  Jahre 


Fig.  207. 


Trcppenfpindel  im  Wagegebäude. 


jedoch  fchon  eine  Mühle  trug,  wie  es  nach  von  Dreyhaupt  II.  363  fcheinl. 
1529  kam  die  Mühle  an  den  Rath.  Das  jetzige  Gebäude  ill,  als  das  alte 
durch  lirand  untergegangen  war,  1582  neu  erbaut  worden.  Zwei  Reihen 


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■■KOFANIIAUr  l'.N.  405 

kleiner,  faß  quadratifcher,  kräftig  in  Rundllab,  Kehle  und  Plättchen 
profilirter  Fenfter,  ein  fchlichtes  fimaähnliches  Hauptfilms  und  das  nach 
Orten  gelegene  Portal  mit  einem  darüber  flehenden  Giebel  find  die  liaupt- 
lachlichften  Kunftformen.  Das  Portal  ift  thorartig  mit  gequaderter  Archivolte 
und  ohne  feitliche  Nifchen  ausgebildet ; über  ihm  befindet  fich  ein  umrahmtes 
Feld  mit  feitlichen  Delphinen , deren  Schwanz  zu  Blattornamenten  ausläuft. 

In  dem  Felde  ift  das  von  zwei  Figürchen  gehaltene  Stadtwappen  mit  der 
Jahreszahl  1582  als  Ueberfchrift  reliefirt,  wogegen  eine  Unterfchrift  alfo 
lautet : 

HOC  MOLENDINVM  A SENATV  HVIVS  VRBIS  DENVO 
EXTRVCTVM  EST  CÖSS  : DNO  IACOBO  REDEL  ET  DNO 
IOHAN  KOST  ANNO  1582  •> 

Aufserdem  lieht  in  flachem  Relief  unter  dem  rechten  Delphine  LAZARVS 
KOST  ARCH  (?)  — — — — nicht  mehr  leferlich;  auch  ficheint  an  ent- 
fprechender  Stelle  links  Schrift  gewefen  zu  fein.  Das  Ornament  hat  den- 
1‘elben  Schnitt  wie  ge  wirte  Bogenzwickel  auf  dem  Gottesacker  und  die 
Stücke,  welche  in  einer  neuen  Gartenmauer  nahe  welllich  der  Siegesfiiule 
zu  einem  Thürgewände  vereinigt  find;  wir  verweifen  daher  auf  die 
Charakterifirung  diefer  bei  der  Befprechung  des  Gottesackers.  Der  Giebel 
über  dem  Portale  baut  fich  zunächft  mit  fenkrechten  Seiten  hoch  auf,  um 
dann  mit  Voluten  und  Simsecken  in  bewegter  Silhouette  abzufchliefsen. 

Seine  Vorderfläche  ift  wefentlich  fchlichter  als  die  der  älteren  Renaiflance- 
giebel. 

Gegen  Ende  des  16.  Jahrhunderts  entfaltet  die  Kunll  ihre  kölllichften 
Biüthen.  Das  1882  im  Februar  abgebrochene  Thalhaus  oder  vielmehr  das  riulhaus. 
Werthvollfte  in  ihm,  eine  Zimmerausftattung,  gehört  diefer  Zeit  an.  Diefes 
Haus  Hand  unweit  der  Weftfront  der  Marktkirche  in  der  Halle  und  war 
eigentlich  zur  Abhaltung  der  Thalgerichte  (f.  Einleitung)  beftimmt,  diente 
aber  auch  den  Zufammenkünften  und  Feftlichkeiten  der  Pfänner  bis  in  das 
ig.  Jahrhundert,  fo  wie  denen  der  Halloren  bis  in  die  letzten  Jahre  feines 
Beftehens.  Aus  einer  Stelle  der  hallefchen  Chronik  in  der  Magdeburger 
Stadtbibliothek  * geht  hervor,  dafs  1464  der  Bau  an  Stelle  eines  alten  Kaufes 

1 So  auch  mit  geringen  Abweichungen  vom  Hagen  während  Olearius  und  von  Drcyhaupt 
diefer  Infchrift  den  ZuTat i gehen:  Die  Baumeifter  Caspar  u»  Kofi  und  Andreas 

Glafer  X.  H.  Die  letzten  beiden  Buchflabcn  deuten  auf  Nickel  Hofman,  als  deffen  Unter* 
gebene  die  genannten  Baumeifter  gearbeitet  haben  müfsten,  was  nicht  unwahrfcheinlich , weil 
diefclbcn,  wie  der  Stil  zeigt,  auch  am  Gottesacker  gearbeitet  haben.  Es  wäre  von  Werth 
fcfuuftellen , ob  Hofman  wirklich  1582  noch  gelebt  hat. 

* Abgedruckt  bei  Opel:  M.  SpittendOrff 64  A.  Es  ift  dafelbft  auch  von  der  „dingkbangk 
des  talgerichtes  hinter  dem  roten  thorme  genant**  die  Rede.  Ift  darunter  eine  wirkliche  Bank 
*u  verftehen,  fo  dürfte  cs  diejenige  gewefen  fein,  welche  noch  vor  etwa  40  Jahren  im  Thalhaufe 
vorhanden  gewefen  ift,  weil  lieh  in  dem  Stapcl’fchen  Xachlaffc  eine  Zeichnung  befindet,  die 
eine  prächtig  bemalte  Bank  in  fpätgothifchen  Formen  mit  beweglicher  Lehne  (fo  dafs  duich 
Umklappen  derfelben  die  Bank  beiderfeitig  benutzt  werden  konnte)  darftellt,  eine  Bank  alfo,  die 
im  gewöhnlichen  Gebrauch  viel  zu  koftbar  ausgeftattet  war. 


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I 


406  DIE  STAUT  HAI.LE  u.  d.  SAALKRKIS. 

errichtet  ift  zugleich  mit  der  Grenzmauer  zwifchen  dem  Thale  und  dem 
S.  Gertrudenkirchhofe.  Diefer  Bau  war  halb  fo  grofs  wie  der  von  uns  zu 
befchreibende  F'ig.  208  und  20g,  delTen  weftliche  Hälfte  er  bildete.  Nach  den 
Angaben  des  Olearius  ift  das  Thalhaus  1607  und  1616  „erneuert",  „er- 
weitert“ und  „gegen  Reverfs  in  das  Berg-Gerichte  gerückt“;  wir  werden 
nach  der  Baubefchreibung  auf  diefe  Angaben  zurückkommen. 

Der  Grundrifs  des  zweigefchoftigen  Gebäudes  ftellt  annähernd  ein  in 
der  Richtung  von  Often  nach  Werten  längeres  Rechteck  dar.  Die  Fa^ade 
nach  Süden  kehrend,  liegt  das  Haus  mit  feiner  Oft  wand  gerade  auf  der 
Grenzmauer  zwifchen  Thal  und  Stadt,  fodafs  nun  ein  diefer  Wand  angebauter 


Fi);.  208. 
Nordel). 


Grundiifs  des  I.  Obergefchoffe*  iin  Thalhaufe. 


Treppenthurm  bereits  in  das  „Berggerichte  gerückt“  ift.  Das  Erdgefchofs 
enthält  örtlich  nur  einen  Raum  mit  zwei  correfpondirenden  Thoren  (für  die 
Thalhausfpritzen?)  wörtlich  dagegen  in  der  Facade  einen  Eingang,  welcher 
in  einen  Flur  mit  einer  Treppe  am  Ende  führt.1  Zwifchen  der  gefundenen 
Ofthälfte  und  diefem  1 lausHure  liegen  drei  Räume  hinter  einander  von  denen 

1 Seit  dem  18.  Jahrhundert  war  diefer  Flur  noch  einmal  durch  Scheidewände  gctheilt. 


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Thaltuus. 


und  Ducumente  des  Thals  bildete.  Das  ( »bergefchofs  belicht  aus  einem 
Weiten  Corridore,  welcher  die  g'an/e  Nerdleite  des  Gebäudes  einnimmt  und 


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.408  IlIK  STADT  HALLE  u.  d.  SAAI.KKKIS. 


weltlich  von  der  Treppe  im  Haufe,  ölllich  von  der  des  angebauten 
Thürmchens  und  zwar  direct  von  aufsen  zu  erreichen  ift.  Von  ihm  find  je 
durch  eine  Thür  zwei  Zimmer,  die  nach  Süden  liegen  und  ebenfalls  unter 
einander  in  Verbindung  liehen , zugängig;  über  der  \V efttreppe  findet  der 
Aufgang  nach  den  Böden  ftatt.  Im  Aufrifs  bietet  die  Welt-  und  Nordfeite 
kein  InterefTe;  an  der  Oftfeite  ift  nur  der  achtfeitige  Treppenthurm  mit 
„welfcher  Haube“  und  ein  Gitterfenfter  des  Obergefcholfes  merkwürdig. 
Die  Südfeite  hingegen  zeigt  unten  rechts  ein  allerdings  nicht  ausgebildetes 
Thor,  links  barocke  Fenfter-  und  Thürgewände  und  gerade  inmitten  einen 
Mauerrück fprung,  der  durch  den  Anbau  nach  Ollen  entllanden  ift  und  oben 
durch  die  Ausladung  eines  auf  dasReichfte  verzierten  Holzgefimfes  (Fig.  151) 
welches  weftlich  fehlt,  wieder  ausgeglichen  wird.  Den  barocken  Gewänden 
haben  natürlich  ältere  weichen  mülfen  und  zwar  nachweislich  von  N.  l lofman 
gefertigte:  bei  dem  Abbruchdiefer  Wand  fanden  lieh  nämlich  die  Werkftücke 
einer  Thür  vermauert,  welche  eine  glattgliedrige  RenailTancearchivolte,  die  In- 
fchrift  N ^ H nebft  der  Jahreszahl  1 55Ö  und  ferner  die  Angabe  einer 
Renovation  nach  genau  1 00  Jahren  hatte;  jedoch  auch  diefen  Gewänden 
mülfen  andere,  nämlich  fpätgothifche  aus  der  Gründungszeit  des  Thalhaufes 
voraufgegangen  fein,  von  denen  Reite  nicht  gefunden  lind.  Etwa  im  über 
der  Thür  lieft  man  ebenfalls  in  einem  länglichen  Steine  1558.  Auf  das  in 
Bruchlteinen  ausgeführte  Erdgefchofs  fetzt  lieh  ein  Obergelchofs  von  Hol/, 
theilweife  mit  hochkant  geftellten  Mauer-  oder  Backlteinen  verkleidet  und 
durchweg  geputzt.  In  der  Wandmitte  jedes  der  beiden  Südzimmer  baut 
fich  ein  fünfteiliges  Chörlein  heraus.  Das  linke  verbindet  lieh  unter  einem 
F'ufsgefimfe  der  Wand  nach  unten  in  gefchwungener  Confolenlinie,  und 
darunter  fitzt  ein  Wappen  — zwei  gekreuzte  Haken  zum  Auf  hängen  der 
SiedekelTel  über  dem  Teuer  zeigend  — in  runder  Umrahmung  und  mit 
N.  llofman'fchen  Blattwerk.  Ein  ähnliches,  doch  fpäter  gearbeitetes  Wappen 
ift  auch  unter  dem  anderen,  etwas  breiteren  Chörlein  angebracht  alsSchlufs- 
ftein  des  Thorbogens.  Letzterer  liegt  jedoch  fo  nahe  unter  dem  F'ufsgelimfe 
des  Chörleins,  dafs  deflen  confolenartige  Uebertührung  in  die  Wand  nach 
unten  nicht  mehr  anging.  Ein  drittes  Medaillon  mit  Wappen  entfpricht  dem 
letztgenannten  am  Schlufsfteine  des  Nordthores.  Beide  Chörlein  haben  für 
jedes  Zimmer  noch  je  ein  F'enlter  zu  den  Seiten  und  über  fich  einen  Dach- 
erkner mit  zwei  Fendern,  zwifchen  denen  ihr  manfardenartiges  Dach  liegt. 
Die  bedeutende.  Heile  Fläche  des  Satteldaches  wird  aufserdem  noch  von 
einigen  Luken  belebt.  Die  F'acade  wirkt  lediglich  durch  ihre  MalTenver- 
theilung  und  Gruppirung,  die  Details  find  unwefentlich. 

Im  Inneren  find  im  Erdgefchofs  nur  die  eifernen  Geld-  und  Documen- 
tenkiften,  deren  eine  auf  der  Innenfeite  des  Deckels  einen  farbigen  Holz- 
fchnitt,1  Chrillum  vor  Pilato  vorltellend.  hat,  fowie  ein  gefchnitzter  fpät- 
gothifcher  Tifch  bemerkenswert^2  Der  Treppenraum  des  F'lures  wird 
von  einer  Kaffettendecke  in  Holz  (mit  j Confolen)  überdeckt.  Auf  dem 

* Diefe  Stöcke  müflen  fich  noch  im  Bclit/.e  des  königlichen  Oberbcrgamlcs  vorfinden! 

* Jetzt  im  Provinzulmuleum 


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PKOFANHAUTEN. 


40Q 


Podefte  der  barocken  Treppe  befindet  (ich  eine  Wandnifche  für  ein  Licht. 
Der  Corridor  im  Oberste  (oho  ITe  ill  nur  durch  einen  mächtigen,  mittelll 
drei  fenkrechter  Steinplatten  zweitheiligen  und  fimsbekrönten  Kamin  ge- 
fchmückt,  welcher  zwifchen  den  Zimmereingängen  liegt.  Die  Vorderfeite 
der  Steinplatten  ift  profiliert  und  mit  flachem  Kartufchenornament  belebt; 
das  weltliche  der  beiden  Obergefchofszimmer  ill  der  Raum,  welcher  das 
Thalhaus  gerade  an  diefer  Stelle  zu  befchreiben  veranlagt  hat.  Die  gröfseren- 
theils  erhaltene  Innenarchitektur  desfelben  zeigt  uns,  was  die  Kunlt  der 
RenaifTance  in  Bezug  auf  die  Ausilattung  der  Räume  namentlich  durch 
Ti  fehl  erarbeiten  1594  geleiflet  hat.  Das  Kunltverltändnifs  und  Kunftbedürf- 
nifs  diefer  Zeit  auf  dem  mehr  das  intimere  Leben  darthuenden  kunftgewerb- 
lichen  Gebiete  wird  uns  klar  werden.  Von  den  beiden  Zimmern  war  diefes 
Weltliche  für  die  Gerichtsverhandlungen  — ob  auch  von  Anfang  an?  — 
beltimmt,  das  andere  indeffen  wohl  immer  nur  zu  Feltlichkeiten.  Jenes  nun 
hat  rings  an  den  Wänden,  fo  fern  diefelben  nicht  von  Mobilien,  Thüren 
u.  f.  w.  unterbrochen  find,  unten  wahrfcheinlich  Bänke  gehabt,  von  denen 
jedoch  nichts  erhalten  ilt.  Darüber  ilt  die  Wand  bis  zu  einem  j*  hoch  rings- 
umlaufenden, meilt  dorifchen  Gefimfe  zur  Aufhellung  für  Krüge,  Bücher 
u.  f.  w.,  mit  einem  ungemufterten  Tuch  von  weich  dunkelgrüner  Karbe  be- 
kleidet, jedoch  der  mancherlei  Unterbrechung  durch  Thüren,  Schränke 
und  Getäfel  wegen  feiten  von  gröfserer  Ausdehnung.  Ueber  dem  Gefimfe  bis 
zur  Decke  zieren  durch  Pilaller  gefchiedene  Oelbilder  auf  Leinwand,  biblifche 
Gefchichten  darltellend,  die  Wände,  welche  im  einzelnen  folgendermaafsen 
ausfehen:  In  der  Xordoltecke  Itand  der  ohne  Zweitel  vielfarbige  Kachel- 
ofen, von  dem  nichts  erhalten  ifl.  In  der  Nordwand  liegt  die  Thür  Fig.  2 10. 
Sie  ift  von  Pilaltern  auf  Poltanienten  und  mit  einem  dorifchen  Gebälke 
umrahmt.  Den  Raum  über  ihr  bis  zur  Decke  füllt  ein  Oelbild  aus,  welches 
das  jünglte  Gericht,  jetzt  fehr  verblichen,  darllellt,  einen  faß  fchlichten 
goldenen  Rahmen  hat  und  mit  zierlichßer  Pilaßerarchitektur  umgeben 
wird.  Im  F'riefe  über  dem  Bilde  lieht  FIDES  • JVSTICIA  und  die  Jahreszahl 
1594.  Der  Thürflügel  hat  nur  zwei  einfache  Füllungen.  Links  neben  der 
I hür  fleht  eine  Wafchtoilette.  Sie  hat  unten  und  oben  einen 
Schrank,  inmitten  aber  auf  einer  confolenunterftützten,  halbkreisförmig 
vortretenden  Platte  ein  Wafchbecken  und  darüber  einen  fchmiedeei fernen 
Wandarm  für  das  Handtuch.  Neben  der  Toilette  ift  die  Wand  ein  Stück- 
chen von  unten  bis  zum  Simfe,  welches  hier  weniger  ausladet,  vertäfelt 
und  mit  einem  Ornamente  bemalt.  liier  alfo  fehlte  wohl  die  Bank  vielleicht 
deswegen,  weil  bis  fall  zur  Zimmerecke  ein  Schrank  oder  doch  ein  fcheinbar 
nicht  fehr  mobiles  Möbel  geftanden  hat , das  nun  nicht  mehr  vorhanden. 
An  der  Wellwand  machen  fich  nur  zwei  gleichartig  ausgebildete  Wand- 
fchränke,  zwifchen  denen  ein  umrahmtes  F'enfter  mit  Simsbekrönung  liegt, 
bemerkbar.  Auch  die  beiden  Fenfter  der  Südwand  find  umrahmt  und  mit 
Sims  und  einer  Laubfägearbeit  gekrönt.  Das  Wandftück  rechts  dicht  am 
Chörlein  zwifchen  ihnen  nimmt  ein  _ Wandfehrank  und  darüber  ein  zweiter 
geheimer  mit  Fexirverfchlufs  ein.  Der  Ausbau  felber,  ein  Meifterftück 
architektonifcher  Compofition  und  technifcher  F'ertigkeit,  ift  ganz  vertäfelt; 


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410 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


er  hat  unten  rings  Klappfitze,  darüber  an  den  beiden  fenfterlofen  Seiten 
eine  Pilafterflellung  mit  fchnitzwerkbekröntem  Gebälke  zur  Einrahmung 
eines  Bogens,  in  dem  fich  wiederum  eine  Füllung  vielfarbiger  Intarfia. 
unten  die  Jahreszahl  1594  jederfeits,  darüber  eine  Architekturperfpective, 
oben  in  einer  Vafe  eine  Blume,  hervorhebt.  Fig.  zu.  Ein  Tifch  mit  zwei 
profilirten  Brettfüfsen  und  mit  einerfeits  den  Seiten  des  Ausbaues  ent- 
fprechend  abgefchrägter  Deckplattenendigung  ftand  im  Chörlein.  Die 
Barockzeit  hatte  dem  Chörlein  eine  Schranke  in  das  Zimmer  vorgebaut, 
an  deren  Stelle  zuvor  keine  andere  geftanden  haben  dürfte.  In  der  Oft- 
wand liegt  die  Thüt  zu  dem  zweiten  Zimmer.  Von  ihrem  Gewände  hat 
fich  nur  die  Simsbekrönung  erhalten,  der  Zweitüllungsflügel  zeichnet  fich 
durch  Ichöne  fchmiedeeiferne  Befchläge  aus.  Die  Decke  des  Zimmers  ift 
ebenfalls  von  Holz;  zwei  von  gefchnitzten  Confolen  unterftützte  Balken 
zerlegen  fie  von  Norden  nach  Süden  in  drei  nicht  ganz  gleiche  Haupttheile. 
von  denen  der  fchmalfte  durch  eine  einreihige,  die  beiden  anderen  durch 
doppelreihige  flache  Caflettirung  ausgefüllt  werden.  Ornamentmalerei 
belebt  das  hellfarbige  Naturholz  der  Felder,  in  deren  Mitte  ein  vergoldeter 
Zapfen  herabhängt.  In  dem  Chörlein  ift  auch  die  Decke  am  reichften 
ornamentirt  durch  ein  rundes  Feld  inmitten,  aus  dem  eine  Ampel 
herabhangend  gewefen  fein  wird,  durch  mehrfarbige  eingelegte  Hölzer,  durch 
flach  aufliegende  Laubsägearbeiten,  durch  Spitzquatem,  Riegelgebilde. 
Ringe  u.  f.  w.  Zu  der  Austäfelung  des  Zimmers  ift  in  der  Hauptfache 
Eichen-  und  Fichtenholz  genommen,  erfteres  zu  den  ftructiven  und  den 
äufserer  Gewalt  exponirten  Stücken,  den  Thüren,  Schränken,  Sitzen, 
Simfen,  Rahmen,  Confolen.  letzteres  zu  den  Füllungen  an  Wänden, 
Schränken,  Fünftem  Simfen  und  Decken;  aufserdem  ift  erfteres  häufig  mit 
Intarfien,  feien  es  auch  nur  eingelegte  Linien,  letzteres  meift  mit  Ornament- 
malereien und  aufgelegten  Laublagearbeiten  verfehen.  Denkt  man  fich 
noch  in  verfchiedenen  1 lolzarten  vielfache  Schnitzereien  in  Relief  und  als  durch- 
brochene Arbeit  hinzu,  ferner  einen  mit  Vorliebe  überall  angebra chten 
Schmuck  aus  flachen  breiten  Knöpfen,  Ringen  oder  Spitzquadern,  fo  braucht 
nur  noch  gefugt  zu  werden,  daf".  ein  grofser  Tifch1  mit  weifser  Steinplatte 
und  mit  vier  gedrechfelten  fchräg  auswärts  gedeihen  Beinen  die  Zimmer- 
mitte einnimmt  und  über  ihm  von  der  Decke  herab  eine  Latnpe  (?)  oder 
Glocke  (?)  an  einem  Riemen,  welcher  unter  der  Decke  zum  Chörlein  hin- 
laufend hier  an  eiferner  Kette  einen  gedrechfelten  Handgriff  hat,  herabhängt 
um  dasjenige  Bild  des  Raumes  zu  vervollftändigen,  welches  diefer  kurz 
vor  dem  Abbruch  dargeboten  haben  würde  ohne  die  alle  Farben  arnalga- 
mirende  Patina  eines  mehrhundertjährigen  Staubes2. 


1 MuIS  noch  im  Obcrbcrjsiml  vorhanden  fein. 

- Es  lUmlcn  in  dem  Zimmer  noch  Actenfchrankc,  von  denen  die  ällcftcn  imu  n Schub- 
laden hatten  und  durch  Thüren  mit  weilmafchigcn  Holzgitlern  gefchloffcn  wurden.  Ob  (liefe 
aber  auf  1594  fich  datireu  laffen  und  ob  lie  zu  der  Ausftattung  des  Raumes  gehört  haben, 
in u fs  ungewi fs  bleiben.  Ein  folcher  Schrank  uird  in  der  allen  Univcrlitatsbibiiothek  au  fbewahn. 


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Fig.  2 ii. 


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Thalhaus:  Wanrivertäfelung  im  Chörlein. 


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1'ROFANItAUTKN. 


4" 


Allerdings  mufs  noch  über  den  Stil  hinzugefügt  werden,  das  er  aus 
folgenden  Gründen  das  höchfte  Lob  verdient:  Die  VerhältnilTe  und 
Formen  der  Architektur  find  zwar  den  veränderten  Bedingungen  — Klima, 
Volkscharakter  u.  f.  w.  — gemäfs  durchaus  verfchieden  von  denen  der 
Antike,  aber  fichtlich  ftets  hoch  11  edel  und  mit  einer  ftaunenswerthen 
Meillerfchaft  im  Erfinden,  Componiren  und  technifchen  Ausfuhren  vor- 
getragen. Dies  an  Beilpielen  darzuthun.  müden  wir  unterladen;  wir 
glauben,  in  H inlicht  auf  die  in  unferen  Zeichnungen  Fig.  2 10  und  21t  ge- 
gebenen Proben  wird  der  Lefer  fie  leib II  auffinden  können  — dagegen  ill 
noch  auf  einen  zweiten  ßilbedingenden  Hauptpunkt  hinzu  weifen,  auf  die 
Farbengebung.  Darf  man  in  1 linficht  aut  fo  vortreffliche  Formen  etwas 
anderes  erwarten,  als  dafs  auch  fie  meifierhatt  ill ? Sie  ill  die  denkbar 
üppiglle;  man  erinnere  fielt  nur  an  die  vielfarbigen  Hölzer,  die  ja  von 
Natur  gebrochene,  dumpfe  Töne  haben,  aber  durch  die  formenreiche  Aus- 
bildung id.  h.  licht-  und  fchattenreiche)  fowie  durch  dellenweife  Bemalung 
doch  wieder  gefchickt  pointirt  find  und  zu  denen  in  Gegenfatz  die  ein- 
lörmigen,  weichdunkelgrünen  Partien  der  Stoffverkleidung  treten,  lemer 
des  farbenvollen  Bildergürtels  an  dem  oberen  Theile  der  Wand,  endlich 
der  Decke  mit  ihren  hellen,  leicht  bemalten,  goldzapfenbefetzten  Feldern, 
man  denke  lieh  den  farbigen  Ofen  untl  bunte  Teppiche  hinzu  und  alles  das 
übergolfen  von  dem  mildwarmen , grüngoldigen  Lichte  der  Butzenlcheiben- 
verglafung  — kann  ein  Zimmer  üppiger  gefärbt  fein?  Unmöglich,  wenn 
die  Farbengebung  auch  ebenfo  keufeli  fein  foll,  wie  fie  hier  ill;  hier  will  fie 
nicht,  prunkend  wie  die  Schminke  auf  fahlen  Wangen,  die  wahre  Befchaffen- 
heit  des  Stoffes  hinweglügen,  fondern  im  Gegentheil  fie  bringt  folche  voll 
«r  Wirkung.  Uebertlülfig,  nach  alle  dem  noch  auf  den  un fchätzbaren 
Kunllwerth  diel’er  Tifchlerarbeit  befonders  hinzuweifen. 

Wer  aber  war  ihr  Meidor?  Ich  habe  den  Namen  gerade  diefes 
tüchtigften  aller  hallefchen  Kundhandwerker,  fo  viele  ihrer  vor  und  nach 
ibm  bis  zur  Stunde  gelebt  haben,  noch  nicht  auftinden  können,  wiewohl 
diefor  Kündler  in  Holz  noch  verl'chiedene  andere  bedeutende  Arbeiten1 
ausgeführt  hat,  von  denen  wir  an  diefer  Stelle  eine,  die  Thürflügel 
Brüderllrafse  Nr.  14,  befchreiben  wollen,  weil  diefe  Stücke  ebenfalls  zur 
Ausftattung  eines  Bürgerhaufes  gehören,  welches  aber  fonfl  bedeutungslos 
ill  Das  obere  Drittel  der  Flügel  ill  verändert;  übrigens  lieht  man  auf 
jedem  ein  F'eld  von  bandartigem  Flachornament  linnreichlter  Uompolition 
Hg.  212  gefüllt  und  feitl ich  von  Xifchen  eingefafst,  in  denen  Blatt-  und 
Fruchtwerk  hängt,  fowie  unten  und  oben  von  als  Bänder  aufgefafsten  Feldern 
mit  Rundtheilen  und  ßlätterfüllung.  Oelfarbenanllrich  verdeckt  leider 
alle  Feinheit. 

Hierauf  kehren  wir  in  das  Thalhaus  zurück  und  treten  in  den  Raum 
ri".  welcher  neben  dem  befchriebenen  liegt.  Seine  Ausfchmückung  läfst 

1 Siche  die  liefdir  oibiing  der  Ri  äut  iganlsltühlc  der  Murktkirchr.  — I >.i fs  ifiib  ei» 
•tugiiftin  Stcllwagen  wegen  geftohlencn  Silbers  gehengt  werden  f.dl,  aber  frei  kommt,  weil  er 
tut  ..kunftre  ic  h er  Tifchler“  war,  wollen  wir  erwähnen. 


ThiirHiige] , 
Brüdci  (trabte  14. 


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4'2 


IlIK  STADT  HALLE  u.  d.  SAAI.KKP.IS. 


keinen  Zweifel,  dafs  er  felfliehen  Zufammenfein  bei  Hochzeiten,  Fe 
und  Trinkgelagen  gedient  hat:  noch  erinnern  fich  alte  Leute,  dafs  di« 


212- 


reichen  Pfannerfamilien  bei  gewilTen  Gelegenheiten  hier  ceremonia 
an  fein  gedeckten  Tifchent  den  dampfenden  Mocca  tranken.1 


* Ich  fclbfl  fand  noch  in  den  Zimmern  eine  Anzahl  weifser  langgeftlelter  Thonpfe 
aus  denen  bei  Zufammcnkünftcn  geraucht  zu  werden  pflegte. 


p,aü 


PROFANRAOTEN. 


4 '.5 


welchem  Jahre  die  Ausftattung  diefes  Raumes  flammt,  läfst  (ich 
nicht  beftimmt  angoben;  jedenfalls  ift  fie  nach  1607  bez.  1616  ent- 
ftanden,  in  welcher  Zeit  der  Anbau  diefes  Gebäudetheiles  gefchah; 
überdies  fpricht  ihr  Stil  mehr  für  die  mittleren  als  für  die  erden 
Jahrzehnte  des  17.  Jahrhunderts.  Der  Künftler  hat  fich  in  der  allgemeinen 
Dispofition  der  Architektur  feines  Collegen  von  1594  angefchloffen.  .Etwas 
über  Manneshöhe  läuft  an  den  Wänden  ein  Confolenßms  um,  unter  welchen 
die  glatt  vertäfelte  Wand  mit  fchwülftigen,  braun  in  braun  plalfifch  gemalten 
Ornamenten  ziemlich  roh  belebt  ift,  während  über  ihm  grol'se  eingerahmte 
Oelbilder  auf  Leinwand  oder  auch  den  Wandtafeln  direct  aufgemalte  Bilder 
bis  zur  Decke  reichen.  Die  faloppe  Malerei  der  unteren  W andpartie  fcheint 
nur,  um  das  Holz  nicht  roh  zu  belaßen  an  Stelle  einer  wirklichen  Teppich- 
bekleidung, durch  welche  fie  bei  Benutzung  des  Zimmers  rings  verdeckt 
wurde,  angebracht  zu  fein;  zur  Befelügung  einer  folchen  werden  die  in- 
mitten eines  jeden  Confolenfeldes  unter  dem  Simfe  befindlich  gewefenen 
Stücke,  Haken  oder  Ringe,  gedient  haben.  Es  fiand  in  der  nordweftlichen 
Zimmerecke  der  (Kachel-?)  Ofen,  die  Verbindungsthür  beider  Räume  in 
derWeftwand  ift  mit  einer  Triumphbogenarchitektur  umgeben,  indem  jeder- 
feits  zwei  auf  einem  Pollamente  freiflehende  Säulen  ein  verkröpttes  Gebälk 
tragen,  über  defTen  Mittelpartie  ein  kartufchenuinrahmtes  Oelbild,  auf  Holz 
gemalt  und  einen  gar  liebreizenden  Mädchenkopf  in  natürlicher  Gröfse 
darftellend,  aufgeflellt  ift.  Bis  zur  Ecke  links  wird  die  Wand  oben  von 
einem  Oelbilde  auf  umrahmter  Leindwand  eingenommen;  man  lieht  ein 
blühendes  Weib  in  der  Pofe  und  mit  dem  Beiwerke  der  Tizianifchen 
\enus  in  der  Tribuna  der  Ufficien  nur,  dafs  fie  mit  Schmuckfachen  in  den 
formen  der  deutfehen  Rennaifance  angethan  ift. 1 Den  Raum  zwilchen 
dem  Chörlein  der  Südwand  und  den  feitlichen  Fenfterti  nimmt  unter  dem 
Sims  jederfeits  ein  Spiegel2  ein  mit  einem  darüber  befindlichen  kräftigen 
andarme,  welcher  hohl  in  Blech  (Bronee)  mit  vielen  Zierrathen  hergeftellt 
ift;  über  dem  Simfe  verkleiden  die  Wand  bemalte  Holztafeln.  Die  fenfter- 
lofen  Wände  des  Chörleins  find  von  Kartufchenmalerei  überzogen;  die 
banduhr  an  der  einen  Seite  gehört  vielleicht  in  fpätere  Zeit.  Die  Eckftiele 
dir  fenfterfeiten  find  urfprünglich  (wie  fich  bei  dem  Abbruche  nach  ab- 
gelöftem  Fenfterfutter  zeigte)  als  ob  eine  Eenfteranbringung  gar  nicht 
babfichtigt  gewefen  wäre,  pfeilerartig  profilirt  und  bemalt  wie  alle  übrigen 
Theile  des  Zimmers.  Ueber  den  Fenftern  finden  fich  allegorifche  Malereien 
aut  Holz  in  Umrahmung,  die  fünfSinne  als  weibliche  Brullbil.ler  darftellend. 


1 Von  compctcntcfter  Seite  wird  auf  Grund  alter  Urkunden  gemeint , es  fei  dies  jene 
Skönheit,  welche  den  Meteritzbrunncn  in  Thale  (f.  die  Befchreibung  des  Satte- Wercks  von 
H'uidorff  p.  13,3  in  von  Drcyhauptl.)  habe  von  dem  Gelde  giaben  laffen,  welches  fie  fich  durch 
O'ilifche  Dicnfte  verdient  gehabt  hätte,  und  man  bringt  auch  den  Namen  des  Brunnens  damit 
r /-nfainmcnhang.  Es  dürfte  dem  lieferen  Sinne  diefer  Tradition  nach/ufpürcn,  vielleicht  von 
Isicrcffe  fein. 

* Die  lctr-tvorhanilencn  gehörten  allerdings  erlt  der  Zopfzeit  an. 


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4 14 


D1F.  STADT  HALLE  u.  <1.  SAALKREIS. 


Die  obere  Partie  der  Oftwand  hat  zu  jeder  Fenfterfeite  auf  die  Wandtäfelur 
gemalte  Figuren  wohl  auch  von  allegorifcher  Bedeutung  aber  nicht  mehr  gi 
erkennbar.  Die  Nordwand  endlich  ilt  von  einer  Thür  zum  Corridor  dürr 
brochen;  die  Ausftattung  der  letzteren  gleicht  ganz  der  befchriebenen.  .1 
der  Wand  oben  rechts  fieht  man  aut  einem  grofsen  umrahmten  Leinwan 
bilde  einen  Mann  mit  Hunden  und  eine  Anzahl  Frauengeltalten  im  Vorde 
gründe  am  WafTer;  fcheinbar  ilt  es  Actäon,  der  die  Diana  im  Bade  übt 
rafcht.  Die  Zimmerdecke  ilt  derartig  calTettirt,  dafs  mitten  vier  gröfse 
Felder  entliehen.  In  ihnen  werden  auf  Leinwandbildern  in  je  zwei  allegorifcb' 
Figuren  von  Rubens’fcher  AuffafTung  die  vier  Jahreszeiten  dargeltellt.1 
den  kleinen  Feldern  ilt  auf  Holz  ein  elegantes,  vielfarbiges  Rankenomarne 
gemalt.  Gedrechfelte  Blätterzapfen  hängen  von  den  Kreuzpunkten  d 
Deckenbalken  herab  und  unzählige  Knöpfe,  Rofetten,  Spitzquadem  u I. 
dienen  zur  fernem  Bereicherung  der  mit  Bandmotiven  bemalten  Balle-: 
Das  Chörlein  hat  eine  einfeldrige  Decke  , in  die  eine  geflügelte  Figur 
Wolken  gemalt  ilt. 

Um  nun  den  Stil  diefer  Zimmerarchitektur  zu  befchreiben,  mi 
vorausgefchickt  werden,  dafs  alles  Holzwerk  theils  mit  Oel-  theils  r 
Leimfarbe  bemalt  ilt  oder  eine  glänzende  Vergoldung  bekommen  H 
folern  es  nicht  überhaupt  nur  Ornamentgruppen  und  ganzen  Bildern  , 
Grund  dient. 

Schon  hieraus  ergiebt  fleh,  dafs  die  Unwahrheit  in  der  Archileki 
Platz  gegriffen  hat ; das  Holz  will  nicht  mehr  Holz  fein,  fondem  irgend  i 
koflbarer  Stoff,  die  weifsmarmorirten  Säulen  z.  B.  wollen  Marmor,  t 
goldenen  Leilten  und  Zapfen  wirklich  von  Gold,  die  Täfelung  Teppiche  ex 
Gobelins  fein  u.  f.  w. , kurz  wir  haben  es  hier  bereits  mit  dem  Barockli 
zu  thun.  Natürlich  Ipricht  lieh  derfelbe  auch  in  den  Formen  aus,  die  « 
unfehöner  und  roher  gearbeitet  lind,  als  die  des  älteren  Zimmers,  währt 
einerleits  z.  B.  durch  die  frei  flehenden  Säulen  ein  überkräftiges  Relief 
zeugt  wird,  läfst  man  es  andererfeits  z.  B.  an  dem  Thüraulfatze  fchon 
plaltifch  gemalten  Kartufchen  auf  glatten  Brettern  bewenden.  Gewifs 
Kunlt  hat  hier  fchon  einen  Schritt  abwärts  gethan,  ihre  Reize  lind  ni< 
mehr  natürlich,  fondem  durch  eitel  Schminke  hervorgebracht;  man  fei  t 
folcher  Maskerade  einverftanden  — und  das  mufs  man  fein,  um  die  barocl 
Schöpfungen  überhaupt  verliehen  und  geniefsen  zu  können  — dann  w 
der  Pomp  und  die  prahlende  Pracht  mehr  noch  der  Farben  als  der  Font 
das  Auge  denn  doch  wohl  befriedigen;  die  Kunfl,  die  1594  gleichfam  tu 
eine  züchtige  Jungfrau  war,  ift  hier  fchon  zum  Vollreifen,  prunkliebem 
Weibe  geworden. 

Am  Thalhaufe  ift  auch  die  Con  llruc  tion , welche  bei  dem  Abbnu 
eingehend  unterfucht  werden  konnte,  an  fleh  und  befonders  deshalb 


1 So  viel  von  den  Gemälden  diefes  Zimmers  noch  zu  erkennen  ift,  läfst  lieh  fager. 
fie  alle  vorzügliche  Decorationsmalereicn,  aber  auch  nicht  mehr  find. 

2 Die  alten  Stühle  mit  hohen,  gepolterten  Lehnen,  gepolterten  Sitzen  und  gedrecWe 
Beinen  muffen  im  Oberbcrgamt  vorhanden  fein. 


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PROFAN'BAVTEN, 


415 


achtenswerth.  weilfich  aus  ihr  auf  die  Datirung  der  Gebät^detheile  fchliefsen 
läfst.  Die  Wände  des  1594  ausgetäfelten  Zimmers  waren,  abgefehen  von 
fpäter  ausgemauerten  Lücken,  als  Blockwände,  innen  mit  Bohlen,  aufsen 
mit  Steinen  verkleidet,  conlfruirt,  und  das  ifl  meines  Frachtern  ein  un- 
trügliches Kennzeichen  dafür,  dal's  flavifches  W’elen  unter  denen,  die  14O4 
(liefen  Bau  veranlafsten,  noch  recht  mächtig  war.  Dafs  aber  diefe  Wände 
aus  gothifcher  Zeit  flammten,  bewiefen  die  unter  der  Ronaifanceverkleidung 


Kig.  214. 


erhaltenen  gothifchen  Formen,  namentlich  eine  Lfelsrückenthür  mit 
Kothifchem  Profil  unter  dem  Futter  der  Corridorthür  und  eine  volllländige 
Kohlendecke  in  fpätgothifcher  Ausbildung  unter  der  CafTettendecke.  Die 
beiden  Balken  diefer  gothifchen  Decke  hatten  auch  die  Haupttheilung  der 
ipäteren  bedingt;  fie  wurden  nur  durch  eine  Umkleidung  in  Rahm  und 


Kig. 2 13. 


füllung  paffend  umgeformt.  Ihr  gothifches  Ausfehen  zeigen  die  Fig.  >13 
«nd  214,  aus  welchen  auch  die  gefchickte  von  unten  nicht  fichtbare  Träger- 
ronilruction  aus  drei  Balken  fowie  die  nicht  minder  gefchickte  Bohlenver- 


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4i6 


wf.'stadt  balle  u.  d.  saalkreis. 


bindung  der  Balkengefache  zu  erkennen  ift.  Dadurch  dafs  wir  in  Fig.  215 
noch  einen  Träger  des  Jahres  15S9  aus  dem  Haufe  kl.  Sandberg  Nr.  15 
geben,  mag  die  Formenumbildung  diefes  Bautheiles  fich  erkennen  laden. 
Ueber  der  ganzen  Bohlendecke  lag  eine  handhohe  I.ehmfchicht,  die  wohl 
nicht  erft  fpäterer  Zeit  angehörte.  Bemerkt  fei  noch,  dafs  diefe  Decke 
etwa  1 " unter  den  Dachbalken  lag,  doch  war  auch  die  Decke  des  örtlichen 
Zimmes  noch  etwas  tiefer  als  die  Dachbalken  lagen  und  zwar  fo  angeordnet, 
das  fie  als  ein  Stück  mit  vielen  Fifenhaken  in  Krampen  an  ihren  Balken 


F'C-2'5- 


Sandberg  Nr.  15  Deckenträger  von  1580. 


hing.  Aufser  den  Blockwänden  waren  alle  anderen  Wände  des  Oberge- 
fchofTes  in  Riegelfachwerk  mit  ausgellakten  Gefachen  hergertellt. 

Für  die  Baugefchichte  ergiebt  fich  hieraus  Folgendes:  Nachdem 
1464  ein  zweige fchofsig es  Haus,  genau  die  weftliche  Hälfte  des  fpäteren 
Grundrides  grofs,  gebaut  war,  wurde  demfelben  1558  von  N.  Hofman  nebll 
einer  neuen  Thür  und  einem  Medaillon  wahrfcheinlich  auch  ein  Chörlein 
und  ein  unbedeutender  örtlicher  Anbau  zugefügt;  1594  wurde  das  obere 
Zimmer  vertäfelt  und  1607  bez.  1616  entlland  durch  den  örtlichen  Anbau 


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PROKANBAtITKN. 


417 


bis  zur  Grenzmauer  durch  eine  Erhöhung  des  ObergefchoiTes  um  1"  und 
durch  ein  ganz  neues  Dach  die  befchriebene  Geftalt.  Dem  fügen  wir  noch 
hinzu,  dafs  das  gothifche  Zimmer  wohl  nie  recht  benutzt  ift,  weil  man  z.  B. 
das  Trägerprofil  an  den  Enden  unausgebildet  gelaffen  hatte.  Das  weltliche 
Chörlein  fcheint  man  erft  1594  gebaut  zu  haben.  In  diefem  Jahre  mufs  es 
natürlich  vorhanden  gewefen  fein,  aber  es  mufs  auch  wegen  der  Thür- 
ausbildung an  der  Scheidewand  beider  Obergefchofszimmer  ein  örtlicher 
Anbau  exiftirt  haben,  fei  es  auch  nur  ein  Treppenthurm  wie  fpäter  am 
Corridor.  Der  Anbau,  den  wir  auf  1607  bez.  1616  fetzen,  kann  es 
übrigens  noch  nicht  gewefen  fein , weil  das  örtliche  Chörlein  breiter  als  das 
weflliche  ift,  was  bei  ihrer  gleichzeitigen  Entftehung  vermieden  fein  würde 
und  weil  die  Stile  des  Oßchörleins  der  Zimmerausllattung  entfprechend  im 
Stile  des  17.  Jahrhunderts  ausgebildet  find.  Die  Aehnlichheit  beider  Aus- 
bauten z.  B.  am  Fufsgefimfe,  in  der  Höhe  u.  f.  w.  ift  darauf  zurück/.uführen, 
dafs  mit  dem  letzten  Anbau  das  Thalhaus  entfprechend  , erneuert:'  wurde, 
wie  Olearius  ausdrücklich  angiebt. 

Das  Gebäude  der  Schäme  (Scharren)  ift  zwifchen  Brüderftrafse,  Schäme. 
Neunhäufer  und  gr.  Steinftrafse  gelegen  und  jetzt  zu  kaufmännifchen  Lager- 
räumen ganz  verbaut.  Es  foll  für  einen  Holzbau  vom  Jahre  1510  und  151 1 
in  Stein  155z  erbaut  fein,  allein  der  Stil  der  Ueberrefte  neigt  fich  fchon 
bedenklich  zum  Barock  hin,  fodafs  der  Bau  erft  1598  entftanden  fein  wird, 
über  welches  Jahr  man  ebenfalls  Nachricht  hat,  dafs  die  Schäme  „von  Grund 
auf  neu“  erbaut  worden  feien.1  Nach  Aufsen  fällt  der  Bau  jetzt  nur  noch 
durch  feine  Portale  auf;  im  Innern  aber  ftellt  er  fich  als  ein  Hof  dar,  um- 
geben von  einer  Flachbogenarkade,  über  welcher  ein  Fachwerksgefchofs 
liegt.  Unten  in  den  offenen  Hallen  hatten  die  Fleifcher  (und  Bäcker?)  oben 
in  den  gefchloflenen  Räumen  die  Schüller,  Kürfchner,  Tuch-  und  Pelz- 
Händler  ihre  Stände.  Die  fchlichten  Säulen  find  toskanifch,  von  gedrungenen 
VerhältnifTen  und  von  origineller  Ausbildung  des  Capitäls.  Die  Holz- 
architektur des  ObergefcholTcs  zeigt  eine  Gefachausfüllung  unter  den 
Fenftern  durch  Andreaskreuze  von  gebogenen  Schenkeln,  an  dener\  gothifche 
Näfen  fitzen,  alfo  eine  Form,  wie  fie  in  Fig.  146  gezeichnet  ift  von  einem 
nicht  mehr  vorhandenen  Haufe  und  die  fchwerlich  erft  1598  gemacht  fein 
wird.  Vielleicht  geht  man  nicht  fehl  anzunehmen.  dafs  diefe  1 lolzarchitektur 
von  dem  Baue  1510  und  1511  herftammt  und  ziemlich  unverändert  1598 
wieder  verbraucht  ift.  Die  Zugänge  liegen  an  den  Schmalfeiten  des  Hofes 
einander  gegenüber  gegen  die  Brüder-  und  Steinftrafse.  Das  Portal  in 
letzterer  ill  das  einfachere,  hat  aber  rechts  neben  fich  noch  eine  Thür,  die 
dem  anderen  fehlt.  Diefe  Nebenpforte  weicht  von  den  .bisher  befchriebenen 
dadurch  ab,  dafs  fie  mit  einem  wagerechten  Sturze,  welcher  durch  ein  von 
Confolen  getragenes  Gefims  und  durch  Kartufchen  ausgefchmückt  ift,  über- 

1 Die  Chroniften  widerfprechen  fich  fclbft.  Olearius  giebl  beide  Jahreszahlen  an, 
ron  Dreyhaupt  I.  677  fchreibt,  dafs  fie  „wie  fie  jetzo  (1755)  ftehen“  1552  erbauet  wären,  dagegen 
H.  361  fchreibt  er,  dafs  ein  Bürgerhaus  angekauft  und  niedergeriffen  fei  und  dafs  dafür  1 598  die 
-noch  jetzo  vorhandenen“  Scharren  von  Grund  auf  neu  erbaut  wären. 

B.  D.  d.  Bau-  ti.  Kunstd.  N.  F.  I.  27 


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4 1 8 DIR  STADT  » AU.I-  U.  <1.  SAAt.KRKlS. 

deckt  wird  und  ein  Gewände  in  Architravprofilirung  ftatt  feitlicher  Nifchen 
hat.  Das  Thor  mit  flach  ornamentirter  Rundbogenarchivolte  hat  durch 
jederfeits  eine  auf  einem  Poftamente  frei  flehende  gedrungene  Säule  to>- 
kanifcher  Ordnung  mit  Gebälkverkröpfung  bis  zur  Hängeplatte  eine  fall 
überkräftige  Umrahmung  bekommen.  Das  Kranzfims  noch  durch  einen 
dritten  Kropf  über  dem  Schlufsfteine  des  Bogens,  fowie  von  Confolen  unter- 
ftützt  ladet  weit  aus  über  einem  Triefe,  welcher  in  den  Feldern  Kartufchen 
von  guter  F.rfindung  hat. 

Das  Portal  in  der  Brüderftrafse  F'ig.  zi6  ift  durch  den  Vorfprung 
des  Nachbarhaufes  in  eine  Ecke  gezwängt.  Es  ift  bei  ganz  gleicher  Dis- 
pofition  viel  fchmuckreicher  als  das  eben  befchriebene,  mit  ihm  correl  pondirende. 
Es  find  die  Poflamente  und  das  untere  Säulendrittel  mit  Kartufchen,  die 
noch  keine  ftarke  Silhouette  haben,  überzogen;  von  unbefchreiblich  fiedelndem 
Ausdruck  find  zwei  kleine  Löwenköpfe  an  den  Säulen,  LeckerbifTen  für  das 
Auge  Die  Archivolte  füllt  fich  mit  kräftigem  Laubornamente:  in  den 
Bogenzwickeln  fieht  man  allegorifche  F'iguren  reliefirt  und  zwar  links  eine 
männliche  mit  Schaufel,  Rechen  und  kranzumwundener  Senfe,  rechts  eine 
weibliche  mit  einer  Garbe  und  einem  Drefchflegel ; kleinere  Reliefs, 
kartufchendurchwoben,  jedoch  unter  vielfachem  Oelfarbenanftrich  nicht  wohl 
erkennbar,  befinden  fich  auch  in  den  Feldern  zwifchen  den  masken-  und 
kartufchengezierten  Confolen  und  haben  fcheinbar  auf  Handel  und  Verkeht 
(Schiffe)  Bezug.  Der  Löwenkopffchlufsflein  und  der  Gebälkkropf  darüber  ver- 
dienen befondere  Beachtung ; ob  jedoch  die  Jahreszahl  1508,  welche  manhiei 
dem  Architrave  vertieft  eingemeifselt  fieht,  nicht  erft  eine  fpätere  Zuthat  ift, 
wie  mir  der  Form  der  Zahlzeichen  nach  fcheinen  will,  mufs  dahingeftellt  fein.1 

Die  Architekturen  der  Schäme  wirken  fehr  kräftig,  einestheils  durct 
die  Abmeffungen,  anderntheils  durch  die  Licht-  und  Schattengebung.  Wii 
möchten  fall  annehmen,  dafs  der  Meifter  mehr  Architekt  als  Decoratetn 
war,  jedenfalls  hat  er  die  geillreich  gezeichneten  Zierrathe  oft  gar  zu  falopf 
ausgearbeitet.  Man  mufs  fagen,  dafs  in  diefen  Architekturen  fchon  eit 
wenig  Vorgefchmack  des  Barockftils  fich  fpürtläfst  und  zwar  in  dem  Portal* 
der  Brüderftrafse  fchon  mehr  als  in  dem  der  Steinftrafse ; wir  fuhren  dazi 
noch  ein  drittes  Portal  den  F ormen  nach  von  diefem  namentlich  unbekanntei 
Meifter  an,  an  welchem  fich  der  Uebergang  feiner  Kunft  zum  Barock  nui 
Portal  Leipziger-  nicht  mehr  verbergen  läfst,  das  Portal  Leipzigerftrafse  Nr.  5.  Die  Dis 
ftraf«  Nr.  5.  pofition  ift  hier  eine  andere.  Die  Archivolte  des  Thorbogens  wird  zwar  vof 
demfelben  Motive  ausgefüllt  wie  die  in  der  Brüderftrafse,  aber  ihre  Aus 
bildung  ift  bedeutend  voller,  üppiger.  Die  Gewände  find  zu  Nifchen  mi 
Sitzen  ausgebildet,  was  bei  Thoren  fonft  nicht  vorkommt.  Säulen  fehlen 
dafür  ragt  in  pikanten  Kartufchen  omamentirt  jederfeits  eine  Confoli 
nach  vorn  über  einer  Pilafter Vertiefung  vor;  fie  ift  etwa  in  Kämpterhoh 
angebracht  und  trägt  eine  höchft  plumpe  Herme,  die  mittelft  Gebälkkrop 
das  Kranzfims  unterftützt;  eben  diefem  Zwecke  dient  auch  der  als  Löwen 

1 Hinfichtlich  des  Portals  Leipzigerftrafse  X r.  5 wird  man  annchnirrt  duffen  , «lafs  !>ci<1 
Schirneporlale  eine  Bekrönung  durch  Statuen  hatten. 


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PROPANHAUIP.N. 


419 

upf  mit  einem  Ringe  im  Maule  ausgebildete  Schlufsliein.  In  einer  Kar- 
ifche  über  der  linken  Nilche  lieht  SOL  JVSTICI^,  in  einer  anderen  über 

Kig.  216. 


er  rechten  Nifche  LVNA  TEMPERANTI^,  welche  lnfchrillen  lieh  auf  die 
{»liefs  in  den  Bogenzwickeln  beziehen;  diefelben  Hellen  vor  links  neben 


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420 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


Marien- 

bibliothek. 


einer  kleinen  Sonne  den  Sonnengott  mit  der  Fackel,  rechts  neben  ein 
kleinen  Mondfichel  die  Luna  (Diana)  mit  Pfeil  und  Bogen.  Wir  lefen  fern 
vorn  an  der  linken  Herme  ANNO  DOMINI  und  an  der  rechten  1600  1 A 
dem  Hauptgefimfe  liehen  frei,  in  halber  I.ebensgröfse  gearbeitet,  links  d 
Themis  mit  einem  gewaltigen  Schwerte  und  der  Wagfchale,  inmittt 
Simfon  den  Löwen  bezwingend  und  rechts  Hebe  (?)  aus  hoch  erhobene 
Gefafse  einen  Strahl  in  ein  Trinkgefäfs  giefsend.  Zwifchen  diefen  Figurt 
find  ovale  Medaillons  mit  Kartufchenrahmen  der  Wand  eingefügt ; auf  de 
linken  lieht: 

SPLENDIDA  • JUSTITI/E  • SIMSON  ■ SPECTATVR  • IMAGO  . 

IMMANEM  • MANIBVS  . DVM  • NECAT  IPSE  FERAM  . 

auf  dem  rechten: 

JVSTITIJE.  SOROR.  EST-  QV/E . TEMPERAT  ■ OMNIA  • VIRTVS 
HANC  • NOTAT  • OCCISS/E  • MEL  - QVOD  • AB  • ORE  • CADIT  • 

Auch  diefes  Portal  gefällt  zumeilt  durch  die  glückliche  Malfenvertheilun) 
wenn  auch  die  Schönheit  vieler  Details,  namentlich  der  Kartufchen  und  dt 
Archivolte,  keineswegs  uninterelfant  ilt.  Die  Profilirung  der  Simfe  ill  etwi 
vernachlälbgt,  z.  B.  ill  die  Hängeplatte  zu  llark ; die  Figuren  der  Bekrönun 
find  die  fchwächlte  Leillung,  fie  find  fehlerhaft  in  der  Haltung  un 
Proportionirung  und  fchon  zu  bewegt. 

Zum  Bau  der  Marienbibliothek*  am  Markte  füdlich  von  d« 
Hausmannsthürmen  ill  am  30.  Juni  1607  von  „Meiller  Hänfen,  den  Steil 
metzen,“  der  erlle  Stein  gelegt  worden  und  1609  ill  das  Gebäude  ferti 
gewefen.  Zu  einer  fo  pomphaften  Ausführung,  wie  fie  das  letztbefchrii 
bene  Portal  zeigt,  haben  dem  Baumeilter  für  die  Marienbibliothek  fcheii 
bar  die  Mittel  gefehlt,  dennoch  fieht  man  die  Kunll  hier  dem  Baroc 
einen  weiteren  Schritt  zu  thun.  Der  _J  förmige  Grundrifs  des  dreist 
fchofsigen  Gebäudes  zeigt  ein  gewölbtes  Unter-  und  F.rdgefchofs ; letztere 
iß  ßets  zu  Läden  vermiethet  gewefen;  (Fig.  152  Hellt  ein  Ladenfenßer  dar 
Im  Hofe  in  der  Ecke  der  beiden  Gebäudeflügel  liegt  der  von  einem  marki 
feits  herkommenden  Flure  zugängliche  achtfeitige  Treppenthurm,  va 
dem  aus  im  erßen  Obergefchofle  eine  Thür  in  den  Bibliotheksrauit 
welcher  den  ganzen  Oßflügel  einnimmt,  führt,  während  man  durch  ein 
zweite  nordwärts  in  die  „grofse  Convent- Stube,“  die  jetzt  in  mehre  Räum 
getheilt  iß,  kommt.3  Im  letzten  Gefchofie  find  ßets  Wohnungen  geweletl 
Am  Aeufseren  fällt  der  nordwärts  gerichtete  Giebel,  da  ihm  faß  alle  Kunll 
formen  jetzt  fehlen,  nur  noch  durch  die  Jahreszahl  der  Vollendung  de 
Baues  1509  auf;'4  von  der  Halle  aus  gefeiten  hebt  lieh  die  Thurmfilhouetti 

1 Bei  vom  Hagen  I.  178  ifl  lälfchlich  1601  angegeben. 

2 Ueber  ihre  Entftehung  u.  f.  w.  flehe  von  Dreyhaupt  II.  217. 

3 Die  Infchriften  in  der  Convcnlftubc  Ache  bei  Olearius  129. 

4 Das  Dach  fall  nach  dem  Marktplätze  zu  verfchiedene  (3)  Erkner  gehabt  haben.  «Iw 
dann  jedenfalls  von  einem  dem  Giebel  ähnlichen  Ausfehcn  gewefen  fein  dürften. 


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PROFANBAUTEN, 


421 


■ den  breiten,  (teilen  Dachflächen  recht  malerifch  ab;  übrigens  hat 
•derum  nur  das  Portal  eine  befondere  Ausbildung  bekommen.  Die 
chivolte  feines  Rundbogens  ift  als  Architrav  mit  Perlenftabzierrathen 
ifilirt,  Kartufchen  füllen  die  Bogenzwickel  aus  fowie  andere  gröfsere 
'chen.  Jederfeits  zwei  auf  einem  Poftamente  freiftehende  toskanifche 
den  tragen  ein  bis  zur  I längeplatte  verkröpftes  Gebälk,  an  deffen  Kranz- 
fe  die  Unterglieder  durch  eine  Hohlkehle  erfetzt  werden.  Als  Aufbau 
eine  ziemlich  wilde,  mit  Knöpfen  und  Spitzquadern  verzierte  und  mit 
?m  Kopfe  bekrönte  Kartufchenumrahmung  eines  flachrunden  Flurfenllers 
stein  gemeifselt. 

Im  Inneren  fallen  die  grofsgliedrigen  Profile  der  oben  rechteckigen 
irgewände  und  die  mit  flachen  Kartufchen  überzogene  Stufenunterlicht 
Der  Bibliotheksraum  hatte  ehemals  eine  Säulenreihe  inmitten,  welche 
gewölbte  Decke  trug,  die  vor  mehreren  Jahrzehnten  eingefallen  ift. 
dorifchen  Säulen  mit  Kartufchenfehmuck  am  Hälfe  befinden  fich  jetzt 
Garten  der  Saalfchlofsbrauerei  zu  Giebichenftein.  Die  Ausbildung  eines 
fterpfeilers  des  Bibliothekraumes  Fig.  204  und  die  Profilirung  der  Fenfter- 
ände  Fig.  192  lind  fchon  befchrieben.  Im  Zimmer  des  Bibliothekars 
lieh  eine  alte  Holzvertäfelung  leider  angelfrichen,  erhalten.  Eine  Thür 
eingelegter  beachtenswerther  Holzarbeit  (Netzmufter),  die  auf  dem 
en  unbeachtet  war,  befindet  fich  jetzt  im  Provinzialmufeum. 

Wir  erwähnen  noch  das  Bürgerhaus  gr.  Ul richftra  fse  N.  55.  gr.  Ulrichilr.  55. 
m wegen  feines  hohen  Daches  und  eines  Treppenthurmes  im  Hofe 
das  dreigefcholsige  Gebäude  im  Bilde  der  Stadt  überall  auffällig  hervor. 

Farade,  welche  im  Firdgefchofs  jetzt  grofse  I.adenfenfter  hat,  ift  in  Hinlicht 
iie  Ausfchmückung  der  Fenllergewände  durch  F’ruchtbündel  in  den  Ober- 
loffen  beachtenswerth.  An  einem  Gewände  lieht  als  die  Krbauungszeit 
laules  das  Jahr  162t.  Das  Dach  hat  zwei  ununterbrochene  Reihen  von  ab- 
ifelnd  ausgemauerten  und  recht  zierlich  durch  Zahnfchnitte  und  Fäfen 
ebildeten  Luken.  Man  hat  auch  die  in  Backllein  ausgeführte  Abfchlufs- 
der  übrigens  eingemauerten  Giebel  durch  eine  wiederholte  Volutenlil- 
tte  lebhaft  bewegt.  Der  ehemalige  Eingang  ill  mit  Kreuzgewölben,  die 
auf  guc  gezeichnete  Confolen  fetzen,  überdeckt.  In  den  anderen  Erd- 
lolsräumen  (jet/t  Läden)  lieht  man  aufser  einer  einfachen  Holzdecke 
eine  fehr  prächtige;  diefe  letztere  ift  in  ähnlicher  Weife  callettirt, 

1t  und  vergoldet  gewefen,  wie  die  des  jüngften  Thalhauszimmers, 
s aut  einen  gemeinfamen  Meifter  gefchloffen  werden  mufs. 

Ueber  die  Profanbauten,  die  während  und  nach  dem  dreifsigjährigen 
je  entftanJen  find,  eingehender  zu  fchreiben,  wollen  wir  verzichten, 
ten  jedoch  nicht  unterlaßen  ausdrücklich  darauf  hinzuweifen,  dafs 
er  wie  FCIeinfchmieden  Nr.  2 (auf  Fig.  295  noch  lichtbar),  welcher  äufserll 
ilftig  überall  mit  Ornamenten  überzogen  ift,  fodafs  das  Auge  die 
erungen  kaum  noch  erkennen  kann,  ferner  kl.  Steinllrafse  Nr.  7, 
erftrafse  Nr.  2 und  andere  weniger  gut  erhaltene  llolzfchnitzereien 
eufseren  der  Gebäude  barock  find. 

Den  Befchlufs  möge  die  gefonderte  Betrachtung  des  baulich  so  merk- 


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I1IE  STAUT  HALLE  u.  d.  SAALKKK1K. 


4*2 


Gottesacker.  würdigen  alten  Stadt-Gottesackers  bilden.  Seine  Entftehungsgefchicht« 
geht  auf  den  Cardinal  Albrecht  zurück,  dem  die  Kirchhöfe  als  Begräbn:.- 
platze  in  der  Stadt  zuwider  waren,  befonders  als  er  deren  zu  Bauteilen  b< 
durfte,1  1529  veranlafste  er  daher  den  Rath  (ich  zu  verpflichten:  ,, Wollen auc 
einen  Kirchhoff  zu  ßegrebnufs  der  todten  auf  dem  Mertensbergk . wo« 
am  bequemeften,  zurichten  laflen,  dohin  die  gemeine  Bürgere  und  Einwohner 
zu  Halle  füllen  und  mugen  begraben  werden.“8  Auf  dem  Kirchhofe  « 
Martinskapelle,  welche  auf  diefem  Berge  Rand,  hatten  1350  und  1450  (i 
Peflzeiten)  fchon  Malfenbegräbniire  ftattgefunden , jetzt  aber  vergröfserl 
man  durch  Ankauf  von  Land  den  Kirchhof,  umgab  ihn  einllweilen  m 
einer  Wellerwand  und  der  llalberftädter  Weihbifchof  weihte  den  neu* 
Friedhof  unter  Ceremonien  ein.  Die  Kapelle,  „ein  feines  wohlerbauti 
Gebäude,“  brach  man  1547,  als  man  einmal  mit  der  Ablicht  umging  d< 
Martinsberg  zu  Kriegszwecken  zu  befeftigen,  ab,  und  um  das  Jahr  1558  — vi< 
leicht  fchon  ein  Jahr  früher  — wurde  das  jetzige  Bauwerk  von  Nickel  Hofm, 
begonnen,  indem  diefer  den  erften  jener  94  Grabbögen  baute,  die  ein  vie 
eckiges  Terrain  von  ungefähr  123"  im  Norden,  129“  im  Orten,  150“ 
Süden  und  113“  in  Werten  umfriedige«  und  fo  eine  Campofantoanlaj 
bilden,  welche  wohl  auf  deutfehem  Boden  die  einzige  ihrer  Art  ift.  Fig.  21 
Zu  einer  fo  grofsartigen  Anlage,  wie  lie  wirklich  ausgeführt  ift,  ind« 
man  einen  Bogen  an  den  andern  baute  je  nach  Bedürfnifs  bis  1504  d 
ganze  Friedhot  umfchlollen  war,  fcheint  allerdings  erft  1563  und  1504  d 
Plan  gereift  zu  fein,  als  man  nach  abermaligem  Landankauf  das  gar 
Terrain  einebnete  und  mit  einer  fteinernen  UmtälTungsmauer  umgi 
Hin/ugcfügt  fei  noch,  dafs  1615  der  Sturm  11  (oder  2?)  Bögen  an  < 
Nordweftecke  um  warf  und  dafs  man  diefelben,  als  lie  wieder  aufgeb. 
wurden,  mit  Harken  Strebpfeilern  äufserlich  lichcrte  Schon  im  17,  Jah 
mufste,  weil  der  umfchloffene  Raum  nicht  mehr  genügte,  nachbarlicl 
Terrain  zugekauft  werden,  zu  dem  in  Norden  und  Ollen  je  ein  Bogen 
Zugang  durchbrochen  wurde. 

Die  unregelmäfsige  P langeft al t ung  erklärt  Reh  aus  den  zufällig 
Grenzen  des  angekauften  Landes  und  ill  in  Wirklichkeit  nicht  fonderlich  a 
fallend.  Dafs  die  Oftfeite  etwas  höher  als  die  anderen  Seiten  liegt, 
durch  das  Anfteigen  des  Terrains  begründet;  für  die  unorganifche  Eckv 
bindung  der  Oftfeite  mit  den  anliegenden  aber  läl'st  (ich  kein  Anlafs  auffind 
wie  die  Infchriften  der  Bögen  beweifen,  ift  man  im  Bau  von  dem  letzten  Boj 
der  Nordfeite  zum  erften  der  Oftfeite  übergegangen , ebenfo  wie  man  v 
letzten  Oftfeitenbogen  fogleich  zur  Südfeite  gefchritten  ift.  Eine  and 
Unregelmäfsigkeit,  ein  plötzlicher  Ruckfprung  in  der  weltlichen  Bogenrei 
wird  uns  mit  dem  urfprünglichen  Projecte  des  Baumeiflers  bekannt  macll 
Der  jetzige  Eingang  in  den  Gottesacker  liegt  in  der  der  Stadt  zugekehr 
Weftfeite  unfymetrifch,  und  zwar  fo,  dafs  Reh  die  Symmetrie  durch 

1 Dafs  den  Cardinal  keine  humanitären  Rücklichtcn  bewogen,  die  Friedhöfe  zu  verciot 
ift  bei  der  Marktkirchcnbcfchrcibun*;  des  Weiteren  erörtert  worden. 

J Aus  einem  bei  von  Dreyhaupt  I.  262  unter  Nr.  397  mitgcthciltcn  Documcnte. 


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I’KOFANKACl  I N. 


-1^3 


zweites  Thor  ungefähr  an  der  Stelle  des  genannten  Rückfprunges  belegen, 
herllellen  würde,  und  wirklich  haben  denn  auch  zwei  Thore  zur  Aus-  und 


bis  iS.'j , in  welchem  Jahre  das  nördliche  zugeniauert  wurde,  be- 
Wohl  hat  man  das  Nordportal  ebenfalls  ausbilden  wollen  wie  das 


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Aller  Gottesacker.  (Anfichl  au»  der  VogclpcrfpectivcV 


424 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKKEIS. 


füdliche  mit  einem  quadratifchen  Thurme  von  Volutengiebeln,  einer  Eateme 
und  einer  „welfchen  Haube“  bekrönt,  allein  man  fcheint  niemals  dazu  ge- 
kommen zu  fein,  denn  auch  eine  Abbildung  vom  Jahre  1667 1 zeigt  hier 
nur  einen  Eingang  ohne  Thurm.  Wohl  möglich,  dafs  auch  für  alle,  vier 
Ecken  des  Gottesackers  Thürmchen  projectirt  gewefen  find allein  aut 
der  genannten  Abbildung  finden  (ich  folche  auch  nur  in  Offen,  jetzt  fehler, 
fie  überhaupt.  Begonnen  hat  man  den  Bau  unweit  des  Rüskfprunge-,. 
nämlich  am  zwölften  Bogen  nördlich  vom  jetzigen  Eingänge;  das  ergiebt 
lieh  aus  der  Infchrift  am  vierten  Bogen  nördlich  von  diefem  Rückfprunge 
welche  befagt,  es  habe  „Georg  von  Seimenitz  diefen  andern  Bogen  bawen 
laden,  welcher  alfo  vollendet  am  4.  Tage  Augulfi  im  1558  Jahr.“  Neben 
diefem  andern  Bogen  mufs  natürlich  der  erde  gelegen  gewefen  fein  und 
zwar  fiidlich,  weil  die  Infchriiten  der  nördlich  gelegenen  Bögen  wegen 
ihrer  Angaben  als  3.  4.  5.  u.  f.  w.  Bogen  in  den  fpäteren  Jahren  entbanden 
find.  Der  Grund,  welcher  den  Rückfprung  veranlafst  hat,  wird  hierdurch 
allerdings  nicht  erklärt,  aber  man  weifs  nun,  was  auch  der  Stil  der  Orna- 
mente bellätigen  wird , dafs  die  Bauarbeit  von  diefen  erden  Bögen  zur 
Nord-  dann  zur  Od-  darauf  zur  Südfeite  und  endlich  zu  dem  rückfländigen 
gröfseren  Theile  der  Wedfeite  übergegangen  id.'  Die  Grabbögen  felbil 
find  nun  fo  angelegt,  dafs  jeder  die  innere  Front  einer  etwa  4"  unter  dem 
Terrain  liegenden  Gruft  bildet,  in  welcher  die  Särge  bis  vor  einigen  Jahren 
offen  dadanden,  während  diefe  Grüfte  jetzt  überwölbt  oder  mit  Erde  zugefchüttet 
werden.  Jede  folche  Gruft  ungefähr  5“  breit  und  4"  tief  id  von  einer  flach- 
bogigen  Holzdecke  unter  einem  allen  Bögen  gemeinfamen  Satteldache  über- 
deckt , welches  aufsenfeits  auf  der  undurchbrochenen  Umfaffungsmaut-r. 
innenfeits  auf  den  eigentlichen  Bögen  ruht.  Diefe  als  5“  weite  Flach- 
bögen in  Sanddein  condruirt  ruhen  auf  niedrigen  Pfeilern  und  tragen  ein 
glattes  Gebälk ; alle  Pfeiler  und  Bogenzwickel  find  mit  flach  relifirten  Orna- 
menten meid  vegetabiler  Art  gefüllt  und  die  Schlufsdeine  als  Wappen  aus- 
gehauen ld  diefe  Friedhofsanlage  an  lieh  bemerkenswerth,  fo  nicht 
minder  ihre  Ornamentik,  welche,  überall  verfchieden , durch  den  Reich- 
thum der  Erfindung  in  Erdaunen  fetzt  und  gewiffermaafsen  allein  fchon  ein 
wefentliches  Stück  hallelcher  Kunffgefchichte  repräfentirt,  indem  lieh  an 
diefem  einen  Bauwerke  erfehen  läfst,  welche  Wandlung  die  Kund  der 
Ornamentirung  fchrittweife  innerhalb  dreifsig  und  einigen  Jahren  erfuhr, 
wie  lie  von  der  zaghaften  Weife  der  Frührenaiffance  allmählich  zu  der 
fchwüldigen  Willkürlichkeit  des  Barockliils  überging. 

Man  kann  einige  Ornamentgruppen  unterfcheiden.  Die  älteflen  Bögen 
der  Wedfeite  und  die  der  ganzen  Nordfeite  haben  ein  lederartiges  Blätter- 
werk, alfo  Blätter  von  wenig  oder  gar  keiner  Modellirung.  Fig.  zi8.  Etwas 
mehr  pladifche  Ausbildung  lieht  man  fchon  an  der  dark  verwitternden 
Odfeite,  an  der  einige  Stücke  leife  Anklänge  an  das  Barocke  fpüren  laden 


1 In  der  Halygraphic  des  Olearius. 

2 C.  W.  Diihnc  in  feiner  Befchreibung  des  hallcfchcn  Gottesackers  1830,  ftcllt  das  als 
lieber  hin. 


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I’ROKAN  HAUTEN. 


4*5 


Die  SOdTeite  charakterifirt  lieh  durch  ein  Bindfadenornament,  von  dem  die 
Ilauptranken  wie  von  den  feinen,  blattlofen  Ranken  einer  Weinrebe  um- 
wunden werden  und  welches  an  vielen  Zwickeln  durch  feine  gefpenßige 
Magerkeit  und  Manierirtheit  unangenehm  wirkt  Uebrigens  finden  lieh  an 
diefer  Seite  auch  fehr  geißreiche , an  das  Barocke  ßreifende  Stücke. 1 An 
den  verbliebenen  gröfseren  Theile  der  Weßfeite  kann  man  die  Zierrathe 
faß  fchon  barock  nennen.  Die  Hauptmotive  find  der  Blechtechnik  entnom- 
men und  in  Stein  nachgemeifselt.  Fig.  219.  Schrauben,  Niete  und  Nägel 
lind  nachgebildet  und  zwifchendurch  ziehen  fich  Schnüre  mit  Gehängen 
von  Blumen,  Früchten,  Tüchern,  auch  F'iguren,  Masken,  Unthiere  u,  f.  w. 
milchen  fich  in  die  kraufen  Formen.  Im  Allgemeinen  kann  die  Verzierung, 
fo  grofs  auch  ihre  Mannigfaltigkeit  iß,  keinen  Anfpruch  machen  mehr  als 
von  handwerklicher  Erfindung  und  Ausführung  zu  fein. 2 Von  den  belferen 
Stücken  wollen  wir  jetzt  mit  dem  , was  im  Einzeln  noch  über  die  Bögen 
zu  Tagen  iß,  die  Befchreibung  geben;  wir  fchicken  nur  noch  voraus, 
was  ja  leicht  erkannt  und  unten  eingehender  befproenen  wird,  dafs 
Nickel  Hofman  allein  nicht  alle  Bögen  gemacht  haben  kann,  fondern  ver- 
fchiedene  Gefellen  zu  Ililfe  gehabt  haben  mufs.  In  die  fchlichte  Aufsen- 
mauer  von  Bruchßeinen  findet  fich  an  den  älteßen  Bögen  je  ein  Wappen 
in  Hofman’fcher  Arbeit  eingelaßen;  auf  dem  des  11.  Bogens  — links  vom 
jetzigen  Eingänge  gezählt  — fleht: 

ANNO  • DOMINI  1557  • NOBILES  CHRISTOPH  • ET  ALB  • AB  • HOIM  • GERMANI 
FRATRES  • WEGLOB  PRI  • HOC  • MONVMENTVM  • F„  auf  dem  12.  Bogen: 
ANNO  DOMINI  • 1557  D • 16  AVG  - NOBILIS  GEORGIVS  DE  • SELMENIZ 
SECVNDVM  • HOC  • MONVMENTVM  • FIERI  • FECIT  ■ u.  f.  w.  An  den 

Zwickeln  diefer  erßen  Bögen  iß  den  Ornamenten  der  N.  Hofman’fche 
Blattcharakter  eigen.  Eine  beachtenswerthe  Compofition  und  etwas  mehr 
Bewegung  in  den  Blättern  trägt  der  Bogen  15  und  der  Pfeiler  zwifchen  16 
und  17,  F'ig. 220,  der  Verfertiger  verräth  jedenfalls  mehr  Talent  als  Hof- 
man. Auffällig  iß  der  38.  Bogen  dadurch,  dafs  fich  fowohl  fein  Orna- 
ment als  auch  die  Linie  feines  Bogens  der  Gothik  noch  einmal  zugewendet 
hat.  Fig.  221.  Der  Flachbogen  verwandelt  fich  hier  kaum  bemerk  bar  in  einen 
Efelsrücken  und  das  Laub  in  den  Zwickeln  hat  abgefchnittene  Zweige, 


1 Zu  ciiefer  Art  gehören  die,  welche  weltlich  von  der  Siegesfäule  auf  der  alten 
Promenade  zu  einer  fpitzbogigen  Thür  zufammcngeflclll  worden  lind.  Auch  das  Ornament 
de-  Portals  an  der  Neumühle  gehört  zu  diefer  Art. 

2 Lübke  in  feiner  „Gcfchichtc  der  Renaiffancc  in  Deulfchland**  ift  andetcr  Meinung, 
fcr  Tagte  das  fämmtliche  Pilafter  und  Zwickelflächen  mit  Ornamenten  der  beften  Kenaiffance 
^efrhmückt  lind  und  ,,im  übrigen  (das  Bindfadenornament  ausgenommen)  herrfcht  grofsc  Ein- 
heit der  Ornamentik.“  Er  liefst  nur  „die  Jahreszahlen  von  1563  bis  1565.*  ferner  nur  N.  H. 
und  T.  R.  allein  er  überlieht,  wie  fchon  Ortweins  deutfehe  Renaiffancc  8.  Abth.  2.  Heft  zeigt, 
verfthiedene  andere  Anfangsbuchflaben  eines  Namens  mit  und  ohne  Zeichen  und  Meifterfchild ; 
endlich  hat  „Hans  Reuscher  (fowic  Hans  Bamberg  k)“  am  43.  Bogen  nichts  anderes  mit  dem 
Bauwerke  zu  fchaffen,  als  dals  der  Bogen  der  feines  Verwandten,  des  „ehrbaren  und  nam. 
Haftigeu  Peter  Raufchcr  ratzrnciftcr“  ift,  welcher  „zu  ehren  feines  gefehlechtz  und  zu  einer  rhu- 
hedt  feines  leibes  bis  zur  fröhlichen  auferftehung“  diefen  Bogen  1565  hat  bauen  laffcn.  — 


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DIE  STADT  HALLE  u.  <1.  SAALKkEIS. 


4-’G 


dürre  Blätter  u.  f.  w.  Am  6’.  Bogen  tritt  uns  nun  eine  wirkliche  Kunft- 
leiltung  entgegen.  Die  linke  Hälfte  und  der  zugehörige  halbe  Eckpfeiler 


Kig.  :i  8. 


Gottesacker  Bogc«  i 


Gottesacker.  Pfeiler  ibjl 


halten  ein  fein  in  der  Maflenvertheilung  abgeftimmtes  < »rnamenl,  delTen 
l.inien  fchwungvoll  und  Hüflig.  und  delTen  Blätter  und  Ranken  durchaus 


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I'KOIAMI.U  I KN. 


4-’ 7 


Hilgemäfs  gezeichnet  find.  Auch  ein  Figürchen  im  Laube  ill  vorzüglich 
gemeifselt,  der  Steinmetz  kannte  den  menschlichen  Körperbau  genau.  Die 
andere  Hälfte  desfelben  Bogens  trägt  den  Eedercharakter  und  ill  ebenfalls  be- 
achtenswerth.  Der  entwickelten  RenailTance  gehört  d(;r  Schlufsflein  des 
66.  Bogens  an,  welcher  ein  durchaus  farbiges  Wappen  von  lehr  guter  Arbeit 
trägt.  Fig.  222.  Man  lieht  noch,  dafs  die  Umränderung  goldig,  und  die  Ein- 
kerbung derselben  dunkelblau  war,  der  Kranz  hatte  grüne  Blätter  und  blaue 
Beeren,  die  Bänder  feheinen  roth  gewefen  /.u  fein.  Für  die  geillreiche  fpätere 


Lif,  222. 


Ornamentik  giebt  der  Pfeiler  zwilchen  Bogen  66  und  6;  ein  gutes  Beifpiel 
ohne  barocke  Beimifchung.  Fig.  >2.3.  Das  Blattwerk  ill  naturalillifcher  und 
plallifcher.  Die  rechte  Ilälfte  des  72.  Bogens  ill  wahrscheinlich  von  dem- 
lelben  Meiller,  welcher  den  62.  Bogen  meifselte,  gemacht.  Es  ill  dieler 
Zwickel  wirklich  ein  Meiilerllück  vornehmer,  geillvoller  Ornamentik,  Eine 
Maske,  die  als  Ausgangspunkt  für  die  Ranken  dient,  hat  eine  Harke  faltige 
Stirn  mit  vortretenden  Augenbrauen,  eine  lange  zweilpitzige  Zunge  tritt  aus 
dem  Munde  vor  und  der  trotzige  Blick  fcheint  lächerlich  und  weinerlich 
zugleich.  Die  Bögen  der  Well  feite  erinnern  in  den  Motiven  nicht  feiten  an 
den  Meifler  der  Schäme  und  namentlich  finden  lieh  gewifie  Kartufchen- 


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■128 


DIE  STADT  HALLE  a.  d.  SAALKREIS. 


motive  in  Uebereinftimmung  mit  folchen  am  Portal  Leipzigerftrafse  Nr.  5. 
fodafs  anzunehmen  ift,  der  Meifter  des  letzteren  habe  unter  Hofman  am 
Gottesacker  zuvor  als  Gefell  (wenn  nicht  gar  fchon  felbftftändig)  gearbeitet. 
Der  Eingang  zeichnet  lieh  aufser  durch  feinen  Thurm,  welcher  1592 

zumeift  von  den  Steinen  der  Martins- 
kapelle erbaut  fein  feil,  durch  ziemlich 
ungelenke  allegorifche  Figuren  in  den 
Pfeilern  aus.  lieber  dem  Bogen  am 
Gebälke  ift  das  fteinerne,  kartufchen- 
umrahmte Reliefporträt  des  Meifters 
aufgehängt  F'ig.  224;  es  trägt  folgende 
Umfchrift: 

NICKEL  HOFEMAN’  STEIMET  Z 
MEISTER  DIESES  BAVWES. 

Das  künftlerifch  werthvollfle 
Stück  des  ganzen  Gottesackers  ifl  der 
Bogen  7 F'ig.  225  und  226.  welchen 
lammt  feinem  Wappen  vermuthlich  der 
Meiller  der  Bogenhälften  62  und  72 
und,  wie  wir  nun  hinzufügen  muffen, 
der  des  Portals  an  dem  Wagege- 
bäude gemeifselt  haben  wird.  Es  iit 
die  unbändige  Lull  am  Leben,  die 
uns  der  Meiller  in  feiner  Verzierungs- 
kunlt  auch  hier  predigt,  hier  an  den 
Gräbern;  er  ilt,  darf  man  wohl  fagen. 
ein  wiedergeborener  Hellene  voll  des 
Mcnfchcnthums  Chrifti,  aber  frei  vom 
Chrillenthum  der  Menfchen.  Wir  fehen 
in  halber  Figur  blühende  Weiber  dar- 
gellellt,  die  Wappen  halten  und  mit 
Kindern  fpielen.  Sie  endigen  unten 
in  kunilreich  geordnetem  Laubwerk  mit 
trifehwachfenden  Blättern  und  F'rüchten 
und  Masken.  Die  Compolition  ift  auf  das 
F'einfte  abgewogen  und  bei  aller  Natürlichkeit  oder  vielmehr  gerade  wegen 
dorfeiben  llreng  llilgemäfs.  Die  Figuren  find  mit  genaueller  Kenntnifs 
aller  anatomifchen  Feinheiten  durchgeführt  und  wahren  alle  für  das  Relief 
geltenden  Gefetze  d.  h.  durch  ihre  Bewegungen  wird  die  Fläche  nicht 
illuforifch,  fondern  ihre  Modellirung  gleicht  einer  plallifchen  Malerei  aut 
diefer  Fläche  i.als  Gegenfatz  ill  z.  B.  das  Relief  Conrad's  von  Einbeck  in 


tig.  22p 


* feiler  66/67. 


1 Hier  ift  der  Name  dreililbig  Hofemau  gcfchricbcn,  wahrend  man  in  der  Marktkirchc 
Hofman  lieft.  Da  die  Guitcsackerinfchrifi  wohl  nicht  mehr  von  ihm  fclbft  herrnhrt,  jedenfalls 
aber  die  in  der  Marktkirchc,  fo  mufs  letztere  als  die  richtigere  gelten. 


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PROFANBAUTKN. 


429 


der  Vorhalle  der  St.  Moritzkirche  zu  nennen).  Diefer  Bogen  ift  gleichfam 
die  QuintelTenz  aller  anderen;  der  Meifter  verfchmäht  kein  Schmuckelement 
feiner  Vorgänger;  wir  finden  felbft  deren  Sonderbarkeiten  bei  ihm  wieder, 
den  lappigen  Ledercharakter  der  Blätter,  das  Bindfadenmotiv  u.  f.  w. 
nirgend  aber  ift  ein  barocker  Anklang  von  Willkür  bemerklich.  Unter  der 
Hand  diefes  wahren  Meifters  ift  aus  allen  diefen  Stücken  ein  Kunftwerk 
der  edelften  Art  entftanden.  Die  Renaiflance  hat  keinen  tüchtigem  Stein- 
metzen in  Halle  aufzuweifen. 

Sehen  wir  nun,  welchen  Antheil  N.  Hofman  an  der  Erbauung  der 
Gefammtanlage  hat.  Von  ihm  rührt  jedenfalls  der  Plan  her,  die 
Proportionirung  der  Architektur  und  die  Profilzeichnung  der  Gefimfe, 
obwohl  diefe  einmal  wechfelt.  Auf  Grund  einer  eingehenden,  umftändlichen 
Unterfuchung,  welche  lieh  vornehmlich  auf  die  Vergleichung  der  zahl- 


Fig.  224. 


Portrait  Nickel  Hofmans. 


reichen  Steinmetzzeichen,  der  Infchriften,  des  Charakters  und  der  Technik 
der  Ornamente  u.  a.  m.  bezieht,  mufs  gefagt  werden,  dafs  eigenhändig 
von  Hofman  nur  wenige  Stücke  gemacht  find,  fein  Zeichen  ift  feiten;  es 
findet  fich  an  den  älteften  Bögen  mehrfach,  auch  grofs  erhaben  und  mit 
N . H auf  einem  Meifterfchilde  im  Friefe;  ganz  vereinzelt  kommt  es  an  der 
Nord-,  Oft-  und  Südfeite  vor;  an  der  Weftfeite  fehlt  es  felbft  an  dem 
Bilde  Hofmans.  Seinen  Stücke  find  keineswegs  durch  Erfindung  und  Aus- 
führung hervorragend1.  Er  war  gewils  ein  ehrenfefter,  thätiger  und  tüchtiger 
Steinmetzmeifter,  aber  kein  Künftler  gottbegnadet  und  erleuchtet;  und  fo 


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43* 


DIE  STADT  HAIXE  u.  d.  SAALKREIS. 


haben  als  feine  Gefellen  auch  gar  zu  viele  mittelmäfsige  Kräfte  gearbeitet 
während  die  belferen  nur  ausnahmsweife  fich  bemerklich  machen. 
Z.  B.  hat  der  Gefell  diefes  Zeichens  ein  ganz  profaifcher  Kopf,  fall 
30  Jahre  lang  am  Gottesacker  zu  thun  gehabt,  meid  die  glatten  Simsftücke 
verfertigend,  leider  hat  er  aber  auch,  wenn  gerade  eine  befTere  Kraft 
gefehlt  hat,  Zwickel  erfinnen  und  meifseln  müden.  Die  Vollendung  des 
Gottesackers  hat  Hofman  wohl  nicht  mehr  erlebt;  bedenkt  man,  dafs  er 
bereits  1530  ein  Mann  war,  dem  man  den  Bau  der  Marktkirche  anvertrauen 
konnte,  fo  müfste  ’er  gegen  yo  Jahre  alt  geworden  fein  und  hätte  alle  Stil- 
wandlungen mitgemacht.  Auch  das  Bildnifs  Hofmans  ift  gewifs  nicht  von 
ihm  felber  gemacht  worden  fchon  wegen  der  barockähnlichen  Kartufchen- 
umrahmung.  Einer  feiner  Leute  wird  es  fpäter  vielleicht  mit  Anfchlufs  an 
jenes  Elachbild  der  Bogenlaibung  hinter  der  Orgel  der  Marktkirche, 
welches  fpäteftens  1554  und  zwar  von  Hofman  felber  gemacht  ift,  ausgeführt 
haben.  Beide  Bilder  find  fehr  ähnlich,  fchon  1554  war  Hofman  ein  ebenfo 
langbärtiger,  alfo  nicht  mehr  junger  Mann,  wie  ihn  das  Relief  des  Gottes- 
ackers darftellt . welches  fich  anfangs  nicht  ,über  dem  jetzigen , fondem 
über  dem  nördlichen  Eingänge  befand.  Nicht  weit  davon  war  Hofmans 
(irab  auf  dem  bis  in  die  Vierzigerjahre  unferes  Jahrhunderts  fein  Stand- 
bild fich  befunden  haben  foll. 

Die  Grabmäler  in  den  Bögen  find  zumeift  barock  und  aus  edlem 
mehrfarbigem  Marmor  hergeftellt,  felbft  die  für  Halle  kunftarme  Zeit  des 
Rococo  hat  hier  einige  befTere  Monumente  hinterlalTen.  Beachtenswerte 
noch  dem  16.  Jahrhundert  angehörige  Werke  find  erhalten;  in  Bogen  11  ein 
Stein  mit  einem  eingehauenem  Relief  von  guter  Arbeit,  eine  Nonne  dar- 
ftellend.  Bogen  13  enthält  ein  augenfcheinlich  nach  italienifchen  Muftem 
concipirtes  Grabmal;  es  ift  ein  Hochrelief  umrahmt  von  Pilaftem  mit 
Gebälk  und  ftellt  die  Kreuzigung  (Chriftum  und  die  beiden  Schächer)  dar. 
darunter  die  betende  Eamilie  des  Verdorbenen.  In  mehrfacher  Hinficht  ili 
die  Arbeit,  wiewohl  fie  die  Hofemanfchen  Charakteriftica  zeigt,  mufter- 
haft.  Das  Monument  in  Bogen  19  gehört  fchon  der  fpäteren  Zeit  an  und 
intereflirt  nur  durch  feine  flache  Umränderung.  Im  23.  Bogen  findet  fich  ein 
geiftreich  erfundenes,  gut  detailhrtes  und  namentlich  gut  proportionirtes 
Grabmal,  welches  dem  Barock  ein  Wenig  zuneigt;  es  ftellt  ein  mit 
Säulen  und  Gebälk  umgebenes  Relief  dar  und  ift  auf  das  Reichfte  oma- 
mentirt.  Bogen  61  enthält  noch  ein  Denkmal  aus  Holz  in  den  fpätern 
Formen  der  deutfchen  Renaiflance.  Schliefslich  fei  noch  das  reliefirte 
Bildnifs  eines  Patriciers  in  Bogen  65  genannt  an  dem  befonders  der  Falten- 
wurf gelungen  ift.2 


* Vergl.  auch,  was  über  die  Ornamente  an  den  Einporen  der  Marktkirche  gefagt  ift. 

2 Literatur:  Dahne's  Neue  Beschreibung  des  Hall  eschen  Gottesackers.  1830.  J.  G.  Olea- 
rius:  Coemeterium  saxo -hailense  1674,  Halleschcs  patriotisches  Wochenblatt:  die  ersten  Jahr* 
gange. 


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Kunftgefchichtliche  Ueberlicht 

Der  Salzquellen  wegen  wird  der  Stadtkreis  Halle  früher  von  einer  Be- 
völkerung, die  das  Gewerbe  liebte,  wie  es  ja  die  Wenden  thaten,  zur 
Anfiedelung  ausgewählt  worden  fein  als  alle  Orte  der  Umgebung:  be- 
yreiflicherweife  ift  aber  keine  Spur  von  den  vergänglichen,  wenig  monumen- 
talen Bauwerken  jener  vorchriftlichen  Zeit  erhalten,  oder  wenn  es  wirklich 
noch  ein  fo  altes  Stück  gäbe,  find  wir  doch  nicht  in  der  Lage,  fein  Alter 
ficher  erweifen  zu  können.  Kriegs-  und  Kirchenbauten  find  die  äl teilen, 
von  denen  wir  Kunde  haben.  Erhalten  hat  lieh  zwar  nichts  von  der  Burg 
König  Karls,  des  Sohnes  Karls  d.  Gr.,  welche  806  ad  locum,  t/ut  vocatur 
Halla,  erbaut  wurde  in  der  Einleitung  ift  fälfchlich  angenommen,  dafs 
nicht  die  fchon  beftehende  Ortfchalt,  fondern  die  Burg  Halla geheifsen  habe  — 
aber  fie  darf  mit  vieler  Wahrfcheinlichkeit  auf  die  Stelle  der  Moritzburg  verlegt 
werden  und  ift  vielleicht  das  uralte  „fchxvarze  Schlofs“,  welches  der  Burg 
am  Ende  des  Mittelalters  hat  weichen  müffen.  Auch  den  Platz  der  angeblich 
ilteften  Pfarrkirche,  der  St.  Michaeliskapelle  an  der  Oftfeite  des  alten 
Marktes  kennen  wir  noch;  das  zu  einem  Bürgerhaufe  umgewandelte  kirch- 
liche Gebäude,  welches  bis  nach  der  Mitte  des  16.  Jahrhunderts  auf  diefem 
Platze  ftand,  ift  freilich,  feinen  Reften  nach  zu  fchliefsen,  ein  fpätgothifcher 
Bau.  Erhalten  hat  lieh  als  älteftes  Stück  einer  Hallefchen  Kirche  die  obere 
Thurmpartie  der  St.  Laurentiuskirche,  ehemals  Pfarrkirche  der  Ortfchaft 
Keumarkt.  Wie  wir  S.  261  nachgewiefen  haben,  fällt  diefer  Kirchenbau  in 
die  Zeit  des  Magdeburgifchen  Erzbifchofs  Conrad  1135 — 1142.  Die  Refte 
<ies  Klofters  zum  Neuen  Werke  in  den  Subftructionen  einer  theilweife  auf 
den  Kloftermauem  erbauten  Fabrik  fowie  im  Bezirke  des  ehemaligen 
Klofterterritoriums  können  wohl  fchon  in  das  Jahr  1116  gefetzt  werden, 
doch  find  fie  als  fchlichte  Kellergänge  mit  rohen  Tonnengewölben  kunft- 
t'jrmal  von  fo  geringer  Bedeutung,  wie  gewöhnliches  Baumaterial.  Dem 
Jahre  1184  gehört  der  Reft  des  Kloftergebäudes  zu  St.  Moritz  an,  welcher 
hart  an  der  Südweftecke  der  Kirche  liegt.  Aelter  noch,  nämlich  vom  Jahre 
115h  würden  die  romanifchen  Simsftücke  auf  der  Nordwand  diefer  Kirche 
lein,  wenn  fie,  wie  (ich  wohl  annehmen  läfst,  wirklich  noch  von  der  Kirche 
lummen,  die  lieh  im  genannten  Jahre  die  Gemeinde  zu  St.  Moritz  erbaut 
haben  foll.  Der  Uebergangszeit  gehört  das  Erdgefchofs  der  Hausmanns- 
thürme  an,  die  ehemals  dieWeftthürme  der  1210  erwähnten  St.  Marienkirche 
bildeten.  Nicht  viel  fpäter,  nämlich  in  frühgothifcher  Zeit,  müffen  die 
8 D.d.  Bau-  u.  Kunstd.  N.  F.  I.  28 


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434 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


folgenden  beiden  GefchofTe  eben  diefer  Thürme  ausgeführt  worden  fein. 
Dafs  aus  diefer  baulich  fo  bedeutenden  frühgothifchen  Zeit  Geh  in  Halle  übrigens 
nichts  mehr  vorfindet,  obwohl  wir  von  verfchiedenen  Bauten  aus  diefer  Periode 
Kenntnifs  haben  (Hofpital.  alte  St.  Ulrichskirche  (?),  verfchiedene  Kapellen, 
ift  nicht  zum  kleinften  Theile  die  Schuld  des  Cardinais  Albrecht,  welcher 
gerade  die  Bauwerke  diefer  Zeit,  als  folche,  die  ihm  das  edelfle  Material 
und  die  bellen  Kunftformen  lieferten,  abbrechen  liefs.  Das  Kloller  der 
Marienknechte  und  ihre  Kirche  (jetzt  St.  Ulrichkirche)  foll  1339  zu  bauen 
begonnen  fein.  Sicher  fchon  diefer  Zeit  gemachte  Kunftformen  finden  Geh 
zwar  nicht  mehr.  Das  Kloller  ift  erll  1496  vollendet,  und  die  Kirche  il't 
noch  im  16.  und  17.  Jahrhundert  wefentlich  vervollftändigt.  Seit  1388  ift  die 
ößliche  Hälfte  der  St.  Moritzkirche  erbaut  worden,  deren  weltliche  man 
nach  Fertigllellung  jener  etwa  um  die  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  in  Angriff 
genommen  hat.  Zu  ihrer  Thurmpartie  ift  1493  der  Grundftein  gelegt  worden. 
Wahrfcheinlich  fchon  von  Anfang  des  15.  Jahrhunderts  an  fpätellens  aber 
feit  1418  ift  am  rothen  Thurme  gebaut  worden.  1506  ift  er  vollendet.  150; 
ift  der  nördliche,  1513  der  lüdliche  blaue  Thurm  fertig  geworden,  die  Unter- 
partie beider  fcheint  bereits  1464  vorhanden  gewefen  zu  fein.  1510  ift  die 
St.  Moritzkirche  und  die  Oftpartie  der  St.  Ulrichskirche  eingewölbt  worden. 
Die  weltlichen  Joche  diefer  Kirche  haben  Ende  der  Sechzigerjahre  des 
17.  Jahrhunderts  ihre  hölzerne  (Netzgewölbe-)  Ueberdeckung  bekommen. 
1520  beginnt  der  Cardinal  Albrecht  den  Dom,  1523  weiht  er  ihn,  aber  erll 
nach  dem  Einfturze  der  Thürme  1541  ift  das  Gebäude  fertig  geworden.  Von 
152g  bis  wahrfcheinlich  1540  ift  das  Schiff  der  Marktkirche  erbaut.  Die  ihm 
eingebauten  Emporen  find  1550  - 1554  gemacht.  155  t errichtete  Nickel 
Hofman  die  oberen  backlteinemen  Theile  der  Hausmannsthürme.  1588  ift 
die  Vorhalle  der  St.  Moritzkirche  eingewölbt.  Man  bemerkt  öftlich  an  der 
Neumarktskirche  verfchiedene  fpätgothifche  Formen,  die  auf  eine  Ver- 
längerung des  Schiffes  gegen  Ollen  im  15.  Jahrhundert  hinweifen,  tön.  itioo 
und  1751  haben  alsdann  noch  die  bedeutenden  Reparatur-  und  Umbauten 
llattgefunden,  welche  die  heutige  Gellalt  hervorgebracht  haben.  Die  Em- 
poren im  Dome  gehören  der  Mitte  des  17.  Jahrhunderts  an.  1665  ift  die 
Glockenllube  zu  St.  Ulrich  erbaut,  der  weltliche  Dachreiter  mit  fpätgothifchen 
Formen  von  der  St.  Wolfgangskapelle  dorthin  verletzt,  ein  zweiter  Dach- 
reiter für  eine  Schlagglocke  und  das  Treppenthürmchen  an  der  Nordoftecke 
hergellellt.  Die  Glauchaifche  Kirche  ift  für  eine  1740  abgebrannte  erbaut. 
Das  fchöne  Gitter  ihres  Sacrifteifenfters  (und  das  Schlofs  der  Sacrifti-i- 
thür)  ift  1744  gefchmiedet. 

Schon  durch  die  beiden  letztgenannten  Stücke  haben  wir  den  Ueber- 
gang  zu  den  befonderen  Kunftwerken  oder  merkwürdigen  Stücken  an  oder 
in  den  Kirchen  gemacht  und  wir  wollen  diefelben  nun  völlig  aufzählen 
Ob  die  Portale  an  der  Nordwand  der  St.  Ulrichskirche  die  ältellen  find  — 
die  gegen  Ollen  und  Wellen  fcheinen  erll  1665  an  ihre  Stelle  gekommen 
zu  fein  — kann  mit  Sicherheit  nicht  angegeben  werden.  Das  örtliche  der- 
felben  zeichnet  lieh  durch  einen  theilenden  Pforten  in  feiner  Lichtenöffnung 
owie  durch  ein  fculptirtes  Tympanon  aus.  Das  örtliche  Portal  der  St.  Moritz- 


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KUNSTGESCHICHTLICHE  UEHERSISH  r. 


435 


rche  fällt  fpäteftens  in  das  erde  Viertel  des  15.  Jahrhunderts;  auch  feine 
usbildung  verdient  der  Sculpturen  und  Farbenfpuren  wegen  beachtet  zu 
erden.  Das  Portal  der  Vorhalle  und  das  weflliche  der  Nordwand,  welches 
.81  gemacht  ift,  haben  keine  Bedeutung.  Dasfelbe  gilt  von  dem  Südportale 
:r  St.  Ulrichskirche  und  dem  weltlichen  der  Südwand  des  Domes,  welches 
ichteme  gothifche  Profile  hat.  Öas  örtliche  diefer  Wand  des  Domes 

1525  bereits  in  FrührenaifTanceformen  ausgeführt,  die  auch  die 
icrifteithür  diefer  Kirche  zeigt.  Die  Marktkirche  hat  je  zwei  correfpondirende 
ortale  in  der  Nord-  und  Südwand,  die  von  intereflanter  fpätgothifcher 
usbildung  find;  die  Bildung  des  Portals  in  der  Oftwand  zur  Sacriftei  ift 
ich  merkwürdiger,  hingegen  die  der  Weftfeite  ohne  InterefTe.  1601  ift 
;r  Thürflügel  des  Vorhallenportals  der  St.  Moritzkirche  gemacht, 
;was  fpäter,  vielleicht  erft  1665  find  die  der  St.  Ulrichskirchenportale 
ltllanden. 

Als  Befonderheiten  an  den  Kirchen  können  nur  das  Zechen  des 
ans  von  Schönitz  (?)  an  der  Nordweftecke  des  Marktkirchenfchiffes,  fowie 
ts  Hallefche  Wahrzeichen  nördlich  an  der  Oftwand  desfelben  von  158.5 
amhaft  gemacht  werden. 

Wenn  auch  der  Moritzkirchenaltar  erft  1388  an  feiner  jetzigen  Stelle 
rrichtet  ift,  und  mithin  der  der  Ulrichskirche,  wenn  er  1339  gegründet 
äre,  älter  fein  würde,  fo  hat  doch  jener  ältere  Theile,  nämlich  eine 
imanifch  verzierte  fteinerne  Vorderfeite  des  Stipes  und  möglicherweife 
ach  noch  ein#  romanifche  Menfa,  beides  Stücke  der  1156  gegründeten 
Iteren  St.  Moritzkirche.  Durch  zwei  von  hinten  in  den  Stipes  gehende 
efe  Schränke  ift  diefer  Altar  intereffant,  auch  die  grofse  Marmorplatte 
ber  dem  Sepulcrum  der  Menfa  ift  noch  vorhanden.  Der  Altarfchrein  hat 
irbige  Holzfchnitzereien,  gefchnitztes  Ornamentwerk  mit  Figuren  als  Auf- 
au  und  fchön  gemalte  Tafeln,  1511  ift  er  verfertigt.  Die  Vorderfeite  des 
tipes  der  Ulrichskirche  ift  mit  Blendbögen  verziert,  die  Menfa  enthält  ein 
lerkwürdiges  Sepulcrum  mit  grofser  Platte.  Der  Schrein  ift  von  1488,  feine 
culpturen  und  Malereien  find  nicht  ohne  Werth,  die  Zahl  der  Statuen  im 
iel  veränderten  Aufbau  ift  durch  folche  von  1660  ergänzt.  Der  Schrein 
er  Neumarktskirche,  der  von  Mücheln  her  in  diefelbe  1570  gefchenkt 
orden  ift,  gehört  der  zweiten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  an,  hat  aber 
»(lerne  Zufätze.  1841  ift  def  jetzige  marmorne  Altar  der  Marktkirche  her- 
eftellt;  die  fehr  bedeutenden  Gemälde  des  ehemaligen  Flügelfchreines  von 
529  find  aber  noch  in  der  Kirche  erhalten.  Um  die  Mitte  des  17.  Jahrh. 
i der  jetzige  Altar  im  Dome  gemacht,  der  in  der  Glauchaifchen  Kirche 
lit  Kanzel  um  die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts. 

Die  alterte  Kanzel  Halles  ift  die  reich  fculptirte  im  Dom  von 
526;  die  der  Marktkirche  ift  gegen  1541  verfertigt;  ihr  Schalldeckel 
596,  aber  1666  und  1784  renovirt.  Ein  äufserft  reiches  und  künftlerifch 
usgezeichnetes  Sculpturenwerk  in  Stein  ift  die  St.  Moritzkanzel  von  1592; 
uch  ihr  hölzerner  Thürflügel  mit  Befchlag  ift  eine  vortreffliche  Arbeit, 
hr  Schalldeckel  ift  von  1604.  Die  hölzerne  Kanzel  der  St.  Ulrichskirche 
t zwar  1588  fchon  gemacht,  indeffen  1645  fo  ftark  erneuert,  dafs  das  Aus- 

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I 


436  . DIE  STADT  HALLE  a.  d.  SAALKREIS. 


fehen  wefentlich  die  Per  Zeit  entfpricht;  auch  ihr  Schalldeckel  gehört  diefem 
Jahre  an. 

Von  den  Orgeln  bieten  die  kleine  örtlich  aufgeftellte  der  Marktkirche, 
welche  (1539)  1663  gemacht  ift  und  die  grofse  auf  der  Weftempore  diefer 
Kirche  von  1715  kunftforinales  Interefle. 

1430  find  die  Taufkeffel  der  M*kt-  und  Ulrichskirche  gegoffen,  der 
Taufftein  der  Neumarktskirche  von  1478  ift  aufser  Dienft  gefetzt,  ebenfo  der 
der  St.  Moritzkirche  von  1662  und  der  der  Glauchaifchen , welcher  mit  deT 
Kirche  entllanden  ift. 

Sacraments  fchreine  giebt  es  nur  einen  von  merkwürdiger  Aus- 
bildung nämlich  in  der  St.  Ulrichskirche;  ein  mit  Gitterthür  gefchloffener 
Wandfehrank  befindet  lieh  auch  im  Erdgefchofs  des  liidlichen  Hausmanns- 
thurmes. 

Geftühl,  welches  muthmaafslich  dem  Ende  des  14.  Jahrhunderts  an- 
gehört. giebt  es  in  der  St.  Ulrichskirche  und  der  Neumarktskirche.  Der 
Dom  enthält  Stuhlwerk  aus  der  Zeit  feiner  Erbauung,  aber  auch  aus  dem 
Ende  des  16.  Jahrhunderts.  Die  theilweife  noch  doppelreihigen  Stühle  unter 
den  Marktkirchejiemporen  find  in  der  Zeit  von  (1559)  1561—  1575  gefertigt, 
die  Bräutigamsftühle  an  der  Oftfeite  diefer  Kirche  find  von  1595.  Ein 
Schemel  der  Neumarktskirche  hat  eine  nicht  unfehön  gefchnitzte  Lehne  des 
17.  Jahrhunderts. 

Von  Grabdenkmälern  in  den  Kirchen  ift  wohl  das  alterte  das  mit 
dem  Bildnifse  einer  Erau  weftlich  in  der  Nordwand  des  Domes,  es  fcheim 
aus  dem  Beginne  des  15.  Jahrhunderts  zu  fein.  Aus  demfelben  Jahrhundert 
wird  auch  ein  unbekleideter  Chriftus  in  der  Nordwand  der  Neumarktskirche 
aufsen  fein.  Zu  St.  Moritz  befinden  fich  zwei  auf  Holz  gemalte  Oelbilder 
als  Epitaphien  des  Endes  vom  16,  Jahrhundert.  An  der  Nordweftecke  der 
Neumarktskirche  ift  ein  Stein  aus  eben  diefer  Zeit.  Hölzerne  Epitaphien- 
refte  aus  dem  Anfang  des  17.  Jahrhunderts  find  an  der  Oftwand  zu  St.  Ul- 
rich; an  der  Südwand  dafelbft  befindet  fich  ein  reiches  marmornes  Epitaphium 
diefer  Zeit,  fowie  ein  zweites  ähnliches  von  1630.  Auch  an  der  Nordwani! 
des  Domes  fleht  man  eine  folche  Marmorarbeit  der  erften  Hälfte  des 
17.  Jahrhunderts,  ferner  ein  beachtenswerthes  Oelbild  von  1625  und  ein 
anderes  etwas  fpäteres. 

Sonftige  Sculpturen  find  in  Holz:  ein  fpätgothifcher  Schrank  in  der 
Marktkirchenfacriftei , welcher  1582  renovirt  ift,  und  ein  zweiter  ebendort, 
der  als  Altar  dient,  ein  Pilafterfchaft  angeblich  aus  der  Moritzkirche  im 
Befitze  des  Herrn  Profeffors  Dr.  H.  Heydemann,  eine  Holzfäule  wahrfcheinlich 
aus  letztgenannter  Kirche  im  Hofe  Herrenftrafse  Nr.  12,  beide  letztgenannten 
Stücke  etwa  dem  dritten  Viertel  des  16.  Jahrhunderts  angehörig.  Ob  auch 
Luthers  Bildnifs  an  der  Nordempore  der  Marktkirche  von  Holz  ift  oder  wie 
anderswo  von  geprefstem  Leder  fei  dahingeftellt.  Der  Bilderrahmen  örtlich 
in  der  Marktkirche  gehört  dem  Anfänge  des  17.  Jahrhunderts  an.  Die 
Chorfchranken  im  Dome  find  vor  der  Mitte  des  17.  Jahrhunderts  nicht 
gemacht.  Der  Crucifixus  auf  dem  Boden  der  Neumarktskirche  gehört 
'n  das  17.  Jahrhundert. 


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KUNSTGESCHICHTLICHE  UEBEKSICHT. 


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t Steinfculpturen  find  die  Apoftel-  und  Heiligenftatuen  am  Aeufseren 
er  St.  Moritzkirche,  vielleicht  noch  im  14.  Jahrhundert  hergeftellt.  Schellen- 
fcritz  im  Inneren  diefer  Kirche  ift  1411,  das  eccehomobild  1416  gemeifselt, 
nie  mater  dolorosa,  die  Portraitbüfte  Conrads  von  Einbeck,  Chriftus  an  der 
Jarterfäule  und  das  Relief  der  Anbetung  der  h.  drei  Könige  ebendort 
Illen  auch  in  den  Anfang  des  15.  Jahrhunderts.  1455  ift  die  Betfäule  am 
leipziger  Platze  ausgeführt.  1523  find  die  beiden  Weihtatein  des  Domes 
jefertigt,  etwa  um  diefe  Zeit  auch  die  Wafferfpeier  des  Domes;  die  grofs- 
rtigen  Pfeilerftatuen  dafelbft  gehören  in  das  Jahr  1525.  Gegen  1540  dürften 
Be  beiden  Portraits  in  flacherhabener  Arbeit  an  der  Decke  hinter  den 
reftlichften  Marktkirchenpfeilern  gemeifselt  fein;  wohl  noch  fpäter  iß  das 
inbedeutende  Lutherbild  an  der  Nordwand  der  St.  Moritzkirche. 

Das  Gemälde  der  Vertreibung  der  Krämer  und  Wechsler  aus  dem 
fempel,  welches  fich  in  der  Marktkirche  befindet,  ift  1498  gemalt. ( 1593 
oll  das  Bild  an  der  Oftwand  diefer  Kirche  ausgeführt  fein.  Die  Abend- 
nahlsbilder  mit  Portraitköpfen  in  der  Markt-,  St.  Moritz-  und  St.  Ulrichs- 
:irche  find  im  fiebenten  Jahrzehnt  des  17.  Jahrhunderts  gemacht. 

Unter  den  Kirchengefäfsen  ift  ein  filberner  Kelch  mit  Figuren  am 
•ufse  in  der  Glauchaifchen  Kirche,  der  noch  in  das  14.  Jahrhundert  zurück - 
rehen  kann,  das  ältefte  Stück.  Die  übrigen  Getäfse  laßen  wir  unerwähnt, 
rnr  die  meffingene  Tauffchüffel  mag  noch  einmal  genannt  werden.  Zwei 
blche  Taufbecken  befinden  Geh  in  der  St.  Moritzkirche,  von  deren  übrigen 
Jefäfsen  eine  elfenbeinerne,  filberbefchlagene  Hoftienbüchfe  von  1578  nur 
loch  namhaft  gemacht  werden  foll.  obwohl  auch  noch  einige  andere  Stücke 
licht  eben  ganz  werthlos  find.  In  der  Ulrichskirche  find  eine  Weinkanne  und 
loftienbüchfe  von  1580  als  gute  Arbeiten  in  Silber  mit  Vergoldung  zu 
lennen.  Ferner  als  das  bedeutendfte  Stück  nicht  nur  in  Halle  fondern 
iberhaupt  unter  den  Kirchengefäfsen  der  Umgegend,  vielleicht  der  Provinz, 
.er  Emailkelch  nebft  Patena  von  Gold  vom  Jahre  1654.  Auch  nicht  werth- 
ss  ift  ein  Taufbecken  mit  Kanne  von  1682.  die  zugehörigen  Leuchter  von 
683  find  weniger  gut.  Die  drei  gleichen  meffingenen  Taufbecken  diefer 
Cirche  find  von  fehr  geringer  Arbeit.  Die  Neumarktskirche  befitzt  einen 
anz  guten  Kelch  vom  Ende  des  15.  Jahrhunderts  und  eine  werthvolle 
Veinkanne  von  1592.  die  übrigen  Getäfse  brauchen  hier  nicht  noch  einmal 
rwähnt  zu  werden. 

Unter  den  Glocken  gehört  die  von  0,60 Durchmeffer  in  der  Neumarkts- 
irche  dem  Anfang  des  14.  Jahrhunderts  an;  kaum  fpäter  dürften  die  der 
it.  Ulrichskirche  von  1 35  und  1,55  DurchmelTer  fein.  Alle  drei  haben 
urch  Einritzen  in  den  Lehm  des  Glockenmantels  entftandene  Schrift,  ln 
ie  Mitte  diefes  Jahrhunderts  gehört  die  Glocke  von  1,59  Durchmeffer  auf 
em  rothen  Thurme  mit  über  Wachsmodellen  geformter  Majuskelfchrift. 
420  ift  die  Glocke  von  1,80  Durchmeffer  auf  dem  nördlichen  blauen  Thurme 
egfoffen,  auch  die  der  Moritzkirche  von  0,80  Durchmeffer  gehört  in  den 
Anfang  des  15.  Jahrhunderts,  1467  ift  die  der  Laurentiuskirche  von  i,i8Durch- 
tefler  entftanden,  im  folgenden  Jahre  die  Schlagglocke  des  rothen  Thurmes 
on  1,45  Durchmeffer.  Die  gröfsefte  Glocke  der  Stadt  hat  2,13  Durchmeffer 


438 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


und  ift  1480  gemacht,  fie  hängt  auf  dem  rothen  Thurme;  ebenda  hängt 
auch  die  kleinfte  unter  allen  hallefchen  von  0,3g  Durchmefler;  fie  fcheint 
noch  im  15.  Jahrhundert  entftanden  zu  fein.  Die  Schlagglocke  der  St.  Moriti- 
kirche  von  0,95  DurchmefTer  wird  in  den  Beginn  des  16.  Jahrhunderts  ge- 
hören, ebenfo  das  Betglöcklein  des  füdlichen  blauen  Thurmes  von  0,48  Durch- 
melTer.  In  das  16.  Jahrhundert  darf  man  auch  die  Glocke  auf  dem  nörd- 
lichen blauen  Thurme  von  o,go  DurchmelTer  fetzen.  1600  ift  die  Glocke  von 
1,60  DurchmefTer  auf  der  St  Moritzkirche  gegoffen.  Die  Glocken  der  Markt- 
kirche von  1,74  und  i.to  Durchmefler  (Vesperglocke)  find  1674  gegofTen;  die 
von  1,54  Durchmefler  auf  der  Moritzkirche  ift  1695  entftanden.  Die  Glocken 
der  Glauchaifchen  Kirche  von  1,50  und  1,32  find  1755  gemacht,  die  Schlag- 
glocken von  0.88  und  0,67  Durchmefler  ebendafelbft  find  1797  und  1798  ge- 
goflen.  In  das  18.  Jahrhundert  gehört  auch  die  Sturmglocke  auf  dem  füd- 
lichen Hausmannsthurme  von  1,35  DurchmefTer  und  die  Schlagglocke  der 
Ulrichskirche  von  0,75  Durchmefler.  1863  find  die  drei  Glocken  des  Domes 
von  0,92,  i,io  und  1,30  Durchmefler  gegoflen  worden. 

Unter  den  Profanbauten  Halles  nennen  wir  zuerft  die  Moritzburg, 
die  jetzt  meiftentheils  Ruine  ift.  Sie  wurde  von  1484  bis  1503  erbaut.  Der 
Bau  ihrer  Kapelle  ift  erft  1509  beendet.  Das  Kapellenportal  in  der  Süd- 
wand mit  Mittelpfoften  aber  abgemeifselten  Figuren  im  Tympanon  fowi« 
das  fehr  gut  erhaltene  Gewände  des  vermauerten  Portals  in  der  Kapellen- 
weftwand  find  bemerkenswerthe  Stücke.  Auch  enthält  das  Innere  zwei 
Weihtafeln  von  1509  und  1513.  Die  Eingänge  der  Burg  find  in  Hinfichl 
auf  die  Befeftigungsweife  jener  Zeit  von  Interefle;  über  dem  gegen  Norden 
befinden  (ich  noch  verwitterte  Wappen  in  Stein,  über  dem  gegen  Often 
fleht  die  nicht  übel  in  Stein  gemeifselte  Figur  der  h.  Katharina. 

Die  ehemalige  Stadtbefeftigung  läfst  fich  noch  an  vielen  Stellen  er 
kennen;  fie  ift  aus  verfchiedenen  Zeiten,  in  der  Hauptfache  aber  dem  15.  Jahr- 
hundert angehörig.  Zwei  Schalen  an  der  weltlichen  Seite  der  Stadt  haben 
fich  erhalten,  die  in  F'ig.  128  abgebildete  an  der  Südfeite  ift  1885  abgebrochen 
Das  bedeutendfte  Stück  der  Beteiligung  ift  der  runde  (Leipziger)  Thurm  an 
der  Oftfeite.  Den  Formen  nach  ift  er  ein  Werk  des  15.  Jahrhunderts. 

Urfprünglich  als  ein  Schulgebäude,  in  welchem  eine  namentlich  det 
theologifchen  Wiflenfchaft  dienende  Univerfität  entliehen  follte,  ift  152c 
die  Refidenz  erbaut.  Die  Kapelle  in  ihrem  Nordflügel  gehört  dem  Jahr« 
•537  an. 

Das  Rathhaus  an  feiner  jetzigen  Stelle  wird  1366  zuerft  erwähnt,  ifl 
aber  hinfichtlich  der  ihm  eingebauten  Kapelle  zum  h.  Kreuz,  die  bereits 
1327  genannt  wird,  wahrfcheinlich  bedeutend  älter.  Wir  glauben  jedocl 
nicht,  dafs  das  jetzige  Bauwerk  in  feinen  älteften  Theilen,  mit  Ausnahmt 
der  Kapelle,  über  die  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  zurückgefetzt  werden  kann. 
1501  find  gemacht  der  nördliche  Kapellenrifalit  und  die  Einwölbung  det 
Kapelle  fowie  der  Thurm  in  feinen  unteren  Theilen,  1558  ift  die  obere 
Thurmpartie  in  Backftein  und  die  Laube  gemacht,  der  Flügel  an  der  Leip- 
zigerftrafse  gehört  in  das  Jahr  1702.  Die  Heiligenftatue  am  Kapellen- 
vorfprunge  gehört  wohl  dem  Jahre  1501  an,  die  an  der  Ecke  der  Leipziger- 


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KUNSTGESCHICHTLICHE  UEBERSICHT.  439 


irafse  ift  1526  gefertigt.  Das  Innere  hat  bemerkenswerthe  Thür-  und 
F‘  nftergewände  aus  dem  15.  Jahrhundert  fowie  CafTettendecken  fpäteftens  aus 
dem  Anfänge  des  16.  Jahrhunderts  Auch  ein  Thürflügel  in  den  Formen  letzt- 
genannten Jahrhunderts  fei  erwähnt.  1516  ift  derMarftall  im  Rathhaushofe 
gebaut.  DerRathskeller  entftand  von  1486—1501.  Die Rolandsftatue 
wird  1341  als  farbige  Holzfculptur  genannt,  die  jetzige  fteinerne  ift  erft  1719 
gemacht  worden. 

Noch  fehr  beträchtlich  an  Zahl  find  die  alten  Bürgerhäufer.  Die 
■heften  find  unzweifelhaft  unter  den  Holzbauten,  doch  lallen  fie  lieh 
nicht  angeben;  auch  find  fie  keineswegs  die  bedeutendften.  Selten  ift  auch 
ein  Holzhaus  unverändert  geblieben,  fodafs  meift  nur  einige  Stücke,  z.  B. 
Simfe,  Confolen,  Gefachconftructionen  u.  f.  w.  wirkliches  InterefTe  bieten. 
Aehnlich  verhält  es  fich  auch  mit  den  Steinbauten,  nur  dafs  hier  fich 
die  Kunftformen  an  anderen Theilen  entwickeln,  nämlich  als  Erkner,  Giebel, 
befonders  intereffant  find  die  fpätgothifchen  von  Backftein,  Treppen- 
thürmchen,  im  Inneren  die  Decken-  und  Wandausftattung  mit 
Täfelwerk;  ferner  find  kunftformal  ausgezeichnet  die  Portale,  die  fich  fo 
zahlreich  erhalten  haben,  dafs  man  ihre  fchrittweife  Umformung  noch  gut 
verfolgen  kann.  Die  Fenftergewände  find  auch  beachtenswerte  aber  in 
der  Ausbildung  weit  weniger  bevorzugt  als  die  Portale.  Bemerkenswerthe, 
gut  erhaltene  Gebäude  des  16.  Jahrhunderts  giebtes  noch  viele;  wir  nennen 
den  kühlen  Brunnen,  nach  152z  gebaut,  das  Bürgerhaus  Brüder- 
ftrafse  Nr.  8 mit  ausgezeichnetem  Portale,  etwa  um  die  Mitte  des  16.  Jahr- 
hunderts erbaut,  die  weftliche  Ecke  Marktplatz-Kleinfchmieden, 
das  Wagegebäude,  in  welchem  ein  Thurm  von  (1341  oder)  1401  einge- 
baut ift  und  in  deffen  Hofe  fich  noch  das  Steinbild  einer  Heiligen  aus  dem 
15.  Jahrhundert  befindet,  dieNeumühle  von  1582,  das  fchon  1464  errichtete, 
1558  vergröfserte,  1607  bez.  1616  abermals  vergröfserte  und  1881  abgebrochene 
Thalhaus,  delfen  holzgetäfeltes  Zimmer  von  1594  höchft  werthvoll  war, 
die  Schäme,  befonders  die  Portale,  das  füdliche  von  1598,  Leipziger- 
ftrafse  Nr.  5 mit  ähnlichem  Portale  von  1600  und  mit  einem  Treppenthürm- 
chen,  endlich  gr.  Ulrichltrafse  Nr.  55  vom  Jahre  1622.  Ein  ganz  eigenartiges 
Stück,  der  von  94  Grabbögen  umzogene  Gottesacker  auf  dem  Martinsberge 
aus  den  Jahren  1558 — 1594  fei  zum  Schlufs  erwähnt.; 

Als  Künftler  und  K un ftha ndwerker  find  zu  nennen  die  Bau- 
leute: Peter  von  Morl  (mortal)  (und  Conrad  von  Einbeck)  1388,  Johan  Rod 
1470,  Hanfchke  etwa  1480,  Carl  Drachftädt  1491,  Hans  Wulckenftein  1506 
(nebft  Hans  Zcoberitz  und  Hans  Bruwer),  (Hans  von  Schönitz  1520),  Nickel 
Hofman  etwa  1530 — 1585,  Adam  Gerber,  Rathszimmermann,  1697. 

Bildhauer:  Conrad  von  Einbeck  1388,  Antonius  Pauwart  von  ypren 
in  flandern  (1559)  1561 — 1575,  Zacharias  Bogenkrantz  1592,  Valentin  Silber- 
mann 1604,  Bürger  1719. 

Maler:  Georgius  ihener  de  orlamunde  Maler  oder  Schnitzer  1511. 
Heinrich  Lichtenfelfer  aus  Leipzig  1593,  f am  Michaelistage  1596.  Johann 
de  Perre  1604,  Michael  Bayer  1649,  Heller,  Mitte  des  17.  Jahrhunderts. 


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440 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


Goldfehmied:  C.  Knittel,  1654. 

Bron cegiefser:  ludolfus  van  brunswigk  unde  lin  fone  hinrik  1 
magedeborch  1430, 

Glockengiefser:  GeorgWolgall  1600,  JacobWentzel  1674,  Friedric 
Auguft  Becker,  Rococozeit.  Carl  Friedrich  Ulrich  18Ö3. 


* 


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II. 


Der  Saalkreis. 


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Einleitung. 


Das  Gebiet  des  Saalkreifes,  in  welches  das  des  Stadtkreifes  Halle  ein- 
gefchloffen  ilt,  liegt  zwilchen  dem  51  und  52.  Grade  nördlicher  Breite 
und  dem  2g.  und  30.  Grade  örtlicher  Länge.  Es  ift  ein  in  der 
Richtung  von  Südoft  nach  Nordweft  ausgedehntes,  etwa  dreimal  fo  langes 
wie  breites  Landftück,  deflen  Weftgrenze  — ein  kleines  Stück  weftlich  von 
Halle  ausgenommen  — durchweg  die  Saale  bildet  und  zwar  den  Saalkreis 
(udlich  vom  Merfeburger,  nördlich  vom  Mansfelder  Seekreife  fcheidend. 
Im  Orten  ftöfst  nördlich  das  Herzogthum  Anhalt  an  den  Saalkreis  und  wird 
auf  der  Strecke  von  Lebendorf  bis  Wieskau  durch  die  Fuhne  von  ihm 
gefchieden.  Dann  weiter  füdlich  grenzt  an  die  örtliche  Saalkreisfeite  der 
Bittertelder  Kreis  und  fchliefslich  der  Delitzfcher,  welcher  wieder  an  den 
Merfeburger  Kreis  ftöfst;  letzterer  bildet  auch  die  Südgrenze  des  Saal- 
kreifes. Als  Enclave  gehört  das  im  Herzogthum  Anhalt  belegene  Löbnit 
an  der  Linde  zum  Kreife. 

Im  füdlichen  Theile  des  Kreifes  fliefst  in  die  Saale  die  weifse  Elfter, 
in  welche  (ich  die  Reide  ergiefst,  oberhalb  Trotha  die  vom  Petersberge 
kommende  Götfche.  Die  P'uhne,  eine  Strecke  die  Saalkreisgrenze  bildend, 
nimmt  den  Reidebach  und  Strengbach , die  durch  den  örtlichen  Theil  des 
Kreifes  fliefsen,  auf  und  vereinigt  (ich  erft  im  anhaltifchen  Gebiete  mit  der  Saale. 

Nördlich  von  Halle  hat  der  Saalkreis  eine  bergige  oder  doch  hügeliche 
Geftalt,  füdlich  aber  ift  er  flach  und  an  der  weifsen  Elfter  findet  fleh  fogar 
Niederung.  Das  Hügelland  gruppirt  fleh  um  den  Petersberg,  welcher  204" 
hoch  ift.  Südöftlich  von  ihm  liegt  der  Abata fflnaberg  13 tm  hoch.  Südlich 
zieht  fleh  über  Nehlitz,  Gutenberg,  Seeben  und  Trotha  bis  vor  Halle  eine 
Hügelkette  hin.  Von  Trotha  bis  Morl  erftreckt  fleh  ein  fruchtbares  Thal, 
muthmaafslich  vor  Zeiten  ein  See.  Dann  ftöfst  man  auf  den  vom  Peters- 
berge weftlich  ausgehenden  Höhenzug,  deffen  höchfte  Punkte  der  Blonsberg 
von  158"  und  der  Fuchsberg  von  125“  find.  Die  genannten  Erhöhungen 
beftehen  alle  aus  Porphyr,  welcher  nördlich  von  Wettin  aufhört,  um  dem 
Rothliegenden  Platz  zu  machen,  welches  nun  den  nördlichen  Theil  des 
Kreifes  einnimmt. 

Bei  Rothenburg  gewinnt  man  aus  dem  Kupferfchiefer  Kupfer.  Sand- 
ftein  findet  fich  ein  wenig  bei  Schiepzig,  auch  bei  Garfena  und  zwar 
rother,  fehr  grobkörniger.  Kalkftein  ift  bei  Lieskau  und  Brachwitz. 
Porzellanerde  liefert  hauptfächlich  die  Gegend  bei  Sennewtiz  und 
Dölau.  Bei  Brachwitz,  Dölau,  Sennewitz  und  bei  Halle  wird  auch 
weifser  Thon  angetroffen,  den  man  jetzt  namentlich  zur  F'abrikation 


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444 


DIB  STAUT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


poröfer  Mauerfteine  verwendet.  Sand  wird  befonders  in  der  Dölauer  Heide 
gefunden.  Braunkohle  gewinnt  man  bei  Halle,  Nietleben,  Beiderfee,  auch 
bei  Trotha,  Sennewitz,  Morl  und  Bruckdorf,  ferner  nordöftlich  von  Cönnern 
(Lebendorf)  etwa  in  22  Gruben.  In  Wettin  und  Löbejün  1 find  Steinkohlen- 
bergwerke. Erwähnen  wir  endlich  noch  das  Salz,  welches  als  Soole  zu 
Tage  tritt  (Halle,  Wittekind,  Neu-Ragoczi)  und  in  unterirdifchen  Salzlagem 
vorhanden  ift,  fo  wird  das  Hauptfächlichfte  der  brauchbaren  Mineralien  des 
Saalkreifes  genannt  fein. 

Waldungen  hat  der  Kreis  verhältnifsmäfsig  wenige;  die  Aue  an  der’ 
weifsen  Elfter,  die  Heide  aut  der  linken  Seite  der  Saale  und  das  Berghol? 
öftlich  vom  Petersberge  find  die  bemerkenswertheften  Stellen.  Dafür  jedoch 
ift  der  Kreis  um  fo  reicher  an  Wiefen,  Gärten  und  Aeckem  von  frucht- 
barfter  Befchaffenheit.  Und  diefer  Umftand  im  Vereine  mit  dem  Mineral- 
reichthume  dürfte  ein  wefentlicher  Grund  gewefen  fein,  dafs,  fobald  die 
Sorben,  jenes  mehr  gewerbliebende  als  kriegerifche  Volk  diefen  Länderftrich 
in  Befitz  nahm,  fo  zahlreiche  Ortfchaften  entliehen  konnten.  Sie  machen, 
obwohl  ihrer  viele  zu  Grunde  gegangen  und  nur  wenige  hinzugekommen 
find,  den  Saalkreis  zu  einem  der  volkreichften  und  betriebfamften  des  ganzen 
deutfchen  Landes  bis  heute.  Denn  der  Saalkreis,  welcher  jetzt  3 Städte, 
124  Dörfer  und  22  Gutsbezirke  hat,  zählt  auf  feinem  Flächeninhalt  von 
510,243,750  qkm  (nach  der  Zählung  von  1880)  70,458  Bewohner;  davon  fallen 
auf  die  Städte  10,813.  Von  diefen  Bewohnern  gehört  die  überwiegende 
Mehrzahl  der  evangelifch-lutherifchen  Kirche  an. 

Das  Kreisgebiet  wurde  in  den  Zeiten  des  Sorbenreiches  hauptfächlich 
von  zwei  Zuncpannien  oder  Gauen  eingenommen,  nämlich  von  dem  Gaue 
Neletici,  deffen  Zuncpan  in  Neglitz  oder  Nehlitz  an  der  Götfche,  und  von 
dem  Nudzici,  deffen  Zuncpan  in  Neutz  bei  Wettin  gewohnt  haben  foll.  Die 
Sorben  erbauten  wohl  keine  eigentlichen  Städte,  aber  Burgen,  die  mit  Erd- 
wällen umgeben  waren,  wie  der  Sputinesberg  bei  Rothenburg;  auch 
Wettin  und  Giebichenftein  follen  befeftigt  gewefen  fein.  Viele  Namen, 
befonders  die  auf  ig,  ick,  in,  itz  und  a endigen,  find  wendifchen  Ur- 
fprunges  und  folchen  Urfprung  verräth  auch  noch  die  Anlage  vieler 
Dörfer,  deren  Gehöfte  (ich  im  Kreife  um  einen  Platz  gruppieren  (Peifsen, 
Grofskugel,  Görbitz  und  andere).  Dagegen  rühren  die  Namen  auf  leben, 
dorf,  em,  au(?),  ftein,  ingen,  bürg,  stedt,  berg  und  münde  wohl  von  jenen 
Deutfchen  (Sachfen)  her,  die  nach  der  Unterwerfung  der  Sorben  im  10.  Jahr- 
hundert in  den  entvölkerten  Landftrichen  angefiedelt  wurden.  Schon  als 
Karl  d.  Gr.  die  Sorben  befiegt  halte,  wurden  an  der  Elbe  und  Saale  Caftelle 
zur  Niederhaltung  der  Befiegten  angelegt,  von  denen  eins  das  fchwarze 
Schlofs,  an  Stelle  der  Moritzburg  zu  Halle  gelegen,  gewefen  fein  foll.  Aber 
erfl  im  10.  Jahrhundert  wurde  durch  Heinrich  I.  und  namentlich  auch  durch 
Otto  L den  Sorben,  nachdem  fie  in  verfchiedenen  Schlachten  aufs  Haupt 
gefchlagen  waren,  für  immer  die  Ausficht  auf  Wiedererlangung  eines  felbft- 
Händigen  Reiches  genommen,  einestheils  durch  die  Gründung  von  Graf- 

1 Sind  jetzt  cingegangen. 


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EINLEITUNG. 


445 


fchaften  (nämlich  zu  Görbig  im  AnhaltiCchen,  zu  Landsberg  im  Delitzfcher 
Kreife,  zu  Wettin  im  Saalkreife  und  zu  Merfeburg  im  Merfeburger  Kreife) 
anderntheils  durch  die  Chriftianilirung  des  Landes,  zu  der  hauptfächlich 
die  Gründung  des  Erzftiftes  Magdeburg  beitrug.  Otto  I.  legte  den  fiid- 
lichen  und  nördlichen  Theil  des  jetzigen  Kreifes  zum  Erzftifte,  der  mittlere, 
nämlich  das  von  Brachwitz,  Morl,  Groitfch  bis  Kütten  im  Anhaltifchen 
ludlich  und  von  Wieskau,  Schlettau,  Dalena,  Domnitz,  Dolle],  Dobis  nörd- 
lich begrenzte  Stück,  gehörte  zur  Graffchaft  Wettin.  Uebrigens  mufsten 
alle  Grafen  der  Gegend  den  Erzbifchof  von  Magdt  bürg  als  Lehnsherrn  an- 
erkennen. Mit  dem  Ausllerben  der  Wettiner  Grafen  (i2go)  kam  auch  der 
mittlere  Theil  des  Kreifes  ganz  an  das  Erzbisthum  So  Hand  faß  alle 
geiftliche  und  weltliche  Macht  bei  dem  Erzbifchofe;  an  feiner  Stelle  wurden 
die  geiftlichen  Angelegenheiten  hauptfächlich  von  dem  Kloller  zum  Neuen 
Werke  bei  Halle  geregelt,  deffen  Probft  Archidiaconus  Banni  Hallensis, 
des  Gebietes  zwifchen  Elfter,  Euhne  und  Saale,  war.  Die  Gerichtsbarkeit 
pflegte  zumeift  der  Burggraf  von  Giebichenftein,  der  erzbifchöflichen 
Refidenz  in  diefer  Gegend.  Wefentliclv-  Veränderungen  erfuhren  alle  diefe 
Verhältnifle  durch  die  revolutionären  Veränderungen  unter  dem  Cardinal 
Erzbifchof  Albrecht,  welche  wir  aber  hier  nicht  weiter  antühren  können. 
Auch  aus  der  neueren  Gefchichte  befchränken  wir  uns  auf  den  Uebergang 
des  Erzftiftes  Magdeburg  als  eines  weltlichen  Herzogthums  an  Brandenburg 
hinzuweifen,  welcher  1648  im  weftphälifchen  Frieden  beftimmt,  aber  erft  1680 
ausgeführt  wurde,  und  an  die  Bildung  der  Provinz  Sachfen  nach  der  Ver- 
treibung der  Franzofen  zu  Anfang  diefes  Jahrhunderts  zu  erinnern,  die  beiden 
wichtigften  Ereigniffe  für  die  Gefchichte  des  Saalkreifes. 


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Ammendorf. 

Pfarrkirchdorf  (und  Rittergut,  welches  zu  Beefen  gehört),  Station  der 
Thüringer  Eifenbahn,  6 km  ludlich  von  Halle.  Das  ehemalige  Schlofs  iß  das 
Stammhaus  derer  von  Ammendorf.1  1264  ßiftete  Heinrich  von  Ammendorf 
bei  der  S.  Nicolaikirche  ein  Augußinerkloßer,  welches  aber  fpäter  mit  dem 
der  Klausner  bei  Giebichenflein  (den  Serriten  oder  Marienknechten,  die  zu 
Anfang  des  14.  Jahrhunderts  auf  dem  Leipzigerplatze  wohnten  und  1339  die 
jetzige  Ulrichskirche  zu  Halle  erbauten)  vereinigt  worden  iß.  Das  Rittergut 
iß  unter  dem  Erzbifchof  Burchard  III.  an  die  Stadt  Halle  gekommen  und 
>333  von  der  Stadt  an  Sander  Prune  und  Busso  vom  Thore  verfchrieben. 
Seine  Gefchichte,  namentlich  die  Reihe  feiner  Befitzer,  iß  bei  von  Drey- 
hauptll.  875  nachzufehen,  wir  bemerken  nur.  dafs  1426  das  Dorf  — ob  auch 
das  Schlofs?  — von  den  Hallenfern  im  Kriege  mit  dem  Erzbifchof  Günther 
eingeäfchert  wurde.  Nach  1551  Toll  das  Schlofs  von  Chrißoph  Bofe  neu  er- 
baut fein.  Schuldenhalber  gab  die  Stadt  ihre  Befitzungen  Beesen  und 
Ammendorf  1655  dem  Magdeburger  Domcapitel,  welches  bis  1717  in  dem 
Befitze  diefer  Güter  blieb,  die  dann  von  der  Stadt  wieder  eingelöß  wurden. 
Die  Gutsgebäude  find  jetzt  ohne  Interefle. 

Die  Kapelle  St.  Nicolai  wird  1286  erwähnt,  in  welchem  Jahre  Erz- 
bifchof  Erich  ihr  einen  Ablafsbrief  ertheilt  (f.  von  Dreyhaupt  Doc.  Nr.  565). 
Aufser  diefer  Kapelle,  von  der  es  unbeßimmt  iß,  ob  fie  die  erße  Pfarrkirche 
war,  hat  Ammendorf  noch  eine  von  Hermann  Kötzel  in  den  letzten  Jahr- 
zehnten des  14.  Jahrhunderts  gebaute  Kirche  $.  Katharinae  gehabt,  welche 
der  zu  Radewell  incorporirt  gewefen  iß.  Es  find  jedoch  beide  fpäter  zu 
einer  Pfarre  vereinigt.  1504  erläfst  Erzbifchof  Ernß  in  feiner  Diöcefe  einen 
Ablafsbrief  zum  Sammeln  von  Almofen  für  die  Wiederherßellung  der  bau- 
fälligen Kirche  und  1509  zur  Fortführung  des  angefangenen  Thurmes.  Aber 
die  zu  Anfang  des  1 6.  Jahrhunderts  erbaute  Kirche  mit  gradem  Chorfchlufs 
iß  1738  derartig  erneuert  worden,  dafs  fie  jetzt  kein  wefentliches  Intereffe 
mehr  bietet.  Im  Thurme  befindet  (ich  an  der  Nordwand  der  Grabßein 
Georg  Bofe’s  vom  Jahre  1574,  auf  dem  ein  geharnifchter  Ritter  fehr  hand- 
werkstnäfsig  dargeßellt  iß.  Ebendafelbß  fleht  man  einen  kleinen  Grabßein 
des  Otto  Bofe,  und  ein  dritter  mit  kaum  leferlicher  Schrift  (Otto  Bole  ge- 
hörig?) dient  als  Fufsbodenplatte. 


1 Von  (liefern  alten  und  fehr  bedeutenden  Adelsgefchlechtc  füll  fchon  968  ein  Fritze  von 
Ammendorf  nachweislich  fein,  indeffen  mit  Sicherheit  läfst  fich  erft  1239  ein  Heincmann  von 
Ammendorf  anfuhrrn  S.  von  Dreyhaupt:  Gefchlechts-Regifter  3. 


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AWMF.NDORF. 


447 


Bis  1883  hatte  die  Kirche  eine  Glocke  von  matt  gezeichneter  Form 
mit  diefer  Minuskelumfchrift: 

+ anno  öm  m 0 it  • il|s  moria  Unna  ooDtrr  - joad)i(  (==  joachim) 

und  eine  zweite,  die  imDecember  1754  von  Fried.  Aug.  Becker  in  Halle  ge- 
golTen  war. 

Statt  diefer  alten  Glocken  belitzt  die  Kirche  jetzt  eine  von  0,70“ 
DurchmefTer  mit  der  Infchrift:  OheilgerGeift  kehr  bei  uns  ein;  eine  andere 
von  0,84 " DurchmefTer  mit  der  Infchrift : Gelobet  feilt  du  Jefu  Chrilt,  und 
eine  dritte  von  1,05 m DurchmefTer,  deren  Infchrift  lautet  einerfeits:  Allein 
Gott  in  der  Höh  fei  Ehr,  andererfeits:  von  Gebr.  Ulrich  in  Laucha  ge- 
gofTen  etc im  Jahre  des  Heils  1883. 

Bebitz. 

Kirchdorf,  Filial  von  Lebendorf,  2g  km  nordweftlich  von  Halle  gelegen, 
findet  lieh  1376  im  Befitze  des  Ritters  Albert  Quartier.  Die  im  Dorfe  ge- 
legene Kirche  ili  im  dreifsigjährigen  Kriege  gänzlich  zerftört  und  1693 
wieder  erbaut.  Ihr  Thurm  mit  welfcher  Haube  iß  171g  angefangen  und  1744 
vollendet.  Das  Gebäude  bietet  nichts  Merkwürdiges,  weil  es  vor  einigen 
Jahrzehnten  erneuert  ift.  Beachtung  verdient  ein  Taufbecken  von  Meiling, 
welches  in  der  Mitte  feines  Bodens  die  hier  nicht  feltene  Darliellung  Adams 
und  Evas  mit  der  Schlange  am  verbotenen  Baume  zeigt.  Diefes  Flachbild 
ift  zwar  fchon  fehr  verwifcht,  jedoch  läfst  lieh  noch  wohl  erkennen,  dafs  die 
Zeichnung  der  Körper  gut  gewefen  ift.  Der  Stempel  zu  ihr  wird  erft  im 
16.  Jahrhundert  entftanden  fein. 

Die  Glocke  von  0,84  m DurchmefTer  ift  1802  von  Becker  in  Halle  gegoffen. 

Beesedau. 

Kirchdorf,  Filial  von  Trebnitz  und  Rittergut,  15  km  nordweftlich  von 
Halle  gelegen,  war  ein  gräflich  Barhy’fches  Afterlehn,  mit  welchem  die 
von  Kroligk  (-Sandersleben)  feit  dem  16.  Jahrhundert  belieben  gewefen 
find.  Die  Kirche  (im  18.  Jahrhundert  Filial  von  Laublingen).  mit  einem 
Thurme  und  dreifeitig  gefchloffenem  Chore  liegt  im  Dorfe;  (ie  ift  172O  ent- 
ftanden und  hat  keine  bauliche  Bedeutung. 

Die  Glocke  von  0,63  • DurchmefTer  hat  eine  längliche  unten  breite  Form 
mit  einem  Harken  rechteckigen  Reifen  oben  und  ift  ohne  Infchrift.  Die 
Glocke  von  0.50“  DurchmefTer  ift  ebenfalls  ohne  Infchrift  und  von  ähnlicher 
Form.  Ueber  die  Entftehungszeit  beider  läfst  fleh  leider  nichts  Beftimmtes 
angeben;  man  könnte  fie  in  den  Anfang  des  18.  Jahrhunderts  fetzen,  alfo 
mit  dem  Kirchenbau  gleichzeitig,  aber  für  diefe  Zeit  wäre  das  Fehlen  jeder 
Infchrift  doch  höchft  auffällig. 

Beesen. 

Kirchdorf,  Filial  von  Ammendorf,  und  Rittergut,  3 km  fiidlich  von  Halle 
an  der  Mündung  der  weifsen  Elfter  in  die  Saale  gelegen. 


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448 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


• Die  Kirche,  welche  unter  hallefchem  Patronat  lieht,  ill  erll  nach  der 
Reformation  ein  Filial  geworden.  Sie  liegt  im  Dorfe  und  ill  baulich  ziem- 
lich unbedeutend,  da  (ie  1744  vergröfsert  und  reparirt  ill.  Diefe  Ver- 
gröfserung  fcheint  nach  Wellen  zu  Ilattgefunden  zu  haben,  denn  der  Thurm 
gehört  augenfcheinlich  dem  18.  Jahrhundert  an,  in  feiner  Fahne  lieht  1744. 
Der  Chor  ill  dreifeitig.  Nutzlofe  Strebepfeiler  verunzieren  das  Ganze.  Der 
Anbau  für  den  Pallor  ill  1791  gemacht.  Im  Innern  findet  fich  an  der  Nord- 
feite ein  fpätgothifches  Sacramentshäuschen,  aufsen  mit  einem  eifernen 
Reifen  zum  Aufhängen  eines  Vorhanges.  Der  Altar  ill  zufolge  einer 
Minuskel-Infchrift  an  der  Predella  1519  gemacht,  d.  h.  nur  die  Heiligenfiguren 
gehören  diefer  Zeit  an  und  ihr  lebensfroher,  durchaus  realillifcher  Stil  läfst 
darüber  auch  keinen  Zweifel  zu.  Die  jetzige  Architektur  des  Altaraufbaues 
iß  barock,  fie  gehört  infchriftlich  dem  Jahre  1729  an;  der  ältere  (katholifche) 
Schrein  ift  damals  und  zwar  mit  Gefchick  (und  Toleranz)  in  diefen  barocken 
Aufbau  wieder  eingefetzt.  In  der  Predella  befinden  (ich  diefe  vier  Heiligen: 
ein  Bifchof  mit  einem  Knaben.  Margaretha  mit  dem  Drachen,  Anna  Selb- 
dritt  und  Barbara  mit  Thurm  und  Kelch.  Die  ehemalige  Mittelpartie  des 
Schreines  ift  jetzt  getrennt  Maria,  die  wahrfcheinlich  die  Mitte  einnahm, 
ift  oben  rechts  aufgeftellt  worden;  ihr  entfpricht  auf  der  andern  Seite  ein 
ßifchof  im  Ornat  ohne  Beigabe.  In  den  Flügeln  liehen  je  zwei  Figuren, 
links  Ulrich  (?)  als  Ritter  und  Katharina . rechts  ein  Heiliger  mit  einem 
Krüppel  und  Elifabeth.  Die  urfprüngliche  Färbung  ift,  wie  fich  von  der 
Entftehungszeit  nicht  anders  erwarten  läfst,  fehr  vorzüglich  gewefen  , hat 
aber  bei  der  neuen  Verwendung  der  Stücke  in  der  Barockzeit  durch  theil- 
weife  Uebermalung  gelitten.  Rechts  ift  in  einer  Nifche  ( 1729?)  der  Tauf- 
beckenunterfatz  angeordnet. 

Seine  prunkende  F'ärbung  durch  Blau,  Weifs  und  Gold  ill  wohl  ge- 
lungen. Das  meffingene  Taufbecken  Hellt  inmitten  die  Verkündigung 
dar;  der  hierzu  gebrauchte  Stempel  dürfte  noch  im  15.  Jahrhundert 
entftanden  fein,  wie  die  Auffüllung  diefe  Scene  — Maria  an  einem  Betpulte 
kniend,  wendet  fich  fchüchtem  gegen  den  ehrfurchtsvoll  hinter  ihr  herzu- 
kommenden Engel  — und  die  Proportionirung  der  Körper  erkennen  läfst. 
Die  Umfchrift  in  noch  Hark  gothifchen  Charakter  tragenden  Lapidarbuch- 
llaben  lautet:  ICH  BART  GELVK  ALZEIT. 

An  der  Südwand  fieht  man  einen  lebensgrofsen  Crucifixus  und  darunter 
die  halblebensgrofse  mater  dolorosa;  beide  find  überweifst,  die  Stücke  ge- 
hören wohl  dem  Barock  an.  Die  Kirche  befitzt  einen  Kelch,  deflen  Stilus 
und  Nodus  mit  fpätgothifchem  Laubwerk  omamentirt  find.  An  denNodus- 
zapfen  lieht  I h US  V S.  Am  F'ufse  ift  ein  Wappen  aufgeheftet  und  ein 
Kreuz,  das  Signaculum,  eingeritzt,  auch  ift  auf  dem  Fufse  augenfcheinlich 
noch  ein  anderer  Gegenftand  (Wappen?)  befindlich  gewefen.  Am  F'ufse  fieht 
man  auch  eine  nicht  mehr  entzifferbare  Minuskel  fchrift. 1 Die  Arbeit  fcheint 
mit  der  des  Altarfchreines  etwa  gleichzeitig  (1519)  zu  fein. 


1 |r«ib»  r|i;mlr»  Itmmm  (=  timrtbi»  (=  g>ld|inlrt  lnim  gtl«. 


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AMMKNOOKF.  BKBITZ.  BEESF.OAU.  HESSEN.  BHBSF.NI.AUBUNGEN.  449 


Die  Glocke  von  0,73"  Durchmefler  hat  eine  recht  auffällige  Form,  die 
;twas  fteif  iß  und  unten  weit  ausladet,  ihre  Minuskelumfchrift  lautet: 

+ anno  ö in  m ucc  zeit  fciu  rr&ü  < orrnnDa  f)  post  martinr  fahnruo  (?)  0 

Unter  diefer  von  vier  Schnüren  eingefafsten  Schritt  lieht  der  Name  des 
Giefsers  (?)  gllligqcj  (jDtr  |)  f,  ferner  find  hier  mehrere  runde  Reliefs  an- 
gebracht und  ein  vierfeitiges. 

Die  Glocke  mit  1,05“  Durchmeder  hat  eine  etwas  plumpe  Form,  die 
fchon  der  der  RenailTance  nahe  kommt.  Ihre  Minuskelinfchrift  heifst: 

O (Medaillon,  welches  Maria  mit  dem  Kinde  darftellt)  (Usulor 
oioo  1»  txiortuo  figu  nonoo  1491  • 

Die  Glocke  mit  0,94”  Durchmeffer  hat  eine  nicht  hübfch  gefchwungene 
längliche  Form  und  die  Minuskelfchrift : 

t m glorif  ift  orni  tum  patt  111«  Domini  m cccc  zcbii  0 

Beesen  laubl  i ngen. 

Ptarrkirchdorf,  31  km  nordweftlich  von  Halle  am  rechten  Saalufer  ge- 
legen, befteht  eigentlich  aus  dem  Dorfe  und  Rittergute  (Alt-  und  Neu-) 
Beefen  und  dem  Dorfe  Laublingen.  Das  Rittergut  Beelen  gehörte  ehemals 
zur  Graffchaft  Alsleben  im  Mansfelder  Seekreife  und  ging  mit  diefer  an 
das  Erzftift  Magdeburg  über.  Das  Gut  ift  wahrfcheinlich  das  Stammhaus 
derer  von  Beefen.  1376  hat  ein  Budo  und  1390  ein  F'ritz  derfelben  dort  ge- 
wohnt. Die  folgenden  Befitzer  giebt  von  Dreyhaupt  II.  863  an.  1671  ent- 
lland  in  Folge  der  Theilung  dei  Güter  unter  die  beiden  Söhne  Volrad 
l.udolphs  von  Krofigk  Alt-  und  Neu-Beesen,  und  1720  ging  diefes,  1757 
jenes  durch  Kauf  an  den  König  über,  um  dann  zu  dem  Amte  Beefen  wieder 
vereinigt  zu  werden.  Zu  Laublingen  war  1446  ein  Sattelhof  im  Befitze 
Budo  Frundehelm’s;  der  Hof  kam  nach  verfchiedenen  Befitzem  (von  Drey- 
haupt U.  914)  1522  ebenfalls  an  die  von  Krofigk. 

Die  den  beiden  grofsen  Apolfeln  (Petrus  und  Paulus)  geweihte 
Kirche  liegt  etwas  hoch  nordölllich  im  Dorfe.  Sie  ift  eine  jener 
ausgebildeten,  romanifchen  Anlagen,  die  aus  einem  I'hurme  — hier 
breiter  als  das  Schiff,  einem  Schiffe  und  einem  fchmäleren  Altar- 
raume mit  halbrunder  Apfis  beftehen;  an  Stelle  der  letzteren  ift  hier 
etwa  im  4.  Jahrzehnt  des  18.  Jahrhundert  ein  gothifirender  Anbau 
getreten,  welcher  gerade  fchliefst.  Der  im  Grundrifs  ein  von  Norden  nach 
•Süden  gelegenes  Oblongum  bildende  Thurm  hat  in  der  Glockenftube  zu 
zwei  Bögen  an  der  Oft-  und  Wert  wand  lieh  entfprechende  Kämpferanlatze. 
Für  diefelben  läfst  fich  eine  Erklärung  nicht  wohl  auffinden,  da  thatfächlich 
ausgelührte  Bögen  hier  oben  keine  Laft , fei  es  vom  Dachftuhle , fei  es  von 
den  Glocken  würden  ertragen  können.  Der  Thurm  hat  ein  Untergefcfcofs 
und  ein  gewölbtes  jetzt  gefchlofsenes  Erdgefchofs,  welche  beide  mit  Särgen 
der  Familie  Krofigk  angefüllt  find.  Der  an  der  Südfeite  gelegene  Eingang, 
B.  D.  d.  Bau*  u.  Kunstd.  N.  F.  I.  29 


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45° 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKKEIS. 


jetzt  mit  einem  Vorbaue,  hat  die  in  Fig.  227  dargefteflte  Ausbildung, 
die  die  reichfte  im  Saalkreife  ift.  Sein  Gewände  in  zwei  Abiätzen 
befteht  jederfeits  aus  einer  vorderen  fchwachen  und  einer  hinteren 
llärkeren  Säule,  welche  letztere  beiden  auf  einem  beiderfeits  fehr  zerflörten 
Poflamente  aufflehen.  Der  Schaft  der  Säule  rechts  ift  mit  bandartigen 


Fig.  227. 


Portal. 


Zickzackornamenten  plaftifch  verziert,  ein  Schmuck,  der  an  die  Bemalung- von 
romanifchen  Säulen  erinnert.  Die  Capitäle  in  vollem  Laub-  und  Bandwerk 
ausgehauen,  haben  eine  kelchförmige  Silhouette  mit  fehr  fchweren,  gleichfam 
als  Kämpferfims  dienenden  Abaken , deren  anfängliche  Verzierung  bis  auf 


HEESENLA0BUNG  EN. 


4SI 


geringe  Thierkopfrefte  verfchwunden  ift.  Das  halbrunde  Tympanon  wird 
von  zwei  Abfalzen  umzogen,  die  dem  Gewände  entfprechen.  Der  erfte 
Abfatz  hat  eine  aus  kleinen  Gliedern  beftehende  und  jederfeits  in  einem 
Blatte  endigende  Eckverbrechung,  der  andere  ift  ganz  glatt  und  dürfte  nicht 
urfprünglich.  fondern  gelegentlich  einer  modernen  Reparatur  gemacht  fein. 
Die  Bogenfeite  des  Tympanonfteines  ift  von  einem  Bande  begleitet,  welches 
in  jedem  der  beiden  Bogenviertel  ein  verfchiedenmufteriges  zu  unterft  mit 
einem  Eigürchen  beginnendes  Rankenornament  zeigt.  Die  figürliche  Dar- 
Itellung  im  Felde  hat  in  der  Mitte  Chriftus,  welcher,  von  einem  grofsen 
Nimbus  umftrahlt  auf  einem  Throne  fitzt.  Mit  der  Rechten  giebt  er  dem 
links  (alfo  zur  Rechten  Chrifti)  knienden  Petrus  denSchlüflel  zum  Himmel,  in 
der  Linken  hält  er  ein  Buch  (das  Evangelium),  Paulus  k niet  rechts  und  erhebt  die 
Hände  betend.  Das  ganze  Portal  zeichnet  fich  mehr  durch  feinen  Reichthum  als 
durch  eine  gute  Arbeit  aus.  Namentlich  find  die  Figuren  weder  in  den 
Proportionen  gelungen,  noch  in  den  Details  fauber  gebildet.  Die  weiche 
Wirkung  der  Architektur  wird  wefentlich  unterftützt  durch  den  Thürflügel, 
welcher  fo  reich  befchlagen  ift,  wie  wohl  auch  aufserbalb  der  Grenzen  des 
Kreifes  feiten  ein  zweiter.  Fünf  in  unregelmäfsigcn  Abftänden  quer  über 
die  Thür  gehende  eiferne  Flachfchicnen  bilden  die  Hespen  und  Bänder. 
Jedes  von  diefen  F'lacheifen  überdeckt  auf  die  ganze  Länge  eine 
Omamentirung,  die  aus  paarweife  zufammen-  und  übereinander  gelegten 
Bogenftücken  befteht.  Jedes  Bogenftück  ift  mit  Nägeln  befeftigt  und 
einerfeits  zu  einem  Schlangenkopfe  ausgefchmiedet,  von  deffen  Ausfehen 
Fig.  2 ’8  eine  Vorftellung  giebt.  Ich  kann  mich  nicht  entfchliefsen,  diefe 


Fig.  228  a. 


Schlangenkopf  am  Portal  227. 


Omamentirung  in  die  romanifche  Zeit  zu  fetzen,  obwohl  ihr  Charakter  dem 
Stile  jener  Zeit  nicht  fehr  zuwiderläuft,  vielmehr  an  romanifches  oder 
fchottifches  Wefen  gemahnt;  fie  wird  wohl  der  fpäten  Gothik  angehören 
oder  doch  im  15.  Jahrhundert  als  Ergänzung  einer  urfprünglich  romanifchen 
m der  jetzigen  Weife  ausgeführt  fein.  Zu  diefer  füdlichen  Thür  hat  es  auf- 
fälligerweife bereits  in  romanifcher  Zeit  eine  zweite  an  der  Nordwand  gegen- 
über gelegene  gegeben,  deren  Bogen  fich  noch  theilweife  fichtbar  erhalten 
hat,  während  die  Oeffnung  vermauert  ift. 

29* 


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452 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


Im  Kircheninnem  fällt  eine  durch  den  fpäteren  Putz  bez.  Kalkanftrich 
durch  fcheinende  Malerei  auf,  welche  fich  an  der  Nord  wand  des  Schiffes 
über  der  Empore  befindet  und  eine  weibliche  (?)  Figur  mit  einer  Tafchef-i 
darlfellt.  Bei  feuchter  Witterung  lallen  fich  die  Einzelheiten  wohl  erkennen. 


aber  es  läfst  fich  dennoch  nicht  mit  Bellimmtheit  aus  den  Formen  die  Zeit 
der  Entftehung  angeben.  Der  Emporeneinbau  nördlich  hat  Holzftücke 
(Büge)  Kig.  >20,  die  in  fpätgothifchen  Formen  durchgebildet  find. 

Der  romanifche  Taufftein  der  Kirche  ift  aus  zwei  Theilen  zufammen- 
gefetzt;  wir  geben  in  Fig.  230  feine  Abbildung,  aus  welcher  zu  erfehen 
ift.  dafs  weder  eine  Verzierung  noch  eine  Profilirung  von  befonderer 
Schönheit  diefes  Stück  auszeichnet.  Die  in  den  Figuren  231  und  232 
dargeftellten  Grabfteinrefte  finden  fich  in  die  Wand  eingelaffen  oder  als 
F'uf  bodenplatten  verlegt ; fie  gehören  der  Uebergangszeit  oder  der  frühen 


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454 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


Gothik  an.  Weit  mehr  Beachtung  verdienen  die  im  Sanctuarium 
vor  dem  ehemaligen  Platze  des  Altares  liegenden  4 Grabfteine  derer 
von  Krofigk.  Sie  liegen  in  der  Richtung  der  Kirche  neben  einander  und 
zwar  fo  tief  unter  der  Fufsbodenoberkante,  dafs  ein  über  fie  gelegter,  fie 
jedoch  nicht  berührender  Bohlenbelag  hier  den  Fufsboden  abgiebt,  wodurch 
die  Steine  zwar  gewöhnlich  dem  Auge  entzogen  werden,  aber  (ich  gut  er- 
halten haben.  Es  find  auf  diefen  Steinen  die  Entfchlafenen  in  kräftigem 
Hochrelief  als  Ritter  in  ihrer  Rüftung  (Harnifch)  dargeftellt.  Die  Arbeit 
gehört  dem  16.  Jahrh.  an  und  ift  zu  loben.  Ein  fpätgothifch  omamentirte- 
Taufbecken  von  Mefiing  hat  in  der  Mitte  die  Darftellung  der  Verkündiguni: 
Mariae  und  jene  verfchnörkelte  unleferliche  Minuskelfchrift,  die  lieh  derartig 
nur  an  Taufbecken  und  zwar  fo  vielfach  findet.  An  Geräthen  aus  edlen 
Metallen  befitzt  die  Kirche  einen  fpätgothifchen  Kelch  mit  der  Minuske’- 
infehrift  (,'laria  hilf  (?),  als  Signaculum  ift  dem  Fufse  ein  Crucifixus  auf- 
geheftet. Einem  andern  Kelche  ift  auf  dem  Fufse  Petrus,  Paulus,  als  die 
Titelheiligen  der  Kirche,  und  Maria  (?)  eingravirt.  Man  lieft  in  Majuskeln 
CLAVES  und  BOVIST  (?)  Als  Signaculum  trägt  der  Fufs  ein  Crucifixus  mit 
Maria  und  Johannes  zu  den  Seiten.  Im  Fufsinnem  lieht  in  Minuskelfchrift 
lopliagm. 

Von  den  Glocken  ift  wohl  die  ältefte  die  von  0,69“  DurchmelTer;  fie 
hat  eine  längliche  Form  und  keine  Infchrift.  Eine  zweite  Glocke  von  0.84* 
DurchmelTer  hat  die  Majuskelumfchrift:  ÄVLÄ  (?)  ^IEÄ  VOX,  als  Ver- 
zierung dient  ein  Crucifixus;  Schrift  und  Zeichnung  ift  durch  Einritzen  in 
den  Mantel  entftanden.  Die  Glocke  gehört  vermuthlich  in  die  zweite  Hälfte 
des  13.  Jahrhunderts.  Die  dritte  Glocke  von  1,10"  DurchmelTer  fcheint  etwa 
um  die  Mitte  des  14.  Jahrhunderts  jedenfalls  nicht  lange  vor  derfelben  ge- 
golten zu  fein;  fie  hat  die  Majuskelumfchrift  (Wachsmodelle): 

cg>  DVfll  TRÄhOR  ÄVD1TE  VOdO  VOS  ORÄTE  VERITtC?) 

Böllberg. 

• Kirchdorf,  Filial  von  Wörmlitz,  1 km  ludweftlich  von  Halle  am  rechten 
Saalufer  gelegen.  Die  dem  h.  Nicolaus  geweihte,  im  Dorfe  gelegene  Kirche 
ift  bis  zum  Jahre  1247  ein  Filial  der  S.  Georgenkirche  zu  Glaucha  gewefen. 
1291  haben  die  Böllberger  für  den  Priefter  ihrer  Kapelle  zu  Radewell  Land 
gekauft,  auch  ift  1298  von  einem  Barthol  von  Livenowe  und  1307  von  dem 
Müller  Willekin  der  Kirche  Land  gefchenkt  worden.  Ein  Wörmlitzer  Filial 
jft  die  Kirche  erft  nach  der  Reformation  gewefen.  Die  Kirche  ift  ein  kapellen- 
artiger Bau  ohne  Thurm,  aber  mit  halbrunder  Apfis  im  Ollen,  wie  der  in 
Eig.  Z33  dargeftellte  Grundrifs  und  die  perfpectivifche  Anficht  Fig.  234  zeigen. 
Merkwürdigerweife  liegen  hier  die  P'enfter  des  Schiffes  nicht  wie  gewöhnlich 
auf  der  Südleite,  die  nur  die  Thür  enthält,  fondern  auf  der  Nordfeite. 
Die  Wände  beftehen  aus  Bruchfteinen  ohne  Sandfteinecken ; man  bemerkt, 
dafs  die  unteren  Partien  viel  lagerhaftere  Steine  als  die  oberen  haben.  Die 
romanifche  F'ugentechnik , wie  fie  beifpielsweife  an  der  Kirchenruine  in 


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BÖLLBERG. 


455 


Krofigk  gefunden  wird,  fehlt.  In  Fig.  235  ill  das  Tympanon  der  auf  der 
Südfeite  befindlichen  Thür  gezeichnet;  es  ifl  einfach,  feine  Form  kommt 


Fig.  233. 


[Grundrifs  der  Kirche. 


Fig.  234- 


Acufscrcs  der  Kirche. 


häufiger  im  Saalkreife  vor;  z.  B.  auch  an  der  Kirche  zu  Schlettau  bei  Löbejün. 
In  den  Fig.  236  und  237  find  andere  Details  des  Gebäudes  gezeichnet,  welche 
die  Einfachheit  der  Ausfchmückung  erkennen  lallen.  Beachtung  verdient 


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I 


456 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


die  fteinerne  Knopf bekrönung  des  örtlichen  Giebels,  die,  wie  nicht  eben  häufg, 
an  die  Stelle  des  fonfl  üblichen  Kreuzes  getreten  ift.  Der  Weftgiebel  hat 


! 


MVBBRBHS 

■fl 

rra||||HN 

{flgä 

Tympanon  der  Thür. 


urfprünglich  wohl  einen  Aufbau  für  frei  hängende  Glocken  gehabt.  Im 
Innern  fleht  man  in  der  Apfis  nördlich  eine  Sacramentsnifche  (ob  urfprüng- 


F>8-  237- 


Fig.  236. 


Knopf  auf  dem  Oftgiebel  d.  Kirche. 


Kirchenfenßer. 


lieh?),  ludlich  unter  dem  Fenrter  eine  piscina.  Der  Fufsboden  dürfte 
Theil  noch  urfprünglich  fein,  nämlich  da,  wo  er  aus  grofsen  unregelmäfsigeff 
Pflafterfteinen  befteht.  Die  gerade  Balkendecke  ift  mit  breiten  Brettern 
über  deren  Fugen  Leiften  zur  Verdeckung  genagelt  find,  verfchalt.  Höchli 


J 


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Fig.  23 7. 


Aufpatronirtes  Deckenmuster. 


J 


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Fig.  238. 


Aufpatronirtes  Deckenmuster. 


J 

/ 


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FiR.  239. 


Aufpatronirtes  Deckenmuster. 


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Fig.  240. 


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BÖLLBERG.  BRACHSTKDT. 


457 


bemerkenswert h ift  der  örtliche  Theil  diefer  Decke,  welcher  ein  für  jedes 
Brett  verfchiedenes  fpätgothifches  Mufter  aufpatronirt  ift.  Es  läfst  lieh  er- 
kennen, dafs  einige  diefer  der  unzweifelhaft  in  das  15.  Jahrh.  gehörigen 
Mufter  aufgelrifcht  find;  wir  geben  in  Figg:  238,  23g,  240 u.  241  die  fchönften. 
Sie  werden  der  modernen  Decorationsmalerei  brauchbare  Motive  liefern. 
Zwar  ift  die  Farbenzufammenftellung  eine  harte,  es  kann  jedoch  verfichert 
werden,  dafs  die  angemelfene  Entfernung  vom  Auge  fowie  die  Ausdehnung 
eines  Mufters  auf  eine  gröfsere  Fläche  diefen  Eindruck  mildert.  Die  mensa 
des  Altares  enthält  ein  entleertes  sepulchrum;  ein  ziemlich  gut  gefchnitzter 
kleiner  Crucifixus  auf  dem  Altäre  gehört  dem  Anfänge  der  Renaiffance  an. 
In  F'ig.  242  ift  das  Bild  des  unzweifelhaft  noch  urfprünglichen,  romanifchen 


Fig.  242. 


Tauffteines,  dellen  Ausbildung  der  Einfachheit  der  Kirche  wohl  entfpricht, 
gegeben.  Die  Kanzel  gehört  der  fpäten  Renaiffance  an;  in  ihrer  Nähe 
befindet  lieh  ein  Lutherbild  vom  Jahre  1657.  Diele  Kirche  ift  die  einzige 
des  Kreifes,  welche  keine  Glocke  hat. 

Brachstedt. 

Pfarrkirchdorf  und  Rittergut,  10,5  km  nordöftlich  von  Halle  gelegen. 
Aeltere  Schreibweifen  des  Namens  lind  Brackftete  und  Braxftete.  Ueber  die 
Gefchichte  des  Rittergutes,  welches  erft  im  16.  Jahrh.  durch  die  Familie  derer 
von  Belzig  aus  mehreren  kleinen  Sattelhöfen  entftanden  ift,  hat  von  Drey- 
haupt  II.  887  das  Bekannte  angegeben. 1 Es  erübrigt  hier  nur  anzuführen, 


1 Ebenda  find  auch  über  einige  alte  Gebräuche  fowie  über  vorgcfchichtliche  Male  An- 
gaben gemacht. 


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458 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


dafs  das  im  15.  Jahrhundert  ausgeftorbene  Gefchlecht  derer  von  Brachftedt. 
welches  in  Halle  fefshatt  geworden  war,  aus  diefem  Orte  Itammt. 

Die  im  Dorfe  gelegene  Kirche  S.  Michaelis  i(l  anfangs  romanifch  geweien. 
wie  fich  aufser  an  we  nigen  Reifen  von  Kunftformen  auch  an  der  Fugenaus- 
bildung der  unteren  Schichten  erkennen  läfst.  Als  romanifche  Kunftformen 
müflen  einige  Fenfterrefte  genannt  werden,  aus  deren  Höhenlage  klar  wird,  dafs. 
Schiff  in  gothifcher  Zeit  verlängert  und  öftlich  gerade  gefchloffen  wurde,  als  das 
zugleich  auch  eine  Erhöhung  ftattgefunden  haben  mufs.  Die  Höhe  des 
romanifchen  Baues  reichte  bis  etwa  zu  dem  Thurmgurtgefimfe.  Die  Gothik 
hatte  die  Wände  mit  langen,  fchmalen  Spitzbogenfenftern  verfehen.  welche 
aber  in  der  Barockzeit  ebenfalls  vermauert  find,  um  durch  folche  mit  weiten 


Fig-  J43- 


Capitäle  aus  den  Schalllöchern. 


Fenfterlichten  erfetzt  zu  werden.  Der  Thurm  ift  wegen  feiner  zwei  gleichen, 
viereckigen,  fchiefergedeckten  Helme  bemerkenswerth  als  die  einzige  der- 
artige Anlage  im  Kreife.  Man  darf  wohl  annehmen,  dafs  von  Dreyhaupt 
einen  folchen  Umflaml  erwähnt  haben  würde,  wenn  die  Helme  feiner  Zeit 
fchon  vorhanden  gewefen  wären;  ihre  Form  ift  demgeraäfs  wahrfcheinlich 
zoo  Jahre  noch  nicht  alt.  Die  Formen  der  Säulchen  in  den  Schalllöchem 
verdienen  Beachtung;  lie  gehören  noch  nicht  der  fpäten  romanifchen  Zeit 
an.  Wir  geben  in  Fig.  243  die  Abbildung  einer  Anzahl  von  ihnen,  aus  denen 


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BRACHSTKIJT.  BKACHWITZ. 


459 


diefe  Behauptung  lieh  rechtfertigen  mag.  Das  Kämpferfims  des  Bogens 
zwifc'nen  Schiff  und  Thurm  Hellt  Fig.  244  dar.  In  der  Nordwand  des  Schiffes 
hat  (ich  das  Sacramentshäuschen  Fig.  245  erhalten.  Eine  Thür  aus  Eifen- 
blech  und  Gitterwerk,  durch  drei  Eifenfchienen  gelichert,  fchliefst  den 
Schrein.  Sie  liegt  unter  einem  Spitzbogen  und  wird  feitlich  von  je  einer 


Fig.  245- 


Sacramentshäuschen. 


Fiale  eingefal'st.  Ein  conlolenförmiger  Unterfatz  trägt  das  Ganze  und  ein 
mehrgliedriges  Zinnengelims  dient  zur  Ueberdeckung.  Elin  ganz  unverziertes 
Taufbecken  der  Kirche  hat  die  Infchrift: 

anno  doroini  1573  hatt  elisabet  Ditzin  dis  Becken  in  das  Gottes- 
haus bescheiden. 


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DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


460 


Die  Glocke  von  1,22"  DurchmefTer  hat  eine  nicht  zu  entziffernde  Minuskel- 
infchrift,  nur  die  Jahreszahl  1499  iit  zu  erkennen;  als  Zierrath  ilt  eine  ge- 
flügelte Halbfigur,  die  ein  Buch  hält  (Engel  des  Matthäus)  angebracht. 
Die  Glocke  von  0,86“  DurchmefTer  trägt  ebenfalls  die  Jahreszahl  1499  und 
den  Namen  Rtrit.  Die  dritte  Glocke  von  1,31"  DurchmefTer  hat  167; 
Simon  Wildt  in  Halle  gegolTen. 

Brachwitz. 

Plarrkirchdorf  und  Königl  Domaine , 8 km  nordwefllich  von  Halle  am 
rechten  Saalufer  gelegen.  Urfprünglich  war  hier  ein  Rittergut,  welches 
mehrere  Jahrhunderte  im  Befitze  derer  von  Zimmern  gewefen  ift.  1467  wird 
ein  Hermann  von  Zimmern  vom  Erzbifchofe  Johannes  mit  dem  Gute  und  der 
Gerichtsbarkeit  über  das  Dorf  beliehen.  Als  1573  Valentin  von  Zimmern 
Harb,  wurde  das  Gut  in  den  Unter-  und  Oberhof  (letzterer  ift  der  Stammfitz 
des  Gefchlechts)  getheilt.  Nachdem  dann  beide  Höfe  in  verTchiedenen 
Händen  gewefen  waren  und  der  Unterhof  1603  fammt  dem  Dorfe  niederge- 
brannt war,  wurden  fie  wieder  und  zwar  zu  einem  landesfürftlichen  Amte 
vereinigt. 

Die  Kirche  liegt  etwas  hoch  im  Dorfe,  hat  örtlich  einen  drei- 
feitigen  Schlufs  und  welllich  einen  Thurm,  defTen  überwölbtes  Erdgefchofs 
mit  dem  Schiffe  zu  einem  Raume  vereinigt  worden  ift.  Das  Mauerwerk 
der  wahrfcheinlich  fpätgothifchen  Anlage  befteht  aus  Bruchfteinen  ohne 
Eckquaderung;  man  findet  fpätgothifche  Details  z.  ß.  Gewände  kleiner 
Fenfter  am  Thurm  und  am  Chor.  Spätere  Zeiten  haben  jedoch  viel  an  dem 
Baue  geändert.  Rechts  neben  dem  auf  der  Südfeite  gelegenen  Eingänge 
ift  der  Wand  ein  nicht  regelmäfsiger  vierfeitiger  Stein  eingefetzt,  der  eine 
in  vertiefter  Minuskelfchrift  ausgeführte  Angabe  über  den  Bau  enthält;  der 
Stein  ift  jedoch  To  ftark  verwittert,  dafs  es  nicht  gewifs  ift,  ob  die  Schrift 
alfo  heifst: 

anno  nü  t . (?)  . . i)at  stRlog  n . . . . aagrfan  . gti  10  bann  . 

Die  Altarplatte  hat  an  den  Ecken  und  in  der  Mitte  je  ein  Weihkreuz  aber 
kein  sepulchrum.  Unter  dem  Altar  aber  und  zwar  hinter  ihm  zugängig 
liegt  ein  tonnengewölbter  Raum,  der  alfo  eine  Krypta  vorftellen  würde, 
wenn  er  urfprünglich  wäre;  jetzt  dient  der  Raum  als  Keller  und  es  läfst 
fich  über  feine  Entftehungszeit  nichts  ausfindig  machen.  Der  Umftand  jedoch, 
dafs  der  mensa  das  Grab  fehlt,  ift  wohl  nicht  gleichgiltig  für  diefe  Frage. 
Ein  fpätgothifcher  Schrein  mit  Holzfiguren  fleht  fchon  feit  vielen  Jahren 
hinter  dem  Altäre  auf  dem  Fufsboden. 1 Die  Aufsenfeite  jedes  der  beiden 
Flügel  fchmückt  das  Bild  eines  nicht  mehr  zu  erkennenden  Heiligen. 
Im  Innern  find  die  F'lügel  in  zwei  über  einander  befindlichen  Abtheilungen 
mit  den  12  Apoftelfiguren  angefüllt,  von  denen  freilich  fchon  3 fehlen.  Der 
eigentliche  Schrein  hat  drei  neben  einander  gelegene  Abtheilungen; 
die  feitlichen  find  wiederum  in  der  Höhe  getheilt.  In  der  Mitte  fleht 
Maria  mit  dem  Kinde,  links  oben  die  h.  Barbara,  unter  ihr  Katharina (?), 

1 Befindet  Ach  jetzt  im  Provinzialmufeum. 


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BRACHWITZ.  BRASCH  WITZ.  46t 


rechts  oben  Margaretha  mit  dem  Drachen  zu  den  Füfsen  und  unten  Elifabeth 
mit  einem  Korbe.  Wie  bei  den  meiden  diefer  kleinen  Schnitzaltäre  and 
auch  hier  die  Figuren  verfchiedenwerthig,  im  Allgemeinen  jedoch  nicht 
fchlecht.  Die  Aliarplatte  iß  mit  einer  Decke  überlegt,  welche  im  hohen 
Grade  kunftge werbliches  InterefTe  bietet.  Sie  befteht  aus  einem  dunkel- 
farbigen Tuche  mit  vielen  in  gleich  weiten  Ablländen  autgenähten  runden 
Lederknöpten,  die  etwa  0,005"  >m  DurchmelTer  haben  und  goldig  glänzen. 
Durch  Aufnähen  von  andersfarbigem,  mit  Litze  umrändertem  Tuche  ift  ein 
Ranken-  und  Blumenornament  hervorgebracht.  Ich  erinnere  mich  nie  eine 
ähnliche  Arbeit  gefehen  zu  haben;  iie  ift  originell  und  jedenfalls  nicht  nur 
im  Saalkreife  die  einzige  ihrer  Art.  In  welche  Zeit  fie  gehört  ift  ungewifs, 
doch  glaube  ich  fie  dem  Ornamente  nach  in  den  Anfang  des  16.  Jahrh. 
fetzen  zu  müITen.  Auf  dem  Altäre  lieht  jetzt  ein  hölzerner  Crucifixus,  an 
dem  der  lange  Körper  Chrifti  auffällt;  die  Arbeit  ift  jedoch  gut,  aber  leider 
überlackirt.  An  der  Nordfeite  der  Kirche  befindet  (ich  das  Oelbild  eines 
Epitaphiums,  welches  für  mehrere  adelige  Familien  beftimmt  war,  deren 
Glieder  in  kniend  betender  Stellung  neben  einem  Crucifixe  portraitirt  find. 
Die  Malerei  ift  nicht  eben  werthvoll,  aber  die  Gelichter  find  forgfältig  und 
jedenfalls  ähnlich  gemalt.  Eine  TauffchülTel  von  Meiling  gehört  dem  Jahre 
ifc+9  an;  fie  hat  in  ihrer  Mitte  ein  aus  Granatäpfeln  beftehendes  Rofetten- 
ornament  und  um  dasfelbe  den  fich  wiederholenden  Stempel  in  gothifirenden 
Lapidarbuchftaben : 

GOT  68B  VI?S  DGI?  RRID  Äfllöl?, 
ein  Stempel,  der  nicht  häufig  gefunden  wird.  An  Kelchen  befitzt  die  Kirche 
einen  aus  fpätgothifcher  Zeit,  welcher  einen  verzierten  Stilus  und  an  den 
Zapfen  des  tief  omamentirten  Tiodus  das  Wort  I fl  E S V S hat.  Am  Fufse 
ili  ein  Crucifixus  mit  Maria  und  Johannes  als  Signaculum  aufgelöthet,  links 
daneben  lieht  in  Minuskeln:  faclrs (?)  rechts:  ftlllkmill!  ferftit  JJr«g»iB. 

Am  Fufse  lieht:  Der  Kirche  zu  Brachwitz.  1658.  Dahinter  die  ältere  Schrif 
in  Minuskeln: 

Ui  ‘itü  gbr  ~ i : silot. 

Aufserdem  hat  die  Kirche  zwei  barocke  Kelche  von  1688. 

Unter  den  Glocken  fcheint  die  mit  0,86 m DurchmelTer  die  ältelle  zu 
lein  und  zwar  wird  fie  dem  Ende  des  13.  Jahrhunderts  angehören,  man 
fieht  zwifchen  gedrehten  Bändern  am  Hälfe  Medaillons,  Kreuze  und  A cE 
Eine  zweite  Glocke  von  0,87"  DurchmelTer  hat  eine  lange  fchöne  Form 
und  diefe  Majuskelfchrift : 

sit  TempesTÄTvm  per  tue  geipvs  omi?£  iivgatvir  a <e 

Eine  dritte  (Schlag-)Glocke  ift  nicht  wohl  zu  erreichen ; fie  mifst  fchätzungs- 
weife  0,50"  im  DurchmelTer  und  ilt  von  Richter  gegolTen. 

Braschwitz. 

Kirchdorf,  Filial  von  Mötzlich,  6 km  nordöftlich  von  Halle  gelegen, 
hiefs  früher  auch  Praschwitz,  Brasswitz  und  Brassewitz.  Das  Dorf  zerfiel 


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462 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKRKIS. 


in  Grofs-  und  Klein-Braschwitz,  gerieth  1642  den  8.  Mai  durch  die  kaifer- 
lichen  Truppen  in  Brand  und  wurde  fammt  der  Kirche  eingeäfchert. 

Letztere,  zuvor  dem  h.  Nicolaus  geweiht,  liegt  im  Dorfe  und  ift  jetzt 
baulich  unbedeutend.  Sie  fchliefst  örtlich  gerade  und  hat  einen  unten  tonnen- 
überwölbten Thurm.  Die  fpitzbogigen  Backfteinfenfter  ftammen  aus  der  Barock- 
zeit, auch  ift  die  Mauerwerkstechnik  meift  barock.  Nichts  defto  weniger 
wird  die  erfte  Anlage  romanifch  oder  frühgothifch  gewefen  fein.  Kunft- 
formen  diefer  Zeiten  find  freilich  aufser  vielleicht  dem  zerbrochenen  Stein- 
kreuze auf  dem  Südgiebel  des  Thurmes  nicht  mehr  vorhanden.  Altar  und 
Kanzel,  jetzt  unbedeutend  find  ehemals  in  fchwungvollen  RenailTanceformen 
durchgeführt  gewefen.  Ein  kupfernes  Taufbecken  hat  in  feiner  Mitte  die 
Darftellung  Adams  und  Evas  mit  der  Schlange  am  verbotenen  Baume  und 
übrigens  kein  Ornament.  Der  Unterfatz  für  diefes  Becken  ift  barock,  aber 
nicht  fchlecht.  Im  Thurmerdgefchofs  liegt  ein  fchmiedeeifernes  Kreuz  von 
guter  Renaiffancearbeit  völlig  unbeachtet. 

Die  Glocke  von  0,65°  Durchmefter  ift  von  Joh.  Jak.  Hoffmann  in  Halle 
MDCLXXXVI  gegolfen.  Die  Glocke  von  M501  Durchmefter  hat  die 
Infchrift : 

Durchs  Feuer  bin  ich  geflossen,  Peter  Becker  in  Halle  hat 
auch  mich  gegossen  anno  170g. 

Büschdorf. 

Kirchdorf.  Filial  von  Reideburg,  3 km  örtlich  von  Halle  gelegen. 
Aeltere  Schreibweifen  des  Namens  find  Byssdorff,  Bifchofisdorff  und  Bux- 
dorff.  vielleicht  (f.  von  Dreyhaupt  II.  886)  nach  dem  Bufchwerke  feiner  Um- 
gebung benannt.  128g  ift  das  Dorf  dem  Moritzklofter  zu  Halle  von  dem 
Naumburger  Domcapitel  verkauft  worden,  doch  wahrfcheinlich  nur  theil- 
weife,  weil  Ratmar  von  Steine  in  Halle  von  dem  Erzbifchof  Günther  und 
Friedrich  das  Dorf  zu  Lehn  gehabt  hat.  1462  ift' dann  das  ganze  Dorf  von 
dem  Erzbifchof  FYiedrich  an  das  Moritzklofter  vertaufcht  worden  und  1505 
und  1506  ift  diefes  Befitzthum  noch  durch  den  Verkauf  von  Ländereien  und 
Rechten  feitens  Adliger  und  des  Erzbifchofs  vergröfsert.  Bis  zur  Re- 
formation hat  denn  auch  Büfchdorf  feinen  eigenen  Pfarrer,  einen  Conventual 
des  Moritzklofters,  gehabt.  Unter  dem  Regimente  des  Erzbifchofs  Albrecht 
kam  der  Ort  zum  Amte  Giebichenftein , 1551  aber  eine  Zeit  lang  an 
Hieronymus  von  Diesskau. 

Die  dem  h.  Nicolaus  geweihte  Kirche,  weftlich  am  Dorfe  gelegen . ift 
ein  kleiner  anfänglich  romanifcher  Bau  gewefen  mit  einem  fchmalen 
Thurme.  Bei  einem  fpäteren  (gothifche  Zeit?)  Umbau  mufs  der  drei- 
feitige  Schlufs  im  Orten  entftanden  fein;  1749  ift  das  Gebäude  aber- 
mals „ausgebauet  und  repariret“  und  der  Thurm  mit  einer  „zierlichen, 
welfchen  Haube  bedeckt  worden."  (von  Dreyhaupt  II.  887).  Das  merk- 
würdigfte  Stück  im  Innern  ift  das  Sacramentshäuschen , welches  noch 
romanifche  Formen  hat  und  das  ältefte  im  Kreife  ift.  Wir  fehen  aus  diefem 
Beifpiele,  dafs  bereits  vor  der  Mitte  des  14.  Jahrhunderts,  um  welche  Zeit 
die  Aufbewahrung  der  Euchariftie  in  einem  nördlich  (Brotfeite)  getrennt 


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lU'SCMUOKK. 


463 


vom  Altäre  gelegenen’Sacramentshäuschen  endgiltig  heflimmt  wird,  hier  ein 
folcher  Schrein  vorhanden  gewefen  ift.  Aus  unferer  Abbildung  Fig.  246  geht 


Fi*.  246- 


Romanifchcs  Sacramcntshäuschcn. 


hervor,  dafs  diefes  Häuschen  noch  recht  einfach  unten  von  einem  tragenden, 
oben  von  einem  bekrönenden  Simfe,  welche  beide  zumeift  aus  übereinander 


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464 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKRKIS. 


gekragten  zahnfchnittartig  unterbrochenen  Rundftäben  beftehen,  verziert  iß. 
Die  Thür  belleht  aus  einem  mit  Rofetten  auf  den  Kreuzpunkten  der  Stäbe 
verzierten  Eifengitter.  Wie  je  ein  Loch  im  Steine  über  und  unter  der  Thür 
darthut  — diefe  Löcher  rühren  von  eifernen  Krampen  her  — war  anfänglich 
der  Verfchlufs  auch  noch  durch  einen  fenkrechten,  alfo  mit  der  noch  vor- 
handenen Eifenfchiene  ein  Kreuz  bildenden  Stab  bewerkftelligt.  Trotz  feiner 
Einfachheit  macht  das  Aeufsere  diefes  Schreines  einen  getälligen  Eindruck. 
Sein  Platz  kann  übrigens  wohl  nicht  mehr  der  urfprüngliche  fein,  da  er  die 


FiR.247. 


tULimrl- 

tl 


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Taufftein. 


nördlich  Ile  dumpfe  Ecke  des  angebauten  Chores  bildet.  Der  ehemalige 
Flügelaltar  mit  gefchnitzten  Figuren  ift  nördlich  unter  dem  Thurme  an- 
gebracht. In  der  Mitte  ift  Maria  mit  dem  Kinde  befindlich  und  zu  den 
Seiten  find  je  vier  P'iguren  fo  geordnet,  dafs  in  je  zwei  Abtheilungen  immer 
eine  männliche  und  eine  weibliche  zufammenftehen.  Die  fpätgothifche  Arbeit 
ift  nicht  gerade  künlllerifch  bedeutend.  Der  Taufftein  diefer  Kirche  ift  in- 
fchriftlich  1520  gefertigt;  feine  Formen  find  noch  ohne  allen  Renaiflänce- 
einfiufs;  auf  vierfeitigemTufse  mit  ebenfolchem  Schafte  lieht  das  vielfeitige 
Getäfs,  wie  Fig.  247  darftellt. 

Die  Glocke  von  0,34 10  DurchmelTer  ift  ohne  Riemchen  und  Infchrift, 
fie  gehört  zu  den  ältellen  und  ift  wohl  im  12.  oder  Anfang  des  13.  Jahr- 


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CANENA.  CÖNNERN. 


465 


hunderts  gegofTen;  auch  die  von  0,50“  DurchmefTer  hat  keine  Infchritt  und 
i'cheint  mit  jener  gleichzeitig  zu  fein.  Die  dritte  Glocke  von  0,85"  Durch- 
melTer  hat  oben  die  Minuskelumfchrift : + Klfil  l)ilf  gut. 

Canena. 

Kirchdorf  und  Rittergut,  4 km  füdöftlich  von  Halle  gelegen.  Nach 
von  Dreyhaupt  II.  88g  ift  der  Ort  ehemals  „Chanena,  Chanein,  auch  Cunene, 
quasi  Cunonis  Aue  gefchrieben“  und  in  Grofs-  und  Klein -Canena  getheilt 
gewefen;  letzteres  hat  dann  den  Namen  „Wenigen  Canena“  geführt.  Schon 
1182  wird  der  Ort  genannt,  um  welche  Zeit  nämlich  Erzbifchof  Wichmann 
dem  Klolter  zum  Neuen  Werke  bei  Halle  einige  dort  gekaufte  Güter  in- 
corporirte.  Uebrigens  hat  das  Dorf  mit  den  Erbgerichten  dem  Moritzklofter 
zu  Halle  gehört,  welches  120/,  1286  und  1408  dort  Grundbefitz  erwarb.  Nach 
der  Reformation  ift  die  Gerichtsbarkeit  auf  das  Amt  Giebichenftein  Über- 
legungen, die  klöfterlichen  ßefitzungen  aber  find  theüweife  zu  dem  Ritter- 
gute gekommen,  welches  die  von  Weifsken,  fpäter  vonLuptitz,  feit  1522  die 
von  Diefskau  und  im  18.  Jahrhundert  der  Droft  Johann  Chriftoph  Herold 
befelfen  haben;  von  den  Erben  des  letzteren  ift  es  in  den  Befitz  des  halle- 
fchen  Waifenhaufes  gekommen. 

Die  dem  h.  Stephan  geweihte  Kirche  war  ehemals  ein  Filial  von 
Büfchdorf.  mit  welchem  Dorfe  Canena  bis  1560  auch  diefelben  Dorf-  und 
Feldgerichte  gehabt  haben  foll.  Seit  dem  18.  Jahrhundert  gehört  die 
Kirche  als  F’ilial  zu  Diefskau.  Das  bedeutungslofe  im  Dorfe  nördlich 
gelegene  Gebäude  wird  der  in  der  Kirchenfahne  befindlichen  Jahres- 
zahl nach  1793  erbaut  fein  an  Stelle  einer  kleinen  (romanifchen?)  Kirche. 
Bemerkenswerth  ift  ein  meffingenes  Taufbecken  mit  der  Darftellung  eines 
auf  dem  Pferde  fitzenden  Ritters,  des  h.  Georg,  welcher  den  Drachen 
tödtet.  Verzierte  Minuskelfchrift , Feftons  und  Engelsköpfe  umgeben  das 
Mittelbild  und  zeigen,  dafs  diefes  Becken  nicht  wohl  vor  dem  16.  Jahrhundert 
entftanden  ift.  Die  Glocke  von  0,70“  DurchmefTer  und  eine  zweite  von 
0,55  " DurchmefTer  find  von  C.  G.  G.  Becker  in  Halle  1843  umgegoflen. 

Cönnern. 

Stadt  von  4158  Einwohnern,  24  km  nordweftlich  von  Halle  gelegen, 
Station  der  Halle-Afcherslebener  Bahn.  Der  Ort  wird  1012  unter  dem  Namen 
Coniri  erwähnt,  fpäter  wird  er  Conre,  Konre,  Cönren,  Köndren  gefchrieben. 
1004  oder  1007  ift  der  Ort  vom  Kaifer  Heinrich  II.  dem  Erzftifte  Magdeburg 
gefchenkt  worden  und  hat  dann  zunächft  unter  Giebichenfteiner  Gerichts- 
barkeit geftanden.  Erzbifchof  Wichmann  foll  hier  einen  „Hof  ‘ erbaut  und 
einen  Hofmeifter  (villicum)  zu  defTen  Verwaltung  eingefetzt  haben;  auch 
fei  Wichmann  hier  geftorben  und  feine  Eingeweide  feien  hier  begraben 
worden,  wie  das  chronicon  montis  sereni  meldet.1  Als  die  Stadt  vom  Erz- 


1 von  Dreyhaupt  meint,  dafs  der  Autor  diefes  chronicon,  der  den  Ort  Conre  fchreibe, 
„ohnfehlbar"  einen  Schreibfehler  begangen  hätte. 

B.  D.  d.  Bau*  u.  Kunfid.  N.  F.  I.  30 


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466 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


bilchof  Otto  vorfetzt  worden  war,  wurde  fie  1361  durch  delTen  Nachfolger, 
den  Erzbifchof  Dietrich,  wieder  oingelöft  und  von  ihm  der  nahe  ge- 
legenen Burg  Alsleben  (jenfeits  der  Saale  im  Mansfelder  Seekreife)  unter- 
Hellt.  Mit  letzterer  wiederum  verpfändet  wurde  fie  jedoch  als  nun  1470 
Alsleben  erblich  an  die  von  Krofigk  kam,  1455  und  1479  durch  die  Erzbifchöfe 
Friedrich  und  Ernß  ausgenommen;  fo  gelangte  fie  wieder  unter  Giebichen- 
fteiner  Herrfchaft.  Zu  bemerken  wäre  noch,  dafs  im  15.  Jahrhundert  zu 
Halle  auch  ein  Pfännergefchlecht  von  Conre  ausftarb.  1247  kommt  von 
diefer  Familie  ein  Memzo  de  Conre  vor,  1271  ein  Theodoricus  de  Conre. 
1305  wird  als  der  Erbauer  einer  Kapelle  vor  dem  Bernburger  Thore  zu 
, Cönnern  ein  Gebhard  von  Conre  genannt.  1390  find  Cune  und  fein  Bruder 
Betheken  von  Conre  hallefche  Bürger. 

Die  Stadt  liegt  aut  einem  von  Süden  nach  Norden  abfallenden 
Terrain  und  ift  im  Mittelalter  mauerumgeben  gewefen;  es  hat  lieh  jedoch 
von  diefer  Beteiligung  fowie  von  ihren  vier  Thoren  nur  ein  Thurm  mit 
einem  Mauerftücke  an  der  Nordfeite  der  Stadt  erhalten.  Der  Gefängnifs- 
thurm  „Sieh  dich  für*  mit  Namen,  der  neben  dem  Marktthore  lag.  170; 
neu  ausgebaut  worden  ift  und  damals  eine  welfche  Haube  erhalten  hat. 
ift  nicht  mehr  vorhanden.  Die  Stadt  hat  auffällig  viele  grofse  Brand.- 
erlebt;  im  Jahr  1473  ift  fie  halb  abgebrannt,  1536  brannten  90  Wohn- 
häufer  ab,  am  17.  April  1569  gingen  125  Häufer  durch  F'euer  zugrund.- 
fodafs  nur  die  Kirche  und  20  Häufer  erhalten  blieben.  1597  wurden 
43?Häufer,  Scheunen  und  Ställe  eingeäfchert  und  1666  zu  Neujahr  gingen 
70  Häufer,  63  Scheunen  und  aufserdem  Ställe,  Nebengebäude  u.  f.  w.  in 
Flammen  auf.  1669  endlich  gingen  auch  die  aus  dem  letzten  Brande  noch 
übrig  gebliebenen  Häufer  und  dazu  noch  13  inzwifchen  neu  erbaute,  im 
Ganzen  60  Häufer  und  50  Scheunen  nebft  Ställen  u.  f.  w.  im  F'euer  zu- 
grunde. Was  Cönnern  im  dreifsigjährigen  Kriege  zu  leiden  gehabt  hat. 
geht  aus  f olgender  Bemerkung  von  Dreyhaupts  hervor : „In  Summa,  Cönnern 
ift  im  30jährigen  Kriege  dergeftalt  mitgenommen  und  verwüftet  worden, 
dafs  das  Grafs  auf  dem  Markte  und  GalTen  gewachfen,  und  Bufchwerk  in 
den  wüften  Höfen  und  Häufern  aufgefchofTen,  fo  dafs  aus  I-'urcht  vor 
Räubern  und  Wölffen  fich  niemand  ficher  durch  die  offene  Stadt  zu  gehen 
getrauet."  Diefe  Erlebniffe  der  Stadt  im  Verein  mit  grofsen  Epidemien, 
von  denen  auch  Cönnern  'nicht  verfchont  geblieben  ift,  erklären  den  Wechfel 
der  Zahl  der  Einwohner  und  Häufer  hinlänglich:  im  t6.  Jahrhundert  hatte 
die  Stadt  217  Häufer,  1623  nur  154  mit  190  Einwohuern.  Nach  dem  dreifsig- 
jährigen Kriege  find  wohl  180  Feuerftellen  vorhanden  gewefen,  aber  von 
ditffen  find  nur  50  bewohnt  worden  und  nur  36  Hausbefitzer  hat  es  damals 
gezählt;  nicht  einmal  4 Thlr.  Steuern  hat  die  Stadt  erlegen  können.  Cm  die 
Mitte  des  18.  Jahrhunderts  haben  fich  180  Häufer  innerhalb  der  Ringmauern 
befunden.  Unter  den  1 läufercomplexen,  welche  fich  im  Laufe  der  Zeit  als  Vor- 
ftadt  angebaut  haben,  ift  die  „Freiheit“  bereits  im  16.  Jahrhundert  entftanden. 
und  zwar  dadurch,  dafs  fich  die  Bergleute  hier  anbauten,  die  in  einem  jener  Zeit 
angelegten  Bergwerke  befchäftigt  waren.  Es  werden  auch  Juden  als  Ein- 
wohner Cönnerns  genannt,  ob  fie  aber  vor  der  Stadt  in  einem  gefondert.-n 


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CÖNNERN. 


467 


Quartiere  gewohnt  haben,  ift  nicht  bekannt;  unter  der  Regierung  des  Erz- 
bifchofs  Ern  fl  haben  fie  auch  hier  wie  überall  im  Erzftifte  fortziehen  müfTen. 
In  der  Stadt  hat  der  vom  Erzbifchof  Wichmann  angelegte  Hof(?)als  Dom- 
herrenhof  bis  zur  Reformation  exiftirt.  Es  wird  auch  ein  von  Dillnow’fches 
Rittergut  erwähnt,  deffen  Thurm  1436  an  die  Stadtkirche  übergegangen 
ift,  während  das  Gut  felber  bald  darauf  an  die  Stadt  kam.  Aus  den  Gutsge- 
bäuden find  ßürgerhäufer  gemacht  und  der  Platz  ift  feitdem  der  „Herren- 
berg“ benamft  worden.  Ueber  die  älteren  Gebäude  wäre  zu  bemerken,  dafs 
die  fchon  genannte,  1305  erbaute  Kapelle  in  Folge  der  Reformation  einging; 
das  Gebäude  diente  als  Wohnung  und  fpäter  als  Schmiede. 

Das  einzige  erhaltene  alte  Gebäude  von  baulichem  InterefTe  ift  die 
dem  h.  Wenzel  geweihte  Kirche.  Sie  war  in  den  älteften  Zeiten  das  Archi- 
diaconat  eines  der  Magdeburger  Domherren,  welcher  Archidiaconus  Banni 
Conre  jedoch  nicht  in  Perfon  allhier  plebanus  war,  fondern  immer  einen 
Viceplebanus  der  Stadt  zur  Annahme  vorfchlug.  Im  Jahre  1293  wird 
Wipertus  Canonicus  Magdeburgensis  als  plebanus  genannt. 

Die  Kirche  liegt  ziemlich  hoch  im  Süden  der  Stadt;  fie  ift  ein  Bau- 
werk, ■deffen  Theile  aus  verfchiedenen  Zeiten  flammen,  wie  fchon  aus 
Fig.  248  der  äufseren  Anficht  von  Süden  her  erkannt  wird.  Der  Thurm 
bis  faß  zum  Dache  ift  romanifch,  in  der  Glockenftube  fieht  man  noch 
durch  eine  Säule  zweigetheilte  Schalllöcher.  Der  Helm  ift  barock  und 
wohl  in  Folge  der  Schenkungen  entftanden,  welche  Peter  Hohmann,  der 
Sohn  eines  armen  Cönner'fchen  Handwerkers,  als  Kaufmann  zu  Leipzig 
reich  geworden,  feiner  Vaterftadt  und  namentlich  der  Schule  und  Kirche 
machte.  Diefer  Thurmhelm  von  niedriger  Form  und  von  einer  durch  zwei 
übereinander  gefetzte  volutenartige  Profillinien  merkwürdig  lebhaft  ge- 
wordener Silhouette  giebt  dem  plumpen  Thurme  eine  noch  plumpere  Be- 
deckung und  ift  für  das  Weichbild  der  Stadt  fehr  charakteriftifch.  Das 
Langhaus  ift  eine  zweifchiffige  Hallenanlage  aus  den  letzten  Jahren  des 
15.  Jahrhunderts.  Es  fehlt  das  füdliche  Seitenfchiff ; das  Mittelfchiff  und 
das  nördliche  Nebenfchiff  find  durch  eine  Reihe  von  fchlichten,  achtfeitigen, 
unter  fich  verbundenen  Pfeilern  getrennt.  Das  Schiff  hat  jetzt  nur  eine 
gerade  Balkendecke,  ift  aber  wohl  rückfichtlich  feiner  5 Strebepfeiler  auf 
jeder  Seite  für  vier  Gewölbejoche  beftimmt  gewefen.  Der  Aufrifs  gliedert 
fich-zunächfl  durch  ein  Kaffgefims,  deffen  Höhe  wechfelt;  über  ihm  wird 
die  Wand  von  fpitzbogigen,  mit  fpätgothifchem  Maafswerk  über  zwei  Pforten 
gefüllten  Fenftern  durchbrochen;  die  Strebepfeiler  find  einhüftig  und  fchliefsen 
oben  mittelst  eines  Giebelchens  nach  vorn.  Diefe  einfache  Architektur 
würde  immerhin  einen  befriedigenden  Eindruck  machen,  wenn  das  Schiff 
örtlich  den  projectirten  Schlufs,  vermutlich  eine  fünffeitige  Apfide  bekommen 
hätte.  Dafür  aber  ift  im  16.  Jahrhundert  ein  Raum  an  das  Hauptfchiff  an- 
gebaut, der  gänzlich  ohne  Kunftformen  ift  und  an  den  fich  örtlich  noch  eine 
fünffeitige  Apfide  fchliefst.  In  dem  Anbaue  liegt  nördlich  die  Sacriftei, 
nämlich  örtlich  vor  dem  Nebenfchiffe,  füdlich  aber  tritt  der  Anbau  hinter  die 
Mauer  des  Schiffes  zurück  (f.  Fig.  248).  Im  weftlichften  Joche  liegen  fich 
zwei  Eingänge  gegenüber;  der  auf  der  Nordfeite  ift  durch  eine  offene,  mit 

30* 


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einem  Rippengewölbe  überdeckte,  nicht  tiefe  Vorhalle  ausgezeichnet,  in 
welcher  eine  Minuskelfchrift  von  1491  befagt,  dafs  die  Kirche  dem 
h.  Wenzel  geweiht  ift.  Das  Profil  der  Rippen  zeigt  Fig.  249.  Aufser- 
dem  lieft  man  die  Jahreszahl  1O93  dort;  diefelbe  hat  jedenfalls  au* 


DIE  STADT  HALLE  u.  d-  SAALKREIS. 


die  bauliche  Veränderung  der  Barockzeit  (Thurm)  Bezug.  In  welcher 
Weife  der  Kirchenbau,  der  hier  der  Regel  entgegen  von  Wellen  -nach 
Often  fortgefchritten  zu  fein  fcheint,  weiter  geführt  worden  ift,  ergrebt 


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CÖNNKKN. 


4üg 


die  Jahreszahl  1498,  welche  wir  am  Schlufsfteine  der  zweiten,  mehr  örtlich 
gelegenen  Thür  diefer  Nordfeite  lefen.  Fig.  250  zeigt  ihre  Form.  Schliefs- 
lich  ift  noch  die  Jahreszahl  1510  zu  nennen,  welche  am  Schlufsfteine  des 
/wi fchen  dem  Schiffe  und  fpäteren  Anbaue  gelegenen  Bogens  im  Kirchen- 
inneren fleht. 

In  der  Kirche  verdienen  nur  die  felbftändigen  Kunftwerke 
Beachtung,  unter  denen  das  ältefte  der  broncene  TaufkefTel  fein  mag. 
Fig.  251.  Sein  Gefäfs  wird  von  drei  männlichen  Figuren,  welche  die  Beine 


Fig.  250. 


bilden,  getragen;  es  find  zwei  gleichförmige  mit  einem  Lamme  und  eine  mit 
einem  Buche.  Diefe  Figuren  find  aber  nicht  frei  gearbeitet  wie  unter  den 
Taufkeffeln  zu  St.  Ulrich  und  Marien  in  Halle,1  fondern  vor  einer  Rückwand 
hoch  reliefirt.  Jede  fleht  ihrerfeits  noch  einmal  auf  einem  Fufse,  welcher 
den  Kopf  und  die  Vorderfüfse  eines  Bären  darftellt,  und  hat  über  fich  eine 
confolenartige  Bildung  zur  Aufnahme  des  Keffels.  Der  flachgebogene 
Boden  diefes  KefTels  fleht  noch  einmal  auf  einer  Harken  runden  Stütze  mit 
architektonifcher  Gliederung  durch  einen  breiten  Fufs,  einige  Capitälglieder 
und  durch  ein  Rundftabband  um  die  Mitte  des  Schaftes.  Den  Keffel  felbft 
umgiebt  unten  ein  Band  von  fpätgothifchen  flachen  Blättern,  beiderfeits  von 
Rundfläbchen  begleitet,  die  auch  den  etwas  vortretenden  oberen  Rand  um- 
ziehen. Den  breiten  Raum  zwifchen  diefen  oberen  und  unteren  Bändern  füllt 


1 Vergl.  II.  Lief.  S.  67  ff.  u.  Fig.  40  und  IV.  Lief.,  S.  187  ff. 


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47« 


I>1K  Sl'ADT  HALLE  u.  d.  SAALKKEIS. 


eine  Arkade  von  Ffelsrückenbögen  zwifchen  Fialen  aus.  In  jedem  Bogen- 
felde  lieht  eine  in  der  Vorderanficht  reliefirte  Figur,  nämlich  der  Titelheilijjt 
Wenzel  als  Ritter  mit  Krone,  Schwert  oder  Scepter  (?)  und  Schild  im  Mantri 
dargellellt,  drei  Heilige  je  mit  einem  Buche,  die  Kreuzigung  mit  Maria  und 
Johannes  neben  dem  Kreuze,  ein  Heiliger  mit  einem  Schwerte  und  Buch« 
ein  Heiliger  mit  einem  Buche  und  endlich  die  h.  Katharina  mit  dem  zer- 
brochenen Rade  und  dem  Schwerte.  Die  Ausführung  diefer  Figürchen  ift 
fkizzenhaft  aber  gut,  doch  nicht  bei  allen;  fo  ift  z.  B.  die  der  h.  Katharina 
nicht  zu  loben,  die  ihres  nachbarlichen  Heiligen  hingegen  fehr  wohl.  Es 


Fig.  J51. 


Taufkeffel. 


ift  hier  diefelbe  Technik  wie  bei  den  Kefleln  der  angeführten  hallefchen 
Kirchen  befolgt:  die  Figuren,  die  fie  umrahmende  Arkade  und  die  Füfse 
find  für  fich  hergeftellt  und  dann  an  den  Keftel  angefetzt.  Uebrigens  lieht 
die  Arbeit  mit  der  jener  hallefchen  Keftel  nicht  auf  gleicher  Höhe;  fie  ift 
auch  um  wenigftens  ein  halbes  Jahrhundert  jünger.  Die  jetzige  Bemalung 
und  Vergoldung  ift  nicht  mehr  die  urfprüngliche. 

Der  Altarauffatz  ift  ein  Triptychon  mit  dreiviertellebensgrofsen  Figuren  in 
farbiger  Holzfchnitzerei.  Im  linken  Flügel  lieht  die  h.  Katharina  (?)  mit  dem 
Schwerte  und  die  h.  Margaretha,  die  ari  einem  Drachen  zu  ihren  Füfsen  zu 


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CÖNNEKN.  47 1 

erkennen  ift.  Im  Schreine  folgt  der  h.  Bifchof  Wolfgang  mit  einem  Kirchen- 
modelle  und  einem  Beile,  dann  als  die  Mittelfigur  der  h.  Norbert  als  Bifchof  dar- 
geftellt,  der  einen  Kelch  hält  und  zu  delTen  Füfsen  man  einen  ausgetriebenen 
Teufel  fieht,  und  der  h.  Erasmus,  welcher  als  Bifchof  mit  der  Winde  dargeftellt 
iß.  Im  rechten  Flügel  lieht  ein  Heiliger  in  Diaconentracht  mit  einem  Buche 
und  ein  zweiter  Diacon,  dem  jetzt  das  Attribut  fehlt.  In  der  Predella  be- 
finden lieh  die  Halbfiguren  (von  links):  ein  nur  mit  einem  Mantel  bekleideter 
Heiliger  (Sebaftian  ?),  die  gekrönte  Maria  mit  dem  Kinde,  welches  die  goldene 
Weltkugel  hält,  und  ein  h.  Ritter,  der  einen  Schafs-  oder  Schweinskopf  hält 
(Hubertus?).  Als  Umrahmung  diefer  Statuen  dient  fpätgothifches  Blätterwerk, 
der  Hintergrund  ift  befternt.  AuffafTung  und  Darftellung  diefer  Figuren  ift 
vortrefflich,  namentlich  auch  der  Gefichtsausdruck  lehr  charakteriftifch.  Von 
gleichem  Kunftwerthe  ift  die  Rückfeite  der  Flügel,  welche  mit  Temperabildern 
bemalt  find:  der  linke  (vom  Befchauer)  Flügel  wird  leider  noch  von  werthlofen 
barocken  Leinwandgemälden  verdeckt,  die  auch  auf  dem  rechten  fich  be- 
funden haben,  hier  aber  fo  weit  abgerifTen  find,  dafs  man  die  mit  den  ein- 
fachften  Mitteln  herrlich  dargeftellte  Bifchofsfigur  des  h.  Albanus  erkennt, 
welcher  fein  abgefchlagenes  Haupt  hält.  Die  Sicherheit  der  Pinfelführung 
der  grofsartige  Stil  und  die  Vorzüglichkeit  des  Gefichtsausdruckes  machen 
das  Bild  werth voll.  Ob,  wie  man  gemeint  hat,  der  Verfertiger  des  Altares 
Michael  Wohlgemuth  ift,  mag  dahingeftellt  fein:  der  Schnitzer  und  Maler 
fcheint  hier  die  nämliche  Perfon  zu  fein;  jedenfalls  war  der  Verfertiger  einer 
der  begabteften  Künftler.  Der  Schrein  dürfte  ehemals  eine  holzgefchnitzte 
Bekrönung  gehabt  haben;  von  ihr  Rheinen  die  vier  Engelsfigürchen,  welche 
jetzt  auf  dem  Kirchenboden  liegen,  übrig  geblieben  zu  fein.  Die  beiden 
gröfseren  haben  fcheinbar  muficirt,  die  beiden  kleineren  knien  unter 
einer  baldachinartigen  Verzierung.  Erwähnt  werde  hier  zugleich  der 
mit  diefen  Figuren  auf  dem  Boden  liegende  lebensgrofse  Crucifixus, 
welcher  der  Renaifiance,  vielleicht  dem  17.  Jahrhundert,  angehört.  Ein 
hölzerner  kleiner  Crucifixus  von  fehr  realiftifcher  Auffaffung  befindet 
fich  in  der  Sacriftei ; er  thut  die  Kenntnifs  des  Künftlers  bezüglich  der  Mus- 
kulatur kund.  Erwähnt  möge  auch  das  ein  Pelicanneft  tragende  Engels- 
figürchen an  der  Kanzel  werden;  es  iß  gut  gearbeitet  und  gehört  dem 
17.  Jahrhundert  an.  Als  letzte  Sculptur  fei  der  handwerklich  gemachte 
Grabftein  von  1572  genannt,  der  an  der  Südfeite  der  Wand  eingefugt 
ift  und  eine  lebensgrofse  F'igur  darflellt. 

Die  werthvollften  Stücke  diefer  Kirche  dürften  die  beiden  Bruftbilder 
im  Chor  fiidlich  fein , die  Luther  und  Melanchthon  darftellen  und  von 
Lukas  Cranach  dem  Jüngeren  1562  auf  Holz  gemalt  find.  Sie  find  beide  durch 
einen  fchlichten  Rahmen  vereinigt.  Dafs  fie  unzweifelhaft  von  jenem  Meifter 
herrühren,  ift  weniger  aus  dem  mit  der  Jahreszahl  angebrachten  Drachen 
mit  einem  Ringe  im  Maule  Fig.  252,  dem  Zeichen  diefes  Meifters,  ficher 
zu  fchliefsen  als  vielmehr  aus  der  Vortrefflichkeit  der  Malerei.  Aller- 
dings find  die  Farben  verblichen  — der  Hintergrund  ift  licht  neutral, 
Luther  ift  mit  einem  dunkeln  Chorrocke  bekleidet,  Melanchthon  trägt 
einen  Pelzkragen , unter  dem  man  einen  rothen  Rock  fieht  — aber 


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Mi 


DIE  STADT  HALLE  u.  J.  SAALKKK1S. 


die  mcifterliche  Zeichnung  und  fichere  Pinfelführung  läfst  fich  doch  noch 
an  jedem  Striche,  befonders  an  den  Pelz-  und  Barthaaren,  fehen.  Auch  die 
leichte  Farbengebung  der  Fleifchtheile,  die  beiden  Cranachs  eigen  iß,  findet 
fich  hier. 

Die  Glocke  von  0,47  ■ Durchmefler  ift  von  intereflanter  Form  und  ohne 
Infchrift.  Sie  gehört  wohl  in  das  13.  Jahrhundert.  Die  Glocke  von  !,;$• 
Durchmefler  hat  oben  diefe  in  den  Mantel  eingeritzte  Majuskelfchrift: 

+ 0 R0Ä  GLORI0  V0I?I  fl  P 

Für  X in  REX  ift  ein  A gefetzt  mit  einem  Kreuz  darin.  Als  Zierrath 
ift  ein  hochreliefirter  Crucifixus  angebracht.  Es  ift  freilich  nur  die  bekleidete 
Figur  Chrifti,  delfen  Füfse  auf  einem  suppedaneum  liehen;  das  Kreut 
fehlt.  Ein  Wachsmodell  ift  hierzu  fchwerlich  angewandt  worden.  Die 


Fig.  252. 

y 9 c z 


Zeichen  Lucas  Cranach’s  d.  J. 
auf  einem  Bilde  Meianchthons. 


Fig.  249. 


Entflehungszeit  dürfte  die  erfte  Hälfte  des  14.  Jahrhunderts  fein.  Die  Glocke 
von  i.io“  Durchmefler  hat  den  Spruch: 

LOBET  DEN  HERRN  MIT  HELLEN  CYMBELN  ALLES  WAS 
ODEN  HAT  und  ferner  lieht  auf  ihr  ECKHART  KVECHGER  VON 
ERFFORT  GOSS  MICH  MDLXXXVI  • 

Die  Glocke  von  1,63“  Durchmefler  hat  oben  eine  Infchrift,  in  welcher 
gefagt  wird,  dafs  fie  zum  vierten  male  umgegoflen  fei  unter  Hinzufüguntr 
der  Namen  des  Paftors  u.  f.  w.  Aufser  pflanzlichen  Zierrathen  ift  auf  ihr 
einerfeits  eine  fehr  gut  reliefirte  Kreuzigung  angebracht : Maria  und  Johanne:- 
liehen  zu  den  Seiten,  die  Figur  der  Maria  Magdalena  und  einen  Schädel 
fieht  man  am  Kreuzesftamme;  über  dem  Kreuze  find  auch  der  Mond  und 
die  Sonne  und  Engelchen  zu  fehen.  Aut  der  anderen  Seite  der  Glocke  lieht 


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CÖNNERN.  (DACHRITZ  mit)  MERKE  WITZ.  DALKKA.  473 


N.  Wenzeslaus,  der  Titelheilige;  er  ift  als  geharnifchter  Ritter  mit  Fahne 
und  Schild  dargeftellt.  Darunter  lieft  man: 

DO  MAN  SCHRIEB  1614  IAR  NACH  CHRISTI  GEBVRT  14  DIE 
IARZAHL  WAR  MICH  IACOB  KÖNIG  GEGOSSEN  HAT  ZV 
EHRFVRT  IN  DER  FRIEDLICHEN  STAT,  ZV  CHRISTLICHER 
PREDIG  VND  FROMMER  LEVT  BEGREBNVS  ICH  IEDERMAN 
DEVT  M - DC-  XIV- 

Der  Gufs  und  die  Form  diefer  Glocken  find  zu  loben. 

(Dachritz  mit)  Merkewitz. 

Zwei  zufammengehörige  Dörfer  an  der  Götfche,  9 km  nördlich  von 
Halle  gelegen;  in  letzterem  liegt  die  Kirche,  welche  ein  F'ilial  der  auf  dem 
Petersberge  ift,  weltlich  vom  Dorfe.  Sie  ift  eine  Anlage  der  Uebergangs- 
zeit  und  hat  einen  dreiseitigen  Schlufs  in  Often.  Die  Schallöcher  find  flach- 
bogig  überwölbt,  nach  aufsen  aber  durch  eine  Säule  mit  Spitzbögen  aus- 
gebildet. Die  Capitäle  haben  eine  Kelchform  als  Kern,  um  welchen  fich 
romanifche  Ranken  legen;  auf  die  Entwicklung  zu  der  gothifchen  Capitäl- 
form  deutet  noch  nichts  hin.  Der  Eingang  liegt  im  Thurm  auf  derWeftfeite 
(ob  immer  fchon  ?)  Man  tritt  zunächft  in  das  mit  einem  alten  Tonnengewölbe 
überdeckte  Thurmerdgefchofs.  Im  Schiff  bemerkt  man  nördlich  am  Chor 
ein  Sacramentshäuschen.  Der  Taufftein  gehört  der  Rcnaiffance  an  Die 
Glocke  mit  dem  Durchmeffer  von  0,84“  ift  von  merkwürdiger  Form,  der 
Uebergang  vom  Hälfe  zur  Haube  ift  fehr  weich,  unten  verbreitert  fich  der 
Kranz  bedeutend;  als  Schmuck  dienen  mehre  Reifen  um  den  Hals,  eine 
Infchrift  fehlt.  Ob  die  Entstehungszeit  das  13.  Jahrhundert  ift,  kann  nicht 
beftimmt  angegeben  werden.  Ueber  die  Glocke  von  o,64m  Durchmeffer 
heifst  es  in  ihrer  Auffchrift:  1708  goss  mich  Peter  Becker  in  Halle. 

Dalena. 

Kirchdorf,  F'ilial  von  Domnitz,  19  km  nördlich  von  Halle  gelegen.  In 
den  alterten  Zeiten  lag  hier  eine  Burg  der  Graffchaft  Wettin,  deren  Refte 
bis  in  das  18.  Jahrhundert  noch  vorhanden  gewefen  find.1  Die  Kirche,  in- 
mitten des  Dorfes  hoch  gelegen,  ift  der  h.  Marie  geweiht  gewefen  und  ur- 
fprünglich  ein  romanischer  Bau.  Sie  ift  verfchiedentlich,  zuletzt  1876  derart 
renovirt,  dafs  das  Bauwerk  jetzt  bedeutungslos  ift.  Ein  vergoldeter  Kelch 
der  Kirche  hat  einen  fechsblättrigen  Fufs  und  einen  runden  Schaft,  an  dem 
über  dem  Knaufe  in  Minuskeln  Biarifl  unter  demfelben  fj ilf  fteht;  an  den 
Zapfen  des  fehr  platten  Nodus  lieft  man  Jl|tfj|$;  die  Cuppa  ift  geradlinig 
im  Profil  und  fchlicht  rund.  Das  16.  Jahrhundert  mufs  als  Entftehungszeit 
angenommen  werden. 


1 von  Dreyhaupt  II,  402  § 3 meint,  dafs  (liefe  Burg  wahrfcheinlich  die  Riddagesburg 
Kitthakenburgk)  fei. 


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474  WB  STAIJT  HALLE  H.  <1.  SAALKKI'.tS. 


Die  Glocke  von  0,56“  DurchmelTfr  hat  eine  längliche  Form  mit  ge- 
wundenen Bändern  oben,  ift  aber  ohne  Infchrift;  Sie  dürfte  vielleicht  noch 
dem  13.  Jahrhnndert  angehören.  Die  Glocke  von  9,87“  DurchmelTer  ha: 
als  Infchrift  einige  hier  bedeutungslofe  Namen  und  folgenden  Vers: 

Quemque  vocat  aonitu:  Verbo  deus  advocat  omnes  — 

Non  veniunt  cuncti  quae  causa  est?  propria  culpa. 

Sie  ift  MDCCXI  gegolten.  Die  Glocke  von  0,7b“  DurchmelTer  ift  18,37  (Toll 
heifsen  1867)  von  C.  A.  Jauck,  Glockengiefser  in  Leipzig  gemacht. 

Dammendorf, 

zu  dem  das  dabei  gelegene  Dorf  Gödewitz  gehört,  ift  ein  Ptarrkirch- 
dorf  und  Rittergut,  14,5  km.  nordöftlich  von  Halle  gelegen.  Das  Rättergut 


Fig.  250. 


Taufstein. 


entftand  dadurch,  dafs  1450  Otto  von  Dieskau  einen  freien  Sattelhof  an  lieh 
brachte,  der  von  feinen  Söhnen  an  Chriftoph  von  Scheidingen  kam  und  von 
deffen  Söhnen  mit  dem  Sattelhofe  derer  von  Götewitz  vereinigt  wurde.  Die 
nachfolgenden  Befitzer  lind  bei  von  Dreyhaupt  II  8g  1 angegeben.  Die 


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L)  ALLNA.  DAMMINOOKK.  DKUTLK1IKN.  1)1  KM  HZ. 


475 


Kirche  liegt  im  Dorfe;  fie  ift  ehemals  eine  filia  vaga  zeitvveife  zu  Spicken- 
dorf,  zeitweife  zu  Schwertz  gewefen,  1677  aber  Pfarrkirche  geworden.  1680 
ist  da.s  Gebäude  renovirt  und  mit  einem  Dache  verfehen  worden;  auch  ein 
neuer  Altar  ift  hineingefetzt.  Ein  neuer  Thurm  hat  1743  fchon  wieder  wegen 
liaufalligkeit  abgebrochen  werden  mülfen,  1745  ift  dann  der  jetzige  fertig 
gewefen.  Das  Gebäude,  örtlich  gerade  gefchlofTen,  ift  bedeutungslos.  Den 
Taufftein  ftellt  Fig.  250  dar.  Er  ift  fpätmittelalterlich  ausgebildet  und  aus 
unbekannten  Gründen  gleichlam  auf  den  Kopf  geftellt.  Der  ehemalige  Fufs 
hat  eine  Vertiefung  erhalten,  in  die  das  Becken  geftellt  wird,  während  das 
alte  Iiehältnifs  als  Fufs  dient.  Der  Altar  ift  zwar  weifs  angeftrichen,  aber 
feine  barocken,  etwas  rohen  P'ormen,  die  Geh  gut  auf  bauen  und  eine  gute 
Silhouette  geben,  find  wohl  erhalten.  Auch  Refte  eines  fpätgothifchen 
Sacramentshäuschen  Geht  man  nördlich.  An  der  Kanzel  fällt  eine  Sanduhr 
auf,  welche  ein  beachtenswerthes  fchmiedeifemes  Geftell  hat. 

Die  Glocke  von  0,50“  Durchmeffer  hat  nur  unten  einen  ftarken  Reif, 
aber  weder  andere  Zierrathe  noch  eine  Inschrift;  ihre  Form  ift  länglich; 
fie  ift  wohl  in  das  13.  Jahrhundert  zu  fetzen.  Die  Glocke  von  0,95“  Durch- 
messer hat  die  Minuskelumfchrift: 

hilf  got  am«  il  "1^50  ra  'tacr  «1»  • 

Deutleben. 

Kirchdorf,  Filial  von  Neutz  14.5  km  nordweftlich  von  Halle.  Aeltere 
Formen  des  Namens  find;  1079  Deidenlibe,  Deidenleibe.  Dudeleben,  Deute- 
leben. Die  Kirche,  urfprünglich  eine  Prälatur,  wurde  nach  der  Reformation 
von  dem  Magdeburger  Domkapital  zum  Filial  der  Wettiner  Kirche  gemacht, 
bei  welcher  auch  die  Gerichtsbarkeit  über  das  Dorf  ftand.  Die  Kirche, 
ziemlich  frei  nördlich  vor  dem  Dorfe  liegend,  ift  ganz  neu  in  rotnanifirenden 
Formen  erbaut. 

Die  Glocke  von  0,50 m Durchmeffer  hat  eine  längliche  Form  und  ift 
infchriftslos;  ihr  Alter  geht  wahr fcheinlich  in  die  romanifche  Epoche  zurück. 
Ueber  fie  geht  im  Volke  die  Sage,  die  ja  auch  an  andern  Orten  gefunden 
wird,  dafs  eine  Sau  fie  aus  der  Erde  hervorgewühlt  habe  (Saufang).  Die 
Glocke  von  o,8om  Durchmeffer  hat  keine  Infchrift,  ift  aber  am  Hälfe  mit 
Medaillons,  in  denen  die  Symbole  der  Evangelisten  und  Crucifixe  flehen, 
geziert;  fie  gehört  fpäteftens  in  den  Anfang  des  14.  Jahrhunderts,  Die 
Glocke  von  1,00"*  Durchmeffer  hat  MDCCVIII  Peter  Becker  in  Halle  ge- 
golTen. 

Diemitz. 

Kirchdorf,  1,5  km  örtlich  von  Halle  gelegen,  ift  früher  Demenitz  ge- 
heifsen.  1414  gerieth  das  Dorf,  als  der  Graf  von  Schwartzburg , der  die 
Stadt  Halle  in  Streitigkeiten  derfelben  mit  dem  Erzbifchofe  Günther  belagerte 
und  dabei  das  Getreide  auf  dem  Felde  anzündete,  ebenfalls  in  Brand,  durch 
den  es  gänzlich  eingeäfchert  wurde.  Der  Erzbifchof  foll  den  Einwohnern 


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476 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


als  Erfatz  einige  Ländereien  „gegen  einen  jährlichen  Erbzins  und  Hand- 
fröhne“  gegeben  haben.  Auf  diefen  Grundftücken  entfland  das  Dorf  vor. 
Neuem,  lag  nun  aber  mehr  (nord/Weftlich  als  vordem,  fodafs  die  Kirche, 
von  der  die  Mauern  im  Brande  erhalten  geblieben  waren,  jetzt  ganz  allein 
vor  dem  Dorfe  örtlich  liegt.  Im  15.  Jahrhundert  im  Befitze  der  Familie 
Pisker,  gelangte  es  durch  Kauf  an  den  Rath  der  Stadt  Halle,  ging  aber 
auf  Betrieb  Henning  Strobarts  in  delfen  Belitz  über,  der  es  1454  an  den 
Erzbifchof  Friedrich  abtreten  mufste.  Zu  Diemitz  war  auch  ein  Klofterhut 
des  Klofters  zu  Gerbftädt,  welcher  zur  Reformationszeit  an  den  Grafen  von 
Mansfeld  und  dann  durch  Kauf  an  den  hallefchen  Rath  gelangte.  Am 
26.  Januar  1636  liefs  der  General  Banner  das  Dorf  niederbrennen,  bei 
welcher  Gelegenheit  auch  der  Klofterhof  zu  Grunde  ging  mit  Ausnahme 
der  Kirche,  die  zu  ihm  gehörte.  Doch  auch  fie  wurde  dann  durch  die 
kaiferlichen  Truppen  verwüftet,  indem  ihre  Kanzel,  die  Emporen  und  Stühle 
den  Soldaten  das  Brennmaterial  für  die  Wachtfeuer  liefern  mufsten.  Die 
Einwohner  zogen  nun  in  die  hallefchen  Vorftädte.  Erft  1645,  “l-s  eine 
Feuersbrunft  zu  Halle  namentlich  auch  die  Häufer  der  Steinthorvorftadt. 
in  der  viele  Diemitzer  Wohnung  genommen  hatten,  verzehrte,  kehrten  fie 
wieder  in  ihr  wüftes  Dorf  zurück,  erbauten  neue  Häufer  und  ftellten  die 
Kirche  her;  1647  konnte  zuerft  in  ihr  gepredigt  werden  Die  Kirche,  nach 
der  Reformation  Filial  der  Ulrichskirche  zu  Halle,  war  Johannes  dem  Täufer 
geweiht.  Ihre  Gründung  läfst  lieh  nicht  mehr  feftftellen.  Das  Gebäude 
fchliefst  örtlich  dreifeitig  und  hat  keinen  Thurm,  doch  einen  P'achwerks- 
dachreiter  in  Werten.  Bei  der  Wiederherftellung  ift  im  Norden  ein  Empor- 
anbau hinzugefügt. 

Die  Glocke  von  0,79  “ Durchmefifer,  welche  ohne  Infchrift  ift  und  einen 
weit  ausladenden  Kranz  hat,  gehört  wohl  der  frühgothifchen  Zeit  an.  Die 
Glocke  von  0,60"  DurchmelTer  ift  ebenfalls  ohne  Infchrift,  hat  aber  mehrere 
Bracteatenzierrathe ; fie  iß  wohl  mit  der  genannten  gleichzeitig  gegolten. 
Beide  find  hier  1755  autgehängt  worden. 


Dieskau. 

Pfarrkirchdorf  und  Rittergut  6 km  füdlich  von  Halle  gelegen.  I)a-> 
im  18.  Jahrhundert  ausgeftorbene  Gefchlecht  derer  von  -Dieskau  hatte  hier 
feinen  Stammfttz;  einen  Lehnbriel  von  1379  theilt  von  Dreyhaupt  Il.fjoi 
Nr.  578  mit.  1746  kam  das  Rittergut  in  den  Befitz  des  braunfchweigifchen 
Amtmanns  Alburg.  DasSchlofs  flammt  aus  dem  16.  Jahrhundert.  Bekannt 
ift  die  getäfelte  Decke  eines  Saales,  auf  deren  Feldern  die  fogenannten 
100  Narren,  von  denen  aber  nur  einige  fiebenzig  vorhanden  gewefen  find, 
mit  zugefugten  Reimen  in  Oel  gemalt  waren.  Neuerdings  ift  das  Gebäude 
ziemlich  ftilgemäfs  reftaurirt  worden.  Die  Kirche  S.  Annae  liegt  im  Dorfe;  fie 
ift  1728  dergestalt  repariret,  dafs  fie  jetzt  namentlich  im  Innern  als  barock  gelten 
mufs.  Unter  ihr  foll  das  gewölbte  Erbbegräbnis  derer  von  Dieskau  fein. 

Als  gute  barocke  Arbeiten  find  der  Taufbeckenunterfatz  und  das 
Notenpult  bemerkenswert!!.  An  der  Nordwand  in  der  Kirche  befindet  fich 


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DIEMITZ.  DIESKAU.  DORIS. 


477 


das  barocke  Epitaphium  des  geheimen  Rathes  Carl  von  Oiesskau  (die  In- 
schrift giebt  von  Dreyhaupt  II, 894).  Es  befteht  aus  weifsem  und  fchwarzem 
Steine,  hat  viele  Wappen  als  Schmuck  und  theatralifch  bewegte  Statuen, 
wie  folche  diefer  Stilperiode  eigen  find.  Auf  der  Südfeite  befindet  fich  in 
einem  Ausbau  ein  modernes  Grabmal  aus  weifsem  Marmor;  lebensgrofse 
allegorifche  Figuren  find  in  der  geleckten  Zopfweife  ausgeführt,  fie  follen 
von  Canova  fein.  Ein  Kelch  von  1651  ift  nicht  bedeutend. 

Die  Glocke  von  1,13“  Durchmelfer  trägt  die  Minuskelumfchrift : 

0 rrz  |lorir  «ItriÄr  ocni  cum  pacc  anno  Domini  miUrfimo  qaaDringrntrfiuio 
rcpluoicima  9. 

Die  Glocke  von  0,47  “ Durchmelfer  hat  Georg»;  Dors  und  Hans  Wetten  1624  zu 
Halle  gegolfen.  Die  Glocke  von  1,27  ■ Durchmelfer  ift  von  Jacob  H offmann  aus 
Halle  MDCXCVIIII  gegoften. 

Dobis. 

Kirchdorf,  Filial  von  DöfTel,  20km  nordweftlich  von  Halle  gelegen,  im 
18.  Jahrhundert  noch  Dobitz  gefchriebcn,  war  wie  DöfTel  ein  Obedienzdorf 
des  Magdeburger  Domcapitels  und  kam  im  17.  Jahrhundert  an  die  Familie 
Brummer  zu  Mücheln.  Die  Kirche  liegt  auf  einer  Anhöhe  im  Dorf  und  ift 
romanifchen  Urfprungs,  in  fpätgothifcher  Zeit  aber,  weil  fie  recht  klein  ge- 
wefen  zu  fein  fcheint,  durch  einen  dreifeitig  gefchlofTenen  Choranbau  ver- 
längert. Auch  in  neueren  Zeiten  ift  fie  erfichtlicherweife  mehrfach 
baulichen  Veränderungen  unterworfen  gewefen,  doch  haben  fich  noch 
romanifche  Kunftformen  erhalten,  fo  ein  Tympanon  über  dem  Eingänge 


KiR.  251. 


Thürfturz^ncben  dem  Sacramentshäuschen. 


auf  der  Südfeite.  Es  gleicht  dem  in  (Schlettau  und)  Böllberg  f.  Fig.  235. 
In  dem  gothifchen  Anbau  finden  fich  nördlich  die  Refte  eines  Sacra- 
mentsfchreines  und  einer  Thür,  welche  vermuthlich  nach  des  Pfarrers 
Wohnung  führte  und  nicht  von  den  Kirclienbefuchern  benutzt  wurde.  Ihr 
Sturz  hat  die  in  Fig.  251  dargeftellte  Form.  Die  aus  Faubfägearbeit 


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478 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


beftehenden  Schiebefenfter  an  dem  Beichtftuhle , welcher  an  der  Nordwand 
lieht,  giebt  big.  252.  Sie  find  früheftens  gegen  Ende  des  16.  Jahrhundert' 
entftanden  und  gewifs  von  einem  gewöhnlichen  Tifchler  zu  Dobis  erfunden 
daraus  erklärt  fich  die  etwas  faloppe  Ausführung.  Immerhin  läfst  lieh  an 


Fig.  252. 


Obcrthcil  des  Beichtftuhles. 


ihnen  erkennen,  dafs  zu  jener  Zeit  ein  Gefühl  für  gute  Formen  im  Volke  lebte, 
wie  es  die  Gegenwart  noch  entbehrt.  Auf  billigere  Weife  als  durch  wirk- 
liches Auslagen  des  Holzes  ift  der  Vertäfelung  der  Nordwand  ein  Schmuck 
durch  Auffchabloniren  eines  folchen  Laublägemufters  zu  Theil  geworden. 
Die  Glocke  von  0,44“  DurchmelTer  ift  ohne  Infchrift  und  gehört  wohl  in 
das  13.  Jahrhundert. 

Die  Glocke  von  0,86 m DurchmelTer  hat  oben  die  Majuskelumfchrift: 

+ Dam  TRAhOR  ÄaniTa  voao  vos  ad  saora  aei?im 

Die  Glocke  von  0.79"  DurchmelTer  hat  oben  die  MinuskelumTchrift: 

l|ilf  marin  Aiua  Dam.  1414. 


DORIS.  DÖBLITZ. 


479 


Döblitz. 

Kirchdorf,  Filial  von  Wettin,  in  vorigem  Jahrhundert  von  Neutz,  12  km 
nordwcftlich  von  Halle  am  rechten  Saalufer  gelegen.  Das  Dorf  hat  anfangs 
zum  Klofter  der  Deutfehherren  in  Mücheln  gehört,  1286  wird  es  in  einer 
Schenkungsurkunde  des  Grafen  Otto  von  Brena  erwähnt  (von  Dreyhaupt 
II.804.  Doc.  Nr.  530).  Die  Kirche  liegt  im  Dorfe  und  ift  urfprünglich  nur 
ein  einfaches  kapellenartiges  Gebäude  von  oblongem  Grundrifs  gewefen  und 
der  Technik  nach  in  fpätromanifcher  oder  frühgothifcher  Zeit  erbaut.  Der 
Thurm  ift  äugen fcheinlich  erft  fpäter  zugefügt.  Ebenfo  der  Anbau  auf  der 
Südfeite,  welcher  die  Gruft  für  eine  vornehme  Familie  enthält.  Auf  dem 
Oftgiebel  hat  fich  ein  gleichfchenkeliges  Steinkreuz  erhalten,  dadurch  be- 
merkenswerth , dafs  die  Schenkel  in  der  Weife  wie  Fig.  253  darthut,  mit 


Fig-  253- 


Kreuz  auf  dem  Oftgicbcl  der  Kirche. 


halbkreisförmigen  Ausfchnitten  an  den  Kanten  verziert  find.  Der  Eingang  auf 
der  Nordfeite  hat  ein  Rundftabprofil  am  Gewände.  Die  Altar  menfa  enthält 
ein  leeres  fepulchrum;  an  Stelle  des  Schreines  ift  die  Kanzel  gefetzt,  und 
jener  ift  rechts  neben  diefer  angebracht.  In  feinem  linken  Flügel  liehen  die 
Schnitzfiguren  Elifabeth  (?)  mit  einem  Buche  und  einem  Unthiere  zu  Füfsen 
und  ein  unbekannter  Heiliger  in  Diaconentracht  mit  einem  Buche  und 
Schwerte,  im  Schreine  felbft  befindet  fich  die  h.  Margaretha,  als  Hauptfigur 
die  h.  Anna  felbdritt  und  dann  noch  die  h.  Katharina,  im  rechten  Flügel 
folgt  ein  Heiliger  mit  einem  Buche,  aut  dem  ein  Ochs  liegt  (S.  Euftachius?) 
und  ein  Bifchof  ohne  Kennzeichen.  Die  Schnitzerei  ift  einfach  aber  gut. 
Die  Kanzel  ift  ein  kunftformal  beachtenswerthes  Stück  der  Tifchlerei  der 
erften  Jahrzehnte  des  17.  Jahrhunderts.  Wir  geben  in  F'ig.  254  die  Zeichnung 
einer  ihrer  acht  Seiten.  Eine  Abwechfelung  der  Motive  findet  nicht  ftatt, 
es  ift  daher  wahrfcheinlich,  dafs  ein  Wechfel  durch  die  F'ärbung  namentlich 
in  Bildern  beabfichtigt  war.  Der  Verfertiger  war,  wie  aus  verfchiedenen 


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480 


DIR  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


Details  211  fchliefsen  ift,  wahrfcheinlich  nur  ein  ländlicher  Meifter,  feine 
Arbeit  verräth  aber  den  tüchtigen  Mann. 


Fig.  254- 


Stückfder^Kanzel. 


Die  Glocken  jetzt  von  1,02",  o,8om  und  0,67"  DurchmelTer  haben  die 
Gebr.  Ulrich  in  Laucha  1854  umgegoffen. 


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DÖBLITZ.  DÖLAU. 


4<il 


Dölau. 

Kirchdorf,  Filial  von  Lettin,  5,5  km.  weltlich  von  Halle  auf  der  linken 
Saalfeite  des  Kreifes  gelegen.  Die  Kirche  liegt  nördlich  vom  Dorfe  frei 
im  Felde;  fie  ifl  dem  h.  Nicolaus  und  Antonius  geweiht  gewefen.  Das  Lang- 
haus ift  örtlich  gerade  gefchlolTen  und  hat 
weltlich  einen  Thurm,  welcher  das  in  Fig.  255 
dargeftellte  Fenfter  an  feiner  Weftfeite  zeigt, 
auch  an  der  Südfeite  dürfte  ein  ähnliches 
vorhanden  gewefen  fein  Die  Schalllöcher  find 
äugen  fcheinlich  fpäter  verändert.  Die  Thurm- 
giebel gegen  Süden  und  Norden  und  der  Oft- 
giebel des  Langhaufes  haben  ihre  urlprüng- 
liche  Bekrönung  mit  Steinkreuzen  bewahrt. 

Der  Eingang  auf  der  Südfeite  hat  einen 
wohl  nicht  alten  Vorbau;  fein  Lichten 
ift  fpitzbogig,  ebenfo  das  einer  Thür,  welche 
von  dem  Schiffe  in  den  tonnengewölbten  Erd- 
gefchofsraum  des  Thurmes  führt.  Ob  noch 
Reite  der  ehemaligen  Fenfter  vorhanden 
find,  kann  nicht  angegeben  werden, 
weil  die  Wände  überputzt  find;  jedoch 
erkennt  man  an  einigen  Stellen  eine  Mauertechnik,  die  der  zu  Lettin  (f.  weiter 
unten)  ähnlich  ift.  Aus  diefen  Architekturformen  geht  hervor,  dafs  diefer 
Bau  der  Uebergangszeit  angehört,  vermuthlich  jedoch  erlt  gegen'  die  Mitte 
des  13.  Jahrhunderts  ausgefuhrt  ift.  Unter  den  Kunltwerken  nennen  wir  zuerft 
das  in  der  Chorwand  nördlich  gelegene  Sacramentshäuschen.  Es  hat  eine 
abweichende  Bildung,  indem  hier  nicht  wie  bei  den  übrigen  im  Saalkreife 
feitliche  Fialen  die  Thür  einrahmen,  fondem  die  Oeffnung  von  einer  fpät- 
gothifchen  Profilirung  aus  Rundltäben,  Kehlen  und  Plättchen  beltehend 
umgeben  wird.  Eine  Durchdringung  diefes  Profils  bildet  die  Bekrönung 
des  Schreines,  und  in  diefer  lieht  eine  flach  reliefirte  Minuskelfchritt  mit  einer 
Jahreszahl,  die  aber  wegen  eines  Kalkfarbenanftriches  und  der  Unzugäng- 
lichkeit des  Stückes  (hinter  den  Bälgen  der  Orgel  gelegen)  nicht  hat  ent- 
ziffert werden  können.  Wahrfcheinlich  ift,  dafs  hier  die  Jahreszahl  1440 
lieht . welche  von  Dreyhaupt  II,  895  als  hinter  dem  Altar  in  Stein  gehauen 
anführt.  Der  Flügelfchrein  des  Altares  enthält  folgende  Figuren ; im  linken 
Flügel  fleht  oben  der  h.  Johannes  mit  dem  Kelche  und  die  h.  Magdalena, 
die  eine  Büchfe  hält,  unten:  der  h.  Caffius  mit  einem  Schilde  auf  einem 
Drachen  flehend  und  der  h.  Stephan  mit  Steinen , in  der  erften  Ab- 
theilung des  Schreines  lieht  man  oben  eine  nicht  mehr  zu  erkennende 
Heilige , unten  die  h.  Margaretha  mit  dem  Drachen ; es  folgt  als  die 
Hauptheilige  Maria  mit  dem  Kinde,  welche  im  gröfsern  Maafsltabe  ge- 
halten ift,  in  der  letzten  Abtheilung  des  eigentlichen  Schreines  lieht 
oben  die  h.  Elifabeth  mit  dem  Korbe,  unten  eine  nicht  mehr  erkennbare 
Heilige.  Im  rechten  F'lügel  lieht  oben  ein  h.  Bifchof  und  ein  h.  Ritter, 
B.  D.  d.  Bau*  u.  Kunstd.  N.  F.  I.  32 


Fig.  255- 


Thurmfenfter. 


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482 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKKEIS. 


unten  ein  nicht  erkennbarer  Heiliger  und  neben  ihm  ein  Bifchof  mit  dem 
Kirchenmodelle  (Norbert?)  Die  Arbeit  ift  gut,  man  bemerkt  keine  S-linien- 
haltung,  viel  Naturwahrheit  und  einen  interelTanten  Faltenwurf.  Ein 
meffingenes  Taufbecken  trägt  mitten  im  Boden  die  Darftellung  der  Kumi- 
fchafter  von  Jericho,  die  auf  einer  Stange  eine  grofse  Weintraube  tragen. 
Umgeben  ift  diefe  Darftellung,  zu  der  der  Stempel  wohl  im  lö.  Jahrhundert 
gemacht  ift,  von  einem  fpätgothifchen  Kranze  des  bekannten  Motivs  von 
Blättern,  die  um  einen  Mittelftiel  liegen.  Auf  dem  Rande  lieht: 

Dieses  Becken  hat  in  die  Kirche  nach  Dölau  ver  ehret  Fl  Christof 
Tehler  den  3.  April  1606; 

hieraus  ergiebt  lieh  unzweifelhaft,  dafs  diefe,  fpätgothifches  Ornament 
zeigenden,  Becken  noch  im  17.  Jahrhundert  hergeftellt  wurden. 

Die  Glocken  von  0,85“  und  0,65“  Durchmefter  find  186O  von  den  Ge- 
brüdern Franz  und  Gottfried  Ulrich  in  Laucha  gegoften.  Die  Kirche  hatte 
noch  eine  dritte  Glocke , welche  jetzt  auf  dem  Schulhofe  hängt ; fie  hat 
0,47"  Durchmeffer,  ift  von  länglicher  F'orm  und  hat  oben  die  Majuskelutn- 
lchrift  (Wachsmodell): 

+ VOX  DOMIPI  S3B  ÄqVÄS 

Ihre  Entftehungszeit  dürfte  die  Mitte  des  14.  Jahrhunderts  fein. 

Nördlich  nicht  fern  von  der  Kirche  lieht  im  Felde  feit  uralter  Zeit  ein 
mächtiger,  innen  hohler  Stein  pollamentartig  in  die  Höhe  gerichtet.  Es  füll 
nach  der  landläufigen  Annahme , die  bereits  vog  Dreyhaupt  erzählt , auf 
ihm  das  Bild  der  Göttin  Aftor"  oder  Oller  gellanden  haben,  daher  auch  die 
dortige  Feldmark  Oftrau  genannt  wird. 

Döllnitz. 

Kirchdorf.  Filial  von  Burgliebenau  im  Merfeburger  Kreife,  und  Ritter- 
gut 9 km  Eidlich  von  Halle  an  der  weifsen  Elfter  gelegen.  Die  Befitzerreihe 
des  Rittergutes,  welches  baulich  nichts  Bemerkenswerthes  bietet,  giebt  von 
Dreyhaupt  II,  896  an.  Das  barocke,  im  Dorfe  gelegene  Kirchengebäude 
ift  ohne  Bedeutung.  An  der  Holzdecke  find  grofse  Gemälde  in  brauner 
Farbe  ausgeführt  und  mit  Fruchtguirlanden  umkränzt.  Am  Altäre  find 
rechts  und  links  gute,  doch  angellrichene  Holzfchnitzereien,  die  Grablegung 
und  Chrillus  neben  Gott,  darunter  drei  Engel,  alles  wolkenumhüllt.  Der 
Taufftein  fowie  die  nördlich  ausgebaute  Empore  find  in  barocker  Weife  gut 
ornamentirt. 

Die  Glocke  von  1,13"  DurchmefTer  hat  die  Infchrift: 

Durch’s  Feuer  bin  ich  geflossen  Peter  Becker  in  Halle  hat  mich 
gegossen.  Anno  1708. 

Die  Glocke  von  0,96“  Durchmeffer  ift  1870  von  den  Gebr.  Ulrich  in 
Laucha  gegoften. 

Die  Glocke  von  0,79“  Durchmefter  hat  1881  J.  A.  Jauck  in  Leipzig 
gegoften. 


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DÖLAU.  DÖLLNITZ.  DÖSSEL.  DOMNITZ. 


483 


Fic.  256. 


Dössel. 

Pfarrkirchdorf,  18.5  km  nordwedlich  von  Halle,  war  ehemals  ein  Obe- 
dienzdorf  des  Magdeburger  Domcapitels.  Die  Kirche,  im  Dorfe  etwas  hoch 
gelegen , id  wohl  urfprünglich  romanifch  gewefen , aber  fpäter  verändert 
worden.  Sie  fchliefst  örtlich  mit  gerader  Wand  und 
hat  modern  gothilirende  Fender.  Ein  romanifches 
Profil  hat  der  Kämpfer  des  Bogens  zwifchen 
Schiff  und  Thurm  Fig.  256.  Die  Kirche  befitzt 
einen  Kelch  von  1648,  der  das  Gefchenk  eines 
Domherrn  von  Berndein  id.  Dellen  und  feiner 
Frau  (von  Bennigfen)  Wappen  und  zwifchen  beiden 
als  Signaculum  einen  Crucifixus  lieht  man  am 
Kelche  angebracht. 

Die  Glocke  von  0,40“  DurchmelTer  id  ohne 
Infchrift;  fie  fowie  die  von  0,81 m DurchmelTer, 
die  auch  infchrittslos  id,  gehören  wohl  beide  dem 
13.  Jahrhundert  an.  Die  Glocke  von  1,0“  Durch- 
melTer hat  die  Infchrift  in  Majuskeln: 


Kämpfer  am  Bogen  zwifchen 
Thurm  und  Schiff. 


sit  re  pcstätv  pcr  nie  «ei?vs  omi?e  (rvgätv) 


und  dürfte  in  die  Mitte  des  14.  Jahrhunderts  zu  fetzen  fein.  Die  Glocke 
von  1,10"  DurchmelTer  hat  die  Minuskelinfchrift : 

+ M uc  21  iiir  gut  marin  brritff 

Auf  der  einen  Seite  id  die  reliefirte  Halbfigur  der  Maria  mit  dem 
Kinde,  auf  der  andern  die  Halbfigur  eines  Papdes  (?)  als  Zierrath  angebraht. 


Domnitz. 

Pfarrkirchdorf,  Didanzdation  der  Halle- Afchersleben  - Halberdädter 
Eifenbahn,  18  km  nordwedfich  von  Halle  gelegen.  Das  Dorf  id  urfprünglich 
Tumelwitz  genannt.  Es  lag  in  ihm  fchon  im  frühen  Mittelalter,  wahrfchein- 
lich  vom  Grafen  Riddag  oder  vom  Markgrafen  Conrad  von  Meifsen  1137 
angelegt,  ein  nach  der  Reformation  zu  einem  Vorwerke  gewordener  Kloder- 
hof,  welcher  dem  Nonnenkloder  zu  Gerbdädt  gehörte.  Zu  Anfang  des 
16.  Jahrhunderts  eigneten  lieh  diefen  Hof  die  Grafen  von  Mansfeld  wider- 
rechtlich an  und  verkauften  ihn  an  den  Rath  zu  Halle.  Dagegen  protedirte 
die  Aebtiffin,  doch  willigte  fie  endlich  in  einen  Verkauf  an  die  Grafen,  die 
feitdem  das  Beleihungsrecht  hatten.  Heute  fällt  an  den  Gebäuden  des 
Gutes  kaum  etwas  Bemerkenswerthes  auf,  es  fei  denn  ein  Thurm,  der  in 
feinen  untern  Theilen  aus  dem  16.  oder  17.  Jahrhundert  dämmen  wird. 
Das  Patronatsrecht  über  die  Kirche  S.  Johannis  Baptidae,  welche  im  Dorfe 
ödlich  liegt,  hat  zu  dem  Kloderhofe  gehört.  Ueber  das  Gebäude  wäre  zu 
Tagen,  dafs  es  eine  (fpät)romanifche  und  fpäter  veränderte  Anlage  id.  Der 
Thurm,  im  Grundrifs  ein  von  Norden  nach  Süden  längeres  Rechteck,  hat  in 
feiner  Glockendube  an  den  kürzeren  Seiten  je  ein  dreitheiliges  Fender, 

3»* 


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484 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKKEIS. 


an  den  langem  je  zwei  zweitheilige , eine  Co  üppige  Ausbildung,  wie 
fie  zum  amlern  Male  im  FC  reife  nicht  wiedergefunden  wird.  Auch  da» 
Steinkreuz  welches  fich  theil weife  auf  einem  Thurmgiebel  erhalten  hat,  ili 
dadurch  reicher  ausgeßaltet  als  alle  übrigen  im  Kreife,  dals  es  von  einem 
Kreife  umfchloffen  wird.  Auf  der  Südempore  bemerkt  man  die  The i I e 
eines  fpätgothifchen  (?)  Geßühls.1  Ein  meflingenes  Taufbecken  hat  eine  un- 
leferliche  Minuskel  verzierung  und  lieht  auf  einem  fchönen  barocken  Tautlleine 
Die  Glocke  mit  o,qü“  Durchmeffer  ill  oben  mit  Medaillons,  Maria 
mit  dem  Kinde,  Crucifixus  und  anderen  verziert,  aber  ohne  lnfchrift;  fie 
gehört  wohl  noch  dem  13.  Jahrhundert  an.  Die  Glocke  von  1 10“  Durch- 
meffer hat  die  Majuskelinfchrift: 

+ SIT  • TEPESTÄTV  PER  . HE  • fc>EI?VS  • OMI?E  • FVGÄTV. 

Diefelbe  gehört  in  die  Mitte  des  1 j.  Jahrhunderts.  Die  Glocke  von 
0.36“  DurchmelTer  hat  Joh.  Chriß.  Bachmann  Anno  1731  gegolTen 


Dornitz. 

Kirchdorf,  Filial  von  Kirchedlau,  20km  nordweltlich  von  Halle,  ge- 
hörte urfprünglich  zur  Gralfchaft  Alsleben,  mit  welcher  es  alsdann  an  d;.~ 
Magdeburger  Erzllift  kam.  1484  ill  es  an  die  von  Ammendorf  auf  Rothen- 
burg verkauft.  Die  Kirche  ifl  1714  von  dem  Amtmann  Stocher  zu  Rothen- 
burg faß  ganz  neu  erbaut;  fie  hat  ößl ich  einen  geraden  Schlufs;  das  Thurm- 
erdgefchofs  iß  überwölbt.  In  der  Ecke  des  Friedhofs  liegt  der  alte 
romanifche  (?)  roh  gefertigte  Taufßein.  In  hohem  Grade  beachtenswert!!  iß  der 
Altarfchrein,  welcher  fich  jetzt  auf  der  Nordempore  an  der  Oßwand  befindet. 
Es  ill  ein  Triptychon  mit  folgenden  gefchnitzten  und  gefärbten  Figuren;  in 
jeder  Abtheilung  der  beiden  zweitheiligen  Flügel  liehen  zwei  Figuren  und 
zwar  links  vier  weibliche,  rechts  vier  männliche,  im  Schreine  felbß  ßeht  ein 
Heiliger  mit  einem  Buche,  neben  ihm  als  die  Hauptfigur  Maria  mit  dem 
Kinde  und  dann  der  h.  Stephan  mit  Steinen.  Die  Arbeit  iß  von  befonderem 
Kunßwerthe,  fehr  einfach  aber  fehr  gefchickt  gefchnitzt. 

Gleichzeitig  fcheinen  die  beiden  Glocken  von  0,9g“  und  0.49“  Durch- 
mefler  zu  fein,  die  beide  ohne  lnfchrift  und  von  länglicher  Form  find.  Se 
werden  um  die  Mitte  des  13.  Jahrhunderts  fpäteßens  gemacht  fein.  Die 
Glocke  von  1,22“  Durchmeffer  iß  1828  umgegoßen  von  F'.  See  aus  Weimar 
Sie  iß  1500  zuerß  gegolTen  und  1718  von  Peter  Becker  bereits  einmal  um- 
gegoffen  gewefen. 


Eismannsdorf. 

Kirchdorf,  Filial  von  Brachßedt,  12  km  nordößlich  von  Halle  gelegen 
Die  Kirche  SS.  Simonis  et  Judae  liegt  füdweßlich  im  Dorfe  und  iß  eine 

1 Von  ,1cm  Alure,  welcher  aus  4er  Moritzkirchc  zu  Halle  nach  der  Reformation  hier- 
her gekommen  fein  foll,  ift  nichts  mehr  vorhanden. 


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IJOMNITZ.  UOKMITZ.  EISMANNSDOKF.  GAKSEN'A.  (85 


einfache,  fcheinbnr*  romanifehe  Anlage,  laß  ganz  ohne  Kunftformen;  nur 
am  Schiff  haben  lieh  geringe  Reife  von  romanifchen  Fenftern  erhalten. 
Der  Thurm  hat  nur  in  Bruchfteinen  ausgeführte  Oeffnungen  und  fein  Ge- 
mäuer ift  dadurch  merkwürdig,  dafs  es  höchlt  roh  ohne  Eckquadern  und 
uhne  Mörtel  in  den  äufseren  Fugen  hergeftellt  ift,  nichts  defto  weniger  aber 
der  Fertigkeit  nicht  entbehrt.  Das  Ausfehen  diefer  Porphyrwände,  namentlich 
der  weltlichen,  ift  bizarr  und  malerifch.  Es  ift  anzunehmen,  dafs  diefe  Aus- 
tührungsweife  älter  als  die  viel  häufigere  und  folidere  mit  Eckquaderung 
ift,  aber  es  kann  mit  Beftimmtheit  darüber  nichts  angegeben  werden.  Ein 
Taufbecken  von  Meiling  mit  der  Darftellung  der  Verkündigung  Mariae  und 
unleferlichen  Minuskeln  als  Einfaffung  diefer  Darftellung  ift  der  einzige 
anerkennungswerthe  Gegenftand.  Eine  Glocke  von  0,90“  Durchmeffer  haben 
die  Gebrüder  Ulrich  zu  Apolda  und  Laucha  gegofTen.  Eine  zweite  mifst 
0,73  “ und  eine  dritte  0,60“  im  Durchmeffer. 

Garsena. 

Kirchdorf,  Filial  von  Rothenburg,  21  km  nordweftlich  von  Halle  ge- 
legen, in  welchem  zu  den  alterten  Zeiten  ein  Adelsgefchlecht  gewohnt  hat. 
1286  wird  ein  Cunze  de  Corzene  miles  erwähnt,  und  1294  war  der  Probft 
des  Petersbergklofters  ein  Friedrich  von  Gorcene.  Als  diefes  Gefchlecht 
ausstarb,  kamen  feine  Güter  an  die  Domdechanei  zu  Magdeburg,  von 
welcher  die  Güter  als  Mannlehn  an  Verfchiedene  (Otto  von  Wörpzig,  die 
von  Schennewitz,  von  Ammendorf  und  an  andere)  gegeben  wurden.  Das 
Dorf  hat  im  13.  Jahrhundert  den  Grafen  von  Reinftein  gehört  und  diefe 
haben  es  ftückweife  dem  Klofter  Michaelftein  gefchenkt,  von  welchem  es 
1276  dem  hallefchen  Moritzklofter  verkauft  wurde.  Die  von  Schennewitz, 
die  klöfterlicherfeits  nun  damit  beliehen  wurden,  verkauften  ihr  Lehn  1480 
an  die  von  Ammendorf  zu  Rothenburg,  welcher  Umftand  das  Dorf  mit  den 
Gerichten  und  dem  Pfarrlehn  an  Rothenburg  gebracht  hat.  Die  dem 
h.  Georg1 2  geweihte  Kirche  liegt  örtlich  aufserhalb  des  Dorfes  und  ift  ein 
unbedeutendes  Bauwerk  von  oblongem  Grundrifs.  Am  27.  Auguft  181 1 
vom  Blitze  getroffen  und  niedergebrannt  ift  fie  in  ihrer  jetzigen  Geftalt  mit 
einem  Fachwerksthurm  wiedergebauet.  Der  fpätgothifche  (?)  Taufflein  ift 
auf  VeranlafTung  der  Regierung  in  die  Kirche  zurückgebracht.  Ein 
(Kranken)-Kelch  wird  dem  16.  Jahrhundert  angehören.  Ein  Weinbehältnifs 
ift  1741  gemacht. 

Die  im  Brande  fchadhaft  gewordenen  Glocken  find  zu  der  jetzigen  von 
0,80  ■ Durchmeffer  1814  durch  G.  G.  Becker  in  Halle  umgegoffen. 


1 Denn,  da  nach  von  Dreyhaupt  11,898  die  Kirche  „ein  alt  baufällig  Gebäude“  fchon 
im  18.  Jahrhundert  war,  fo  wäre  es  möglich,  dafs  fie  unter  Benutzung  romanifcher  Refte  neu 
gebaut  wäre. 

2 Der  Schulze  erzählt,  die  Statue  des  h.  Georg  fei  in  einer  füdöftlichen  Kirchennifchc 
aufgeftellt  gewefen,  weil  diefer  Heilige,  als  die  Garfcner  ihn  fufsfallig  gebeten  die  Plünderung  und 
Zerftörung  des  Dorfes  abzuwenden,  nur  unter  der  Bedingung  fie  gehört  habe,  dafs  fein  Bild  ewig 
in  der  Kirche  aufbewahrl  werde;  jedoch  habe  man  die  Statue  neuerdings  verfchwinden  laffen. 


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486 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


Giebichcnstein. 

Pfarrkirchdorf  vun  8055  Einwohnern  mit  königlicher  Domaine  und  einer 
Burgruine  nördlich  an  das  hallefche  Stadtgebiet  angrenzend.  Die  Häufer 
des  Dorfes  umfchliefsen  weltlich,  füdlich  und  öftlich  die  unmittelbar  an  dem 
rechten  Saalufer  auf  einem  Felfen  liegende  Burgruine.  Schon  in  den 
früheflen  Zeiten  hat  diefer  Felfen  wegen  feiner  natürlichen  Unzugänglichkeit 
und  feiner  die  Saale  beherrfchenden  Lage  Bedeutung  gehabt.  Es  fcheint 
nicht  unberechtigt,  anzunehmen,  dafs  hier  eine  Verehrung  des  Wodan  ftattge- 
habt  habe,  ein  Umfland,  mit  welchem  auch  die  Namensentftehung  in  Zufammen- 
hang  gebracht  wird.  Die  alterten  F'ormen  des  Namens  find:  980  Stein,  Wikan- 
ßein,  Witcanftein,  dann  Gevekenftein,  Ivikanften,  Gevikenften,  Gebikenftein. 
Gevikenftein.1  Den  Drusus  für  den  (fründer  einer  Burg  hier  zu  halten, 
welche  auf  dem  Hügel  öftlich  von  der  jetzigen  mittelalterlichen  Burgruine 
geftanden  habe,  ift  auf  die  dafür  angeführten  Gründe  hin  noch  nicht  zu  ge- 
ftatten:  doch  ift  von  folchen  Notiz  zu  nehmen.  Von  Dreyhaupt  meldet  näm- 
lich, dafs  fich  auf  dem  örtlichen  Hügel  „annoch  vor  kurtzen,“  alfo  vor  1740, 
Rudera  des  Schlofses  auf  der  Stelle,  wohin  „das  eine  Lufthaus“  (flehe  die 
Abbildung  bei  von  Dreyhaupt  II,  850—851)  erbauet  fei,  gefunden  hätten, 
auch  feien  namentlich  1718  bei  Anlegung  des  Schlofsgartens  viele  römifche 
filberne  und  kupferne  Münzen  aus  den  erften  Jahrhunderten  gefunden.  Ohne 
Ausgrabung  der  etwa  jetzt  noch  vorhandenen  Mauerrefte  ift  der  Nachweis 
römifchen  Mauerwerks  nicht  zu  erbringen.  Die  gefundenen  Münzen  beweifen 
nur,  dafs  die  Inhaber  des  Platzes  fich  des  römifchen  Geldes  bedienten,  nicht 
dafs  fie  Römer  waren.  961  oder  965,  bevor  noch  das  Erzftift  Magdeburg 
gefchaffen  war,  ging  Giebichenftein  an  die  Moritzkirche  zu  Magdeburg  vom 
Kaifer  Otto  I.,  der  es  wiederum  von  dem  Markgrafen  Riddag  von  Merfe- 
burg  erhielt,  über,  eine  Schenkung,  die  973  von  Otto  II.  und  984  von  Otto  III. 
beftätigt  ward.  Die  Burg,  bis  zum  12.  Jahrhundert  unter  Burggrafen,  dann 
unter  Hauptleuten  ftehend,  war  nun  bis  zur  Vollendung  der  Moritzburg  in 
Halle  im  Jahre  1503  erzbifchöfliche  Refidenz  und  hat  als  folche  im  ganzen 
Mittelalter  Bedeutung  gehabt,  zugleich  aber  auch  als  ficheres  Gefängnils 
für  (politifche)  Verbrecher.2  Aus  ihrer  Gefchichte  kann  hier  nur  intereffiren. 

1 Die  volksthümliehe  Annahme  der  Enlftehung  des  Namens  aus  „Gev  ick  den  Stein“  ift 
ganz  willkürlich  und  werthlos.  Siehe  dagegen:  Oefterlcy  hift-geogr.  Wörterbuch  des  deutlichen 
Mittelalters  unter  Giebichenftein,  fowie  den  Artikel  „Giebichenstein“  von  Jacob  Grimm  in  Haupts 
Zeitschrift  für  Deutsches  Alterthum  I,  572 — 575. 

a Unter  folchen  wurde  früher  vor  allen  der  thüringische  Graf  Ludwig  der  Springer  genannt 
welcher  sich  aus  der  Haft  auf  dem  Giebichenftein  durch  einen  kühnen  Sprung,  der  ihm  jenes 
Beinamen  eintrug,  befreit  haben  follle;  dass  letztere  Angabe  in  das  Bereich  der  romantischen 
Sagen  gehört,  ja  sogar  auch  die  Gefangenschaft  Ludwigs  auf  jener  Burg  überaus  zweifelhaft  ist, 
zeigt  O.  Poffe  in  der  Sybel’fchen  HifiorifchenZeitfchrift  XXX, 51,  Sicher  ist  dagegen,  nach  den 
Berichten  Thietmars  von  Merseburg,  dass  im  Jahre  1004  Kaifer  Heinrieh  IT.  Heinrich,  den  Sohn 
Graf  Bertholds,  auf  Giebichenftein  in  Haft  gab  und  dass  der  im  Jahre  1014  in  Rom  bei  einen: 
Aufstande  verhaftete  lombardische  Graf  Ecelin  dort  verwahrt  wurde.  Ebenso  haben  nach  Wipo's 
vita  Chuonradi  II.  imperatoris  der  von  der  mittelalterlichen  wie  modernen  Dichtkunft  verherrlichte 
Herzog  Ernst  von  Schwaban  von  1027  ab  und  nach  Lambert  von  Hersfeld  von  1045  ah  Herzog 
Gottfried  der  Bärtige  von  Niederlethringen  als  Reichsstaatsgefangene  dort  verweilt. 


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GIEBICHENSTE1N. 


48/ 


dafs  fie  1364  repariret  ifl,  weil  fie  „fehr  eingegangen  und  verfallen  war,“  dafs 
1442  durch  den  Erzbifchof  Günther  der  Theil  angelegt  ift,  welcher  jetzt  als 
Domaine  füdlich  am  Fufse  desFelfens  liegt  und  ehemals  mit  einem  zum  Theil 
noch  vorhandene  Graben  umgeben  war,  und  dafs  die  Nachfolger  diefes, 
die  Erzbifchöfe  Friedrich  II  und  Johannes,  die  Gebäude  noch  vermehrten. 
1572  am  i.  September  fchlug  der  Blitz  in  eine  Scheune  und  es  brannte  ein 
Theil  der  Gebäude  ab.  1636  lagen  fchwedifche  Reiter,  die  ihre  Pferde  in 
die  Gerichtsftube  Hellten  und  als  Streu  das  Papier  der  Acten  und  Documente 
benutzten,  auf  der  Burg  und  gingen  fo  wüfte  zu  Werke,  dafs  am  27.  Januar 
im  Malzhaufe  ein  Brand  entftand,  welcher  namentlich  die  eigentliche  Burg 
und  die  Kapelle  völlig  einäfcherte.  Allmählich  hat  man  jedoch  die  Oeko- 
nomiegebäude  wieder  hergeftellt,  welche  denn  auch  noch  mancherlei  fpät- 
inittelalterliche  Reife  zeigen. 

Abgefehen  von  dem  angeblichen  Römercalfelle  fcheint  die  erfte 
Burganlage  den  Chroniken  nach  nicht  die  ganze  obere  Fläche  des 
Felfens  bedeckt  zu  haben,  fondern  nur  deren  örtlichen  Theil,  während 
die  höher  gelegene  Weftpartie  erft  fpäter  zugefügt  fein  wird.  Ohne  eine 
umfangreiche  Ausgrabung,  die  ficher  lohnend  wäre,  ift  heute  freilich 
Genaues  über  den  Grundrifs  nicht  anzugeben.  Man  fleht  füdöftlich  einen 
im  Plan  quadratifchen  Thurm,  den  Burgfried,  welcher  keineswegs,  auf 
der  höchften  Spitze  lieht.  Er  ift  ganz  in  Bruchlteinen  hergeftellt  und  gehört 
in  den  unterllen  Mauerfchichten  ficher  in  die  erfte  Zeit  der  Burganlage; 
höher  hinauf  erkennt  man  gothifche  Mauertechnik  und  ganz  oben  ift  das 
Gemäuer  modern,  wie  denn  auch  überall  am  Thurme  in  fpäterer  Zeit  ein- 
geflickte Stücke  bemerkbar  find.  An  der  Nordfeite  der  Burg  fpringt  der 
Felfenlinie  folgend  eine  Partie  etwas  hinaus;  man  bemerkt  hier  Strebepfeiler 
fowie  gröfsere  Quader  mit  romanifchen  Gliedern  (engagirte  Säulchen)  aber 
ohne  Zufammenhang  vermauert.  Daraus  ergiebt  fich,  dafs  diefe  Partie  in 
gothifcher  Zeit  unter  Zuhilfenahme  folcher  Stücke,  die  wohl  bei  den  F.r- 
ftiirmungen  der  Burg  von  dem  urfprünglich  romanifchen  Baue  locker  ge- 
worden waren,  entlfanden  ift.  Mehr  noch  weifen  die  wenigen  der  nicht 
verfchütteten  Gewölbe,  die  an  der  Nordfeite  weltlich  liegen,  auf  die  fpät- 
gothifche  Zeit;  fie  find  als  fpitzbogige  Tonnengewölbe  conftruirt.  An  der 
Weftfeite  fcheint  die  Renaiflance  wenig  dauerhafte  Zufätze  bez.  Reparaturen 
gemacht  zu  haben,  abgefehen  von  den  erft  in  den  letzten  Jahrzehnten  her- 
geftellten  Erneuerungen  grofser  Mauerftücke  in  Porphyrbruchlteinen.  Die 
älteften  Kunftformen,  feiten  noch  an  urtprünglicher  Stelle  aber  zahlreich 
erhalten,  find  aus  der  Blüthezeit  des  romanifchen  Stils  und  find  engagirte 
Säulchen  von  Lifenen  und  Ecken,  Säulen-  und  Pfeilerftücke,  Simfe  u.  f.  w. 
Sie  find  meift  vortrefflich  gearbeitet,  fein  fcharrirt  und  mit  Kantenfchlag 
(Fig.  257)  verfehen.  Gothifche  Ornamente  find  höchft  wenige  aufzufinden, 
einige  fpätgothifche  Confolen  kragen  an  der  Südfeite  vor  und  haben  ver- 
muthlich  pechnafenartige  Ausbauten  getragen. 

Als  gegen  Ende  des  Mittelalters  die  Ritter  von  den  Burgen  herab- 
Ifiegen , um  die  Waffen  mit  den  Büchern  zu  vertaufchen  oder  auch  den 
Ackerbau  zu  pflegen,  wurden  die  Oekonomiegebäude,  deren  es  am  F'ufse 


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488 


DIE  STAU!  HALLE  u.  <1.  SAALKKEIS. 


des  Giebichenfteiner  Felfens  wohl  fchon  feither  gab,  durch  Wall,  Graben 
und  Mauer  gelichert,  ein  Zeichen,  dafs  ihr  Belitz  jetzt  werthvoller  erfchien: 
lie  wurden  auch  1442  maffiv  erbaut,  was  die  älteren,  dem  Fehlen  aller  Refte 
nach  zu  urtheilen,  nicht  waren,  kurz  ihre  Anlage  meldet  an,  dafs  die  rauhe 
Zeit  der  Burgen,  des  Fauftrechts,  der  phyfifchen  Kraft  weicht  der  Zeit  der 
Geiftesüberlegenheit,  des  Rechtsbewufstfeins , der  unbefeftigten  Landhäufer 
und  comfortablen  Stadtwohnungen.  Die  jetzige  Oekonomieanlage  giebt  uns 
auch  das  ungefähre  Bild  der  mittelalterlichen  Anlage,  wenngleich  der  Brand 
im  dreifsigjährigen  Kriege  mancherlei  Zulätze  erfordert  hat.  Der  Graben 
beginnt  an  der  Wellfeite  des  Felfens  gegen  Süden  laufend,  wendet  lieh 
parallel  mit  der  Südfeite  des  Felfens  gegen  Ollen  und  endet  nach  einer 
abermaligen  Wendung  gegen  Norden  an  der  örtlichen  Felfenfeite.  Hinter 


FiR.  257. 


dem  (traben  läuft  der  Mauerring  her,  meiftentheils  llolgebäuden  zugleich 
als  Aufsenmauer  dienend.  Wie  viel  von  den  Gebäuden  der  erften  'Anlage 
angehört,  ift  nicht  fellzuftellen , der  gröfsere  Theil  kann  erft  in  den  letzten 
Jahrzehnten  des  15.  oder  in  den  erften  des  16.  Jahrhunderts  entftanden  fein.  Es 
find  an  ihnen  Backfteingiebel  (Fig.  258)  erhalten,  welche  die  Formen  der  diefer 
Zeit  zu  Halle  beliebten  Zierweife  haben , nämlich  halblleinftarke  Blendarka- 
turen,  die,  in  maafswerkartige  Verfchlingungen  übergehend,  die  Giebelfläche 
bedecken.  Beachtenswerth  ift  der  gegen  Süden  gerichtete  Giebel  der  Well- 
feite. Aus  der  Ringmauer  treten  verfchiedene  Schalen  hervor.  An  der  Wellfeite 
eine  folche,  die  fall  einen  runden  felbllftändigen  Thurm  bildet.  Eine  andere  liegt 
unmittelbar  an  der  Südweftecke  gegen  Wellen.  Ihr  Grundriss  ift  auch  kein 
Halbkreis,  fondern  überhöht.  Aehnlich  ift  eine  Schale  an  der  langen  Süd- 
feite. Die  Südoftecke  wird  von  einem  runden  Thurme  verftärkt,  der  oben 
eine  pechnafenartige  Verzierung  hat  und  zwar  fo,  dafs  lieh  zwifchen  vorge- 
kragten Confolen  Bogen  fpannen,  eine  allerdings  reizend  wirkende,  aber 
nutzlofe  Zuthat.  An  der  Oftfeite,  an  welcher  füdlich  zu  Anfang  des  >8.  Jahr- 
hunderts das  jetzt  noch  flehende  Gebäude  als  Wohnhaus  und  zu  Amts- 
zwecken erbaut  worden  ift,  liegt  der  auf  einer  Brücke  über  den  Graben  er- 
reichbare Eingang  und  unmittelbar  nördlich  neben  ihm  eine  im  Grundrifs 


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G1EH1CMKNS  IRIN. 


48g 


übwhöhte  halbkreisförmige  Schale.  Die  ganze  Ringmauer  ift  in  nicht  be- 
fonders  gutem  Bruch  [feinmauer  werk  ausgeführt,  fie  wird  von  vielfach  noch 
wohl  erhaltenen  Schiefsfeharten  durchbrochen.  Die  Scharten  im  Wellen 
unweit  des  Anfchlufses  der  Mauer  an  den  Reifen  lind  ungewöhnlich  breit 


Fig  258. 


liackfteingiebel. 


zu  ihrer  Höhe  und  haben  im  Scheitel  der  flachbogigen  Ueberdeckung  fowie 
an  deren  Kämpfern  durch  je  eine  halbvermauerte  Steinkugel  einen  Schmuck 
erhalten.  Diefe  Scharten  find  wohl  erd  im  dreifsigjährigen  Kriege  angelegt. 
Die  übrigen  Schiefsfeharten  haben  die  fpätmittelalterliche  Form  einer 
iOeffnung,  die  in  der  MauerHucht  liegt,  und  lind  einfach  im  Mauerwerk  aus- 
gefpart,  feltener  als  ein  mit  folcher  Oeffnung  durchbrochener  Stein  eingefetzt. 


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49° 


DIE  STADT  HALLE  11.  d.  SAALKREIS. 


Bevor  wir  in  den  Hof  eintreten  fei  noch  auf  eine  Statue  auftnerkfam  ge- 
macht, welche  man  auf  einer  Confole  in  der  Schale  neben  dem  Eingänge 
erblickt.  Sie  ill  faß  frei  gearbeitet,  hat  etwas  mehr  als  halbe  Lebensgröfse 
und  ließt  einen  geharnifchten  Ritter  dar,  welcher  in  der  Linken  ein  Wappen 
hält,  während  feine  Rechte  fich  derart  erhebt  als  habe  fie  eine  Fahnenftange 
gehalten,  von  welcher  allerdings  nichts  mehr  zu  fehen  iß.  Soll  diefe  Figur 
vielleicht  den  h.  Moritz  vorßellen?  Sie  iß  ßellenweife  ßark  verwittert, 
namentlich  Confole  und  Baldachin ; die  Arbeit  iß  jedoch  gut,  die  Proportionen 
find  richtig,  die  Haltung  iß  natürlich  und  gefällig,  man  ahnt  die  nahende 
Renaifiance.  Die  Gebäude  auf  dem  Hofe  find  den  fpätem  Zwecken  ent- 
fprechend  verändert  und  bieten  daher  kaum  Beachtungswerthes.  Wir  er- 
wähnen, dafs  rechts  am  Eingänge  feit  dem  Anfänge  des  18.  Jahrhunderts 
die  Wohnung  eines  Lanzknechtes  und  Gefängniffe  zugleich  mit  dem  langen 
Gebäude  links  vom  Eingänge  hergeßellt  waren,  dafs  die  Gebäude  füdlich 
der  Landwirthfchaft  dienten  und  dafs  die  im  Weßen  gelegene  Kapelle  zu 
einem  Btauhaufe  eingerichtet  gewefen  iß.  Diefe  Kapelle  war  der  h.  Marga- 
retha geweiht  und  Toll  bereits  von  dem  Erzbifchofe  Adelgotus  erbaut  und 
dem  Kloßer  zum  Neuen  Werke  bei  Halle  incorporirt  fein.  1341  iß  fie  mit 
der  Dorfkirche  vereinigt  worden.  Alle  diefe  Gebäude  find  jetzt  baulich 
unbedeutend.  Dagegen  verdient  das  Bauwerk  Erwähnung,  auf  welches  man 
in  der  Achfe  des  Einganges  ßöfst.  Es  liegt  von  Norden  nach  Süden  ge- 
ßreckt  frei  auf  dem  Hofe,  iß  maffiv  zweigefchoffig  mit  hohem  Dache  und 
Treppengiebeln  erbaut  und  dient  unten  als  Pferdeßall , oben  als  Speicher. 
Zum  Einbringen  des  Kornes  bemerkt  man  denn  auch  an  der  Giebelwand 
fchlicbte  fpitzbogige  nicht  axial  über  einander  liegende  Oeffnungen.  unter 
denfelben  Confolen  und  über  ihnen  Balken  zur  Anbringung  der  Winde. 
Der  Giebel  hat  Nifchen,  die  Anfänge  der  fpäter  beliebten  Verzierungen  in 
Backßein,  wie  fofche  die  Gebäude  in  Süden  und  Weßen  haben.  Auch  ein 
nachfcharrirtes  Wappen  befindet  fich  in  dem  Nordgiebel.  Auf  der  unterßen 
Giebelabtreppung  gegen  Oßen  ßeht  eine  verwitterte  kleine  Figur,  die  nicht 
mehr  erkennbar  iß.  Das  beachtenswertheße  Stück  am  Gebäude  iß  ein 
gegen  Oßen  an  der  Nordoßecke  befindliches  Wappen.  Es  iß  arcbi- 
tektonifch  umrahmt,  indem  von  einer  Fiale  jederfeits  fich  der  Schenkel 
eines  Efelrückenbogens  erhebt  und  das  eingerahmte  Wappenfeld  oben  ab- 
fchliefst,  während  zwei  andere  Schenkel  jene  derartig  durchkreuzen,  dafs  eine 
maafswerkartige  Durchdringung  architektonifcher  Glieder  entlieht  und  das 
Ganze  nach  oben  abfchliefrt.  Unter  diefer  Wappenarchitektur  iß  ein  Stein  mit 
folgender  flach  reliefirter  Inschrift  in  spätgothischer  Minuskel  eingelaflen: 

Abi«  Domini  Hl  treu  lixitr  Sab  | Hrorrenbiffimo  ii  rrifl«  pa  | trr  t( 
Öomino  Domino  3«ljannr  sanrtr  l fflagferbargrnfi»  rrrlrlr  p«iti  | Cer  €«mi!f 
Palatino  flrni  rt  Pitt  Banarir  Domas  ipt  in  1 d)«ata  rl  frria  frtiula  pol 
flunümoöo  | grniti  rt  in  rate«  rfatr  frliritrr  t«afnmma  \ ta. 

Das  Dorf  Giebichenstein  hat  natürlich  Namen  und  Entßehung  von  der 
Burg  bez.  von  dem  Gute,  aber  erß  unfer  Jahrhundert  und  befonders  die 
letzten  Jahrzehnte  haben  ihm  feine  grofse  Einwohnerzahl  gegeben.  Die 


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G1EBICH  ENSTEIN. 


491 


Kirche  liegt  auf  einem  Hügel  gegen  Ollen.  Sie  ift  urfprünglich  eine 
romanifche  Anlage  gewefen,  wie  man  an  dem  Gemäuer  der  untern  Thurm- 
partien, die  noch  aus  jener  Zeit  Hammen,  erkennt.  Um  die  Mitte  des 
18.  Jahrhunderts  ift  fie  neu  gebaut.  Sie  war  dem  h.  Bartholomaeus  geweiht 
und  wurde  1341  dem  Klolter  zum  Neuen  Werke  incorporirt,  welches  dafür 
das  Patronatsrecht  über  die  Kirche  zu  Werben  dem  Erzbifchof  Otto  über- 
liefs.  In  diefem  Jahre  wurde  auch  die  Margarethenkapelle  der  Burg  mit 
der  Dortkirche  verfchmolzen.  Das  jetzige  barocke  Kirchengebäude  bildet 


Kig.  359. 


Taufftein  der  Dorfkirche. 


ohne  den  Thurm  ein  fall  gleichfchenkeliges  Kreuz  von  complicirter  Form, 
es  ift  eine  dem  proteftantifchen  Gottesdienfte  angepafste  Centralanlage.  Der 
Bau,  obwohl  nur  mit  geringen  Mitteln  in  geputzten  Bruchfteingemäuer  mit 
Thür  und  Fenflergewänden  von  Sandftein  aufgeführt,  würde,  wenn  ftatt  des 
romanifchen  Thurmes  ein  barocker  zugefugt  wäre,  welcher  der  übrigen 
Architektur  entfpräche,  ohne  Frage  ein  recht  gefälliges  Ausfehen  darbieten. 
Das  Kircheninnere  mit  feinen  hölzernen  Emporen  über  Kirchftübchen  zu 
ebener  Erde  und  namentlich  die  Chorpartie  mit  dem  Altäre  und  der  über 


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,|Q2 


PIE  STAD!  HALLE  u.  d.  SAALKKEIS. 


» 


folchem  gelegenen  Kanzel,  alles  in  üppigem  Barock  von  gefälliger  Holz- 
arbeit durchgebildet,  wirkt  nicht  ungünftig  und  giebt  ein  brauchbare* 
Studienmaterial  über  proteftantifche  Kircheneinrichtung.  Der  mitten  in  der 


Fig.  260. 


Grab  dein  an  der  Dorfkirche. 

Kirche  flehende  Taufftein  ift  romanifch  oder  in  der  Uebergangszeit  gemacht 
jedoch  abfeharrirt.  Wir  geben  feiner  originellen  und  reichen  Compofition 
wegen  in  Fig.  25g  eine  Skizze  von  ihm.  Das  meflingene  Taufbecken  hat 


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GIKBICHKNSTKIN. 


4« 


mitten  die  Darftellung  Adams  und  Evas  am  verbotenen  Baume,  um  die  lieh 
eine  unleferliche  Minuskelfchrilt  und  ein  fpätgothifcher  Blätterkranz  zieht. 


Kig.  261. 


Nicht  eigentlich  zur  Kirche  gehören  die  an  der  Nordfeite  befindlichen  Grab- 
Iteine.  Der  an  der  Nordoftecke  des  Querfchiffes  ifl  der  ältefte.  Sein 
Relief,  delfen  Hintergrund  hinter  der  Vorderfiäche  der  Platte  vertieft  liegt. 
Heilt  einen  geharnifchten  Ritter  mit  einem  Schwerte  in  der  Linken  und 
einem  Wappenfchilde,  das  einen  Mönch  (?)  zeigt,  in  der  Rechten  dar.  Ein 


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494 


DIE  STADT  HAIXE  u.  d.  SAALKKEIS. 


Efelsrückenbogen  mit  Nafen,  Krabben  und  Kreuzblumen  umrahmt  diefes 
fehr  roh  gearbeitete  und  aufgefafste  Relief,  während  folgende  Infchritt  in 
vertieften  und  mit  Maftix  gefüllten  (theilweife  noch  erhalten)  Minuskeln  ah 
rechtwinkliges  Band  umläuft: 

aiao  ftiBini  1 m ■ tat  ■ Ixxim  uf  (nontag  nat)  S«iif»rii  ist  »rr 

tirrman  S«t(  Dm  gut  giftig  »ei 

Diefe  Infchrift  mülTen  wir  theilweife  nach  von  Dreyhaupt’s  Angabe  geben, 
da  fie  verbauet  und  verwetten  ift  big.  260.  Ein  zweiter  Stein  über  der 
Thür  am  Chor  flellt  einen  Gelehrten  (oder  Bürger?)  mit  einem  Buche  in 
Relief  vor,  die  Infchrift  und  das  an  fich  nicht  bedeutende  Relief  find  Hark 
verwittert.  Am  beiten  hat  fich  ein  drittes  Relief  auf  wenig  vertieftem 
Grunde  erhalten,  welches  an  der  nordweitlichen  Kirchenecke  eingelaOTen 
ift  Fig.  261.  Die  Mitte  nimmt  ein  geharnifchter  Ritter  mit  Schwert  und 
Dolch  ein;  der  Helm  lieht  zu  feinen  Füfsen.  In  jeder  Ecke  ift  ein  reliefirtes 
Wappen.  Als  Umfchrift  lieft  man: 

ANNO  : 1560  DE  III  - OCTO  : STARB  • ZV  • HALLE  . DER  GE- 
STRENG   VND  EI-REN  • WESTE  ■ LEONHART  • KOTZE  • 

DER  • HIE  BEGRABEN  IST  DEM  — - - . (GOT  GNADE)  • 

Die  Glocke  von  0,63”  Durchmefter  hat  eine  längliche  Form  und  ift 
aufser  zwei  Schnüren  oben  ohne  jeden  Zierrath;  fie  wird  dem  13.  Jahr- 
hundert angehören.  Die  Glocke  von  0,59"  Durchmefter  ift  von  gefälliger 
Form  und  hat  oben  diefe  Lapidarinfchrift: 

SIT  NOMEN  DOMINI  BENEDICTVM  EX  HOC  NVNC  1521. 

Die  Glocke  von  1.36“  Durchmefter  hat 

anno  MDCCXLVII  FRIDERICH  AVGVST  BECKER  GOSS 
MICH  IN  HALLE 

als  Auffchrift,  aufserdem  oben  den  Spruch: 

Lobet  den  Herrn  in  seinem  Heiligthum,  Lobet  ihn  mit  hellen 
Cymbeln,  Lobet  ihn  mit  wohlklingenden  Cymbeln  Haleluja  Ps.  150. 

Die  Glocke  von  1,0“  Durchmefter  befagt  in  ihrer  übrigens  intereffe- 
lofen  Infchrift: 

haec  campana  ea  veteri  restaurata  a Gottl.  Gusta.  Beckero  anno 
MDCCLXXXVIII. 

Gimritz  (bei  Wettin). 

Pfarrkirchdorf,  10,5  km  nordweftlich  von  Halle  gelegen , hat  in  den 
ältpften  Zeiten  Preternick  geheifsen , fpäter  Gömmeritz , Gimmeritz.  Es  be- 
händ aus  vierTheilen:  Langendorf  Eidlich,  Gömritz  inmitten,  Nofteiitz  nörd- 
lich. in  ihm  die  Kirche  auf  einem  Berge  gelegen , und  dem  Dorf  Kaunit/, 


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GIEBICHENSTEIN.  GIMRITZ  (bei  WETTIX).  GÖRBITZ. 


495 


welches  auch  jetzt  noch  befteht.  Bis  zum  13.  Jahrhundert  hat  das  nachmals 
ausgeftorbene  Gefchlecht  derer  von  Preternick  Gimritz  befefTen  und  es  dann  an 
das  Merfeburger  Domcapitel  verkauft,  von  dem  es  1307  an  das  Mcritzklofler 
zu  Halle  käuflich  überging.1  Die  jetzige  Kirche,  die  auf  dem  Felfen  nörd- 
lich im  Dorfe  malerifch  liegt,  ift  neu  in  romanifirenden  Formen  von  Bruch- 
lleinen  1847  erbaut,  wahrfcheinlich  an  der  Stelle  der  alten,  die  dem  h.  Georg 
zu  Ehre  1483  errichtet  war.  Aus  letzterer  hat  fleh  die  Mittelpartie  des 
Altarfchreines  erhalten,  die  mitten  einen  Crucifixus  zeigt , neben  dem  links 
Johannes  und  rechts  der  h.  Cardinal  Hieronymus  fleht.  Der  Körper  Chrifti 
ill  von  eigenthümlichen,  geftreckten  Verhältniflen.  An  den  Kreuzenden 
find  auf  vierfeitigen  Tafeln  die  Symbole  der  vier  Evangeliften  mit  den  aut 
Spruchbändern  flehenden  Namen  diefer  angebracht  und  zwar  in  einfacher, 
aberhöchft  gefchickter  Conturenzeichnung.  Oben  ift  der  Engel  des  Matthäus, 
links  der  Löwe  des  Marcus,  rechts  der  Adler  des  Johannes  und  unten  das 
Opferrind  des  Lucas.  Die  gefchnitzte  Statue  des  Johannes  links  neben  dem 
Kreuze  ift  wie  gewöhnlich  mit  ftarkem  Haar  und  den  Kelch  haltend  dar- 
iteftellt.  Hieronymus  hat  den  galerus  ruber  auf  dem  Kopfe  und  ift  mit  der 
rothen Sutane  bekleidet;  an  ihm  auf  fpringt  ein  Löwe,  fein  Attribut.  Unten 
am  Schreine  ftanden  die  Namen  von  2 (?)  Heiligen.  Diefe  Figuren  find  mit 
grofsem  Gefchick  gefchnitzt;  die  Gelichter  find  fiehr  ausdrucksvoll,  die  Ge- 
wandung ift  auffällig  ftark  bewegt , fodafs  eine  grofse  Sicherheit  in  der 
Holzbearbeitung  dem  Künftler  eigen  gewefen  ift.  Diefer  Schrein  weicht  in 
der  Auffaffung  und  Verfertigung  von  den  übrigen  des  Kreifes  ab.  Eine 
fpätgothifche  Truhe,  Gotteskaften,  im  Thurm  hinter  der  Orgel  ift  von  Eichen- 
holz ohne  befondere  Kunftformen  hergeftellt;  nur  die  ftarken  Befchläge 
endigen  in  Thierköpten  unbeftimmbarer  Art.  Die  Glocke  von  1,13"  Durch- 
melTer  hat  die  Majuskelumfchrift; 

sit  TempesxÄTvm  für  me  eeevs  omi?e  nvGÄTvm 

darunter  A &>.  Sie  gehört  der  Mitte  des  14.  Jahrhunderts  an.  Die  Glocke 
von  0,58“  Durchmeffer  hat  eine  längliche  Form,  ift  ohne  Infchrift  und 
Reiten,  fie  fcheint  dem  Anfänge  des  13.  Jahrhunderts  anzugehören. 

Die  Glocke  von  (fchätzungsweife,  da  fie  nicht  zugängig  ift)  0.75“  Durch- 
melfer  hat  eine  breite  F'orm  und  eine  Minuskelumfchrift;  fie  gehört  alfo 
wohl  dem  15.  Jahrhundert  an. 


Görbitz. 

Kirchdorf,  Filial  von  Sylbitz , 1 1 km  nordweftlich  von  Halle.  Die 
Kirche  liegt  örtlich  vom  Dorfe,  hat  einen  geraden  Chorfchlufs  und  keinen 
Thurm.  Auf  dem  Oftgiebel  fieht  man  das  in  F'ig.  262  dargeftellte  Steinkreuz. 


1 von  Dreyhaupt  11,901  erwähnt  eine  wüfte  Stätte,  Bruterling  genannt  und  auf  den 
Felfen  nach  Wettin  2U  gelegen,  wo  lieh  noch  die  Rede  eines  „Schlofses,  Kirche  und  Dorfes, 
*ovon  noch  etwas  von  einem  Altäre  zu  fpiircn“  befunden  hätten;  auch  Hünengräber,  in  Klee* 
M*ttfonn  angelegt,  erwähnt  er. 


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dir  Stadt  halle  u.  d.  saalkreis. 


496 


Das  Gebäude,  wohl  das  unlcheinbarlle  aller  altem  Kirchen  des  Kreifes. 
dürfte  fpäteftens  in  der  frühgothifchen  Zeit  entftanden  fein.  Die  menfa  des 
Alt  ires  hat  ein  leeres  sepulchrum.  Der  AltarautTatz  ift  in  Rococoformen 
ausgeführt,  hat  feine  Verhältnilfe  und  gute  Einzelheiten,  doch  ift  alles  weifs 


Fig.  262. 


angeftrichen.  Die  Kanzel  von  1692  fotvie  der  Sitz  des  Predigers  find  noch 
gut  gearbeitet.  Die  Glocke  von  0.54"  DurchinefTer  hat  oben  verfchiedene 
Medaillonreliefs,  Wappen  und  die  vier  livangeliften  (?)  darftellend;  fie  ent- 
ftammt  wohl  dem  linde  des  13.  Jahrhunderts.  Die  Infchrift  der  Glocke  von 
0.03"  DurchmefTer  befagt: 

1602  goss  mich  Johann  Lorentz  Richter  in  Halle. 

Grosskugcl. 

Pfarrkirchdorf,  13  km  füdöftlich  von  Halle,  unweit  der  fachfifchen 
Grenze,  bei  deren  Regulirung  1558  ein* Stein  mit  einem  Crucifixus  hinter 
dem  Dorfe  aufgeftellt  worden  ift.  1683,  1718,  1720  und  1743  hat  das  Dort 
von  bedeutenden  Bränden  zu  leiden  gehabt.  Die  Kirche,  dem  h.  Moritz 
geweiht,  liegt  im  Dorfe;  fie  ift  ein  etwa  vor  einem  Jahrhundert  entftandenes 
ganz  bedeutungslofes  Gebäude,  delTen  Thurm  1856  ganz  neu  aufgeführt  ift. 
Die  Kirche  befitzt  einen  Kelch,  defien  Infchrift  an  der  Cuppa  heifst: 

Sanguis  Jesu  Christi,  fily  dei  emundat  nos  ab  omni  peccato  1664; 

aufserdem  fteht  dort  ein  Wappen  mit  der  Umfchrift:  Carl  von  Dieskau. 
An  den  Noduszapfen  lieft  man:  IEHSVS;  am  äufserften  Fufsrande : 

M PAVL  CHRISTIAN  SPIEGEL 

und  darüber  fteht  das  Wappen  diefes  Verfertigers. 

Die  Glocke  von  0,38“  DurchmefTer  und  0,40"  Höhe  fcheint  fpäteftens 
zu  Beginn  des  13.  Jahrhunderts  gegoffen  zu  fein.  Eine  Infchrift,  fowie  eine 


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GÖRBITZ.  GKOSSKUGEL.  GITENBEKG. 


•w 


Verzierung  durch  Bändchen  fehlen  ihr,  die  Krone  ift  jetzt  abgebrochen. 
Iig.  203.  Di*-  Glocke  von  9.63“  DurchmefTer  ill  auch  ohne  Infchrift,  lie  hat 
'•ine  hüblche.  fchlanke  Form  und  mag'  ebenfalls  dem 
13.  Jahrhundert  angehören.  Die  Glocke  von  i,n“Durch- 
meder  ill  1800  von  G.  Becker  in  Halle  gegolTen  und  hat 
• ine  gute  Form,  ähnlich  der  in  der  bellen  RenailTancezeit 
üblichen. 

Gutenberg. 

Pfarrkirchdorf  und  Rittergut,  6 km  nördlich  von 
Halle,  an  der  Götfche  gelegen.  Die  Befitzerreihe  des  Guts 
findet  man  bei  von  Dreyhaupt  11,904  um!  905  angegeben* 
wir  erwähnen  nur,  dafs  1209  ein  I.udolfus  de  Godenberg 
und  1219  eben  derfelbe  aber  de  Gutenberch  genannt  wird. 

1376  ill  das  Gefchlecht  ausgeltorben.  Die  Kirche  S.  Nicolai  (Fig.  264)  liegt  ört- 
lich auf  einem  Berge  und  ill  eine  der  wenigen  gothifchen  Kirchen  des  K reifes. 


Fig.  265. 


Thürflügel. 


wenn  nicht  eine  durchgreifende  Umgeflaltung  eines  anfänglich  romanifehen 
Bauwerkes  vorliegt.  Der  Thurm,  in  der  Richtung  von  Norden  nach  Süden 
B.  D.  d.  Bau-  u.  Kuustd.  N,  K.  !.  34 


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498 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


Fif>.  264. 


Aeufscrcs  der  Kirche. 


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GUTENI1ERG.  HOHEN  EDLAU.  HOHENTHURM. 


49Q 


breiter  als  von  Ollen  nach  Wellen,  hat  ein  reguläres  Satteldach  mit 
fchlankem , achtfeitigen  Dachreiter  auf  der  Mitte  und  mit  Steinkreuzen  von 
gleicharmiger  Form  aut  den  Giebel fpitzen.  Es  fällt  auf,  dafs  das  Dach  des 
Schiffes  noch  ein  Stück  in  das  des  Thurmes  einfehneidet.  Das  mit  drei 
Seiten  ölilich  fchliefsende  Schiff  hat  noch  fchlanke,  rundbogige  Fenller; 
vielleicht  find  romanifche  Werkllücke  hier  unverändert  wieder  eingefetzt. 
Der  fpitzbogige  Eingang  liegt  an  der  Südfeite  und  hat  einen  flark  be- 
fchlagenen  Thürflügel.  Zwei  Bänder,  welche  jederfeits  zu  drei  paarweife 
geordneten,  dreiblättrigen  Aeflen  roh  ausgefchmiedet  find,  gehören  der 
ifpät?)  gothifchen  Zeit  an  Fig.  265.  Der  Altarauffatz  hat  zwei  Bilder  von 
l.ucas  Cranach.  die  freilich  als  folche  kaum  erkennbar  find.  Sie  Hellen 
Luther  und  Melanchthon  dar.  Uebrigens  ill  der  Altar  barock  und  hat 
modei  ne  Holzfiguren.  Nördlich  in  der  Apfis  befindet  fich  ein  Grabllein  von 
1565.  auf  dem  ein  geharnifchter  Ritter,  Albrecht  Hacke,  mit  einem  Crucifixe 
in  Relief  dargellellt  ill.  Die  Arbeit  ill  fehr  gut,  befonders  auch  die  Be- 
handlung des  Nackten  am  Körper  C'hrifli. 

Die  Glocke  von  0,90“  DurchmelTer  ill  ohne  Infchrift;  fie  wird  in  das 
13.  Jahrhundert  gefetzt  werden  müffen,  Die  Glocke  von  0,35”  DurchmelTer 
hat  verfchiedene  Medaillons  als  Zierrathe  und  wird  kaum  jünger  als  die 
genannte  fein.  Die  Glocke  von  1,05““  DurchmelTer  ill  1832  von  F'r.  Meyer 
in  Eisleben  erneuert.  Die  Glocke,  welche  als  Schlagglocke  im  Dachreiter 
hängt  ill  nicht  zu  erreichen,  fie  hat  etwa  0,35“  DurchmelTer. 

Hohen  cdlau.1 

Kirchdorf.  Filial  von  Mitteledlau,  21  km  nordwelllich  von  Halle  gelegen, 
gehörte  dem  Stifte  S.  Nicolai  zu  Magdeburg.  Die  ölilich  vor  dem  Dorfe 
gelegene  Kirche  hat  den  Thurm  mit  einer  Apfis  in  Ollen.  In  der  Giebel- 
fpitze  der  einfachen  Wellwand  lieht  innen  1750.  Die  Tpitzbogigen  Fenller 
in  Thurm  und  Schiff  gehören  auch  erd  letztgenanntem  Jahre  an.  Am 
Gellühl  im  Thurm  lieft  man  die  Jahreszahl  1674.  Die  drei  Glocken  von  1,0“, 
0.80“  und  0,65“  DurchmelTer  hat  infchriftlich  Joh.  Heinrich  Ulrich  in 
Laucha  1833  umgegossen. 


Hohenthurm. 

Pfarrkirchdorf  und  Rittergut,  9 km  ölilich  von  Halle  an  der  Bahn  nach 
Berlin  gelegen,  ill  mit  Rofenfeld  vereinigt.  Es  hat  vermuthlich  nach  dem  auch 
jetzt  noch  hohen  bez.  hoch  gelegenen  Thurme  auf  dem  Gutshofe  feinen  Namen 
erhalten.  1272  „vereignete  M.  Dietrich  zu  Landsberg“  einige  Grundftücke  zu 
Hohenthurm  an  das  Nonnenklofter  S.  Georgen  zu  Glaucha  (Doc.  242  bei 
von  Dreyhaupt  I,  815.)  Das  Schlofs  hat  in  den  ältellen  Zeiten  zu  Lands- 
berg im  Delitzfcher  Kreife  gehört  und  feine  Befitzer  find  Landsberger 


1 Die  drei  Edlau  find  zuvor  ftets  Etlau  gcfchriebcn.  Nach  der  willkürlichen  Erklärung 
riaes  Pfarrers  (?)  edle  Au  findet  in  neuer  Zeit  die  veränderte  Schreibweife  Edlau  ftatt. 

33* 


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500 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKKE1S. 


Burgmänner  gewefen.  Im  Chronicon  montis  sereni  wird  als  minifteriali- 
Landsbergenfis  ein  Hermannus  de  Rofinfeld  genannt,  der  alfo  das  Gut  in 
Rofenfeld  gehabt  haben  wird,  während  der  letzte  Belitzer  von  Hohenthurm 
Hans  von  Hoen  Tome  1585  das  Gut  von  dem  Erzbifchole  Albrecht  zu  Lehn 
erhalten  hat.  Die  fpäteren  Belitzer  giebt  von  Dreyhaupt  II,  goö  an.  Da- 
Dorf  hat  am  8.  October  1003,  am  28.  April  1O83  und  im  Jahre  1686  grofsen 
F'euerfchaden  erlitten.  Die  Kirche  über  welche  das  Patronatsrecht  bei  dem 
Gute  lieht,  liegt  hoch  örtlich  an  dem  Felfen,  welchen  das  Gut  einnimm:, 
und  ihreWeftfeite  hat  ohne  Zweitel  mit  der  romanifchen  Burg  (Kemenate)  in 
Verbindung  geftanden.  Darauf  weifen  verfchiedene  romanifche  Thürgewände- 
refte  in  der  Wellwand  hin.  Die  Kirchenanlage  gehört  in  die  Zeit  des  ent- 
wickelten romanifchen  Stils;  an  das  Schiff  fchliefst  fich  ein  Altarrauin  von 
geringerer  Breite  und  mit  einer  Aplis.  I111  Thurme  hat  fich  nur  eine  von 
den  die  Schalllöcher  theilenden  Säu'ichen  erhalten,  deren  Capital  unkenntlich 


ift ; die  Barts  hat  Eckblätter.  Ein  Thurmportal  auf  der  Nordseite  ist  durch  ein 
engagirtes  Säulchen  mit  ungewöhnlicher  Capitälform  Fig.  260  ausgebildet ; 
ebenso  auffällig  geformt  ist  das  Kämpferprofil  am  Bogen  der  Apsis  P'ig.  207. 
Auf  dem  Kirchenboden  liegen  die  Holzrefte  des  ehemaligen  Altares;  der  in 
guter  fchwungvoller  Renaiffancearbeit  ausgeführt  fpäteftens  in  den  erften  Jahr- 
zehnten des  17.  Jahrh.  entftanden  fein  mufs.  An  einer  feinrr  Confolen  fleht 

D.  V.  GERMER.  SCHLEBEN. 

Die  Glocke  von  0,5g“  Durchmeffer  hat  eine  längliche  Form  und  ill 
ohne  Infchrift,  nur  hat  fie  unten  zwei  Harke  Reifen.  Ich  vermuthe,  dafs  fie 
erft  im  17.  Jahrhundert  entftanden  ift,  doch  ift  darüber  GowilTes  nicht  zu 
Tagen.  Die  Glocke  von  1.30"  Durchmeffer  ift  1860,  die  von  1,05"  Durch- 
meffer ift  1862  von  Gotthilf  Groffe  in  Dresden  umgegoffen. 

Zur  Kirche  gehört  auch  der  fpätgothiTche  Altarfchrein , welcher  lieh 
jetzt  auf  dem  Schlöffe  in  Befitze  der  Freifrau  von  Wuthenau  befindet.  Es 


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HOHKNTHVRM. 


5°' 


Ein^anj'sthür. 


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502 


DIE  STADT  HALLE;  u.  d.  SAALKREIS. 


iß  ein  Triptychon,  delTen  Flügel  äufserüch  in  Temperafarben,  der  eine  mit 
der  Figur  des  h.  Chrißoph  (?),  der  andere  mit  der  des  h.  Andreas,  an  dem 
fchrägen  Kreuze  kenntlich,  bemalt  find.  Der  Schrein  enthält  die  gefchnitzte 
Figur  der  Maria,  neben  welcher  der  h.  Moritz  und  der  h.  Georg,  kenntlich 
an  einem  Lindwurm,  liehen  und  in  den  Flügeln  die  iz  Apollei.  Die  Arbeit 
ill  gut  (Maria  hat  die  Slinienhaltung)  auch  die  VerhältnilTe  der  Körper- 
formen find  nicht  übel,  befonders  aber  ill  der  Gefichtsausdruck  bei  allen  be- 
merkenswerth.  Ebenfalls  aus  der  Kirche  llammt  das  im  Befitze  der  Frau 
von  Wuthenau  befindliche  in  Ilolz  gearbeitete  Hochrelief  eines  Epitaphium- 
mittelbildes. F.in  Ritter  kniet  betend  vor  einem  Crucifixe,  in  welchem  man 
in  einer  Landfchaft  eine  architektonifch  intereffante  Stadt  lieht.  Diefe> 
Stück  ill  nicht  minder  in  der  Compofition  als  auch  in  der  Ausführung,  nament- 
lich auch  was  den  Gefichtsausdruck  der  Figuren  anbelangt,  vortrefflich. 

Auf  dem  Gutshofe  ifl  baulich  nur  der  runde  Thurm  unweit  der  Weil- 
feite  der  Kirche  auf  dem  Porphyrfelfen  gelegen  und  von  grofsen  Porphyr- 
Rücken  erbaut,  beachtenswerth.  Es  iß  der  feße  Zufluchtsort  der  Befitzer 
Hohenthurm’s  in  den  älteßen  Zeiten  gewefen.  ln  der  Anlage  iß  er  dem  zu 
Krofigk  (f.  weiter  unten)  fehr  ähnlich,  jedoch  fcheinbar  in  einem  Guffe  ent- 
ßanden  und  zwar  vermuthlich  gleichzeitig  mit  der  Kirche.  Die  Treppe  iß  in 
dem  Mauerwerke  ausgefpart.  Man  gelangt  in  einen  runden  Raum,  der  mit 
einem  in  Spitzbögen  von  der  Mitte  aus  fächerförmig  gebildeten  Gewölbe  über- 
fpannt  iß.  Die  Ausbildung  der  mehrere  Meter  hochgelegenen  Eingangsthür 
veranfchaulicht  Fig.  268.  Die  wagerechte  Ueberdeckung  der  Thür  durch  einen 
Sturz  mit  dem  Profile  des  Gewändes,  fowie  die  Form  diefes  mit  Rofetten  ge- 
zierten Gewändes  find  die  Kennzeichen  eines  entwickelten  romanifchen  Stil- 


Kaltenmark. 

Kirchdorf,  F'ilial  von  Krofigk,  14  km  nördlich  von  Halle  gelegen. 
Das  Dorf  hat  wahrfcheinlich  feinen  Namen  daher  bekommen,  dafs  hier  eine 
Grenzfcheide  des  Klimas  ßattfindet;  die  nördlich  vom  Petersberge  bis 
Kaltenmark  gelegene  Gegend  foll,  weil  fie  tiefer  liegt  als  die  von  Kalten- 
mark ab  nördlich  gelegene,  wärmer  fein  als  jene.  Die  ziemlich  zerfallene 
Kirche  iß  eine  romanifche  Anlage.  Thurm  und  Altarraum  find  fchmäler 
als  das  Schiff.  Der  Altarraum  gehört,  wie  fich  aus  feinem  Mauerwerk  und 
einem  Backßeingefimfe  ergiebt,  dem  16.  Jahrhundert  an,  fleht  aber  wenigßens 
theilweife  auf  dem  Fundamente  eines  romanifchen  Sancturiums.  Das  alte 
Portal  lag  an  der  Südfeite;  einige  romanifche  F'enßerreße  befinden  fich  am 
Thurm,  übrigens  iß  der  Bau  ohne  Bedeutung. 

Die  Glocke  von  1,02“  Durchmeffer  iß  vom  Jahre  nT  cccc  . Die  Glocke 
von  0,73”  Durchmeffer  hat  1700  Johann  Jacob  Hoffmann  gegoffen. 


Kirchedlau. 

Pfarrkirchdorf,  23  km  nordweßlich  von  Halle  gelegen,  iß  in  alten 
Documenten  Otteleve,  Ottelau  genannt  und  hat  anfangs  zur  Graffchaft 


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HOHEKTHl'KU.  KAt.THNM.VKK.  KIKCHKOLAU.  KKOSIGK. 


5«3 


Alslebcn  gehört,  von  welcher  es  durch  Kauf  an  die  von  Ammendorf  zu 
Rothenburg  übergegangen  id.  Die  Kirche  liegt  im  Dorfe  und  ill  1714  neu 
gebaut  mit  oblong  rechtwinkligem  Grundrifs.  Der  Altarfchrein  fcheint  den 
erflen  Jahrzehnten  des  16.  Jahrhunderts  anzugehören.  Es  id  ein  Triptychon, 
in  defTen  Flügel  links  folgende  Figuren  dehen:  oben  ein  Heiliger  mit  Buch 
und  Schwert,  ein  Bifchof  mit  einem  Buche,  der  h.  Nicolaus  als  Bifchof  mit 
Broten  auf  einem  Buche;  unten:  ein  Diacon  mit  einem  Felsgedein  (Pantaleon?) 
ein  Bifchof  mit  einem  Kelche  (Norbert?),  ein  Heiliger,  jetzt  ohne  Attribut;  im 
Schreine  deht  ein  Bifchof  (?).  dann  Maria  mit  dem  Kinde,  dem  fie  eine  Traube 
hinhält  und  der  h.  Moritz;  im  Flügel  rechts  fieht  man  oben:  Elifabeth  mit 
einem  Korbe,  eine  Heilige  in  Nonnentracht  ohne  Attribut,  die  h.  I.ucia  mit 
einem  Buche,  auf  dem  zwei  Augen  find,  unten:  Katharina  mit  dem  zer- 
brochenen Rade,  Anna  felbdritt  und  Barbara  mit  einem  Kelche.  Die  Rück- 
feite des  erdgenannten  Flügels  hat  oben  das  Temperabild,  die  Dornen- 
krönung Chridi,  unten  Chridus,  der  das  Kreuz  trägt  in  Begleitung  von 
Simon  von  Cyrene  (klein);  auf  dem  andern  Flügel  id  oben  Chridus  gemalt, 
wie  er  an  der  Marterfäule  von  zwei  Knechten  gegeifselt 
wird,  unten  Chridus  am  Kreuz  mit  Johannes  und  Maria.  Fig.  269. 

Die  gefchnitzten  Figuren  werden  vom  reichden,  goldigen 
Ornament  umrahmt,  fie  haben  Aehnlichkeit  mit  denen 
eines  Altares  zu  Löbejün  (f.  weiter  unten),  da  fie  ebenfo 
langleibig  find  und  gleiche  Haltung  zeigen.  Die  Gemälde 
lind  merkwürdig  unfehön  in  der  Zeichnung,  jedoch  von 
einer  auffällig  guten  Charakterifirung  der  Köpfe. 

Die  Glocke  von  0,67”  Durchmeffer  hat  als  Zierrath 
vier  Reifen,  fie  id  von  rohem  GufTe  und  fcheint  alt  zu 
fein.  Die  Glocke  von  0.55“  Durchmeffer  hat  die  in  Glocke. 

Fig.  269  dargedellte  Form  und  id  infchriftslos;  fie  ge- 
hört vielleicht  erd  der  mittelgothifchen  Zeit  an ; die  dritte  Glocke  von 
o.qz " Durchmelfer  id  von  ganz  ähnlicher  Form  und  hat  die  Majuskelum- 
fchrift  (Wachsmodelle): 

sit  TempesTATv  per  me  gcipvs  omi?e  RVGATvm  a db, 

nach  welcher  Infchrift  zu  fchliefsen,  diefe  Glocke  um  die  Mitte  des  14.  Jahr- 
hunderts gegolfen  id. 


Krosigk. 

Pfarrkirchdorf  und  Rittergut,  13  km  nördlich  von  Halle  gelegen,  hat 
urfprünglich  zur  Graffchaft  Wettin  gehört  und  foll  zur  Zeit  des  Erzbifchofs 
Wilbrand  (1236— 1253)  an  das  Erzdift  Magdeburg  übergegangen  fein.  Die 
ältede  Namensform  id  1235  Crofewich.  InKrofigk  war  der  Sitz  eines  Burg- 
grafen, in  deden  Dienden  eine  Anzahl  adliger  Burgmänner  danden,1  die  auf 
ihren  Lehngütern  in  der  Nähe  wohnten ; aufserdem  gehörte  die  Stadt 

1 von  Drcyhaupt  II,  909  nennt  ihre  Namen. 


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504  OIE  STADT  HALLE  U.  d.  SAALKKE1S. 


l.öbejün  zu  Krofigk.  Das  bedeutendfte  Burglehn  befafsen  die  von  Krofigk. 
von  denen  auch  der  Ort  benannt  worden  ift.  Als  1478  Friedrich  v.  Trotha 


Ruine  der  Kirche. 

von  dem  Erzbifchof  Emil  mit  dem  Schlofse  belehnt  wurde,  hob  er  die 
meiden  Burglehen  auf  und  vereinigte  die  Güter  mit  denen  des  Schlofft". 
In  den  Händen  derer  von  Trotha  ift  das  Schlofs  alsdann  bis  zum  18.  Jahr- 
hundert geblieben.  Die  Schlofsgebäude  find  ziemlich  bedeutungslos  ge- 


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KROSIGK. 


505 


worden.  Gegen  Südwell  fieht  man  noch  Refte  der  alten  Befelligungsmauer, 
die  meifl  in  moderne  Gebäude  eingebaut  ift,  und  vor  ihr  den  Graben.  Be- 
achtung verdient  der  auf  dem  Gutshofe  flehende  alte  Burgfried,  ein  runder 
Thurm  in  Bruchfteinmauerwerk,  welch  letzteres  deutlich  zweierlei  Zeiten  der 
Entftehung  erkennen  läfst.  Die  untere  Partie  ift  ohne  Zweifel  fchon  in 
romanifcher  Zeit  entftanden,  obwohl  man  weltlich  eine  fpitzbogige  Thür  zu 
ebener  Erde  fieht,  die  fpätgothifche  Ausbildung  hat  und  jedenfalls  auch  erft 
im  15.  Jahrhundert  eingebrochen  fein  wird,  da  diefe  alten  Thürme  den 
Zugang'  einig«-  Meter  über  dem  Terrain  hatten.  An  der  Nord-Oftfeite  des 
Schlofses  hat  der  Major  Wolf  Friedrich  von  Trotha  1703  die  Schlofskapelle, 
die  nach  von  Dreyhaupts  Angabe  uralt  war,  wieder  ganz  neu  erbaut.  Diefe 
barocke  Kapelle,  jetzt  Pfarrkirche  HirKrofigk  und  Kaltenmark,  ifl  werthlos. 
Beachtung  dagegen  verdienen  die  Uelierbleibfel  der  ehemaligen  Dortkirche 
Fig.  270,  welche  an  einer  Anhöhe  fudlich  von  der  Burg  liegi-n.  Diefe  Kirche, 
U n fer  Lieben  Frau  und  den  heiligen  drei  König«m  geweiht , hat  anfänglich 
wohl  als  Gotteshaus  für  die  umherwohnenden  Burgleute  g«;dient.  In  ihr 
liegen  nach  von  Dreyhaupts  Angabe  viele  Leichen  derer  von  Trotha.1  Im 
Anfang«;  diefes  Jahrhunderts  (1810?)  ift  das  Kirchendach  eingelallen;  nur 
der  Fachwerksthurm,  welcher  fich  im  Schiffe,  einerfeits  auf  der  W«-ftmauer, 
andererfeits  auf  einer  Holzfäule  autftehend,  erhebt,  befteht  feit  «lern  16.  Jahr- 
hundert. Wie  der  Grundrifs  F'ig.  271  zeigt,  ift  die  Anlage  eine  der  ausge- 
bildetern  in  romanifcher  Z«;it.  Altarraum,  der  aber  nicht  gewölbt  gewefen 
ift.  mit  Apfis  liegen  einem  Schiffe  öftlich  vor,  welches  in  feinen  Lichten- 
maafsen  das  Verhältnifs  des  goldenen  Schnittes  (7,60“  12,17“)  hat  (zufällig?) 
aber  ohne  l'hurm  im  Werten  gewefen  ift.  Die  Fenfter  im  Schiff  find  klein, 
im  Sanctuarium  viel  gröfser  und  an  der  Apfis  wieder  klein.  Der  Eingang 
liegt  nördlich:  wir  geben  in  Fig.  272  feine  Abbildung , aus  welcher  erh«;llt, 
dafs  er  mit  einem  halbrunden  Tympanon  überdeckt  ift.  Die  Ausbildung 
diefes  Sturzfteines  ift  eine  auffällig  einfache,  ja  rohe.  In  einem  nicht  ftark 
vertieften  Felde  lieht  man  unten  einen  wagerechten  Stab,  auf  dem  zwei  andere 
etwa  halbkreisförmig  geknickte  flehen  und  auf  letztem  lieht  wiederum 
ein  Rundftab  in  Halbkreisform,  ln  dem  durch  dielen  gebild«;ten  Felde  ift 
ein  häfslicher  breitmäuliger  (Löwen-?)  Kopf,  aus  deften  Maule  nur  beim 
Kinne  jederfeits  eine  Ranke  mit  Zweigen  und  eiförmigen  Blättern  ab-  und 
durch  den  oberften  Rundftab  hindurch  geht.  Die  Arbeit  verräth  eine  fehr 
primitive  Kund.  Die  Bedeutung  der  Darftellung  kann  nur  eine  fymbolifche 
fein,  fie  ift  aber  nicht  ficher  zu  deuten;  foll  fie  fich  auf  die  Titelheiligen 
Maria  und  die  drei  Könige  beziehen,  foll  der  Weinftock,  das  Symbol  Chrifti 
vorgeftellt  werden,  oder  foll  die’  Dreieinigkeit  der  fymbolifch  dargeftellte 
Begriff  fein?  — Jedenfalls  verdient  die  Sculptur  Beachtung;  fie  ift  auch 
wahrfcheinlich  um  einige  Jahrhunderte  älter  als  das  Gebäude,  welches  fchwer- 
lich  vor  1100  errichtet  fein  dürfte.  Zu  folcher  Zeitbellimmung  führen  nament- 
lich die  Kämpferprofilirungen.  die  fich  am  Bogen  zwifchen  Schiff  und  Altar- 
raum. fowie  an  dem  Bogen  der  Apfis  erhalten  haben;  alle  find  verfchieden 

1 S:  Rudolph  Neubauer:  Zur  Gcfchichte  des  Ritterguts  Kroiigk  1867. 


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DIE  STAUT  HALLE  u.  d.  SAALKKEIS. 


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i-'iß.  271. 


KROSIGK. 


507 


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508 


DIE  STADT  HAI-LE  u.  d.  SAALKREIS. 


l-'ig.  273  u.  274  und  ihre  Linienzüge  find  originell  und  fein.  Die  Bogen- 
pfeiler und  die  Bögen,  dann  auch  die  flructiven  Theile  im  AeuCsern,  befonders 

f'ig  J/3- 


Kampfer  des  Bogens  zwifchen  Schiff  und  Sanctuarium. 


die  Ecken,  find  in  hellgrauen,  fcharrirten  und  mit  Kantenfchlag  verfehenen 
Sandfteinquadern  vortrefflich  gearbeitet.  Ebenfo  find  die  aus  Porphyrbruch- 
Ifeinen  bellehenden  Wände  von  folider  Herftellung.  Die  romanifche  Fugen- 


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KKOSIGK- 


509 

technik  Fig.  275  u.  276  ill  noch  an  vielen  Stellen  lehr  gut  erhalten;  wir  ver- 
weisen diesbezüglich  auf  die  Befchreibung  derfelben  unter  Teicha  (f.  weiter 
unten).  In  den  Pfeilern  zwilchen  Schiff  und  Sanctuarium  lieht  man  unter  den 
K ümpfern  je  ein  I.och  Fig.  273.  welches  wohl  urfprünglich  ilt  und  zur  Aufnahme 
der  Finden  eines  Holzes  gedient  hat,  an  dem  ein  Crucifixus,  wahrfcheinlicher 

Fig-  =:4- 


Süden. 


Kämpfer  der  Aplis. 


noch  ein  Vorhang  befelfigt  war.  An  der  Nordfeite  des  Altarraums  bemerkt 
man  den  fehr  zerftörtenStein  eines  fpätgothifchen Sacramentshäuschens  und 
daneben  einen  vermauerten'. Spitzbogen  über  einem  Thürgewände ; hier  fcheint 
die  Kirche  mit  der  angebaut  gewefenen  Wohnung  des  Geiftlichen  oder  einer 
Sacristei  in  Verbindung  gellanden  zu  haben:  man  gewahrt  deren  Fundamente 
noch. 1 Im  Schiff  der  Kirchenruine  liegt  der  rohe  romanifche  Tauflfein  verdeckt 

1 Nach  Neubauer:  Zur  Gefchichte  des  Ritterguts  Kroligk  S.  33  foll  fich  dafelhft  ein 
Begräbnifs  befunden  haben. 


•/ 


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DIB  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


S>° 


unter  dem  üppigen  Bufchxverk , welches  jetzt  das  ganze  Heiligthum  anfülh, 
Fig.  270.  Wenn  man  zu  dem  Fachwerksthurm  im  Welten  hinauffteigcn  will, 
lieht  man  an  einem  Balken,  der  von  der  nach  der  Reformation  eingebauten 
Empore  übrig  gebliehen  ifl,  eingefchnitzt:  1579  Valent,  lacob  Zimmermann 


ltnmanirclie  Fugentechmk.  Aniicht  eines  Stückes  Mauerwetk. 


Auf  dem  Thurm  hängt  eine  Glocke  von  i.o“  Dur<  hmelTer  mit  diefer  in  den 
Mantel  eingeritzten  Infchrift: 

© (Medaillon  mit  der  Darftellung  des  Engels  des  Matthäus) 
DVill  TRÄItOR  ÄVDITE  VOÖO  VOS  AI)  SÄ  * (IRA  ÄI?T?h 

moaaüii(L?)in 

Eine  andere  Glocke  von  1,30“  DurchmelTier  ift  1708  gegotTen. 


Lebendorf.1 

Ptarrkirchdorf , 28  km  nordweftlich  von  Halle.  Die  Kirche  , im  Dorfe 
gelegen,  ift  1881  ganz  neu  in  frühgothifchem  Stile  einfchiffig  von  grauem 
Sandflein  mit  fpitzem,  fchiefergedeckten  Thurme  und  örtlich  mit  dret- 
feitigem  Sechseck  fchlu fs , im  Innern  mit  geputzten  Gewölbekappen  und  mit 
aus  rothem  Backftein  beftehenden  Gurten  und  Graten  nach  dem  Entwürfe 
Conrad  Wilhelm  Hafe’s  in  Hannover  gebaut.2  Die  alte  Kirche  ftammu- 
aus  dem  Jahre  1301  und  hat  ebenfalls  einen  hohen  Thurmhelm  gehabt 


1 Der  Ort  Colt  den  Namen  daher  bekommen  haben,  dafs  K. rifer  Otto  I,  hier  ans  einem 
Brunnen  mit  gutem  WafTer,  dem  HefTelborn  , getrunken  und  dann  gefugt  habe,  dafs  er  nur 
neues  Leben  bekommen  hätte;  diefe  Erklärung  ift  nicht  eben  fehr  glaubhaft. 

2 Die  Details  dürften  nicht  alle  in  des  Meifters  Sinne  fein. 


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KROSIGK.  LEHENDORF.  LETTEWITZ.  5 1 1 

Kirchenbuchaufzeichnungen  befagen.  dafs,  als  1739  das  fepulchruni  der 
menfa  des  Altares  eröffnet  wurde,  man  in  einem  hölzernen  Schächtelchen 
Pergamentzettel  mit  wächfernem  Siegel  in  forma  ovali  gefunden  habe. 
Auf  einem  an  ein  zugebundenes  Läppchen  gehefteten  Pergamente  Ifand 
Juliae  virginis,  es  war  ein  Stückchen  der  Bekleidung  diefer  Heiligen,  der 
Zettel  eines  andern  Bündelchens  mit  verbrannten  Knochen  befagte  Annae 
martyris.  Den  Inhalt  des  bei  diefen  Reliquien  befindlichen  Atteflates  giebt 
von  Dreyhaupt  II,  915  an.  Von  dem  alten  Kirchengebäude  hat  fich  ein 
rundes,  überhöhtes  Tympanon,  welches  fich  qn  deren  Nordfeite  befand,  er- 
halten, es  ift  jetzt  am  Thurm  des  neuen  Baues  eingelalfen.  Maria  mit  dem 
Kinde  ift  in  ganz  roher  Arbeit  ohne  VerhältnilTe  dargeftellt. 

Die  alten  Glocken,  deren  Infchriften  von  Dreyhaupt  11,915  in  Ueber- 
einftimmung  mit  den  Aufzeichnungen  des  Kirchenbuches  angiebt,  find  bei 
dem  Kirchenneubau  von  Gebrüder  Ulrich  in  Laucha  1881  umgegolTen  und 
haben  auf  fich  vertheilt  den  Spruch  als  Infchrilt: 

Ehre  sei  Gott  in  der  Höhe,  Friede  auf  Erden,  Und  den  Menschen 
ein  Wohlgefallen. 

Ein  reliefirter  Crucifixus  fchmückt  die  gröfsefte  unter  ihnen,  auf  welcher 
man  auch  lieft: 

Gott  segne  und  beschütze  die  Gemeinde  Lebendorf 

Uebrig  geblieben  ift  eine  Glocke  von  0.39"  Durchmeffer,  welche  fich 
jetzt  auf  dem  Boden  der  Schule  befindet;  fie  ift  von  fchlanker.  unten  breiter 
Form  und  ohne  Infchrift.  fie  fcheint  der  fpätgothifchen  Zeit  anzugehören. 
Auf  dem  Schulboden  finden  fich  auch  noch  die  Figuren  des  ehemaligen 
Schnitzaltares.  Als  die  drei,  welche  inmitten  geftanden  haben  und  gröfser 
(etwa  dreiviertellebensgrofs)  als  die  andern  find,  nennen  wir  den  h.  Wolf- 
gang (?)  als  Bifchof  mit  einem  Kirchenmodelle  dargeftellt,  Maria  mit  dem 
Kinde  und  einen  Bifchof  jetzt  ohne  Attribut.  Die  kleineren  Figuren  find  ein 
Heiliger  mit  einem  Buche,  die  h.  Katharina  mit  einem  Buche  und  Schwerte 
der  h.  Pantaleon,  unbekleidet  und  mit  auf  den  Kopf  genagelten  Fländen, 
der  h.  Stephan  als  Diacon  gekleidet,  der  Steine  im  Schoofse  hält,  eine 
Heilige  ohne  Attribut,  mit  Krone  in  der  Tracht  einer  vornehmen  Frau,  ein 
Heiliger  mit  einem  Kelche  (Norbert?),  eine  Heilige  mit  offenem  Buche,  eine 
Heilige  in  weltlicher  Tracht  mit  Kelch  (Barbara?),  eine  andere  mit  einem 
Korbe  wohl  die  h.  Dorothea.  Diefe  Statuen  find  meid  gut  gefchnitzt, 
doch  verfchieden  an  künftlerifchem  VVerthe;  die  Auffalfung  neigt  fchon 
der  des  16.  Jahrhunderts  zu. 


Lettewitz. 

Kirchdorf,  F'ilial  von  Sylbitz,  12  km  nordweßlich  von  Halle,  im  Volke 
ftets  Leckewitz  genannt.  Aeltere  Namensform  ift  1206  Lethtuiz  (Chron. 
Mont.  Seren.)  Der  Thurm  der  im  Dorfe  liegenden  Kirche  hat  im  Fxdge- 
ichofs  ein  Grabgewölbe;  feine  Ecken  haben  Quaderung;  er  ift  wohl  noch 


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5'2 


DIE  STADT  HAIXE  u.  d.  SAAI.KKKIS. 


ein  Heft  aus  romanifcher  Zeit.  Das  Schiff  (fehl  mit  dem  Thurme  in  Ver- 
zahnung', hat  einen  geraden  Ollfchlufs  und  wird  in  viel  fpäterer  Zeit  ange- 
baut fein.  Am  Altäre  find  zwei  mit  Oelfarbe  angeftrichene  Holzfiguren  der 
fpäteren  Zeit.  Die  (ilocke  von  o.öj“  Durchmeller  ift  mit  Riemchen  geziert, 
aber  inlchriftslos,  fie  mag  dem  Ende  des  13.  Jahrhunderts  angehören,  ihn- 
Form  ift  nicht  länglich.  Die  Glocke  von  0,80 " Durchmeffer  ift  anno 
MDCVI  von  Lorentz  Richter  in  Halle  gegolTen.  Aus  der  Aufschrift  hat 
InterelTe: 

MEIN  NAME  ANNA  MARIA. 

Die  Glocke  von  1.03“  Durchmeffer  ift  MDLXXXIIII  von  Eckard  Kuecher 
in  Erfurt  gegolTen. 


Lettin. 

Pfarrkirchdorf  und  königliche  Domaine,  5 km  nordweftlich  von  Halle 
am  linken  Saalufer  gelegen.  Es  finden  fich  die  älteren  Schreib  weifen  Eutin 
l .utyn.  Luttin.  Eittin.  1185  wird  in  einem  Schenkungsbriefe  Iirzbifchofs  Wich- 
manns  an  die  S.  Petrikirche  in  Wettin  ein  Berthogus  de  Luthyne  genannt. 
Das  Gefchlecht  derer  von  I.ettin  lebte  bis  zum  Anfang  des  15.  Jahrhundert . 
die  Güter  deftelben  gingen  1461  an  die  von  Mordal  über,  1608  kauft  diele 
Güter  das  Magdeburger  Domcapitel  und  unterftellt  fie  nebft  dem  Dor!-- 
dem  Amte  Giebichenftein.  Die  Kirche,  dem  h.  Wenzel  geweiht,  liegt  welt- 
lich iin  Dorfe.  1217  fchenkte  der  Erzbifchof  Albrecht  dem  Moritzklofter  zu 
Halle  das  Patronatsrecht,  welches  Klofter  einen  feiner  Mönche  zum  Pfarrer 
einzufetzen  hatte;  jedoch  empfing  diefer  Pfarrer  feine  „Collation“  gegen 
Zahlung  von  „2  Mark“  von  dem  archidiacono  Banni  Orientalis  zu  Halber- 
ftadt.  Das  Gebäude  ift  romanifch  und  hat  in  gothifcher  Zeit  eine  öftlich 
dreifeitig  fchliefsende  Verlängerung  erhalten.  1714  foll  eine  Reparatur 
ftattgefunden  haben,  bei  welcher  die  grofsen  Fenfter  an  der  Südfeite  ent- 
ftanden  fein  werden.  Das  Bruchfteinmauerwerk  befteht  aus  einem  gelblichen 
(Kalk?)  Sandftein,  von  nur  wenigen  Porphyrftücken  untermifcht;  es  ift 
äufserft  forgfam  in  lagerhaften  Stücken  hergeftellt,  die  Ecken  find  gequadert. 
Am  Thurm,  einige  Meter  über  dem  Erdboden,  ift  die  Mauer  mit  einer  be- 
fonders  grofsfteinigen  Schicht  durchfetzt,  jedenfalls  die  Kämpferfchicht  lür 
ein  allerdings  nicht  zur  Ausführung  gekommenes  Gewölbe.  Die  Schall- 
löcher, flachbogig  überdeckt,  erfcheinen  nach  aufsen  durch  eine  Säule  mit 
zwei  je  aus  einem  Stein  beftehenden  Rundbögen  gekuppelt.  Fig.  277,  278 
und  279  Hellen  einige  Beifpiele  von  den  Säulenkapitälen  dar.  Die  Kunft- 
forinen  und  die  Mauertechnik  lalfen  auf  eine  Entftehung  der  Kirche  im 
12.  Jahrhundert  fchliefsen.  Der  alte  Eingang  an  der  Süd  feite  ift  vermauert 
Vor  dem  jetzigen  an  der  Nordfeite  befindet  fich  ein  Vorbau,  der  alt,  wenn 
auch  nicht  mit  der  Kirche  gleichzeitig  ift,  in  ihm  liegt  altes,  aus  grofsen 
unregelmäfsigen  Steinen  beftehendes  Pflafter.  Im  Innern  fieht  man  an  der 
nördlichen  fchrägen  Seite  des  Chores  ein  Sacramentshäuschen  mit  nicht  un- 
fchönen  fpätgothifchen  Formen,  die  freilich  fehr  gelitten  haben.  Der  Kirche 
find  Emporen  eingebaut,  deren  Brüftung  1683  Johann  Tobias  Kopf  mit 


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LETTEWITZ.  LETTIN. 


5U 


unbedeutenden  biblifchen  Bildern  bemalt  hat.  Verfchiedene  Bretter 
und  K irchenfchemel  find  nicht  unintereflant  profilirt:  fie  zeigen  die  kunft- 
handwerklichon  Leillungen  des  17.  Jahrhunderts  an  den  einfachllen  Gegen- 
liänden  auf  dem  Lande.  Unter  den  Kunftwerken  ill  der  Altarfchrein, 
ein  Triptychon,  bemerkenswerth.  Seine  gefchnitzten  Holzfiguren  find 
aufser  ihrer  Bemalung  gut  erhalten.  In  den  Flügeln  liehen  in  je  zwei  über 
einander  befindlichen  Theilen  die  Apollel,  zwilchen  denen  fich  auch  eine  I'igur 
in  bifchöflicher  Tracht  befindet.  In  der  mittleren  der  drei  Abtheilungen  des 
eigentlichen  Schreines  lieht  Maria  mit  dem  Kinde  auf  der  Mondfichel;  die 


Capilale  aus  den  Schalllüchern. 


beiden  Seitenabtheilungen  find  jede  in  vier  Fächer  getheilt.  Links  oben 
lieht  Moritz  und  Katharina,  der  in  fpäterer  Zeit  fälfchlich  ein  Kreuz  in  die 
Hand  gegeben  ift;  unten  ein  Bifchof  mit  einem  Kirchenmodelle  (Wolfgang?) 
und  eine  gekrönte  Heilige  jetzt  ohne  Beigabe.  Die  F’elder  auf  der  rechten 
Seite  enthalten : oben  die  h.  Margaretha  mit  dem  Drachen  und  einen  Ritter 
(?)  mit  einem  Schwerte,  unten  den  h.  Nicolaus,  Brote  auf  einem  Buche  haltend, 
und  die  h.  Magdalena  mit  dem  Salbbüchschen.  Die  Arbeit  ill  im  Ganzen 
gut,  doch  verfchiedenwerthig.  Weit  werthvoller  ill  eine  Holzfigur,  die  oben 
an  der  Wind  füdlich  im  Chor  fich  befindet  und  den  Titelheiligen  Wenzel  in 
zweidrittel  Lebensgröfse  darllellt.  Der  Heilige  ift  als  Ritter  in  goldenem 
Hamifch  dargellellt,  er  hält  einen  Schild,  auf  dem  ein  Löwe  gemalt  ift.  So- 
wohl die  AuffalTung  als  auch  die  Ausführung  find  gut;  letztere  läfst  fich, 
da  die  F’igur  ihre  alte  Bemalung  behalten  hat,  noch  wohl  erkennen;  man 
lieht,  dafs  der  Schnitzer  feines  Materials  völlig  Herr  gewefen  ift. 

Ein  lebensgrofser  Crucifixus  mit  natürlichem  Haar  und  mit  den  in 
B.  D.  d.  Bau-  u.  Kunftd.  N.  F.  I.  33 


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DIE  STADT  HAI. LE  u.  d.  SAALKKK1S. 


kleinerem  Maafsllabe  gehaltenen  Figuren  der  Maria  und  des  Johannes  zu 
den  Seiten  hängt  an  der  Südwand.  Diefe  Arbeit  zeigt  die  Stileigenheiien 
des  Barocks  in  widerlichfter  Weife.  Ein  fehr  fchönes  auf  Holz  gemaltes 
Oelbild,  etwa  50  bis  60  cm  im  Quadrat  grofs,  hängt  ül>er  der  Sacriftei 
(Beichtfluhl).  Es  Hellt  die  Auferllehung  Chrilli  dar.  Links  hinter  einem 
Bufche  lieht  die  mit  reliefirten  Ornamenten  der  Renaifsance  bedeckte  Grab- 
platte am  Keifen  neben  dem  leeren  Grabe.  Chrillus  aber  fchwebt,  mit 
einem  rothen  Gewände  angethan  und  von  einer  Mandorlenglorie  umllrahli 
oben  inmitten  des  Bildes.  Er  erhebt  fegnend  die  Rechte  und  hält  mit  der 
anderen  Iland  die  weilse  Siegesfahne  mit  dem  Kreuze.  Der  Gefichtsausdruck 
des  Heilandes  ilt  nicht  gerade  fchön;  es  mag  aber  die  anfängliche  Farben- 
wirkung eine  andere  gewefen  fein  als  die  gegenwärtige.  Auf  der  Erde 
liegen  die  Kriegsknechte;  ein  blondbärtiger  richtet  fich  vorn  links  empur. 
fein  Gefleht  ill  vortrefflich.  Hinter  ihm  fcheint  ein  alter  Krieger  mit  einer 
Kette  in  der  Hand  noch  feil  zu  fchlafen,  vorn  rechts  richtet  ein  junger 
Mann,  auf  den  Arm  gellützt.  fein  Geficht  empor  und  fchläft,  hinter  ihm 
dagegen  bemüht  fich  ein  bereits  erwachter  Krieger  mit  dem  Schwerte  in 
der  Hand  die  anderen  aufzuwecken.  Im  Hintergründe  fieht  man  rechts  den 
Berg  Golgatha  mit  den  beiden  gekreuzigten  Schächern ; das  zwifchen  ihnen 
flehende  Kreuz  Chrilli  ill  leer;  zwei  Leute  mit  einer  Leiter  find  in  Begriff  e- 
zu  belleigen.  Im  Uebrigen  fieht  man  in  eine  Landfchaft,  in  der  eine  mauer- 
umgebene Stadt  mit  einer  hochgelegenen  Burg  liegt.  Aus  der  Stadt  her 
kommen  zwei  Frauen  (die  beiden  Marien?)  und  ein 
Fif.  280.  Engel  (?).  Diefes  Gemälde  verdient  I .ob , die  Zeichnung 
“VT  r ill  richtig  und  beftimmt,  die  Malweife  fauber  und  die 
AtÄ  Färbung  fehr  harmonifch.  Weder  im  Faltenwurf,  noch 
I I I in  der  Haltung  und  Einzelbildung  ill  eingehendes  Natur- 
Studium  zu  vermilfen;  nur  der  Baumfchlag  ill  manierirt. 
deshalb  jedoch  nicht  unfehön.  Ueber  den  Meifler.  der 
/ *5  A J keineswegs  ein  unbedeutender  Kiinlller  gewefen  ill,  läf>t 
Meisterlichen  eines  üch  nichts  weiter  als  fein  Zeichen  mit  der  Jahreszahl  1585, 
unbekannten  Malers,  welches  oben  links  über  der  Grabesötfnung  lieht,  anführen. 
Fig.  280. 

Ein  fehr  bemerkenswert hes  Stück  der  Kleinarchitektur  ill  die  Sand- 
uhr an  der  Kanzel;  fie  diente  dazu,  dem  Prediger  die  Zeit  zu  feiner  Rede 
darnach  einzurichten.  Das  Gellell  ill  in  Schmiedeeifen  kunllreich  aus- 
getührt.  wie  unfere  Zeichnungen  Fig.  281  und  I'ig.  282  veranfehauliohen : ?es 
bildet  ein  Kreuz,  in  delTen  Mitte  die  eigentliche  Sanduhr,  GlasbehältnilTe 
in  hölzerner  Umrahmung  (nicht  gezeichnet),  mittelH  eines  Zapfens  dreh- 
bar beteiligt  ill.  Der  Schmied  hat  ein  llufeifen  als  fein  Zeichen  unter 
die  Rankenzierrathe  gebracht.  Ich  vermuthe,  dals  diefes  Stück  in  die 
erften  Jahre  des  17.  Jahrhunderts  gehört.  Es  kann  den  heutigen  Kunft- 
fchmieden  als  ein  treffliches  Vorbild  empfohlen  werden. 

Ob  die  Glocke  von  1,10“  Durchmelfer,  welche  oben  einen  Schmuck 
von  Medaillons,  aber  keine  Infchrift  hat,  dem  13.  Jahrhundert  angehört 
oder  gar  Ipätgothifph  ill.  mufs  dahin  gelleilt  fein.  Die  Glocke  von 


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LETTIN. 


5*5 


0.63“  DurchmelTer  hat  die  in  den  Mantel  eingeritzte  unverftändliche 
Majuskelinfchrift : 

+ ÄVfflH  fllÄRIÄGR  (wahrfcheinlich  der  Anfang  des  engelifchen 
Grufses). 


Fig.  281. 


Kig.  282. 


Sanduhrgeflell,  Vordcranficht. 


Sanduhrgcltcll.  Seitenanficht. 


darunter  zwei  Tänien  mit  Figuren  und  Medaillons,  die  Form  ifl  hoch  fl  ge- 
fällig; die  Fntßehungszeit  wird  die  erlle  Hallte  des  14.  Jahrhunderts  fein. 

33* 


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51Ö  1>1E  STADT  HAt.LF.  U.  il.  SAAI.KKFIS. 


Die  Glocke  von  0,87"  DurchmelTer  ill  1841  von  C.  GG.  Becker  in  Halle 
gegolten. 

Lieskau. 

Kirchdorf,  bis  1555  Filial  von  Lettin,  jetzt  von  Schiepzig,  6,5  km  welt- 
lich von  Halle  auf  der  linken  Seite  der  Saale  gelegen.  Die  älteren  Namen 
lind  Lezkowe,  Lefskou,  Lyzeke,  I.iskowe,  im  18.  Jahrhundert  LilTkau.  Lin 
hallefches  Pfannergefchlecht  foll  von  diesem  Dorfe  den  Namen  bekommen 
haben.  Die  im  Dorfe  gelegene  Kirche  ift,  nachdem  fie  1697  einen  neuen 
Thurm  erhalten  hatte  und  1714  erhöht  und  erweitert  war,  am  17.  Februar 
1734  bis  auf  die  Mauern  abgebrannt.  Auch  das  Dort  ging  damals  bis  auf  zwei 
Häufer  in  Flammen  aut.  Die  nun  wieder  ausgebaute  Kirche  hat  kein  In- 
terelTe;  es  fei  nur  bemerkt,  dafs  man  an  der  Nordfeite  noch  Reite 
der  erften  gerade  gefchlotTenen , thurmlofen  (gothilchen?)  Kirche  erkennt. 
Die  mensa  des  Altares  hat  zwar  keine  Weihkreuze,  wohl  aber  ein  leere» 
sepulchrum.  Ein  melfingenes  Taufbecken  trägt  mitten  die  Darftellung  der 
Kundfehafter  von  Jericho : zu  der  Herßellung  ift  ein  Stempel  gebraucht, 
wie  er  fich  übrigens  im  Kreil'e  nicht  findet.  Die  Umfchrift  zeigt  die  in 
Fig.  283  abgebildeten,  nochgothifchen  Charakter  tragenden  Lapidarbuchftaben 


t'lf.  2»i- 


Stempel  der  Schrift  auf  der  Tauffchüffel. 


in  Wiederholung,  deren  Sinn  nicht  zu  verliehen  ift.  Das  zuletzt  umlaufende 
Ornament  ift  gothifirend.  Die  beiden  Glocken  von  0.84"  und  0,07“  Durch- 
meffer  find  von  Ulrich  in  Laucha  1876  umgegolTen. 

Lochau. 

Pfarrkirchdorf  und  Rittergut,  10  km  füdlich  von  Halle,  an  der  weifsen 
Elfter  .gelegen.  Das  Rittergut  wird  der  Stammfitz  derer  von  Lochau  ge- 
wefen  fein , allein  fchon  im  1 4.  Jahrhundert  haben  es  die  von  Thore  in 
Befitz  gehabt.  Die  dann  folgenden  Befitzer  f.  bei  von  Dreyhaupt  II,  qio  t 
Die  im  Dorfe  belegene  Kirche  S.  Annae  ift  1752  an  der  Stelle  einer  alten, 
erbaut  worden  und  hat  kein  InterefTe.  An  der  Oftwand  des  Chores  befindet 
fich  ein  1563  handwerklich  gemachtes  Grabmal,  welches  einen  knieenden 
Ritter  vor  einem  Crucifixe  zeigt. 

Die  Glocke  von  0.60"  Durchmefter  ift  von  fchlanker  Form  und  ohne 
Schrift.  Sie  wird  im  Beginn  des  13.  Jahrhunderts  gegolten  fein.  Die 
Glocke  von  0.90“  Durchmefter  zeigt  eine  ungewöhnliche  Form;  ihre  Minuskel- 
umfehrift  hat  ein  des  I.efens  wohl  unkundiger  Giefser  aus  Wachsmodellen 


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LETTIN.  LIKSKAl'.  LOCHAU.  LÖBEJÜN. 


5'7 


zulämmengellellt;  fie  ift  nicht  zu  entziffern.  Die  Glocke  von  1,20“  Durch- 
mefTer  trägt  die  Infchrift : 

soli  Deo  gloria,  Friedrich  August  Becker  goss  mich  in  Halle  1741. 

Löbejün. 

Stadt,  16  km  nördlich  von  Halle  gelegen,  und  zwar  auf  einer  Boden- 
erhöhung,  aut  der  die  Stadtkirche  dominirend  über  die  kleinen  lläufer  empor- 
ragt, fodafs  das  Weichbild  der  Stadt  in  den  Umriffen  an  mittelalterliche 
Weife  gemahnt.1 2  Sie  hat  jetzt  3425  Einwohner;  im  Mittelalter  hatte  fie 
500  bis  boo,  nach  der  Reformation  bis  zum  dreifsigjährigen  Kriege  zählte 
man  deren  1000.  während  diefes  Krieges  ( 1 636)  fiel  die  Zahl  auf  96;  1719 
zählte  man  909.  Der  Ort  heifst  nach  der  trefflichen  „Gelchichte  der  Stadt 
Löbejün  von  dem  Oberpfarrer  Dr.  Ferdinand  Wilke  1853“  richtiger  Löbe- 
chün*  urfprünglich  Luibechun,  welches  der  wendifche  Name  für  Läubechen, 
— Lauben  = Laubenhain  ift,  zufammengefetzt  aus  I.eba  = Laube  und 
Chuna=Hain  oder  entftanden  aus  I.uibe  im  X.  Jahrhundert  Leube,  Läube, 
jetzt  Laube  und  Chun  oder  Hun  = Hain,  aber  auch  als  Verkleinerungs- 
filbe  „chen,"  auch  als  Mehrzahl,  ln  einem  F'ascikel  von  1605  kommt  noch 
die  Schreibweife  Lobuchuhun  vor,  im  15.  und  10.  Jahrhundert  ift  der  Name 
immer  Lobechun.  961  wird  der  Ort  zuerft  genannt  und  zwar  als  „civitas 
Luibechun  in  pago  Nudzici  fita".3  Es  ift  aber  trotz  diefer  Benennung  frag- 
lich, ob  damals  der  Ort  fchon  Stadtrecht  gehabt  habe. 

1156  gab  es  nur  eine  Kapelle  hier,  izoi  wird  von  einer  Kirche  ge- 
meldet, jedoch  mag  das  eine  verfchiedene  Bezeichnung  defTelben  Gottes- 
haufes  fein.  Dafs  zur  Wendenzeit  eine  nicht  unbedeutende  Anfiedelung  an 
diefem  Platze  beftanden  hat,  läfst  lieh  daraus  fchliefsen,  dafs  hier  eine 
der  Burgen  der  Graffchaft  Wettin,  zu  welcher  die  Stadt  gehörte,  lag. 
Uebrigens  lallen  Wörter  wie  Crodendorf,  eine  Wüftung  in  der  Löbejüner 
Feldmark,  wohl  nicht  daran  zweifeln,  dafs  felbft  vor  der  Herrfchaft  der 
Wenden  die  Verehrung  altgermanifcher  Gottheiten  hier  ftattfand,  mithin 
fchon  eine  deutfehe  Anfiedelung  hier  lag.  Die  Anlage  Heinrichs  I.  ift  noch 
jetzt  unter  dem  Namen  die  Burg  bekannt  und  deren  Graben  mit  Erdwall 
wird  als  „Schanze“  bezeichnet.  1153  ging  die  Burg  durch  Schenkung  Wich- 
manns,  der  fie  von  feiner  Mutter  geerbt  hatte , an  das  Erzftift  Magdeburg 
über,  es  blieb  jedoch  die  Stadt,  als  der  untere  Theil  des  Ortes,  noch  bis 
1253,  zu  welcher  Zeit  fie  unter  dem  Erzbifchof  Willbrand  ebenfalls  an  das 
Erzftift  kam  und  dann  (bis  1806)  bei  dem  Amte  Giebichenftein  war,  wettinifch. 
Die  Burg  als  die  obere  Stadt  war  als  Mannlehn  in  den  Händen  einer  Linie 


1 Bei  von  Dreyhaupt  II,  810  u.  8n  ift  eine  Abbildung  der  Stadt  gegeben,  auf  welcher 
iuLer  der  Kirche  das  Rathhaus  auftallt;  dnffelbe  ift  feit  1836  verkauft. 

2 Diefe  Schrcibweife  fcheint  auch  von  Dreyhaupt  „das  accuratefte"  zu  sein,  weil  in  alten 
Handfchriften  Lubichünc  ftche,  1294  fchreibt  fich  ein  Hermannus  de  Lobechun. 

3 fo  bei  Wilke  während  von  Dreyhaupt  folgende  Stelle  anführl:  „civitatcm  Luibuhun  in 
tegione  Nudzici  sitam.*’ 


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5«« 


ULK  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKKKIS. 


derer  von  Krofigk,  des  Gefchlechts  derKöler,  welches  im  16.  (?)  Jahrhunden 
ausftarb.  1505  ift  fie  „wo  nicht  von  neuen  fundiret,“  fo  doch  „reparirr 
worden.  Im  Laufe  des  16.  Jahrhunderts  aber,  als  die  Burgen  überhaupt 
verfielen  und  die  Macht  der  Burgherren  in  die  Hände  der  Bürger,  d.  L der 
Burgleute  überging,  wurde  auch  diefe  Burg  aufser  Kapelle  und  Wirth- 
fchaftsgebäuden  zerftört.  Die  dem  h.  Georg  geweihte  Burgkapelle,  1125 
von  dem  Markgrafen  Conrad  dem  Petersbergklofter  gefchenkt,  wurde  zwar 
von  dem  Käthe  bis  16 lo  erhalten,  1Ö78  aber  in  eine  Oelmühle  verwandelt 
um  am  Ende  des  18.  Jahrhunderts  Bürgerhäufern  Platz  zu  machen.  155: 
bis  1564,  alfo  zu  jener  Zeit,  in  welcher  die  Burgherren  ihre  Macht  verloren, 
die  Bürger  fie  aber  gewannen,  wurde  die  Stadt  felbft  durch  einen  Mauergürtel 
mit  Thürmen  und  Zinnenkranz  befeftigt  Man  kann  diefe  Mauer  noch  an 
den  Kellen  veriolgen.  Zuvor  war  die  Stadt,  wie  wohl  viele  kleine  Städte 
im  Mittelalter,  nur  von  einer  „leimernen  (von  Lehm)  Wand“  umfchloffen. 
Von  den  vier  Thoren  ift  nur  noch  das  Hallefche  Thor,  feit  1824  Stadtge- 
fängnifs,  einigermafsen  erhalten;  es  ift  infchriftlich  1Ü07  in  feinem  untern 
und  1743  in  feinem  obern  Theile  erbaut  worden.  Nicht  überfiüffig  dünkt 
mich  hier  anzumerken,  dafs  1505  die  Stadt  zuerft  gepflaftert  worden  ilt 
ferner  dafs  1500  ein  öffentlicher  Brunnen  auf  dem  Markte  gegraben  wurde. 
Derfelbe  ift  zwar  178g,  weil  er  kein  WalTer  mehr  gab,  zugefchüttet , aber 
feit  dem  11.  Februar  1840  wieder  geöffnet.  1505  wurde  auch  ein  zweiter 
öffentlicher  Brunnen  hinter  der  Schule  an  der  Brunnengaffe  gegraben,  der 
jetzt  aber  verfchüttet  ift.  1565  entdeckte  man  die  Quelle  am  Hallelchen 
Berge  (zwifchen  Wettiner  und  Merbitzer  Berge)  und  man  ging  nun  mit  der 
Ablicht,  eine  Wafferleitung  anzulegen  um,  jedoch  verhinderte  der  dreißig- 
jährige Krieg  die  Ausführung.  1583  brannten  die  Kirche,  das  1502  erbaute 
Kathhaus  und  180  Gebäude  der  Stadt  nieder,  und  bei  diefem  Unglück 
gingen  dann  auch  die  älteften  ftädtifchen  Urkunden  zu  Grunde.  Es  fei  er- 
wähnt, dafs  bis  auf  die  Zeit  des  Erzbifchofs  Emil  eine  Anzahl  jüdifcher 
Einwohner  (ich  zu  Löbejün  befanden,  die  dann  wie  überall  im  Erzftifte  ihre 
llcimath  auch  hier  verlaßen  mußten. 

Unter  den  altern  Gebäuden  der  Stadt  zeichnet  lieh  die  dem  h.  Petrus 
geweihte  Stadtkirche  aus,  über  deren  Erbauungszeit  eine  in  Stein  (gehauene 
Minuskelfchrift  an  dem  füdöftlichen  Eckftrebepfeiler  des  Schiffes  folgende 
Auskunft  giebt: 

anno  Äoraiiti  nmlun  frria  frrnitka  pol  qualimoiaarmli  iiccpta  r! 
I)tt  flrurluta.1 

Eine  andere  Infchrift  an  einem  Pfeiler  der  Tödlichen  Chorwand,  welche 
lautet: 

anno  bonini  mtaclxtm  in  bic  Sofiannio  rfl  finita  nntr  portam  Satfioin 
caprlla  fiofpitii  S.  Cjrtici 

befagt  zwar  nichts  über  den  Bau  diefer  Kirche,  allein,  da  fie  hier  ange- 
bracht iß,  müfste  1464  — wenn  ihre  Anbringung  nicht  nachträglich  bewirkt 

1 Nach  Wilke  fallt  ihre  Vollendung  wahrfchcinlich  1487. 


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LÖHF.jCN. 


5<9 


ill  der  Chor  fchon  beilanden  haben,  was  auch  wahrfcheinlich  ill,  weil 
nach  Wilke  der  Chor  fchon  i <54  gebaut  wurde  und  bellchen  blieb,  als  man 
das  jetzige  Schiff  anbaute.  Schon  erwähnt  wurde,  dafs  in  dem  grofsen 
Brande  1583  auch  die  Kirche  zu  Grunde  ging.  Der  Thurm  rnufste  ganz 
abgetragen  werden.  Bei  der  Erneuerung  des  Schiffes  wurde  ftatt  eines 
Gewölbes  die  jetzige  grade  Balkendecke  mit  Verfchalung  gewählt.1  Zu 
dem  Thurme  wurde  am  21.  März  1588  Vormittags  10  Uhr  der  Grundllein  — 
und  zwar  nach  Wilke  vom  erden  Simfe  an  der  Ecke  nach  der  Schule 
21  Fufs  tief  — gelegt  und  am  2 1.  October  1589  wurde  der  Knopf  aufgefetzt. 
Als  Baumeider  wird  ein  Eberhard  Schmidt  von  Sangerhaufen,  als  Maurer- 
meiller  Adam  Garbe  und  Philipp  Schoch,  als  Zimmermeiller  Michael  Knorr 
als  Schieferdecker  Gurth  genannt.*  Bezüglich  diefer  bedimmten  Angaben 
über  die  Grunddeinlegung,  welche  den  Akten  entnommen  find,  id  es  nicht 
wohl  verdändlich,  dafs  die  Infchrift  über  dem  Fender  der  Südfeite  alfo 
beginnt: 

Haec  turris  feliciter  incepta  die  Benedicti  a.  d.  1585  tempore  con- 

sul  Joh.  Zwanzig  etc., 

nach  welcher  alfo  fchon  zwei  Jahre  vor  der  Grunddeinlegung  der  Thurm 
angefangen  wäre.  Weiter  oben  liell  man: 

Anno  1589  haec  turris  feliciter  finita  est  ab  Erhardo  Schmidtio, 

opifice  Sangerhusano. 

1790  id  der  Dachreiter  abgenommen,  indeden  dürfte  doch  der  jetzige  aus 
einer  nicht  viel  fpätem  Zeit  fein.  Das  Aeufsere  des  nüchtern  ausfehenden 
Gebäudes  dellt  lieh  als  eine  drei  Joch  lange  Hallenkirche  dar,  deren  Mittel- 
fchiff  ödlich  als  dreifeitig  fchliefsender  Chor  herausgebaut  id.  Das  Dach 
über  letzterem  von  derfelben  Neigung  wie  über  dem  Schiffe  id  natürlich 
niedriger  und  döfst  dumpf  gegen  den  geraden  Wedgiebel  des  Schiffes.  An 
der  Nordfeite  id  die  Sacridei  in  die  Ecke  des  Chores  und  Schiffes  einge- 
baut. Die  Tpitzbogigen  Fender  find  durch  einen  Pfoden  zweigetheilt  und 
haben  wenig  bedeutendes  Maafswerk.  Im  wedlichen  Joche  liegen  die  beiden 
Eingänge  fich  gegenüber;  de  find  in  fpätgothifchen  Formen  und  mit  der 
fpätgothifchen  Gewändeprofilirung  aus  glatten  Runddäben,  Kehlen  und 
Plättchen  bedehend.  ausgeführt.  Eine  Thür  auf  der  Südfeite  des  Chores, 
welche  bei  Taufen,  Communionen  und  Beichten  benutzt  worden  id,  hat  man 
vermauert;  desgleichen  eine  Thür  auf  der  Odfeite.  In  einer  Nifche  an  der 
Odwand  des  Chores  und  auf  den  daneben  befindlichen  Confolen  haben  die 
Heiligen  Valentin,  Margaretha,  Barbara  und  Anna  gellanden.  Der  Thurm 


1 Wenn  von  Dreyhaupt  1586  als  das  Jahr  der  Erneuerung  angiebt,  To  bezieht  fleh  feine 
Angabe  vermulhlich  auf  die  Fcrtigftellung  der  Arbeiten  des  Schiffes. 

2 Wenn  Wilke  meint,  dafs  der  Thurm  mit  der  Kirche  nicht  in  Verbände  ftche  , fo  mufs 
dazu  bemerkt  werden,  dafs  es  aus  conflruktiven  Gliinden  Kegel  ift,  den  Thurm  niemals  mit  dem 
Schiffe  im  Verbände  auszufiihrcn,  auch  wenn  beide  gleichzeitig  gemauert  werden,  eine  Regel, 
die  leider  auch  heute  nicht  wenigen  Bauleuten  unbekannt  ift. 


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5*0 


DIE  STAlll  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


hat  in  der  fiidlichen  Ecke,  welche  er  mit  dem  breitem  Tanghaufe  bildet, 
ein  rundes,  zweigefchoffiges  Treppenthürmchen  neben  fich.  Er  felbft  im 
Grundrifs  quadr  itifch  baut  fich  ohne  Aenderung  diefes  Planes  in  vier  durch 
fchwache  Gurtfimfe  getrennten  GefcholTen  auf.  In  dem  oberften  derfelben 
find  jederfeits  zwei  Fenfter  mit  Maafswerk  befindlich,  auch  die  übrigen  Gt- 
fcholTe  werden  von  kleinern  Oeffnungen  in  rechtwinkliger  und  fpitzbogiger 
Form  durchbrochen ; man  hat  eben  die  von  dem  altem  Thurme  noch  brauch- 
baren Stücke  unbeanllandet  wieder  eingefetzt.  An  der  Stelle  des  Helmes 
befindet  fich  eine  aus  zwei  fich  kreuzenden  Satteldächern  begehende  Be- 
deckung mit  je  einem  Backfteingiebel  über  jeder  Seite,  der  jedoch  in  wenig 
fchönen  RenaifTanceformen  und  zwar  als  Verblendung  einer  innern  F'ach- 
wand  ausgeführt  ifl.  Auf  dem  Kreuzpunkte  der  Dächer  lieht  ein  latemen- 
artiger  Dachreiter  mit  welfcher  Haube.  Es  ift  richtig,  dafs,  wie  Wilke  an- 
merkt, das  Thurmäufsere  kein  kirchliches  ift ; die  Gründe  können  indeUen 
hier  nicht  angegeben  werden.  Wie  die  Conllruction  des  letzten  Thurmge- 
fcholTes  keine  folide  ift , fo  läfst  auch  die  Technik  des  Mauerns  durchweg 
zu  wünfehen  übrig,  wie  fich  das  durch  zahlreiche  RilTe  in  den  bruchlleinernen 
Thurm-  und  Schiffwänden  darthut. 

Das  Kircheninnere  ift  durch  zwei  Reihen  fchlicht  achteckiger  kapital- 
lofer  Pfeiler,  die  fich  jederfeits  durch  fpitzbogige  Arkadenbögen  verbinden, 
in  drei  Schiffe  getheilt  und  diefe  find  von  der  erwähnten  geraden  Holzdecke 
(ohne  befonders  merkwürdige  Ausbildung)  überdeckt. 

Als  die  ältellen  Kunllwerke  find  die  Reffe  mehrerer  Schnitzaltäre  zu 
nennen,  ln  einem  Triptychon  an  der  füdlichen  Chorwand  lieht  im  linken 
Flügel  die  h.  Margaretha  mit  dem  Drachen,  im  Schreine  Petrus  als  der  Titel- 
heilige, Maria  und  Paulus,  im  rechten  Flügel  lieht  die  h.  Dorothea  (oder  Elifabeth) 
mit  einem  Korbe  und  Kinde.  Unter  diefem  Flügelaltare  hängt  die  kleinere, 
beffer  gearbeitete  Figur  einer  Heiligen,  die  nicht  zu  erkennen  ift,  in  einem 
Schreine.  An  der  füdlichen  Seitenfchiffwand  befindet  fich  die  Einzelfigur  eines 
Heiligen  in  Diaconentracht  (?)  mit  einem  Teufel  zu  Füfsen  (Cyriacus?  Norbert  ?), 
alsdann  ein  Triptychon,  in  deffen  linkem  Flügel  Chriftoph  mit  dem  Kindlei 
aut  der  Schulter  lieht;  im  Schreine  findet  fich  nur  noch  die  Statue  der 
Maria  mit  dem  Kinde,  die  zu  ihren  Seiten  befindlich  gewefenen  Figuren 
fehlen;  im  rechten  Flügel  fleht  eine  Heilige  mit  Fliehen  und  einer  Kanne 
(Elifabeth?)  Zu  den  Seiten  diefes  Altarfchreins  ift  noch  je  eine  einzelne 
Heilige  ohne  Beigabe  angebracht.  An  der  Nordwand  des  Schiffes  fieht 
man  in  einem  Schreine  links  eine  Heilige  in  Nonnentracht,  dann  Maria  mit 
dem  Kinde  und  Magdalena.  Zu  diefem  Schreine  gehört  der  Flügel  mit 
der  Heiligen  an  der  Südwand  des  Chores,  das  beweill  die  Auftäffung  und 
technifche  Ausführung  der  Figuren,  die  an  Werth  alle  andern  weit  über- 
ragen. Anstelle  des  dem  h.  Petrus  geweihten  Altares  ift  in  proteilantifcher 
Zeit  und  zwar  am  18.  Augull  1613  der  jetzige  Altar  d.  h.  nur  feine  fteinernen 
Beftandtheile  getreten,  geftiftet  von  einem  Bürger,  Hans  Braunfchweiger. 
Die  Gemälde  waren  bereits  1604  vom  Magillrate  durch  den  hallefchen  Maler 
Daniel  Rulefink  befchafft  worden.  Diefe  in  neuerer  Zeit  aufgefrifchten 
Bilder  find  jetzt  werthlos.  Dennoch  fei  erwähnt,  was  lie  auf  drei 


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LÖBEJÜN. 


52' 


Bildern  im  Mittelfelde  und  auf  je  dreien  an  den  Flügeln  darllellen;  links 
Chriftus  auf  dem  Oelberge  in  der  Nacht  des  Verraths,  Chrilli  Gelangen- 
nahme,  rechts  Chrilli  Geifselung,  Pilatus  verurtheilt  Chrillum.  Mittelwand 
unten,  Chriftus  ifst  mit  den  Seinen  das  Pafchalamm,  linker  Flügel:  Cimon 
von  Kyrena  mufs  Chrilli  Kreuz  tragen,  in  der  Mitte  die  Kreuzigung  Chrilli 
und  der  Schächer,  rechter  Flügel:  Grablegung  Chrilli,  oben  Mittelwand:  die 
drei  F rauen  gehen  am  Oftermorgen  zum  Grabe.  Hinter  der  Altartafel  lieht 
folgendes  Chronodiftichon: 

Septima  Ivx  nobls  vbi  elaro  falfit  ab  ortv 

avgvftl  artiflels  plcta  tabella  fvlt  das  ift  der  7.  Augull  1600. 

Die  Dispofition  der  in  entwickelten  Renaiftanceformen  gut  gefchnitzten 
Architektur  des  Aulbaues  ift  von  Intereffe.  Die  Kanzel,  welche  ftch  an 
der  Ecke  des  Chores  und  nördlichen  Seitenfchiffes  befindet,  ift  von  Stein. 
Sie  wird  von  einem  mit  Engelsköpfen  verzierten  Rundpfeiler,  der  auf  einem 
Poftamente  lieht,  unterftützt  und  ift  nur  durch  eine  in  die  Sacrillei  hinab- 
führende Treppe  zugängig.  An  diefer  Treppe  ift  die  Brüllung  mit  llolzein- 
fätzen  ausgefüllt  und  auf  diefen  find  die  vier  Evangeliften  in  Relief  darge- 
ftellt;  an  der  Kanzelbrüftung  dagegen  ift  die  Verkündigung,  Geburt, 
Kreuzigung  und  Auferftehung  in  fteinernen  Reliefs  ausgeführt.  Man  lieft 
an  dem  Gefimfe  der  Treppe: 

l)a*i  Hrnttr  t)a!  öen  prrftid|t8iil)l  Der  fiirdjtn  )U  t|tn  mnd|tn  Infra  nnne  Uli, 

an  der  Kanzel  lieht: 

$an$  IBi^irl  oon  Brrnburgk 1 (vertieft  eingehauen)  Andrea»  Bradjinan 
ftlalrr  aai  IHagiirbtirgb  Anna  MDLXXXIX. 

Die  jetzige  Bemalung  dürfte  aber  erll  aus  dem  Ende  des  vorigen  Jahr- 
hunderts fein.  Der  Taufftein  gehört  dem  Jahre  158g  an.  Aus  unferer  Abbildung 
deffelben  F'ig.  284  wird  erfichtlich,  dafs  er  durchweg  von  achtfeitiger 
Kelchform  ift.  Der  Fufs  ift  fchlaft  profilirt,  der  Schaft  mit  kräftigen  Spitz- 
quadem  verziert,  kräftig  ift  auch  der  mit  Hachen  Kartufchen  überfponnene 
Wulft,  welcher  das  Gefäfs  dem  Fufse  verknüpft.  Die  Seitenflächen  des 
Kelches  find  mit  verfchiedenen  Kartufchen  ohne  befonders  gute  Erfindung 
belebt.  Ein  Bibelfpruch  umzieht  den  durch  einige  architektonifche  Glieder 
entllandenen  Rand.  Dafs  die  Arbeit  der  ftiliftifch  fein  empfindenden  Hoch- 
renaiffance  angehört,  ill  aus  unferer  Befchreibung  erkennbar,  aber  die  Aus- 
führung ift  nicht  lobenswerth,  fie  ift  nicht  meifterlich,  fondern  nur  werk- 
meifterlich.  An  der  Nordfeite  des  Chores  ift  ein  fteinemes  Grabmal  von 
1587  erhalten,  ln  der  Sacrillei  fieht  man  einige  verfchiedenzeitige  und  nicht 
ganz  bedeutungslofe  Mobilien,  einen  einfachen  Holztifch  der  Renaiffance 


1 Dieter  Bildhauer  ift  als  der  Erfinder  anrufehen. 


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DIE  SIAIlT  HAI. DE  u.  d.  SAALKKE1S. 


5“ 


(ungeleimt)  mit  zwei  gut  profilirten  Brettfüfsen,  einen  faß  werthlofen  Ipät- 
gothifchen  Schrank  und  einen  Gotteskaflen , der,  wie  diefe  Behältnifle  zu 
fein  pflegen,  ans  einem  gehöhlten  Baumflamme  belleht. 

Fig  284. 


/i  e 0 


Taufftein. 


Ueber  die  Glocke  von  0,75“  DurchmefTer  befagt  die  Infchrift: 

ANNO  1707  GOSS  MICH  PETER  BECKER  IN  HALLE. 

Die  Glocke  von  0,99“  DurchmefTer  und  die  von  1,23"  DurchmefTer  hu 
1839  C.  G.  G.  Becker  in  Halle  gegoITen. 


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LÖBEJÜN.  LÖBNITZ  an  der  LINDE.  5 23 

Nordößlich  vor  der  Stadt  liegt  das  Hospital  S.  Cyriaci , welches  1 460 
von  Tielemann  Rode,  einem  Löbejüner  Pfarrer,  gegründet  iß.  Das  Hofpital 
felbß  iß  ganz  neu  erbaut,  aber  es  hat  noch  eine  alte  Kirche,  die  ebenfalls 
1460  gebaut  und  vier  Jahre  fpäter,  wie  wir  fchon  aus  der  am  Chore  der 
Stadtkirche  befindlichen  Infchrift  wißen,  vollendet  fein  foll.  Es  iß  das 
Kirchengebäude  von  oblongem  Grundrifs  mit  geradem  Chorfchlufs  und  ohne 
Thurm.  Die  Renai  ffanceausbauten  des  Innern  find  von  nur  geringem 
Werthe.  Die  Glocke  im  Dachreiter  hat  0,65”  Durchmeder  und  iß  mit 
Schnüren  umzogen;  fie  wird  dem  15.  Jahrhundert  angehören. 

An  Profanbauten  giebt  es  aufser  einigen  Holzgefimfen  der  fpätern 
Renai ITance  kaum  etwas  Bemerkenswerthes. 


Löbnitz  an  der  Linde. 

Pfarrkirchdorf,  28  km  nördlich  von  Halle  als  Enclave  im  Anhaltifchen 
gelegen.  Die  im  Dorfe  befindliche  Kirche  dürfte  eine  romanifche  Anlage 
fein,  von  der  fich  aber  nur  das  Langhaus  erhalten  hat.  In  (fpät?)gothifcher 
Zeit  iß  ößlich  an  Stelle  der  Aplis  ein  rechteckiger,  vergröfsernder  Ausbau 
getreten,  d eilen  gerade  Oßwand  noch  jetzt  von  ihren  urfprünglichen  drei 
fchmalen  Spitzbogenfenßern  durchbrochen  wird.  Der  heutige  Thurm  ßammt 
aus  dem  Jahre  152g,  welche  Zahl  am  Schlufsßeine'  der  vom  Schiffe  aus  zu 
ihm  führenden  Thür  ßeht.  Im  Innern  fällt  ein  fpätgothifches  Sacraments- 
häuschen  an  der  Nordwand  des  Altarraums  auf ; Fialen  mit  krabbenbefetzten 
Riefen  an  den  Seiten  der  Thür,  über  welcher  ein  kreuzblumenbekrönter 
Efelsrücken  fich  befindet,  und  ein  gerades  Gelims  oben  alsAbfchlufs  bilden, 
wie  bei  den  meißen  Schreinen  diefer  Art  im  Kreife,  die  Beßandtheile.  Der 
Thürflügel  iß  auffälligenveife  von  Holz,  ab  r mit  Blech  überzogen  und  mit 
zwei  einfachen  hübfeh  geßalteten  Bändern  befchlagen.  Die  Altarplatte  hat 
an  den  Enden  Weihkreuze  und  ein  leeres  Grab  mit  Marmorplatte  in  ihrer 
Mitte.  Der  Altaraufbau  iß  ein  Triptychon.  Die  Flügel  find  beiderfeitig  in 
Temperafarben  bemalt  und  zwar  ßeht  auf  ihrer  Rückfeite  je  ein  Heiliger; 
die  fichere,  wenn  auch  nicht ' tadellofe  Zeichnung  beider  Bilder  iß  nicht 
mehr  fo  weit  erhalten,  dafs  mit  Gewifsheit  zu  erkennen  wäre,  ob  hier 
Petrus  und  Paulus  dargeßellt  find.  Die  alten  Bilder  auf  der  Vorderfeite 
der  Flügel  find  in  der  Barockzeit  je  mit  zwei  gänzlich  werthlofen  Oelbildern 
auf  Leinwand  übernagelt,  fodafs  man  auf  eine  relativ  gute  Erhaltung  jener 
alten  Gemälde  rechnen  darf,  falls  diefe  barocken  Stücke  einmal  entfernt 
würden. 

Im  Schreine  felbß  ßehen  folgende  holzgefchnitzte  Figuren,  links  oben 
die  h.  Barbara  mit  ihrem  Thurme  und  eine  1 leilige,  die  einen  Mühlßein  oder 
ein  Rad  hält,  vielleicht  alfo  die  h.  Katharina  vorßellen  foll;  links  unten 
eine  Heilige  jetzt  ohne  Attribut  und  eine  andere  mit  einem  Schädel  (Magda- 
lena?); die  Schreinmitte  nimmt  Maria  mit  dem  Kinde,  in  gröfserm  Maafs- 
ßabe  als  die  übrigen  Statuen  gehalten,  allein  ein;  rechts  oben  ßeht  die 
h.  Margaretha  mit  einem  Drachen  und  die  h.  Dorothea  mit  einem  Körbchen, 
unten  die  h.  Agnes  mit  einem  Lamme  und  eine  Heilige,  jetzt  ohne  Beigabe. 


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524 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKKhIS. 


Die  Auffaffung  und  Ausführung-  aller  diefer  Figuren  ift  nicht  bedeutend, 
die  Technik  ift  roh,  die  Köpfe  ftark,  nur  der  Faltenwurf  ift  gut. 

Die  Glocke  von  0,57"  Durchmeffer  ift  auch  0,57"  hoch,  ihre  Form  er- 
fcheint  demnach  länglich  und  ladet  unten  an  einem  kräftigen  Schlagringe 
weit  aus.  Oben  fteht  zwilchen  einem  aus  vier  Riemchen  gebildeten  Bande 
diefe  Majuskelumfchrifl: 

+ GLORIOSA  (wohl  der  Glocke)  • 0 RÜX  GLORIE  V€I?I  ÜVfll 
PÄE  (=  PÄ(IE)  • (Das  H in  RÜX  ift  über  die  Reihe  gefetzt; 
zwifchen  R und  X fteht  ein  kleineres  G. 

Die  Buchftaben  find  noch  nicht  über  Wachsmodellen  geformt,  fondeni 
durch  ein  allerdings  fehr  gefchicktes  Eingraben  in  den  Mantel  entllanden; 
ihre  Form  tritt  plaftifch  gut  hervor ; man  dar)  den  Glockenguls  etwa  in 
das  vierte  oder  fünfte  Jahrzehnt  des  14.  Jahrhunderts  fetzen.  Die  Glocke 
von  1 , 1 1 “ DurchmelTer  hat  eine  plumpe,  matt  gezeichnete  Form  und  ift 
aufser  durch  vier  Riemchen  oben  ohne  jeden  Schmuck;  gehört  fie  in  die 
fpätgothifche  Zeit?  — Die  Glocke  von  1,20“  DurchmelTer  hat  diefe  Inlchritt: 

GOTTES  WORT  BLEIBET  EWIG.  ECKHART  KVECHGER  VON  ERF- 
FVRT  GOS  MICH  IN  KVEINERN  M . DLXXXIIII. 

Merbitz. 

Kirchdorf,  Filial  von  Nauendorf  und  Rittergut,  14  km  nördlich  von 
Flalle  gelegen.  Schon  1286  wird  ein  Fleinrich  von  Merbitz  genannt,  diefes 
Gefchlecht  ftirbt  aber  im  15.  Jahrhundert  aus.  Nachdem  dann  Buflb  Thaufe 
das  Gut  gekauft  hatte,  ging  es  1508  an  feine  Söhne  über  und  von  diefen 
an  die  von  Krofigk,  die  es  bis  heute  befitzen.  Wenn  die  Bautormen  des  Herren- 
haufes,  welches  zu  Anfang  des  18.  Jahrhunderts  neu  erbaut  ift,  auch  nicht 
bedeutend  find,  fo  giebt  es  doch  mancherlei  beachtenswerthe  Einzelheiten, 
die  als  barocke  ErzeugnifTe  gefchätzt  fein  wollen.  Ueber  die  Kirche,  welche 
auf  dem  Hofe  fleht  und  mit  dem  Thurme  an  das  Herrenhaus  gebaut  ift, 
weil  fie  anfangs  nur  als  Schlofskapelle  gedient  hat,  fteht  das  Patronatsrecht 
bei  dem  Gutsbefitzer;  fie  hat  auch  zuvor  als  filia  vaga  zeitweife  zu  Löbejün  ge- 
hört. Vielleicht  ift  die  Anlage  des  Gebäudes  romanifch;  mit  dem  Gutshaufe 
ift  aber  auch  die  Kirche  umgebaut  worden.  In  dem  rechtwinklig  fchliefsenden 
Schiffe,  deffen  Altarraum  unterwölbt  und  mit  Särgen  ausgefetzt,  nun  aber  ver- 
fchüttet  ift,  bemerkt  man  an  der  Nordwand  die  Epitaphien  der  von  Krofigk- 
schen  Kinder.  In  den  Kirchenfenftern  befinden  lieh  vier  gut  auf  Glas  ge- 
malte Wappen,  die  fchon  von  1603,  mithin  von  der  älteren  Kirche  her- 
llammen;  es  find  die  der  Familien  von  Alfensleben  (Rofen)  und  von  Krofigk 
(Pflugfcharen).  Die  Glocke  von  0,39"  Durchmeffer  ift  1561  (?)  gegoffen;  die 
von  0,63“  DurchmelTer  hat  diefe  Auffchrift: 

Verbum  Dei  Manet  in  Aeternum  Anno  MDCLXXXXIII  im  Julio 
habe  ich,  Matthias  von  Krosigk,  bey  jezt  regierenden  Chur- 


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LÖBNITZ  an  der  LINDE.  MERBITZ.  MITTRLEDLAU. 


525 


fuersten  zu  Brandenburgk  Friedrich  dem  Dritten,  bestallter 
Cammerrath  und  Kriegscommissario  nebenst  meiner  Frauen, 
Sabinaen  Osterheldz,  gebohrne  von  Landsbergen,  zu  Gottes 
Ehren  diese  Glocke  auf  mein  Haus  Merbitz  in  Halle  giesen  lassen 
von  Johan  Jacob  Hoffmann. 

Mitteledlau. 

Plarrkirchdorf,  22  km  nordweftlich  von  Halle  gelegen,  gehörte  dem 
Collegiatflifte  S.  Nicolai  zu  Magdeburg;  aul  die  Bitte  diefes  Stiftes  machte 
der  Iirzbifchof  Erich  1293  die  Kirche,  die  feither  Eilial  der  Kirche  zu 
Cönnern  gewefen  war,  felbftftändig.  Das  Kirchengebäude,  der  h.  Katharina 
geweiht,  liegt  an  der  nördlichen  Seite  des  Dorfes  und  ill  1882  im  Innern 
umgebaut.  Die  Anlage  gehört  der  Uebergangszeit  an;  fie  fehliefst  örtlich 


Fif;.  285. 


Taufftein. 


mit  geradem  Giebel  und  hat  am  Thurm  ein  Fenfter  behalten,  welches  die 
urfprüngliche  Ausbildung  zeigt,  nämlich  eine  fpitzbogige  Ueberdeckung 
bei  langer  fchmaler  Form.  Auch  der  Taufftein,  welcher  aus  der  Kirche 
entfernt  ift,  gehört  der  Uebergangszeit  oder  der  frühen  Gothik  an.  Wir 
geben  in  F'ig.  285  feine  Abbildung,  aus  welcher  man  erkennt,  dafs  er  bei 
allem  Mangel  an  Zierrathen,  doch  ein  gefälliges  (fall  gelecktes)  Anfehen 
hat;  feine  achtfeitige  Geftalt  fetzt  fich  aus  dem  kelchartigen  Gefafse,  einem 
(ich  ausbreitenden  Fufse  und  einem  beide  Theile  verknüpfenden  Rundftabe 
zufammen.  In  dem  jetzt  im  Provinzialmufeum  zu  Halle  befindlichen  Altar- 
fchreine  flehen  die  drei  Heiligen:  Katharina  mit  Schwert,  Rad  und  Buch, 
Maria  mit  dem  Kinde  und  ein  Bifchof,  jetzt  ohne  Attribut.  Aufser  diefen 
fall  lebensgrofsen  Figuren , die  noch  im  Schreine  liehen , giebt  es  eine 


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526 


DIE  STADT  HALTE  n.  d.  SAALKREIS. 


Anzahl  kleine,  die  lieh  in  Flügeln  befunden  haben  werden,  nämlich  Margaretha 
Moritz,  Anna  felbdritt,  Barbara  und  Elifabeth;  zu  ihnen  gehören  jedenfalls 
auch  die  beiden,  welche  auf  der  Orgel  liehen  der  h.  Stephan  mit  einem 
Buche  auf  dem  Steine  liegen  und  ein  heiliger  Diacon  mit  geöffnetem  Buch«* 
Alle  genannten  Figuren  find  nur  mittelmäfsig  gearbeitet. 

Die  Glocke  von  0,69“  DurchmefTer  hat  um  den  Hals  drei  Riemchen 
und  ihre  längliche  F'orm  ilt  übrigens  ohne  Zierrath  und  Infchrift.  Sie  wird  dem 
13.  Jahrhundert  als  der  Erbauungszeit  der  Kirche  angehören.  Auch  die 
Glocke  von  0,88“  DurchmefTer,  welche  von  gleicher  Bildung  ift,  aber  vier 
Riemchen  hat,  ilt  in  diefes  Jahrhundert  zu  fetzen.  Die  Glocke  von 
1.0“  DurchmefTer  ilt  barock;  ihr  Gufs  ilt  fchlecht;  als  Verzierung  dienen 
ihr  vier  in  Kreuzform  gelteilte  Medaillons  aut  jeder  Seite,  und  zwar  ilt  in 
dem  oberlten  das  Gotteslamm  einerfeits,  andererfeits  das  Chriltkind  mit 
der  Weltkugel  dargeltellt.  Darunter  tinks  ein  Engel  mit  Kelch,  rechts 
Adam  und  Eva  am  verbotenen  Baume,  unten  der  Traum  Jacobs  (?);  zu 
Häupten  Iteht  ein  Engel. 


Mötzlich. 

Pfarrkirchdorf,  4 km  nordöitlich  von  Halle  gelegen.  Aeltere  Namens- 
formenfind:  Muzelice,  Muzelich,  Motelitz,  Mötzelitz,  Mötzelingen.  Mötzlingck 
Die  Kirche  und  das  Dorf  find  1171  von  dem  Erzbifchof  Ruggerus  und  118: 


Fl*.  586.  Fig.  287. 


Tlimmfcnfter  im  Süden  unten.  Thurmfenftcr  im  Süden  oben. 


von  dem  Erzbifchof  Wichmann  dem  Klolter  zum  Neuen  Work  bei  Halle 
gefclienkt.  Das  Dorf,  im  drei fsigjährigen  Kriege  abgebrannt,  wurde  wieder 
erbaut,  ging  aber  gröfserentheils  1750  noch  einmal  in  Flammen  auf.  Die 
Kirche  S.  Pancratii  liegt  weltlich  im  Dorfe  und  ilt  eine  romanifche  Anlage 
gewefen.  1712  foll  fie  von  Grund  auf  neu  zu  bauen  angefangen  fein.  Sic 
fchliefst  öltlich  mit  drei  Seiten.  Ihr  Thurm  mit  einem  halb  erhaltenen 
Tonnengewölbe  ilt  noch  romanifch  Er  hat  zwar  einen  neuen  Helm  be- 
kommen, aber  in  feinen  Mauern  linden  fich  romanifche  Details  von  beachten*- 


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MITTKLKDLAU.  MÖTZLICH. 


527 


werthen  Formen.  Einige  Fenfter  find  in  Fig.  286,  287.  288,  28g  dargeftellt. 
architektonifch  interelTant  ift  namentlich  Fig.  288,  ein  Stück,  welches  auf 
die  fpätere  romanifche  Zeit  fchliefsen  läfst.  Auch  die  gekuppelten  Schall- 
löcher würden  bemerkenswert!«:  Formen  darbieten,-  nämlich  Säulchen,  die 
in  der  Mauermitte  ftehend,  mittelll  eines  fattelholzartigen  Steines  die  Rund- 
bögen der  Oeflnungen  aufnehmen,  wenn  diefelben  nicht  in  neuerer  Zeit 


Fig.  288. 


Thurmfenfter  im  Werten  unten. 


vermauert  wären.  Das  Thurmgemäuer  ift  in  lagerhaften  Steinen  gut  hor- 
geftellt  und  die  Ecken  find  mit  Quadern  eingefafst.  Im  Innern  der  Kirche 
fleht  man  den  in  Fig.  290  dargoftellten  Pfeiler,  welcher  die  beiden  Bögen 
der  Thurmmauer  gegen  das  Schiff  trägt.  Die  eigenthümliche  Ausbildung 
der  engagirten  Säulchen  ift  merkwürdig.  Die  Kirche  befitzt  ein 
meffingenes  Taufbecken  mit  der  bekannten  Darftellung  der  Verkündigung 
Mariae  in  der  Mitte  und  mit  umlaufender  Minuskel-  und  Lapidarfchrift, 
ferner  einen  Kelch  mit  einfachem  ungegliederten  Fufse  und  ebenfolcher 
Cuppa;  der  Nodus  hat  an  den  Zapfen  den  Namen  am  Stilus 

unter  und  über  dem  Nodus  lieft  man  ave  maria  gracia  pe  (=  plena). 
Die  Glocke  von  i,om  Durchmeder  hat  eine  hübfche  Form  und  die 
Minuskelumfchrift : 

0 Medaillon  m ttttt  I O l|llf  O Medaillon  Maria ; 

als  Zierrath  dient  eine  ftark  erhabene  Ilalbfigur  der  Maria.  Die  Glocke 
von  1 02"  Durchmeder  ift  anno  MDCLXXVII  von  Joh.  Jacob  Hoffmann  in 
Halle  gegolfen. 


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MÖTZLICH.  MORL. 


529 


Morl. 

Pfarrkirchdorf  und  Rittergut.  7 km  nördlich  von  Halle  gelegen.  Die 
ältere  Namensform  iß  Mordal.  Die  Familie  derer  von  Mordal  hat  hier 
ihren  Stammlitz  gehabt.  Ihre  Gefchichte  giebt  von  Dreyhaupt  II,  925.  Die 
Kirche,  nördlich  im  Dorfe  gelegen,  iß  1520  abgebrannt  und  1692  reparirt. 


Fig.  291. 


Thurmfenfter. 


Fig.  292. 


Thurmfcnfler  an  der  Nordfcile. 


Fig.  293. 


Thurmfenfter. 


Thurmfenfter  an  der  W eftfeite. 


Capital  aus  dem  Schallochc  des 
Thurmgiebels. 


Fig.  295. 


Fig.  294- 

j ET 


Die  Reparatur  fcheint  fich  befonders  auf  das  ößlich  gerade  fchliefsende  Schiff 
■rßreckt  zu  haben.  Der  Thurm,  ausgeführt  in  lagerhaften,  doch  nicht  durch- 
weg forgfam  gemauerten  Bruchßeinen  und  mit  Eckquaderung  iß  noch  romanifch 
iind  im  Erdgefchofs  mit  einem  Tonnengewölbe  überdeckt.  Wir  geben  in 

B.  D.  d.  Bau-  u.  Kunstd.  N.  F.  I.  34 


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530 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALK.KE1S. 


den  Fig.  291,  29 2,  293,  294  die  Abbildung  einiger  Thurmfenherchen  unter- 
halb der  gekuppelten  Schalllöcher.  Details  einer  Theilungsfäule  der  letzteren 
hellt  Fig.  295  dar.  Aus  den  Eckblättern  des  Capitäls  erkennt  man,  dafs 
die  Enthehung  nicht  mehr  in  die  frühe  romanifche  Zeit  lallt.  Die  Altarplatt»- 
hat  noch  Weihkreuze  und  ein  leeres  fepulchrum;  übrigens  foll  der  Altar 
1690  befchaflt  fein.  In  die  Ohwand  ih  eine  Grabplatte  eingelaffen,  aut 
welcher  das  gut  flachreliefirte  Bildnifs  eines  Ritters  in  ganzer  Figur  zu 
fehen  ih.  Die  Jahreszahl  ih  bei  der  Uebermalung  als  1306  hatt  1586  ange- 
geben, ein  Irrthum,  der  aus  der  Befchaffenheit  der  Arbeit  erhellt.  Die 
Glocke  von  1,1  jo”  DurchmefTer  hat  die  Minuskelaulfchrift: 

mmo  Dm  •|5«u 

Die  Glocke  von  0,80”  Durchmefler  ih  1812  gegoITen . die  von  ■ 30“- 
DurchmefTer  1882  von  den  Gebr.  Ulrich  in  Eaucha. 


Mücheln. 

Kirchdorf,  Filial  von  Wettin,  mit  einem  Rittergute,  23  km  nordwehlieh 
von  Halle,  am  rechten  Ufer  der  Saale  gelegen.  Es  ih  unbekannt,  wann1 
das  Gut,  in  den  ältehen  Zeiten  Stammfitz  derer  von  Mücheln,  ein  Tempel- 
herrenhol  geworden  ih,  welchem  unter  andern  Gütern  auch  Döblitz  zugehört 
und  das  Patronatsrecht  über  Wettin  zugehanden  hat.  1295  ih  diefes 
Patronatsrecht  gegen  das  zu  Grofsen- Weddingen  von  dem  Erzbifchote 
Erich  vertaufcht  worden.  Als  1311  (Concil  zu  Vienne)  unter  dem  Paphe 
Clemens  V.  diefer  Orden  befeitigt  wurde  und  der  Magdeburger  Erzbifchot 
Burchhard  III.  die  Tempelritter  von  vier  Höfen  feines  Stiftes  — unter  ihnen 
der  zu  Mücheln  — auf  einen  Tag  hatte  verbrennen  Iahen,  erhob  der 
Johanniterorden  auf  Müchelns  Güter  Anfpruch.  So  kamen  diefelben  nun  an  die 
regulirten  Canoniker  der  h.  Märtyrer  von  der  Buhe  (nach  der  Regel  der 
Auguhiner),  es  ih  aber  die  Zeit  unbekannt.  Diefer  Orden  hat  dann  das 
Gut  bis  zur  Regierungszeit  des  Erzbifchofs  F.rnh  beferten  und  zwar  als  eine 
Priorei  des  Klohers  von  S.  Marcus  zu  Krakau,  dem  bedeutendhen  Sitze 
diefer  Ordensleute.  Nur  ein  Pater  als  Prior  und  ein  Ordensbruder  fcheinen 
zu  Mücheln  gewohnt  zu  haben.  Als  ungefähr  1490  der  alte  Prior  Peter 
Strumendorff  von  feinem  Knechte  mit  der  Heugabel  erfchlagen  und  der 
Ordensbruder  nach  Polen  davongelaufen  war,  hat  das  Kloher  zwölf  Jahre 
leer  gehanden  und  ih  von  Jedermann  ausgeplündert,  ja  die  Steine  der  Ge- 
bäude find  zum  Bau  der  (vormaligen)  Gimritzer  Kirche  verwendet  worden. 
Diefen  herrenlofen  Zuhand  hat  der  Erzbifchof  Ernh  dadurch  beendet , daü 
er  Mücheln  1502  an  das  Moritzkloher  zu  Halle  verkaufte.  1534  ih  es  aber 


1 Wahrfcheinlieh  gefcbah  es  1240,  alt  (traf  Dietrich  III.  von  Brehna  feinem  Sohne,  der 
Templer  war,  dat  Gut  Mücheln  alt  Commende  f (henkte ; Dietrich  wäre  fomit  der  eritc 
Comthur  geweden. 


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MORL.  MÜCHELN. 


53' 


unter  dem  Erzbifchofe  Albrecht  an  den  Kanzler  Chriftian  Türck  überge- 
gangen  und  dann  an  andere  Private,  die  bei  von  Dreyhaupt  II,  927  ange- 
führt werden. 

Aufser  Stücken  einer  ehemaligen  UmTafTungsmauer  des  Tempelherren- 
hofes (?).  von  denen  wir  in  Fig.  296  einen  neben  dem  jetzigen  Eingänge 


Fie-  296. 


Alle  .Ringmauer  des  Hofes. 


in  den  Gutshof  ludlich  belegenen  Eckthurm  mit  Schiefsfcharten  geben,  ift 
nur  noch  die  mitten  auf  dem  Hofe  ifolirt  flehende  Kirche  Unfer  Lieben 
Frauen,  jetzt  Rübenflall  mit  mehren  Kornböden,  übrig  geblieben.  Fig.  297 
Hellt  ihren  Grundrifs  dar,  aus  dem  hervorgeht,  dafs  das  Bauwerk  der  früh- 
gothifchen  Epoche  angehört.  Es  befteht  aus  einem  zwei  Joch  grofsen,  ein- 
fchiffigen  I-anghaufe  mit  einem  dreifeitig  fchliefsenden  Chor.  Die  Ueber- 
deckung  ifl  mittelH  einfacher,  von  Gurten  getrennter  und  durch  Grate  ge- 
theilter  Kreuzgewölbe  gefchehen.  welche  fich  an  den  glatten  Wänden  auf 
Confolen  in  der  Achfe  der  Strebepfeiler  auffetzen,  welch  letztere  dann  den 
Gewölbe  Ichub  aufnehmen.  Ein  Thurm  fehlt.  Nördlich  an  dem  geraden  Wefl- 
giebel  liegt,  .völlig  unpaffend  zu  dem  Kirchenfyllem,  wie  es  ja  das  Wefen  der 
Gothik  mit  fich  bringt,  ein  dünnwandiges,  rundes  Thürmchen.  halb  vor  die 
Flucht  fpringend.  Seine  Wendeltreppe  vermittelt  den  Zugang  auf  die  im 
Innern  an  der  Weflwand  liegende  Empore  und  zum  Dachboden.  Diefe 

34* 


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532 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


Empore  ruht  auf  zwei  einfachen,  von  einem  Gurtbogen  getrennten  Kreuz- 
gewölben mit  Diagonalrippen;  die  Schildbögen  beider  Gewölbe  ruhen  ein- 
feitig  auf  einem  kreuzförmigen  in  der  Gebäudeachfe  flehenden  Pfeiler.  Die 
Wände  find  von  fpitzbogigen . zweitheiligen  Fenftern  — je  ein  folches 
zwifchen  zwei  Strebepfeilern  — durchbrochen.  In  das  Innere  führt  eine 
Hauptthür  im  weltlichen  Joche  auf  der  Südfeite  und  eine  kleinere  auf  der 
Nordfeite  im  örtlichen  Joche.  Man  erkennt  bereits  aus  diefem  GrundrifTe 
das  Beftreben  nach  möglichll  gröfsefter  Einfachheit  und  Sparfamkeit  bei 
möglich!!  gröfsefter  Solidität  und  Monumentalität;  kein  einziges  bauliches 
Stück  ift  überflüffig;  nichts  kann  letztere  Behauptung  mehr  erweifen  als 
das  Fehlen  des  Strebepfeilers  an  der  Südwertecke.  Dem  Baumeifter  dünkte 
der  mit  Abficht  ftärker  angelegte  Weftgiebel  im  Verbände  mit  der  Süd- 
wand gegen  den  Schub,  welchen  das  Gewölbe  auf  den  genannten  Punkt 
Punkt  ausiibt,  hinreichend  und  daher  liel's  er,  unbekümmert  um  Symmetrie. 


Kig.  298. 


lediglich  den  praktifchen  Rückfichten  entfprechend,  hier  den  Strebepfeiler 
weg;  an  der  Nordweftecke  hingegen  war  die  Wand  durch  das  Lichten  des 
Treppenthürmchens  gefchwächt  und  folglich  konnte  der  Strebepfeiler  hier 
nicht  entbehrt  werden.  Diefe  Art  der  Formen-  bez.  Planbildung  irt  der  frühen 
und  bellen  Gothik  eigentliümlich,  ja  fie  ift  ihr  Wel'en.  Wir  werden  diefes 
Sparfamkeitsprincip  nun  auch  im  Aufrifs  und  namentlich  — wie  es  feiten 
an  einem  andern  Beifpiele  gleicherweife  der  Fall  ift  — in  den  Details 
kennen  lernen. 

Der  Aufrifs  zeigt  ein  in  gut  gefügten,  hellen  Sandfteinquadern  ausge- 
führtes Gebäude,  welches  nachher  am  Chor  Backfleingiebelzulatze  be- 
kommen hat  und  deffen  Fenfter  jetzt  vermauert  find,  welches  übrigens 
jedoch  wegen  der  Solidität  feiner  vorzüglichen  Conftruction  wohl  erhalten  ift. 
Eine  einfache  Hohlkehle  bildet  das  Sockellims  F'ig.  298,  darüber  erhebt  lieh 
die  Wand  bis  zum  ringsumlaufenden  Kaffgelimfe,  welches  lediglich  in  einer 
fchrägen  Platte  ohne  jedes  Unlerglied  befteht,  alfo  aus  der  denkbar  ein- 


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MICHELN. 


5.53 


fachden  gothifchen  Nafe.  Dann  deigen  die  Pfeiler  einhüftig  bis  zum  Dache 
empor;  ihre  Iluft  dellt  das  in  Fig.  290  gezeichnete  Profil  dar.  Die  Ab- 
deckungsplatte der  Strebepfeiler  oben  ifl  nur  mit  einem  Ablauf  und  der 
eine  Nafe  bildenden  fchrägen  Platte  verfehen.  Das  einfache  llauptfims 


Fi«.  290. 


Strebepfeilerabfau. 

zeigt  Fig.  300.  Die  vermauerten  Fender  laden  das  Maafswerk  über  dem 
Pfoden  fowie  defTen  Profil  leider  nicht  erkennen,  nur  dafs  die  F'enderlaibung 
einfach  gefchrägt  id,  fieht  man.  Die  Profilirung  der  Thürgewände,  die  in 
einem  dolzen  Spitzbogen  zufammengehen,  id  dadurch  weit  verfchieden  von 
der  jener  fpätgothifchen  Portale,  dafs  hier  die  Glieder  klar  gruppirt  find, 
während  fie  dort,  wenig  unterfchiedlich  an  einander  gereiht,  eine  gewide 
Eintönigkeit  erzeugen  und  dem  Ganzen  jene  Klarheit  benehmen,  die  das 
Auge  nicht  wohl  entbehren  mag.  Fig.  301  dellt  das  an  beiden  Thüren 
gleichartige  Profil  dar.  Den  Tympanondein  ziert  ein  fchlanker  Kleeblatt- 
bogen als  Blende  gearbeitet;  das  Feld  id  jetzt  ganz  ohne  Schmuck  und  hat 
fcheinbar  auch  nie  einen  folchen  befeden.  Das  Innere,  welches  Zwifchen- 
decken  erhalten  hat,  zeigt  zu  ebener  Erde  in  der  Nordodwand  des  Chores 
ein  Sacramentshäuschen,  welches  nicht  eben  bedeutend  id.  Wedlich 


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534 


[)lk  STAUT  IIAM.I:  u.  d.  SAALKKKIS. 


fieht  man  unter  die  beiden  Fimporengewölbe,  die  ein  Kreuzpfeiler  unterftützt. 
der  wiederum,  wie  fein  Grundrifs  erkennen  läfst,  mit  ganz  auffällig'  einfachen 

Fig.  300. 


Hauplgdiimprofd. 


Mitteln  eine  reiche  Wirkung  hervorbringt  und  in  feiner  Form  der  Conffruktion 
völlig  entfpricht,  nur  nach  ihren  Anforderungen  gelfaltet  zu  fein  fcheint;  in 
letzter  Beziehung  machen  wir  namentlich  aut  dieganz  originellconftruktiveVer- 

«f-  301. 


Portalprofil. 


Wendung  feines  örtlichen  Kreuzarmes  zur  Verftärkung  der  Schildbögen  auf- 
merkfam.  In  den  Figuren  302,  303,  304  305  und  306  geben  wir  die  Abbildung 


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mCchf.ln. 


535 


Kiß.  305 


Confolc. 


Fig.  303. 


Confolen  ornamcnt. 


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Confole. 

keine  Spureft  mehr  aufzuweifen,  aber  bei  feuchter  Luft  läfst  (ich  die  vege- 
tabile Omamentation,  fchwarz  conturirte  gelblich  grüne  Blätter,  auf  den 
ehemals  hell  gelblichweifsen  Kappen  noch  fehr  wohl,  wenigltens  in  der 
flotten  Zeichnung,  erkennen. 

Doch  auch  die  flruktiven  Sandfteintheile  haben  überall  farbigen 
Schmuck  erhalten ; fo  finden  lieh  an  den  Gurten  und  Graten  die  Farben 
(roll-)gelb,  blaufchwarz  und  braunroth;  die  Schlufsfteine  und  die  Confolen 
haben  goldene  Blätter  auf  blauem  oder  rothem  Grunde. 


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536  ' DIE  STADT  HALLE  u.  A.  SAALKREIS. 

von  Confolen,  auf  denen  die  in  Fig.  307  gezeichneten  Rippen  fammt  den  aus 
Fig.  304  hervorgehenden  Gurtbögen  aufflehen.  Fig.  308  zeigt  die  Ausbildung 
eines  der  Schlusslleine,  die  meid  nur  in  der  Blätterform  variiren.  Das  Innere 
der  Kirche  ift  ehemals  durchaus  bemalt  gewefen.  Die  Wände  haben  freilich 

Fig.  304. 


Ml  ( HKI.S. 


537 


Wenn  wir  nach  diefer  Befchreibung  ein  Wert  über  den  Werth  diefes  ohne 
Zweifel  noch  in  das  rj.  Jahrhundert,  wahrfcheinlich  in  delTen  fechstes  oder 
fiebentes  Jahrzehnt  gehörigen  Baues  fügen  füllen,  fo  können  wir  das  Werk  im 


F'k-  305. 


Confole. 

Fig.  306.  Kig.  307. 


Sfitenauftcht  einer  Confole.  Rippenproiil. 


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o3» 


litt  STAUT  HALLE  u.  d.  SAALKKEIS. 


Ganzen  wie  im  Einzeln  der  Conftruktion  und  Ornanumtation  nur  loben  und 
als  durchaus  muftergiltig  bezeichnen.  Die  Baukunll  ifl  hier  noch  keine  ficht- 
bare  Declamation  wie  hundert  Jahre  fpäter,  fondern  fie  ift  gleich  einem 
fichtbaren  Naturgefange.  den  bis  in  feine  einzeln»  n Töne  das  Bedürfnis 

KiK.  308. 


Schlufsftein. 

erzeugt  hat.  fo  etwa  wie  das  Bedürfnis  zu  fingen  die  Kehle  der  Nachtigall 
fch wellt;  und  daher  denn  auch  der  unwiderftehliche  Reiz,  mit  dem  jedes 
Detail  d.  i.  jeder  lichtbare  Ton  unfer  Auge  beftrickt.  Gewifs  die  Tempel- 
herrenkirche  in  Mücheln  gehört  zu  den  bellen  Stücken  der  Erühgothik. 1 

Das  Dorf  bez.  Gut  belitzt  jetzt  eine  baulich  ganz  unbedeutende  Kirche, 
welche  Eidlich  vom  Gutshofe  lieht  und  infchriftlich  1780  gebaut  ill.  Ihre 
Glocke  von  0,4  t“  DurchmefTer  hat  eine  fehr  gedrückte  Form  und  ift  in- 
fchriftslos;  gehört  fie  in  die  frühgothifche  Zeit?  Die  Glocke  von  0,25“  Durch- 
melfer  hat  diefe  Minuskelumfchrift: 

+ marin  hilf  gal. 

Nauendorf  am  Fetersberge. 

Pfarrkirchdorf,  Station  der  Bahn  Halle- Afchersleben . 13  km  nord- 
welilich  von  Halle  gelegen.  Der  Name  hat  in  altern  Zeiten  die  Formen 
Niendorp  und  Nuendorff  gehabt.  1260  hat  der  Ort  dem  Grafen  von  Wettin 
gehört.  Er  ift  vor  der  Mitte  des  18.  Jahrhundert  zweimal  fall  ganz  abge- 

> Der  ehemalige  Schnilzaltar  der  Kirche  ift  in  die  Neumarktskirche  zu  Halle  gekommen 
p Seite  267. 


J 


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MÜCHELN.  NAUEN OOKE  am  l’KlKKSIlERCl:. 


539 


brannt.  Seine  Kirche,  die  dem  h.  Wenzel  geweiht  war,  liegt  im  Dorfe.  Sie 
ilt  in  ihren  älteften  'l'heilen,  nämlich  im  Thurm  und  Schiff,  aus  fpätromanifcher 
Zeit  oder  aus  der  Uebergangsperiode  und  nicht  ohne  Intereffe,  obwohl  vielfach 
durch  Umbauten  entlieht.  In  gothifcher  Zeit  ilt  das  Schiff  örtlich  verlängert 
und  dreifeitig  gefchloffen,  die  F'enfter  diefes  Chores  lind  wie  gewöhnlich 
bei  den  Dorfkirchen  nur  klein.  An  der  Südfeite  und  über  dem  jetzigen 
Kingange  an  der  Nordfeite  des  romanifchen  Theiles  des  Schiffes  finden  fielt 
noch  Refte  eines  ßogenfriefes  unter  dem  Uauptgefimfe,  die,  wenngleich  nur 
einfach  durchgebildet  — wir  geben  in  Fig.  30g  eine  Abbildung  — doch  auf 


Kig.  309. 


einen  Luxus  diefer  Kirche  fchliefsen  lalfen,  wie  er  übrigens  an  den  Dorf- 
kirchen  des  Kreifes  feiten  ift.  Die  Schalllöeher  lind  von  ftark  verwitterten 
Säulchen  getheilt ; die  Durchbildung  eines  befeitigten  Säulenkapitäls  mag 
aus  Fig.  310  erfehen  werden.1  Wie  es  fcheint,  ift  der  erfte  Eingang  an  der 
Südfeite  des  Thurmes  gelegen  gewefen,  wo  lieh  eine  vermauerte  Thür  mit  dem 
in  Fig.  31 1 abgebildeten  Sturze  vorfindet.  Die  Form  des  Sturzfteines  und 
die  beiden  feitlichen  Zierrathe,  eine  Palmette  und  eine  Rofette,  lalfen  fich 
der  fpätromanifchen  Zeit  zufchreiben,  indelTen  die  nach  unten  weifende 
fegnende  Hand  — fie  deutet  die  Gegenwart  Gottes  an  unter  einem  flachen 
Kleeblattbogen  dürfte  doch  wohl  erft  in  der  RenaifTanceperiode  entftanden 
fein;  wohl  möglich  alfo,  dafs  man  den  romanifchen  Sturz  im  16.  Jahrhundert 
folcher  Weife  verändert  hat,  wenn  nicht  der  Sturz  überhaupt  erft  um  diefe 
Zeit  gemacht  ift.  Im  Innern  fallen  an  der  Südwand  die  unter  dem  Putze 
fpäterer  Jahrhunderte  erhaltenen  Stücke  romanifcher  Frescomalerei , die  in 
neuerer  Zeit  zum  Theil  blofsgelegt  find,  auf.  Figürliche,  nicht  durchweg 
erkennbare  Darftellungen  in  kaum  halber  Lebensgröfse  gefchichtlichen, 
nicht  fymbolifchen  Inhaltes  werden  durch  breite  gemufterte  Bänder  in  hori- 
zontaler Lage  und  durch  fenkrechte  einfache  Linien  getrennt.  Befondere 
Kunftfertigkeit  verrathen  fie  nicht,  aber  wohl  eine  gewilfe  handwerkliche 
Rutine.  Zum  Studium  der  Ornamentik  find  die  F'arben  bemerkenswerth: 
die  Heiligen fcheine  find  okergelb,  ebenfo  einige  Gewänder;  für  folche 
kommt  auch  grün  und  fchwarz  (d.  h.  ein  fchweres  Dunkelblau)  vor,  die 
Fleifchtheile  find  braunroth.  Die  Farben  füllen  eine  verhältnifsmäfsig  Harke 

1 Diefes  Capital  ift  jetzt  verfchwuntlen. 


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54° 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


fchwarze  Conturirung  aus  und  find  ohne  merkliche  Abtönung':  fie  wirken 
etwas  lebhaft  und  hart,  aber  nicht  grell  und  fchreiend,  weil  die  Töne  wohl 


Fig.  310. 


Säulencapitäl. 
Fig.  311. 


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NAUENDORF  am  PETERSRERGE.  NEUTZ. 


54  > 


dark  von  einander  abweichen,  aber  einander  nicht  aufheben.  Eine  ganz 
andere  Weife  zeigen  die  Rede  von  farbiger  Ausfchmückung  des  Chores, 
welcher,  wenn  diefe  Malerei  gleichzeitig  mit  ihm  ift,  gegen  die  Mitte  des 
15.  Jahrhunderts  gebaut  fein  wird.  Man  fieht  ziemlich  hoch  an  der  Wand 
eine  gemalte  Arkade  von  Kleeblattbögen  mit  Maafswerk  und  mit  je  einer 
dreiviertel  lebensgrofsen  weiblichen  Figur  in  jedem  Felde,  deren  Bedeutung 
allegorifch(?)  ift.  Der  Zeichnung  fehlt  ein  klarer,  fefter  Contur,  die  Farben 
find  gebrochen  und  von  geringem  Contrafte,  fie  wirken  faft  wie  eine  Malerei 
von  Blafsroth  in  Blafsroth.  Höherer  Kunftwerth  ift  auch  diefen  Bildern  , 
nicht  beizulegen.  Ein  ziemlich  ftark  zerftörtes  fpätgothifches  Sacraments- 
häuschen  wird  mit  dtem  Chore  gleichzeitig  fein.  Die  Nifche  an  der  füd- 
ölllichen  Chorwand  ift  die  Piscina.  Die  Altarplatte 'wird  alt  fein,  hat  aber 
jetzt  keine  Weihkreuze  mehr.  Als  Trittftufe  der  Erhöhung  des  Altarplatzes 
hat  man  Grabfteine  aus  romanifcher  oder  frühgothifcher  Zeit  verlegt,  in 
welche  Kreuz  und  Schlüffel  eingeritzt  bez.  eingemeifselt  find. 

Unter  den  Glocken  wird  die,  welche  eine  längliche  Form  hat,  ohne 
Infchrift  ift  und  0,55“  Durchmelfer  mifst,  in  das  13.  Jahrhundert  gehören. 

Die  von  0,97  “ Durchmelfer  trägt  diefe  unfauber  ausgeführte  Majuskelfchrift: 

ü RCX  GLORIE  VCI?I  <3Vm  PAÜU  RIAT  flllSERIQÜRDIÄ 
i~f=»  I?OS  • 

Sie  dürfte  in  dem  zweiten  Viertel  des  14.  Jahrhunderts  gegofTen  fein.  Die 
Glocke  von  1,2z“  Durchmeffer  ift  1828  von  F.  See  aus  Creut/.burg  im 
Herzogth.  Weimar  gegolfen. 


Neutz. 

Pfarrkirchdorl , 15,5  km  nordweftlich  von  Halle  gelegen,  ftand  unter 
der  Gerichtsbarkeit  derer  aus  dem  Winkel  in  Wettin.  Die  Kirche  liegt 
nördlich  im  Dorfe,  etwas  hoch.  Wir  geben  in  Fig.  312  ihren  Grundrifs, 
aus  dem  die  Dispofition  einer  entwickelten  romanifchen  Anlage  erkannt 
wird.  Hier  lind  Thurm  und  Schiff  von  gleicher  Breite  und  im  Erdgefchofs 
durch  einen  weiten  Bogen  zufammengezogen.  Der  mit  einem  rippenlofen 
Kreuzgewölbe  überdeckte  Altarraum  ift  fchmäler  und  fchliefst  örtlich  mit 
halbrunder  Apfis.'  Die  Fenfter  liegen,  ohne  dafs  der  Grund  zu  erkennen 
wäre,  aufser  im  Altarraum  und  der  Aplis,  unregelmäfsig.  Denkt  man  ftch 
den  Dachreiter  aut  dem  Satteldache  des  Thurmes,  den  kleinen  Anbau  an 
die  Apfis  Eidlich  und  die  geringe  Erhöhung  des  Daches  über  dem  Schifte 
fort,  fo  bietet  auch  das  Aeufsere  Fig.  313  im  Allgemeinen  noch  das  Bild 
einer  romanifchen  Kirche  der  ausgebildeteren  Art;  einige  Kreuze  freilich 
werden  noch  auf  den  verfchiedenen  Giebeln  als  Bekrönung  fich  befunden 
haben.  Das  Mauerwerk  befteht  aus  Bruchfteinen  mit  der  bekannten 
romanifchen  Fugenbehandlung  und  mit  Eckquaderung.  Vorzüglich  durchge- 
bildet ift  dieaul  der  Südfeite  gelegene  Eingangsthür,  welche  wir  in  Fig.  314a 
und  b abgebildet  haben.  Das  reichgliedrige  aus  Rundftab,  Plättchen 


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542 


DIR  STADT  I1ALI.K  u.  d.  SAALKRKIS. 


und  Kehle  beftehende  Gewände  hat  zwei  Abfätze  im  Grundrifs.  Ein 
Perlenftab  umzieht  das  Thürlichten,  der  Rhythmus  deflelben  ift  durch  zwei 


diskenartige  und  eine  lange  Perle  hervorgerufen.  Meines  Erachtens  lalTen 
fleh  die  Unregelmäfsigkeiten  in  der  Bildung  diefer  Perlenfchnur  nur  dadurch 


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NF.UTZ. 


543 


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Aeufseics'dcr  Kirche. 


544 


DIR  STABT  HALLE  u.  d.  SAALKKKIS. 


I-'E.  314b. 


F'K-  3'4». 


Kirchenportal  auf  der  Südfeite. 


■IlllllllHliBSi 

MllilllllillMifttt 

1111 

■" 

Iß!  imti n 1 ! ÜSUyPn 

• b 

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NEUTZ. 


545 


erklären,  dafs  man  annimmt,  die  Ausarbeitung  fei  erd  nach  dem  Verretzen 
der  Quadern  erfolgt ; der  Künftler  war  alsdann  gezwungen  feine  Eintheilung 
den  einmal  beftehenden  Fugen  getnäfs  einzurichten.  Auch  die  Formen  der 
Perlen  verdienen  Beachtung,  infofem  fie,  deren  Motiv  doch  aus  der  Antike 
entlehnt  ift,  nicht  wie  die  antiken  Perlen,  die  grofsen  rund  an  den  Enden 
und  übrigens  nahezu  cylindrifch,  fondem  von  der  etwas  markirten  Mitte 
aus  konifch  find  und  kaum  gebogen  nach  beiden  Seiten  fich  zufpitzen,  die 
kleinen  aber  gradlinig  in  den  Endflächen  geformt  find.  Das  halbrunde  Tym- 
panon, welches  von  den  äufseren  Gewändegliedem  im  Bogen  umrahmt  wird, 
hat  feinen  Bogen  aus  hellen  gelben  und  dunkeiern  rothen  Sandlleinftücken 
in  gefälliger  Abwechfelung  zufammengewölbt,  aber  die  Stücke  find  nicht  , 
gleich  grofs.  Der  eigentliche  halbrunde  Sturzftein  wird  zunächft  von  einem 


F'C-  i '5- 


Kämpfer  am  Bogen  des  Sanctuariums. 


Blattomamente  im  Halbkreife  umzogen;  die  Ausbildung  in  den  beiden 
Kreisvierteln  ift  verfchieden,  eine  Eigenthümlichkeit,  die  fich  auch  an  andern 
romanifchen  Thürfeldern  gerade  an  diefer  Stelle  zeigt,  z.  B.  in  Beefen- 
laublingen.  Darunter  lieht  man  einen  halbmondförmigen  Streif  mit  vier 
Fifchen  , die  mit  den  Köpfen  paarweife  zufammenftofsen ; fchliefslich  wird 
das  eigentliche  Feld  an  derBafis  von  vier  verbundenen  Palmetten  inPerlen- 
ftabumrahmung  und  darüber  befindlichen  Blattwerk  ausgefüllt.  Eine  fall 
unbegreifliche  Ungenauigkeit  in  den  Abmeflungen  der  Einzelheiten  ift  auch 
hier  zu  conftatiren.  Fifche  find  nicht  feiten  an  den  Bogenleldem  romanifcher 
Portale;  ihre  fymbolifche  Bedeutung  hier,  fowie  die  der  übrigen  Zierrathe 
möge  nicht  weiter  unterfucht  werden,  da  fie  mit  Beftimmtheit  doch  nicht 
B.  D.  d.  Bau-  u.  Kunstd.  N.  F.  1.  35 


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546 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


wohl  zu  ermitteln  fein  wird.  Im  Kircheninnern  zeigen  die  Kämpfer  an  den 
Bögen  der  Apfis  und  des  Altarraumes  Hg.  315  eine  aus  Platten,  Rundftäben 
und  Kehlen  beßehende  Profilirung.  Aus  alle  diefen  Kunßformen  wäre  zu 
fchliefsen,  dafs  die  Kirche  gegen  1200  erbaut  worden  iß,  dem  aber  wider- 
fpricht  eine  im  Kirchenbuche  befindliche  Angabe,  die,  ein  Bruchßück  eines 
Gedichtes,  welches  wohl  erß  gegen  Ende  des  16.  Jahrhunderts  entflanden 
fein  kann,  folgende  Sage  meldet: 

Von  der  bey  Fundation  dieser  Kirchen 
alhir  zu  Neuz  Anno  1305  gefundenen 
Basilisken  zeugen  nachfolgende  alte 
(wiewohl  schlechte)  Verse,  die  vor  langen 
Jahren  im  Neuzischen  Kirchen- 
buche gefunden,  also: 

Alss  man  zehlt  MCCC  und  V Jahr 

Nach  Christi  Menschwerdung,  (ist  ganz  wahr) 

Am  Tag  Martins,  des  heiligen  Mann, 

That  man  die  Kirche  fahen  an 
Durch  frommer  Leuthe  milden  gabn; 

Merk  auff,  wass  ich  dir  nun  wil  sagn : 

Da  man  will  zu  dem  gründe  räumen, 

Und  jzt  legen  die  Grund -Steinen 
Ward  g'funden  (wunder  ist's  zu  sag’n) 

In  einem  alten  g'mäur  begrab’n 
Mit  Nahm'n  ein  Basilisken  Thier, 

Ob'n  ein’r  ganss  - unten  Schlangen  Zier, 

Mit  seinem  adern  und  gestalt 
Drey  Männer  hat  getödtet  bald. 

Wie  man  nun  die  gefunden  hat, 

Ist  keine  Müh  noch  Fleiss  gespart 
Bey  weisen  Leuthn  zu  frag’n  üm  Rath, 

Und  auch  zu  forschen  früh'  und  spat; 

Lezt  ist  gefunden  im  alten  Sieg'l 

Dass  solchen  Thiers  Todt  sey  ein  Spieg'l, 

An  welchem  er  sich  getödtet  hat, 

Wie  hier  darunten  vor  ihm  staht. 

Funffzehen  Eyer  sind  gefund'n 
In  dem  Auffheben,  stehn  unt’n ; 

Zum  gedächtnüs  ist  es  abgemahlt 
Wie  du  da  siehest  sein  gestalt. 

Was  lieh  von  der  Darßellung  des  Bafiliskenthieres  und  feinen  Eiern 
(Eierplätzen)  noch  erhalten  hat,  erficht  man  aus  Fig.  316  ; diefe 
Stücke  find  allerdings  1305  gemeifselt,  foviel  fich  erkennen  läfst,  nicht  aber 
können  fie  mit  der  Kirche  gleichzeitig  fein.  Nach  von  Dreyhaupt’s  Angabe 


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NEUTZ.  NIEMBERG. 


547 


ift  „der  Bafilisc  mit  dem  Spiegel  und  Eiern  nebft  beigefetzten  lateinifchen 
Versen  in  der  Kirche  in  Stein  gehauen  gewefen.“  Jetzt  liegen  die  Stücke 


FiR.  316. 


Das  Baliliskenthier  mil  feinen  fünfzehn  Eiern, 


aufsen  neben  der  Kirchenthür  und  vergehen  mit  der  Zeit  völlig  wie  die  inhalts- 
volle poetifche  Sage.  Der  Altar  ilt  1696  gemacht,  in  welchem  Jahre  der  im 
Knopfe  des  Thurmes  befindlichen  Infchrift  zufolge  „dieses  Gotteshaus 
überall  restauriret  und  verbessert  worden“  ift.  Die  Verhältnifle  find  gut, 
doch  ill  er  weifs  angeftrichen.  Von  dem  ehemaligen  fpätgothifchen  Altar- 
fchreine  find  die  gut  gefchnitzten  farbigen  Figuren  auf  dem  Pfarrboden, 
welche  vorftellen  die  Madonna  mit  dem  Kinde,  einen  Apoftel,  jetzt  ohne 
anderes  Attribut  als  ein  Buch,  den  h.  Georg  mit  dem  Drachen,  einen 
h.  Bifchof  mit  Kirchenmodell,  die  h.  Barbara  mit  einem  Thurme,  den 
h.  Moritz  in  ritterlicher  Rüftung  und  eine  Heilige  jetzt  ohne  Attribut.  Die 
Glocken  find  1871  von  Ulrich  in  Laucha  gegoffen  und  melTen  1.05“,  0.83“ 
und  0,67  “ im  Durchmeffer. 


Niemberg. 

Pfarrkirchdorf  und  Rittergut,  Station  der  Magdeburg-Leipziger  Eifen- 
bahn , 1 1 km  nordöftlich  von  Halle  gelegen , hat  folgende  ältere  Namens- 
formen:  Nyemburg,  Nienburch,  Nimburch.  von  Dreyhaupt  fchreibt:  „das 
Etymon  des  Orts  foll  von  9 Bergen  herkommen,  welche  lieh  da  herum  in 
der  Nähe  befinden.“  Unter  den  von  ihm  angeführten  Bergen  ift  auch  die 
Burgftätte  zwifchen  Niemberg  und  Plöfsnitz  mit  noch  fichtbaren  Ueber- 
bleibfeln  vormaliger  Burggebäude  angeführt;  mit  Sicherheit  find  folche  jetzt 
nicht  mehr  zu  erkennen.  Immerhin  dürfte  dort  ein  beteiligter  Platz  gewefen 
fein.  Aufserdem  bietet  das  Terrain  ein  vorgefchichtliches  InterelTe,  wie 

35  * 


t 


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548 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


auch  aus  dem,  was  von  Dreyhaupt  II,  936  anführt , hervorgeht  Der  Ort  iß 
fchon  955  vom  Kaifer  Otto  der  Magdeburger  Ulrichskirche  gefchenkt 
worden.  1184  hat  Wichmann  dem  Moritzkloßer  zu  Halle  das  Patronats- 
recht der  Kirche  gegeben,  und  1315  iß  folche  Schenkung  durch  den  Erz- 
bifchof  Burchard  bellätigt.  Das  Rittergut  iß  aus  zwei  Sattelhöfen  zufammen- 
gezogen,  den  einen  Hof  haben  die  von  Dieskau  feit  1467  be feilen,  den 
andern  hat  Martin  Krowene  gehabt,  und  1471  iß  Hans  Hedersleben  mit  ihm 
beließen  worden.  Weiteres  fiehe  bei  von  Dreyhaupt  II,  937.  Die  Kirche 
S.  Ursulae  iß  ganz  neu  romanifirend  erbaut.  Im  Eingänge,  der  von  Weilen 
her  durch  den  Thurm  ßattfindet,  ßehen  — leider  jeder  Berührung  ausgefetzt 
— die  Theile  des  alten  Flügelaltares,  der  wohl  der  bedeutendße  feiner  Art 
im  Kreife  iß.  In  den  Flügeln  ßehen  die  12  Apoßel,  in  dem  Schreine  Maria  mit 
dem  Kinde  und  neben  ihr  je  zwei  weibliche  Heilige.  Diefe  Figuren  find  fehr 
fchlank  und  haben  die  S-linienhaltung.  Ihre  Gewandung  iß  faltenreich.  Sie 
find  bis  jetzt  noch  ziemlich  gut  erhalten.  Die  Arbeit  iß  ganz  vortrefflich;  der 
Stil  zeigt  fchon  viele  Anklänge  an  die  Renaiffance,  fodafs  fie  vermuthlich 
von  einem  fehr  tüchtigen  Meißer  im  Anfang  des  16.  Jahrhunderts  gemacht 
find.  Ueber  der  Thür  zum  Schiff  iß  in  einem  quadratifchen  Kaßen  unter 
Glas  eine  farbige  Holzfchnitzerei  aufgehängt,  welche  derfelbe  Meißer  jedoch 
im  kleinern  Maafsßabe  ausgeführt  hat;  es  find  die  drei  Könige,  wie  fie  ihre 
Gaben  dem  Chrißkinde  bringen,  dargeßellt.  Diefes  Stück  iß  auch  in  feiner 
Färbung  völlig  erhalten  und  befand  fich  vermuthlich  in  der  Predella 

Die  Glocke  von  0,36“  Durchmeffer  iß  von  länglicher  Form  und  in- 
fchriftlos,  fie  gehört  fpäteßens  in  das  13.  Jahrhundert.  Die  Glocke  von 
0,92**  Durchmeffer  hat  diefen  leoninifchen  Vers  in  Majuskeln: 

+ SariOJO  SALLO  (SÄI?TO?)  DEO  MARIE  BÄRTOLOMEO  A 

Die  Entßehungszeit  mufs  um  die  Mitte  des  14.  Jahrhunderts  fein.  Ebenfo 
die  der  Glocke  von  1,04“  Durchmeffer,  deren  Majuskelinfchrift  lautet: 

A 

+ 0 REX  6LOR10  PXQ  VQTPI  dVAl  PÄd0  db  A GLORIOS 


Nietleben. 

Kirchdorf,  Filial  von  Lettin,  4 km  weßlich  von  Halle  auf  der  linken 
Seite  der  Saale  gelegen.  Die  ößlich  gerade  fchliefsende  Kirche,  welche 
wohl  1 km  weßlich  vom  Dorfe  frei  auf  ihrem  Kirchhofe  liegt,  iß  eigentlich 
das  Ueberbleibfel  des  im  dreifsigjährigen  Kriege  unlergegangenen  Dorfes 
Granau,  deffen  Rittergut  noch  unweit  der  Kirche  liegt.  1654  und  1724  iß  die 
Kirche  reparirt  und  1692  der  Thurm  neu  erbaut.  Der  Altar  iß  nach 
Weßen  gefetzt.  Die  Glocken  hängen  auf  einem  der  Schule  in  Nietleben 
angebauten  Thurme,  die  von  0,47“  Durchmeffer  iß  im  Jahre  1738  von 
Becker  in  Halle  gegoffen  und  die  von  0,74"*  Durchmeffer  1774  v'on 
F.  A.  Becker  in  Halle. 


"V, 


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NIEMBERG.  NIETLEBEN.  OPPIN.  OSMÜNDE. 


549 


*\ 


Oppin. 

Pfarrkirchdort  und  Rittergut,  7 km  nordöftlich  von  Halle  gelegen, 
ehemals  Apyn  und  Appien  genannt.  1371  befafs  ein  Hans  von  Oppin  einen 
Sattelhot  dort.  Aus  der  Gefchichte.  die  bei  von  Dreyhaupt  11,  938  nach/.u- 
lefen  ift,  fei  hier  nur  noch  erwähnt,  dafs  die  baulultige  und  kunftfinnige 
Gemahlin  des  Markgrafen  Joachim  Friedrich  Katharina,  die  urfprüngliche 
Anlage  des  jetzigen  Rittergutsgebäudes  mit  einem  theilweife  noch  vor- 
handenen Waflergraben  befeftigt  hat,  freilich  ift  in  dem  jetzigen  Gebäude 
kaum  noch  etwas  von  jener  künlllerifch  gewifs  bedeutenden  Anlage  der 
Hochrenaiflance  zu  fehen.  Die  Kirche,  nördlich  im  Dorfe  etwas  hoch  ge- 
legen, war  dem  h.  Georg  und  der  h.  Eliiäbeth  geweiht.  Sie  ift  1633  und 
1655  abgebrannt  und  daher  wenig  einheitlich.  Die  urfprünglich  romanifche 
Anlage  ift  an  verfchiedenen  Reifen  romanifcher  Kunftformen  nicht  zu 
verkennen.  Die  Kirche  fchliefst  örtlich  gerade  und  hat  an  der  Nordfeite 
der  Chorpartie  einen  vielleicht  auch  fchon  in  romanifcher  Zeit  vorhanden 
gewefenen  Anbau,  in  dem  fich  jetzt  die  Sacriftei  befindet.  Das  ihn  über- 
deckende fpitzbogige  Kreuzgewölbe  wird  vor  dem  15.  Jahrhundert  nicht 
entftanden  fein.  In  diefem  Raume  findet  fich  noch  ein  alter  Altar.  Die 
gekuppelten  Schalllöcher  am  Thurm  haben  neue,  doch  in  der  Form  fchein- 
bar  den  ehemaligen  nachgebildete  Säulen.  Auffällig  ift.  dafs  der  aus  ver- 
fchiedenen Abfätzen  beftehende  Thurm  unten  ohne  Eckquaderung  ift, 
während  folche  in  den  obern  GefchoITen  gefunden  wird,  ein  Zeichen  alfo, 
dafs  diefe  folidere  Conftructionsweife  die  jüngere  ift. 

Die  Kirche  hat  ein  meffingenes  Taufbecken  mit  der  Darftellung  der 
Verkündigung  Mariae  in  der  Mitte,  um  welche  eine  unleferliche  Minuskel- 
fchrift  läuft;  es  gehört  dem  Jahre  1657  an. 

Die  Glocke  von  1,04"  Durchinefler  ift  1604  (?)  gegolTen.  Die  von 
1,20"  Durchmeffer  hat  die  Infchrift:  • 

Anno  MDCLXXVi  iS  Jirfr  Ifiloifet  ;nm  nirrtrn  Bogir  nad)  Srnt  Brandt 
uugrgoffm  morllrn  jrso  non  fll.  Simon  IDilüt  non  liall  oor  fernem  onglidi 
uns  Sott  bemarr.  Amen. 

Als  Zierrath  dient  ein  grofses  Reliefbildnirs  Luthers. 


Osmünde. 

Pfarrkirchdorf,  10  km  füdöftlich  von  Halle  gelegen.  Stammfitz  des 
Gefchlechts  derer  von  Osmünde.  Die  Kirche  S.  Petri,  in  Südoften  des 
Dorfes  gelegen,  ift  eine  romanifche  Anlage  der  ausgebildetern  Art.  Wie 
unfere  Abbildung  Fig.  317  zeigt,  ift  Thurm  und  Schiff  gleichbreit,  der  Altar- 
raum mit  halbrunder  Apfis  jedoch  fchmäler.  An  den  Altarraum  ftöfst  nörd- 
lich ein  vierfeitiger  Thurm . welcher  im  Erdgefchofs  die  Sacriftei  enthält. 
Es  wird  dies  derjenige  Thurm  fein,  welcher  nach  von  Dreyhaupt  an  die 
Pfarre  angebaut  war  — letztere  liegt  jetzt  davon  entfernt  — und  der 


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Acufacrcs  der  Kirche. 


550 


UIK  STADT  HALLT,  u.  d.  SAALKREIS. 


Digittzi 
. 


OSMÜNDE.  PEISSEN. 


55 1 


ehemals  eine  Kapelle  enthielt,  „dahin  vor  Zeiten  den  2.  Sontag  nach  Trini- 
tatis gewallfahrtet  und  wo  Ablafs  ausgetheilet  worden.“  Das  Aeufsere  der 
Kirche  läfst  verfchiedene  Bauzeiten  erkennen.  Der  von  Norden  nach  Süden 
breitere  Thurm  wird  durch  zwei  Ablatze  in  drei  GefcholTe  getheilt,  von 
denen  das  obere  gothifche  Fenfter  hat.  Ein  Satteldach  überdeckt  den 
Thurm.  Das  Erdgefchofs  mit  einem  Tonnengewölbe  ift  noch  romanifch,  die 
beiden  andern  GefcholTe  werden  der  Gothik  angehören.  Wir  erfahren 
nämlich  aus  von  Dreyhaupt  II,  938,  dafs  in  den  Vierzigerjahren  des  17.  Jahr- 
hunderts das  Wetter  den  Thurm  entzündet  hat  und  „die  fehr  hohe  Spitze 
nebll  4 kleinen  Thürmchen  und  dem  Kirchdache  abgebrannt,  aber  nach 
und  nach  wieder  repariret  und  hübfch  ausgebauet“  find.  Jene  Erwähnung 
der  fehr  hohen  Spitze  mit  4 Eckthürmchen  läfst  keinen  Zweifel,  dafs  der 
urfprünglich  romanifche  Thurm  bereits  in  gothifcher  Zeit  eine  Veränderung 
feiner  obern  Theile  erhalten  hat,  wie  denn  gegen  die  Mitte  des  17.  Jahr- 
hunderts die  jetzigen  Giebel,  aus  Fachwerk  mit  Backlteinverblendung  be- 
gehend, gemacht  find.  Am  1-anghaufe  find  romanifche  Fenlterrefte  bemerkbar. 
Nur  an  diefer  Kirche  des  Kreifes  trifft  man  an  den  mit  Sandfteinquadern  ein- 
gefafsten  Ecken  einen  Rundßab  eingehauen,  jedenfalls  weift  diefe  Be- 
reicherung auf  die  fpätromanifche  Zeit  hin.  Auf  dem  Oftgiebel  des  Altar- 
raumes befindet  lieh  noch  ein  altes  kurzfehenkliges  Steinkreuz.  Ob  der 
thurmartige  Anbau  im  Norden,  der  aus  Bruchfteingemäuer  befteht,  nur 
kleine  Fenfter  hat  und  von  einem  Heilen  Satteldache  bedeckt  wird,  ebenfalls 
fchon  in  romanifcher  Zeit  beftanden  hat,  mufs  bezweifelt  werden.  F.s  fcheint, 
als  gehöre  er  erft  dem  15.  Jahrhundert  an,  denn  fein  Erdgefchofs  ift  mit 
einem  fpitzbogigen  Tonnengewölbe  und  das  jetzt  als  Kirchftübchen  dienende 
Obergefchofs  mit  einem  Kreuzgewölbe  überdeckt;  auch  die  Thür  zwifchen 
Kirche  und  Sacrißei  hat  durch  einen  von  Confolen  unterftützten  Sturz  eine 
in  das  15.  Jahrhundert  gehörige  Form.  Im  Erdgefchofte  der  Sacriftei  fieht 
man  ein  Sacramentshäuschen.  Der  Taufftein  trägt  die  Jahreszahl  1686;  in 
diefe  Zeit  fällt  auch  die  übrige  Kirchenausstattung.  Von  der  Stuckdecke 
ift  noch  ein  Theil  erhalten.  Ein  Taufbecken  von  Meffing,  in  feiner  Mitte 
die  Darftellung  der  Kundfchafter  von  Jericho  mit  der  Traube,  ift  vom 
Jahre  1700.  Im  Kirchenarchiv  wird  ein  Notenbuch  (Agende)  mit  Initialen 
aus  dem  Anfang  der  Renaiflance  aufbewahrt;  die  guten  Zeichnungen  in 
demfelben,  einen  Efel  mit  der  Brille  einen  Säufer  u.  f.  w.  darftellend,  haben 
ironi  che  Beziehungen  auf  derzeitige  Verhältniffe.1  Die  Glocke  von 
o,g;“  DurchmelTer  ift  durch  Fr.  Aug.  Becker  1748  in  Halle,  die  von  1,23" 
Durchmefler  durch  Joh.  F'r.  Becker  in  Halle  1783,  die  von  1,42“  durch 
G.  Becker  in  Halle  1835  gegoffen. 

Peissen. 

Pfarrkirchdorf,  Halteftelle  der  Sorau-Gubener  Bahn,  6 km  örtlich  von 
Halle  gelegen.  Aeltere  Namenformen  find  Pesna,  Petzine,  Pesena  und 


I Ueber  vorgefchichtliche  Funde  u.  dergl.  Bebe  bei  von  Dreyhaupt  II,  939. 


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552 


DIE  STADT  HALLE  u,  d.  SAALKKEIS. 


PitTen.  Einiges  Gefchichtliche  findet  fich  bei  von  Dreyhaupt  II,  945.  Die 
Concentration  der  Gehöfte  um  einen  Platz  deutet  auf  wendifchen  Urfprung 
Die  Kirche  S.  Trinitatis,  welche  im  dreifsigjährigen  Kriege  fammt  dem 
Dorfe  ftark  ruinirt,  aber  dann  wieder  hergeflellt  ift.  liegt  im  Dorfe  und  ift 
eine  der  merkwürdigem  fpätromanifchen  Anlagen  des  Kreifes.  Freilich 
find  die  Schiffmauern  1852  gegen  Often  gradlinig  verlängert,  mit  gröfsem 
Fenftern  verfehen  und  etwas  erhöht,  fo  dafs  die  Geftalt  nicht  mehr  die  an- 
fängliche ift,  aber  die  Kunßformen  der  I.ifenen  und  des  Hauptfimfes. 
welche  fich  an  der  jetzigen  Apfis  befinden,  dürften  bereits  an  der  alten 
vorhanden  gewefen  und  bei  dem  Umbau,  wenn  auch  abfcharrirt,  wieder 
verwendet  fein.  Das  alte  Portal  ift  noch  an  feiner  Stelle  auf  der  Südfeite 
erhalten.  Es  hat  ein  zweitheiliges  Tympanon  mit  einer  Rofette  in  jedem 
Felde;  als  Kämpfer  dient  einerfeits  eine  umgekehrte  attifche  Balis,  anderer- 
feits  eine  ähnliche,  aber  zerftörte  Form.  Der  Thurm  ift  imberührt  geblieben 
und  dadurch  merkwürdig,  dafs  er  im  Grundriffe  rund  ift  und  fo  zu  der 
Weftwand  des  Schiffes  ßeht,  dafs  er  durch  diefelbe  in  das  Schiffinnere 
noch  hineintritt.  Er  hat  in  der  Höhe  der  Balkenlage  der  unter  einem 
fchlanken,  runden  (oder  wenn  man  will  achtfeitigen) , fchiefergedeckten 
Helme  befindlichen  Glockenftube  äufserlich  einen  Abfatz  im  Mauerwerk 
und  ift  bis  dahin  nur  von  2 weiten  Rundbogenfenftem  durchbrochen,  die 
jetzt  vermauert  und  gegen  Norden  und  Süden  gelegen  find.  Die  Glocken- 
ftube dagegen  hat  vier  nach  den  Himmelsgegenden  gerichtete  Schalllöcher, 
die  je  von  einer  Säule  getheilt  und  durch  zwei  Rundbögen  überdeckt  werden. 
Die  Theilungsfäulc  des  füdlichen  Schallloches  hat  ein  faft  gothifches  Capital 
und  eine  weit  ausladende  attifche  Bafe  mit  Eckblättem.  Sie  ift.  wiewohl 
weniger  ftark  als  die  andern  Säulen,  verwittert.  Die  ganze  Form  des 
Thurmes,  deffen  Mauerwerk  mit  dem  der  Weftmauer  des  Schiffes  nicht  im 
Verbände  ausgetührt  ift,  gehört  ohne  Frage  der  Uebergangszeit  an;  als  ein 
Merkmal  diene  noch  die  im  fchwachen  Spitzbogen  gehaltene  Ueberwölbung 
des  Einganges,  welcher  vom  Innern  des  Schiffes  in  den  Thurm  führt.  Im 
Innern  der  Kirche  ift  nur  der  kübelförmige  Taufftein,  den  Fig.  318  darftellt. 
merkwürdig;  auch  er  gehört,  wie  namentlich  die  Knöpfe  in  den  tiefen 
Kehlen  darthun.  der  fpätromanifchen  Zeit  an,  ift  aber  ziemlich  nachläffig  und 
unregelmäfsig  gearbeitet.  Ob  feine  Einzelheiten  (z.  B.  die  Fafen  der  Felder) 
nicht  in  der  Barockzeit  verändert  find,  kann  wegen  eines  Oelfarbenanftriches 
nicht  ficher  ermittelt  werden. 

Die  Glocke  von  1,30“  Durchnjeffer  hat  eine  fchöne  oben  mit  mehreren 
Reifen  umzogene  Form  und  diefe  Umfchrift  in  Minuskeln: 

+ anno  Dm  fnfo  rl  ili  raapana  cs  üri  (tjiDrif  ii 

lionsmn  sti  srn;rslat. 

Die  Glocke  von  0,48”  Durchmeffer  wird  oben  von  zwei  Schnüren  um- 
zogen, zwifchen  denen  man  vier  ftark  reliefirte  Heiligenfigürchen  fieht.  Sie 
ift  infchriftslos  und  gehört  dem  15.  Jahrhundert  an.  Die  Glocke  von  0,93» 
Durchmeffer  trägt  in  zwei  Streifen  die  Worte  des  Pfalmes  MCXV1I;  (ie  hat 


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PEISSEN.  PKTKRSRERG.  553 


.als  Zierrath  einen  Crucifixus  mit  Magdalena,  welche  die  Füfse  Chrifti 
küfst;  diefes  Relief  ilt  gut,  der  Gufs  deffelben  aber  fchlecht.  Links  von 


Fig.  ji  8. 


Taufftein. 


ihm  lieht  AUGVSTVS,  rechts  diefe  fich  auf  feine  Titel  beziehenden  Siglen 
P.  A.  M.  H.  SAX.  unter  ihm  diefe  Siglen  der  Devife  Friedrichs  des  Weifen 
V.  D.  M.  I.  /E.  Um  den  Kranz  lieft  man: 

ICH  • WEIS  • DAS  • MEIN  • ER  • LOSER  • LEBET  • DIE  • EHR  • 
ALLEIN  • DEN  • LIBEN  • GOTT  • GEBE  • ICH  • VOR  • VND 
NACH  • MEINEN  • TODT  • SIMON  • WILDT  • V . HALL  ■ 
M • D • C ■ LVIII  • AVGY  : : . 


Petersberg. 

Kirchdorf  und  königliche  Domaine,  1 1 km  nördlich  von  Halle  gelegen. 
Iis  ill  die  Kirche  auf  der  Spitze  der  jetzt  als  Petersberg  benannten  höchften 
Bodenerhebung  im  Saalkreife,  welche  für  untere  Befchreibung  ausfchliefslich 
Beachtung  verdient;  das  Dorf  und  die  Domaine  find  gänzlich  unbedeutend. 
Der  Berg  hiefs  1156  auch  Mons  ethereus  und  Luchtberg,  bis  zum  12.  Jahr- 
hundert Lauterberg,  mons  serenus,  und  wurde  erft  in  Folge  der  auf  ihm 
erbauten  Peterskirche  mit  feinem  jetzigen  Namen  belegt.  Schon  die  heid- 
nilchen  Völker  werden  diefe  die  Umgegend  weithin  beherrfchende  Boden- 
erhebung zu  gottesdienlllichen  Zwecken  benutzt  haben,  hat  man  doch  dort 
verfchiedcntlich  nicht  unbedeutende  vorgefchichtliche  Gräberfunde  gemacht. 
Auch  bei  der  Chriftianifirung  des  Landes  wird  daher  der  Blick  der  Millio- 
näre fich  auf  diefen  Berg  vornehmlich  gerichtet  haben,  um  zunächft  an  der 


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554 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKKE1S. 


Stätte  des  heidnifchen  Cultus  ein  lichtbares  und  dauerndes  Zeichen  der 
chriftlichen  Religion  zu  errichten.  Und  nichts  ift  wahrfcheinlicher,  als  dafs, 
wie  fo  vielfach  bei  dem  Vordringen  des  Chriftentliums,  eine  Taufkapelle 
für  das  Nöthiglle  erachtet  wurde,  in  welcher  die  Bewohner  des  Landes 
durch  den  Taufact  in  die  Chrillenheit  aufgenommen  werden  konnten.  Für 
nichts  anderes  als  lür  eine  folche  Taufkapelle  darf  man  denn  auch  meines 
Erachtens  den  unzweifelhaft  erften  chrilllichen  Bau  auf  dem  Petersberge 
halten,  jene  Ruine  des  jetzt  noch  als  Heiden- oder  Annenkapelle  bezeichneten 
Bauwerkes  nördlich  von  der  eigentlichen  Kirche  f.  E'ig.  319.  Daflelbe 
wird  fchon  in  dem  etwa  um  1225  gefchriebenen  Chronicon  montis  sereni. 
dem  unfere  gefchichtlichen  Angaben  entnommen  find,  als  vetus  capella 
bezeichnet.  Ihre  erlle  Anlage  ift  im  Grundrifs  kreisförmig  gewefen  mit 
öftlich  etwas  überhöhter  halbrund  ausgebauter  Apfis,  alfo  eine  Baptifterien- 
form,  wie  folche  auch  fonft  verfchiedentlich  in  Deutfchland  gefunden  wird. 
Ob  der  Thurm  und  die  Mauern  zwifchen  ihm  und  diefem  Rundbaue  im 
12.  Jahrhundert  entftanden  find,  wie  Ritter  in  der  Zeitfchrift  für  Bauwefen, 
8.  Jahrgang,  meint,  mufs  dahingeftellt  fein,  jedenfalls  find  fie  mit  letzterm 
nicht  gleichzeitig,  weil  das  Mauerwerk  des  Rundbaues  nur  magern  Lehm 
als  Mörtel  hat,  bei  diefen  muthmaafslich  fpätern  Stücken  aber  theilweife 
wirklicher  Mörtel  gebraucht  ift.  Der  Lehnt  verurfachte  denn  auch,  dafs 
bereits  im  12.  Jahrhundert  die  Kapelle  in  ihrem  runden  Theile  fo  rillig  ge- 
worden war,  dafs  der  Propft  Ekkehard,  um  den  Einfturz  zu  verhüten,  diefes 
Stück  äufserlich  mit  einer  Mauer  verblenden  und  innerlich  die  Fugen  ver- 
llreichen  liefs.  1843  und  1846  ftürzte  diefe  Kapelle  bis  etwa  auf  die  heute 
noch  vorhandenen  Refte  ein.1 

Als  Dedo,  Grafxvon  Wettin,  ein  Gelübde  zu  erfüllen  1124  in  das  ge- 
lobte Land  zog,  gründete  er  zuvor  auf  dem  Petersberge  ein  Klofter.  Als 
er  im  folgenden  Jahre,  noch  unterwegs,  ftarb,  gingen  feine  Befitzungen  auf 
feinen  Bruder  Conrad  über,  der  die  Verpflichtung  übernahm,  den  Klofter- 
bau  zu  vollenden.  Diefer  fandte  den  Propft  des  Benedictinerklofters  zu 
Gerbftädt,  Herminoldus,  zum  Papfte  Honorius,  welcher  die  Beftätigung  zum 
Bau  einer  Peterskirche,  fowie  zu  einem  mit  Auguftinerchorherren  zu  be- 
fetzenden  Klofter  ertheilte;  der  erfte  Propft  wurde  Herminoldus.  Unter 
deflen  Nachfolger,  dem  Propfte  Luderus  (Lothar)  1128— 37  gründete  man 
die  Kirche  und  vollendete  deren  Langhaus:  der  Chor  wurde  erft  unter  dem 
nächften  Propfte  Meinherus  1137—51  gebaut,  unter  welchem  muthmaafslich 
auch  die  Kirche  1146  geweiht  wurde.  Wie  man  aus  unferm  Grundrifle 
Geht,  war  diefe  erfte  Anlage  im  Chor  nicht  die  jetzige,  fie  war  ohne  Quer- 
fchiff  und  fcheinbar  auch  ohne  Seitenfchiffapfiden.  Als  Markgraf  Conrad 
1156  in  der  Zeitzer  Schlofskirche  feine  Waffen  und  damit  feine  weltliche 
Macht  niedergelegt  hatte,  um  dann  im  Beifein  feiner  fünf  Söhne  und  vieler 
anderer  damaliger  Machthaber  lieh  feierlich  auf  dem  Petersberge  als  Mönch 

1 In  Zeichnungen  ift  (liefe  Kapelle  bei  Puttrich  II.  Bd.  fowie  in  einer  1842  durch  dec 
Bauconducteur  Donner  gemachten,  feilens  der  königl.  Regierung  au  Nlerfeburg  veranlafstec 
Aufnahme  vorhanden;  auch  auf  von  Dreyhaupt’s  Abbildung  iA  fie  noch  zu  fehen. 


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Bauten  des  Propstes 
LuAerus  HM -1131 
etrlfhrr  d.  Ln  ruf  ha  1 1 « rrrirh  tetr. 

Bauten  des  Propstes 

Mei  nh  evivs  1131  HM 

mH  eher dmll  14  abfffbroehfnen 
(hör  xufuqte. 

Bau  ten  des  Propstes 
Eck*hardu  s 1151  1W2 
midier  den  jeiziyen  CIwr.dasKloster 
und  du*  Hospiz  herstellte. 

Bauten  des  Propstes 
Walther  Ml  1205 
Tvelrher  die  IVesiroand  des  Chores, 
die  Probst  ei  n.die  Mauer  h erstellte-. 

Manem,  die  nach  dem 
Brande  15di  in  dir  Ruine 
eingebaut  wurden. 


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der  Kirche. 


Bauten  de«  Propste« 

Luder tts  H28-HJI 
wrldier  ({.La  nyha  »i  « errieft  Ute . 

Bauten  des  Propste« 

Afei  nh CTUS  11.TI  HM 
/oddter  denliVt  abgebrochenen. 

(3t  (fr  xufugte. 

Hauten  des  Propste« 
Kckeh  ardus  UM  WH 
welcher  den  Jet xigen  Chor,  das  Kloster 
und  das  Hospix  herstellte. 

Bauten  des  Propstes 

Walther  HM  1205 

welcher  die  lUesimand  des  Chores, 
die  Proluit  ei  n.die  Mauer  herdeilte. 

] Mauern,  die  nach  dem 
Brande  i5tiö  in  die  Ruine 
eingebaut  wurden. 


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KiK.  320. 


RKTKRSBERG. 


555 


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Acufocrcs  :1er  Kirche. 


I 


556  IllK  STAUT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


einkleiden  zu  lallen . wurden  auch  unter  verfchiedenen  Beftimmungen  die 
Kloftergüter  von  ihm  noch  bedeutend  vermehrt.  Im  folgenden  Jahre  fchon 
Itarb  er  und  wurde  von  dem  Erzbifchof  Wichmann  in  der  Kirchenmitte 
feierlich!!  beigefetzt.  Der  vierte  Propft,  Ekkehard  1152-1192,  brach  den 
Chor,  der  die  Zahl  der  Mönche  nicht  mehr  gut  fafste,  1174  ab,  um  dafür 
dem  Langhaufe,  die  jetzige  Oftpartie,  alfo  das  Querfchiff  und  die  beiden 
Chorjoche  mit  den  Apfiden  anzubauen,  mit  welcher  Arbeit  man  in  zehn 
Jahren  fertig  war,  fodafs  am  1.  Auguft  1184  durch  den  Bifchof  Eberhard 
von  Merfeburg  die  zweite  Einweihung  gefchehen  kennte.  Unter  die  fern 
Propfte  wurde  1154  auch  mit  dem  Klofterbaue  füdlich  (?)  begonnen,  denn 
bisher  hatten  die  Mönche  weltlich  von  der  alten  Tautkapelle  gewohnt 
ebenfalls  errichtete  man  das  Hofpiz  ludöftlich  außerhalb  der  Claufur. 
1199  kam  in  dem  hölzernen  Verbindungsbaue,  den  das  Hospiz  mit  dem 
Klofter  hatte,  ein  folches  Feuer  aus,  dafs  nur  die  alte  Kapelle  und  die  Um- 
falTungsmauem  der  Kirche  erhalten  blieben.  Der  Propft  Walther,  1 192  bis 
1205  begann  den  Wiederaufbau,  aber  das  chronicon  montis  fereni,  welches 
nur  bis  1225  reicht,  meldet  über  die  Fertigftellung  nichts.  Diefcr  Propit 
foll  auch  die  Propftei  im  Welten  der  Kirche  erbaut  und  mit  einem  Thurm 
geziert  haben,  es  ift  jedoch  von  diefen  Stücken  nichts  mehr  zu  fehen.  Er 
änderte  auch  am  Chore  etwas  und  umgab  das  Klofter  gegen  Süden  mit 
einer  Mauer.  1208  liefs  Simon  de  Dibele  an  der  Nordfeite  des  Kirchen- 
fchiffes  über  dem  Grabe  feiner  Frau  eine  Kapelle  bauen,  von  welcher  man 
noch  die  Gewölbeanfänge  der  Joche  gewahrt.  — 

In  dem  Klofter  lebten  zahlreiche  Chorherren,  Schüler  und  Laienbrüder, 
fogar  leminae  conservae;  wir  hören  zwar  anfänglich  von  einem  ftrengen  und 
geordneten  Leben  der  Kloflerinfaflen,  aber  in  den  fpätem  Jahrhunderten 
herrlchten  Leidenfchaften  und  Intriguen  auch  hier  wie  in  allen  Vereinigungen 
der  Menfchen,  und  das  Klofter  erlebte  ftürmifche  Zeiten.  Die  Reformation 
leerte  dann  feine  Räume  und  verwandelte  fie  1540  in  die  Wirthfchaftsge- 
bäude  einer  Domaine.  Von  der  Kirche  blieb  nur  der  Chor  in  Benutzung 
Am  31.  Auguft  1565  fchlug  der  Blitz  in  das  Klofter  und  es  brannte  gänzlich 
nieder.  Man  erbaute  alsdann  in  der  Ruine  der  Klofterkirche  eine  pro- 
teftantifche  Pfarrkirche  von  der  Gröfse,  welche  man  im  GrundrifTe  erkennt. 
1697  ging  das  Amt  Petersberg  durch  Kauf  von  dem  Könige  Auguft  von 
Polen  an  den  Churfürften  Friedrich  III.  von  Brandenburg  über  und  wurde 
verpachtet.  1726  gefchah  die  Verlegung  der  Wirthfchaftsgebäude  an  der. 
Fufs  des  Berges:  die  Steine  der  Ruine  gaben  das  Baumaterial. 

Was  nun  den  Bau,  wie  er  jetzt  dafleht,  anbelangt,  fo  ift  er  die  im 
Allgemeinen  wohl  geglückte,  von  1853—57  ausgeführte  Reftauration  der 
ehemaligen  Kirche  vom  Ende  des  12.  Jahrhunderts.  Das  Klofter  ift  bis  auf 
geringe  Rede  verfchwunden.  Eine  Unterfuchung  des  alten  Baues  ift  bei 
Gelegenheit  der  Wiederherftellung  von  dem  Baurath  Ritter  und  fpäter  auch 
durch  von  Quält  (f.  Zeitfchrift  für  chriftliche  Archaeologie  und  Kunlt)  in  fo 
umfafTender  Weife  vorgenommen  und  deren  Ergebniffe  lind  in  der  Zeit- 
fchrift für  Bauwefen,  8.  Jahrgang,  veröffentlicht  — unfere  Angaben  find 
ihnen  zum  Theil  entlehnt  — dafs  eine  neue  nicht  nöthig  und  jetzt  nach  der 


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PETERSBERG. 


557 


Reftauration  auch  fall  unmöglich  ift.  Wir  befchränken  uns  alfo  auf  die 
Befchreibung  der  urfprünglichen  Anlage  und  der  alten  Details. 

Aus  der  Entflehungsgefchichte  fowie  aus  unferer  Zeichnung  wird  er- 
kannt, dafs  \vir  es  hier  mit  einer  Bafilikenanlage  zu  thun  haben.  Die- 
felbe  ift  dreifchiffig  und  hat  fünf  Joche  im  Langhaus;  im  Wellen  befindet 
fich  ein  thürlofer  Thurm,  im  Ollen  ein  Kreuzfchiff  mit  einer  zwei  Joch 
langen  Chorpartie,  die  im  Mittellchiff  apfidial  fchliefst,  während  ihre  gerade 
endigenden  Seiten fchiffe,  die  tiefer  als  der  Kirchenfufsboden  liegen  und 
Gewölbe  haben,  ehemals  Kapellen  bildeten,  und  über  ihren  Gewölben  als 
fich  gegen  Haupt-  und  Querfchiff  öffnende  Emporen  darllellen.  Zu  der 
tödlichen  fuhrt  eine  fchmale  Treppe,  die  im  Mauerwerk  der  örtlichen  Quer- 
fchifFwand  ausgefpart  ift  und  von  aufsen  fowie  vom  Kircheninnern  betreten 
werden  kann.  Zu  der  nördlichen  ift  eine  Treppe  in  eben  der  Mauer  nörd- 
lich, aber  im  Kircheninnern  zu  betreten,  ausgefpart.  Das  nördlichlle  Stück 
diefer  Mauer  bildet  für  das  nördliche  Querfchiff  eine  Apfide,  in  welcher  ein 
1 184  geflirteter  Altar  Johannis  des  Täufers  (fand  und  jetzt  wieder  paffend  der 
Taufftein  lieht.  1504  war  die  füdlichlle  Kapelle  Mariae  virgini.  die  nördliche 
Mariae  Magdalenae  geweiht.  Die  ganze  Chorpartie  ift  mit  Kreuzgewölben 
überdeckt,  während  die  Kirche  übrigens  eine  gerade  Balkendecke  hat. 
Aufser  der  erwähnten  Thür,  welche  an  der  Südoftecke  des  Querfchiffes 
zur  Emporentreppe  und  dadurch  mittelbar  in  die  Kirche  führt,  giebt  es 
zwei  von  Süden  und  Norden  correfpondirende  Portale  im  Querfchiffe,  die 
jedoch  nicht  in  der  Wandmitte,  fondern  wohl  aus  praktifchen  Rückfichten 
mehr  weftlich  angeordnet  lind,  ferner  liegt  eine  weniger  bedeutende  jetzt 
vermauerte  Thür  fo,  dafs  fie  von  dem  ludlichen  Querfchiffarme  gegen  Wellen 
zum  Kreuzgange  führt,  eine  ebenfalls  unbedeutende  endlich  befindet  fich 
im  öftlichllen  Joche  an  der  Nordfeite.  Das  Klofter.  deffen  Gebäude  um 
einen  in  den  Fundamenten  noch  erkennbaren  Kreuzgang  mit  einem  in  den 
Klofterhof  an  der  Weftfeite  vorfpringenden  Ausbaue,  wahrfcheinlich  das 
Brunnenhaus  bez.  die  Tonfur  enthaltend,  auf  der  Südfeite  der  Kirche  lag, 
hat  nur  an  feiner  Weftfeite  noch  einige  Mauerllücke  (mit  den  Brocken- 
fenftem)  aufzuweifen.  Die  Gebäude  der  Süd-  und  Oflfeite  — letztere  mufs 
Gebäude  gehabt  haben,  weil  fonll  die  Emporentreppe  aufserhalb  der  Claufur 
zu  betreten  gewefen  wäre  — find  verfchwunden.  Das  Krankenhaus  fud- 
ölllich  vom  Klofter  ift  eine  Ruine;  fein  Bruchfteinmauerwerk  und  die  ver- 
fchütteten  Gewölbe,  die  wohl  eine  genaue  Unterfuchung  durch  Nachgraben 
verdienten,  haben  in  kunllformaler  Hinficht  Bedeutung;  die  Technik  ver- 
weilt auf  eine  Entllehung  im  15.  Jahrhundert. 

Ein  ungefähres  Bild  der  Aufsenarchitektur  der  Kirche  wird  Fig.  320 
geben.  Der  Dachreiter  auf  der  Vierung  und  die  bekrönenden  Kreuze 
auf  den  Giebeln  find  moderne  Zuthaten;  auch  der  Bogentries  an 
dem  ältern  und  fchlichter  gehaltenen  Langhaufe  ift  völlig  neu.  Dass 
die  ganze  Oftpartie  eine  reichere  Durchbildung  erfahren  hat,  erklärt 
fich  einestheils  aus  der  fpätem  Entftehungszeit , anderntheils  aus  dem 
Umftande,  dafs  diefe  Partie  ornamental  überhaupt  bevorzugt  zu  werden 
pflegte ; aufserdem  bemerkt  man , dafs  die  nördliche  Hälfte  diefes 


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55& 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


Ofttheiles  durch  Li  feilen  und  ornamentale  Sculpturen  reicher  gehalten  ifi 
als  die  füdliche.  jedenfalls,  weil  letztere  wegen  der  Kloftergebäude  weniger 


> 

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3 

V 

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zur  Geltung  kam.  Hs  geht  hier  nicht  an,  die  Unregelmäfsigkeiten  und  die 
Details  eingehender  zu  befprechen,  das  Hauptlachliche  ifl  aus  unferen 


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PETEKSBF.RG. 


559 


Zeichnungen  zu  erkennen.  Befonders  aufmerkfam  foll  aber  auf  das  Portal 
des  nördlichen  Querfchiffs  gemacht  werden.  delTen  Gewändeprofil,  Säulen 
mit  Bögen  in  Abtreppung,  eine  originelle  Bereicherung  dadurch  erhält. 

Fic-  322. 


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Alte  ornamentale  Details. 


PKTERSHKRG. 


5<>' 


iafis  es  von  dem  Sockelprofile,  einer  attifchen  Balis  mit  einigen  Plättchen, 
Kig.  325  umrahmt  wird.  Das  entfprechende  Portal  der  Südfeite  ift  einfacher, 
iber  merkwürdig,  weil  fein  Gewände  im  Wefentlichen  aus  einer  Säule  jeder- 
eits  befteht.  die  eine  weite,  flache  Cannelirung  hat;  es  find  acht  Rillen  mit 
charten  Stegen  etwa  in  dorifcher  Weife.  Die  fpätere  Zeit  des  rotnanifchen 


FiR.  i2|.  Fig.  326. 


Arkadenpfeiler  aus  dem  KirchenfchifTe. 


•tiles  wird  unfchwer  an  dem  Reichthum  der  Profile  fowie  an  den  oft  recht 
efuchten  I-inien  erkannt:  wir  verweifen  diesbezüglich  auf  unfere  Zeichnungen 
ig.  321,  322  und  323.  Pikant  wirkt  der  Perlenftab  am  Hauptgefimfe  Fig.  324. 

Im  Kircheninnem  hat  das  Thurmerdgefchofs  jetzt  drei  Säulen,  die 
icht  urfprünglich  find.  Die  Pfeiler  des  Schiffes,  obwohl  alle  neu,  haben 

B.  D.  d.  Bau-  u.  Kun  ftd.  N.  F.  I.  36 


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56* 


I>!E  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREtS. 


die  merkwürdige  Form  der  alten;  fie  find  nicht  regulär  achtfeitig,  fondem 
müften  als  viereckig  mit  lehr  breiter  Fafe  auf  den  Kanten  bezeichnet  werde" 
Fig.  326.  Die  attifchen  Baien  find  gliederreich  und  von  guten  Verhältniflen 
Die  Capitäle,  unter  denen  die  Eckfafen,  von  kleinen  Sculpturen  — wohl  alk 
von  moderner  Erfindung  — verdeckt,  auslaufen,  bilden  eine  blattverzierte 
Schräge  mit  einer  Platte  oben.  Andere  Einzelheiten  des  Innern  weitläufiger 
zu  befchreiben,  ifl  unthunlich,  da  mit  Sicherheit  nicht  immer  gefugt  werden 

kann,  welche  Stücke  die  Reftauration  zuge- 
fügt hat.  Wir  geben  dafür  auf  zwei  Blättern 
Fig.  321  und  322  eine  Zufammenllellung  der 
thatfächlich  alten  Stücke,  welche  man  unter 
der  Capella  Mariae  virginis  aufbewahrt.  An 
ihnen  finden  (ich  mehrfach  rothe  und  hlaueTem- 
perafarbenfpuren,  ein  Beweis,  dafs  dem  Baue 
auch  der  farbige  Schmuck  nicht  gefehlt  bat. 

Unter  den  Kunstwerken  der  Kirche  ifl  ein 
Figürchen  merkwürdig,  welches  im  sepulchrum 
des  Altares  gefunden  ift  und  jetzt  nebll  ver- 
l'chiedenen  Münzen,  die  ebenfalls  bei  der 
Reftauration  im  Schutte  oder  auch  in  Särgen 
gefunden  find,  im  Kirchenarchiv  aufbewahrt 
wird.  Diefes  Figürchen  ftellt  die  gekrönte 
auf  einem  Throne  fitzende  Maria  dar.  die  auf 
dem  Schoofse  das  Chriftkind  hält,  welches 
mit  der  Rechten  regnet  und  in  der  Linken 
ein  Buch  (?)  hält.  Wir  geben  in  Fig.  327 
Komanifches  Kigurcheo  der  Maria  eine  Skizze  diefer  noch  recht  rohen , in 
mit  dem  Kinde.  dem  Ornamente  des  Stuhles  befonders  den 

Blättern  bereits  an  die  Gothik  gemahnenden 
romanifchen  Sculptur,  die  von  kunftgefchichtlichem  InterefTe  ift.  Ein 
anderes  Stück  von  theilweife  hohem  Alter  ift  ein  vergoldeter  Kelch  von 
Silber;  die  Cuppa  lammt  dem  Stilus  und  Nodus  find  wohl  erd  aus  dem 
15.  Jahrhundert;  man  lieft  in  Minuskeln  über  dem  Nodus  gpr  mario,  unter 
demfelben  l)l)lr  pt,  an  den  mit  Maafswerk  gezierten  Noduszapfen  IGSflS 
Der  F'ufs  verbreitert  lieh  nach  unten  gradlinig,  mit  einer  fenkrechten 
Platte  endigend.  Er  ift  mit  fünf  ziemlich  ftark  getriebenen , ftehenden 
F'iguren  — Petrus  und  die  vier  Evangeliften?  — gefchmückt . die  fünf  Felder 
zwilchen  diefen  überzieht  ein  Filigranornament  mit  edlen  Steinen.  Ob  diefer 
Fufs  bereits  dem  12.  oder  13.  Jahrhundert  angehört,  wie  von  Quaft  nach 
Ritters  Angabe  in  der  Zeitfchrift  für  Bauwefen  8.  Jahrg.  annimmt,  fcheint 
mir  um  des  willens  nicht  ganz  ficher,  weil  fich  unter  den  Steinen  auch  ein 
grofser  befindet,  dem  der  Kopf  der  Madonna  im  Stile  des  15.  Jahrhunderts 
eingefchnitten  ift.  Auch  die  reliefirten  F'iguren,  die  zwar  jetzt  zu  viele 
Beulen  haben,  um  ein  ficheres  Urtheil  über  ihren  Stil  zuzulaflen,  fcheinen 
mir  nicht  in  fo  frühe  Zeit  gefetzt  werden  zu  dürfen.  Unftreitig  ift  jedoch 
der  Fufs  eine  ältere  Arbeit  als  der  obere  Kelchtheil  und  er  verdient  von 


Kig.  327. 


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PETERSBER«. 


allen  Seinesgleichen  im  Kreise  die  meide  kundhandwerkliche  Beachtung. 
Kiindlerifch  bedeutend  ift  ein  lebensgTofser  Crucifixus  von  Stein,  welcher 
an  der  Nordwand  des  Querfchiffes  hängt.  Er  id  eine  ganz  ausgezeichnete 
Arbeit,  wahrfeheinlich  der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts.  Die  Körper* 
verhältnifle  find  richtig,  die  Aufladung  realifiifch,  aber  fo  dilvoil,  dafs  das 
Bildwerk  auf  den  Befchauer  dets  einen  bedeutenden,  mächtig  ergreifenden 


Kig.  328. 


Sarge  des  Wcttinifchen  Kaufes. 


I.  Mirk|nf  Conrad  (d**r  Gross«)  t b.  Ftbrnar  1157  als  Mftuch  de#  l'et«nib«rgk]ost*rv. 
t.  Markgrärin  LucardU  (Luidgard)  Gemahlin  Conrad*  + 19.  Juni  1145  zu  Gurbatacdt. 

3.  Meebtiidls,  Conrad*  Schwester.  Gen. mbH»  Um'i,  eines  Grafen  von  See  bürg  «oder  von  Bayern)  Matter  de«  Ert- 

Bischofs  Wlebinann»  Vermathllch  wurden  115*1  dl©  Reste  der  bereits  an  einem  andern  Ort  beigesettten  Leich« 
hier  bestattet. 

4 Graf  Heinrich  I.  der  Aalten»  von  Wettlu,  Conrads  Sohn  f 30.  Anfast  11dl. 

5.  Graf  Friedrich  von  Brenn.  Sohn  C«nrads  t 4.  Januar  1183. 

4.  Markgraf  Ttderlcu*  (Dietrich)  von  Oster land  t 1184  oder  1186  liu  Krankenhaus«  auf  dem  Pelersberg«. 

7.  Graf  Heinrich  U.  der  Jüngere  von  Wetthi.  Sohn  Heinrich#  des  Aelteren  t 28.  Deoember  1187  tu  Gioblchenatcln. 

8.  Graf  Ulrich  von  Wettin.  Sohn  Heinrich#  de#  A eitern  f *8  September  1209. 

9.  Graf  Heinrich  lfl.  von  Wettln,  Sohn  Ulrichs  + 25.  Mir*  1217  als  zwölfjähriger  Knabe;  mH  Ihm  erlosch  dsa 

Wettiner  Haus. 

10.  Särge  n nh« kannte r Kinder. 


Eindruck  macht.  Der  Körper  eines  kleinen,  hölzernen  Crucifixus,  flott 
gefchnitzt,  auch  wohl  dem  16.  Jahrhundert  angehörig,  befindet  fich  im 
Kirchenarchiv. 

Künftlerifch  von  geringer  Bedeutung  ifl  das  Grabmal  der  Grafen 
von  Wettin,  welches  jetzt  an  der  Weftfeite  des  Thurmes  fleht.  Man  fleht 
ein  im  i6.  Jahrhundert  gemachtes,  länglich  viereckiges  Grabmal  in  Form 
einer  grofsen  Tumba,  deren  Seiten  durch  ornamentirte  Pilafter  in  Felder 

36* 


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564 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


getheilt  und  mit  üppigen  Fruchtgehängen  verziert  find.  An  der  Wand 
erhebt  fich  ein  nicht  hoher  von  Voluten  abgefchloffener  Aufbau,  an  welchem 
Wappen  und  die  Jahreszahl  1567  angebracht  find.  Vor  diefer  Rückwand 
liegen  auf  dem  Grabmale  zwei  weibliche  und  acht  männliche  lebensgrofse 
Steinfiguren,  jede  der  letztem  mit  einem  langen,  dreifeitigen  Schilde.  Diefe 
Figuren  find  nicht  gut  gearbeitet;  man  würde  fie  der  gothifchen  Zeit  zu- 
fchreiben  müffen , wenn  nicht  die  fpätere  Technik  und  Behandlung  dem 
widerfpräche.  Der  Widerfpruch  löfl  fich,  wenn  man  erfahrt,  dafs  in  der 
romanifchen  Kirche  ein  ehernes  Grabmal  ftand,  welches  bei  dem  Brande 
1565  fchmolz  bis  auf  geringe  Relle,  nach  denen  auf  Befehl  des  Kurfiirften 
Augult  in  Dresden  von  einem  italienifchen  Bildhauer  das  jetzige  gemacht 
wurde.  Vor  der  ReHauration  Hand  es  über  den  im  Grundriße  angegebenen 
Gräbern  der  in  der  Kirche  beftatteten  Familienglieder  des  Wettiner  Haules 
Wenn  auch  kein  kunftformales,  fo  liegt  doch  ein  archäologifches  InterefiV 
vor,  diefe  Grablfätten,  welche  jetzt  einzeln  mit  neuen  fchön  gearbeiteten 
lleinernen  Hochrelieffiguren  bedeckt  und  alle  von  einer  vierfeitigen  BrüHung 
inmitten  der  Kirche  würdig  umgeben  find,  mit  einigen  Worten 

zu  befchreibpn.  Die  Leichen  find  in  Steinlargen,  deren  Grundrifs 

und  Lage  zu  einander  wir  in  Fig.  328  mit  Beifügung  der  Namen  (nach 
Ritter)  fkizziren,  beigefetzt  worden.  Die  Särge  Händen  mit  ihren  Steindecken 
etwa  10  bis  15  cm  noch  über  dem  alten  Fufsboden,  nur  die  Conrads  de- 
Grofsen  und  Heinrichs  II.  lagen  tiefer  (Gehe  die  Zeichnung).  Der  Sarg 
Conrads  war  mit  einer  Porphyrplatte  verdeckt. 

Die  Glocke  von  1.05“  Durchmeffer  hat  die  Minuskelinfchrift : 

. + anno  4.  m rau  uu|  0 rat  jlorit  xpr  orni  aobis  tia  patt. 

Auf  der  Glocke  von  0,70“  Durchmeffer  ßeht: 

DVRCH  DAS  FEVER  BIN  ICH  GEFLOSSEN  JOHANN  JACOB 

HOFFMAN  HAT  MICH  GEGOSSEN  IN  HALLE  AÖ  • M • D C 
L XXVIIII. 


Plössnitz. 

Kirchdorf,  Filial  von  Niemberg,  7,5  km  nordöHlicli  von  Halle  gelegen. 
Die  Kirche  S.  Catharinae  liegt  füdweHlich  im  Dorfe  und  iH  nach  von  Drey- 
haupt's  Angabe  (II,  946)  1505  erbaut.  Es  hat  vormals  eine  Wallfahrt  nach 
ihr  jährlich  Hattgehabt.  Baulich  hat  fie  Aehnlichkeit  mit  der  zu  Brafch- 
witz,  fie  iH  aber  bedeutungslos.  Der  Altarfchrein.  deffen  Flügel  fehlen,  hat 
fpätgothifche  gefchnitzte  Holzfiguren.  Maria  mit  dem  Kinde,  in  einer  Nifche 
unter  einem  Baldachin  fitzend,  nimmt  die  Mitte  ein  und  in  den  beiden  feit- 
lichen  Abtheilungen  befinden  fich  je  zwei  weibliche  Heilige  unter  Baldachinen. 
Die  umrahmende  Architektur  iH  fehr  reich  durchgebildet  und  das  Ganze 
hat  ein  kräftiges  Relief.  Predella,  Beichtffuhl  und  Kanzel  find  in  fpäten 
Renaiffanceformen  etwas  derb  aus  Holz  gemacht.  Auch  der  Taufbecken- 
unterfatz  iH  von  Holz  und  im  BarockHile  aber  in  guten  Verhältniffe  ausgebildet 


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PBTERSBEKG.  PI.ÖSSNITZ.  POPLITZ.  565 


Die  Glocke  von  0,95“  DurchmelTer  hat  die  in  den  Mantel  eingeritzte 
Majuskelfchrift: 

+ (SI)T  • T&PaSTAfV  • P0R  HB  • fo'BRVS  OflllPB  ■ 
HVGATV. 

Sie  wird  in  die  erße  Hälfte  des  14.  Jahrhunderts  gehören.  Die  Glocke 
von  1,22“  DurchmelTer  hat  diefe  Minuskelumfchrift: 

ni(((C((l!ll  • «Cf  rritrn  (hier  folgt  das  Relief  der  Maria  mit  dem 
Kinde)  ? . . fugltr  partrs  «fc  U fb  (die  Figur  der  Maria). 

Die  Glocke  von  0.54”  DurchmelTer  ilt  ohne  Infchrift,  jedoch  wegen 
ihrer  fpätgothi Tellen  Ornamente  erd  in  das  15.  Jahrhundert  zu  fetzen. 


Poplitz. 

Rittergut  mit  SchloTs,  32  km  nordweftlich  von  Halle  gelegen,  früher 
auch  Popelitz  gefchrieben,  iß  feit  dem  16.  Jahrhundert  im  Befitze  derer 
von  Krofigk.  Es  ill  der  Stammütz  des  Adelsgefchlechtes  von  Poplitz;  136b 
wird  ein  Heynemann  von  Poplitz  genannt;  im  Anfänge  des  16.  Jahrhunderts 
ftarb  diefe  Familie  aus.  Die  von  Krofigk  haben  fchon  im  16.  Jahrhundert 
einen  Schlofsbau  mit  einem  Hofe  im  Innern  hier  aufgeführt,  welcher 
zumeilt  in  dem  Mittelbaue  des  jetzigen  gegen  Ende  des  18.  Jahrhunderts 


Fig.  329. 


Profilirier  Holzbalken  (16.  Jahrhundert)  im  Erdgcfchoffe  des  Schloffes. 


entflandenen  erhalten  iß.  Im  Erdgefchoßb  bemerkt  man  noch  Balken  mit 
einer  Profilirung  (Fig.  329),  wie  fie  dem  1 6.  Jahrhundert  eigen  iß.  Das  jetzige 
Schlofs  iß  durch  feitliche  Flügelanbauten  an  das  alte  entßanden.  Der 
füdliche  Flügel  enthält  die  Kapelle,  die  erneuert  iß  und  kein  bauliches 
InterelTe  bietet;  hier  werden  gleich  Reliquien  die  Waffen  der  tapfern 
Familienglieder  aufbewahrt,  die  im  Kampfe  fielen.  In  den  Obergefchoffen 


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5W> 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALERKIS. 


des  SchlofTes  giebt  es  an  Thüren,  Kaminen  u.  f.  w.  noch  mancherlei 
intereffante  Formen  der  nüchternen  Erbauungszeit.  An  einer  Ecke 
des  Nordflügels  gegen  den  Park  zu  bemerkt  man  eine  kleine  nicht  wohl 
mehr  erkennbare  Figur  (halb  Frofch,  halb  Menfch?)  eingemauert,  die 
als  das  Popelmännchen  bezeichnet  wird  und  von  der  folgende  Sage  geht: 
Als  das  Schlofs  erbaut  wurde,  fand  man  über  Nacht  wieder  abgetragen, 
was  man  des  Tags  zuvor  fertig  gebracht  hatte.  Der  Thäter  liefs  fleh  nicht 
entdecken.  Da  verfprachen  Mönche,  den  Kobold,  welcher  diefen  Schaber- 
nack thue,  gegen  ich  weifs  nicht  welche  Vergütung  zu  bannen;  und  flehe 
da,  als  folche  Vergütung  gelchehen  war,  fand  man  des  Morgens  den  Kobold, 
das  Popelmännchen,  an  der  genannten  Ecke  feftgemauert.1 

Im  Parke  find  einige  Epitaphien  der  Renaiflance  aufgeftellt;  die 
Arbeit  der  Reliefs  ift  verfchiedenwerthig;  einige  find  fehr  handwerklich, 
fo  der  mit  diefem  Zeichen: 


Priester. 

Kirchdorf,  Filial  von  Krofigk,  12,5  km  nördlich  von  Halle  gelegen, 
gehörte  zum  Burgamte  Wettin.  Seine  Kirche  liegt  öftlich  aufserhalb  des 
Dorfes.  Sie  ift  1861  im  Schiff  erneuert.  Der  Thurm  mag  der  Uebergangv 
zeit  angehören. 

Die  Glocke  von  0,98“  Durchmefl'er  hat  eine  fehr  fchöne  Form;  ihre 
Infchrift  lautet: 

Ich  ruff  die  Leut  mit  meinem  Klang  in  die  Kirch  zum  Wort 
und  Gesang  Georg  Wolgast  Anno  MDCIII. 

Als  Zierrath  lieht  man  das  Wappen  des  Gotschal  Heinrich  von  Trode 
(=  Trotha),  darunter  eine  fehr  fchöne  Kreuzigung  mit  den  Schächern  und 
ferner  das  Wappen  von  Heinrich  Oppermann.  Die  Darßellung  der 
Kreuzigung  mit  den  Schächern  ift  in  der  Renaiflance  beliebt.  Sie  fowohl  wie 
die  Wappen  find  trefflich  modellirt,  namentlich  das  Plaftifche  tritt  in  diefen 
Reliefs  gut  hervor.  Die  Glocke  von  0,83“  Durchmefl'er  ift  1861  erneuert. 

Radewell. 

Pfarrkirchdorf,  8 km  Tödlich  von  Hallle  an  der  weifsen  Elfter  gelegen. 
Aeltere  Schreibweifen  find  Rodebile,  Rodewelle.  Das  Dorf  ift  von  dem 

* Alte  Leute  zu  Poplitz  haben  mir  auch  von  einem  Nonnenklofter  erzählt,  weiches  ßch  auf 
der  Stelle  des  Schloffes  befunden  hätte  und  aus  dem  bei  einer  Belagerung  dieNonnen  eines 
Tages  verfchwunden  wären  trotz  eine*  WafTergrabens  ringsum.  Niemand  habe  gewufst  wie.  — 
Die  Leute  hatten  eine  nicht  zu  ergründende  Scheu  mir  alles  zu  erzählen,  was  fie  wufsten, 
und  fclbfl  an  compctenter  Stelle  fchwieg  man  über  die  Sage  vom  Popelmännchen. 


■v 


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POPLITZ.  PRIESTER.  RADEWELL.  567 


Krzbi  fchot  W ichmann  demhallefchenMoritzkloftergefchenkt,  als  diefes  i 184  ge- 
gründet ward,  iz  1 1 ift  von  dem  Erzbifchoie  Albrecht  diefe  Schenkung  erneuert 
und  fpäter  noch  verfchiedentlich  beftätigt.  Ein  Weiteres  über  die  Oefchiclite  f. 


Fig.  33».  Fig.  331. 


Thurmfcnftcr  an  der  Süd*  und  Nordfeite  im  Erdgefchofs. 


bei  von  Dreyhaupt  II,  948  und  949.  Die  Kirche  S.  Wenzeslai  liegt  örtlich  im 
Dorfe.  Sie  ift  fpätromanifch,  aber  in  der  Barockzeit  umgebaut;  der  Chor 


Fig.  333- 


Tanfftein. 


ift  jetzt  gerade  gefchloflen.  Sowohl  am  Thurm  wie  auch  am  Schiff  ift  noch 
die  romanifche  Eugentechnik  zu  fehen.  Am  Erdgefchofs  des  Thurmes  befinden 
(ich  die  in  Eig.  330  und  33 1 dargeftellten  Oeffnungen,  die  alten  Schallöcher 


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I 


568  DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


find  vermauert.  Kip.  352  zeigt  den  treppenförmig  mit  Zahnfchnittreihen 
auspebildeten  Kämpfer  der  beiden  Bögen,  welche  das  Innere  des  Thurm*' 
mit  dem  des  Schiffes  verbinden.  Der  Taufftein  gehört  in  die  Entftehungs- 
zeit  des  Bauwerkes.  Wir  geben  in  Kig.  333  fein  Bild,  aus  welchem 
die  reiche  Durchbildung  und  gefuchte  Gefammtform  erkennbar  wird.  De: 
kleine  vieleckige  Fufs  erinnert  fchon  an  gothifche  Art,  die  ftarken  ihn  mit 
dem  kelchartigen  Gefäfse  verknüpfenden  Glieder  erfcheinen  als  Ballaft. 
ihr  Fehlen  würde  die  Gefammtform  bereits  gothifch  machen.  Den  Gefäfs- 
bauch  umfpannt  ein  Rofettenband , an  dem  die  geringe  Sorgfalt  in  Bezu? 
auf  Stellung  und  Ausarbeitung  der  Rofetten  auffällt.  Den  obern  Rand 
umzieht  leicht  ein  Rankenornament,  welches  eine  Weinrebe  ftilifirt  darfiellr. 

Die  Glocke  von  1,22"  Durchmeffer  hat  eine  matte  F orm,  ihre  Minuskel- 
fchrift  ift : 

+ iDdps  ntcarrRi«  r « inkuriim  maria  anaa  Ättmini  nctttit, 

die  Buchftaben  find  fehr  unfauber.  Als  Zierrath  ift  einerfeits  das  hallefche 
Stadtwappen  befindlich,  andererfeits  die  Figur  eines  Mannes,  welcher  wohl 
der  Glockengiefser  (?)  fein  dürfte.  Die  Glocke  von  1,07  “ Durchmeffer  hat 
eine  hohe  F'orm  und  einen  weit  ausladenden  Kranz ; ihre  Minuskelfchritt 
fteht  in  einem  von  zwei  Bändern  gebildeten  Streifen,  welcher  unten  mit 
Trauben  verziert  ift: 

■^0  t gloria  in  «an«  imi  (526  . 

Die  Glocke  von  0,92“  Durchmeffer  hat  die  Infchrift: 

Durch’s  Feuer  bin  ich  geflossen  Peter  Becker  in  Halle  hat 
mich  gegossen  anno  1708. 

Die  Form  ift  matt. 

Reideburg. 

Pfarrkirchdorf  mit  Crondorf  und  den  Rittergütern  Reideburg  und 
Sagisdorf,  4 km  örtlich  von  Halle  gelegen,  hat  feinen  Namen,  der  früher 
Rideburg  hiefs,  von  dem  Bache  die  Ride  oder  Reide  und  einer  hier 
gelegenen  Burg  erhalten.  Diefe  gehörte  den  Markgrafen  zu  Lands- 
berg, wurde  aber  von  der  Wittwe  des  Markgrafen  Heinrich  ohne 
Land  dem  Erzftifte  Magdeburg  gefchenkt,  und  nun  erhielt  Tilemann  von 
Dieskau,  einer  von  den  Reideburger  Burgleuten  die  Burg  zur  Bewahrung 
Es  erhoben  lieh  jedoch  feitens  der  Verwandten  Anfprüche  auf  die  Burg 
und  in  Folge  deffen  wurde  diefelbe  von  dem  Herzoge  Magnus  von  Braun- 
fchweig  befetzt  und  kam  dann  an  den  Markgrafen  Friedrich  zu  Meifsen. 
Diefer  mufste  fie  gegen  den  Erzbifchof  und  die  Städte  Halle  und  Magde- 
burg, die  vereint  ihn  belagerten,  1547  vertheidigen ; doch  wurde  die  Burg 
erobert  und  gänzlich  zerftört.  Die  hier  unwefentliche  Gefchichte  der  Güter, 
als  Burglehn  ehemals  zu  der  Reideburg  gehörig,  giebt  von  Dreyhaupt  II.950. 
Die  Kirche,  im  Dorfe  gelegen,  war  der  h.  Gertrud  geweiht.  An  Fenfter- 


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RADhWELL.  REIDEBURG. 


569 


reftcn  erkennt  man,  dafs  die  Anlage  eine  romanifche  ift,  doch  hat  in  der 
Barockzeit  ein  Umbau  ftattgefunden , der  namentlich  lieh  an  den  grofsen 
Fendern  und  nutzlofen  Strebepfeilern  kenntlich  macht.  Das  Schiff  ift  örtlich 
gerade  gefchloffen.  Die  noch  romanifchen  Schalllöcher  find  durch  eine  in 
der  Mauermitte  ftehende  Säule  getheilt,  die  oben  fattelholzartig  in  die 


Fig-  334-  Fig.  335. 


Capitäle  von  Säulen  in  den  SchaHlöchern. 


Mauer  überführt  ift.  Wir  geben  in  Fig.  334,  335  und  336  einige  Beifpiele. 
Der  Thurm  und  das  Schiff  find  durch  einen  Spitzbogen  verbunden.  Der 
fpätgothifche  Altarfchrein  ift  mit  Oelfarbe  übermalt  und  hat  Ornamentzu- 
fätze  erhalten.  Chriftus,  die  Maria  krönend,  fitzt  inmitten,  rechts  und  links 
find  je  vier  kleine  Heiligenfiguren  in  je  zwei  Abtheilungen.  Diele  Statuen 
find  ziemlich  roh  und  ohne  S-linienhaltung,  ihre  Gefichtszüge  fprechen  jedoch 


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57° 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


einen  Charakter  aus.  Ein  Taufbecken  vun  Meffing  hat  in  der  Mitte  die 
Darftellung  der  Verkündigung  Mariae  und  umher  zieht  lieh  zunächft  reich  ver- 
zierte Minuskelfchrift  und  dann  eine  Schrift  von  gothifirenden  Lapidarbuch- 
ftaben.  An  der  Südwand  verdeckt  die  Empore  ein  der  entwickelten  Renais- 
fance  angehöriges  Epitaphium  gröfserentheils.  Ein  kniender  Ritter  (Porträt!, 
ganz  realiftifch  gebildet,  betet  vor  einem  Crucifixe.  Seitlich  wird  diefe  Dar- 
ftellung von  Hermen  eingefafst,  deren  Ausbildung  an  das  Barocke  ftreift. 
Im  Friefe  des  Gebälkes  und  an  den  Pilaftern  find  Wappen  angebracht. 
Die  Bekrönung  bildet  ein  von  Nixen  gehaltenes  Medaillon,  auf  dem  die 
Auferftehung  gebildet  ift.  Die  Compofition  des  Ganzen  mufs  gelobt  werden. 

Die  Glocke  von  1,15“  DurchmelTer  hat  eine  Infchrift,  in  welcher  es 
heifst: 

Tiese  Glock  ist  gegossen  von  Jacob  König:  nig  bestalder  fürst- 
licher sechsischer  Stuck  und  Glockengieser  in  Coburg  wonhaftig. 

Am  Kranze  lieht:  1619  D.  S.  H.  TVLLE. 

Als  Schmuck  findet  fich  ein  Crucifixus  mit  den  beiden  Marien  (?)  grofs 
und  gut  reliefirt.  Die  Glocke  von  1,40“  DurchmelTer  hat  die  Infchrift: 

Anno  1751.  Ich  rufe  zum  Gebet,  zur  Predigt  und  Altar  auch 
dann  wenn  Jemand  liegt  auf  seiner  Todtenbahr, 

aufserdem  giebt  die  Auffchrift  an,  dafs  die  Glocke  gegolten  fei  a Frid. 
Aug.  Beckero  Architect:  Halae  Magdeb:  . Die  Glocke  von  0,65"  Durch- 
melTer ift  1828  gegofTen. 


Rothenburg. 

Pfarrkirchdorf  und  königliche  Domaine,  23  km  nordweftlich  von  Halle 
am  rechten  Saaleufer  gelegen.  Schon  feit  der  Wendenzeit  hat  der  Ort 
Bedeutung.  Es  lag  auf  dem  Berge  nördlich  vom  Dorfe  ein  Wendencaftell. 
die  Sputinesburg,  deren  umlaufende  Wälle  und  Gräben  man  noch  fehr 
wohl  erkennen  kann,  wenn  auch  die  Mauern  verfchwunden  find.  Dafs 
die  mehr  induftriell  als  kriegerifch  beanlagten  Wenden  gerade  diefen  Ort 
befeftigten,  fcheint  nicht  zufällig  zu  fein.  Vielleicht  haben  fie  bereits,  wie- 
wohl urkundliche  Belege  dafür  fehlen,  hier,  wie  es  feit  1446  bis  heute  ge- 
fchieht,  aus  dem  Kupferfchiefer  Kupfer  gewonnen.  Schon  im  10.  Jahr- 
hundert wird  der  Ort  in  Briefen  Otto  I.  municipium  et  urbem  genannt. 
Es  findet  fich  1012  die  Benennung  Spiutni  urbs  961  kommt  Rothenburg 
an  das  Magdeburger  Moritzklofter.  Die  alte  Burg  foll  angeblich  1074 
zerftört  fein.  Im  14.  Jahrhundert  hat  das  Gefchlecht  Derer  vom  Thore 
Rothenburg  befefTen.  Zu  Anfang  des  15.  Jahrhunderts  an  die  Magdeburger 
Domprobftei  gekommen,  ging  der  Ort  1413  an  die  von  Ammendorf  über 
und  Coppe  von  Ammendorf  erbaute  alsdann  ftatt  der  zerftörten  Sputines- 
burg eine  andere  unten  auf  der  hier  gelegenen  Saaleinfel.  Nach  dem  Aus- 
fterben  diefes  Gefchlechts  um  1550  wurde  der  Graf  Albrecht  von  Mansfeld  mit 


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REIDEBURG.  ROfHKNHURG. 


57' 


Rothenburg  beliehen  1 1557  kam  es  an  defTen  Sohn  Hans  von  Mansfeld, 

den  jedoch  feine  Schulden  zwangen,  es  dem  Grafen  Georg  von  Schönburg 
zu  überlaCTen.  Als  aber  der  Erzbifchof  Sigismund  Harb,  fetzte  fich  Hans 
von  Mansfeld  mit  Gewalt  wieder  in  den  Befitz  Rothenburgs,  führte  dafelbd 
ein  ziemlich  lockeres  Leben  und  wurde  erd  1506  durch  eine  Belagerung 
feitens  des  Domcapitels  im  Verein  mit  der  Ritterfchaft  und  den  Städten 
gezwungen,  es  aufzugeben.  Bei  feiner  Flucht  gerieth  er  in  die  Hände  der 
Belagerer,  wurde  nach  Halle  gebracht  und  verdarb  dafelbd  im  folgenden 
Jahre.  Dann  wurde  Georg  von  Schönburg  mit  Rothenburg  beliehen.  1585 
kaufte  der  Adminidrator  Joachim  Friedrich  mit  allen  von  Ammendorf'fchen 
Gütern  auch  Rothenburg  und  gab  es  feiner  Frau  Katharina,  welche  1594 
ein  langes  Schlofsgebäude,  nämlich  das  jetzt  noch  erhaltene,  1646  aber  dark 
reparirte,  erbaute  und  es  bis  1598  bewohnte.  1605  hat  das  Domcapitel  Rothen- 
burg wieder  von  dem  Adminidrator  Joachim  F'riedrich  bekommen  und  es 
id  dann  landesherrliches  Befitzthum  geblieben.  Im  dreifsigjährigen  Kriege 
wurde  „das  Schlofs,  Kirche  und  Dorff  dergedalt  ruiniret,  dafs  auch  nicht  ein 


Fis-  337- 


Fig.  33*- 


Nagel  in  der  Wand  übrig  blieb.“  1690  fchenkte  der  Churfiird  Friedrich  III. 
das  Schlofs  der  Schiefergewerkfchaft , die  Schlofskapelle  ward  für  den 
Gottesdiend  der  Bergleute  hergerichtet  und  fo  ward  das  Schlofs  ein  Ver- 
waltungs-  und  Wohngebäude.  Nach  fo  vielen  Erlebniflen  erinnert  das 
Schlofs  heute  kaum  noch  an  feine  anfängliche  Bedimmung.  Zwar  haben 
fich  aus  allen  Bauzeiten  vom  15.  Jahrhundert  an  Spuren  erhalten,  z.  B. 
originelle  fpätgothifche  Thürgewände,  F'ender  der  Renailfance  u.  f.  w„  aber 
im  Allgemeinen  id  der  Bau  jetzt  bedeutungslos.  Auf  der  Schlackenhalle 
des  Mansfelder  gewerkfchaftlichen  Kupferhammers  und  Walzwerkes  id  eine 
Glocke  von  Eilen  (?  jedenfalls  nicht  von  Glockengut),  welche  die  Infchrift 
NEVSTAT  AN  DER  DOSSE  1698  trägt  und  die  in  Fig.  337  dargedellte 
Form  hat.  Die  Kirche  des  Dorfes  Rothenburg  id  hochgelegen  und  1840 


* Die  Streitigkeiten  zwifchen  ihm  einerseits  und  l'ronrad  von  Bumelberg  nebft  Wilhelm 
von  Grumbach  andererseits  f.  bei  von  Dreyhaupt  II  857. 


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572 


UIK  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


ganz  n«u  in  rotnanifirenden  Formen  erbaut.  Eine  Hark  befchädigte  und 
reparirte  Holzfigur,  die  h.  Maria  mit  dem  Kinde  dar  Hellend,  befindet  (ich 
in  der  Vorhalle.  Die  Glocke  von  o,88“  DurchmelTer  hat  die  in  Fig.  .ij1' 
gezeichnete  Form,  ift  alfo  ohne  jede  Infchrift  und  Verzierung,  der  Gufs  ift 
nicht  befonders  gut;  fie  mag  in  das  13.  Jahrhundert  gehören.  Die  Glocke 
von  i,it>“  DurchmelTer  hat  die  Majuskelinfchrift  (Wachsmodelle): 

+ siT  tepestätb.  pcr  me  gei?vs  omne  rvgätv  + a 

in  der  oberen  Zone,  darunter  lieht:  ÄVG  HÄRIÄ  6~ RÄ  PLEHÄ. 

Schiepzig. 

Pfarrkirchdorf  9 km  weltlich  von  Halle  am  linken  Saalufer  gelegen, 
war  der  Sitz  eines  adligen  Gefchlechtes.  1217  wird  ein  Heroldus  de  Schip; 
und  1292  ein  Petrus  de  Schipz  genannt.  Die  Kirche  S.  Helenae  liegt  nörd- 
lich im  Dorfe  oben  auf  dem  hohen  Saaleufer.  Das  Patronatsrecht  haben  an- 
fänglich die  Grafen  von  Mansfeld  gehabt.  1303  aber  hat  es  Graf  Burchard 
dem  Klolter  Gottes  Gnade  bei  Calbe  gefchenkt.  bei  dem  es  bis  zur  Refor- 
mation geblieben  ift.1  Das  Kirchengebäude  ift  1828  abgebrannt;  es  ift  dann 
namentlich  der  unten  gewölbte  Thurm  unter  Benutzung  von  vielen  zer- 
fchlagenen  barocken  Grabfteinen  wieder  hergeftellt.  Eine  Verbreiterung  des 
ehemals  romanifchen  oder  frühgothifchen  Baues  mit  gradem  Oftfchluss  ha: 
gegen  Süden  ftattgefunden,  wie  sich  noch  wohl  ar.  dem  Ostgiebel  erkennen 
läfst.  Ein  Kelch  der  Kirche  ift  in  den  erften  Jahrzehnten  des  16.  Jahr- 
hunderts gemacht.  An  dem  Noduszapfen  steht  -l-Wt# V#  Am  Stilus 
über  dem  Modus  rlrifl  unter  ihm  (marie?)  Eiine  Ilostienbüchfe  ift  von 

1701.  Ein  messingenes  Becken  hat  in  der  Mitte  die  Darftellung  Adam-- 
und  Evas  am  verbotenen  Baume,  die  dann  von  unleferlicher  Minuskelumschnft 
umgeben  ift,  um  welche  lieh  schliefslich  noch  die  gothifirende  Lapidarschritt 

(EHB)ART  - AL  • ZEIT  • GELVEK  zieht. 

Die  Glocke  von  1,26“  DurchmelTer  hat  die  Minuskelinschrift: 

cHiilor  ® Bi*a  Sri  « morlua  * prlltt  ® niriit  ® ■ terr  Inn 

Unter  dieser  Schrift  herabhängendes  Ornament.  An  der  einen  Seit'* 
lieft  man  mittelft  Spiegel,  also  rechtsläufig  in  den  Mantel  geschrieben,  folgendr 
nicht  wohl  erklärbaren  Wörter:  Calticmni 

£|koacpltrr 

und  auf  der  andern  Seite:  l)mit|ri  lang  klar 
riji  krrl|fr 


1 Es  verdient  mitgetheilt  zu  werden,  was  von  Dreyhaupt  über  ein  feiner  Zeit  dem  Thum 
knöpfe  entnommenes,  in  einem  länglichen  Schachtelchen  befindlich  gewesenes  Pergament  mi'* 
theilt;  dafselbe  hatte  folgende  Auffchrift:  Anno  dei  . MCCCCLXXXXVIII  Sabat  . ante  Qu»- 
simodogen.  . in  upgerichtet  die  spitzge  up  der  Kyrchen  Scte.  Helene  zu  Schiptz  mith  dem 
halben  dake,  und  Er  Thomas  Sasse  von  Calven  boidig,  is  darto  der  tidt  gewest  ein  pberoer 
und  Lampe  tomaw  eyn  altermann,  dy  habens  gebuweth  an  aller  nachher  danck. 


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ROTHKNUCRG.  SCHIEPZIG.  SCHLETTAU. 


573 


Die  Glocke  von  0,97  “ Durchmesser  hat  diese  Inschrift: 

ANNO  DOM  1623  IST  DIESE  GIOCKE  IN  HALLE  VON  . M . 
GEORGE  DORS  VND  M . HANS  WETTER  . GOTT  ALLEIN 
DIE  EHRE  . 


Schlettau. 

Kirchdorf,  Filial  von  Löbejün,  19  km  nördlich  von  Halle  gelegen.  Die 
Kirche  S.  Mariae  liegt  im  Dorfe  und  ift  eine  der  ausgebildeten  romanilchen 
Anlagen  be flehend  aus  einem  unten  tonnenüberwölbten  Thurm,  eindm  Schiff 
und  einem  fchmälern  Chorraum  mit  halbrunder  Apsis.  Die  Wände  bestehen 
aus  Bruchfteinen  mit  Eckquaderung.  Die  Thür  auf  der  Südseite  hat  ein 
halbrundes  Tympanon,  welches  zu  zwei  je  mit  einer  Rosette  gefüllten  Feldern 
ausgemeifselt  ift,  jedoch  find  die  Einzelheiten  nicht  regelmäfsig  Fig.  339.  In  dem 

Fi*.  339. 


Tympanon  der  Thür  an  der  Südreite. 


rohen  fpätgothifchen  Taufsteine  befindet  lieh  ein  melfingenes  Taufbecken 
mit  der  unleferlichen  Minuskelfchrift  und  den  gothifirenden  Lapidarbuch- 
staben bekannter  Art  verziert.  Der  Altaraufbau  gehört  der  RenaifTance  an;  an 
der  Predella  ift  das  Abendmahl,  darüber  als  das  Hauptbild«  die  Kreuzigung 
gemalt;  diese  Bilder  haben  ihren  anfänglichen  Werth  durch  Uebermalung 
verloren.  Auf  der  mensa  hat  fich,  allerdings  sehr  zerftört,  eine  weifse  Decke, 
die  etwa  um  1500  entftanden  sein  mag,  nebst  einer  Bordüre,  beide  ihrer 
Mufterung  wegen  beachtenswerth , erhalten.  Die  Glocke  von  0,57“  Durch- 
messer hat  die  Majuskelinschrift  (Wachsmodelle)  oben: 

+ O REX  GIE  VENI  CV  PACE 

Darunter  lieht : IHC  NAP  BOCSz  • AE  ; ob  fich  die  beiden  letzten  Wörter 
auf  den  Giefser  beziehen,  ift  nicht  zu  ermitteln.  Die  Mitte  des  14.  Jahr- 


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1)1  K StAJ>T  HALLE  u.  <1.  SAAt.KRKIS. 


m 


hunderts  wird  als  die  Entftehungszeit  anzunehmen  fein.  Die  Glocke  von 
0,91“  Durchmeffer  hat  die  Infchrift: 

+S+T  • TGPG  nRTTj  ■ PGR  • fllG  • <?GI?VS  • OfllRG  • 
R2I6ATV  Adb 

auch  diefe  in  Majuskelumfchrift  (Wachsmodelle)  gefchmückte  Gluck' 
wird  der  Mittte  des  14.  Jahrhunderts  zuzufchreiben  fein.  Es  fcheint  nicht 


Fis-  34°- 


Zierrathe  am  Wolfe.  (Renaiffancc). 


unnütz,  hier  eine  Skizze  von  dem  allerdings  erd  dem  16.  Jahrhundert  ange- 
hörigen  Wolfe  zu  geben.  Auch  einen  fo  unbedeutenden  Gegenltamä 
hat  diefe  kunlllinnige  Zeit  nicht  ungefchmückt  gelaffen.  Die. Glocke  von 
t,i2“  DurchmelTer  hat  diefe  Infchrift: 

Ad  pompas  ad  sacra  preces  ad  funera  cives  — Voce  suj 
Christus  Quos  vocait  ipsu  voco  ■ anno  1604  Heinrich  Börstel- 
mann  me  fecit. 

Als  Zierrath  dient  einerfeits  ein  Crucifixus  mit  Maria  und  Johanne- 
zu  den  Seiten  fowie  Sonne  und  Mond  feitlich  oben , andererfeits  die  Dar- 
Heilung  der  Dreieinigkeit:  Gott  Vater  als  bärtiger  Mann  fitzend  dargeftell: 
hält  einen  Crucifixus,  aut  dem  der  heilige  Geilt,  die  Taube  mit  ausgebreite- 
ten Flügeln,  fitzt.  Diefe  Reliefs  find  flach  und  von  ganz  eigenartigem  Stil, 
doch  nicht  fchlecht. 


Schwerz. 

Pfarrkirchdorf  und  Rittergut  15,5  km  nordöftlich  von  Halle  gelegen. 
Zwirze  1205  im  thron.  Mont.  Seren  genannt.  Das  Dorf  felblt  Hand  unter  der 
Jurisdiction  des  Rittergutes,  welches  1401  Hans  von  Mücheln,  Schultheifs  von 


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SCHLETTAU.  SCHWERTE.  SERBEN. 


SW 


Halle  als  Lehn  von  dem  Erzbifchofe  Albrecht  befafs.  Die  folgenden  Befitzer 
giebt  von  Dreyhaupt  II  957  an.  Die  Kirche  liegt  im  Dorte , fie  hat  einen 
geraden  örtlichen  Schlufs;  der  Thurm  ift  in  ähnlichem  rohen  Mauerwerk  her- 
geflellt,  wie  der  zu  Eismannsdorf.  Eine  Empore  mit  darunter  gelegener 
Sacriftei  ift  füdlich  ausgebaut.  Im  Innern  ift  der  Altar  mit  über  ihm  an- 
gebrachter Kanzel  eine  gute  barocke  Arbeit.  An  der  Predella  ift  das 
Abendmahl  in  Holz  reliefirt,  an  der  Kanzel  die  Darftellung  Chrifti,  welcher 
als  Kind  im  Tempel  lehrt.  Rechts  und  links  am  Altäre  befindet  lieh  je 
eine  lebensgrofse,  gut  proportionirte  Engelsfigur.  Als  Bekrönung  des 
Schalldeckels  und  des  Hauptgefimfes  des  ganzen  Aufbaues  fieht  man  Engel 
mit  Wappen,  während  ganz  oben  als  Spitze  Chriftus  mit  der  Siegesfahne 
in  Wolken  lieht.  Zu  dem  Altäre  gehört  im  Stile  der  Taufbeckenunterfatz. 
An  der  Südwand  find  einige  barocke  Grabplatten.  Der  Kelch  der  Kirche 
vom  Jahre  1665  mit  einigen  Wappen  am  Fufse  ift  unbedeutend.  Die  Glocke 
von  0,53“  Durchmefter  hat  eine  längliche  Form  ohne  Infchrift,  nur  zwei 
Harke  Reifen  umziehen  den  Kranz.  Es  ift  nicht  gewifs,  ob  diefe  Glocke 
in  das  13.  Jahrhundert  zu  fetzen  ift.  Die  Glocke  von  1,17”  Durchmefter 
hat  in  Majuskeln  ( Wachsmodelle)  diefe  Umfchrift: 

SIT  TCPeSTATV  PCR  dt>  A me  G6I?VS  OMH€  HWsÄTV. 

Das  cL  und  A ift  hier  finnig  angebracht  worden. 

Die  Glocke  von  1,32  * Durchmefter  hat  diefe  Minuskelinfchrift: 

T <?> 

i|tfif  miss  marin  fnrta  Anita  aut  ftiaiii  w ma  m. 

Die  Schlagglocke  im  Dachreiter  des  Thurmes  hat  0,60“  Durchmefter, 
ift  jedoch  nicht  wohl  erreichbar. 


Seeben. 

Kirchdorf  Filial  von  Trotha  und  Domainenvorwerk  zur  Domaine  Gie- 
bichenftein,  4 km  nördlich  von  Halle  gelegen,  foll  feinen  Namen  von  der 
deutfehen  Göttin  Siba  oder  Seba  erhalten  haben  und  wird  in  alter  Zeit 
Sebin  und  Sebene  gefchrieben.  Das  Dort  fcheint  unter  dem  Schutze  des 
Adelsgefchlechtes  derer  von  Sehen  entftanden  zu  fein.  Bereits  1228  wird  in 
den  Urkunden  des  Klofters  zum  Neuen  Werke  ein  Martin  de  Sebene  ge- 
nannt. Die  Kirche  S.  I.aurentii  liegt  im  Dorfe  und  ift  eine  romanifche  An- 
lage, welche  fpäter  Zufätze  bekommen  hat  und  umgebaut  ift.  Der  unten 
maffive  Thurm  hat  einen  Fachwerksautfatz.  Statt  des  urfprünglichen  Chor- 
raumes ift  jetzt  ein  jüngerer  Anbau  vorhanden,  während  das  Schiff,  welches 
breiter  als  lang,  noch  romanifch  ift.  Wir  gebet»  in  Fig.  341  die  rundbogige 
nördlich  gelegene  Eingangsthür  und  in  Fig.  342  die  von  der  weltlichen 
Empore  in  den  Thurm  führende;  aus  beiden  dürfte  zu  erfehen  fein,  dafs 
die  Kirche  zwar  einfach,  aber  fchon  in  der  fpäteren  romanifchen  Zeit  er- 
baut worden  ift.  Die  Pfeiler  des  Triumphbogens  find  cantonnirt  und 
fchliefsen  mit  einem  Ablauf  unter  einer  Platte  als  Kämpfer.  Der  fehr 
kleine  Flügelaltar  ift  roher  gearbeitet,  als  alle  im  Saalkreife;  er  enthält 


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576 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


folgende  acht  Figuren,  die  zwar  in  gothifchen  Proportionen  gehalten  find,  aber 
erft  im  1 6.  Jahrhundert  gemacht  fein  können:  im  linken  Flügel  lieht  ein  nicht 
zu  erkennender  Heiliger  und  eine  Heilige,  die  einen  Vogel  (-)luüt  (Margaretha?): 
im  Schreine  fleht  man  den  h.  F ranciscus,  der  eine  Wunde  in  der  rechten  Brull- 
feite  zeigt,  dann  eine  Heilige  ohne  Beigabe,  den  Engel  Gabriel  und  Maria. 


Fig.  .54'- 


Kirchenportal  auf  der  Nordfeite. 


Fig.  342. 


Thür  in  den  Thurm  von  der  Empore  acs- 


die  an  der  Brüll  bereits  das  Kindlein  trägt,  im  rechten  Flügel  lieht  ein 
fegnender  Bifchof  und  Johannes  (?)  mit  dem  Lamme. 

Die  Glocke  von  0,54  ■ Durchmefier  hat  oben  drei  Schnüre  und  unten 
zwei  Harke  runde  Reifen,  fie  ill  ohne  Infchrift,  kann  aber  erd  dem  16.  oder 
17.  Jahrhundert  angehören.  Die  Glocke  von  0,92 " Durchmefier  ill  von 
Leopold  Eberwein  1853  gegofien. 


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SERBEN.  SENNE  WITZ.  SIEGLITZ.  SPICKENDORF. 


57 


Sennewitz. 1 

Kirchdorf,  Filial  ehemals  von  Trotha,  jetzt  von  Teicha,  5,5  km  nördlich 
von  Halle  gelegen.  Als  1288  die  Graffchaft  Wettin.  zu  der  der  Ort  gehörte, 
an  das  Erzftift  Magdeburg  kam,  ging  auch  Sennewitz  mit  dahin  über.  Die 
Kirche  S.  Nicolai  ift  vielleicht  eine  romanifche  Anlage,  doch,  weil  völlig 
modemifirt,  ohne  Int^refle.  Ein  alter,  formlofer  (romanifcher?)  Taufßein 
liegt  umgekehrt  auf  dem  Friedhofe.  Der  Teufelsflein , öftlich  von  der 
Kirche  am  Wege  gelegen  und  mit  5 Löchern,  die  von  des  Teufels  Krallen 
herrühren  follen , ift  nichts  als  ein  erratifcher  Stein  (gröfserer  F'indling). 
Die  Glocke  von  1,03“  DurchmefTer  hat  diefe  Halsumfchrift: 

MEIN  • KLANG  • DICH  • RVTE  • ZVM  • KIRCHENGANG  • MERKS 
WORT  • GOTT  • DANKS  • SINGE  • LOBGESANG  • 

Am  Schlagringe  fteht: 

ftoss  mid) : 3ot|anit  3akob  fipffmanit  in  fintr  MDCLXXXXVIl. 

Die  Glocke  mit  dem  DurchmefTer  von  0,78”  hat  die  Infchrift  einerfeits: 

Gegossen  von  Gebr.  Ulrich  zu  Laucha  a Unstrut  1667, 
andererfeits:  Gott  segne  und  erhalte  die  Gemeinde  Sennewitz. 

Die  Glocke  von  0,65“  DurchmefTer  hat  die  Infchrift: 

Gegossen  v.  Gebr.  Ulrich  zu  Laucha  a/Unstrut  1867. 


Sieglitz. 

Kirchdorf,  Filial  von  Mitteledlau,  20  km  nordweftlich  von  Halle 
gelegen.  Das  Stift  S.  Nicolai  zu  Magdeburg  hatte  das  Patronatsrecht 
über  die  Kirche,  welche  öftlich  vor  dem  Dorfe  liegt,  in  der  zweiten  Hälfte 
des  vergangenen  Jahrhunderts  entftanden  fein  wird  und  ein  ganz  unbe- 
deutendes Bauwerk  von  rechtwinkligem  Grundrifs  mit  Thurm  ift.  Ein 
meffingenes  Taufbecken  hat  inmitten  die  Darftellung  der  -Kundfchafter 
von  Jericho  mit  einer  grofsen  Traube  und  flammt  infchriftlich  aus  dem 
Jahre  1653. 

Die  Glocke  von  0,88”  DurchmefTer  hat  Joh.  Jacob  Hoffmann  in  Halle 
1701,  die  von  0,73“  DurchmefTer  Friedrich  Aug.  Becker  zu  Halle  1 74 ^ 
gegoflen. 

Spickendorf. 

Pfarrkirchdorf,  12,5  km  nordöftlich  von  Halle  gelegen,  ift  der  Stamm- 
fitz  der  hallefchen  Pfännerfamilie  von  Spickendorf  oder  Spittendorf  gewefen. 
1376  haben  dafelbft  auch  die  von  Dieskau  und  von  Schilling  ßefitzungen 


I Dafs  der  Name  von  den  „Scnnonibns“  hn kommt,  wie  von  Dreyhaupl  angiebt,  ift  fahr 
unwahrfcheinlich. 

B.  D.  d.  Bau-  u.  Kunst«!.  N.  F.  I.  37 


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578 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKRKIS. 


V 


gehabt.  Die  Kirche  S.  Nicolai,  im  Dorfe  gelegen,  foll  nach  von  Drevhaupt\ 
Angabe  „1262  fundiret"  fein;  fie  macht  auch  den  Eindruck  eines 
frühgothifchen  Bauwerkes,  ift  im  Ollen  gerade  gefchloffen  und  zeigt  an 
ihrer  nördlichen  Eingangsthür  einen  Spitzbogen  fowie  das  in  Eig.  343  darge- 
Hellte  Ornament.  Aus  der  Gründungszeit  wird  auch  der  im  fogenannten 


Fig.  343- 


Fig.  344- 


Ornament  am  Portalbogen. 


Taufflein. 


Paradiele  llehende  alte  Taufftein  fein,  welchen  unfere  Fig.  345  darflellt 
Es  hat  fich  dann  in  der  Chorwand  nördlich  ein  Sacramentshäuschen  er- 
halten, welches  der  Hochgothik  angehört  und  eines  der  werthvollften  Klein- 
architekturllücke  des  Kreifes  ift.  Man  erfieht  aus  Fig.  345,  dafs  die  ge- 
wöhnliche Anordnung  ftatt  hat:  Fialen,  hier  zwei  jederfeits,  flankiren  die 
Thür,  welche  aus  vergoldeten  Eifenftäben  mit  Knöpfen  befteht,  und  tragen  eine 
Zinnenkrone.  Letztere  ruht  in  der  Mitte  auch  noch  auf  dem  Stiele  der  Kreuz- 
blume über  dem  fpitzbogigen  Thürlimfe.  Diefes  Sims  und  die  Riefen  der 
Fialen  find  mit  Krabben  befetzt,  die  noch  nicht  ftark  gebuckeltes  Blattwerk 
zeigen.  Der  Raum  von  der  Oberkante  der  rundbogigen  Thüröflnung  bis 
zum  Spitzbogengefimfe  darüber  wird  von  einem  Blendenmaafswerke  aus- 
gefüllt,  in  deffen  Mitte  vor  einem  Kreuznimbus  der  Kopf  Chrifti  in  der  Vorder- 
anficht  ausgehauen  ift.  An  dem  ganzen  Stücke  ift  die  alte  Temperafärbung  noch 
ausreichend  erhalten,  um  einen  Begriff  von  der  anfänglichen  Wirkung  zu 
geben.  Da  mufs  nun  hauptfächlich  auf  die  verftändige  Art  der  Bemalung 
aufmerkfam  gemacht  werden.  Es  find  nur  die  gefchützt  liegenden  Theile 
nicht  die  exponirten  gefärbt.  Die  natürliche  graue  Farbe  des  Steines  ift 
als  Grundfarbe  beiaffen  und  ihr  ift  aufser  Gold  nur  noch  Carrninroth  und 
ein  mattes,  weiches  Blau  zugefiigt,  während  allerdings  das  Geficht  des 
Heilandes  die  natürlichen  Farben  trägt:  die  Haut  ift  gelblich  weifs,  dir 
Haare  find  dunkel,  die  Lippen  roth,  die  Augen  blau.  Der  Nimbus  hinter 
dem  Kopfe  ift  goldig  mit  blauem  Kreuze.  Wie  vorzüglich  die  Wirkung 
ift,  welche  fich  durch  diefe  Farben  hervorbringen  läfet,  wenn  diefelben  mit 
Meifterhand  wie  hier  componirt  find,  läfst  fich  nicht  fagen.  Werthvoll  wird 
das  Stück  auch  deswegen,  weil  fich  an  ihm  befände»  gut  die  Denkweile 

\ 


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SPICKEN  DORF. 


579 


unferer  Vorfahren  ftudiren  läl'st ; in  diefer  Beziehung  ift  noch  Einiges  filier 
den  Chriftuskopf  zu  Tagen  nöthig.  Der  Ausdruck  des  Geflehtes  ill  ein 
ganz  feierlich  ruhiger,  milder,  leidenfchaftslos  friedlicher,  gleichfam  iiber- 
finnlicher,  ein  Ausdruck  aber,  der  beredter  ift,  als  alle  Worte,  die  man  an 
feine  Stelle  fetzen  könnte,  um  zu  bezeichnen,  was  diefer  Schrein  an  Gnaden* 
fpenden  enthält.  An  und  für  fich  (oll  alfo  der  Kopf,  deffen  Bedeutung 
alle  Beute  im  Mittelalter  verllanden,  nur  eine  AutTchrift  vertreten,  aber  unter 
der  Hand  des  Meifters  ift  fie  zu  einer  erhabenen,  herzergreifenden  Poefie 
geworden. 


Fis-  345- 


Saeramentshäuschen. 


Der  jetzige  Altar  ift  mit  der  ihm  eingefügten  Kanzel  1728  gemacht. 
Der  Kanzelthüreinfatz  hat  ein  in  Holz  hochreliefirtes  Abendmahl  mit  gutem 
architektonifchen  Hintergründe;  im  Ganzen  nicht  bedeutend.  Reife  eines 
Altares  aus  der  helfen  Renaiffancezett  befinden  fich  aut  den  Emporen.  Es 
ift  das  Abendmahl  daran  dargeffellt;  man  lieft 

RCVXERNER 

PINXIT 

An  der  Predella  befindet  fich  die  Geburt  und  die  Taufe  gut  gemalt. 
Auch  ift  der  Crucifixus  erhalten.  Die  Glocke  von  o,()6“  Durchine fter  ift 
v on  länglicher  form  und  ohne  Infchrift;  fie  gehört  vielleicht  in  die  Erbauungs- 

37* 


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58o 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


zeit  der  Kirche,  alfo  in  das  13.  Jahrhundert.  Die  Glocke  von  1,03”  Durch- 
melTer  iß  1738  von  Peter  Becker  in  Halle  umgegolTen. 


Sylbitz. 

Pfarrkirchdorf,  10  km  nördlich  von  Halle  gelegen.  Die  Kirche  ift  ludlich 
vom  Dorfe  hoch  gelegen  und  dadurch  eine  fogleich  auffällige  romanifche 


Sclialllueh. 


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SYLBITZ.  TEICHA. 


583 


Anlage,  dafs  der  Thurm  mit  runder  Apfis  an  feiner  Oftfeite  örtlich  am  Schiffe 
fleht.  Veranlaffung  zu  diefer  Abweichung  mag  das  Terrain  gegeben  haben 
welches  hinter  dem  geraden  Weftgiebel  des  Schiffes  abfälltund  den  Erbauern 
nicht  hinlänglich  widerftandsiähig  gegen  die  Thurmmauerlaft  erfcheinen 
mochte;  ift  doch  der  Thurm  felbft  an  feiner  jetzigen  Stelle  wohl  in  Folge 
des  nachgiebigen  Bodens  vielfach  geborften.  Die  Thurmfenller  Fig.  346  find 
durch  eine  Säule,  welche  vermitteln  eines  Steines  von  Capitälbreite  und  Mauer- 
tiefe zwei  Rundbogen  einfeitig  unterftützt,  zweitheilig.  Die  Säule  hat  eine 
attifche  Bafis  mit  weitausladendem  untern  Torus,  welcher  auf  einer  Platte 
lieht  und  Eckblätter  hat.  Das  kelchartige  Capitäl  ift  mit  ftark  verwittertem 
Blattwerk  überzogen.  Aus  folchen  Formen  ergiebt  lieh,  dafs  die  Entftehung  in 
die  fpätromanifche  Zeit  fällt.  Der  auf  der  Nordfeite  liegende  Eingang  P'ig.  347 
ift  rundbogig  und  hat  ein  aus  einem  Rundftabe  mit  zwei  Kehlen  bestehendes 
Gewändeprofil,  unten  fleht  der  Rundftah  jederfeits  auf  einer  hohen  attifchen 
Bafe.  Den  Rundbogen  füllt  ein  reliefgefchmücktes  Tympanon  aus,  unter- 
ftützt von  Confolen,  die  in  das  viereckige  Thürlichten  treten.  Dargeftellt  ift 
links  ein  romanifches  Blattwerk  und  rechts  eine  Gans  (?),  die  einen  von 
rechts  kommenden  F'uchs  (?)  füttert.  Zwifchen  beiden  fleht  auf  der  Erde 
ein  Gefäfs  (?),  auf  welches  der  Fuchs  mit  einem  Vorderfufse  tritt.  Die 
Deutung  will  mir  nicht  gelingen;  es  dünkt  mich  möglich,  dafs  hier  kein 
biblifcher  Stoff,  fondern  eine  heidnifche  Fabel  veranfchaulicht  worden  ift, 
zufolge  welcher  der  Fuchs  der  Gans  den  Kopf  abbeifst.  Im  Innern  ift 
das  im  Thurmerdgefchofs  gelegene  Sanctuarium  über- 
wölbt. Der  Bogen  zwifchen  ihm  und  dem  Schiffe 
hat  ein  Kämpferfims  in  F'orm  einer  plumpen  Sima  unten 
mit  Plättchen,  oben  mit  ftärkerer  Platte,  Füg.  348.  Den 
Bogen  der  Apfis  unterftützt  ein  aus  Platte,  Rundftab 
Plättchen  und  Ablauf  beliebender  Kämpfer,  der  gewifser- 
maafsen  als  Capitäl  zu  dem  unter  ihm  befindlichen, 
durch  eine  Vertiefung  als  Pilafter  charakterifirten 
Wandflücken  bildet.  Nahe  bei  dem  nördlichen  diefer 
Pilaller  bemerkt  man  ein  recht  einfach  und  falop 
gearbeitetes  und  jetzt  befchädigtes  Sacramentshäuschen 
Fig.  34g.  Der  Taufllein  ift  romanifch,  aber  ganz  roh 
Die  drei  Glocken  find  ohne  Infchrift;  die  von  0,54“  und  die  von  0,60“  Durch- 
meffer  find  vielleicht  noch  älter  als  die  von  1,02”  Durchmeffer,  weil  fie  eine 
alterthümlich  längliche  Form  haben,  Fig.  350.  Doch  fcheinen  fie  alle  dem 
13.  Jahrhundert  anzugehören. 

Teicha. 

Pfarrkirchdorf,  8,50km  nördlich  von  Halle  gelegen.  Station  der  Bahnlinie 
Afchersleben-Halle.  Die  Kirche  S.  Mauritii  Fig.  351  liegt  füdwelllich  vom 
Dorfe  auf  einem  Flügel  und  ift  eine  romanifche  Anlage  mit  fpätern  Zulätzen. 
Thurm  und  Schiff  gehören  der  romanifchen  Epoche  an,  der  Chor,  dreifeitig 
fchhefsend , wird  in  (früh?)gothifcher  Zeit  entftanden  fein.  Die  beiden  füd- 
lichen  Ausbauten,  Sacriftei  und  Eingangshalle  find  barock;  der  Dachreiter 


Fig.  350. 


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Aeufseres  der  Kirche 


584 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


- ' 


/ , v 


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TEICHA. 


585 


in  Ollen  des  romanilchen  Theiles  des  Schiffes  hat  gar  keinen  Zweck  und 
fcheint  Ende  des  vergangenen  Jahrhunderts  zugefügt  zu  fein.  An  Künft- 


ig- 35*- 


P‘g-  353- 


Zwei  Capilälc  in  den  Schall  löchern. 

formen  bietet  der  Thurm  verwitterte  Steinkreuze,  die  feine  Giebel  krönen, 
auch  die  alten  Giebelecklleine  haben  fich  erhalten.  Die  Schalllöcher,  je  zwei 
gegen  Ollen  und  Wellen,  je  eins  gegen  Süden  und  Norden,  find  durch 
eine  Säule  mit  zwei  je  aus  einem  Steine  bellehenden  Rundbögen  zweitheilig, 


P'g-  354- 


Pig  355- 


Kämpfer  am  Triumph- 
bogen. 


jedoch  fo,  dafs  letztere  einfeitig  auf  einem  fattelholzartigen  Steine  liehen, 
weicher  die  Breite  des  Abakus  und  die  Tiefe  der  Mauer  hat.  Je  nach  der 
Ausbildung  des  Capitäls  ill  auch  das  fattelholzartige  Verbindungsllück 


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586 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALEREIS. 


fchwerer  oder  leichter  profilirt,  vergleiche  Fig.  352  und  353.  Das  Capital 
in  Fig.  352  deutet  übrigens  fchon  auf  eine  fehr  vorgefchrittene  Entwicklung 
des  romanifchen  Stils;  man  fieht,  bei  einer  weitern  Entwicklung  müfTen  die 


Fig.  356. 


' 


Sacramcntshäuschcn. 


Träger  (Eckblätter)  über  die  Abakusplatte  heraustreten.  Die  Fcnlfer  an 
den  drei  Chorleiten  find  rundbogig;  man  wird  vermuthlich  die  Gewände 
der  romanifchen  Apfis  hier  wieder  mit  Zufatz  neuer  Stücke  unverändert 


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TEICHA. 


587 


verwendet  haben.  An  einem  Gewände  befinden  fich  zum  Schmucke  Rofetten 
wie  fie  in  der  fpätern  Zeit  des  Stiles  oft  Vorkommen.  An  vielen  Stellen 
des  romanifchen  Theiles  der  Kirche  ift  noch  die  ehemalige  Fugenbehandlung 
des  Bruchfteinmauerwerkes  deutlich  zu  fehen.  Diefelbe  geht  darauf  aus 
thunlichft  eine  wagerechte  Quaderung  der  Fläche  darzuftellen;  es  find  daher 
die  Fugen  je  nach  der  Unregelmäfsigkeit  der  Steine  breiter  oder  fchmäler 
mit  einem  ganz  aufserordentlich  dauerhaften  Mörtel  gefüllt,  und  dann  ift  in 
denfelben  eine  nur  im  Allgemeinen  auf  die  wirklichen  Fugen  riickfichtigende, 
lediglich  aus  wagerechten  und  fenkrechten  Linien  beftehende  Quaderung 
mittelft  eines  unferer  Fugenkelle  entfprechenden  Inftrumentes  dergeftalt 
eingedrückt,  dafs  die  F'ugenoberkante  fenkrecht,  die  Unterkante  geneigt  zur 
Mauerfläche  fleht.  (Siehe  Fig.  275  und  276  unter  Krofigk.)  Höchft  interefTanter- 
weife  ift  nun  auch  unter  den  neuem  und  neuften  Putzfchichten  an  dem 
gothifchen  Ofttheile  die  alte  Wandausfchmückung  vorhanden  und  diefelbe 
befteht  in  einem  vollftändigen  Verputz,  welcher  eine  geftippte  Quaderung 
mit  breiten  glatten  Fugen  darftellt  und  mit  eingefafsten  Ecken  und  einigen 
horizontalen  glatten  Bändern  zu  gröfsem  Partien  abgetheilt  wird  Fig.  354. 
Die  Urfprünglichkeit  diefes  Verputzes  ergiebt  fich  aus  einem  Vergleich  mit 
gemalten  gothifchen  Wandverzierungen.  Hiermit  dürfte  der  Beweis  erbracht 
fein,  dafs  auch  die  Gothik  die  Aufsenflächen  eines  Bauwerkes  durch  weg  ge- 
putzt und  fogar  eine  Quaderung  im  Putze  nachgeahmt  hat;  von  einer 
bewufsten  Unwahrheit  aber,  deren  fich  die  moderne  Kunft  in  ihrer 
naturaliftifchen  Weife  in  gleichem  Falle  fchuldig  macht,  kann  hier  doch 
nicht  die  Rede  fein,  weil  der  Putz  hier  als  folcher  auitritt  und  nichts  anderes 
als  eben  die  Wand  verkleidender  Putz  fein  will,  welcher  ein  Quadergetüge 
zwar  darftellt,  aber  nicht  ift,  mit  einem  Worte  die  Behandlung  des  Putzes  ift 
ftilgemäls.  — Was  ein  in  einen  Quader  der  Südoftecke  des  romanifchen 
Theiles  eingeritztes  Köpfchen  bedeutet  ift  ungewifs.  Unter  dem  Fenfter  an 
der  Oftwand  des  Chores  befindet  fich  eine  Heiligenbildnifche,  die  fchon  feit 
der  Reformation  leer  fein  wird.  Im  Kirclieninnern  find  die  Kämpferftücke, 
des  infchriftlich  1700  veränderten  Triumphbogens  romanifch  Fig.  355.  In 
die  Erbauungszeit  des  gothifchen  Chores,  feinen  Formen  nach  fchwerlich 
l'päter  als  bis  zur  Mitte  des  14.  Jahrhunderts  zurückgehend,  wird  das  nördlich 
eingemauerte  Sacramentshäuschen  zu  fetzen  fein  F'ig.  356.  Zwei  fialenartige 
Thürmchen  mit  Creneluren  um  den  Helmfufs  flankiren  die  fpitzbogig  umrahmte 
Rundbogenthür,  über  deren  von  zwei  Krabben  befetztem  Simfe  eine  Kreuz- 
blume fleht.  Diefe  Architektur  fetzt  fich  unten  auf  eine  Schräge  und  läuft 
fich  oben  gegen  ein  krönendes  Zinnenfims,  welches  fie  ftützt,  todt.  Ohne 
Werth  ift  die  „1591  von  dem  Pronotario  Paul  Hahn  zu  Halle“  gefchenkte 
Kanzel.  Werthvoll  ift  der  fpätgothifche  Flügelaltar  mit  dreiviertellebens- 
grofsen  farbigen  Holzfiguren.  Maria  mit  dem  Kinde  nimmt  die  Mitte  ein,  links 
fleht  der  Titelheilige  Moritz,  rechts  ein  andrer  Heiliger.  In  jedem  der  beiden 
Flügel  fteht  hoch  eine  weibliche  Heilige.  Feines  ornamentales  Schnitzwerk 
dient  als  Umrahmung  und  gemufterter  Goldgrund  fchmückt  die  Rückwand. 

Die  drei  Glocken  von  1,32",  1,01 m und  0,83”  Durchmeffer  find  1861 
von  den  Gebr.  Ulrich  in  Laucha  umgegofsen. 


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588 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


I 


Trebitz  (bei  Cönnern.) 

Kirchdorf,  Filial  von  Lebendorf,  27,5  km  nordweftlich  von  Halle  ge- 
legen. Die  Kirche  liegt  örtlich  im  Dorfe  und  befindet  fich  augenblicklich 
im  Neubau  an  Stelle  einer  folchen,  die  nach  dem  dreifsigjährigen  Kriege 
wieder  erbaut  und  1738  verlängert,  fowie  mit  Kanzel,  Emporen  u.  f.  w.  aus- 
geftattet  war.  Der  jetzt  in  der  Scheune  der  Schule  befindliche  Flügelaltar  — die 
Menfa  dürfte  dem  in  Fig.  357  gezeichneten  Profile 
nach  noch  aus  romanifcher  Zeit  herrühren  — ent- 
hält  folgende  Holzfiguren:  im  Flügel  links  oben  zwei 
weibliche  Heilige,  die  nicht  mehr  zu  erkennen  find, 
unten  die  h.  Dorothea  mit  einem  Korbe  und  eine 
Heilige  ohne  Attribut.  Die  linke  Abtheilung  des 
eigentlichen  Schreines  enthält  oben  einen  Heiligen 
mit  einem  Buche,  unten  den  h.  Moritz,  die  Mittel- 
partie enthält  die  fitzenden  Figuren  der  Maria  und 
des  Chriftus,  der  jene  fegnet,  in  einer  niedrigen  Ab-  [,rofl|  J(.r  Altarplaiic. 
theilung  unter  beiden  find  zwei  muficirende  Engel; 
in  dem  rechten  Schreinfelde  fteht  oben  die  fehr  fchön 

gearbeitete  Figur  Petri  (?)  mit  einem  Buche,  unten  die  des  heiligen 
Johannes  mit  dem  Lamm  auf  dem  Buche.  Im  rechten  Flügel  liehen 
oben  die  h.  Katharina  und  die  h.  Anna  felbdritt,  unten  ein  h.  Ritter  (fcheinbar 
mit  Fahne)  und  ein  unbekleideter  Heiliger  mit  einer  Säule  (Sebaftian?).  Die 
Arbeit  diefer  F'iguren  fteht  im  Allgemeinen  über  der  Mittelmäfsigkeit  und 
erhebt  fich  in  einigen  Statuen  namentlich  in  1 linficht  auf  die  Gefichtsbildung 
auf  eine  hohe  Stufe  künftlerifchen  Werthes. 

Die  beiden  Glocken  von  0,82"  und  0,64"  Durchmerter  find  1873  von 
G.  Ulrich  in  Laucha  gegoden. 


Trebnitz. 

Plarrkirchdorf  und  Rittergut,  27  km  nordweftlich  von  Halle  am 
rechten  Saalufer  gelegen.  Die  Kirche  S.  Dionysii  liegt  im  Dorfe  örtlich.  Im 
dreifsigjährigen  Kriege  verwüftet  ift  fie  1693  von  dem  Brigadier  Hans 
Criftoph  von  Rauchhaupt  theilweife  wohl  auf  romanifchen  Subllructionen 
neu  erbaut.  Ein  Ausbau  an  der  Südfeite  hat  den  Zweck  für  die  von  Rauch- 
haupt’fche  Familie  unten  einen  Begräbnifsraum,  oben  eine  Kirchenftube  zu 
bilden.  Die  Brüftung  gegen  das  Kircheninnere  ift  demgemäfs  mit  zahl- 
reichen Wappen  gefclimückt.  Mit  Särgen  ill  auch  hier  wie  zu  Beefen- 
laublirigen  ein  Untergefchofs  und  das  F.rdgefchofs  des  Thurmes  aus- 
gefetzt. In  der  Apfis  hat  von  den  Grabfteinen  nur  der  im  F'ond  einigen 
Werth.  Viel  bcde-utender  dagegen  ift  ein  Epithaphium  grofsartigen  Stiles 
rechts  am  Eingänge  an  der  Weftwand  der  gutsherrlichen  Kirchenftube.  Es 
belicht  aus  weifsein  Marmor  mit  theilweifser  Vergoldung  und  foll  in  Italien 
oder  doch  von  einem  Italiener  gemacht  fein.  Die  Arbeit  felbft  läfst  diefe 
Annahme  glaubhaft  erfcheinen.  Sie  ill,  obwohl  das  Barocke  nicht  ver- 
leugnend, doch  noch  llreng  und  fehr  graziös  durchgelührt,  auch  von  einer 


"V 


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TREBITZ  (bei  GÖNNERN’).  TREBNITZ. 


589 


techni feilen  Vollkommenheit,  wie  iie  bei  deutfehen  Meiltern  diefer  Zeit  un- 
gewöhnlich wäre. 1 Man  lieht  über  einem  Unterbau  die  knienden  Figuren 
der  Familienglieder  des  Verdorbenen.  In  einer  Nifche  links  befindet  lieh 
Adam , rechts  Eva.  Mitten  ilt  das  Weltgericht  reliefirt.  Ueber  diefem  be- 
findet lieh  die  Geburt  Chrifli , die  Hirten  kommen  herzu  anzubeten.  Neben 
diefer  Darftellung  rechts  ift  die  Auferftehung  gemeifselt,  links  die  Scene 
wie  Jonas  aus  dem  Fifchbauche  hervorkommt.  Ganz  oben  lieht  man  die 
Himmelfahrt.  Männliche  und  weibliche  Karyatiden  flankiren  das  mittlere 
Bild  und  lieben  weibliche  allegorifche  Statuen  lind  noch  an  verfchiedenen 
andern  Stellen  paffend  aufgeftellt ; fo  viel  fich  noch  erkennen  läfst,  trägt 
eine  ein  Schwert  (?)  und  Buch,  eine  andere  Anker  und  Eule,  eine  dritte 
einen  Spiegel,  ihren  Arm  umwindet  eine  Schlange  (?),  eine  vierte  hält  eine 
zerbrochene  Säule,  eine  fünfte  hat  ein  Schwert  in  der  Rechten,  eine  feehste 
giofst  einen  Krug  aus.  Die  letzte  hält  nichts  inehr.  Das  Epitaphium  ift 
aufserdem  mit  vielen  relietirten  Wappen  verziert.  — Vor  ihm  lieht  der  Reil 
eines  fpätgothifchen  Tauffteines  Fig.  358. 


F>«.  S 5». 


Die  Glocke  von  0,54 B Durchmefler  hat  die  Majuskelinfchrift 
{Wachsmodelle) 

VOX  D£I  FAX  DOffiII?I 

Die  Glocke  von  o,8)m  Durchmeffer  hat  1685  Joh.  Jacob  Hoftmann  in  Halle 
gegofTen.  Die  Glocke  von  1,1 2“  Durchmefier  ilt  1722  von  Peter  Becker  in 
Halle  gegolTen;  man  lieht  auf  ihr  das  von  Rauchhaupt’fche  Wappen  mit 
der  Umfchrift  constans  contraria  spernit. 

DasRittergut  liegt  etwas  weiter  aufwärts  an  der  Saale.  13.38  hat  ein 
Johann  von  Gatersleben  die  Mühle,  das  Gut  und  das  Dorf  fowie  die  Wein- 
berge dem  Erzftifte  Magdeburg  gefchenkt.  Zu  Anfang  des  15.  Jahrhunderts 
ift  Trebnitz  im  Befitze  derer  von  I ledersleben  gewefen,  dann  ift  jes  an 
Timo  I.  von  Rauchhaupt  gekommen,  von  dem  die  Trebnitzer  Linie  diefes 
Gefchlechts  llammt.  Die  Kapelle  des  Schlolfes,  „zum  Altar  des  Heiligen 


1 Leider  hat  der  Salpeter  der  Wand  fchon  einige  Reliefs  und  Statuen  zerftort  uud  er 
wird  lie  bald  alle  vernichten,  wenn  nicht  die  geringen  Mittel  lieh  linden,  die  nothig  find,  diefes 
K M n ft  werk  vor  dem  LinllufTe  des  Salpeters  zu  lieber  n. 


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590 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


Kreuzes“  genannt,  wird  bereits  verfchwunden  fein,  als  man  die  alte 
gothifche  Burg1  im  16.  Jahrhundert  dergeAalt  umbaute,  dafs  ein  von  vier 
Flügeln  umfchloffener  Hot  mit  Arkaden  (?)  entftand.  Als  der  mittlere  Theil 
des  jetzigen  Schlofles  befteht  diefes  Bauwerk  des  lü.  Jahrhunderts  noch  und 
man  bemerkt  von  ihm  mancherlei  Thür-  und  Fenfterprofile,  Wendeltreppen 
u.  f.  w.  Der  Erbauer  der  Trebnitzer  Dorfkirche  hat  auch  diefes  im  dreifsig- 
jährigen  Kriege  ftark  verwüftet«  Schlofs  wieder  herftellen  lalfen  und  ihm 
eine  neue  F'agade  mit  feitlichen  Flügeln,  natürlich  in  den  barocken,  hier  fehr 
nüchternen  F'ormen  feiner  Zeit  zugefügt. a 


Trotha. 

Pfarrkirchdorf,  2 km  nördlich  von  Halle  gelegen,  Station  der  Halle- 
Afcherslebener  Bahn.  Das  Dorf  wird  1121  dem  Klofter  zum  Neuen  Werke 
bei  Halle  gefchenkt.  Der  Ritterfitz  derer  von  Trotha  ift  bereits  im  15.  Jahr- 
hundert in  Folge  immerwährender  Streitigkeiten  mit  dem  Klofter  zum 
Neuen  Werke  eingegangen,  und  fchon  im  tfL  Jahrhundert  konnte  über  die 
Lage  desfelben  beflimmt  nichts  mehr  angegeben  werden.  Im  Süden  am 
Dorfe  liegt  die  Kirche  auf  einer  kleinen  Anhöhe.  Ihr  Bau  ift  vielleicht  mit 
Ausnahme  des  Thurmes  1730  aufgeführt  auf  der  Stelle  eines  urfprünglich 
romanifchen.  Er  hat  Strebepfeiler  und  eine  dreifeitige  Chorpartie  in  deren 
Oftwand  der  Eingang  liegt,  während  der  Altar  weltlich  fteht.  Ein  lebens- 
grofser  Crucifixus  mit  weifser  Oelfarbe  angeftrichen  befindet  fich  über  der 
Kanzel  aus  dem  Anfänge  des  i£  Jahrhunderts;  er  ift  wohl  im  t_7.  oder  18. 
Jahrhundert  gemacht  und  von  ganz  naluraliftilch  grauenerweckendem  Ge- 
fichtsausdrucke.  Die  Glocke  von  0,44 m DurchmefTer  ift  von  länglicher 
Form  mit  breitem  Kranze  und  hat  oben  vier  Schnüre  ohne  Infchrift  und 
Schmuck;  fie  wird  dem  i^.  Jahrhundert  angehören.  Die  Glocken  von  1 , 1 - m, 
0,87 » und  0.74“  DurchmefTer  find  1875  von  G.  A.  Jauck  in  Leipzig  gegofTen 
und  haben  die  Inschriften  die  erfte  Ehre  sei  Gott  in  der  Höhe,  die  zweite 
Friede  auf  Erden,  die  dritte  den  Menschen  ein  Wohlgefallen. 


Untermaschwitz. 

Kirchdorf,  Filial  von  Mötzlich,  6 km  nordöftlich  von  Halle  gelegen. 
Urfprünglich  gab  es  ein  Ober-,  Mittel-  und  Untermafchwitz;  im  dreifsig- 
jährigen  Kriege  wurde  Mittelmafchwitz  zerftört.  Ein  Vorwerk  zu  Mafchwitz, 
ehemals  im  Befitze  derer  von  Trotha  geht  1389  mit  Zustimmung  der  Lehns- 

1 Man  fpricht  von  einer  Waffcrburg,  was  hier  nur  heifsen  kann,  dafs  diefe  alte,  nicht 
hoch  gelegene  Burg  von  einem  Waffergraben  umgeben  war. 

2 von  Drcyhaupt  fchreibt  und  im  Dorfe  haben  fich  darüber  auch  mancherlei  legenden- 
hafte Traditionen  erhallen,  dafs  H*  Chr.  von  Rauclihaupt  au  diefem  Schlofsbaue  die  gefangenen 
Türken  und  Kamele,  die  er  mit  heim  gebracht  habe,  verwendet  hatte.  Die  Türken  aber  feien, 
als  fie  deutfeh  veiftanden,  durchgegangen  und  wieder  in  ihre  ileimath  gekommen. 


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t 


TRERN1TZ.  TROTHA.  UNTF.RMASCHW1TZ.  UNTERPEIS8KN.  5QI 


herren  von  Schraplau  und  der  Oberlehnsherren  Fürften  von  Anhalt  an  das 
Klofter  zum  Neuen  Werke  bei  Halle  über.  Die  nachfolgenden  Inhaber 
liehe  bei  von  Dreyhaupt  II 921.  Das  Klofter  zum  Neuen  Werke  hatte  auch 
über  die  Kirche  S.  Nicolai  das  Patronatsrecht.  173t  hat  das  Gebäude  als 
baufällig  „gantz  repariret“  werden  müfTen.  Es  ift  übrigens  eine  romanifche 
Anlage  einfachfter  Art.  Thurm  und  Schiff  find  von  gleicher  Breite  und 
nur  durch  einen  Bogen  aus  neuerer  Zeit  im  Innern  gefchieden.  Oeftlich  ilt 
eine  halbrunde  Apfis.  Die  romanifchen  Fenfter  find  meiftentheils  vermauert. 
Das  Bruchfteingemäuer  aus  Porphyr  hat  Sandfteineckquadern.  Die  Glocke 
von  1,23“  Durchmefler  hat  diefe  gothilirende  Lapidarfchrift : 

MARIA  • • ANNO  M V XXXV  • V • D • M • I • E • 

Es  kommen  hier  alfo  1535  die  Anrufung  der  Madonna  — wenn  MARIA 
nicht  der  Name  der  Glocke  ift  — und  der  durch  die  Reformation  gängig 
gewordene  Spruch:  verbum  domini  manet  in  aeternum  zufammen  vor. 
Die  Glocke  von  0,8z"  DurchmelTer  ift  1801  von  G.  Becker  in  Halle 
gegoflen. 


Unterpeissen. 

Pfarrkirchdorf,  3t  km  nordweftlich  von  Halle  gelegen,  zu  ihm  gehört 
das  Anhaltinifche  Oberpeifsen.  Der  Name  wird  mit  den  celtifchen  vus  = 
Sumpf  in  Verbindung  gebracht;  der  Ort  liegt  in  der  That  fumpfig.  1583 
wird  der  Name  Peufsen  gefchrieben.1  Die  Kirche  S.  Wenzeslai  ift  romanifch, 
aber  mehrfach  umgebaut,  1690  ift  der  Thurm  unten  mit  einem  elliptifchen 
Gewölbe  verfehen  und  hat  wahrfcheinlich  zugleich  die  kurzen  Strebepfeiler 
aufsen  bekommen.  1729  ift  die  Kirche  durchaus  reparirt,  jedoch  ihr  drei- 
feitiger  Chor  mufs  fchon  früher  angebaut  fein , weil  lieh  in  ihm  nördlich 
eine  Sacramentsnifche  findet.  An  der  Nordfeite  liegt  vor  dem  Eingänge 
ein  fogenanntes  Paradies.  Ob  dalTelbe  aus  romanifcher  Zeit  ftammt  ift 
zweifelhaft,  aber  da  fich  in  ihm  links  neben  der  Thür  ein  Weihwafterbe- 
hältnifs  (jetzt  Armenbüchfe)  rohefter  Form  eingemauert  findet,  fo  geht  die 
Entftehung  diefes  Vorraumes  jedenfalls  vor  die  Reformation  zurück;  über- 
dies fehen  wir  den  Thürflügel  mit  fpätgothilchen  (?)  Befchlägen  verfehen 
und  auf  dem  Giebel  des  Vorbaues  ein  gothifches  Steinkreuz  Fig,  359.  In 
dem  Paradiefe  liegt  auch  der  in  Fig.  360  dargeftellte  Grabftein,  welcher 
durch  Einritzen  und  fchwache  Aushöhlung,  die  dann  mit  Gyps  (?)  ausge- 
gofTen  wurde,  verziert  ift.  Er  gehört  wohl  dem  13.  Jahrhundert  an.  Es  ift 
hier  Brauch  gewefen  auf  ihn  die  Bahre  mit  der  Leiche  zu  Hellen.  Der 
jpätgothifche,  kelchartige  und  achtfeitige  Taufftein  Fig.  361  mit  der  Jahres-, 


1 Es  ift  diefes  Dojf  jenes,  welches  bei  von  Drcyhaupl  II,  786  als  einer  der  Orte  genannt 
wird,  aus  denen  das  Gefchlceht  derer  von  Budsccz  (Witltkind  und  die  Grafen  von  Wettin) 
möglicherweife  ftammt. 


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zahl  1518  ifl  durch  den  Gciftlirhcn  vor  der  Zcrftörunir  bewahrt  peblielien 
und  ftcht  jetzt  in  der  Vorhalle.  I>ie  Glocken  von  1,13“.  o,88m.  0.7s“  und, 
0.35"  DurchmelTcr  find  1877  von  G.  F.  Ulrich  in  Apolda  pegroOen. 


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UNTERPEISSKN.  WALLWITZ.  WETTIN. 


593 


Wallwitz. 

Kirchdorf,  Filial  von  Petersberg,  Station  der  Halle- Afchersleber  Eifen- 
bahn,  q km  nördlich  von  Halle  gelegen.  Der  Ort  war  ehemals  ein  zum 
Decanat  des  Magdeburger  Domcapitels  gehöriges  Obe- 
dienzdorf.  Die  Kirche  ifl  im  18.  Jahrhundert  und  vor 
wenigen  Jahren  wiederum  ganz  neu  romanifirend  ge- 
baut. Sie  befitzt  ein  meffingenes  Taufbecken,  welches 
mit  fpätgothifchen  Ornamenten  und  mit  unleferlichen 
Minuskeln  geziert  ift.  Die  Glocke  von  0.74“  Durch- 
mefTer,  Fig.  362  hat  eine  längliche  Form,  die  fich 
unten  Hark  verbreitert  und  ift  ohne  Infchrift;  fie  wird 
in  das  15.  Jahrhundert  gehören.  Die  Glocke  von 
0,84“  DurchmefTer  hat  1678  M.  Jacob  Hoffmann  in 

Halle  gegoften.  . 

6 6 Glocke. 


Wettin. 

Stadt  von  3230  Einwohnern  mit  (ehemaliger)  Rurg  15  km  nordwefllich 
von  Halle  köchft  malerifch  am  rechten  Saalufer  gelegen.  Der  Name  fcheint 
wendifchen  Urfprungs  zu  fein.  Der  Ort  hiefs  urfprünglich  Vidin  und  fcheint 
mit  dem  der  Stadt  Vidin  in  Bulgarien  gleichbedeutend  zu  fein.  Zuerft  findet 
fich,  dafs  785  zu  Wittin  ein  castrum  erbaut  ift,  dann  wird  der  Ort  961  er- 
wähnt, als  Kaifer  Otto  I.  den  Zehnten  des  flaues  Neletici  der  Ulrichskirche 
zu  Magdeburg  fchenkte.1  Wettin  wird  als  civitas  diefes  Gaues  bezeichnet 
und  war  der  Hauptort  der  Graffchaft  Wettin,  welche  den  gröfsern  Theil 
des  Pagus  Nudzici  und  Neletici  (Saalkreis)  umfafste.  Die  Grafen  von  Wettin, 
die  angeblich  von  Wittekind  abftammen  und  aus  deren  Gefchlecht  das  heutige 
(achfifche  Herrfcherliaus  hervorgegangen  ift,  ftarben  1290  mit  Otto  dem  Grafen 
zu  ßrehna  und  Wettin  aus;  diefer  hatte  bereits  1288  die  Graffchaft  Wettin 
dem  Erzftifte  Magdeburg  gefchenkt.  An  Stelle  der  Grafen  von  Wettin 
fafsen  auf  der  Burg  befondere  Burggrafen,  deren  Namen  feit  dem  12.  Jahr- 
hundert bekannt  find  (f.  von  Dreyhaupt  II.  790  u.  f.  w.),  aber,  da  fie  fich  ftets 
nur  als  die  Burggrafen  von  Wettin  bezeichnet  haben,  ift  es  unbekannt,  aus 
welchem  Gefrhlechte  fie  flammen;  dem  Sachsen fpiegel  zufolge  füllen  fie 
Franken  gewefen  fein.  Als  Wettin  an  das  Erzftift  gekommen  war,  fafs  auf 
der  Burg  ftatt  des  Burggrafen  nur  ein  Burghauptmann.  Unter  den  Burg- 
grafen oder  Hauptleuten  ftanden  wiederum  adlige  Burgmänner,  deren  Ge- 
fchlechtsnamen  und  Lehnsgüter  von  Dreyhaupt  II.  762  angeführt  find.  1441 
verpfändete  der  Erzbifchof  Günther  das  Schloss  Wettin  und  Krosigk  an  die 
von  Ammendorf  und  von  Trotha;  144b  aber  löfte  der  Erzbifchof  Friedrich 
beide  wieder  ein  und  gab  das  Schlofs  Wettin  als  Lehn  halb  an  Coppe  von 
1 Ammendorf,  halb  an  Caspar  aus  dem  Winkel.  Die  von  Ammendorf  nun, 
i die  auf  dem  Rothenburger  Schlöffe,  welches  fie  fich  erbaut  hatten,  wohnten, 


1)  Anm. : f.  auch  Osterley;  Wettin. 

B.  D.  d.  Bau*  u.  Kunütd.  N.  F.  I.  38 


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594 


IMF.  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


ftarben  1550  aus  und  ihr  Befitzthum  ging*  an  die  Grafen  von  Mansfeld  über 
von  denen  es  1584  an  den  Herrn  von  Schönburg  kam.  Seit  1592  jedoch 
gingen  diefe  Güter  an  die  Kammer  des  Erzftiftes  zurück.  Das  Gefchlechi 
derer  aus  dem  Winkel,  eine  Nebenlinie  delTen  von  Krofigk,  erkaufte  von  dem 
Grafen  Hans  von  Mansfeld  auch  noch  die  andere  Hälfte  des  Wettiner 
SchlotTes  und  wohnte  in  den  Gebäuden  auf  der  Südfpitze  des  Berges.  Dielen 
Gebäuden  fovvohl  wie  von  der  der  alten  Burg,  die  auf  dem  höchften  Punkte  des- 
Felfens,  alfo  mehr  nördlich  lag  und  ehemals  einen  runden  „ftumpfen“  Thurm 
— im  18.  Jahrhundert  abgetragen  — als  Burgfried  hatte,  ift  baulich  Be- 
merkenswerthes  nur  wenig  übrig  geblieben.  Das  aus  dem  Winkel'fche 
Schlols  iß  durchaus  zu  land-wirthfchaftlichen  Zwecken  eingerichtet;  es  fallen 
unbedeutende  Baureife  des  16.  Jahrhunderts  auf  z.  B.  ein  Thurm  mit  Wendel- 
treppe, Fenftergewände,  Schiefsfcharten  Fig.  363  und  dergl.  In  feinem  Be- 
zirke lag  die  alte  Burgkapelle  S.  Petri,  welche  feit  1185  erwähnt  wird- 


h'ig.  363. 


Die  Burg  zeigt  äufserlich  gegen  Orten  einen  Erkner  des  17.  Jahrhunderts 
als  das  bedeutendfte  Stück  anderer  Details  diefer  Zeit.  Im  Innern  irt  fie 
modernen  Bedürfnifsen  entfprechend  umgeändert. 

Die  Häufer  der  Stadt  Wettin  gruppiren  fich  zum  gröfsern  Theile 
örtlich  um  die  Burg,  jedoch  liegt  auch  eine  Anzahl  kleiner  und  nicht 
alter  an  der  Saale  entlang  alfo  weltlich  von  der  Burg.  Das  Weichbild  der 
Stadt  von  Süden  gefehen  giebt  wohl  den  fchönften  landfchaftlichen  Profpect 
im  ganzen  Saalkreife. 

Die  Pfarrkirche  S.  Nicolai,  die  inmitten  der  Stadt  liegt,  ift  im  Schiff 
ein  mit  Strebepfeilern  verfehener  fpätgothifcher  Bau,  an  welchem  nördliche 
Anbauten  liegen.  Dafs  die  Kirche  an  der  Stelle  einer  romanifchen  lieht, 
geht  daraus  hervor,  dafs  die  untere  Partie  des  Thurmes  diefer  Zeit  angehört. 
Der  romanifche  Thurm  hat  in  fpätgothifcher  Zeit  einen  Aulbau  erhalten 


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WETTIN. 


595 


und  ift  dann  in  der  RenaifTancezeit  mit  Backfteingiebeln  und  mit  einem 
Dachreiter  verfehen.  Von  den  nördlichen  Ausbauten  des  Schiffes  ift  die  mit 
einem  fpitzbogigen  Tannengewölbe  überdeckte  Sacriftei  allein  bemerkenswert!). 

An  einem  der  tödlichen  Strebepfeiler  hat  die  jetzt  in  der  Sacriftei  befindliche 
Figur  des  Titelheiligen  Nicolaus  auf  einer  Confole  geftanden.  Der  Heilige 
ift  als  Bifchof  dargeftellt,  welcher  in  der  Linken  ein  Buch,  in  der  Rechten 
einen  jetzt  nicht  mehr  vorhandenen  Gegenftand , ein  Kirchenmodell  oder 
wie  von  Dreyhaupt  fchreibt  „auf  einem  Teller  5 Brodte“  hält.  Die  Haltung 
und  der  Faltenwurf  ift  ruhig  und  edel,  die  Arbeit  vorzüglich,  man  fpürt 
fchon  die  Renaiftance.  Im  Kircheninnem,  welches  bauliches  InterefTe  nicht 
hat,  ift  zuerft  der  Altar  zu  befprechen.  Er  hat  eine  aus  mehreren  Stein- 
platten beftehende  menfa  mit  Weihkreuzen.  Es  fand  fich  in  der  mittleren  ein 
uneröffnetes  Sepulchrum,  defTen  Sigillum  aus  einer  bunten  Marmorplatte  be- 
ftand.  Nach  der  Eröffnung  fah  man,  in  fall  vergangenes  Moos  gebettet, 
ein  fpätmittelalterliches  Thongefäfs  von  hellgrüner  Glafur  und  einer  oben 
und  unten  fich  verengenden,  zweihenkeligen  Form.  Ein  gold-  und  perlen- 
verzierter, lofer  Stöpfel  fchlofs  den  Hals  des  Krügelchens,  deften  Inhalt 
Reliquienpartikel  waren  in  feidene  Zeugftückchen  gehüllt  und  mit  Perga- 
mentftreifen  verfehen.  Die  auf  den  Pergamenten  flehenden  Namen  der 
Heiligen,  von  denen  die  Reliquien  (lammen,  waren  theilweife  fchon  in 
frühen  Jahrhunderten  des  Mittelalters  gefchrieben.  Ausser  dem  Siegel  des 
Erzbischofs  Erich  von  Magdeburg  lag  auch  ein  gröfserer  Pergamentftreifen, 
die  Widmung  enthaltend,  bei  dem  Behältnifs.  Die  Schrift  lautete: 

Anno  domini  M ‘ CCc  LXXXX  Nonas  Novembris  consecratum  est 
hoc  altare  per  venerabilem  dominum  Ericum  sancte  Magdeburgensis  1 

ecclesie  archiepiscopum  in  honore  sancte  crucis,  sancte  Marie  vir- 
ginis  gloriose,  sancti  Nicolai  confessoria  et  aliorum  sanctorum. 

Datum  et  actum  anno  et  die  predictis  pontificatus  nostri  anno  octavo. 

Die  Namen  der  Heiligen,  deren  Partikel  das  Sepulcrum  enthielt,  sind: 

Sancti  Bartolomei  apostoli,  Clenmentis,  (de  capi)  te  sancti  Mauritii, 

Blasii  episcopi,  Laurentii  martiris,  Pancratii  martiris,  Nicolai  con- 
fessoris,  Leonardi,  sancte  Marie  Magdalene,  undecim  milium  vir- 
ginum  et  aliorum  Sanctorum.*) 

Der  Altaraufbau  ift  eine  abfchreckende  Arbeit  der  Barockzeit.  Südlich 
im  Chor  befindet  fich  eine  F'igur  der  Maria  mit  dem  Kinde  in  Holz  gefchnitzt 
Die  Haltung  ift  die  der  Slinie,  die  Gewandfalten  find  flüffig,  die  Arbeit  ift  erft 
im  16.  Jahrhundert  gemacht  und  jetzt  übermalt.  Ebenfo  ift  der  hölzerne,  lebens- 
grofse  Crucifixus,  welcher  fich  nördlich  im  Schiff  befindet  und  eine  gut  propor- 
tionirte  Holzarbeit  der  RenailTance  ift,  überweifst.  Die  Kanzel  ift  1611  ge- 
macht; fie  wird  von  der  fteinernen  Figur  des  Mofes,  welcher  die  Gefetzes- 


*)  Anm. : Das  Behältnifs  mit  feinem  fnhalte  fowie  diefe  Legende  nebft  Siegel  befinden 
fich  jetzt  im  Provinzialmuseum  zu  Halle  a.  S. 


38* 


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596 


DIE  STADT  HALLE:  11.  d.  SAALKREIS. 


tafeln  hält,  getragen  und  hat  eine  fteinerne  Fufsbodenplatte  mit  Confolen, 
auch  die  Treppenwange  ilt  von  Stein ; dagegen  ift  die  Kanzelbrüftung  von 


Fic-  jM- 


*fi.  y Y T Y T f 


Wandvertäfclunc  an  der  Südreite  des  Chores. 

Holz  und  jetzt  mit  widrig  grellen  Oelfarben  angellrichen.  Ein  nicht  un- 
fchönes  Schmiedeeifengelünder  verziert  den  Eingang,  welcher  von  zwei 


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WETTIN. 


597 


Säulen  mit  Confolen,  Gebälk  und  Attika  reich  ausgebildet  ift.  Im  triefe 
lieht:  MDCXI,  darunter  auf  der  Platte: 

GOTT  UND  SEINEM  H : WORT  ZV  EHREN  HAT  DER  EHRENVHESTE  • 
VND  • WOLWEISE  HERR  LIBORIVS  SCHMIDT.  BVRGERMEISTER 
ALHIER  NEBEN  DER  THVGENTSAMEN  SEINER  EHELIGEN  LIEBEN 
FRAWEN  CHRISTINA  DIESEN  PREDIGERSTVEL  VORFERTIGEN  VND 
SETZEN  LASSEN. 

Als  Bekrönung  der  Attika  ift  inmitten  ein  Wappen  (Schimmel  auf 
rothem  Grunde)  zu  fehen,  während  rechts  und  links  die  Figuren  Luthers 
und  Melanchthons  liehen.  An  der  Treppenbrüllung  lind  von  den  Evange- 
liflen  S.  Matthaeus  mit  dem  Engel  nur  S.  Marcus  mit  dem  Löwen  darge- 
ftellt,  an  der  Kanzel  S.  Lucas  mit  dem  Opferltiere,  ferner  lieht  man  die  Auf- 
erftehung,  die  Kreuzigung  mit  Maria  und  Johannes,  die  Geburt  — diefe  ifl.  be- 
fonders  gut  fculptirt  — und  den  letzten  Evangelilten  Johannes  mit  dem  Adler. 
Die  kräftigen  aber  noch  nicht  hohen  Reliefs  befinden  fich  in  Feldern,  zwifchen 
denen  Säulchen  liehen : fie  zeigen  gute,  richtige  Verhältnifse  und  find 
realillifch  aufgefafst,  doch  fehlt  ihnen  dabei  keineswegs  eine  gewifse  Innig- 
keit des  Gedankens.  Auf  dem  Schalldeckel  lieht  Chrillus.  Erwähnens- 
werth  ill  die  Holzvertäfelung  der  Wand  füdlich  im  Chor  Fig.  364.  Leider 
ill  fie  ge  weifst;  man  kann  aber  doch  erkennen,  dafs  fie  aus  verfchieden- 
artigen  Hölzern  belleht  und  fogar  Intarfien  hat.  Sie  bildet  die  Rückfeite 
eines  Renaiffancegeftühles,  welches  übrigens  nicht  mehr  vorhanden  ill.  Die 
Fläche  wird  durch  hermenartige  ionifche  Pilaller,  die  in  nifchenförmiger 
Vertiefung  Laub-  und  Fruchtwerk  haben,  in  Felder  getheilt  und  folche 
werden  jedes  von  einem  Bogen  noch  einmal  umrahmt.  Ein  volllländiges 
Gebälk  von  Confolen  getheilt  und  mit  aufgelegter,  höchll  zarter  Laublage- 
arbeit  im  1'riefe  verziert,  bildet  den  oberen  Abfchlufs.  Man  erkennt  hier 
fogleich  die  Weife  des  genialen  Künlllers,  der  auch  in  Halle  die  bellen 
Holzarbeiten  der  RenailTance  ausgeführt  hat. 1 Eben  diefer  Meilter  hat 
auch  angefangen,  die  Brüllung  der  infchriftlich  1614  eingebauten  Holz- 
emporen auszufchmücken.  Man  hat  das  herrliche  Stück,  welches  er  an  der 
Südfeite  fertig  gelleilt  und  mit  der  üppigllen  Bemalung  ausgellattet  hat, 
mit  einem  Brettcrverfchlage  verdeckt,  dadurch  ill  es  dem  Auge  zwar  ent- 
zogen aber  gewifs  trefflich  erhalten.  So  viel  fich  erkennen  läfst  ill  diefe 
Kleinarchitektur  wiederum  in  der  bekannten  Weife  des  Meillers  disponirt. 
Durch  hermenartige  Pfeiler  mit  Gebälk  werden  Felder  gebildet,  die  noch 
einmal  von  Bögen  umrahmt  find.  Der  Meifler  aber  wiederholt  lieh  keines- 
wegs, denn  die  Art  der  Durchbildung  und  die  veränderten  Proportionen 
geben  wiederum  ein  eigenartig  neues  Werk.  Die  Glocke  von  o,6o”  Durch- 
meller  hat  eine  längliche  Form  und  trägt  eine  Umfchrift  in  Majuskeln,  die 
theilweife  verkehrt  flehen  (alfo  in  den  Mantel  richtig  llehend  eingeritzt  find) 
und  die  der  Unzugänglichkeit  wegen  nicht  zu  entziflern  find.  Die  Glocke 
wird  ungefähr  in  die  erden  Jahrzehnte  des  1 4.  Jahrhunderts  gehören.  Die 

1 Namentlich  die  Bräutigamsflühlc  der  Marktkirche  und  das  Thaihauszimmer  von  1594. 


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598 


DIE  STADT  HALLE  ll.  d.  SAALKREIS. 


Glocke  von  1,20“  Durchmefler  hat  folgende  durch  Einritzen  entftandene 
Majuskelfchrift : 

VÄS  D0VS  • M)0  • SIGIPÄ  • P0  eiiBS'  •)  SÄLVÄ  • SISÄ7RÄ 
• B0I?I(s’I?Ä  (Crucifixus  mit  Maria  und  Johannes?) 


Fig.  365- 


• ' Aeufscrcs  ücs  Rathhaufes. 


Die  Entliehungszeit  ift  die  i.  Hälfte  des  14.  Jahrhunderts.  Die  Glocke 
von  i,47n  Durchmeffer  ift  1840  von  Joh.  Heinrich  Ulrich  in  Laucha  gegolten. 


1 Offenbar  für  PLEBS,  welches  Wort  oft  unrichtig  geschrieben  worden  ist. 


WETTIN. 


599 


Aul  dem  Friedhöfe,  der  nördlich  von  der  Stadt  liegt,  find  einige 
Kenaiflancegrabfteine  beachtenswerth. 

Die  Pro  fanbaut  en  Wettin  haben  aufser  einigen  Hol/.gefimfen  des  16.  Jahr- 
hunderts keine  merkwürdigen  Kunstformen.  Beachtung  verdient  allein  das 

Fig.  3«6. 


t 


H — — 

< > 


f#* 


Kalhhaus:  Grundrifs  des  Erdgcfchofses  und  erftcn  Obergefchofses. 


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6oo 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


Rathhaus  Fijy.  365,  welches  zwar  in  neuefter  Zeit  um  ein  Gefchofs  erhöht 
ift,  auch  im  Innern  Veränderungen  erfahren  hat,  übrigens  jedoch  die  ur- 
fprüngliche  Anlage  noch  erkennen  läfst.  Das  Rathhaus  ift  erll  1660.  woK 
an  der  Stelle  eines  altern,  gebaut.  Seine  Beftimmung  verräth  fich  fogleich 
durch  einen  Harken  Thurm  vor  feiner  Front;  derfelbe  ift  unten  vierfeihg 
und  wird  oben  achtfeitig.  Ein  Haubendach  mit  vier  Erknern  an  der  Sohle 
und  einer  zwiebelfpitzigen  Laterne  auf  der  Mitte  bedeckt  ihn.  Die  Aus- 
führung ift  in  Porphyrbruchfteinen  mit  Sandfteinfimfen  — jetzt  lehr  zerftört  — 
gefchehen.  Die  Detailtormen  find  ganz  unbedeutend.  Der  Grundri/s.  ein 
längliches  Viereck  hinter  dem  Thurme,  wird  auch  die  aus  Fig.  366  erficht  liehe 
Scheidung  in  zwei  Haupttheile  fchon  urfprünglich  gehabt  haben.  Der  gröfsere 
Raum  war  für  die  Sitzungen,  der  andere  für  Verwaltungszwecke  (Bureaux) 
beftimmt.  Das  mit  einem  zierlichen  Netzgewölbe  überfpannte  Obergefchofs 
des  Thurmes  wird  das  Syndicatsftübchen  gewefen  fein.  Erwähnt  mag  auch 
ein  Tifch  im  Rathhaufe  werden,  der  eine  fteineme,  von  eingelegter  Holz- 
arbeit eingerahmte  Platte  hat  und  dem  Jahre  1644  angehört.  Ein  gemalter 
Glaspokal  des  Rathes  ift  1663  gemacht. 


Wieskau. 

Kirchdorf,  Filial  von  Krofigk  und  Rittergut,  17  km  nördlich  von  Halle 
an  der  Fuhne  gelegen.  1194  wird  die  Waftermühle  als  dem  Klofter  zum 
Neuen  Werk  bei  Halle  gehörig  von  dem  Papfte  Coeleftin  III.  beftätigt.  Im 
15.  Jahrhundert  find  dort  zwei  Rittergüter  gewefen  im  Befitze  derer  von 
Krofigk  und  von  Trotha;  der  Befitzwechfel  ift  bei  vo^  Dreihaupt  II  960  zu 
erfehen.  Die  Kirche,  im  Often  des  Dorfes  gelegen,  ift  1756 — 57  gebaut  an 
Stelle  einer  ältern,  von  welcher  die  untere  Thurmpartie  fich  erhalten  haben 
wird.  Der  Grundrifs  ift  oblong  und  die  Bauformen  find  unbedeutend.  Nennen 
wollen  wir  nur  zwei  Leuchter  von  1660.  Auf  dem  Boden  der  Schule  liegen 
drei  farbige  Holzfiguren,  Heilige  des  ehemaligen  Altarfchreines,  nämlich  die 
mit  dem  Kelche  wird  der  h.  Norbert  fein,  die  mit  dem  Rade  Katharina 
und  die  mit  dem  Korbe  Dorothea.  F'erner  befindet  fich  dort  eine  gröfsere 
F'igur,  die  einen  Drachen  in  der  Linken  hält  und  daher  als  die  heil.  Mar- 
garethe anzufehen  ift. 

Die  Glocke  von  0,60"  DurchmefTer  hat  Joh.  Jacob  Hoffmann  1684 
gegofsen,  die  von  0,96“  Durchmesser  F'riedrich  Auguft  Becker  in  Halle  im 
Jahre  1759. 


Wörmlitz. 

Pfarrkirchdorf  und  Rittergut  3 km  füdweftlich  von  Halle  am  rechten 
Saalufer  gelegen.  Die  ältere  Namensform  ift  Wormenitz  oder  Wörmenitz. 
1438  erhält  die  Gemeinde  von  dem  Erzbischöfe  Günther  Land  gefchenkt. 
Von  dem  Dorfe,  welches  ehemals  aus  Grfcfs - und  Kleinwormlitz  be- 
ftand,  ging  das  letztere  ein,  als  1636  ein  Regiment  kaiferlicher  Reiter 
von  1000  Pferden  drei  Wochen  lang  hier  Quartier  hatte  und  das  Dorf 


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WETTIN.  WIKSKAU.  WOEKMI.IIZ.  /SCHERBEN. 


601 


Dg.  iK 
. i,). 


gründlich  ruinirte.  Weihnachten  1718  find  18  Höfe  abgebrannt 
S.  Petri,  im  Dorfe  gelegen,  ilt  Anfangs  ein  Filial 
der  Kirche  zu  Niemborg  gewefen,  mit  welcher  fie 
unter  dem  Erzbifchofe  Wichmann  nSj  dem 
Moritz. -Klolter  zu  Halle  gefchenkt  wurde.  Die 
Kirche  mufs  in  der  zweiten  Hälfte  des  18.  Jahr- 
hunderts gebaut  fein,  auf  dem  Thurmgiebel 
bemerkt  man  noch  einen  romanifchen  (?)  Knopf. 

Die  Glocke  von  0,91»  Durchmefier  hat  eine 
hübfehe,  fchlanke  Form  mit  folgender  durch  Kin- 
ritzen  in  den  Mantel  entffandenen  Majuskel fchrift 
zwifchen  4 Riemchen: 


Die  Kirche 


Zeichen  eines  hallefchcn 
Glockengiefsers. 


DV  TRÄDOR  ÄVDITS  VqöO  VOS  AD  SAKRA  V5I?ltS 

Sie  gehört  unzweifelhaft  noch  in  die  erfle  Hälfte  des  14.  Jahrhunderts. 
Die  Glocke  von  1,07"  Durchmefier  hat  diefe  Minuskelinfchrift : 


snno  . üui  ra  0 11 


und  als  /ierrathe  das  hallefche  Stadtwappen  Fig.  467  als  Meiller/.eichen 
des  Giefsers,  einen  Crucifixus  ohne  Kreuz  und  ein  Reliefmedaillon.  Die 
Glocke  von  0,711"  Durchmeffer  ift  ein  Gefchenk  des  auf  ihr  portraitirten 
Chriftoph  Christel  aus  Wörmlitz;  fie  ift  1879  von  den  (tebr.  Ulrich  in  Laucha 
gegoflen. 


Zscherben. 

Kirchdorf.  Filial  von  Kisdorf  im  Mansfelder  Senk  reife  und  Rittergut, 
fi  km  weltlich  von  Halle,  auf  der  linken  Seite  der  Saale  gelegen.  Die 
hauptfachlichlten  altern  Namensformen  find:  981  Cirmini  und  Crimini  fpäter 
Czerwine,  Zerbine,  Zerbin.  Zcherben,  Scherbin.  Scherben  (18.  Jahrhundert). 
Im  14.  Jahrhundert  ilt  der  Ort  im  Belitzo  derer  von  Northaufen  gewefen, 
1597  ift  Hans  und  Dietrich  von  Northaufen  durch  den  Erzbifchof  Albrecht 
mit  der  Gerichtsbarkeit  zu  Zerwin  beliehen  worden.  Weiteres  findet  man 
bei  von  Dreyhaupt  II  907  08.  1707  und  1750  ilt  das  Dorf  durch  Feuer 

fall  Ranz  zerliört.  Die  Kirche  und  ein  Klolterhof  hat  dem  Klolter  Mem- 
leben  gehört,  1250  ift  diefer  Hof  an  das  deutfehe  Ordenshaus  S.  Cunigund  zu 
Halle  gekommen,  und  12Ö2  ilt  die  Kirche  dem  Ordenshaufe  incorporirt. 
1511  mit  den  Gütern  des  Deutfchherrenklolters  an  das  Klolter  zum  Neuen 
Werke  bei  Halle  gelangt,  ging  nach  der  Aufhebung  des  letztem  das  Land 
154  5 in  Privatbefitz.  über.  Die  Kirche  S.  Cyriaci  liegt  im  Dorfe.  Ihr  Thurm 
ift  wohl  zu  Beginn  des  18.  Jahrhunderts  entflanden;  er  hat  eine  barocke 
Zwiebelfpitze  in  ziemlich  guten  Verhältniffen.  Das  Schiff,  welches  öltlich 
dreifeitig  Schliefst,  hat  grofse  Fenfter  mit  fpätgothifchcm  Maafswerk  und 
war  vielleicht  anfänglich  thurmlos.  An  feiner  l'üd weltlichen  Ecke  befindet 
lieh  das  in  Fig.  308  dargeltellte,  höchlt  roh  gemeifselte  Relief  eingemauert. 


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602 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


Man  Tagt,  diefes  Bild  Helle  einen  Krieger  dar,  welcher  im  dreifsigjährigen 
Kriege  mit  dem  Pferde  hätte  in  die  Kirche  reiten  wollen  und  (ich  dabei 
gleichfam  als  Strafe  den  Kopf  eingerannt  habe.  Die  Sculptur  hat  in  der 


Fig.  368. 


Relief  an  der  Südfeitc  der  Kirche. 


Behandlung  offenbar  grofse  Aehnlichkeit  mit  den  Reliefs  aus  Müllerdori 
die  man  mit  den  guten  und  böfen  Lubben  in  Verbindung  bringt.  Wir  ver- 
weifen  diesbezüglich  auf  die  Auffätze  über  diefe  Sculp- 
turen  in  den  Neuen  Mittheilungen  des  Thüringifch- 
Sächlifchen  Gefchichts-  und  Alteethumsvereins.  Aul 
der  menfa  des  Altares  bemerkt  man  noch  fünf  Weih- 
kreuze. Von  dem  ehemaligen  Flügelaltare  flammen 
die  beiden  Bilder  an  der  Nord-  und  Südwand,  aut 
denen  vier  Heilige  mit  Goldgrund  dargellellt  find. 
Eine  Oelfarbenübermalung  hat  fie  werthlos  gemacht. 
Die  beiden  fitzenden  Figuren  unten  am  Altäre, 
ebenfo  die  zugehörigen  Engelknaben,  welche  höher 
flehen,  fowie  endlich  Maria  mit  dem  Kinde  und  ein 
geharnifchter  Ritter  flammen  wohl  ebenfalls  alle 
von  dem  alten  Flügelaltare.  Ein  meffingenes  Taul- 
becken  mit  einer  Palmettenroiette  in  der  Mitte  und 


Fig.  369. 


Glocke. 


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ZSCHERBEN. 


603 


dem  um  diefe  laufenden  Stempel  EH  BART  GELVEK  AL  ZEIT  ifl  1690  ge- 
macht. Im  erften  Thurmobergefchofs  befindet  lieh  ein  hölzerner  Crucifixus, 
der  vielleicht  erd  in  der  Barockzeit  ent  Händen  aber  in  der  Behandlung 
nicht  unintereflant  ift.  Vom  Jahre.  1663  ift  ein  Kelch  mit  blattförmigem 
Fufse  und  einem  Harken  Nodus  vorhanden. 

Die  Glocke  ohne  Infchrift  hat  die  in  Fig.  369  dargeltellte  längliche, 
wenig  fchöne  Form  und  dabei  eine  Harke  Rippe;  vermuthlich  iH  fie  in  den 
Anfang  des  13.  Jahrhunderts  gehörig.1  Die  Glocke  von  i,om  DurchmelTer 
hat  eine  recht  ausdrucksvolle  F'orm,  unten  viele  Reifen  und  oben  Ornament 
der  RenailTance;  ihre  Infchrift  lautet:  Aus  dem  Feuer  bin  ich  entsprossen 
Eckhart  Kucher  hat  mich  in  Erfort  gegossen  MDLXXXX.  Am  Klöppel 
lieht:  PBCB  • 1703. 


1 Sie  wird  jetzt  uragegoffen. 


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Kunstgeschichtliche  Uebersicht  zum  Saalkreise. 


Da  es  nur  die  thatsächlich  noch  vorhandenen  und  aus  ihren  kunftformalen 
oder  technifchen  Eigenschaften  einer  beftimmten  Zeit  zuzufcltreibenden 
Gegenftände  find,  welche  wir  hier  aufzuführen  haben,  nicht  alfo  folche. 
von  denen  nur  die  Urkunden  melden,  fo  mülTen  wir  Tagen,  daß  von  den  Bau- 
werken unteres  Kreifes  keines  vor  das  1 1.  Jahrhundert  zurückgeht.  Sehr 
wahrfcheinlich  finden  lieh  befonders  in  den  ehemals  beteiligt  gewesenen 
Plätzen  ältere  Theile,  aber  diefelben  laßen  lieh  nich{  aus  ihren  Eigen  - 
fchaften  als  folche  erkennen. 

Aus  allerlei  Gründen  wird  das  Alter  der  Kirchen  meilt  überschätzt. 
Wir  halten  unter  den  romanifchen  Kirchen  diejenigen  für  die  äl  teilen, 
welche  das  roheile  Mauerwerk  haben,  denen  alfo  die  (unter  Teicha  be- 
fchriebene)  Fugenausbildung,  die  Eck-  und  Fensterquadrung , sowie  eine 
lagerhafte  Verbindung  der  ßruchilcine  fehlen.  Dahin  gehören  die  Kirchen 
zu  Eismannsdorf  und  Schwerz,  die  älteren  Mauerllücke  der  St.  Annenkapelle 
auf  dem  Petersberge  (i  i.  Jahrhundert)  und  die  untere  Thurmpartie  zu  Oppin. 
Eine  genaue  Zeitangabe  ill  nicht  möglich,  weil  diese  einfachen  Dorfkirchen 
nur  wenige  Kunftformen  haben,  nach  denen  man  ficher  urtheilen  kann;  ihr 
Grundriß  ill  bis  in  die  Mitte  des  13.  Jahrhunderts  der  nämliche  geblieben. 
In  die  Zeit  des  entwickelten  romanifchen  Stils  gehören  folgende 
Kirchen  ganz  oder  theilweise;  Beefenlaublingen;  Böllberg;  Braehlledt.  in 
der  Gothik  und  Barockzeit  umgebaut;  Büfchdorf,  in  gothifcher  Zeit  um- 
gebaut mit  dreifeitigem  Schlufs,  1741)  wiederum  verändert;  Gönnern  hat  nur 
noch  einen  romanischen  Thurm  mit  barockem  Helme  (1693?);  Dalena  ill  1876 
reparirt;  Dobis,  Chor  spätgothisch,  Döffel  fpäter  verändert ; ebenfo  Domnitz 
Giebichenllein  Dortkirche  nur  die  untere  Thurmpartie;  Hohenthurm;  Kalten- 
mark, Altarraum  16.  Jahrhundert;  Kroligk  Ruine  der  Dorlkirche;  Eettewitz. 
Thurm  (Schiff  fpätgolhifch?);  Lettin  örtlich  gothische  Verlängerung.  1714  Re- 
paratur; Löbnitz  a.  d.  Linde  Schiff  romanisch  (?)  mit  gothifcher  Verlängerung 
gegen  Offen;  Mötzlich,  1712  Hark  erneuert,  Morl  1692  reparirt;  Nauendorf 
am  Petersberge,  örtlich  spätgothische  Verlängerung;  Neutz,  mit  überwölbtem 
Sanctuarium  (1305?)  1696  rellaurirt;  Oppin  vielfach  reftaurirt;  OsmündeThurm 
oben  gothisch  mit  Giebeln  des  17.  Jahrhunderts,  Sanctuarium  15.  Jahrhundert; 
Peifsen  1852  gegen  Osten  verlängert  und  das  Schiff  erhöht,  einziges  Beifpiel 
eines  runden  Kirchthurmes  aus  rumänischer  Zeit ; Petersberg  begonnen  unter 
Propst  Luderus  1128  — 37,  reftaurirt  1853-57;  Radewell  in  der  Barockzeit 
umgebaut;  ebenfo  Reideburg;  Schlettau;  Soeben  hat  fpätgothische  Zufatze: 
Sylbitz,  mit  örtlich  (leitendem  Thurme ; Teicha  mit  fpäteren  Zufätzen;  Unter- 
maschwitz; Unterpeißen  umgebaut  tügo  und  1729.  Schon  der  Uebergangs- 


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KUNSTGESCHICHTL1CHK  UF.HKRSICHT  ZUM  SAALKREISE. 


605 


zeit  find  ficher  zuzufchreiben : Dachritz  (in  Fig.  370  fei  noch  die  zu  Seite  473 
gehörige  Darlfellung  der  Schalllochausbildung,  sowie  in  Fig.  37 1 die  Zeich- 
nung einer  Säule  nachgefügt) : Döblitz  mit  fpäterem  Thurm  und  Anbau ; 
Dölau:  Mitteledlau;  Priester  Thurm,  das  Schiff  ift  1861  erneuert.  Rein  früh- 
gothische  F'ormen  finden  fich  zu  Görbitz;  Gutenberg;  Mücheln  Tempelherrn- 
kirche. fehr  ausgezeichnete  Architektur:  Spikendorl  1 262.  Die  Hochgothik 
hat  kein  ficher  ihr  zuzuzfehreibendes  Bauwerk  aufzuweisen:  in  der  Spätzeit 
des  Mittelalters  find  entstanden:  Brafchwitz;  Cönnern  Schiff  1498,  Anbau  1510; 


f ig.  370. 


I.öbejün,  Stadtkirche  1485,  Chor  wahrfcheinlich  schon  1454,  Hospitalkirchp 
,460  — 64;  Wettin  mit  romanifchem  Thurme.  Die  seit  dem  15.  Jahrhundert 
entftandenen  Kirchen  find  feiten  neue  Gründungen,  fondern  nur  Neubauten 
auf  der  Stelle  älterer  Gotteshäufer:  Ammendorf,  Anfang  des  16.  Jahrhunderts; 
Bebitz  1693,  Thurm  1719—1744;  Beefedau  1726;  Beefen  1744  (1791);  Brafch- 
witz auf  romanifcher  Grundlage  nach  1642;  Canena  (1793?);  Dammendorf 
1680,  aber  wahrfcheinlich  fpätgothifchen  Urfprunges,  Thurm  1743:  Deutleben 
19.  Jahrhundert:  Diemitz  1643,  jedoch  das  Gemäuer  meift  älter;  Dieskau  1728, 
ebenfalls  älteres  Mauerwerk;  Döllnitz  barock;  Dornitz  1714;  Garsena  nach 


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KUNSTGESCHICHTLICHE  ÜEDERSICHT  ZUM  SAALKREISE.  607 


181 1 mit  Fachwerksthurm;  Giebichenftein , Mitte  des  18.  Jahrhunderts; 
Gimritz  1847;  Grofskugel  18.  Jahrhundert,  Thurm  1856;  Hohenedlau  1750,  der 
Thurm  fleht  im  Orten;  Kirchedlau  1714;  Krofigk  Schlofskapelle  1703;  Leben- 
dorf 1881;  Lieskau  1714  erhöht  und  erweitert,  Thurm  1697;  Lochau  1752; 
Löbejün  Stadtkirchenthurm  1588;  Löbnitz  a.  d.  Linde,  Thurm  1529;  Merbitz 
in  der  Barockzeit  umgebaute  (romanifche?)  Anlage;  Mücheln  Dortkirche  1780; 
Niemberg  19.  Jahrhundert;  Nietleben  1654  und  1724  reparirte  ältere  Anlage, 
Altar  im  Westen;  Plössnitz  1505;  Rothenburg  1840;  Schiepzig  1828  unter 
Benutzung  der  romanifchen  oder  frühgothifchen  Anlage;  Sennewitz  vielleicht 
romanifch,  doch  modernifirt;  Sieglitz  zweite  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts; 
Trebitz  im  Bau  begriffen;  Trebnitz  1693  auf  romanifchen  Subftructionen, 
ebenfo  Trotha  1730,  Thurm  noch  romanifch,  der  Altar  fteht  im  Werten; 
Wallwitz  19.  Jahrhundert;  Wieskau  1756—57;  Wörmlitz  zweite  Hälfte  des 
18.  Jahrhunderts;  Zfcherben,  Renaissancebau  mit  Thurm  des  18.  Jahr- 
hunderts. 

Von  Altären  hat  fich  folgendes Bemerkenswerthe  erhalten:1  Böllberg 
Mensa  mit  leerem  Sepulcrum,  Brachwitz  Mensa  mit  5 Weihkreuzen,  ob  der 
Kellerraum  unter  dem  Altäre  eine  Krypta  vorftellt,  ift  ungewifs;  Döblitz, 
Mensa  mit  leerem  Sepulcrum ; Lieskau,  Mensa  mit  leerem  Sepulcrum,  Löbnitz 
a.  d.  Linde,  leeres  Sepulcrum  und  Weihkreuze;  Morl  ebenfo;  Wettin  ebenfo, 
nachdem  bei  der  Unterfuchung  das  noch  unberührte  Sepulcrum  geleert  und 
fein  Inhalt  in  das  Provinzialmufeum  überführt  worden  ift;  Zfcherben  5 
Weihkreuze. 

Die  Altarfch reine  find  oftmals  nicht  mehr  als  die  Aufbauten  auf 
der  Rückfeite  des  Stipes  vorhanden,  häufig  auch  nur  noch  IJückweife,  doch 
find  die  Theile  als  folche  eines  nicht  profanen  Schreins  immer  kenntlich. 
Beefen  hat  in  einem  Aufbau  von  1729  die  Figuren  des  Schreins  von  1519, 
die  von  guter  Arbeit  find,  gefchickt  verwendet,  Brachwitz  Schrein  jetzt  im 
Provinzialmufeum , 15.  Jahrhundert;  Büfchdorf  im  Thurme,  Ende  des  15.  Jahr- 
hunderts, Cönnern  Triptychon  mit  werthvollen  F'iguren  und  Malereien,  Ende 
15.  Jahrhundert;  Dammendorf  Aufbau  1680;  Döblitz,  der  fpätgothifche Schrein 
dient  jetzt  als  Brüftung;  Dölau  fpätgothifch ; Döllnitz  barocker  Aufbau; 
Dornitz,  fehr  fchöne  Arbeit  des  auf  der  Empore  befindlichen  Schreins; 
Gimritz,  fchöne  Arbeit  (1483?)  an  der  Südwand;  Hohenthurm  Rede  eines 
Autbaus  aus  dem  Beginn  des  17.  Jahrhunderts  auf  dem  Kirchenboden,  ein 
Triptychon  des  15.  Jahrhunders  im  Befitze  der  Freifrau  von  Wuthenau  auf 
Hohenthurm;  Kirchedlau  Triptychon  aus  dem  Anfang  des  16.  Jahrhunderts; 
Lebendorf,  die  Figuren  eines  fpätgothifchen  Schreines  auf  dem  Schulboden ; 
Lettin  Triptychon  15.  Jahrhundert;  Löbejün,  einige  Triptycha  und  einzelne 
Figuren  an  den  Wänden  der  Kirche,  jetziger  Aufbau  1604;  Löbnitz  a d.  Linde 
Triptychon  des  15.  Jahrhunderts,  rohe  Arbeit;  Mitteledlau,  Schrein  und 
einzelne  Figuren  jetzt  im  Provinzialmufeum ; Neutz  einzelne  Figuren  auf  dem 
Pfarrboden,  15.  Jahrhundert;  Niemberg  Schrein  im  Thurme,  fehr  bedeutend, 

1 Nicht  alle  Menten  konnten  untciTucht  werden,  weil  viele  — befondcrs  diejenigen,  welche 
einen  nachreformatorischen  Aufbau  erhalten  haben  — durch  eine  nicht  abnehmbare  Holzver- 
kleidung überdeckt  find. 


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6o8 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKREIS. 


Antang  des  16.  Jahrhunderts;  Plössnitz  SchreifT  des  15.  Jahrhunderts;  Reide- 
burg Schrein  des  15.  Jahrhunderts;  Rothenburg  Marienfigur  lehr  befchädigt. 
15.  Jahrhundert;  Schlettau  Renaissanceaulbau;  Schwerz  Altar  nebft  Kanzel 
und  Tautbeckenunterfatz,  gute  barocke  Arbeit;  Seeben  Schrein  des  16.  Jahr- 
hunderts. roh;  Spickendorf  Altar  und  Kanzel  1728,  Rede  eines  RenaifTance- 
aufbaues  auf  der  Empore:  Teicha  Schrein  des  15.  Jahrhunderts  werthvoll. 
Trebitz  bei  Cönnern  Triptychon  des  15.  Jahrhunderts,  gut;  Wieskau  einige 
Schreinfiguren,  15.  Jahrhundert,  jetzt  im  Provinzialmufeum ; Zfcherben.  die 
Bilder  des  ehemaligen  Schreines  übermalt,  einige  Figuren  am  Altäre  erhalten. 

Romanifche  Tauffte  ine  lind  noch  erhalten  in  Beefenlaublingen ; Böll- 
berg, Dornitz,  auf  dem  Friedhofe  liegend;  Giebichenftein  abfcharrirt;  Krofigk 
in  der  Dorfkirchenruine;  Lebendorf  auf  dem  Pfarrhot  (unter  Fig.  37 2 fügen 
wir  die  zu  Seite  511  gehörige  Zeichnung  bei,  zu  welcher  eine  Befchreibung 
nicht  erforderlich  sein  dürfte);  Peifsen  kübelförmig;  Radewell;  Sennewitz 
(romanifch?);  Sylbitz;  trühgothifch  lind  die  zu  Mitteledlau  und  Spickendorf; 


Fig-  372- 


Taufftein. 


fpätgothifch  .die  zu  Büfchdorf  1520;  Dammendorf  jetzt  verkehrt  Behend: 
Garsena  (fpätgothifch?);  Morl  1528  zeigt,  wie  aus  unferer  zu  Seite  530  ge- 
hörigen Fig.  373  hervorgeht,  bereits  Hark  fich  der  RenailTance  zuneigende 
Formen ; Schlettau;  Trebnitz;  Unterpeifsen  1318.  Auch  der  broncene  TautkelTel 
zu  Cönnern  gehört  diefer  Epoche  an.  Die  Taufen  der  Renaiffance  zu  Dachritz. 
Löbejün  1589,  Osmünde  1686  find  noch  eigentliche  Tauffteine,  während  die 
zu  Beelen  1729,  Brafchwitz,  Dieskau,  Döllnitz.  Domnitz  und  Plöfsnitz  nur 
die  mehr  oder  minder  gut  geftalteten  Unterlatz.e  tür  Taufbecken  find. 

Von  folchen  Taufbecken,  meifl  in  Meffing,  hat  fich  im  Saalkreife  eine  auf- 
fällig' grofse  Anzahl  erhalten;  wir  nennen  Beebitz:  Beefen,  Beefenlaublingen: 
Brachftedt  1573;  Brachwitz  1649;  Brafchwitz.  von  Kupfer;  Canena;  Dölau  160b; 
Domntiz;  Eismannsdorf;  Giebichenftein;  Lieskau;  Mötzlich;  Oppin  1657: 
Osmünde  1700;  Reideburg;  Schiepzig;  Schlettau;  Sieglitz  1653;  Wallwitz; 
Zfcherben  1690. 


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KVNSTGKSCHICHTI.lt HE  UEBERSICHT  ZVM  SAALKREISE.  6og 

Von  fehr  verfchledenwerthig’er  Ausbildung  find  die  Sacraments- 
häuschen;  fie  finden  lieh  in  Büfchdorf  romanilch;  Spickendorf  entwickelte 


Fifr-  373- 


Gothik  und  meifterliche  Arbeit  in  Form  und  Farbe;  Brachlledt  hochgothifch; 
Teicha  etwa  Mitte  des  i (.Jahrhunderts.  Spätgothifche  finden  fich  in  Beefen; 
Dachritz;  Dammendorf ; Dobis;  Dölau  ctgo;  ICrofigk  Dorfkirchenruine;  Lettin; 
Löbnitz  a.  d.  Linde;  Mücheln;  Nauendorf;  Osmiinde  in  der  Sacriliei;  Sylbitz; 
Unterpeifsen.  Die  Piscinen,  welche  fich  nicht  feiten  erhalten  haben, 
z.  B.  in  Böllberg,  Nauendorf  u.  f.  w..  find  nicht  der  Erwähnung  werth,  weil 
fie  fich  niemals  über  eine  einfache  Wandnifche  hinaus  ausgebildet  haben. 

B.  O.  d.  Bau-  u.  Kunstd.  N.  F.  I.  39 


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6io 


IHK  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKKKIS. 


Kanzeln  von  einigem  Kunllwerthe  find  zu  Böllberg  fpäte  Renaiffance 
Döblitz  Anfang  des  17.  Jahrhunderts;  Görlitz  1Ü92;  Löbejün  1586;  Plöfsnitz 
fpäte  RenailTance,  Wettin  tön. 

Stuhlwerk  findet  fich  in Beefenlaublingen  als  fpätgothifcher Emporen- 
einbau: Domnitz  Refte  fpätgothifchen  (?)  Geftühls  auf  der  Südempore:  Wettin 
im  Chore  Wandverkleidung  hinter  dem  ehemaligen  Sitzreihen  und  Emporen- 
brüftungsftiick  an  der  Südfeite,  beide  von  vortrefflichller  Arbeit  (des  Thal- 
hausmeifters  aus  Halle):  Hohenedlau  StuhKverk  1674. 

Die  Kirchen  find  das  ganze  Mittelalter  hindurch  bis  fpät  in  die  Zeit 
der  Renaiffance  und  vielfach  noch  bis  in  das  gegenwärtige  Jahrhundert 
hinein  der  gefuchtefte  Platz  für  Begräbniffe  oder  doch  für  Grabmäler. 
Die  älteflen  find  jene  Fufsbodenplatten  mit  eingeritztem  Kreuz  oder  dergl. 
Figuren,  wie  wir  folche  in  Reffen  noch  finden  zu  Beefenlaublingen  nördlich 
im  Schiff,  und  zu  Nauendorf  als  Trittffufe  des  Altarplatzes,  ferner  als  ganz 
erhaltenen  Stein  in  der  Vorhalle  zu  Unterpeifsen.  Ihr  Alter  dürfte  fchwerlich 
jünger  als  die  Mitte  des  13.  Jahrhunderts  fein.  Der  nächff  ältelfe  Stein  ifl  in 
unferm  Kreife  bereits  dem  Ausgange  des  Mittelalters  angehörig,  es  ifl  der  tu 
Giebichenflein  von  1474,  zwei  fpätgothifche  befinden  fich  auch  noch  unter  den 
Fragmenten  auf  dem  Petersberge.  Alle  übrigengehören  dem  16.  Jahrhundert 
an,  nämlich  einige  zu  Ammendorf  (1474);  vier  vor  dem  Altäre  zu  Beefenlaub- 
lingen; Cönnern  1572  handwerklich:  Giebichenflein  1560;  Gutenberg  1565  von 
guter  Arbeit;  Hohenthurm  Mittelfeld  eines  hölzernen  Epitaphiums  von  vor- 
trefflicher Reliefirung  im  ßefitze  der  Freifrau  von  Wuthenau  auf  Hohen- 
thurm; Lochau  1563;  Löbejün  1587;  Merbitz  Kinderepitaphien;  Morl  1386. 
Petersberg  Tumba  der  Grafen  von  Wettin  Nachahmungen  von  Bronce- 
figuren  in  Stein  nach  1505;  Poplitz  einige  Steine  im  Parke  des  Schloffi-s: 
Reideburg  Ende  des  16.  Jahrhunderts;  Trebnitz,  wofelbfl  auch  ein  Grabmal 
des  17.  Jahrhunderts,  welches  äufserll  werthvoll  ifl.  Ein  Oelbild  als  Epi- 
taphium zu  Brachwitz  ifl  von  geringer  Bedeutung,  zu  Dieskau  ifl  aber  noch 
ein  barockes  Grabmal,  fotvte  ein  anderes  der  Zopfzeit  beachtungs  würdig. 

Folgende  befonderen  Sculpturen  dürften  hier  Anmerkung  verdienen 
das  an  der  Siidweflecke  der  Zfcherbener  Kirche  eingemauerte  Relief  eine» 
fchwerthaltenden  Reiters  ifl  vielleicht  vorchri (fliehen  Urfprunges.  Früh- 
remanifeh  fcheint  das  Tympanon  der  Kirchenruine  zu  Krofigk  zu  fein.  Die 
romanifchen  Tympana  zu  Böllberg,  Dobis,  Peifsen,  Petersberg  Kapelle  an 
der  Südfeite  und  Schlettau  haben  nur  geringes  Intereffe,  dagegen  find  eine- 
Theils  die  Portalausbildungen,  anderen  Theils  aber  auch  die  reliefirten 
Sturzlleine  folgender  romanifcher  Kirchen  fehr  beachtenswerth:  Beefenlaub- 
lingen; Nauendorf  nur  der  Sturz  einer  vermauerten  Thür ; Neutz ; Petersberg 
nur  die  Gewände;  Silbitz.  Ein  roh  gearbeitetes  Tympanon  zu  Lebendorf 
gehört  fchon  in  das  Jahr  1301.  Andere  Sculpturen  älterer  Zeit  find  die  im 
Sepulcrum  der  Petersbergkirche  gefundene  Maria  mit  dem  Kinde  aus 
romanischer  Epoche  und  das  Bafiliskenthier  mit  feinen  15  Eiern  zu  Neutz 
(1305?)  Ob  das  Popelmännchen  am  SchlofTe  ,zu  Poplitz  eine  gothifche 
Sculptur  ist,  wie  ich  annehmen  möchte,  läfst  fich  nicht  ficher  feflflellen 
Spätmittelalterlich  ill  die  gut  gearbeitete  Statue  des  heiligen  Moritz  (?)  am 


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KUNSTGESCHICHTL1CHE  UEIIKRS1CHT  ZUM  SAAI.KREISE. 


6l  I 


Portale  des  Giebichenfteiner  Gutshofes  und  die  befchädigte  Statue  des  .h.  Nico- 
laus zu  Wettin.  Sehr  befchädigt  ilt  die  Figur  des  h.  Peters  unter  dem  Stein- 
reftender  alten  Petersbergskirche.  Der  kleine  Crucificus  der  Böllberger  Kirche 
gehört  in  den  Anfang  der  RenailTance.  ein  Lutherbild  dafelblt  in  das  Jahr  1657, 
Beefen  hat  einen  barocken  Crucifixus  mit  Maria  und  Johannes,  Brachwitz 
einen  kleinen  RenailTancecrucifixus,  Cönnern  einen  ebenfolchen  in  der  Sac- 
ri Bei  und  einen  lebensgrofsen  auf  dem  Kirchenboden,  der  wohl  noch  fpät- 
gothifch  fein  kann,  das  Kanzelfigürchen  ftammt  aus  dem  17.  Jahrhundert. 
In  Lettin  hat  lieh  eine  hölzerne  Statue  des  h.  Wenzel  erhalten,  die  farbig 
ift,  als  ob  fie  in  einem  Altarfchreine  ehemals  Platz  gehabt  hätte,  die  Arbeit 
iß  gut;  auch  ein  barocker  unbedeutender  Crucifixus  mit  Maria  und  Johannes 
befindet  fich  hier.  Von  meifterlicher  Arbeit  ift  der  fteinerne  Crucifixus  an 
der  Nordwand  des  nördlichen  Querfchiffes  auf  dum  Petersberge,  er  gehört 
höchft  wahrfcheinlich  in  die  zweite  Hallte  des  16.  Jahrhunderts.  Auch  in 
Trotha  giebt  es  noch  einen  hölzernen  Crucifixus  in  I.ebensgröfse  aus  dem 
17.  Jahrhundert,  einen  ebenfolchen  zu  Wettin,  wo  man  auch  noch  eine  Maria 
mit  dem  Kinde  lieht.  Endlich  erwähnen  wir  noch  einen  hölzernen  Crucifixus 
des  17.  Jahrhunderts  zu  Zfcherben. 

Aufser  den  Altarbildern  finden  lieh  befondere  Malereien  in  den 
Kirchen  zu : Nauendorf  romanifche  Wandgemälde  im  Schiff  und  fpätgothifche 
im  Chor;  die  Gewölbeflächen,  die  Gurten  und  Graten  fowie  die  Confolen 
und  Schlufsfteine  der  Tempelherrenkirche  zu  Mücheln  zeigen  noch  fchöne 
fruhgothifche  Decorationsmalereien ; in  welche  Zeit  die  unter  dem  Putze 
erkennbare  grofse  F’igur  an  der  Norwand  der  Kirche  zu  Beefenlaublingen 
gehört,  läfst  fich  nicht  angeben;  auffchablonirte,  fpätgothifche  F'lachmufter 
zeigt  di<?  halbe  Holzdecke  zu  Böllberg;  Cönnern  befitzt  ein  Bild  des  Jahres 
1562  von  Lucas  Cranach  d.  J.  Luther  und  Melanchthon  in  Bruftbildern  dar- 
(lellend ; ebendiefelben  ftellen  die  Gemälde  deffelben  Meifters  zu'  Gutenberg 
dar;  endlich  befindet  lieh  in  Lettin  noch  das  Tafelgemälde  eines  unbe- 
kannten Meifters  vom  Jahre  1585,  welches  die  Auferftehung  Chrifti  darrteilt 
und  werthvoll  ift. 

Vafa  sacra  von  einiger  Bedeutung  dürften  fein;  ein  Kelch  des  15. 
Jahrhunderts  mit  älterem  Fufse  (12.  oder  13.  Jahrhundert)  auf  dem  Peters- 
berge; zwei  fpätgothifche  Kelche  zu  Beefenlaublingen;  ein  folcher  zu  Mötz- 
lich; ein  folcher,  doch  (1658)  reparirter  zu  Brachwitz;  aus  dem  16.  Jahr- 
hundert lind  die  Kelche  zu  Beefen,  Dalena,  Garfena  (Krankenkelch),  Schiepzig; 
der  Kelch  zu  DölTel  ift  vom  Jahre  1648;  der  zu  Dieskau  von  1651;  zu 
Zfcherben  von  1663;  Grofskugel  1664;  zu  Schwerz  1665;  Brachwitz  hat  2 
Kelche  von  1688;  Schiepzig  hat  eine  Hoftienbüchfe  von  1701;  Garfena  ein 
Weinbehältnifs  von  1741. 

Schliefslich  feien  noch  folgende  intereflante  Gegenftände  verfefiiedener 
Art  erwähnt:  der  Stein  in  der  Feldmark  Oftrau  bei  Dölau,  welcher  zu  heid- 
nifchen  Culturzweken  gedient  haben  foll;  eine  durch  Technik  und  Compofition 
beachtenswerthe  Altardecke  aus  Brachwitz,  jetzt  im  Provinzialmufeum  Anfang 
des  ib.  Jahrhunderts;  zu  Brafchwitz  im  Thurme  ein  fchmiedeifemes  Kreuz, 
16.  oder  17.  Jahrhundert;  zu  Dammendorf  eine  fchmiedei ferne  Sanduhr  an  der 

39* 


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6l  2 


D1K  1 Alt I HALLF.  u.  <1.  SAALKKI1S. 


Kanzel  17.  Jahrhundert;  zu  Dieskau  ein  barockes  Notenpult,  zu  Dobis  die 
durchbrochene  llolzarbeit  des  Beichtlluhles  aus  dem  linde  des  1 6.  Jahr- 
hunderts; die  Gotteskaften  zu  Gimritz  und  Löbejün;  zu  Lettin  eine  fchmied- 
eiferne  Sanduhr  an  der  Kanzel  von  trefflichster  Arbeit  des  16.  Jahrhunderts, 
zu  Osmünde  eine  Agende;  des  17.  Jahrhunderts ; zu  Schlettau  ein  im  16, oder 
17.  Jahrhundert  gut  verzierter  Glockenwolf,  fowie  eine  Altardecke  mit 
Bordüre  aus  dem  t6.  Jahrhundert;  endlich  das  einzige  (formal  unbedeutende) 
Weihwaflerbecken  zu  L’nterpeifsen  (15.  Jahrhundert?).  Verfchiedentlich 
finden  lieh  alte  Thürbefchläge  fo  zu  Beefenlaublingen , Krofigk,  Gutenberg 
(gothifch)  und  an  anderen  Orten. 

Es  erübrigt  noch  eine  Glockenfchau  unferes  Kreifes  zu  geben,  um 
die  Aufzählung  der  kirchlichen  Gegenftände  zu  beendigen.  Die  älteften 
Glocken  bieten  fo  wenig  Anhaltepunkte  zu  einer  genaueren  Altersbe- 
flimmung,  dafs  wir  die  vor  das  Jahr  1300  fallenden  zufammenfafifen  wollen; 
lie  haben  meilt  keine  lnfchritt  und  Zierrathe,  zeigen  eine  längliche  Eorm. 
eine  Harke  Rippe  und  eine  matte  Krone  oder  lallen  lieh  durch  ein  anderes 
Kennzeichen  ältefler  Zeit  lieber  zu  weifen.  Wir  wollen  hier  die  Bemerkung 
einflechten,  dafs  gar  manche  Glocken  unter  diefer  erften  Rubrik  in  das  u. 
und  felbfl  in  das  11.  Jahrhundert  hinaufgehen  mögen,  dafs  wir  aber  noch 
nicht  im  Stande  find,  für  diefes  höhere  Alter  llets  Kennzeichen  anzugeben. 
Während  die  Kirchengebäude  oft  erneuert  lind,  haben  die  erften  Glocken 
fich  auf  unfere  Tage  vererbt  und  es  läfst  fielt  da,  wo  in  einer  Kirche  ältere 
Glocken  hängen  als  das  Bauwerk  ift,  wenn  auch  nicht  mit  Sicherheit,  fo 
doch  mit  einiger  Wahrfcheinlichkeit  auf  die  Zeit  eines  früheren  Kirchen- 
baus des  Ortes  fchliefsen.  Undatirte  Glocken  der  Zeit  bis  1300  find: 

Beefenlaublingen  1.  frührontanifch  (?)  2,  2.  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts 
(Aula  mea  vox). 

Brachwitz;  Ende  13.  Jh. 

Büfchdorf:  1,  etwa  um  1200.  2,  ebenfalls. 

Gönnern;  13.  Jh. 

Dachritz:  13.  Jh.  (?) 

Dalena:  13.  Jh. 

Dammendorf:  13.  Jh. 

Deutleben:  romanifch  (Saufang). 

Diemitz:  1,  frühgothifch.  2,  ebenfalls. 

Dobis:  13.  Jh. 

Döflel:  1,  13.  Jh.  2,  ebentalls. 

Domnitz:  13.  Jh. 

Dornitz:  1,  Mitte  13.  Jh.  2,  ebentalls. 

Eismannsdorf:  1.  und  2,  13.  Jh.  (?) 

Grofskugel:  1,  Anfang  13.  Jh.  (0.38“  Durchmelfer)  2,  13.  Jh; 

Görbitz:  Ende  13.  Jh. 

Gutenberg:  1,  und  2,  13.  Jh. 

Kirchedlau:  romanifch  (?) 

Lettewitz:  Ende  13.  Jh. 

Lettin:  13.  Jh.  (?) 


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KUNSTGESCHICHTUCHR  UEHERSICHT  ZUM  SAAIJCRE1SE.  613 

Lochau:  Anfang'  13.  Jh. 

Mitteledlau:  i,  und  2,  13.  Jh. 

Mücheln  Dorfkirche:  frühgothifch  {oder  1780?) 

Nauendorf:  13.  Jh. 

Niemberg:  fpäteftens  13.  Jh. 

Rothenburg:  13.  Jh.  (?) 

Schwerz:  13.  Jh. 

Spickendorf:  13.  Jh. 

Sylbitz:  1,  2,  und  2,  13.  Jh. 

Zfcherben:  Anfang  13.  Jh. 

ln  das  14.  Jahrhundert  fetzen  wir  die  Glocken,  deren  Schrift  gut  les- 
bar ill  und  aus  Majuskeln  befiehl , die  in  den  Mantellehm  eingeritzt  oder 
als  'Wachsmodelle  dem  Hemde  aufgeklebt  worden  find.  Eine  Minuskel- 
fc h r i ft  auf  Glocken  kommt  im  14.  Jahrhundert  feiten  vor  und  an  den  Glocken 
des  Saalkreifes  in  diefem  Zeiträume  überhaupt  nicht.  Durch  Einritzen  in 
den  Mantellehm  entllandene  Spiegelbild fehrift  d.  h.  linksläufige  Schrift  ge- 
hört im  Saalkreife  kaum  noch  in  diefe  Zeit,  fondern  fallt  fchon  in  das  Ende 
des  vorhergehenden  Jahrhunderts. 

Beefenlaublingen:  Mitte  des  Jahrhunderts. 

Brachwitz:  Erfte  Hälfte  „ 

Gönnern:  desgleichen 

Deutleben:  Anfang  des  Jahrhunderts. 

Dobis:  Erfte  Hälfte  „ 

Dölau:  Mitte  des  Jahrhunderts. 

Düffel : desgl. 

Domnitz:  desgl. 

Gimritz:  desgl. 

Kirchedlau:  1,  desgl.  und  2,  14.  Jahrh.  (?) 

Lettin:  Erfte  Hälfte. 

Löbnitz  a.  d.  Linde:  4.  bis  5.  Jahrzehnt. 

Nauendorf:  gegen  die  Mitte. 

Niemberg:  1,  Mitte.  2,  desgl. 

Plöfsnitz : Erfte  Hälfte. 

Rothenburg:  Mitte. 

Schlettau:  1,  desgl.  2,  desgl. 

Schwerz:  Mitte. 

Trebitz:  Mitte. 

Wettin:  1,  erften  Jahrzehnte.  2,  ebenfalls. 

Wörmlitz:  Erfte  Hälfte. 

Die  an  diefen  Glocken  des  14.  Jahrhunderts  wiederholt  vorkommenden 
Infchriften  lind:  (mit  Varianten) 

+ DV<,'I  • TRAhOR  • ÄVDISÜ  • VO0O  ■ VOS  • ORÄTU  • V8I1IS0  • 

+ O • R0X  • GL0RI8  vom  • avii  • päcig  • 

+ SIS  • SHfllPOSSÄSVI  I • P0R  • 010  • GWAS  • OfllRH  ■ 
HaSGÄ2Ml  • 

Einige  Male  findet  fich  der  Gloekenname  (?)  GLORIOSA. 


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6 14 


DIE  STADT  HALLE  u.  d.  SAALKKE1S, 


Ihrer  Form  (ausgebildete  Krone  (und  Minuskelfchrift  wegen  gehören 
in  das  15.  Jahrhundert: 

Büfchdorf 
Gimritz.  (15.  Jh.  ?) 

Lebendorf  (aut  dem  Schulhausboden  befindlich). 

Lochau:  Anfang  des  15.  Jh. 

Löbejün:  Hospitalkirche. 

Löbnitz  a.  d.  Linde:  (15.  Jh.  ?) 

Mücheln:  in  der  Dorfkirche  von  nur  0,25“  Durchmeffer 
Peifsen:  (1483?) 

Plöfsnitz. 

Trotha. 


Wallwitz. 

Die  nicht  zu  erreichende  Schlagglocke  zu  Schwerz  wird  muthmaah- 
lich  dem  16.  Jh.  angehören,  eine  Glocke  zu  Seeben  dem  16.  oder  17.  Jh 
eine  Glocke  zu  Brachwitz,  die  Lorenz  Richter  gegofTen  hat.  gehört  in  der: 
Anfang  des  17.  Jh.,  eine  zu  Hohenthurm  ist  zuzuschreiben  dem  17.  Jh.. 
eine  zu  Mitteledlau  dem  17.  oder  18.  Jh.,  zwei  zu  Beefedau  dem  18.  Jh.,  eine 
zu  Eismannsdorf  dem  ig.  Jh.  da  fie  von  den  Gebr.  Ulrich,  Apolda  u.  zu  Laucha 
gegolTen  iß. 

Eine  Jahreszahl  haben  die  Glocken  der  Kirchen  zu: 


Krosigk  (Ruine):  1353  (in  Majuskel- 
buchftaben.) 
Kaltenmark:  1400. 

Rade  well:  1406. 

Dobis:  1414. 

Beefen:  1422. 

Diefkau:  1473. 

Schiepzig:  1474. 

Peiffen:  1483. 

Beefen:  1491. 

..  '497- 

Brachftedt:  1,  und  2,  149g. 

Mötzlich:  1501. 

Schwerz:  1503. 

Petersberg:  1508. 

Plöfsnitz:  1508. 

(Ammendorf:  1511  umgegoffen.) 
Döfsel:  1511. 

Wörmlitz:  1511. 

Dammendorf:  1518. 

Giebichenftein : 1521. 

Morl:  1522. 

Radewell:  1526. 

Untermafchwitz : 1535. 

Merbitz:  1561  (?) 


Lettewitz:  1584  (?) 

Löbnitz  a.  d.  Linde:  1584. 
Gönnern:  1586. 

Zfcherben:  1590. 

Görlitz:  1602. 

Priefter:  1603. 

Schlettau:  1604. 

Oppin:  1604. 

Lettewitz:  1606. 

Cönnern:  1614. 

Reideburg:  1619. 
j Schiepzig:  1623. 

Dieskau:  1624. 

' Peifsen:  1658. 

Oppin:  1676. 

Brachftedt:  1677. 

1 Mötzlich:  1677. 

Wallwitz:  1678. 

Petersberg:  1679. 

Wieskau  : 1684. 

Trebnitz:  i08j. 

Brafchwitz:  1686. 

Merbitz:  1693. 

Sennewitz : 1697.  |hammer 

Rothenburg:  1698  (auf  dem  Kupfer- 


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KUNSTGESCHICHTLICHE  UEBERSICHT  ZUM  SAALKRKISE. 


6>5 


Dieskau:  1099, 

Nauendorf:  1828. 

Kaltenmark;  1700. 

Reideburg:  1828. 

Sieglitz:  1701. 

Hohenedlau:  1,  2 und  3,  1833. 

Löbejün:  1707. 

Osmünde:  1835. 

Dachritz:  1708. 

Löbejün:  1839. 

Deutleben:  1708. 

Wettin:  1840. 

Döllnitz:  1708. 

Lettin:  1841. 

Krofigk:  1708. 

Gutenberg:  1 und  2,  1842. 

Radewell:  1708. 

Morl:  1842. 

Brafchwitz:  1709. 

Canena:  1 und  2,  1843, 

Dalena:  1710. 

Seeben : 1853. 

Trebnitz:  1722. 

Döblitz:  1,  2 und  3,  1854. 

Domnitz:  1731. 

Hohenthurm : 1860. 

Nietleben:  1738. 

Priefter:  1861. 

Spickendorf:  1738. 

Teicha:  1,  2 und  3,  1861. 

Lochau:  1741. 

Hohenthurm:  1862. 

Sieglitz:  1744. 

Dalena:  1867. 

Giebichenftein:  1747. 

Sennewitz : 18(17 

Osmünde:  1748. 

| Döllnitz:  1870. 

Reideburg:  1751. 

Neutz:  1,  2 und  3,  1871. 

1 Ammendorf:  1754.) 

Trebitz:  1 und  2,  1873. 

Wieskau:  1759. 

Trotha:  1,  2 und  3,  1875. 

Nietleben:  1774. 

Lieskau:  1 und  2,  187O. 

Osmünde:  1783. 

Unterpeifsen:  1,  2,  3 und  4,  1877. 

Giebichenftein:  1788. 

Wörmlitz:  1879. 

Grofskugel:  1800. 

Döllnitz:  1881. 

Untermafchwitz:  1801. 

Lebendorf : 1,  2 und  3,  1881. 

Bebitz:  1802. 

Morl:  1882. 

Garfena:  1814. 

Ammendorf:  1,  2 und  3, »1883. 

Dornitz:  1828. 

Als  Glockengiefser  nennen  fich:  14 22  gluwicz  (?),  in  den  erften  drei 
Jahrzehnten  des  ib.  Jahrhunderts  ift  ein  Meifter  thätig , welcher  fich  nur 
durch  das  Hallefche  Stadtwappen  kenntlich  macht,  namentlich  indeflen  nicht 
bekannt  ift.  1584 — 1590  Eckhard  Kuecher  zu  Erfurt,  1O02 — 1O0Ö  Lorenz 
Richter  in  Halle,  1 603  George  Wolgaft,  1Ö04  Heinrich  Borllelmann,  1614 — ,tjl9 
Jacob  König  in  Erfurt,  1623  - 1624  George  Dors  und  Hans  Wetter  zu  Halle, 
1O58  — 1677  SimonWildt  in  Halle,  1677 — 1701  Johan  Jacob  Hoffmann  in  Halle, 
1707  — 1738  Peter  Becker  in  Halle,  1731  Johann  Chriftian  Bachmann,  1741  bis 
1774  Friedrich  Auguft  Becker,  1783  Johan  Friedrich  Becker,  1788  Gottlieb 
Augull  Becker,  1800—1835  C.  G.  G.  Becker.  1828  F.  See  aus  Creutzburg  im 
Herzogthume  Weimar,  1833  Johan  Heinrich  Ulrich  in  Laucha,  1842  Fr.  Meyer 
in  Eisleben.  1853  Leopold  Eberwein  in  Halle,  1854  Gebrüder  Ulrich  in  Laucha, 
1860  Gotthilf  Groffe  in  Dresden,  1867  C.  A.Jauck  in  Leipzig. 

Profanbauten  von  gröfserer  Bedeutung  hat  der  Saalkreis  nicht  auf- 
zuweifen; nur  das  Alter  macht  einige  Stücke  merkwürdig.  Die  Ueberbleibfel 
der  Burg  Giebichenftein  gehen  in  die  fpätromanifche  Zeit  zurück,  in  welche 


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6l6  DIE  STADT  HALLE  ».  (i.  SAALKREIS. 


auch  der  Wartthurm  (bez.  Burgfried)  auf  Hohenthurm  gehört : ob  die  untere 
Partie  des  Wartthurmes  zu  Krofigk  älter  ill,  läfst  fich  nicht  ficher  angeben. 
Auch  die  Subltructionen  des  aus  dem  Winkel’fchen  Schlöffe  und  der  Burg 
zu  Wettin  werden  theihveife  in  die  romanifche  Zeit  zurückgehen,  aber  fie 
find  ohne  Kunßformen  und  daher  ficher  nicht  zu  erkennen;  das  16.  und 
17.  Jahrhundert  hat  über  ihnen  die  gegenwärtigen  Gebäude  entliehen  lallen. 
Dem  16.  Jahrhundert  fcheint  auch  erd  die  Ringmauer  des  Herrenhofes  zu 
Krofigk  anzugehören,  mögen  auch  ältere  Theile  in  fie  mit  aufgenommen 
fein.  Dagegen  gehören  die  Gebäude  am  l'ufse  des  Giebichenlfein.  befonder- 
der  Kornfpeicher  und  die  UmfafTungsmauer,  fchon  in  das  15.  Jahrhundert. 
Vielleicht  noch  älter  find  die  Ueberbleibfel  der  UmfafTungsmauer  des  Tempel- 
herrenhofes zu  Mücheln,  doch  können  diefelben  auch  erll  am  Ende  des  Mittel- 
alters entflanden  fein.  Was  fich  vom  Schlöffe  zu  Rothenburg  erhalten  hat, 
verweifst  auf  das  16.  Jahrhundert,  desgleichen  die  ältefle  Partie  im  Schlöffe 
Poplitz  und  Trebnitz,  letzteres  jedoch  hat  Anbauten  des  17.  Jahrhunderts, 
erlleres  iß  der  Hauptfache  nach  aus  dem  18.  Jahrhundert.  Ein  Thurin  des 
16.  oder  17.  Jahrhunderts  findet  fich  auch  auf  dem  ehemaligen  Kloßerhole 
zu  Domnitz.  Das  Herrenhaus  zu  Merbitz  iß  barock.  Von  ßädtifchen  Bauten 
iß  das  Halle’fche  Thor  zu  Löbejün  von  1607  in  feiner  unteren  Partie  und  von 
1743  in  den  oberen  Theilen  kaum  nennenswerth.  Das  Wettiner  Rathhaus 
von  1GG0  mit  einem  Tifche  von  1644  verdient  dagegen  etwas  mehr  Beachtung. 
Endlich  fei  der  Bau  eines  Klosters,  nämlich  die  Ruine  des  Krankenhaufes 
auf  dem  Petersberge,  genannt;  fie  zeigt  ein  Mauerwerk,  welches  erß  dem 
15.  Jahrhundert  angehören  kann. 

Aufser  den  Namen  der  Glockengiefser,  die  wir  bereits  aufgezählt  haben, 
laßen  fich  nur  wenige  von  andern  Künßlern  und  Handwerkern  anführen. 
Zu  Löbejün  iß  1588  bei  dem  Thurmbau  thätig  gewefen  alsBaumeißer  Eber- 
hard Schmidt  von  Sangerhaufen,  als  Maurermeißer  Adam  Garbe  und  Philipp 
Schoch,  als  Zimmermeißer  Michael  Knorr,  als  Schieferdecker  Gurth  Die 
Altargemälde  von  1604  hat  Daniel  Rulefink  aus  Halle  gemalt.  Die  Kanzel 
hat  der  Bildhauer  Hans  Michael  von  Bernburg  erfunden  und  gemeifselt. 
ebenfo  den  Taufßein,  der  Maler  Andreas  Brachmann  von  Magdeburg  hat 
fie  1589  mit  Farben  ausgeßattet.  Einen  Kelch  zu  Grofskugel  von  1O64  hat 
Paul  Chrißian  Spiegel  gefertigt. 


s 


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f 


Nachtrag.* 


Zu  S.  i.  Der  flavifche  Name  Dobregora  füll  nach  Neueren  nicht  Halle, 
fondern  Gutenberg',  vergl.  S.  407.  bedeuten  (dobre  = gut.  gura  — berg). 
Vergl.  u.A.  Magd.-Ztg.,  Blätter  für  Handel  etc.,  1880  S.  200. 

Dals  die  Oertlichkeit  und  nicht  dafs  alte  Frankencallell  zuerll  den 
Namen  „llalla“  geführt,  wurde  fchon  S.  4,5,4  erwähnt. 

Zu  S.  5.  Aufser  den  genannten  ehemaligen  Kapellen  fuhrt  v.  Drey- 
haupt  1.  ick j8  noch  „eine  kleine  auf  der  Moritzburg  über  dem  Thore  im 
I hurm  befindl.  Capelle“  an.  welche  1O87  den  Reformirten  zum  Gottcsdienft 
eingeräumt  wurde.  (Nicht  zu  verwechfeln  mit  der  Magdalenen- Kapelle  auf 
der  Moritzburg.  S.  ,408  ff.) 

Zu  S.  16.  Die  Höhe  des  (lüdlichen)  blauen  Thurms  ill  tälfchlich  zu 
100“  angegeben.  Sie  foll  nach  Dreyh.  I,  1021  „148  alte  Hällifche  Werek- 
Elen  oder  28,;-'  3 Rheinländifche  Fufs,“  d.  i.  rund  89 betragen. 

Zu  S.  33.  Der  Halbmond  in  Hofmanns  Wappenfchild  ill  wohl  gleich 
dem  in  der  Helmzier  belfer  einfach  als  Anlehnung  an  das  Hallefche  Wappen 
und  als  Ausdruck  der  bürgerlichen  Zugehörigkeit  zu  Halle  aufzufaflen,  zu- 
mal Hotmann  etymologifch  nicht  = Mann  des  Tloffens.  fondern  = Mann 
des  Tlofes.  Das  Antlitz  in  dem  Halbmonde  hat  heraldifch  keine  befondcre 
Bedeutung,  fondern  kennzeichnet  nur  den  „gebildeten  Halbmond“  (d.  h.  den 
mit  einem  Bild  verfehenenc 

Zu  S.  43.  In  der  Inlchrift  über  der  Kanzelthür  hat  lieh  nach  Olear 
Ilalygr.  S.  21  noch  das  Wort  REX  befunden,  wodurch  die  Beziehung  aut 
Fs.  24  (V.  9)  klar  wird.  Danach  ill  auch  mit  dem  lateinifchen  (Vulgata-) 
Text  zu  lefen:  introibit. 

Zu  S.  90.  Zeile  12  v.  u.  (Anmerkungen  nicht  eingerechnet)  muls  es 
heifsen  „von  Wellen  her“  llatt  von  Olten. 

Zu  S.  90.  Die  zweite  Tnfchrift  ill  vermuthlieh  fo  zu  emendiren: 
octuaginta  • bis  • octo“  llatt  octuagin  • dabis  • octo.  Damit  kommen  wir 
auf  die  Jahreszahl  1396,  wodurch  lieh  der  verfchiedene  Schrittcharakter  von 
felblt  erklärt.  Die  erlle  Infchrift  (1388)  würde  dann  aut  die  Grundlleinlegung 
zum  Chor,  die  zweite  (139h)  auf  eine  Bautortfetzung  („renovatus“)  an  dem 
Chor  nach  mehrjähriger  Unterbrechung  gehen. 

Zu  S.  128.  Die  Drachlledts  waren  keine  Künlller-,  fondern  eine  Halle- 
fche  Patricierfamilie.  Ihr  Gefchlechtsregillor  findet  lieh  bei  Dreyh.  11,  Beil. 

* An  tu.:  Dielen  Nachtrag  zum  I.  Bande  hat  einer  der  heften  Kenner  Halb-Tclicr  <ie* 

fchichte  und  Ortskunde  zufanimengcftclll,  Herr  Keinltoid  Schmidt  in  Zörbig;  für  feine  Mühe 
fagc  ich  ihm  hier  meinen  Dank. 


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6l8 


UIK  STAUT  HALLE  u.  J.  SAALKKtla. 


13,  S.  30.  und  fowold  Karl  (vergl.  S.  95)  als  Johannes  oder  Hans  Drachfledt 
kommen  darin  vor.  Beide  find  offenbar  nicht  Baumeißer  im  Sinne  von 
„Architekten“  gewefen.  fondern  im  Sinne  der  „ Bawmeiftere,"  welche  die 
„Willkür“  von  1482  (Dreyh.  II,  ,514)  einfetzt  und  die  wir  etwa  „Baudeputirte“ 
nennen  würden.  (Aehnlich  Ilans  Zöberitz  und  Hans  Bruwer,  S.  293,  auch 
wohl  Koll  und  Glafer  S:  405,  Anm.  1). 

Zu  S,  168.  Die  Frage  nach  dem  Bauanlang  des  alten  Servitenklolters. 
zu  welchem  die  jetzige  Ulrichskirche  gehörte,  ill  nur  durch  einen  F'ehler 
bei  Dreyhaupt  verdunkelt.  Bei  Dreyh.  1,  778  findet  lieh  ein  Document 
datirt  vom  Pfingllabend  1329  („in  deine  negh'en  und  zwentzighelle  Jare“i.  . 
worin  es  ausdrücklich  heilst:  . . . „Die  Stätte,  die  Hagedorns  war,  da  nun 

unfer  Kloller  darauf  gebaut  werden  füll  und  zu  bauen  begonnen  ill“ 

Diefe  Urkunde  fetzt  Dreyhaupt  in  der  Ueberfchrift  durch  einen  Datirungs- 
fehler,  wie  er  leider  bei  ihm  ziemlich  häufig  vorkommt,  auf  den 
15.  Mai  1,53g  llatt  auf  den  10.  Juni  1329.  (In  unferem  Falle  iß  dies  fehr 
leicht  erklärlich,  da  die  fragliche  Urkunde  mit  der  nächß  vorhergehenden 
(Dreyh.  I,  777)  richtig  auf  den  15.  Mai  1339  gefetzten,  diefelben  Anfangs* 
und  Schlu Isworte  hat ) Der  Bauanfang  fällt  alfo  nicht  auf  1339  (was übrigens 
fchon  S.  108,  Anm.  2 als  unficher  bezeichnet  ill),  fondern  in  oder  kurz  vor 
das  Jahr  1329,  und  der  Tod  Hagedorns  mufs  natürlich  vorher  erfolgt 
fein.  Der  Bau  verzögerte  lieh  durch  den  hartnäckigen  Widerfpruch  der 
Ilallenfer,  fo  dafs  man  z.  B.  1339  noch  nicht  wefentlich  über  den  Anfang 
hinausgekommen  war.  (Die  ganze  F’rage  erfordert  eine  ausführlichere  Dar- 
legung, als  fie  hier  möglich  ill.) 

Auf  S.  168  ill  ferner  irrthümlich  der  „Galgenberg“  genannt;  nicht 
auf  diefem,  fondern  in  der  Nähe  des  llädtifchen  Galgens  liefsen  lieh  die 
Serviten  vorübergehend  nieder,  der  ßädtifche  Galgen  aber  befand  fich  etwa 
auf  dem  Terrain  des  jetzigen  „Prinzen  Karl“. 

Zu  S.  172.  Der  Dachreiter  mit  der  „welfehen  Haube,“  ill  fchon  vor 
1665  vorhanden  gewefen,  wie  aus  älteren  Abbildungen  Halles  hervorgeht. 

Zu  S.  219.  Vom  28.  Juni  1520  datirt  der  Fundations-  und  Dotations- 
brief Albrechts  für  das  „Neue  Stift“;  ob  gerade  auch  der  Bau- Anfang  des 
Doms,  ill  nicht  nachweisbar.  — Der  23.  Augull  1523  (Einweihungstag)  be- 
ruht auf  einen  Umrechnungsfehler  von  Olearius.  Die  Infchritt  (S.  239) 
befagt:  IX.  Kal.  Septem.,  d.  i.  24.  Augull.  Die  auf  S.  241  wiedergegebene 
Infchrift  iß  unficher. 

Cardinal  Albrecht  verliefs  (vom  Hagen  II,  21)  Halle  fchon  am  2.  Juli 
1538,  alfo  3 Jahre  vor  Schliefsung  des  Doms. 

Zu  S.  230.  ln  der  Unterfchrift  der  Abbildung  mufs  es  heifsen:  ...  im 
N ebenfehiff. 

Zu  S.  243.  Die  Infchrift  iß  zu  ergänzen:  Prover.  30,  5 und  6. 

Zu  S.  296.  Die  Schlufsfrage  wird  man  mit  grofser  Wahrfcheinlichkeit 
bejahen  können.  Dreyh.  I,  292  bezeugt,  dafs  bei  der  Marcusproceffion  die 
Stadt  umfehritten  und  von  den  vier  Hauptpfarrern  „an  allen  vier  Ecken" 
die  Anfänge  der  vier  Evangelien  gelefen  wurden;  eine  folche  Lection  wird 
auch  an  Stelle  der  jetzigen  Betfäule  llattgefunden  haben  und  damit  kann  fehr 


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KUNSIUKSCHICHTLICHL  UhlltKMCH T ZUM  SAAI.KKKISK.  - big 


gut  die  Errichtung  der  letzteren,  wie  der  nicht  mehr  vorhandenen  vor  dem 
rannifchen  Thore  zufammengehangen  haben. 

Zu  S.  299.  Ern II  bezog  die  Moritzburg  1505,  „Donnerstags  nach  Exaudi" 
(Dreyh.  1,  ibo),  was  Dreyhaupt  irrthümlich  in  den  25  Mai  umrechnet;  es 
war  der  1.  Juni.  Uebrigens  datirt  er  fchon  unterm  23.  Auguft  1502  eine 
Urkunde  von  hier  (Dreyh.  11,  933.  034)  weshalb  er  lieh  bereits  1502  wenigilens 
vorübergehend  darin  aufgehalten  haben  mufs. 

Zu  S.  300,  Anm.  2.  Albrecht  liefs  (ich  feine  Maitreffe  nicht  als  Leichnam 
fondern  lebendig  unter  der  gotteslälterlichen  Maskerade  einer  Reliquien- 
prozeffion  in  die  Moritzburg  tragen. 

Zu  S.  305  u.  306.  Dafs  im  Weltfiiigel  ein  grofser  Saal  mit  einer  Balken- 
decke als  Eufsboden  oberhalb  anderer  Gemächer  lag,  geht  deutlich  aus  der 
Befchreibung  des  Brandes  (Dr.  I,  419)  hervor;  auch  hierdurch  wird  alfo  die 
vorgetragene  Anficht  über  den  Innern  Ausbau  des  Welltlügels  bellätigt. 

Zu  S.  330.  Zeile  6 v.  u.  mufs  es  heifsen,  „vom  Galgthore"  ilatt  Stein- 
tho re.  Vergl.  Olear.  llalygr.  S.  195. 

Zu  S.  336.  Das  Geillthor  ilt  irrthümlich  mit  dem  alten  Ulrichsthor  iden- 
tificirt;  beide  find  durchaus  verfchieden. 

Zu  S 387.  Aus  Schünitz  kurzer  l.ebensbefchreibung  bei  Dreyh.  II,  513 
läfst  fielt  folgern,  dafs  der  Kühle  Brunnen  um  1530  gebaut  ilt. 

Zu  S.  406.  Im  Grundrifs  des  Thalhaufes  find  die  Himmelsrichtungen 
nicht  richtig  angegeben;  die  Iluuptfront  lag  nach  Südoll  und  die  andern 
Seiten  dementfprechend. 

Zu  S.  417.  Zur  Baugefchichte  des  Thalhaufes  ilt  nachzutragen,  dafs 
die  ältere  Partie  1758  und  1760  „von  Grund  aus  repariret“  ilt  nach  der 
Stiebritz'fchen  Eortfetzung  von  Dreyhaupt,  II  534. 

Zu  S.  43g.  Eine  grofse  Anzahl  HalleTcher  Küniller,  Kunlthandwerker 
etc.  findet  fich  aufgezählt  bei  K.  E.  Eörltemann.  G.  E.  Händels  Stammbaum, 
Leipzig,  Breitkopf  und  Härtel,  1844,  S.  7-9. 

Zu  S.  443  f.  Der  Petersburg  ilt  241  m hoch.  — Der  Flächeninhalt  des 
Siialkreifes  ilt  510  qkm.  — Zu  den  Angaben  über  das  ältere  Auftreten 
und  die  älteren  Formen  der  Ortsnamen  des  Saalkreifes  ilt  im  Allgemeinen 
u bemerken,  dafs  ihnen-  im  Wefentlichen  die  Dreyhauptfchen  Mittheilungen 
zugrunde  gelegt  find,  fo  dafs  manche  kleine  Abweichung  von  den  Ergeb- 
nifTen  neuerer  1-orlchungen  Vorkommen. 

Zu  S.  521.  In  dem  Chronodiftichon  mufs  es  heifsen  fvlsit  ftatt  falsit, 
wodurch  fich  die  Jahreszahl  1O05  ergiebt. 

Zu  S.  554.  Markgraf  Conrad  legte  nach  Dreyhaupt  II  871  („in  Misne 
arma  deposui“)  die  Waffen  in  Meifsen  ab. 


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der  älteren 

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Bau-  und  Kunstdenkmäl 

• ' der 

Provinz  Sachsen 

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Hcrausgi  .•geben 

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Historischen  Commission  der  Provinz  Sachse«. 


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1.  Band. 


. Die  Stadt  Halle  und  der  Saal  kreis 

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Gustav  Schönem10  nL' 

Architekt; 

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Oie  Neue  Folge  der 

Beschreibenden  I Erstellung 

der  älteren 

Bau-  und  Kunstdenkmäler 

der 

Provinz  Sachsen 

und  angrenzender  Gebiete 

erscheint  in  ein-  bis  zweimonatlichen  Lieferungen  zum  Preise  von 
M.  1,50.  Titel,  Vorwort,  Inhalt,  Register  etc.  zu  den  einzelnen 
Kreisen  wie  zu  den  einzelnen  Bänden  werden  gratis  beigegeben. 

Die  einzelnen  Kreise,  resp.  Bände,  werden  wie  bisher  auch 
einzeln  abgegeben. 

Den  bisherigen  Interessenten  werden  die  bereits  erschienenen 
Hefte,  sobald  sie  in  Neubearbeitungen  der  Neuen  Folge  einver- 
leibt werden,  gratis  geliefert 

Halle»,  d.  S.  Otto  Hendel. 

Ve  r I agshand  1 ung . 


Beschreibende  Darstellung 

der  älteren 

Bau-  und  Kunstdenkmäler 

der 

Provinz  Saehsen 

und  angrenzender  Gebiete. 

Herausgegeben 

von  der 

Historisdien  Commission  der  Provinz  Sachsen. 

Neue  Folge.  I.  Band. 

Die  Stadt  Halle  und  der  Saalkreis 

bearbeitet  von 

Gustav  Schönermark, 

Architekt. 


II.  Lieferung. 


Preis  1,50  Mark. 


Halle ,.  d.  S. 

Verlag  von  Otto  Hendel. 

1884. 

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